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Parlamentswahl in Schweden 2022 | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Schweden 2022

Redaktion

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Am 11. September hat Schweden ein neues Parlament gewählt. Das rechts-konservative Lager hat die Wahl knapp gewonnen. Bislang regierte eine sozialdemokratische Minderheitsregierung das Land.

Das Gebäude des schwedischen Reichstags auf der Insel Helgeandsholmen in Stockholm. (© picture-alliance, Zoonar | KHALED ELADAWY)

Die Schwedinnen und Schweden waren zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Die Wahl fand am Sonntag, den 11. September statt. Das EU-Mitglied Schweden ist eine parlamentarische Monarchie. Der schwedische Reichstag ("Riksdag") ist das zentrale Gesetzgebungsorgan und wählt den Ministerpräsidenten oder die Ministerpräsidentin. Der schwedische König übt nur eine repräsentative Funktion aus. Die Wahl fand vor dem Hintergrund des Kriegs Russlands gegen die Ukraine, der dadurch ausgelösten Energiekrise und des Beitrittsgesuchs Schwedens bei der Interner Link: NATO statt. Bislang regierte eine sozialdemokratisch geführte Minderheitsregierung das skandinavische Land.

Rechter Wahlsieg

Das rechts-konservative Lager (Schwedendemokraten, Moderate Sammlungspartei, Christdemokraten, Liberalen) hat die Parlamentswahl in Schweden knapp gewonnen. Es kommt nach dem amtlichen Endergebnis auf 176 der 349 Sitze. Das Mitte-links-Lager (Sozialdemokraten, Zentrumspartei, Linken, Grünen) erhielt insgesamt 173 Sitze im schwedischen Reichstag und verlor damit die Mehrheit. Die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson kündigte daraufhin ihren Rücktritt an.

Die Sozialdemokraten ("Sveriges socialdemokratiska arbetareparti", deutsch: Schwedische sozialdemokratische Arbeiterpartei), konnten 30,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Darauf folgen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten ("Sverigedemokraterna") mit 20,5 Prozent der Stimmen. 19,1 Prozent erhielt die Moderate Sammlungspartei ("Moderata samlingspartiet"). Die Zentrumspartei ("Centerpartiet") und die Linkspartei ("Vänsterpartiet") erreichten beide 6,7 Prozent der Stimmen. Dann folgen die konservativen Christdemokraten ("Kristdemokraterna") mit 5,3 Prozent, die Grünen ("Miljöpartiet de Gröna", deutsch: Umweltpartei "Die Grünen") mit 5,1 Prozent sowie die Liberalen ("Liberalerna") mit 4,6 Prozent der Stimmen.

Möglicherweise wird Ulf Kristersson, Vorsitzender der Moderaten Sammlungspartei, eine neue Regierung anführen. Für eine Mehrheit braucht er die rechtspopulistischen Schwedendemokraten.

Bisherige Minderheitsregierung

Die Interner Link: Parlamentswahl in Interner Link: Schweden im September 2018 hatte komplizierte Mehrheitsverhältnisse zur Folge. Sowohl die bis dato regierende Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei als auch die bürgerlich-liberale Opposition schafften es nicht, eine Regierung zu bilden.

Anfang 2019 verständigten sich Sozialdemokraten, Grüne, Zentrumspartei und Liberale auf eine lagerübergreifende Zusammenarbeit. Sozialdemokraten und Grüne stellten eine Minderheitsregierung, die von bürgerlichen Parteien toleriert wurde. Gleichzeitig war das Bündnis auch vom Stimmverhalten der Linkspartei im Parlament abhängig. Am 18. Januar 2019 bestätigte das Parlament den zuvor amtierenden Sozialdemokraten Stefan Löfven als Ministerpräsident.

Löfven blieb fast drei Jahre im Amt. Im Juni 2021 stimmten alle Parteien außer den Sozialdemokraten und den Grünen bei einem Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten. Allerdings wurde er bereits zwei Wochen später wieder in sein Amt gewählt. Am 23. August 2021 erklärte Löfven schließlich, dass er im Herbst freiwillig auf sein Amt verzichten werde. Seine Nachfolgerin wurde Magdalena Andersson, die am 24. November 2021 zur ersten Ministerpräsidentin Schwedens gewählt wurde. Noch am selben Tag musste sie zurücktreten, weil die Bildung einer Minderheitsregierung mit den Grünen scheiterte.

Fünf Tage später stellte sich Andersson erneut zur Abstimmung: Da nur eine Minderheit im Parlament gegen sie stimmte, wurden Andersson und ihre Regierung toleriert (siehe Infobox). Die Minderheitsregierung unter Führung der Sozialdemokratin verfügte nur über etwas mehr als ein Viertel der Stimmen im Parlament.

"Negativer Parlamentarismus" in Schweden

Minderheitsregierungen sind in Schweden nicht ungewöhnlich: In den letzten 50 Jahren wurde Schweden überwiegend von Minderheitsregierungen regiert. Das liegt auch an einer verfassungsrechtlichen Besonderheit: Das politische System in Schweden ist vom Prinzip des "negativen Parlamentarismus" geprägt. Während Regierungschefs in Deutschland bei ihrer Wahl im Bundestag die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich vereinigen müssen, reicht es für die Wahl schwedischer Ministerpräsidenten oder -präsidentinnen aus, wenn sie von der Mehrheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht abgelehnt werden. Nicht die explizite Zustimmung zu einem Kandidaten oder einer Kandidatin ist demnach ausschlaggebend, sondern eine fehlende Ablehnung der Mehrheit im Parlament.

Auch zahlreiche andere Faktoren begünstigen die Bildung und Stabilität einer Minderheitsregierung in Schweden; so z.B. der konsensorientiere Gesetzgebungsprozess, der Opposition und außerparlamentarischen Institutionen einen hohen Grad an Einfluss zubilligt oder auch die Möglichkeit des Parlaments, ein einzelnes Regierungsmitglied abzuberufen ohne die gesamte Regierung in Frage zu stellen.

Wie wird gewählt?

Die Wahlen zum Reichstag finden in Schweden alle vier Jahre am zweiten Septembersonntag statt. Vorzeitige Wahlen vor Ablauf der Legislaturperiode sind möglich, aber selten, da auch dann am nächsten regulären Wahltermin festgehalten wird. Insgesamt hat das Parlament 349 Sitze, die nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden. 310 der 349 Sitze sind feste Mandate, die proportional zu den Wahlergebnissen in 29 unterschiedlich großen Wahlkreisen vergeben werden. Die übrigen 39 Mandate sind Ausgleichssitze.

Die Wählerinnen und Wähler können Kandidatinnen und Kandidaten auf der von ihnen gewählten Parteiliste mit einer Personenstimme bevorzugen. Die Interner Link: Sperrklausel für den Einzug ins Parlament liegt bei vier Prozent. Wahlberechtigt sind in diesem Jahr 7,77 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Bei der diesjährigen Wahl sind etwa 439.000 davon Erstwählerinnen und Erstwähler. Über das aktive und passive Wahlrecht verfügen alle schwedischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs.

Im Reichstag sitzen derzeit acht Parteien. Seit den 1990er-Jahren nimmt die Zergliederung des schwedischen Parteiensystems tendenziell zu. Das relativ schlechte Ergebnis der Sozialdemokraten führte 2018 dazu, dass keine Partei mehr als dreißig Prozent der Stimmen bekommen hat. In den unterschiedlichen politischen Lagern sind mehrere Parteien unter zehn Prozent im Parlament vertreten. Zur diesjährigen Parlamentswahl sind insgesamt 103 Parteien zugelassen.

Wer tritt zur Wahl an?

Stärkste politische Kraft waren bislang die Sozialdemokraten. Die älteste Partei Schwedens war über Jahrzehnte die dominierende politische Kraft im Land. Seit 2014 führt sie durchgehend die Regierung. Parteivorsitzende der Sozialdemokraten ist die derzeitige Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Die derzeit größte bürgerliche Oppositionskraft war die Moderate Sammlungspartei. Die liberal-konservative Partei erhielt bei der Wahl 2018 fast 20 Prozent der Stimmen. Ihr Vorsitzender ist Ulf Kristersson. Die drittgrößte Fraktion im Reichstag stellten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Sie kamen vor vier Jahren auf 17,5 Prozent der Stimmen. Ihr Vorsitzender ist Jimmie Åkesson. In Schweden gibt es zwei Parteien mit einem ökologischen Profil. Zum einen die Grünen, die eher im linken politischen Spektrum verordnet werden, zum anderen die Zentrumspartei mit ihrer Vorsitzenden Annie Lööf. Die bürgerlich-liberale Partei aus dem Bauernmilieu vertritt ebenfalls ökologische Ideen. Die Linkspartei ist eine seit Jahrzehnten etablierte politische Kraft in Schweden. Ihre Vorsitzende ist Nooshi Dadgostar. Die konservativen Christdemokraten, mit der Vorsitzenden Ebba Bush an der Spitze, waren zuletzt bis 2014 an einer Regierung beteiligt, stellten aber zuletzt im Parlament nur die sechststärkste Fraktion. Die Liberalen sind eine bürgerlich-liberale Partei, Vorsitzender ist Johan Pehrson.

Wahlkampf und Wahlumfragen

Das wichtigste Thema im diesjährigen Wahlkampf war die sogenannte Bandenkriminalität. In diesem Jahr kam es in Schweden laut Medienberichten bis Mitte August zu 232 Schießereien. Im Durchschnitt wird pro Woche ein Mensch in Schweden erschossen. Die Anzahl der Opfer von Schusswaffengewalt ist damit zwei- bis dreimal so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Die meist sehr jungen Täter gehören oft rivalisierenden Banden der organisierten Kriminalität an.

Ministerpräsidentin Magdalena Andersson hatte deswegen im August einen Aktionsplan gegen Bandenkriminalität vorgestellt. Gleichzeitig will die sozialdemokratische Regierungschefin gegen die Bildung von sogenannten Parallelgesellschaften vorgehen: Dauerhafte Aufenthaltsgenehmigungen will sie an Sprachtests knüpfen. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten verknüpften dieses Thema mit zuwanderungsfeindlichen Ressentiments und forderten strengere Zuwanderungsvorschriften und härtere Sanktionsmaßnahmen.

Auch der Antrag Schwedens zum Beitritt in die Nato spielte im Wahlkampf eine Rolle. Allerdings waren sich die meisten Parteien über diesen Schritt einig. Nur die Grünen und die Linkspartei stimmten im Reichstag gegen den Nato-Beitritt.

Offen ist, welche Regierungskoalitionen nach der Wahl zustande kommen könnten. Möglich wäre erstmals eine Regierung unter Duldung der Schwedendemokraten. Bisher hatte die Moderate Sammlungspartei dies zuvor stets ausgeschlossen. Ebenso denkbar wäre eine neue sozialdemokratisch geführte Interner Link: Minderheitsregierung, bei der jedoch unklar ist, in welcher Konstellation diese zustande kommen könnte.

Der Text ist eine aktualisierte Version des ursprünglichen Hintergrunds, um die neusten Entwicklungen der Parlamentswahl zu berücksichtigen (Stand: 16.09.2022 um 14 Uhr).

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