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5. Mai: Europäischer Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung | Hintergrund aktuell | bpb.de

5. Mai: Europäischer Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

Redaktion

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Der Europäische Protesttag macht auf die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen aufmerksam. Zahlreiche Verbände fordern ein Ende der Diskriminierung und eine wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft.

Menschen mit und ohne Behinderung mit einem Schild mit der Aufschrift "Weg mit den Barrieren!" demonstrieren 2022 am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. (© picture-alliance, Robert B. Fishman | Robert B. Fishman)

Anlässlich des 5. Mai rufen zahlreiche Behindertenverbände zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von behinderten Menschen auf. Der Protesttag wurde 1992 von der "Interner Link: Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland" ins Leben gerufen. Die Behindertenbewegung nach US-Vorbild verfolgte mit ihren öffentlichen Protesten zunächst eine rechtliche Gleichstellung als eines ihrer Hauptziele. Heute soll an dem Tag vor allem auf Diskriminierung und fehlende Inklusion aufmerksam gemacht werden. In diesem Jahr steht der auch von der "Aktion Mensch" mitgetragene Protesttag unter dem Motto "Zukunft barrierefrei gestalten".

Mehr als zehn Millionen Menschen mit Behinderungen

Laut Interner Link: Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Schätzungen zufolge 16 Prozent der Weltbevölkerung, also gut 1,3 Milliarden Menschen, eine Behinderung. In der Europäischen Union leben nach Angaben des Rats der Europäischen Union 87 Millionen behinderte Menschen. Während EU-weit demnach mit 24 Prozent beinahe jeder Vierte betroffen ist, sind es in Deutschland 13 Prozent: Mehr als zehn Millionen Menschen hierzulande haben eine staatlich anerkannte Behinderung. Ein wesentlicher Grund für die in den jeweiligen EU-Staaten extrem abweichenden Zahlen sind unterschiedliche Definitionen von Behinderung in den Mitgliedsstaaten.

Ende 2021 lebten in Deutschland 7,8 Millionenmit einer Schwerbehinderung. Als schwerbehindert gelten Personen, denen die Versorgungsämter einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent zuerkannt haben. 58 Prozent der Schwerbehinderten in Deutschland hatten eine körperliche, weitere 14 Prozent eine geistige oder seelische Behinderung. Mehr als die Hälfte der Menschen mit einer Schwerbehinderung sind 65 Jahre oder älter.

Krankheiten sind mit Ursache Nummer eins für schwere Behinderungen: 90 % der schweren Behinderungen wurden durch eine Krankheit verursacht, rund 3 % der Behinderungen waren angeboren oder traten im ersten Lebensjahr auf. Unfälle oder Berufskrankheiten verursachten nur knapp 1 % der Behinderungen waren auf einen Unfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführen. Die übrigen Ursachen summieren sich auf 5 %.

UN-Behindertenrechtskonvention und das Recht auf Teilhabe

Menschen mit Behinderungen in Deutschland haben das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe. In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Seit 2009 gilt in Deutschland zudem die die Interner Link: UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Bis April 2021 hatten 182 Staaten die UN-BRK ratifiziert. Dadurch können sich Menschen mit Behinderungen in den Mitgliedsstaaten auf ein verbindliches Regelwerk berufen. Die Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten unter anderem zu Nicht-Diskriminierung, Chancengleichheit und Inklusion. Aus ihr lassen sich auch konkrete Einzelrechte ableiten, etwa den Anspruch auf politische, soziale und kulturelle Teilhabe. Die UN-BRK macht den Unterzeichnerstaaten konkrete Vorgaben, wie sie ein gleichberechtigtes Miteinander umsetzen sollen: etwa durch den Abbau von Barrieren im öffentlichen Raum.

In der gesamten EU trat die Konvention im Januar 2011 in Kraft. Doch noch immer werden Menschen mit Behinderungen in Europa in vielen Bereichen benachteiligt. Nach Angaben des Rats der Europäischen Union fühlt sich jede zweite in der EU lebende Person mit Behinderung diskriminiert. Menschen mit Behinderungen sind demnach EU-weit 50 Prozent stärker von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Auch berichten sie viermal häufiger "über Lücken in der medizinischen Versorgung".

Herausforderungen im Bildungsbereich

Auch in Deutschland werden Menschen mit Behinderungen aus Sicht von Wohlfahrtverbänden wie dem Sozialverband VdK oder der Lebenshilfe in vielen ausgegrenzt und diskriminiert. Ein Beispiel ist der Bildungsbereich: "Vielen Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen wird der diskriminierungsfreie Zugang zu einem inklusiven Schulsystem in Deutschland de facto verwehrt", konstatierte das Institut für Menschenrechte Ende vergangenen Jahres. Das Institut überwacht im Auftrag der Vereinten Nationen, ob die Bundesrepublik die sich aus der UN-BRK ergebenden Verpflichtungen auch tatsächlich erfüllt.

Weit mehr als eine halbe Millionen Mädchen und Jungen in Deutschland haben sonderpädagogischen Förderbedarf – mehr als die Hälfte von ihnen besucht eine sogenannte Förderschule außerhalb des Regelsystems. Der Anteil der Mädchen und Jungen, die im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler in Förderschulen unterrichtet werden, ist bundesweit in den vergangenen Jahren nahezu gleichgeblieben.

Schulische Inklusion an Regelschulen

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung gelingt Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf in Förderschulen jedoch seltener den Hauptschulabschluss zu erzielen als in Regelschulen.

Ob die Inklusion an Regelschulen funktioniert, hängt Expertinnen und Experten zufolge allerdings stark davon ab, ob die nötigen Rahmenvoraussetzungen geschaffen werden. Lehrerverbände fordern seit Jahren kleinere Klassen, mehr Sonderpädagoginnen und -pädagogenund eine entsprechend verbesserte Lehrerausbildung.

Der Ausschluss für Kinder mit Behinderungen vom Regelschulsystem stellt aus Sicht von Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, "meist den Auftakt lebenslanger Exklusionsketten dar". Tatsächlich sind viele Menschen mit Behinderungen ohne reguläre Beschäftigung. Während 2019 etwa 82 Prozent der 15- bis 64-jährigen ohne Behinderung einer Erwerbstätigkeit nachgingen, waren es unter Menschen mit Behinderungen nur knapp 57 Prozent. Alle Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind rechtlich dazu verpflichtet, mindestens 5 Prozent Schwerbehinderte beschäftigen. Allerdings erfüllten sechs von zehn der betroffenen Arbeitgeber nach Angaben der Arbeitsagentur diese Beschäftigungspflichtquote im Jahr 2021 nicht.

Menschen mit Behinderungen und der Arbeitsmarkt

2021 waren etwa 57 % der Menschen mit Behinderungen zwischen 15 und 64 Jahren berufstätig oder suchten nach einer Tätigkeit. Dabei sind Menschen mit Behinderungen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen unterschiedlich stark repräsentiert. 31% aller erwerbstätigen Menschen mit Behinderungen arbeiten im öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor. Ein Grund für die insgesamt geringere Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen sind dem Statistischen Bundesamt zufolge auch die niedrigeren oder fehlenden Schulabschlüsse. So hatten 2019 16 % der Menschen mit Behinderungen in Deutschland im Alter von 25 bis 44 Jahren keinen allgemeinen Schulabschluss.

Gut 330.000 Menschen mit Behinderungen arbeiten zudem in speziellen Werkstätten Interner Link: abseits des ersten Arbeitsmarkts. Sie bieten Menschen, die aufgrund der Art oder Schwere ihrer Behinderung (noch) nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt tätig sein können, einen Arbeitsplatz oder eine Möglichkeit zur Ausübung einer Tätigkeit.

Dabei stehen die Werkstätten laut Sozialgesetzbuch grundsätzlich allen Menschen mit Behinderungen offen, sofern sie "wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung" erbringen können. Bei der Tätigkeit in einer Werkstatt handelt es sich um ein sogenanntes arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis, das heißt die dortigen Beschäftigten sind nach derzeitiger Gesetzeslage keine regulären Arbeitnehmerinnen und -nehmer. Daher sind die Beschäftigten in den Werkstätten vom gesetzlichen Mindestlohn ausgeschlossen. Stattdessen erhalten Menschen in den Werkstätten ein Arbeitsentgelt. Dieses lag laut einer Externer Link: Studie des Interner Link: BMAS im 1. Quartal 2022 im Durchschnitt bei 220 € monatlich. Laut der Befragung zeigte sich die große Mehrheit der interviewten Werkstattbeschäftigten zwar zufrieden mit Tätigkeit und Arbeitssituation, zwei Drittel der über 4200 interviewten Personen allerdings zeigten sich unzufrieden mit dem Arbeitsentgelt. Mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Forderungen, den Mindestlohn auch in Behindertenwerkstätten einzuführen. Viele Werkstattbetreiber lehnen eine Lohnuntergrenze jedoch als nicht finanzierbar ab.

Viele Menschen mit Behinderungen machen Gewalterfahrungen

2016 verabschiedete der Bundestag das Bundesteilhabegesetz. Es soll die Teilhabe am Arbeitsleben und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stärken – etwa durch verstärkte Eingliederungshilfe. Expertinnen und Experten sehen in diversen Bereichen dennoch noch erheblichen Handlungsbedarf. So sind viele Menschen mit Behinderungen Gewalt ausgesetzt. EU-weit erleben Frauen mit Behinderungen nach EU-Angaben je nach Erhebung zwei- bis fünfmal häufiger häusliche Gewalt als andere Frauen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellt dazu im Mai 2022 fest: In Wohneinrichtungen und Werkstätten erlebten Menschen mit Behinderungen "häufig Gewalt, darunter körperliche oder sexualisierte Gewalt, psychischen Druck und teilweise auch unrechtmäßige freiheitsentziehende Maßnahmen".

Der lange Weg zur Barrierefreiheit

Noch immer haben Menschen mit Behinderungen in ihrem Alltag mit zahlreichen Hindernissen zu kämpfen. Aus Sicht der "Aktion Mensch" ist Barrierefreiheit "nicht nur die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung und die gleichberechtigte Teilhabe im Alltag, an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen". Eine Welt ohne Barrieren sei "für alle zugänglicher und für alle zugänglicher und lebenswerter". Der Begriff Barrierefreiheit ist breit gefasst: Laut UN-BRK müssen beispielsweise Gebäude etwa im öffentlichen Bereich auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein. Außerdem soll allen Menschen der Zugang zu Informationen ermöglicht werden. Demnach sollten etwa Webseiten auch in Interner Link: leichter Sprache angeboten werden. Daneben müssen beispielsweise auch Bankdienstleistungen und Online-Geschäfte für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein.

Die Bedürfnisse für eine Barrierefreiheit sind je nach Behinderungsform sehr unterschiedlich: Für lärmempfindliche Autistinnen und Autisten kann dies etwa der Rückzugsraum in der Schule oder der schallisolierte Raum am Arbeitsplatz sein. Auch der öffentliche Nahverkehr sollte für Rollstuhlfahrer, Blinde oder Gehbehinderte problemlos zugänglich sein. Deutschland hat jedoch – wie fast alle europäischen Länder – bei der Umsetzung der Barrierefreiheit noch Aufholbedarf. Weil Deutschland, wie auch 25 andere EU-Mitgliedsstaaten den europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit bis Juni 2022 noch nicht in nationales Recht umgesetzt hatte, leitete die EU-Kommission Mitte des vergangenen Jahres ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik ein.

Mehr zum Thema:

Interner Link: Die UN-Behindertenrechtskonvention

Interner Link: Schwerbehinderte (Dossier Soziale Situation in Deutschland, Dezember 2022)

Interner Link: Julia Biermann: "Sonderpädagogisierung der Inklusion" (APuZ, Februar 2019)

Hans Brügelmann: 10 Jahre Inklusion. Geschichte einer gescheiterten Reform? (Dossier Bildung)

Interner Link: Interview mit Birgit Lütje-Klose, Janka Goldan: Behinderung und Bildungsungleichheiten

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