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Einführung in das Projekt | Klassiker sehen – Filme verstehen | bpb.de

Einführung in das Projekt

Alfred Hitchcock und François Truffaut zählen zu den prägenden Filmregisseuren des 20. Jahrhunderts. Auch ihre persönliche Verbundenheit ist Teil der Filmgeschichte. Das gemeinsame Interviewbuch "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" gilt heute als Zeugnis einer außergewöhnlichen Künstlerfreundschaft. Schon in seinen frühen Jahren als Filmkritiker hatte Truffaut den kommerziell erfolgreichen Publikumsliebling Hitchcock zum Vorbild erhoben. Doch was haben das Hollywood-Schwergewicht Hitchcock, berühmt als "Master of Suspense", und der sensible Franzose, Chefideologe der gern jugendlich und verspielt auftretenden Filmbewegung Nouvelle Vague, gemeinsam? Wie verträgt sich Truffauts Autorentheorie mit dem künstlerischen Einfluss durch Vorbilder wie den weit älteren Hitchcock, dem er in mehreren Filmen Tribut zollte? Anhand von ausgewählten Beispiel- und Bezugsfilmen werden in diesem Programm gemeinsame Themen, Stilmittel, Arbeitsmethoden und Grundüberzeugungen herausgearbeitet, aber auch Unterschiede benannt.

Die zwei Hauptfilme, Vertigo (Vertigo – Aus dem Reich der Toten, USA 1958, R: Alfred Hitchcock) und Truffauts Hitchcock-Hommage La Mariée était en noir (Die Braut trug schwarz, F/I 1968), erlauben sogar den direkten Vergleich. Bevor beide Filme vorgestellt werden, liefert das vorliegende Material eine Einführung in das Regiehandwerk, biografische Angaben zu Leben und Werk beider Regisseure sowie eine ausführliche Darstellung des Genres Kriminalfilm, dem sich beide Filme zuordnen lassen.

Vertigo gilt heute als nahezu unumstrittenes Meisterwerk Hitchcocks. Die zunächst harmlos erscheinende Beschattung einer Frau stürzt den seit einem Unfall traumatisierten Ex Polizisten Scottie in einen Strudel aus Liebe, Leidenschaft, Verrat, Intrige und Mord. Hitchcock zeigt in diesem Thriller nicht nur seine Meisterschaft nervenzerreißender Spannung. Er verknüpft klassische Motive des Kriminalgenres und des Film Noir mit einer selbstkritischen Reflexion der eigenen Arbeit – als Schöpfer faszinierender Trugbilder. In den Hauptrollen sieht man James Stewart, der mehrfach in Hitchcocks Filmen mitspielte, und die "Hitchcock-Blondine" Kim Novak.

Die Braut trug schwarz ist eine direkte Hommage Truffauts an die Filme Hitchcocks und enthält mehrere Anspielungen auf dessen Werk, insbesondere an Vertigo. Mit grausamem Kalkül rächt sich eine trauernde Witwe – gespielt von Nouvelle Vague-Ikone Jeanne Moreau – an den Mördern ihres Mannes. Zwar nutzt Truffaut effektiv Hitchcocks Technik des Suspense, für ihn typische Stilmittel und insbesondere die selbstbestimmte Rolle der Frau verraten jedoch die eigene Handschrift. Aus einer US-amerikanischen Krimi-Vorlage macht er einen europäischen Film. Hitchcock verfuhr in seinem Film genau umgekehrt, basierte Vertigo doch auf dem französischen Roman "D’entre les morts" (1954) von Pierre Boileau und Thomas Narcejac.

Der Vergleich beider Filme im Kontext der Bezugsfilme soll Schüler/innen in die Lage versetzen, gemeinsame Motive sowie Stilmittel zu erkennen und die Filme schließlich filmhistorisch einzuordnen – in das Gesamtwerk des jeweiligen Regisseurs sowie in das Genre Kriminalfilm. Dem Film Noir, entstanden in einer ebenfalls interessanten Wechselwirkung von US-amerikanischem und europäischem Kino, kommt dabei eine besondere Rolle zu. Eine Beschäftigung mit Hitchcock und Truffaut ist der denkbar spannendste Weg, die Grundlagen der Filmgestaltung kennenzulernen.