Fristete das Fantasyfilmgenre in den 1990er-Jahren ein eher stiefkindliches Dasein im Kino, änderte sich dies schlagartig mit Anbruch des 21. Jahrhunderts. Die Zeit der großen Fantasy-Kinofranchises wie Harry Potter und Der Herr der Ringe brach an. Ihr Erfolg schlug sich in den Einspielergebnissen an den Kinokassen, beim Absatz von Merchandising, in einem massiven Fanfollowing und im ikonischen Starimage einiger Darsteller/-innen nieder. Auch andere Filmreihen, wie die Prequel-Trilogie von Star Wars und das Fluch-der-Karibik-Franchise, die Blockbusterkino mit sehr vielen Fantasyelemten boten, dominierten diese Zeit. Gleichzeitig sprachen feel-good-Animationsfilme mit fantastischen Elementen, etwa von Dreamworks und Disney/Pixar, die zuvor primär als Kinderfilme vermarktet worden waren, zunehmend auch ein erwachsenes Publikum an. Begleitet wurde diese Entwicklung durch einen Anime-Boom, der dazu führte, dass auch japanische Fantasyfilme und -serien, allen voran Interner Link: die Filme des Studio Ghibli, breit in der westlichen Welt rezipiert wurden. Dem Jahr 2001 kommt im Fantasygenre eine Schlüsselrolle zu – feierten doch mit Harry Potter und der Stein der Weisen (Harry Potter and the Philosopher’s Stone, Chris Columbus, UK/USA 2001), Der Herr der Ringe – Die Gefährten (The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring, Peter Jackson, USA/NZ 2001) und Shrek – Der tollkühne Held (Shrek, Andrew Adamson/Vicky Jenson, USA 2001) mehrere Filmreihen ihren erfolgreichen Auftakt, und auch der vielfach ausgezeichnete Chihiros Reise ins Zauberland (Sen to Chihiro no Kamikakushi, Hayao Miyazaki, JP 2001) stammt aus diesem Jahr.
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2001 ist aber auch aus anderer Hinsicht bedeutsam, stellt es doch durch die terroristischen Anschläge vom 11. September eine besondere politische und gesellschaftliche Zäsur dar. In einer Zeit großer Unsicherheit trafen die eskapistischen Fantasyepen beim Publikum einen Nerv, stillten ein Bedürfnis nach Sicherheit und Verlässlichkeit, indem sie Heldenfiguren mit großem Identifikationspotenzial sowie große Konflikte ohne moralische Graustufen und mit vorhersehbarem Ausgang präsentierten: dem Sieg des "Guten" über das "Böse". Im Mittelpunkt der Fantasyfilme steht weniger die Belehrung des Publikums wie in Märchen(filmen), anders als der Horrorfilm will die Fantasy keinen Schrecken verbreiten oder in die Zukunft schauen wie die Science-Fiction – das Fantastische dient der Fantasy der Verzauberung, der Rückbesinnung auf das, was Tolkien in On Fairy Stories (1968) das mythische Denken nannte. Losgelöst von Alltagssorgen soll die Fantasy den Rezipierenden eine magische Welterfahrung bieten. Tatsächlich war Tolkien selbst gar kein Freund der dramatischen Darstellung von Fantasy auf Bühne oder Leinwand. Er befürchtete, dies könne den gegenteiligen Effekt erzielen und die Illusion der fantastischen Welten und Figuren zugunsten von Spott und Albernheit zerstören. Die beeindruckenden Entwicklungen in der Tricktechnik durch digitale Spezialeffekte dürften derlei Vorbehalte gegenüber filmischer Fantasy weitgehend obsolet gemacht haben. Es ist eher eine visuelle Artifizialität, eine zu große Perfektion der Bilder, der dann und wann das Magische zugunsten von Bombast und Technikverliebtheit geopfert wird.
Ein weiterer relevanter Aspekt für die Popularisierung von Fantasyfilmen ist die zunehmende Relevanz und Nutzung sozialer Netzwerke in den frühen 2000er-Jahren. Denn dadurch erhielten kreative und partizipatorische Praktiken von Fangemeinschaften eine immense Sichtbarkeit und wurden nun auch niedrigschwellig zugänglich. Gemeint sind hiermit unter anderem das Verfassen sogenannter "Fanfiction", also eigener Geschichten auf Basis bestehender Figuren oder Erzählwelten, wie auch das Erstellen und Verbreiten von Memes oder die lexikalische Erfassung der fantastischen Welten in eigenen Wikis. War Fankult um Fantasystoffe ein konstantes, aber dennoch nischiges Phänomen, so ging mit dem Erfolg sozialer Medien im Web 2.0 eine Mainstreamisierung von Fankultur einher, die sich als vielstimmiger Resonanzkörper für Fantasyblockbuster herausstellte und ihre Reichweite vervielfachte.
“It’s a dangerous business, going out your door”
Der neuseeländische Regisseur Peter Jackson – selbst erklärter Fan von Tolkiens Romanen – hatte sich mit seinen Herr-der-Ringe-Filmen ein cineastisches Großprojekt mit beeindruckendem Setdesign und Spezialeffekten sowie beachtlicher Starbesetzung vorgenommen, das nicht nur finanziell ein großer Erfolg war, sondern auch mit einem Oscar-Rekord von elf Auszeichnungen bei der Verleihung 2004 gewürdigt wurde.
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Die Filme zeigen zunächst die idyllische Welt des Auenlandes, bevölkert mit freundlichen und gemütlichen Hobbits. Doch der Fortbestand von ganz Mittelerde wird von dunklen Mächten bedroht. Die Zuschauer/-innen sind dazu eingeladen, genau das zu tun, was ein guter Hobbit tun würde: zu Hause im bequemen Sessel verweilen und die Gefahren anderen überlassen, die besser dafür gerüstet sind. Doch letztlich stehen die – fast ausschließlich männlichen – Kämpfer, Herrscher und Strategen der Gefahr machtlos gegenüber, und das Schicksal Mittelerdes liegt in den Händen eines Underdogs. Gerade weil den Hobbit Frodo Beutlin nicht nach Macht und Reichtum dürstet, ist dieser Held reinen Herzens die einzige Hoffnung für die Rettung Mittelerdes. Nicht Stärke oder Zauberkraft sind entscheidend, um das Böse zu besiegen, es sind Frodos Demut, seine Opferbereitschaft und seine Freundlichkeit – vor Tolkiens religiösem Hintergrund nicht zufälligerweise christlich geprägte Werte.
Opulent bebildert Jackson Tolkiens High-Fantasy-Epos, für das eine fantastische Sekundärwelt erschaffen wird, die der Held nach dem gleichen Muster bereist, wie sie Joseph Campbell als viele Geschichten übergreifenden Monomythos (1949) beschrieb. Dieses zugrundliegende Erzählmuster der Heldenreise findet sich nicht nur weltumspannend in Mythen, Sagen und Volksmärchen wieder, es bildet auch den kleinsten gemeinsamen Nenner der Fantasyfilme der 2000er-Jahre. Die zweite Gemeinsamkeit ist die Darstellung einer möglichst kohärenten fantastischen Welt – im Falle von Tolkien beispielsweise mit eigenen Fabelwesen und Sprachen belebt und dokumentiert mittels umfangreichen Kartenmaterials –, um einen möglichst hohen Immersionseffekt zu erzielen. Das Publikum soll sich nicht nur mühelos in die Figuren einfühlen können, es soll auch staunend in die fiktive Welt eintauchen, manchmal sogar von ihr überwältigt werden. Dieses eskapistische Moment hat nicht zum guten Ruf der Fantasy beigetragen, sondern ihr den Vorwurf der Realitätsflucht eingebracht. Doch Fantasy ist nicht nur eine Flucht vor etwas, sie ist auch eine Bewegung in etwas hinein. Und diese neue Welt hält genügend Analogien zu unserer Realität bereit, dass sich mithilfe der Herr-der-Ringe-Trilogie brisante gesellschaftliche wie politische Fragestellungen unserer Zeit reflektieren lassen.
Die überwiegend konservativ normierten Geschlechterbilder und die sich rassistischen Stereotypen bedienenden "Gut/Böse"-Dichotomien muten mitunter überholt an, doch die Kritik an Gräuel und Sinnlosigkeit von Krieg sind ebenso frisch und aktuell wie die ökokritische Haltung gegenüber Industrialisierung und Umweltzerstörung, die Der Herr der Ringe vorbringt. Insbesondere in den baumartigen Ents manifestieren sich diese Motive: Nach Verschwinden der Entfrauen müssen die verbliebenen männlichen Ents während des Ringkriegs bis zur Selbstaufgabe um ihren Lebensraum kämpfen: „We Ents do not like being roused; and we never are roused unless it is clear to us that our trees and our lives are in great danger.“
“You’re a wizard, Harry”
Ähnlich wie Frodo Beutlin ist auch die Figur des Waisenkindes Harry Potter in der gleichnamigen Roman- und Filmreihe ein Außenseiter, mit dem Zuschauer/-innen sich leicht identifizieren können sollen. Nach Jahren der Verunsicherung über den eigenen Platz in der Welt erfährt er von seiner magischen Begabung und einer magischen Welt, die ihm die lang ersehnte Heimat werden soll. Doch der Mörder seiner Eltern und Schwarzmagier Voldemort versucht dies unmöglich zu machen, jedoch kulminiert hier ebenfalls die Handlung im Triumph des Guten über das Böse.
Als Vorlage zu acht Filmen ist die siebenbändige Romanreihe Harry Potter (1997-2007) von Joanne K. Rowling deutlich jüngeren Datums als Tolkiens The Lord of the Rings, dessen Einfluss zweifelsohne spürbar ist. Doch diese Urban Fantasy – also ein Narrativ, bei dem die fantastische Welt und die Realität koexistieren – bedient sich darüber hinaus einer Vielzahl weiterer Einflüsse und Impulsgeber. Das Nachspüren der mannigfaltigen kulturellen Versatzstücke und literarischen Traditionen macht Harry Potter so charmant: Märchen, Mythen, insbesondere die Artus-Sage, Bildungs- und Internatsromane wie Thomas Hughes’ Tom Brown’s School Days (1857), Detektivgeschichten und weitere Literat/-innen wie Enid Blyton, Roald Dahl, Charles Dickens und Jane Austen machen Harry Potter zu einem reichhaltigen Intertext.
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Während der Protagonist mit jedem Serienteil erwachsener wird, gilt dies auch für die Themen, mit denen er sich auseinandersetzen muss und für die filmische Ästhetik. Die ersten Filme eignen sich gut zur kritischen Reflexion über Bildung und verhandeln die Institution ‚Schule‘ sowie die typischen Themen des Coming-of-Age-Films. Im weiteren Verlauf dominieren Themen wie die Kritik an Mitläufertum und an der Korrumpierbarkeit von Politik und Justiz.
Nach Voldemorts Wiedererstarken in Harry Potter und der Feuerkelch (Harry Potter and the Goblet of Fire, Mike Newell, UK/USA 2005) zeichnen sich Bücher wie Filme immer mehr durch eine immanente Faschismusmetaphorik und -kritik aus, die nicht nur bei Voldemort und seinen schwarzgewandeten, gesichtslosen Gefolgsleuten, sondern auch in der immer düsterer werdenden Farbgestaltung und bedrückenderen Stimmung der Filme evident wird. Gleichzeitig reproduziert Harry Potters Welt eine heteronormative Weltordnung und Genderklischees – trotz der vielgelobten zentralen Handlungstriebfeder Hermine – bis hin zum Bedienen antisemitischer Stereotype in Gestalt der geldgierigen und käuflichen Kobolde, die die Zaubererbank Gringotts betreiben. Am Ende bleiben die Gräben zwischen magischen und nicht-magischen Wesen, zwischen Zauberern und Hauselfen, zwischen den vier Schulhäusern Gryffindor, Slytherin, Hufflepuff und Ravenclaw genauso verlässlich intakt wie das vermeintliche Idealbild der heteronormativen Kernfamilie, wenn Harry – endlich geheilt vom Trauma der verlorenen Familie und glücklich verheiratet mit der Schwester seines besten Freundes – nun seinen eigenen Sohn auf die Reise nach Hogwarts schickt.
Besonders bemerkenswert ist an Harry Potter die immense kreative und kritische Auswertung des Stoffs durch Fans, der auch die Kontroversen um transphobe Social-Media-Kommentare Rowlings nicht nachhaltig hat schaden können. Im Fandom werden viele Potenziale der magischen Welt ergründet, die das am Massengeschmack orientierte Blockbusterkino ausblendet und in deren Ausklammerung die Scheu des Fantasyfilms vor Kontroversen zum Ausdruck kommt.
Fantasy bis heute
Der Erfolg der Harry-Potter-Filme war kein Garant dafür, dass auch die Spin-off-Reihe Fantastic Beasts zu einem Hit an den Kinokassen wurde – die Kontroverse um die Neubesetzung der Rolle des Gellert Grindelwald tat hierfür wohl ihr Übriges. Auch anderen Fantasyproduktionen im Fahrwasser von Der Herr der Ringe und Harry Potter gelang es nicht, den künstlerischen oder den kommerziellen Erfolg ihrer Vorbilder zu erreichen. Beispielhaft hierfür sind die drei The-Chronicles-of-Narnia-Filme (2005-2010) nach den Werken von C.S. Lewis sowie Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter (Eragon, Stefen Fangmeier, USA/UK/HU 2006), Der goldene Kompass (The Golden Compass, Chris Weitz, USA/UK 2007) und Tintenherz (Inkheart, Iain Softley, USA/DE/UK/IT 2008). Mit ihren formulaischen, halbherzig erzählten oder adaptierten Geschichten, blutleeren Performances und den weniger glaubhaften Bildwelten, die nicht an die Perfektion der visuellen Effekte von Harry Potter und Der Herr der Ringe heranreichten, fanden diese Filme wenig Anklang beim Publikum. Tatsächlich konnten Produktionen aus dieser Zeit, die andere Zugänge zum Fantasygenre wählten und die erfolgreichen Blockbuster gerade nicht zu kopieren versuchten, weit mehr überzeugen und sind im Genregedächtnis nachhaltiger in Erinnerung geblieben: der märchenhaft-witzige Der Sternwanderer (Stardust, Matthew Vaughn, USA/UK 2007) und Pans Labyrinth (El laberinto del fauno, Guillermo del Toro, ES/MX 2006), der den spanischen Franco-Faschismus als surreales Horrormärchen verarbeitet. Dass beide mit angrenzenden Genres poussieren und die vermeintlich unverrückbaren Genregrenzen transzendieren, macht sie zu besonders vielschichtigen Filmen.
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Gegen Ende der 2000er-Jahre markierte Iron Man (Jon Favreau, USA 2008) den Startpunkt für einen Paradigmenwechsel im Fantasygenre. Die Ära von Marvel und dem Superheldenfilm brach an, wobei wenige Vertreter so stark der Fantasy verhaftet geblieben sind wie Thor (Kenneth Branagh, USA 2011) und Doctor Strange (Scott Derrickson, USA 2016), sondern sich verstärkt bei anderen Genres wie der Science Fiction bedienten. Seine eigentliche neue Heimat fand das Fantasygenre in Serienformaten verschiedener Streaming-Anbieter und TV-Sender – prägnante Beispiele sind unter anderem Game of Thrones (David Benioff, D.B. Weiss, USA 2011-2019), The Witcher (Lauren Schmidt Hissrich, USA/PL seit 2019) und Sandman (The Sandman, Neil Gaiman/David S. Goyer/Allan Heinberg, USA seit 2022), die insbesondere die typische "Gut/Böse"-Dichotomie auflösen und drastische Gewaltexzesse präsentieren, die für Fantasy in den 2000er-Jahren noch gänzlich unüblich waren. Immer wichtiger werden auch transmediale Erzählwelten und Computerspiele, in denen das Fantasygenre einen prominenten Platz einnimmt. Dass ein Überraschungserfolg wie die Rollenspieladaption Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben (Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves, John Francis Daley/Jonathan Goldstein, USA/CA 2023) eine Renaissance des Genres auf der Leinwand zur Folge haben wird, ist zurzeit nicht zu erwarten.