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Identitätspolitik und Populismus | Fachtagung "Was ist Identität?“ | bpb.de

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Identitätspolitik und Populismus

/ 5 Minuten zu lesen

Jan-Werner Müller, Professor für Politische Theorie an der Princeton University, räumte in seinem Vortrag mit einigen Vorurteilen gegenüber der Identitätspolitik auf und grenzte sie von rechtspopulistischer Politik ab. Dafür beleuchtete er die Spezifika des Rechtspopulismus sowie dessen Gefahren.

Prof. Dr. Jan-Werner Müller (© Ast/Juergens)

Müller eröffnete mit der grundsätzlichen These seines Vortrags, dass Rechtspopulismus immer Identitätspolitik sei, aber nicht alle Identitätspolitiken
(rechts-)populistisch sind. Trotzdem genieße die Identitätspolitik in den aktuellen Debatten einen schlechten Ruf. So werde beispielsweise behauptet, dass ihr die Schuld an der Niederlage Hillary Clintons in den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 zukomme. Clinton habe mit der Identitätspolitik sozusagen auf das "falsche Pferd gesetzt.“ Außerdem sähen viele Zeitdiagnosen einen Zusammenhang zwischen linker und rechter Identitätspolitik.

Befragung der Empirie

Die Vorstellung, dass die Niederlage der Demokraten in den Präsidentschaftswahlen in Verbindung zur ihrer Identitätspolitik stehe, ist – laut Müller – empirisch nicht haltbar. Er argumentierte, dass die mediale Berichterstattung in Bezug auf Clinton eigentlich nur von drei Themen geprägt war: Erstens der Gebrauch ihres privaten Emailservers sowie zweitens, die möglicherweise anrüchigen Machenschaften der Clintonstiftung und drittens der Bengasi-Anschlag, ein Attentat in Libyen, bei dem ein amerikanischer Diplomat ums Leben kam. Andere Themenkomplexe hätten während des Wahlkampfs keine Rolle gespielt. Somit sei die Vorstellung, dass die ständige Thematisierung von beispielsweise Unisextoiletten von der weißen Arbeiterschaft als "Turn-off“ wahrgenommen wurde, empirisch nicht haltbar. Ferner sei es unplausibel zu behaupten, dass Clinton verloren habe, da sie (durch Identitätspolitik) die Minderheiten mobilisierte. In erster Annäherung scheint es eher so zu sein, als hätte sie diese zu wenig mobilisiert, da sie ansonsten – wie ihr Vorgänger Barack Obama – die Wahl gewonnen hätte. Auch Clintons Selbstpräsentation scheint nicht den Charakter eines auf Identität basierenden Zuschnitts zu haben, wie ihr Wahlslogan "Stronger Together“ illustriert.

Neben den auf die Präsidentschaftswahl fokussierten falschen Vorurteilen gebe es in der amerikanischen Bevölkerung sogar Verfechter/innen der Annahme, dass die Demokraten in der Mitte des letzten Jahrhunderts – durch ihre Ausrichtung auf ökonomische Themen – stärker universalistisch orientiert gewesen seien. In den 1960er Jahren habe sich dies dann aufgrund ihrer Positionierung im afroamerikanischen Kampf um Bürgerrechte – also einer Identitätspolitik – verändert. Auch diese Annahme erweist sich als nicht ganz richtig, denn bereits die New-Deal-Politik Roosevelts in den 1930er Jahren war in den Augen ihrer republikanischen Gegner bereits ("linke“) Identitätspolitik für beispielsweise Gewerkschaften und wurde dementsprechend bekämpft.

Rechtspopulismus und Identitätspolitik

Im Anschluss an diese Überlegungen markierte Müller die Trennlinie zwischen Rechtspopulismus und Identitätspolitik auf einer theoretischen Ebene. Dazu dekonstruierte er zunächst drei verbreitete Vorstellungen bezüglich dieser Phänomene. Oft herrsche die Überzeugung vor, dass es in der Politik früher um Interessen, heute jedoch um Identitäten ginge. Dabei seien erstere prinzipiell verhandelbar, was auf letztere jedoch nicht zuträfe. Hierin sei der Grund für die aktuell "hitzige Politik“ zu sehen. Offenkundig hängen die Interessen jedoch davon ab, als was man sich versteht. Der Vorwurf, dass der republikanisch gesinnte Arbeiter gegen seine Interessen handelt, müsste somit auch gegen den wohlhabenden Linksliberalen gewendet werden. Die eindeutige Trennung von Interessen und Identität sei eine eindimensionale Betrachtungsweise. Daneben sei es auch schwierig, einen eindeutigen Kontrast von partikularen Interessen und Identitäten sowie dem Gemeinwohl zu treffen. Clinton sei oft vorgeworfen worden, sie hätte mehr über das Gemeinwohl, anstatt über die Situation marginalisierter Gruppen sprechen sollen. Dem scheint ein Missverständnis über die Funktion von Demokratie zugrunde zu liegen. Das Gemeinwohl sei nichts objektiv Gegebenes, sondern muss als Streitergebnis aufgefasst werden. Unklar scheint zudem, wie Repräsentation funktioniere. Es werde behauptet, dass Repräsentation eine mechanische Reproduktion von Interessen und Identitäten sei. Dieses Verständnis schlägt sich insbesondere in der Erklärung des erstarkenden Rechtspopulismus nieder. Es wird argumentiert, die Populisten verstünden die Probleme der "kleinen Leute“, sie füllten sozusagen eine Repräsentationslücke. Dies impliziert, dass diese Lücke einfach gegeben ist. Dabei scheint es viel plausibler zu sein, dass sich die Selbstwahrnehmung von Ideen, Interessen und Identitäten in Teilen erst durch das Repräsentationsangebot herausbildet. Ein solcher dynamischer Modus der Repräsentation bedeutet natürlich nicht, dass alles beliebig ist, spricht sich allerdings gegen objektive – scheinbar immer schon gegebene – Identität aus. Schließlich wäre es ansonsten unerklärlich, wie ein Wähler zweimal Obama und danach Donald Trump wählen könnte.

Diese Ausführungen Müllers machten deutlich, dass eine gewisse Form des strategischen Essentialismus, der der Identitätspolitik oft vorgeworfen wird, nichts Besonderes, sondern Teil normaler demokratischer Politik sei. Offenkundig muss eine Gruppe in spezifischen Kontexten entgegen des de facto Bestehens als einheitlich, homogene vorgestellt werden. In diesem Sinne werde sie auch von den meisten Politikerinnen und Politikern als solche adressiert.

Rechtspopulismus

Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen besteht der Vorzug der Demokratie nun insbesondere darin, dass sie ein besonders plurales Repräsentationsangebot mache. Der Rechtspopulismus behaupte dem entgegengesetzt, dass er das "wahre Volk“ bzw. die "schweigende Mehrheit“ repräsentiert. Dabei entstünde das Problem, dass somit allen Mitbewerber/innen grundsätzlich die Legitimität abgesprochen werde. Moralisierend werde dabei etwa behauptet, dass die anderen nicht für "das“ Volk arbeiteten. Ferner bedeute diese Strategie auch, dass alle Bürger/innen, die dieser symbolischen Konzeption der einen wahren Gemeinschaft nicht zustimmen, eigentlich auch keine Bürger/innen seien – die Zugehörigkeit zum Volk werde von Rechtspopulisten somit prinzipiell infrage gestellt. In diesem Sinne verkündete etwa Nigel Farage nach dem Brexit den Sieg der "real people“, was im Umkehrschluss für die 48 %, die gegen den Brexit optierten, einen symbolischen Ausschluss bedeutete. Das Kriterium für Populismus ist nach Müller also nicht die Elitenkritik o.ä., sondern besteht in diesen anti-pluralistischen Argumentationen. Dies sei auch der Unterscheid zu "normaler“ Identitätspolitik, da diese keine anti-pluralistische Strategie verfolge. Beispielsweise impliziere "Black Lives Matter“ nicht, dass alle anderen "Leben“ unwichtig seien. Vielmehr verweise der Slogan auf eine spezifische Verwundbarkeit, was in ähnlicher Form für viele identitätspolitische Bewegungen gelte.

Doch wie kann mit Rechtspopulismus umgegangen werden? Müller pointierte, dass Populismus keine Frage des spezifischen politischen Inhalts sei. Populistische Programmatik bestehe viel eher in dem Anspruch auf ein moralisches Monopol der Volksvertretung, die das "wahre Volk“ als Subjekt repräsentiere. Dementsprechend gelte es, alle Themen zum Diskurs zuzulassen und keine Tabuisierung vorzunehmen, da diese die Position der Rechtspopulisten stärke. Allerdings müsse in Bezug auf bestimmte Argumentationsmuster, d.h. wenn sich Populisten "als Populisten zeigen“, interveniert werden. Das Geschäftsmodell der Populisten bestehe darin, den Dualismus von korrupter Elite und homogenen Volk zu propagieren. Diesen permanent aufrecht zu halten scheine erst einmal recht aufwendig und mit viel Arbeit verbunden zu sein.

Insbesondere medial gelte es zu widersprechen, dass dies der natürliche Modus von Konflikten ist; Demokratie sei keine Konsensveranstaltung. Trotzdem seien die Wege einen Konflikt darzustellen divers. Es sei problematisch, dass die Verliererinnen und Verlierer einer Wahl immer wieder gesagt bekommen, sie seien undeutsch, unamerikanisch etc. – andererseits sei aber auch der pauschale Faschismus- bzw. Irrationalitätsvorwurf gegen rechtspopulistische Wähler/innen wenig hilfreich. Nötig wird – so Müller zum Abschluss - eine neue Codierung der Konflikte, die der populistischen Konfliktachse entgegen gehalten werden könne.

von Simon Clemens

Fussnoten