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Der Zentralrat der Juden in Deutschland | Hintergrund aktuell | bpb.de

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

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Nach dem Ende der NS-Diktatur war das jüdische Leben in Deutschland zerstört. 1945 entstanden die ersten jüdischen Gemeinden in den vier Besatzungszonen. Am 19. Juli 1950 gründeten Vertreter der jüdischen Gemeinden den Zentralrat der Juden in Deutschland.

Die Goldkuppel der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin. (© picture-alliance)

Etwa eine halbe Million Juden lebten 1933, dem Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im deutschen Reich. Bis 1945 hatten Flucht, Vertreibung und Ermordung in Deutschland und in den von Deutschland und seinen Verbündeten besetzten Gebieten Interner Link: sechs Millionen Juden das Leben gekostet, hunderttausende mussten ihre Heimat verlassen. 1950 lebten nur noch rund 15.000 Juden in der Bundesrepublik Deutschland.

Zu den Überlebenden der Judenverfolgung in Deutschland kamen in der Nachkriegszeit bis zu 200.000 überlebende Juden aus Osteuropa, die ihre Heimat verloren hatten oder vor antisemitischen Angriffen in Osteuropa in die alliierten Besatzungszonen nach Deutschland geflohen waren. Für die meisten dieser sogenannten "Displaced Persons" (engl.: Flüchtlinge, Heimatlose, Vertriebene) sollte dies nur eine Übergangsstation sein bis zur Interner Link: Auswanderung in die USA, nach Palästina oder – ab 1948 – nach Israel.

Schon vor Kriegsende waren in Deutschland wieder erste jüdische Gemeinden entstanden – so zum Beispiel in Köln. Oft wurden sie von Juden ins Leben gerufen, die von der Deportation bewahrt worden waren, weil sie einen nichtjüdischen Ehepartner hatten. Am 1. Juli 1945 gründete sich das Zentralkomitee der befreiten Juden in der US-amerikanischen Besatzungszone, in den anderen Besatzungszonen entstanden ähnliche Gruppen. Am 19. Juli 1950 konstituierte sich in Frankfurt am Main schließlich der Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Zentralrat ist bis heute politische Vertretung der Juden in Deutschland und vertritt 108 Gemeinden. Er ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und verfolgt gemeinnützige Ziele.

(© bpb, Jan Fischer)

Interessenvertretung bis zur Auswanderung

Der Zentralrat vertritt die Interessen der jüdischen Bevölkerung. Das betraf direkt nach Kriegsende zum einen Auswanderungen sowie Interner Link: Fragen der Wiedergutmachung und Entschädigung, zum anderen auch die Interner Link: Neugründung jüdischer Gemeinden. Obwohl antisemitische Vorurteile und Feindseligkeiten andauerten, ließen sich tausende Juden Interner Link: dauerhaft in Deutschland nieder. Der Zentralrat nahm sich der Aufgabe an, kulturelle und religiöse Traditionen des Judentums zu pflegen und zu fördern sowie den Wiederaufbau zerstörter Synagogen und Gemeindezentren zu organisieren. Bei vielen Juden im In- und Ausland stieß die Gründung auf breite Ablehnung: Der Jüdische Weltkongress hatte schon 1948 gefordert, dass sich Juden nach dem Holocaust nie wieder "auf dem blutgetränkten deutschen Boden" Interner Link: ansiedeln sollten.

1959 gab es 80 jüdische Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland mit rund 21.500 Mitgliedern. In den folgenden Jahren stieg die Zahl leicht an, blieb aber bis zum Mauerfall konstant unter 30.000.

Nur einige hundert Gemeindemitglieder in der DDR

Die Interner Link: jüdischen Gemeinden in der DDR gehörten bis Anfang der 1960er-Jahre ebenfalls dem Zentralrat an, ihre Mitgliederzahl war jedoch gering. Bis zum Interner Link: Mauerbau waren Hunderte aufgrund antisemitischer Verfolgung und der Verdächtigung, westliche Spione zu sein, aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen. 1989 gab es nach Angaben des Zentralrats nur etwa 400 Mitglieder in fünf jüdischen Gemeinden in der DDR. Sie wurden kurz nach der Wiedervereinigung 1990 wieder in den Zentralrat integriert.

Die Öffnung des Ostblocks führte zu einem deutlichen Anstieg der Mitgliederzahlen in den jüdischen Gemeinden in Deutschland. 1990 zählten die jüdischen Gemeinden Externer Link: laut Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland rund 29.000 Mitglieder, zehn Jahre später waren es bereits knapp 88.000, 2014 mehr als 100.000 Mitglieder. Der enorme Zuwachs ist vor allem der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion geschuldet, ohne die die Mitgliederzahlen gesunken wären.

23 Landesverbände und 108 Gemeinden

Seit 1999 hat der Zentralrat der Juden seinen Sitz in Berlin. Er setzt sich aus 23 Landesverbänden bzw. Mitgliedsverbänden zusammen, in denen 108 jüdische Gemeinden organisiert sind. Der Verband hat drei Organe: die Ratsversammlung als oberstes Entscheidungsgremium, das Direktorium, in dem die Landesverbände und Mitgliedsverbände vertreten sind, sowie das neunköpfige Präsidium mit einem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten an der Spitze, die den Zentralrat nach außen hin vertreten. Seit November 2014 ist Josef Schuster Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist bis heute ein zentrales politisches Thema des Zentralrats. Dazu hält er die Erinnerung an den Holocaust wach und beteiligt sich an politischen und gesellschaftlichen Debatten. Außerdem widmet er sich der Förderung der Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden.

Alleinvertretungsanspruch und staatliche Förderung

Der Zentralrat sieht sich als Vertretung aller Juden in Deutschland, als Vertretung aller religiösen Strömungen, von streng orthodoxen bis zu liberalen Gemeinden. Spätestens seit der Gründung der Union progressiver Juden im Jahr 1997 ist der Alleinvertretungsanspruch allerdings infrage gestellt. In dem wesentlich kleineren Dachverband organisieren sich Anhänger des liberalen Reformjudentums in Deutschland. Nach Externer Link: Angaben des Bundesministeriums des Innern zählt die Union rund 5.300 Mitglieder.

Der Zentralrat hat zahlreiche jüdische Organisationen und Einrichtungen ins Leben gerufen, darunter Forschungseinrichtungen, die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und die Wochenzeitung "Jüdische Allgemeine". Auch Kindergärten, Schulen und Rabbinerseminare werden unter dem Dach des Zentralrats betrieben. Der Zentralrat ist Mitglied in internationalen jüdischen Organisationen wie dem "World Jewish Congress", im "European Jewish Congress", in der "World Jewish Restitution Organisation" und der "Conference on Jewish Material Claims against Germany".

Mit dem Externer Link: Staatsvertrag vom 27. Januar 2003 wurde das Verhältnis zwischen dem jüdischen Dachverband und dem deutschen Staat geregelt. Die Bundesrepublik verpflichtet sich darin, jüdisches Leben in Deutschland zu unterstützen und zu pflegen. Gleichzeitig erhält der Zentralrat der Juden eine staatliche Förderung von mittlerweile zehn Millionen Euro jährlich.

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