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Parlamentswahl in Albanien | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Albanien

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Am 25. April wird in Albanien ein neues Parlament gewählt. Die politische Stimmung ist stark polarisiert. Wer die Wahl gewinnt und damit den Ministerpräsidenten des Balkanstaates stellt, scheint derzeit offen.

Das albanische Parlament in Tirana. (© picture-alliance, Alexander Farnsworth)

Von 2005 bis 2013 stellte die konservativ ausgerichtete Demokratische Partei Albaniens (Partia Demokratike e Shqipërisë, PD) mit Sali Berisha den Ministerpräsidenten. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2013 kam es zu einem Machtwechsel, seitdem ist Edi Rama von der Sozialistischen Partei Albaniens (Partia Socialiste e Shqipërisë, PS) Regierungschef.

Seit 2017 haben die Sozialisten die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament inne. Rama hatte seinen Verbleib in der Politik damals davon abhängig gemacht, künftig allein regieren zu können. Im Wahlkampf war es zu schweren innenpolitischen Konflikten gekommen. Die konservative Opposition von der Demokratischen Partei hatte ab Februar 2017 die Parlamentsarbeit boykottiert. Die Demokratische Partei warf Edi Rama u.a. Korruption vor. Außerdem drohte die Partei mit dem Boykott der Parlamentswahl. Letztlich trat die PD doch an, errang jedoch nur etwa ein Drittel der Sitze.

Anfang 2019 gab es neuerliche Vorwürfe seitens der Opposition, die die Sozialistische Partei des Wahlbetrugs beschuldigte. Das legten Aufnahmen der Staatsanwaltschaft aus der Zeit der Parlamentswahlen 2017 nahe, die der staatliche US-Auslandssender Voice of America veröffentlichte. Die Demokratische Partei gab im Februar 2019 sämtliche Parlamentsmandate zurück und boykottierte im Juni 2019 die Kommunalwahlen. Rama selbst warf Voice of America vor, "aus der Mülltonne zu berichten".

AlbanienAuf einen Blick

Hauptstadt: Tirana

Amtssprache: Albanisch; regional: anerkannte Minderheitensprachen

Einwohnerzahl: 2,9 Millionen (2019)

Bevölkerung im Ausland: 1,2 Millionen (2019)

Ethnische Gruppen: 82,6 Prozent Albaner, 0,9 Griechen, 0,3 Prozent Roma, 0,3 Prozent Aromunen, 0,2 Prozent Mazedonier, 0,1 Prozent Balkan-Ägypter, weitere Minderheiten (Volkszählung 2011)

Religionen: 56,7 Prozent muslimisch, 10,0 Prozent katholisch, 6.7 Prozent orthodox, 2,1 Prozent Bektaschi (Volkszählung 2011)

Mitgliedschaften in internationalen Organisationen (Auswahl): NATO (seit 2009), OSZE (seit 1991), Europarat (seit 1995)

Verwaltungsgliederung: 12 Regionen (qark)

Anteil der Stadtbevölkerung: 60,3 Prozent (2018)

BIP pro Kopf (kaufkraftbereinigt): 14.496 US-Dollar (Deutschland: 56.278; 2019)

Währung: Lek (1 EUR = 123,77 ALL, 2021)

Arbeitslosigkeit: 15,1 Prozent (2019)

Jugendarbeitslosigkeit: 32,7 Prozent (2019)

Quellen: UN, UN DESA, IOM, World Bank, ILO

Umstrittene Wahlrechtsreformen

Generell werden die 140 Abgeordneten der Versammlung Albaniens (Kuvendi i Shqipërisë) nach einem Verhältniswahlrecht und über Parteilisten gewählt. Die Wahl findet in zwölf Wahlkreisen statt, die den albanischen Verwaltungsbezirken (Qarks) entsprechen. Wie viele Abgeordnete ein Qark entsendet, hängt von der Einwohnerzahl ab. Im Falle der Hauptstadt Tirana sind es beispielsweise 36 Sitze.

Auch die Reform des Wahlrechts sorgte in den vergangenen Jahren für Konflikte in Albanien. Eine solche Reform war unter anderem vom deutschen Bundestag als Bedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union genannt worden; es wurde außerdem eingefordert, dass diese Reform in einem "offenen und inklusiven Dialog aller politischen Kräfte" erfolgen soll.

Unter Vermittlung der USA und der EU kam es im Januar 2020 zu einem parteiübergreifenden Beschluss: Ein "Politischer Rat" solle die Reform ausarbeiten. Der Rat legte Anfang Juni 2020 einen Kompromiss vor, der am 23. Juli auch so von den im Parlament verbliebenen Parteien beschlossen wurde. Allerdings verabschiedeten die Fraktionen des albanischen Parlaments – ohne Einbeziehung der außerparlamentarischen Opposition von der Demokratischen Partei – weitere Änderungen.

Die Interner Link: Sperrklausel liegt nach den bisher beschlossenen Änderungen am Wahlrecht bei nunmehr einem Prozent der Stimmen. Zuvor galt eine Drei-Prozent-Hürde. Wahlkoalitionen sind möglich, allerdings nur, wenn die Parteien mit einer gemeinsamen Liste antreten. Zudem wurde der reinen Verhältniswahl das Element der Vorzugsstimme hinzugefügt: Künftig ist es möglich, einen Kandidaten oder eine Kandidatin mittels einer solchen Stimme innerhalb der Wahlliste nach oben zu wählen.

Wer tritt zur Wahl an?

Zur Wahl haben sich 46 Parteien bei der Wahlkommission angemeldet. Zu den drei stärksten politischen Kräften gehören die Sozialistische Partei Albaniens (PS), die Demokratische Partei Albaniens (PD) und die Sozialistische Bewegung für Integration (Lëvizja Socialiste për Integrim, LSI).

Die LSI war bis 2017 Koalitionspartnerin der Sozialistischen Partei, sie stellt mit Ilir Meta auch den Staatspräsidenten. Bis zu seiner Wahl im Jahr 2017 war Meta Vorsitzender der LSI. Danach hat seine Frau, Monika Kryemadhi, dieses Amt übernommen. Die DP unter ihrem Vorsitzenden und Spitzenkandidaten Lulzim Basha hat sich mit einigen kleineren Parteien zu einer Koalition für diese Wahl zusammengeschlossen.

Themen im Wahlkampf

Der Wahlkampf wird überschattet von dem Dauerkonflikt zwischen der Sozialistischen Partei und der Demokratischen Partei. Die Europäische Union hatte bereits an die verschiedenen politischen Kräfte des EU-Beitrittskandidaten Albanien appelliert, gegenseitigen Respekt zu wahren und Hassrede zu vermeiden. Bislang scheint es fraglich, ob der EU-Aufruf zur Mäßigung sein Ziel erreicht: Bereits zum Wahlkampfauftakt der Sozialisten Ende März fanden sich Anhänger von Lulzim Basha ein, um die Veranstaltung zu stören.

Beim Wahlkampfauftakt zeigte sich auch, dass die Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie von den großen politischen Parteien nur bedingt eingehalten werden. Die Demokratische Partei etwa veranstaltete eine Kundgebung am Mutter-Teresa-Platz in Tirana mit mehreren tausend Teilnehmern.

Inhaltlich prägen Wirtschaftsthemen, Infrastruktur und der EU-Beitritt den Wahlkampf. Albanien, eines der ärmsten Länder Europas, leidet unter einer schwächelnden Wirtschaft und hoher Arbeitslosigkeit. Vor allem junge und gebildete Menschen verlassen in großen Zahlen das Land.

Die EU-Kommission hat in einem Bericht, der Ende März vom EU-Parlament verabschiedet wurde, nochmals betont, dass diese Wahlen eine entscheidende Bedeutung für die Festigung demokratischer Strukturen hätten – und damit auch für die Einschätzung der Möglichkeit eines Beitritts Albaniens zur EU.

Wer könnte nach der Wahl regieren?

Lange führte die Sozialistische Partei in Umfragen deutlich vor der Demokratischen Partei. Doch mittlerweile scheint das Rennen wieder offener zu sein. Laut einer Anfang April veröffentlichten Umfrage liegen beide großen Parteien beinahe gleichauf: Die Sozialistische Partei käme auf 44 bis 48 Prozent der Stimmen, die Demokratische Partei auf 42 bis 46 Prozent. Die LSI könnte mit 6 bis 10 Prozent der Stimmen rechnen.

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