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Parlamentswahl in Äthiopien | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Äthiopien

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Am 21. Juni haben in Äthiopien Parlamentswahlen stattgefunden. Für den amtierenden Ministerpräsidenten Abiy Ahmed war es die erste Wahl – und es ist gleichzeitig ein Stimmungstest für die Regierung, die in einen blutigen Konflikt in der Region Tigray verwickelt ist.

Am 21. Juni 2021 wurde nach mehreren Terminverschiebungen das äthiopische Parlament gewählt. Derzeitiger Ministerpräsident Abiy Ahmed stand mit der landesweit organisierten Wohlstands-Partei zur Wahl. (© picture-alliance, ASSOCIATED PRESS | Mulugeta Ayene)

Mit mehr als einem Jahr Verspätung wurden am 21. Juni 2021 die Parlamentswahlen in Äthiopien durchgeführt – trotz steigender politischer Spannung und Konflikte. Doch nicht in allen Wahlkreisen klappte der Gang zur Urne: In 102 der 547 Wahlkreisen wurden die Wahlen wegen der unsicheren Lage oder logistischer Probleme – beispielsweise durch die Verzögerung bei der Auslieferung der Wahlmaterialien – erneut verschoben.

Die offiziellen Wahlergebnisse werden Ende der Woche erwartet. Es wurden 9.175 Kandidaten/-innen von 47 Parteien aufgestellt. Hinzu kamen 125 unabhängige Kandidaten/-innen. In der Region Oromia boykottierten wichtige oppositionelle Parteien die Wahl, wegen angeblicher Repressionen durch die amtierende Regierung. Während Olusegun Obasanjo, Leiter der Wahlbeobachtungsmission der Afrikanischen Union, der Wahl einen „einigermaßen guten Verlauf“ angesichts der innenpolitischen Situation attestierte, entsandte die Europäische Union keine Wahlbeobachtungskommission, weil sie sich im Vorfeld der Wahlen nicht mit der Regierung einigen konnte.

Eigentlich hätten die Äthiopierinnen und Äthiopier bereits im August 2020 ein neues Parlament wählen sollen – doch der Termin wurde aufgrund der Covid-19-Pandemie vorerst verschoben. Im Dezember setzte dann der Nationale Wahlvorstand den Termin für die Parlamentswahl auf den 5. Juni 2021 fest, doch wegen angeblicher logistischer Probleme wurde auch der Termin verlegt – und zwar auf den 21. Juni. Für den amtierenden Ministerpräsidenten Interner Link: Abiy Ahmed, der seit April 2018 die Geschäfte seines Vorgängers – nach dessen Rücktritt – übernommen hat, gilt diese Parlamentswahl auch als Interner Link: Stimmungstest für ihn und seine erste Regierungszeit.

Wie wird gewählt?

Karte von Äthiopien. Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei (© Kämmer-Kartographie, Berlin 2012)

Der Vielvölkerstaat Interner Link: Äthiopien ist laut Verfassung eine Interner Link: föderalistische Republik mit neun Bundesstaaten. Die föderale Ordnung orientiert sich an ethnischen Vorgaben, wie Sprache und kultureller Identität. Viele Parteien sind regional organisiert, es gibt nur wenige, die landesweit antreten.

Bei den Wahlen am 21. Juni 2021 wurden sowohl das Volksrepräsentantenhaus – das als Unterhaus des äthiopischen Interner Link: Parlaments fungiert – als auch die regionalen Staatsräte neu gewählt. Das Oberhaus des Parlaments wird vom Bundeshaus gebildet, in dem durch die regionalen Staatsräte entsandte Abgeordnete sitzen. Das Volksrepräsentantenhaus hat maximal 550 Sitze, wovon mindestens 20 für Minderheiten reserviert sind. Äthiopien hat etwa 112 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner und ist damit, nach Nigeria, das bevölkerungsmäßig zweitgrößte Land Afrikas. Interner Link: Mehr als 100 Ethnien leben in Äthiopien, keine von ihnen stellt die absolute Bevölkerungsmehrheit. Sie werden nach Mehrheitswahlrecht in maximal 550 Wahlkreisen vergeben. Das Wahlalter liegt bei 18 Jahren.

Obwohl Äthiopien formell eine Republik ist, wird das Land seit einigen Jahren überwiegend als autoritäres Regime eingestuft. Im Demokratieindex 2020 der Zeitschrift the Economist belegt Äthiopien aktuell Platz 123 von 167 mit 3,38 von maximal 10 Punkten, insbesondere das Wahlprozedere und der politische Pluralismus im Land wurden stark unterdurchschnittlich bewertet. Auch die Organisation Freedom House ordnete Äthiopien im Freedom Report 2020 als "nicht frei" ein und verwies darauf, dass die letzten Parlamentswahlen 2015 demokratischen Standards nicht genügten. Laut Freedom House seien Missbrauch durch Sicherheitskräfte und Verstöße gegen ordnungsgemäße Verfahren nach wie vor weit verbreitet und viele restriktive Gesetze sind noch in Kraft.

Welche Entwicklungen prägen die Wahl?

Die mitgliederstärkste und einflussreichste Partei ist die Wohlstands-Partei (PP) von Ministerpräsident Abiy Ahmed. In ihr sind die Demokratische Organisation des Oromovolkes (OPDO), die National-Demokratischen Bewegung der Amharen (ANDM) und die Demokratische Front der Südäthiopischen Völker (SEPDF) aufgegangen – drei Parteien, die auch schon an dem Bündnis "Revolutionäre Front der Äthiopischen Völker" (EPRDF) beteiligt waren, die das Land nach seiner Unabhängigkeit – gemeinsam mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) seit 1991 anführte. 2019 beendete der ehemalige Vorsitzende der EPRDF Abiy Ahmed die Parteienkoalition. Mit der Auflösung der EPRDF steht mit dem neuen Ministerpräsidenten zum ersten Mal ein Angehöriger der muslimischen Oromos an der Spitze der Regierung – womit die tigrinische Dominanz innerhalb der EPRDF ein Ende nahm. Dies provozierte nicht nur wachsenden Widerstand auf Seiten der Tigriner, die sich als einzige der neu gegründeten Wohlstands-Partei nicht anschlossen, sondern bewirkten auch eine Wiederbelebung der Konkurrenzkämpfe zwischen Oromos, Amharen und anderen Volksgruppen.

Ursprünglich wurde Abiy vom äthiopischen Parlament zum Nachfolger von Hailemariam Desalegn gewählt, der das Land seit 2012 regiert hatte und wegen Massenprotesten gegen die EPRDF-Regierung zurücktreten musste. 2015 und 2016 fanden massive regierungskritische Demonstrationen statt. Grund dafür waren auch ethnische Konflikte: Angehörige der Oromo und Amhara sahen eine Überrepräsentation der Tigray in der Regierung.

Bei seinem Amtsantritt hatte Abiy ein breites Reformprogramm versprochen, um Missstände der autoritären Regierung zuvor zu beheben: etwa eine Überarbeitung des Justizwesens, Pressefreiheit und Entsperrung der sozialen Medien, Öffnung des Parteiensystems und Gleichstellung der Geschlechter. 2019 bekam er für seine Aussöhnungspolitik mit Eritrea sogar den Friedensnobelpreis zuerkannt. Allerdings wurden die Reformbestrebungen nicht konsequent eingehalten. Beim Amtsantritt hatte Abiy tausende politische Gefangene freigelassen, jedoch sind in seiner Amtszeit auch zahlreiche Oppositionelle inhaftiert worden. Außerdem ist seine Regierung seit November 2020 in einen bewaffneten Konflikt in der Region Tigray, im Norden des Landes verwickelt.

Wachsende Unruhen und Kritik an der Regierung

Der Wohlstands-Partei, die in ganz Äthiopien antritt, stehen Dutzende andere Parteien gegenüber, die meist regional antreten. Die Mehrheit der Parteien ist in Sozial- und Wirtschaftsfragen ethnisch ausgerichtet, weshalb es nur wenige inhaltliche Überschneidungen gibt. Einige Parteien fordern die Regierung auch landesweit heraus: zum Beispiel die Partei Äthiopische Bürger für Soziale Gerechtigkeit (EZEMA). Die Partei gilt als Hauptgegner der Regierungspartei und hat 48 Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt. Insbesondere im bevölkerungsstarken Oroma beklagte die Partei Behinderungen seitens der Regierung. Die Oroma-Befreiungsfront (OLF), eine der landesältesten Parteien, möchte die Wahl aus diesen Gründen sogar boykottieren, nach dem laut Medienberichten einige OLF-Anführer inhaftiert wurden und ihr Parteibüros geschlossen wurden.

Das dominierende Thema der Wahl sind jedoch die ethnischen Spannungen in dem Land. In der Bevölkerung ist der Unmut und die Kritik gegenüber der amtierenden Regierung ständig gewachsen. Von zentraler Bedeutung ist der Konflikt in der Region Tigray, im Norden des Landes. Nach dem zweifachen Aufschub des Wahltermins, hielt der Bundesstaat die Regionalwahlen entgegen des nationalen Regierungsentschlusses ab. Dabei erreichte am 09. September 2020 die TPLF die Mehrheit der Stimmen. Die durchgeführte Wahl verstärkte die Spannungen zwischen dem Bundestaat und der Regierung, die die Wahl nicht anerkannte. Anfang November 2020 startete die Regierung unter Abiy eine Militäroffensive gegen die Regierungspartei der Region Tigray – der Konflikt dauert bis heute an und verschärft die humanitäre Situation dramatisch. Die UN warnt vor einer Hungersnot, von der 350.000 Menschen bedroht sind. Auch eritreische Truppen sind mittlerweile am Konflikt beteiligt.

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