Inhaltsbeschreibung
Im Juli 2020 endete in Hamburg einer der wohl letzten großen Holocaust-Prozesse: Bruno Dey, ehemals SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof, wurde wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 5230 Fällen und versuchtem Mord in mindestens einem Fall verurteilt. Der Autor und Journalist Tobias Buck beobachtete den Prozess vom Beginn bis zum Schuldspruch und beleuchtet insbesondere dessen Herausforderungen: Wie weit tragen Erinnerungsvermögen und -bereitschaft eines 93-Jährigen, der im Alter von 17 Jahren zum Wachdienst im Lager verpflichtet wurde? Wie ist Deys Schuld zu bemessen, wenn er durchaus erfasste, was vor seinen Augen geschah?
Buck bettet die Suche des Gerichts nach Antworten in die Geschichte des historisch-politischen Umgangs mit den NS-Verbrechen und deren juristischer Aufarbeitung ein: Jahrzehntelang habe die Nachkriegsjustiz im Einklang mit gesellschaftlichen Erwartungen die Ahndung von NS-Verbrechen faktisch aufgegeben. Heute, angesichts des wieder erstarkenden Antisemitismus, seien, so Buck, alle gefragt, der Erinnerung Raum zu geben und sich mit Fragen nach Schuld und Verantwortung zu befassen. Die teils im Wortlaut wiedergegebene Verhandlung spiegelt eindringlich, warum der Schuldspruch gegen Dey auf der Mitverantwortung dafür beruht, den Holocaust ermöglicht zu haben – durch ihn und Millionen andere, die sich aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit oder Opportunismus den Verbrechen nicht verweigerten.