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Wert des Wachstums: Kompass für eine Kontroverse

Karl-Heinz Paqué

/ 10 Minuten zu lesen

Die Enquete-Kommission des Bundestags "Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ hat einen weitgespannten Auftrag. Mit etwas Mut zur Vereinfachung lässt dieser sich in drei Teile zerlegen: der Stellenwert des Wachstums in Wirtschaft und Gesellschaft, die Wahl von Indikatoren für nachhaltiges Wachstum und die Entkopplung des Wachstums von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung. Es kann eigentlich kaum überraschen, dass der erste dieser drei Teile – wissenschaftlich und politisch – besonders kontrovers ist. Denn dort geht es um die Frage, ob und, wenn ja, wie viel und welche Art Wirtschaftswachstum eine moderne Gesellschaft wie die deutsche braucht, um wesentliche ökonomische und soziale Ziele zu erreichen. Dieser Beitrag versucht, die zentralen Argumente in dieser Kontroverse zusammenzufassen. Der Versuch stößt auf zwei naheliegende Grenzen. Die eine liegt in der Natur der Sache; diese ist so komplex, dass es drastischer Vereinfachungen bedarf, um die Kontroverse auf den Punkt zu bringen. Dabei kann nicht mehr herauskommen als eine Art Holzschnitt – mit wenigen, aber hoffentlich charakteristischen Zügen. Die andere Grenze liegt im Verfasser selbst; er nimmt an der Kontroverse aktiv teil und bezieht dabei dezidiert Position. Er bemüht sich zwar in diesem Beitrag um eine ausgewogene Darstellung und Deutung der verschiedenen Positionen, aber er tut dies zwangsläufig aus seiner subjektiven Sicht.

Es sind im Wesentlichen drei zentrale Fragen, um die es in dieser Kontroverse geht: Was ist das Wesen des Wachstums? Was gehört zur Nachhaltigkeit? Was braucht es an ökologischem Umsteuern? Bei allen drei Fragen gibt es – neben einem durchaus breiten Bereich der Übereinstimmung – einige zentrale Streitpunkte, die sowohl den Sachstand der wissenschaftlichen Diagnose als auch den angemessenen Weg der politischen Therapie betreffen. Diese Streitpunkte sind keineswegs willkürlich und zufällig. Sie sind vielmehr das Ergebnis unterschiedlicher sozialphilosophischer Grundpositionen. Diese wiederum sind nicht wirklich neu, sondern feste Bestandteile unterschiedlicher westlicher Denktraditionen seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Insofern spiegelt die aktuelle Wachstumsdebatte durchaus traditionelle Bruchlinien wider, die sich zu früheren Zeiten an anderen Themen festmachten.

Wesen des Wachstums

Wirtschaftswachstum – hier verstanden als Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (inflationsbereinigt) – hat stets eine quantitative und eine qualitative Komponente. Quantitativ geht es um das reine Mengenwachstum ("mehr vom Gleichen“), qualitativ um die Veränderung in der Beschaffenheit und der Vielfalt der Güter. Diese rein definitorische Unterscheidung enthält bereits den Kern einer Kontroverse, denn es stellt sich die Frage, ob das Wirtschaftswachstum in einer hochentwickelten Industrienation wie Deutschland mehr quantitativ oder mehr qualitativ ist. Dies ist nicht nur ein akademischer Erkenntnisstreit, sondern auch eine hochpolitische Sachfrage. Denn ist Wachstum allein quantitativ, so hat es nichts zu tun mit "Entwicklung“ im Sinne "schöpferischer Zerstörung“ von Altem und Überkommenem durch Neues und Besseres, wie es schon Joseph Schumpeter vor gut 100 Jahren formuliert hat. Es sind dann nur Masse und Menge, die zunehmen, sei es absolut oder pro Kopf. Ist Wachstum dagegen rein qualitativ, so kann es gar nichts anderes sein als das, was seit Schumpeter "Entwicklung“ genannt wird. Denn die Güter verändern sich, werden besser und vielfältiger.

Wie ist nun unser Wachstum in Deutschland, quantitativ oder qualitativ? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Die Vertreter der These des quantitativen Wachstums ("Quantitätstheoretiker“) verweisen auf den ewigen kapitalistisch-wettbewerblichen Kampf um größeren Absatz und immer mehr Gewinn als Beleg für ihre Deutung; die "Qualitätstheoretiker“ (der Verfasser eingeschlossen) sehen dagegen in dem immerwährenden Strom von neuen Produkten und Verfahren die Bestätigung ihrer Sicht. Welcher Position man zuneigt, hat große Konsequenz für das, was man die Grundeinstellung zum Wachstum nennen könnte: Quantitatives Wachstum sorgt geradezu zwingend für mehr Ressourcenverbrauch, denn bei gegebener Technologie bedeutet es einfach ein physisches "Mehr“ an Produktion; qualitatives Wachstum dagegen kennt diese zwingende Verbindung nicht. Im Gegenteil: Es ermöglicht erst durch neue Technologien den Wertzuwachs bei weniger oder zumindest konstantem Ressourceneinsatz.

Tatsächlich steckt hier ein erster bedeutender Schlüssel für viele weitere Aspekte der Debatte. Wer Wachstum als quantitativ interpretiert, der wird eher bereit sein, es zu stoppen, scharf abzubremsen oder durch Staatseingriffe zu lenken, um den Ressourcenverbrauch zu mindern. Die politische Konsequenz lautet: umfassende Technologie- und Industriepolitik, um eine völlig neue Art des Wohlstands zu erreichen, und zwar einen Wohlstand, der eben nicht von materieller Masse, sondern von anderen Werten abhängt. Wer Wachstum dagegen als qualitativ deutet, wird der Wirtschaft bereits heute die Fähigkeit zusprechen, sich neuen Verhältnissen durch Mobilisierung von Innovationskraft anzupassen – als Ergebnis eines evolutorischen Drucks, den der Wettbewerb erzeugt. Es bedarf dann vielleicht nur einer moderaten Anpassung des Ordnungsrahmens, wie sie im Zuge des wirtschaftlichen Wandels immer wieder vorkommt, und nicht eines grundlegenden Umsteuerns der Entwicklung.

Verständnis von Nachhaltigkeit

Eng verknüpft mit dem Wachstumsbegriff ist die Frage der Nachhaltigkeit. Versteht man als nachhaltiges Wachstum im ökologischen Sinne jenen Gewinn an volkswirtschaftlicher Wertschöpfung, der langfristig tragfähig ist, also nicht zu Lasten der Lebenschancen künftiger Generationen geht, so ist rein quantitatives Wachstum offenbar nicht nachhaltig. Denn es stößt irgendwann an physische Grenzen der Verfügbarkeit von Ressourcen, die den Lebensstandard drastisch senken. Dies ist eine Erkenntnis, die auf Thomas Malthus zurückgeht, der sie schon 1798 auf die begrenzte landwirtschaftliche Nutzfläche bei wachsender Bevölkerung anwandte; in den vergangenen Jahrzehnten erweiterten der Club of Rome und andere den Begriff der "Ressourcen“ auf Rohstoffe und die Belastbarkeit des Planeten und seiner Atmosphäre. Qualitatives Wachstum dagegen bietet – via Produkt- und Prozessinnovationen – die Chance, allerdings keineswegs die Garantie der Nachhaltigkeit.

Soweit das Grundkonzept der Nachhaltigkeit, angewandt auf die Ökologie. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die Idee der Nachhaltigkeit – denkt man sie zu Ende – nicht einen viel breiteren Anwendungsbereich hat als nur die des dynamischen ökologischen Gleichgewichts. So hat die jüngste Weltfinanzkrise die alte Einsicht erneuert, dass Wertentwicklungen von Aktiva (assets) sich durch spekulative Blasen weit von nachhaltigen Niveaus entfernen können, wobei es im Vorhinein oft schwierig ist zu erkennen, wo genau der "wahre“ Wert eines Aktivums liegt, sei es nun eine Immobilie, eine Aktie oder eine Staatsschuldverschreibung. Platzt irgendwann die Blase, so ist im Nachhinein die fehlende Nachhaltigkeit offensichtlich. Um die damit verbundenen Schäden zu vermeiden, müssen Regeln geschaffen werden, die Blasenbildungen erschweren, aber trotzdem die Informationsfunktion des Marktes nicht unnötig einschränken. Der Markt hat eben einen Januskopf: Er ist gleichzeitig "Entdeckungsverfahren“ (Friedrich Hayek), also ein Instrument, den wahren Wert herauszufinden; er kann aber auch zum Irrtumsverstärker mutieren, und dies, ohne dass es im Vorhinein klar zu erkennen ist.

Bis zu diesem Punkt der Diagnose herrscht durchaus Konsens. Schwierig wird es allerdings, diesen Konsens in konkrete politische Empfehlungen umzuwandeln. Hier zeigt sich wieder jene Kluft zwischen den Quantitäts- und den Qualitätstheoretikern: Erstere plädieren eher für eine weitreichende und tief gehende Regulierung der Finanzmärkte – bis hin zum Verbot einer Vielzahl von "gefahrgeneigten“ Finanzinnovationen sowie vor allem eine Besteuerung von Finanztransaktionen. Letztere (so auch der Verfasser) zielen vor allem darauf ab, gesamtwirtschaftliche Schieflagen als Folge von riskantem Verhalten der Marktteilnehmer zu vermeiden – etwa durch eine deutlich erhöhte Eigenkapitalunterlegung bei Banken und anderen Finanzintermediären sowie die Stärkung der Haftungsregeln. Der Grund für die Kluft zwischen den Empfehlungen liegt auf der Hand: Wer eher geneigt ist, den Markt als "quantitativer“ Irrtumsverstärker an die Leine zu legen, wählt eine strikte Regulierung; wer eher geneigt ist, den Markt als "qualitativen“ Entdecker zu erhalten, wählt den weiteren Ordnungsrahmen, versucht allerdings den Staat vor unerwünschten Großrisiken der Intervention zu schützen, was an den Kapitalmärkten in der Vergangenheit gerade nicht gelang.

Tatsächlich lassen sich durch die Brille der Nachhaltigkeit noch viele weitere gesellschaftliche Bereiche durchleuchten. Dabei zeigt sich immer wieder der Unterschied zwischen den Quantitäts- und Qualitätstheoretikern: Erstere sind geneigt, dem marktgetriebenen Wachstum selbst die Verantwortung für Fehlentwicklungen der Gesellschaft zuzuordnen; sie wollen deshalb dieses Wachstum stärker lenken. Letztere sehen dagegen das Wachstum als einen dezentralen evolutorischen Prozess, der sich den Knappheiten der Welt anpasst und dabei zum Teil Erfreuliches, zum Teil Bedauerliches an Ergebnissen hervorbringt. Für sie geht es darum, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der (wertneutrale) Markt in seinem Wachstum für Ergebnisse sorgt, die aus sozialer und ökologischer Sicht im Nachhinein auch wirklich wertvoll sind. Für die Quantitätstheoretiker geht es um eine gezielte Umlenkung des Wachstums, für die Qualitätstheoretiker dagegen um eine optimale Vorbereitung der Gesellschaft auf dieses Wachstum und seinen begleitenden Strukturwandel.

Wege zum ökologischen Umsteuern

Genau an dieser Stelle setzt der grundlegendste politische Dissens ein, der die Wachstumsdebatte beherrscht. Es geht dabei um die Balance der Kosten und der Erträge einer radikalen Umsteuerung – hin zu erneuerbaren Energien. Deren Befürworter vertreten zwei unterschiedliche Sichtweisen, die leider in der Öffentlichkeit nicht immer klar genug auseinandergehalten werden. Die erste – nennen wir sie die green-growth-Position – behauptet, dass auf längere Sicht das radikale ökologische Umsteuern das Wachstum gar nicht mindert, sondern beschleunigt, weil die Erträge die Kosten bei Weitem überwiegen. Diese Position rekurriert dabei auf Studien zu green growth. Diese kommen auf der Grundlage von Modellrechnungen und Computersimulationen zu dem Ergebnis, dass die Kosten des radikalen Umsteuerns durch die Vermeidung von massiven Folgekosten des konventionellen Wachstums der brown economy und die Wachstumsimpulse durch den Aufbau der green economy bei Weitem überkompensiert werden. Es geht also um eine Win-win-Situation: Nicht Verzicht auf Wachstum ist nötig, sondern allein die Einleitung des "richtigen“ Wachstums.

Diese green-growth-Position wird von manchen Ökonomen als unrealistisch kritisiert – sowohl von solchen, die für die radikale Umlenkung eintreten, als auch von solchen, die der Umlenkung skeptisch gegenüberstehen. Zentrales Argument ist, dass die Modelle sehr optimistische Annahmen über die Entwicklung der Produktivität in den staatlich bevorzugten "grünen“ Sektoren der Wirtschaft machen. Insbesondere wird unterstellt, es gäbe Lern- und Diffusionseffekte der neuen Technologien im Umweltbereich, die in der Größenordnung früherer Durchbrüche in der Mikroelektronik und der Informationstechnik lägen und damit die sonst übliche Dynamik der Wissensbildung weit überträfen. Diese Annahme, so die Kritik, ist empirisch nicht begründet und mit Blick auf die Art der Technologie auch a priori höchst fragwürdig.

Es bleibt eine viel grundsätzlichere Position der Befürworter. Sie konzediert durchaus Wachstumseinbußen der green economy gegenüber der brown economy, hält diese aber aus übergeordneten Gesichtspunkten für gerechtfertigt. Der Grund: Die green economy sei der einzige Weg, um den Wohlstand langfristig überhaupt vereinbar zu machen mit einem Zustand des Planeten Erde, den die Menschheit aus nicht-ökonomischen Gründen als erhaltenswert ansieht. Dazu zählen unter anderem die – ethische oder humanitäre – Bewertung eines stabilen Klimas, der Biodiversität und des ökologischen Zustands der Meere. Diese Ziele liegen außerhalb dessen, was man als die übliche ökonomische Bewertung von Alternativen bezeichnen könnte. Ihnen lässt sich kein "Äquivalent“ für das beimessen, was sie der Menschheit in der Gegenwart wert sind oder in der Zukunft wert sein werden. Die Diskussion darüber verlässt deshalb zwangsläufig das Niveau der pragmatischen Entscheidung zwischen Alternativen; gerade dies macht sie extrem schwierig und kontrovers.

Kritiker der radikalen Umsteuerung (so auch der Verfasser) bedauern, dass damit die Diskussion auf eine sozialphilosophische Ebene verlagert wird. Es geht dabei um die Frage, ob eine Gesellschaft einem einzelnen, wenn auch wichtigen Ziel, eine derartige Dominanz in der politischen Willensbildung zumessen darf, dass es alle anderen Ziele in den Schatten stellt. Dies ist weder demokratisch, noch entspricht es der Grundphilosophie, auf dem ein pluralistisches Gemeinwesen beruht. Aufforderungen zu einer "Großen Transformation“ im Sinne unverrückbarer ökologischer Ziele, wie sie zum Beispiel der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen formuliert hat, haftet deshalb aus Sicht der Kritiker etwas Totalitäres an – in der Tradition einer volonté générale im Sinne Jean-Jacques Rousseaus. Hier insistieren die Kritiker (die meisten von ihnen von Hause aus Ökonomen), dass eine Sozialphilosophie im Sinne des Kritischen Rationalismus von Karl Popper es überhaupt verbietet, das nüchterne, wenn auch schwierige Kalkül von Kosten und Nutzen völlig beiseite zu schieben; denn es dient letztlich als intellektuelle Grundlage für politische Entscheidungen und Kompromisse, die auf ein piecemeal engineering, also eine schrittweise Veränderung und Verbesserung der Gesellschaft hinauslaufen.

Genau an dieser Stelle trennen sich die Wege. Die Befürworter der radikalen Umsteuerung sehen sich im Besitz einer zwingenden Konzeption der ökologischen Gesellschaft, der es zu folgen gilt; die Skeptiker sehen genau darin eine "Anmaßung des Wissens“ im Sinne Friedrich Hayeks, der sie die Gefolgschaft verweigern. Hier ist tatsächlich ein Graben, der zumindest aktuell kaum überbrückbar erscheint. Aus der Sicht des Verfassers bestünde der einzige Ausweg darin, dass die Diskussion doch wieder auf die Ebene einer empirischen Kosten-Nutzen-Analyse zurückkehrt, so schwierig diese auch praktisch sein mag. In dieser Analyse müsste zumindest der ernsthafte Versuch gemacht werden, neben dem gesamten Nutzen auch die gesamten gesellschaftlichen Kosten des Umsteuerns in Rechnung zu stellen. Dazu gehören nicht nur der entgangene materielle Wohlstand durch gemindertes Wirtschaftswachstum, sondern vor allem auch der Verlust weiter gehender gesellschaftlicher Werte, so zum Beispiel die Beeinträchtigung von Kulturlandschaften durch die Infrastruktur erneuerbarer Energien, seien es nun Ansammlungen riesiger Windräder auf malerisch gelegenen Hügeln, ausgedehnte Flächen von Anlagen der Photovoltaik in Wiesen- und Weideland oder gigantische Trassen und Schneisen zum weiträumigen Energietransport von der windreichen deutschen Nordseeküste in den windarmen Süden. Stets stellen sich Fragen der Abwägung von Werten, die politisch nicht umgangen werden dürfen.

Auch für die zeitliche und die räumliche Dimension des Umsteuerns stellt sich eine Fülle von konkret-pragmatischen Fragen:

  1. Soll das Umsteuern wirklich schnellstmöglich geschehen oder gibt es nicht doch eine optimale Streckung des Prozesses, um die Kosten der Umsteuerung ökonomisch und sozial "verträglich“ zu gestalten? Wäre dies nicht auch deshalb wünschenswert, um nicht technologische Optionen allzu frühzeitig zu verschließen?

  2. Soll Deutschland allein als "gutes Beispiel“ vorangehen, völlig unabhängig vom internationalen Wettbewerb um Industriestandorte? Oder sollten doch die Kosten der Abwanderung von Industriebetrieben berücksichtigt werden?

  3. Gilt dies nicht auch mit Blick darauf, dass es um globale ökologische Ziele geht, bei deren Erreichen Deutschland im Vergleich zu großen, schnell wachsenden Entwicklungs- und Schwellenländern nur eine geringe Rolle spielen wird?

Diese Fragen sind und bleiben hochkontrovers. Sie sollten aber nicht allein aufgrund sozialphilosophischer Grundpositionen entschieden werden. Dies wäre ein Rückschritt gegenüber einer Vergangenheit, in der die meisten politischen Diskussionen letztlich doch durch pragmatische Argumente und Lösungen – und nicht durch ideologische Stellungskämpfe – geprägt waren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Joseph A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1911.

  2. Vgl. Carlo C. Jaeger et al., A New Growth Path for Europe, Potsdam 2011; United Nations Environment Programme, Towards a Green Economy, Nairobi 2011.

  3. Vgl. zur ersten Gruppe: Ottmar Edenhofer, Die Illusion des grünen Wachstums, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 1.3.2012. Vgl. zur zweiten Gruppe: Karl-Heinz Paqué, Voll beschäftigt, München (i.E.).

  4. So sinngemäß Carl Christian von Weizsäcker, Die Große Transformation: ein Luftballon, in: FAZ vom 30.9.2011.

Prof. Dr. sc. pol., geb. 1956; Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Postfach 41 20, 39016 Magdeburg. E-Mail Link: paque@ovgu.de