Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Politische Bildung in Europa | Politische Bildung | bpb.de

Politische Bildung Editorial Partizipation: Ein erstrebenswertes Ziel politischer Bildung? Außerschulische politische Bildung nach 1945 Politische Bildung in Europa Die vier Dimensionen der Politikkompetenz Mitreden können: Beredsamkeit in der Demokratie Die Bundeszentrale für Heimatdienst 1952–1963 Bildungsgeschichten. Vergangenheit und Zukunft der bpb Freiheit, Verantwortung, direkte Demokratie: Zur Relevanz von Rousseau heute

Politische Bildung in Europa

Helle Becker

/ 16 Minuten zu lesen

Europa ist als Thema von Bildungsangeboten in der schulischen und außerschulischen politischen Bildung Deutschlands seit vielen Jahren selbstverständlich gesetzt. Viele Schulen und freie Träger bieten darüber hinaus Begegnungsprogramme an, nutzen europäische Förderprogramme und pflegen den europäischen Austausch. Umgekehrt ist politische Bildung in allen Ländern der EU, aber auch über diese hinaus, sowohl in der Schule als auch als nicht-formale Angebote der Jugend- und Erwachsenenbildung präsent. Kommt es aber zur Rolle politischer Bildung im Rahmen europäischer Politik, ist das eigene Engagement der Träger politischer Bildung in Form einer gemeinsamen Interessenvertretung auf europäischer Ebene eher unterstrukturiert.

Vielfach wird dieser Zustand auf die Schwierigkeit zurückgeführt, "politische Bildung" im europäischen Maßstab überhaupt zu definieren. Wer in der höchst diversen Szene politischer Jugend-, Erwachsenen- und Schulbildung schon in Deutschland heftig um Begriffe als Stellvertreter für Konzepte streitet, dem erscheinen die nationalen Ausprägungen und unterschiedlichen Begrifflichkeiten quer durch Europa erst recht unbezähmbar. Die Schwierigkeit aber, ein Fachverständnis im europäischen oder internationalen Maßstab auszubuchstabieren, hat zunächst jede Disziplin. Zweifellos muss dieser Austausch im Sinne von Qualität möglichst präzise geführt werden. Dies sollte aber nicht davon ablenken, dass derweil auf europäischer Ebene politische Rahmenbedingungen gesetzt werden, welche die politische Bildung in Deutschland und Europa mehr und mehr beeinflussen.

Politische Bildung als Thema des Europarates

Ausgangspunkt für die Karriere politischer Bildung als Gegenstand europäischer Politik ist der Europarat. Gegründet als intergouvernementale Einrichtung, die sich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in und zwischen den 47 Mitgliedsländern einsetzt, engagiert sich der Europarat auch für bildungs- und jugendpolitische Fragen. Ohne entsprechende Bildung, so der Tenor der Verlautbarungen seit 1978 bis heute, seien weder der Schutz von Menschenrechten noch die Sicherung von Demokratie möglich. Während viele der vor allem im westlichen Europa und auf der Ebene der EU geführten bildungspolitischen Überlegungen dieser Zeit (bis heute) vor allem auf den Beitrag von Bildung zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ausgerichtet waren (Stichwort: Lebenslanges Lernen für employability), waren für den Europarat vor allem gesellschaftspolitische Perspektiven der Grund, Bildung vor allem als Menschenrechts- und Demokratieerziehung in den Fokus zu stellen. Ankerpunkte für dieses Bildungsverständnis sind die Grundwerte Menschenrechte, Vielfalt (diversity), Demokratie und Partizipation (participation).

Vielfalt wird dabei als Wertebasis für eine gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Positionen, Meinungen und Interessen, aber auch verschiedener Ethnien und Kulturen verstanden. Die positive Besetzung des Begriffs steht für gegenseitige Akzeptanz "im Hinblick auf Herkunft, Kultur, Sprache, Religionen und Bildungssysteme" und für den Willen, "den multikulturellen Charakter der europäischen Gesellschaft zu bewahren". Basis dieser Haltung und zugleich einigendes Band sind die Menschenrechte, deren Anerkennung durch die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 Grundvoraussetzung einer Mitgliedschaft im Europarat ist und deren Schutz und Förderung die Schwerpunkte der Arbeit des Europarates seit seiner Gründung ausmachen.

Die Anerkennung von Vielfalt und die Einsicht in die multiperspektivische Konstruktion von Wirklichkeit erfordern deren Berücksichtigung aber auch in der Herbeiführung von Entscheidungen. So spielt Partizipation als zweiter Begriff in dieser Argumentation eine Schlüsselrolle für Wege und Instrumente, Konflikte friedlich zu lösen und Entscheidungen tragfähig herbeizuführen und abzusichern. Partizipation wird so als notwendige Voraussetzung für die Legitimierung und Steuerung schnelllebiger, pluralistischer und multiperspektivischer Gesellschaften verstanden. Sie gilt nicht nur als formaler Gehalt von Demokratie, sondern in einem weitergehenden und empathischen Sinn als aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an allen öffentlichen Entscheidungs(findungs)prozessen, was Verantwortung für die Zukunft der (Zivil-)Gesellschaft einschließt. Entsprechend heißt es in einem Papier für den Europarat: "Partizipation ist (…) ein entscheidendes Element der demokratischen Stabilität und sollte nicht als auf den Wahlprozess beschränkt gesehen werden."

Diese zunächst menschenrechtlichen, gesellschaftspolitischen und demokratietheoretischen Überlegungen bilden auch den Kern bildungstheoretischer Konzepte, weil weder die Akzeptanz von Vielfalt noch demokratische Partizipation voraussetzungslos gedacht werden können. Um beides konstruktiv für ein gesellschaftliches und politisches Zukunftsmodell einzusetzen, müssen die Menschen über Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, die sie über Bildung erlangen. Diese bildungstheoretische Grundannahme wird an die (demokratie-)politische Vision geknüpft, dass die Befähigung zur Beteiligung der Menschen der Schlüssel zur Lösung von potenziell zunehmend konfliktträchtigen und komplexen Zukunftsfragen sein werde. Soll die Herbeiführung solcher Lösungen demokratisch legitimiert werden, müssen sich potenziell alle daran beteiligen können. So gibt es aus Sicht des Europarates einen notwendigen Zusammenhang von Bildung und Demokratie und ist Bildung wiederum ein Menschenrecht.

Umsetzung des Europarats

Hatten sich die Beschlüsse und Forderungen des Europarats zunächst vor allem auf den Schutz der Menschenrechte und Menschenrechtsbildung bezogen, so bildete der zweite Gipfel der Staats- und Regierungschefs 1997 eine Zäsur. Er formulierte als Bildungsziele "die Erziehung zum demokratischen Staatsbürgertum auf der Grundlage der Rechte und Pflichten der Bürger" sowie die Entwicklung einer "Teilnahme der Jugend am staatsbürgerlichen Leben in der Gesellschaft". Gleichzeitig wurde der Oberbegriff Education for Democratic Citizenship (EDC) gefunden, der sich durch den Zusatz "democratic" vom EU-Sprachgebrauch (siehe unten) absetzt und ein Signal sowohl für den Werterahmen als auch für die Politikbezogenheit dieser Bildung steht. Zwei Jahre später wurde dieser endgültig mit Menschenrechtsbildung (Human Rights Education) zusammengedacht: Das Ministerkomitee beschloss 1999 ein mehrjähriges Aktionsprogramm, mit dem "demokratische Bürgerschaft" (democratic citizenship) als Lernziel dezidiert auf der Grundlage "der Menschenrechte und fundamentaler Freiheiten" definiert wurde. Gleichzeitig wurde der Education for Democratic Citizenship eine Schlüsselrolle in allen bildungs-, trainings-, kultur- und jugendpolitischen Politiken und Praxen zugesprochen und damit "höchste Priorität" auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Politik des Europarats eingeräumt. In der Folge wurde das Aktionsprogramm verlängert (2001 bis 2004); im Jahr 2005 schloss sich daran das Europäische Jahr für Demokratieerziehung (European Year of Citizenship through Education) an.

In der Begründung des Europäischen Jahres hieß es: "EDC schließt im Besonderen Menschenrechtserziehung, Civic Education, Friedenserziehung und interkulturelles Lernen ein. Die Konzepte von Demokratisierung und Partizipation sind eng damit verbunden." Und obwohl sich die Arbeit des Europarats administrativ nach wie vor in die Bereiche "Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit" sowie "Demokratie" aufteilt, wurde in der Generaldirektion "Demokratie" eine neue Abteilung eingerichtet, die Division for Citizenship and Human Rights Education (EDC/HRE) heißt. Die jüngste aus einer Reihe von Europarats-Empfehlungen, die diesen Prozess begleiteten, ist die Europarats-Charta zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Diese definiert EDC als "alle Formen von Erziehung, Ausbildung, Bewusstseinsförderung und Information sowie Praktiken und Aktivitäten, die darauf abzielen, die Lernenden durch die Vermittlung von Wissen, Kompetenzen und Verständnis und durch die Entwicklung ihrer Einstellungen und ihres Verhaltens zu befähigen, ihre demokratischen Rechte und Pflichten in der Gesellschaft wahrzunehmen bzw. zu verteidigen, Diversität zu achten und im demokratischen Leben eine aktive Rolle zu übernehmen mit dem Ziel, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu fördern und zu bewahren".

Neben Empfehlungen und Kampagnen zur Förderung von EDC entwickelte der Europarat schrittweise die Erarbeitung von Indikatoren und Qualitätsstandards für einzelne Themenbereiche. Dafür wurde 2000 von den Bildungsministerinnen und -ministern ein Entwurf gemeinsamer Leitlinien verabschiedet. In der Folge gab es diverse Bemühungen, Ziele und Wege von EDC zu bestimmen, europaweite Qualitätsempfehlungen und Evaluationsmethoden zu erarbeiten und in diversen Trainingsprogrammen für Multiplikatoren umzusetzen: "Die Leistung des EDC-Projekts bestand darin, europaweit zustimmungsfähige Bezugskriterien und -prinzipien für Demokratie-Lernen geschaffen zu haben, die als gemeinsamer Nenner in formalen, nichtformalen und informellen Bildungsprozessen und Initiativen dienen können", stellte Karlheinz Dürr, Referatsleiter Europa an der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, damals fest.

Politische Bildung als Thema der EU

Auf EU-Ebene war Bildung lange Zeit kein Thema. Erst Anfang der 1990er Jahre, im Zuge einer breiten internationalen Diskussion um die Rolle von Bildung für die wirtschaftliche Entwicklung der Industriestaaten – verbunden mit dem Schlagwort vom "Lebenslangen Lernen" –, rückte das Thema verstärkt in den Fokus. Vom "Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung" der EU-Kommission (1995) über den sogenannten Delors-Bericht "Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum" der UNESCO (1996), die Mitteilung der EU-Kommission "Für ein Europa des Wissens" (1997), das "Memorandum über Lebenslanges Lernen" der EU-Kommission (2000) bis zur Kopenhagener Erklärung der EU-Bildungsminister (2002) wird die Querschnittsrelevanz formaler, nicht-formaler und informeller Bildung und damit europäischer Bildungspolitik begründet. Bereits im Programm, mit dem die Staats- und Regierungschefs 2000 den sogenannten Lissabon-Prozess einleiteten, wurde Bildungspolitik endgültig als Schlüsselpolitik definiert, um die EU bis 2010 zum "größten wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Raum in der Welt" zu entwickeln. Folgerichtig wurde im Rahmen der Lissabon-Strategie das Arbeitsprogramm "Allgemeine und berufliche Bildung 2010" aufgelegt. Mit ihm legte die EU nicht nur die Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten im Bildungsbereich fest, sondern in der Folge auch Bildungsziele und Indikatoren, um diese Ziele messen und vergleichen zu können.

Obwohl diese Entwicklung deutlich wirtschafts- und beschäftigungspolitisch motiviert ist, geht es nicht ausschließlich um wirtschaftlich verwertbare Qualifikationen. So wird etwa im "Memorandum über Lebenslanges Lernen" dargelegt, "dass die Förderung der aktiven Staatsbürgerschaft sowie der Beschäftigungsfähigkeit Ziele des lebenslangen Lernens sind, die beide gleichermaßen von Bedeutung und eng miteinander verknüpft sind". Der Begriff Citizenship findet sich seitdem in unterschiedlichen Varianten (Active Citizenship, European Citizenship) in allen Dokumenten und Förderprogrammen der EU als ein zentrales Ziel von Bildungsanstrengungen wieder und bietet bei aller Unschärfe zumindest Anknüpfungspunkte dafür, Bildung auch als Befähigung zur politischen Teilhabe zu verstehen.

Bekräftigt wurde dies durch die 2005 vom Rat der EU vorgeschlagenen "Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen". Zu diesen gehören interpersonelle, interkulturelle und soziale Kompetenz, Bürgerkompetenz und kulturelle Kompetenz. Deren Definition erhebt Kompetenzen, die politische Bildung befördert, zu Schlüsselkompetenzen: "Bürgerkompetenz rüstet den Einzelnen dafür, umfassend am staatsbürgerlichen Leben teilzunehmen, ausgehend von der Kenntnis der gesellschaftlichen und politischen Konzepte und Strukturen und der Verpflichtung zu einer aktiven und demokratischen Beteiligung." Inzwischen bilden die EU-Schlüsselkompetenzen die Basis verbindlicher bildungspolitischer Regelungen wie dem Europäischen Qualifikationsrahmen, mit dem ein Referenzrahmen für die europaweite Vergleichbarkeit von Kompetenzen geschaffen wurde.

Politische Bildung als Thema europäischer Jugendpolitik

Auch Jugendpolitik liegt laut Vertragswerk in der Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten. Aber ähnlich wie für die Bildungspolitik treten jugendpolitische Fragen mit den Überlegungen für eine europaweite Wachstumsstrategie in den Vordergrund. Meilenstein für die jugendpolitische Zusammenarbeit ist das "Weißbuch Jugend – Neuer Schwung für die Jugend Europas" (2001). Analog zur oben skizzierten bildungspolitischen Entwicklung wird darin die Förderung von Active Citizenship auch als jugendpolitisches Leitziel betont: "Eine der wichtigsten gegenwärtigen, aber auch zukünftigen Herausforderungen für unsere Gesellschaften besteht (…) in einer verstärkten Einbeziehung der Jugend in die lokale, nationale und europäische Gemeinschaft und in der Förderung einer aktiven Staatsbürgerschaft." Waren Völkerverständigung, Toleranz und Vielfalt allgemeine Ziele des Programms "Jugend für Europa", so bekam das Nachfolgeprogramm "Jugend in Aktion" eine deutlichere politische Ausrichtung: European Citizenship und Partizipation wurden zu Kernelementen des Programms wie auch aller jugendpolitischen Dokumente und Beschlüsse seit 2007. Zuletzt wurde mit der "EU-Jugendstrategie" eine systematische Umsetzung dieser jugendpolitischen Ziele auf nationaler Ebene etabliert.

Mit dem 2005 gegründeten Forschungsinstitut Center for Research on Lifelong Learning (CRELL) der Europäischen Kommission wurde der Begriff Citizenship systematisch befragt. Eingerichtet im Rahmen des Arbeitsprogramms "Allgemeine und berufliche Bildung 2010" der EU und beauftragt mit Forschung im Bereich des lebenslangen Lernens, richtete CRELL seine Aufmerksamkeit im Rahmen des Forschungsprojekts "Active Citizenship for Democracy" auf die Erforschung von Kriterien für das, was im Deutschen mal mit "Bürgerschaft", mal mit "Bürgersinn" übersetzt wird. In dem CRELL-Papier "Measuring Active Citizenship in Europe" wird Citizenship definiert als "Partizipation in der Zivilgesellschaft, Gemeinschaft und/oder dem politischen Leben, die charakterisiert ist durch gegenseitigen Respekt und Gewaltlosigkeit und in Übereinstimmung mit Menschenrechten und Demokratie".

Seitdem hält sich diese Definition, die allerdings in einer jüngeren Untersuchung von denselben Forscherinnen und Forschern in einer im Mai 2012 veröffentlichten Studie "Participatory Citizenship in the European Union" für den Begriff "Partizipatorische Bürgerschaft" angewendet wird. In einer parallel erstellten Studie des Eurydice-Netzwerks der EU-Kommission und der EU-Expertengruppe zur Erarbeitung von Indikatoren für Active Citizenship wurden Formen und Umfang einer Citizenship Education in europäischen Schulen untersucht. Die Autorinnen und Autoren dieser Studie zählen zu Citizenship Education Kenntnisse grundlegender Demokratiekonzepte, ein Verständnis von "Gesellschaft" sowie sozialen und politischen Bewegungen, des europäischen Integrationsprozesses und der Strukturen in der EU sowie der wichtigsten sozialen Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart. "Bürgerkompetenz" umfasst ihrer Ansicht nach auch die Fähigkeit zum kritischen Denken und zur Kommunikation, die Fähigkeit und Bereitschaft zur konstruktiven Teilhabe an Öffentlichkeit einschließlich der notwendigen Entscheidungsprozesse wie Wahlen. Darüber hinaus sollte ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen vermittelt werden, Respekt vor demokratischen Werten und Vielfalt sowie Einsicht in die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.

Verständnis und Stellenwert von dem, was man für Deutschland – je nach Position zumindest teilweise – als politische Bildung übersetzen kann, schreiten auf europäischer Ebene fort und werden zunehmend politikrelevant. Die zuletzt zitierten Untersuchungen sind ein Beispiel dafür, wie sich das Thema als Querschnittsthema entwickelt: So etablierten Europarat und EU mit der Einrichtung von CRELL eine Partnerschaft, die den Bereich der Citizenship Education im Feld zwischen Jugend- und Bildungspolitik unterstützt (Council of Europe & European Commission Youth Research Partnership). Unter anderem durch die Erarbeitung von Indikatoren arbeiten beide Organisationen auch gemeinsam an der Umsetzung der oben genannten Charta für Bildung für demokratische Bürgerschaft und Menschenrechtserziehung, die im Mai 2010 von allen EU-Staaten angenommen wurde. Außerdem führt die zunehmende Zusammenarbeit in Sachen Education for (Democratic) Citizenship dazu, dass sich die noch getrennten Forschungs-, Praxis- und Denkbereiche außerschulische und schulische beziehungsweise formale und nicht-formale Bildung analog zu den Politikbereichen Bildung und Jugend annähern.

Relevanz europäischen Engagements

Politische Bildung führt auf europäischer Ebene also keineswegs ein politisches Schattendasein. Sie wird gleich durch mehrere europäische Förderprogramme direkt unterstützt (wie etwa "Grundtvig", "Europa für Bürgerinnen und Bürger", "Jugend in Aktion", "Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte", "Grundrechte und Unionsbürgerschaft"). Sie spielt eine teilweise herausgehobene Rolle in den bildungs- und jugendpolitischen Diskussionen und wird immer wieder als Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt und für eine zukunftsweisende, demokratische Gestaltung von Politik und Gesellschaft gewertet. Daher werden auch von den Mitgliedstaaten mehr Anstrengungen für politische Bildung innerhalb und außerhalb der Schule sowie in der Erwachsenenbildung gefordert. Daneben haben die allgemeinen bildungs- und jugendpolitischen Entwicklungen in Europa erheblichen Einfluss auf die nationale Politik, auch auf jene, die politische Bildung in Deutschland betrifft. Bildungspolitische Veränderungen wie der Bologna-Prozess der Hochschulen, die Erstellung eines Nationalen Qualifikationsrahmens oder die Anerkennung nicht-formalen und informellen Lernens sind der europäischen Politikentwicklung geschuldet. Jugendpolitische Entwicklungen wie die Förderung eines sogenannten Strukturierten Dialogs zwischen Jugend und Politik oder die Erarbeitung einer "Eigenständigen Jugendpolitik" sind nicht zuletzt Folgen der jugendpolitischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene.

Es gäbe also viele Gründe, warum sich die organisierte politische Bildung in Deutschland und Europa vernetzen, in die Diskussion und die Politik einmischen sollte. Ob es um die Ausgestaltung von Förderprogrammen geht, um die Definitionsmacht über Begrifflichkeiten oder die Folgen bildungs- und jugendpolitischer Entscheidungen für die politische Bildung – man fände ausreichend Herausforderungen für eine entsprechende Lobbyarbeit. Überraschenderweise aber ist sie recht verhalten. Zwar werden Entscheidungen und Forderungen von EU und Europarat vor allem in den sogenannten Transformations- und Reformstaaten genutzt, um auf nationaler Ebene Themen zu setzen oder Standards einzuklagen. Aber für eine Einflussnahme auf europäischer Ebene gibt es nur wenige Zusammenschlüsse, die sich genuin für politische Bildung engagieren. Die drei größten Netzwerke, an denen auch deutsche Träger beteiligt sind, sind das Human Rights Education Youth Network (HREYN), das Networking European Citizenship in Europe (NECE) und Democracy and Human Rights Education in Europe (DARE).

Das Human Rights Education Youth Network betreibt Lobbyarbeit für Menschenrechtsbildung mit jungen Menschen. Es setzt dafür Öffentlichkeitsarbeit, Kampagnen und Bildungsangebote ein. Es arbeitet eng mit dem Europarat zusammen und hat in diesem Rahmen auch Handreichungen (zum Beispiel zu innovativen Ansätzen und Methoden) veröffentlicht.

Ziel von NECE, einer Initiative der Bundeszentrale für politische Bildung, ist es, die "Europäisierung" politischer Bildung (beziehungsweise Citizenship Education) voranzutreiben und eine europäische Öffentlichkeit herzustellen. Zu diesem Zweck veranstaltet NECE Konferenzen und Workshops, gibt einen Newsletter heraus und hat eine Datenbank eingerichtet, in der Projektpartner sowie Expertinnen und Experten in ganz Europa zu finden sind. Aus politischen Debatten aber hält sich das Netzwerk, das ein loser Zusammenschluss von wechselnden Partnern ist, heraus.

Mitgründer des Netzwerks DARE ist der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB). DARE hat 51 Mitgliedsorganisationen aus 26 Ländern in Europa, gibt ebenfalls einen Newsletter sowie andere Publikationen heraus und organisiert gemeinsame europäische Projekte. Als Nichtregierungsorganisation will DARE das Profil von Education for Democratic Citizenship und Human Rights Education in Europa schärfen und deren Qualität durch transnationale Kooperation vor allem im Forschungsbereich erhöhen. Als Lobbyorganisation wirbt DARE für mehr Anerkennung dieses formalen und nicht-formalen Bildungsfeldes und versucht auf diese Weise die strukturelle wie finanzielle Lage vor allem der nichtstaatlichen Träger politischer Bildung zu verbessern. In diesem Sinne mischt sich DARE mittels Forschungs- oder Modellprojekten, Empfehlungen und Konsultationsbeiträgen politisch ein.

Schon diese Liste der unter Fachfremden wahrscheinlich wenig bekannten Netzwerke verdeutlicht, dass eine europaweite Zusammenarbeit auf dem Gebiet politischer Bildung nach wie vor etwas für Spezialisten ist. Dabei gäbe es genug zu tun, denkt man an das Verständnis von Politik und die Notwendigkeit von politischer Bildung im internationalen Maßstab, an die gegenwärtige Diskussion um die neue Generation der Förderprogramme der EU oder an den Einfluss der EU-Jugendstrategie auf die nationale Politik. Die schulische und außerschulische politische Bildung in Deutschland hat viel Erfahrung und eigene Positionen einzubringen – sie sollte es deutlicher tun.

Dr. phil.; Erziehungswissenschaftlerin, Publizistin, Projektmanagerin und Dozentin, tätig in der Jugend- und Erwachsenenbildung sowie in Lehre und Fortbildung; Expertise & Kommunikation für Bildung, Heymannplatz 9, 45131 Essen. Externer Link: http://www.helle-becker.de E-Mail Link: projekte@helle-becker.de