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Schutz von Freiheit, Sicherheit und Recht? Frontex und die europäischen Außengrenzen

Oliver Gerson

/ 14 Minuten zu lesen

Um den unregulierten Flüchtlingswanderungen nach Europa wirksam zu begegnen, schuf die EU 2004/2005 die Grenzschutzagentur Frontex. Sie operiert in einem Bereich, in dem mehrere Rechtsregime aufeinandertreffen.

Die Wahrung der inneren Sicherheit gehört zu den Kernaufgaben der europäischen Friedenspolitik. Gleichzeitig stellen der weitgehende Verzicht auf Grenzkontrollen, Schlagbäume und Zollschranken innerhalb der Europäischen Union sowie die Ausweitung der Grundfreiheiten das Sinnbild europäischer Einigungs- und Harmonisierungsbestrebungen dar. Während der Abbau von Hindernissen im Innern vor allem dem Binnenmarkt zu immer weiterer Effizienz verhilft, schirmt sich die Union nach außen hin umso vehementer ab. Der "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", dessen Verwirklichung in den europäischen Verträgen als zentrales Ziel verankert ist, soll zwar jede Unionsbürgerin und jeden Unionsbürger schützen, die oder der sich innerhalb des Rechtsraumes befindet – auf die Menschen unmittelbar vor den Außengrenzen erstreckt sich dieser Schutz allerdings nicht.

Die Sicherung der Außengrenzen der Union gestaltet sich heikel, da durch die Erweiterung der EU zwangsläufig äußere Krisen näher herangerückt sind. Bewaffnete Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und in großen Teilen Afrikas haben zu den größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Die dadurch auftretende Problematik – "Flüchtlingsschutz versus Grenzschutz" – zeigt sich derzeit vor allem an den Seegrenzen, insbesondere im Mittelmeer. Da sich der "illegale" und damit unregulierte Weg über die Ufer der Mittelmeeranrainer der staatlichen Zugriffsmöglichkeiten weitgehend entzieht, schuf die EU bereits 2004/2005 die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, kurz Frontex. Die Agentur mit Sitz in Warschau koordiniert die Sicherheit an den europäischen Außengrenzen und hat weitreichende Eingriffsbefugnisse, um illegale (beziehungsweise unerwünschte) Einreisen in die Union zu verhindern.

Mit der Zunahme der Flüchtlingswanderungen nach Europa sind in den vergangenen Jahren die Methoden von Frontex verstärkt in die Kritik geraten. So sollen die Grenzschützer Flüchtlingsboote abgedrängt und internationale Standards des Völkerrechts verletzt haben. Schon die rechtlichen Rahmenbedingungen werfen Fragen auf. Da Effektivität und Legitimität des Grenzschutzes durch die Gemeinschaftsagentur Frontex maßgeblich von ihrer rechtsstaatlichen und menschenrechtskonformen Arbeitsweise abhängen, sollen diese Zusammenhänge im Folgenden näher erläutert werden.

Ressourcen und Operationen

Was leistet Frontex? Frontex arbeitet zu Wasser, zu Land und in der Luft, bildet Task Forces und verwaltet großflächige, langfristig angelegte Einsätze zur Sicherung der Außengrenzen. Die Agentur soll die operative Zusammenarbeit der EU-Staaten im Bereich des Außengrenzschutzes der Union koordinieren und sie bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten einschließlich der Festlegung gemeinsamer Ausbildungsstandards unterstützen. Sie hilft insbesondere dann, wenn die beteiligten Staaten alleine überfordert oder überlastet wären. Durch die Bereitstellung von Soforteinsatzteams (Rapid Border Intervention Teams, RABITs) gehen Operationen zielgenau und rasch vonstatten. Eine weitere Aufgabe besteht in der Unterstützung der EU-Staaten bei der Organisation der Rückführung von irregulär eingereisten Migranten.

Das Budget der Agentur fließt aus Geldquellen des EU-Haushalts, aus Beiträgen der Schengen-Mitgliedsstaaten (zu denen auch die Nicht-EU-Mitglieder Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein gehören) sowie aus Beiträgen Irlands und des Vereinigten Königreichs, die zwar der EU, nicht aber dem Schengenraum angehören. Seit der Gründung der Agentur wurde das Budget mehrfach erhöht, mittlerweile beträgt es rund 114 Millionen Euro. Frontex beschäftigt etwa 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Leitung unterliegt einem Verwaltungsrat, in dem alle beteiligten Staaten und die EU-Kommission vertreten sind. Der Zuständigkeitsbereich der Agentur erstreckt sich auf die 28 EU-Mitgliedsstaaten und die im Rahmen der Schengenerweiterung hinzugefügten Länder. Die rechtliche Grundlage für die intensive Überwachung der Außengrenzen des Schengenraums bildet der sogenannte Schengener Grenzkodex (EU-Verordnung 562/206).

Der Blick auf einige Frontex-Operationen ist geeignet, einen exemplarischen Eindruck der bisherigen Einsatzgebiete beziehungsweise -schwerpunkte zu vermitteln: Unter dem Namen "Hera" firmierten ab Sommer 2006 zwei der ersten bedeutenden Operationen, die der Bekämpfung illegaler Einwanderung aus Nordwestafrika auf die Kanarischen Inseln galten. Durch Unterstützung bei der Identifizierung von Menschen ohne gültige Legitimationspapiere wurde es den spanischen Behörden in wenigen Monaten ermöglicht, über 6000 Immigranten zurückzuführen; Seepatrouillen bewirkten zudem, dass sich der "Strom irregulärer Migration drastisch reduzierte". Die Operation "Hermes" ab Frühjahr 2011 konzentrierte sich dagegen auf den Einsatz nahe der italienischen Mittelmeerinseln, um irreguläre Zuwanderungsbewegungen aus Tunesien, Libyen und Algerien zu unterbinden.

Eine weitere, noch nicht abgeschlossene Operation zur Grenzsicherung im Mittelmeer ist "Triton". Sie knüpft an die im Oktober 2014 eingestellte Mission "Mare Nostrum" der italienischen Marine und Küstenwache an, die vor allem der Seenotrettung von Flüchtlingen galt. Während "Mare Nostrum", durch das weit über 100000 Menschen gerettet werden konnten, monatlich neun Millionen Euro kostete, wurden für "Triton" zunächst nur drei Millionen Euro eingeplant. Zudem verschob sich der Fokus im Wesentlichen wieder auf die Grenzsicherung. Die im Auftrag von Frontex patrouillierenden Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber sind daher primär für den küstennahen Einsatz vorgesehen. Erst nach der bislang schlimmsten Flüchtlingskatastrophe am 19. April 2015, bei der über 800 Menschen im Mittelmeer vor Libyen zu Tode kamen, wurden der Seenotrettung erneut größere Priorität eingeräumt und die Mittel für "Triton" auf rund neun Millionen Euro angehoben, ohne dabei jedoch den Aktionsradius der Operation auszuweiten.

Frontex in der europäischen Sicherheitsarchitektur

Frontex stellt nur eines von vielen Instrumenten des Außengrenzschutzes dar, ist aufgrund seiner spektakulären Einsätze jedoch vermehrt in den Fokus von Medien und Öffentlichkeit gerückt. Ihre exakte Verortung innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur bleibt gleichwohl schwierig. Die Agentur könnte zunächst als "kleine Schwester" der europäischen Polizeibehörde Europol bezeichnet werden.

Gemeinsam ist beiden, dass sie nicht vornehmlich exekutiv tätig werden, sondern die Aktivitäten der nationalen Sicherheitsbehörden koordinieren und unterstützen. Dennoch hinkt der direkte Vergleich, da beide Einrichtungen strukturell unterschiedlich verankert sind. Während Frontex als Gemeinschaftsagentur mit eigener Rechtspersönlichkeit und als Instrument des Außenrechtsschutzes im früheren Drei-Säulen-Modell der EU der ersten Säule (Europäische Gemeinschaften) zuzuordnen war, gehörte Europol zur dritten Säule (Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen).

Frontex fiel damit von jeher in den Bereich europäischer Kompetenzen, die bereits am weitesten angeglichen waren. Das bedeutet, dass sie einem Zuständigkeitsfeld zufiel, auf den die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft bereits sehr weitreichende Kompetenzen überantwortet hatten. Zwar wurde das Säulenmodell mit dem Vertrag von Lissabon 2009 hinfällig, da mit der Etablierung der EU als Rechtsperson eine Überantwortung eines Großteils nationalstaatlicher Souveränität an die (quasi) supranationale Europäische Union einherging. Dennoch setzte sich der unterschiedliche "Integrationswille" der Nationalstaaten in manchen Regelungsbereichen fort. So blieb die Entwicklung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, die seit jeher als eine Art "souveränitätsfester Kern" der Nationalstaaten angesehen wird, auch im Vertrag von Lissabon hinter den anderen Kompetenzbereichen zurück.

Das erleichtert die Einordnung allerdings nur bedingt. Die Gemeinschaftsagenturen des alten Säulenmodells "sprengen" nämlich den herkömmlichen Rahmen europäischer Sicherheitsarchitektur, sobald ihnen operative Maßnahmen übertragen werden. Frontex wurde ein solch umfassender Kooperationsauftrag erteilt. Die Grenzschützer sind angehalten, alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um den Austausch von bedeutsamen Informationen mit der Kommission und den Mitgliedsstaaten zu fördern. Frontex soll zudem Synergieeffekte mit Europol und den einschlägigen internationalen Organisationen nutzen und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten anstreben. Das Zusammenwirken von Frontex mit Europol – etwa auf den Gebieten der Sammlung, Auswertung und Nutzung von Daten – ist dabei ausdrücklich erwünscht. Diese horizontale Verstärkung firmiert unter dem Schlagwort "Informationsvernetzung". Die Erweiterung der genuinen Zugriffsrechte auf Datenbanken fand ihren bisherigen Höhepunkt in der Entwicklung des Europäischen Grenzüberwachungssystems Eurosur.

Dies bedeutet: Die Zuteilung der an sich ähnlichen, Behörden/Agenturen Europol und Frontex unterscheidet sich deshalb so stark, weil sie völlig verschiedenen "Kompetenztöpfen" der identischen Regelungsmaterie angehören. Beide sollen die Sicherheit schützen und nationale Behörden unterstützen. Außengrenzschutz ist allerdings per se eine Angelegenheit der Union. Der Schutz der inneren Grenzen bleibt als souveränitätsfester Kern dagegen traditionell "näher" bei den Nationalstaaten. Die "kleine Schwester" Frontex hat somit faktisch mehr Einfluss als die Schutzbehörden des Innengrenzschutzes, da im bereits vertieften supranationalen Außengrenzschutz der regulierende Einfluss der Nationalstaaten vergleichsweise gering ist.

Kritik

Frontex ist jedoch nicht nur aufgrund ihrer institutionellen Verfasstheit, sondern auch und vielmehr wegen ihrer Praktiken in die Kritik geraten. Allem voran wurden die sogenannten push-backs kritisiert, bei denen Flüchtlinge, die sich bereits in unmittelbarer Grenznähe befanden, mitsamt ihrer Boote zurückgedrängt wurden. Diese Praktik, auch "heiße Abschiebung" genannt, missachtet europäische- und völkerrechtliche Mindeststandards und kann in der Regel als Verletzung des Non-Refoulement-Prinzips gewertet werden. Dieser Grundsatz besagt, dass Individuen nicht in solche Staaten abgeschoben werden dürfen, in denen ihnen Folter oder vergleichbare schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Diese Prämisse stellt einen Nukleus des humanitären Umgangs mit Flüchtlingen dar und ist unter anderem in Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 normiert. Mithin ist es keinem Staat erlaubt, einen Flüchtling in ein solches Land zurückzuschicken, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner "Rasse", Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gefährdet sind. Gleiches gilt, wenn die Gefahr besteht, nach der Rückkehr im Heimatland gefoltert zu werden (Artikel 3 der UN-Antifolterkonvention). Der Grundsatz findet sich ebenso in der Europäischen Menschenrechtskonvention, dort abgeleitet aus dem Recht auf Leben (Artikel 2) und dem Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Artikel 3).

Nach dem Bekanntwerden mehrerer push-backs und deren Bestätigung durch Frontex brachte das EU-Parlament Anfang 2014 strengere Regeln für den Umgang mit Flüchtlingsbooten auf den Weg. Weiteren Anlass für eine Neuregelung boten darüber hinaus das schwere Flüchtlingsunglück vor der italienischen Insel Lampedusa im Oktober 2013, bei dem über 350 Flüchtlinge ertranken, sowie ein inzwischen ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das die rechtliche Grundlage der Überwachungspraxis der EU-Seeaußengrenzen in der bis dato angewandten Form für nichtig erklärte. Verboten ist es nunmehr, Boote bewusst abzudrängen, oder durch intendierte Manöver eine Umkehr zu erwirken. Fischer, die in Seenot geratene Flüchtlinge retten, müssen nicht mehr mit einer Strafverfolgung rechnen. Und während die Rettungseinsätze zuvor auf bloßer Freiwilligkeit basierten, wurde die Pflicht zur Hilfe nunmehr auf die Agentur selbst übertragen. Während der Grenzschutzoperationen hat Frontex daher die Pflicht, besonders schutzbedürftige Personen (zum Beispiel Opfer von Menschenhandel oder unbegleitete Minderjährige) gesondert herauszulesen und sie in ihren bestehenden Rechten, im Zweifel unter Hinzuziehung von Dolmetschern und Rechtsbeiständen, zu unterweisen.

Für eine Bewertung der Frontex-Operationen hat man sich zusätzlich die Situation in vielen Transitstaaten zu vergegenwärtigen: "Aufgrund der fehlenden Durchlässigkeit der Grenzen durch die operative Arbeit von Frontex 'stranden' zahlreiche Flüchtlinge vor den Außengrenzen der EU." Diese Ansammlung von kurz vor dem ersehnten Ziel "Gestrandeten" erleichtert es Kriminellen, aus der Verzweiflung der Menschen Profit zu schlagen. Dabei agieren Schleuser nur selten in ausdifferenzierten Strukturen organisierter Kriminalität. Für viele ärmere Fischer der Mittelmeeranrainerstaaten, die mithilfe ihrer Boote das erforderliche Transportmittel bieten können, hat sich der Menschenschmuggel zu einem erklecklichen Zubrot entwickelt. Darüber hinaus ist der Blick auf die Flüchtlinge zu richten, die es auf europäisches Hoheitsgebiet geschafft haben. Erreichen sie das europäische Festland, werden sie in Auffanglagern kaserniert, bis ihre Identität und/oder ihr Herkunftsstaat festgestellt sind. Die Zustände in den Sammellagern sind zum Teil bedenklich. Zudem ist nicht gesichert, dass die Einreiseersuche der Flüchtlinge ausreichend geprüft werden.

Rechtsfreier Raum?

Welchen Schutz genießen Flüchtlinge? Die gesamte Problematik um Grenzschutz und das Aufgreifen von Flüchtlingen auf dem Meer spielt sich in einem Bereich ab, in dem zahlreiche Rechtsregime aufeinandertreffen. Welcher Schutz den Betroffenen dabei tatsächlich gewährt werden kann und sollte, ist nicht einfach zu beantworten. Zum Einflussbereich der Operation "Triton" erklärte Italiens Innenminister Angelino Alfano im Januar 2015: "30 Seemeilen vor der italienischen Küste endet Europa, bis dahin helfen wir. Dahinter befinden sich die internationalen Gewässer und dort gilt das internationale Seerecht."

Zwar ist diese Aussage so nicht ganz richtig, der Grundkonflikt wird dabei aber anschaulich skizziert. Verschiedene Rechtsmassen des Völkerrechts (zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention, das Internationale Seerecht und die Genfer Konventionen) und des Europarechts (Unionsrecht wie die EU-Grundrechtecharta und Sekundärrechtsakte) "streiten" um den Anwendung- und Geltungsvorrang im Herrschaftsgebiet. Dazu muss man verstehen, dass sich das anzuwendende Recht vornehmlich (wenn auch nicht ausschließlich), nach dem Einsatzgebiet richtet. Helfen Vollzugsbeamte aus europäischen Nachbarländern ihren Kollegen, verbleiben sie bei ihrem Einsatz gleichwohl Abgesandte ihres eigenen Staates. Demzufolge wird ihr Handeln grundsätzlich anhand der Regeln des Staates gemessen, in dem sie ihre "Amtshilfe" leisten. Unterstützend gelten auf dem Festland zudem uneingeschränkt die europäischen Grundrechte. Das ist bereits in Artikel 51 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union normiert. Zugleich umfasst die Territorialhoheit die prinzipielle Freiheit der Staaten zur Regelung des Gebietszugangs von Ausländern.

Dabei besitzen lediglich eigene Staatsangehörige ein Menschenrecht auf Rückkehr in ihren Heimatstaat. Für Drittstaatsangehörige hingegen besteht kein Einreiserecht. Die personelle und territoriale Ferne der Flüchtlinge zu Europa bedeutet allerdings nicht, dass Drittstaatsangehörigen gegenüber europäischen Grenzpolizisten und Konsularbeamten überhaupt keine Rechte zustehen. Selbstverständlich sind Grenzpolizisten zur Einhaltung von Mindeststandards verpflichtet, weshalb sie innerhalb und außerhalb von Frontex-Operationen angehalten sind, das internationale Flüchtlingsrecht sowie die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderer Verträge zum Rückführungsverbot zu beachten. Bei Grenzkontrollen auf Hoher See greifen darüber hinaus die Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten aus dem internationalen Seerecht. Selbst wenn das "Ob" der Bindung der Grenzpolizisten an Grund- und Menschenrechte nicht bestritten werden kann, treten weitere Probleme gerade dann auf, wenn Frontex außerhalb des europäischen Herrschaftsgebiets agiert.

Doch selbst wenn sich das Betätigungsfeld der Operation außerhalb des Territoriums der EU befindet, kann sich die handelnde Behörde nicht aus der Verantwortung winden. Es existiert eine "extraterritoriale Wirkung" von Grund- und Menschenrechten. Extraterritorialität meint hierbei, dass Staaten bestimmte Rechte auch außerhalb ihres Staatsgebietes achten, schützen und gewährleisten müssen. Zur Begründung werden nicht nur die UN-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte herangezogen, deren Geltungsanspruch universell und unabhängig von Staatsgebieten ist. Die grundsätzliche extraterritoriale Wirkung von Menschenrechten wird darüber hinaus durch eine Vielzahl gerichtlicher und nicht-gouvernementaler Entscheidungen bekräftigt: Sowohl Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) als auch Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses nach dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte legen dar, dass die über das eigene Staatsgebiet hinauswirkende Hoheitsgewalt an Grund- und Menschenrechte gebunden ist. Die genannten menschenrechtlichen Abkommen werden darüber hinaus durch die ebenfalls bestehende extraterritoriale Anwendbarkeit der Grundrechtecharta der Europäischen Union ergänzt. Mithin liegt also alles andere als ein "rechtsfreier" Raum vor. Stattdessen überlagern sich zahlreiche Verbürgungen und potenzieren sich zum Teil gegenseitig.

Die europäischen Grenzschutzorgane, allen voran Frontex, sind demnach an Grund-, Menschen- und Flüchtlingsrechte gebunden. Daran ändert auch die räumliche Verschiebung der Operationen außerhalb des europäischen Hoheitsgebietes nichts. Tatsächlich findet sogar eine wechselseitige Befruchtung der Rechtsregime statt, die Interlegalität (also die Verschachtelung der verschiedenen Rechtsverbürgungen) fächert sich in eine gegenseitige Verschränkung auf. Somit entsteht – zumindest theoretisch – ein lückenloser Schutzraum für alle Personen und an allen Orten, an denen europäische Herrschaftsgewalt ausgeübt wird. Demzufolge sind die Operationen unter der Leitung von Frontex vollumfänglich an den in Europa geltenden menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Maßstäben zu messen.

Fazit

Eine enge Zusammenarbeit an den europäischen Außengrenzen ist zwingend notwendig, um die Sicherheit auf dem Kontinent zu gewährleisten. Jedoch sollten hierfür klarere Regeln aufgestellt beziehungsweise explizite Vorschriften formuliert werden, die die Vollzugsbehörden strenger an bestehende Menschenrechtsstandards binden. Flucht und Asyl nach Europa müssen möglich sein und dürfen nicht an unüberwindbaren rechtlichen oder faktischen Hindernissen scheitern.

Frontex erledigt nur zum Teil "saubere Arbeit". Bedenklich am Gesamtprozedere ist vor allem, dass viel Aufwand und große Geldmittel hauptsächlich in die Abwehr von Flüchtlingen investiert werden. Läge die Priorität weniger auf der Bekämpfung des Symptoms Zuwanderung und stattdessen mehr auf der Bekämpfung der Ursachen (also der Konfliktherde in den Fluchtländern), wäre der Zustrom Hilfesuchender langfristig geringer. Insbesondere sollte es jedoch nicht dazu kommen, dass der Kontinent Europa durch verworrene Rechtsregime und grenzlegale Operationen zur "Festung Europa" verbarrikadiert wird. An diesem Bild hat Frontex jedoch lange durch undurchsichtige Öffentlichkeitsarbeit und Selbstmystifizierung aktiv mitgewirkt.

Dipl.-jur., geb. 1990; Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Wirtschaftsstrafrecht der Universität Passau, Forschungsstelle Menschenrechte im Strafverfahren (Human Rights in Criminal Proceedings, HRCP), Prof. Dr. Robert Esser, Innstraße 40, 94032 Passau. E-Mail Link: oliver.gerson@uni-passau.de