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Vom Unheil und Segen einer Affäre | Parteispendenaffäre | bpb.de

Parteispendenaffäre Editorial  Vom Unheil und Segen einer Affäre Durchsichtige Taschen oder schwarze Koffer? Parteienfinanzierung in der Bewährung Parteispenden in der Krise? Strukturprobleme des Parteienstaates

Vom Unheil und Segen einer Affäre

Kurt Sontheimer

/ 10 Minuten zu lesen

In der Spendenaffäre spielt die öffentliche Moral eine außerordentliche Rolle. Durch eine abgewogene politische Vernunft in der Politik muss sie eine Korrektur erfahren.

Einleitung

Die Parteispendenaffäre, die mitten im Übergang ins neue Millennium die Politik der Bundesrepublik und insbesondere ihre große konservative Volkspartei CDU erschüttert hat, ist eigentlich einem Zufall zu verdanken. Ohne die laufende Bemühung der Augsburger Staatsanwaltschaft, die finanziellen Machenschaften inklusive eventueller Steuerhinterziehungen des jetzt in Kanada nur für die Medien greifbaren bayerischen Waffenhändlers Karlheinz Schreiber aufzuklären, könnte das sogenannte "System Kohl" wahrscheinlich unentdeckt bis heute weiter funktionieren, so wie es jahrelang der Fall war. So aber wurde durch die in Augsburg vernommenen Herren Walther Leisler Kiep als ehemaligen Schatzmeister der CDU und Herrn Weyrauch als den für die Abwicklung von Geldgeschäften der Partei zuständigen Wirtschaftsprüfer und deren Bekenntnis, von jenem Herrn Schreiber eine Spende von 1 000 000 DM in bar in einem Schweizer Grenzort in Empfang genommen zu haben, die im Rechenschaftsbericht der CDU nirgendwo auftauchten, eine Lawine ausgelöst, die ungeheuere, bis dahin nicht für vorstellbar gehaltene Wirkungen für die CDU, ihr politisches Führungspersonal, aber auch für das politische Parteiensystem insgesamt gehabt hat und auch weiterhin zeitigen wird.

Der Parteispendenskandal mag aus späterer Sicht stark relativiert und in die "Normalität" einer bundesdeutschen Skandalchronik eingeordnet werden, der man auch positive Seiten für die Vitalität unserer Demokratie abgewinnen kann, doch so wie er sich in den Medien entwickelte und über Monate hin zum beherrschenden Thema der deutschen Politik wurde, kann man jedenfalls gut nachempfinden, dass viele Beteiligte und Beobachter ihn zum dramatischsten und kritischsten Ereignis der 50-jährigen Bundesrepublik erklärten und entsprechend hochstilisierten. Von einer Krise der CDU, die der Spendenskandal unbestreitbar ist, ging es ohne innezuhalten, weiter zur Krise des deutschen Parteienstaates, dann zur Staatskrise und sogar zur Krise der Demokratie. Das wird sich mit der Zeit gewiss zurechtrücken, aber es ist bezeichnend für die mangelnde Festigkeit und Selbstsicherheit unserer politischen Kultur, dass solche Zuspitzungen und Übertreibungen die Debatte beherrschten.

In der Parteispendenaffäre kam es zu einem in diesem Ausmaß überraschenden Triumph der Moral über die Politik. Die Entdeckung schwarzer Kassen und Konten bei der CDU, die sukzessive Aufdeckung der verschlungenen Wege, die von findigen Finanzjongleuren der Partei ersonnen worden waren, um Millionen, die im Rechenschaftsbericht nicht auftauchten, außerhalb der Legalität der Partei zugute kommen zu lassen, schließlich das Geständnis des Bundeskanzlers Kohl selbst, sich im Interesse seiner Partei - was ausschließlich als sein eigenes Machtinteresse gedeutet wurde - solcher Kassen bedient zu haben, gepaart mit seiner beharrlichen Weigerung, auch gegenüber seiner eigenen Partei, die Namen der Spender dieser Gelder zu offenbaren - all dies hat, unterstützt durch immer neue zutage geförderte Begleitumstände, ein öffentliches Klima erzeugt, das die Spendenaffäre für die CDU und ihre Parteivorsitzenden Kohl und Schäuble zu einem ungeheuerlichen, unverzeihlichen, nur durch Buße und Erneuerung zu überwindenden Sündenfall anschwellen ließ.

Die Moral und die moralische Empörung in der Öffentlichkeit hatten zunächst das Recht auf ihrer Seite. Die Parteispenden konnten ein Skandal genannt werden, weil sie vorsätzlich gegen die Bestimmungen des Parteiengesetzes und damit gegen Recht und Verfassung verstießen. Was die Moralisten der öffentlichen Meinungsbildung aus der Affäre herausholten, war jedoch nichts weniger als ein die Verführbarkeit durch den Mammon und die Fehlerhaftigkeit von Menschen völlig missachtendes, unerbittliches und radikales Verdammungsurteil. Die öffentliche Empörung zwang einerseits die CDU-Führung zu ständigen Bekenntnissen, alles "rückhaltslos" und "brutalstmöglich" (R. Koch) aufklären zu wollen, obwohl es doch auch in ihrem Interesse sein musste, den Schaden in Grenzen zu halten, wie die Vorgänge in Hessen zeigen, und sie verlieh andererseits der öffentlichen Diskussion einen Hang zum Grundsätzlichen und Überheblichen, der über alle politische und menschliche Lebenserfahrung weit hinausging. Nichts blieb am Ende von der Krise verschont außer dem angeblich so braven, gesetzestreuen Bürger und dem von den Politikern so schnöde betrogenen Volke, aus dem dann auch, da alles andere mehr oder weniger korrupt zu sein schien, das politische Heil für unser anscheinend so schwer beschädigtes politisches System hervorgehen sollte.

Es war dieser Triumph der Moral, zu dem auch die in der Politik sonst kaum so einhellig zusammenwirkenden Medien nach ihren ständig wachsenden Kräften beitrugen, der die Spendenaffäre zu einem historisch bedeutsamen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik aufgeschaukelt hat, dessen Spuren sich nicht so bald verwischen werden. Ein politischer Abschnitt, den man das "System Kohl" zu nennen beliebt und der sich nicht allein auf die CDU beschränkt, sondern auch Wirtschaft und Gesellschaft durchdrungen haben soll, sei, so behauptet man, an sein Ende gekommen. Zweifel an diesen raschen und weitreichenden Urteilen sind wahrlich geboten, insbesondere Zweifel daran, ob eine Moral, die von Politikern, denen es bekanntermaßen auch um die Gewinnung und Erhaltung der Macht zu tun sein muss, ein weitaus makelloseres Verhalten erwartet als von den Bürgern allgemein, der allein gültige Maßstab für die Beurteilung der Affäre sein kann. Macht und Moral, wir wissen es seit jeher, stehen in einem Spannungsverhältnis, das sich nicht ohne weiteres ignorieren und zugunsten der Moral aufheben lässt.

Der Parteispendenskandal hat mit Recht vor allem die CDU getroffen und sie zu einer außerordentlichen Anstrengung getrieben, die finanziellen Machenschaften außerhalb der Legalität des Parteiengesetzes aufzuklären, ja sogar ihre Führungsmannschaft auszuwechseln, um wieder frei zu werden für ihre eigentlichen politischen Aufgaben und für die dafür notwendige Wiedergewinnung der politischen Glaubwürdigkeit. Was sich dabei abspielte, war für eine politische Partei dieser Tradition und Größenordnung in der Tat ein ungewöhnlicher Vorgang. Er hat sogar zum Rücktritt des allseits respektierten Nachfolgers von Kohl im Parteivorsitz und an der Spitze der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, geführt, weil die vom Triumph der Moral über die Macht ausgehenden Wirkungen so radikal waren, dass sie selbst die kleinen Ungereimtheiten im Verhalten des führenden Mannes der CDU nicht ungesühnt lassen wollten.

Natürlich lag es nahe, dass die CDU nicht müde wurde, zu ihrer Entlastung die gleichzeitig publik gewordene Affäre mit dem Flugdienst für die SPD-Regierung im Lande Nordrhein-Westfalen auszunutzen, um auch die andere Volkspartei, einschließlich des neuen Bundespräsidenten, an den Pranger zu stellen. Auch wenn es sich um eine Angelegenheit weitaus geringerer und völlig andersartiger Dimension handelte, so gelang es mit Hilfe der Presse doch, die Parteispendenaffäre der CDU mit der Flugdienstaffäre der SPD in der Öffentlichkeit zu verquicken und den bösen Schatten der unmoralischen Parteiwirtschaft auf das ganze Parteiensystem zu werfen. Sind die politischen Parteien, so die Schlussfolgerung für eine emotional leicht beeinflussbare Öffentlichkeit, nicht alle korrupt, die eine mehr, die andere weniger?

Aus der Krise der CDU wurden in der erregten Debatte unrealistische Schlussfolgerungen gezogen, die sogar darauf hinausliefen, aus der durch das Verhalten einiger weniger Führungsfiguren kompromittierten Partei eine ganz neue CDU hervorgehen zu lassen. Aus einer autoritär geführten, von der alten Generation gegängelten Partei sollte nun endlich eine demokratische politische Kraft werden; aber es ist schwer zu erkennen, wie aus diesem der Masse der Parteimitglieder verborgen gebliebenen Finanzgebaren eine andere, erneuerte Partei mit einer neuen Politik hervorgehen soll. Das Beispiel der diesmal verschont gebliebenen bayerischen CSU zeigt, dass diese keinerlei Anstalten machen musste, den Weg der Erneuerung mitzugehen. Die Parteispendenaffäre hat die CDU erschüttert und sie auf den Weg der finanziellen Sauberkeit verwiesen, aber warum sollte sie - nachdem sie die meisten Verantwortlichen geopfert hat - eine Partei neuen Typs werden? Auch hier empfiehlt sich eine Entdramatisierung der Diskussion.

Es ist bezeichnend für die öffentliche Urteilsbildung in dieser Affäre, dass sie auch dem Verlangen nach politischen Veränderungen des Gesamtsystems neuen Schub verliehen hat. Verglichen mit der radikalen Kritik der 68er-Generation an den angeblich antidemokratischen, tendenziell den Faschismus hervorbringenden Verhältnissen in der kapitalistisch organisierten Bundesrepublik ist das jetzt diskutierte Repertoire an Verbesserungen und Erneuerungen der deutschen Parteiendemokratie gewiss eher maßvoll und ganz auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bedacht - gleichwohl haftet vielen Vorschlägen etwas Unpolitisches, sich von den Realitäten der demokratischen Politik Entfernendes an, das die deutsche Neigung zum Utopismus und zum Purismus beängstigend wieder hervortreten lässt. Es ist, als wäre die politische Phantasie losgelassen. Nicht nur das Urteil über die zutage geförderten Einzelheiten der Affäre war vielfach maßlos und ohne Einsicht in die Natur des Politischen, erst recht die Forderungen an die künftige Politik sind teilweise so abgehoben, als hätten wir es bei Politikern mit einer Kategorie von Menschen zu tun, denen einerseits ein hohes Maß an "krimineller Energie" unterstellt, andererseits jedoch die Tugendhaftigkeit von Engeln abverlangt wird. Beides geht an der Realität der demokratischen Politik, die sich bei uns doch einigermaßen bewährt und als erfolgreich erwiesen hat, vorbei.

Da wird nun allenthalben die Idee eines vollkommenen Rechtsstaates und einer tugendhaften Demokratie beschworen, die sich auf dem Papier großartig darstellen lässt, aber nicht damit rechnet, dass sie es mit Menschen zu tun hat, die teils egoistische, teils kollektive Interessen verfolgen und dabei in der Regel nicht zimperlich sind. Es ist gerade der Vorzug des demokratischen Systems, dass es sich nicht anmaßt, die Menschen nach einem idealistischen Einheitsmaß zu modellieren, sondern auch Vorkehrungen trifft, ihren inhärenten Schwächen durch die Kontrolle und Wachsamkeit von Institutionen zu begegnen. Gewiss ist es wichtig und immer von neuem notwendig, zu demokratischem Verhalten, d. h. zur Respektierung der Legalität, zur Verfassungstreue und zur Toleranz und Fairness zu erziehen, aber wir tun auch gut daran, nicht wie selbstverständlich davon auszugehen, dass dies auch überall die gängige Praxis ist. Der Parteispendenskandal hat dies drastisch offenbart, und es ist ein Zeichen demokratischer Offenheit und Lebendigkeit, dass er nun so gut wie möglich aufgeklärt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Doch man hüte sich davor zu glauben, wir könnten von nun an aus unserer Demokratie ein moralisch einwandfreies System ohne jeden Fehl und Tadel konstruieren. Ebendies scheint der Antrieb bei vielen demokratischen Moralisten zu sein, welche die Affäre dafür nutzen, ihre Vorstellung von der besseren, wahrhafteren Demokratie an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Die Stunde ist dafür wohlfeil, aber es wird sich zeigen, dass nur weniges von dem, was jetzt als Heilmittel angeboten wird, den Test der Praktikabilität und der politischen Akzeptanz bestehen wird.

Es kann nicht verwundern, dass der Triumph der Moral über die "Niederungen" des Politischen eine Flut von Vorschlägen und Vorstellungen nach sich zog, wie man künftig die Parteipolitik vor solchen Auswüchsen und Entgleisungen bewahren könnte. So kam es, zum Teil mit Hilfe angesehener Politiker und Publizisten, zu einer Fülle von Überlegungen und Plänen, wie den angeblich so gefährlichen Wucherungen des deutschen Parteienstaates zu wehren und wie künftig die deutsche Demokratie vor weiterem Schaden zu bewahren sei. Es blieb nicht bei der auch in der CDU inzwischen selbstverständlichen Einsicht, dass die von der Verfassung geforderte Transparenz der Parteienfinanzierung unbedingt zu beachten ist, sondern man nahm den Skandal zum Anlass, um Reformen des Parteiensystems und der Demokratie zu propagieren, die weit über diesen Anlass hinausgehen.

Dieses Vorgehen offenbart nicht nur die Wucht, mit der eine scheinbar überlegene Moral die Politik zu belehren und zu bezichtigen unternahm, sondern sie macht auch deutlich, dass es in der deutschen Öffentlichkeit ein leicht mobilisierbares, generelles Misstrauen und Unbehagen über die Parteien und die Politiker gibt, das seinen Tribut fordert. Es begnügt sich nicht allein mit den Rücktritten belasteter Politiker von ihren Positionen, die für sich genommen schon nicht gering zu veranschlagen sind, sondern verlangt nach grundsätzlicheren Remeduren wie z. B. der Begrenzung der Amtszeit von Bundeskanzlern und Parteiführern, der individuellen Strafbarkeit von Verstößen gegen das Parteiengesetz, u. a. durch den Mandatsverlust. Das Hauptgewicht der Reformdiskussion liegt auf der stärkeren Einschaltung des Volkes in den politischen Prozess, was der Idee der Demokratie zwar nicht zuwiderläuft, aber in der praktischen Umsetzung jedoch viele Probleme aufwirft, die möglicherweise mehr Schwierigkeiten heraufbeschwören, als sie wirksame Abhilfen für die so genannte Parteienverdrossenheit bieten. Die neue Situation in der deutschen Innenpolitik hat ein Klima erzeugt, in dem überlegte und praktikable Reformen in einzelnen Bereichen - vor allem hinsichtlich der Durchdringung der gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen seitens der Parteien - zwar möglich erscheinen, aber es steht eher zu befürchten, dass sie von zu hohen moralischen Ansprüchen und Erwartungen diktiert werden und am Ende ganz im Sande verlaufen.

Bei der Bewältigung der Krise, die gerade keine Krise der Demokratie ist, kommt es somit darauf an, das vernünftige Maß zu bewahren. Das illegale, von der Macht des Geldes und seiner Verführung zum Machtmittel inspirierte Verhalten einiger weniger CDU-Politiker darf nicht dafür herhalten, unser politisches System und die Funktion der politischen Parteien generell erneuern zu wollen. Sie sind besser als ihr derzeitiger Ruf. Weder können solche Erneuerungsversuche in der Sache sehr weit führen, noch können sie die Verfassungslage grundlegend verbessern und ein gereinigteres, idealeres, von den Ambivalenzen der Politik weniger angefochtenes politisches System hervorbringen.

Es bleibt dessen ungeachtet ein wichtiges Ergebnis dieser Affäre, dass sie enorm viel bewegt hat. Die Bundesrepublik ist durch sie in eine neue Phase ihrer innenpolitischen Geschichte eingetreten, aber es tut Not, künftig die Maßstäbe der politischen Vernunft zu beherzigen. Die Parteispendenaffäre darf nicht zu einer Katastrophe unseres politischen Systems verfälscht werden, sondern sie ist ein Vorgang, aus dem sich, über die korrekte Handhabung der Parteifinanzen hinausgehend, positive Impulse für die künftige Arbeit der politischen Parteien gewinnen lassen, die deren Glaubwürdigkeit verbessern und der politischen Kultur unserer Demokratie zum Vorteil gereichen.

Prof. Dr. Dr. phil., geb. 1928; bis 1995 Professor für Politische Wissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München.

Anschrift: Viktor-Scheffelstr. 2, 80803 München.

Veröffentlichungen u. a.: So war Deutschland nie, München 1999; (zus. mit Wilhelm Bleek) Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 11. Aufl., München 1999.