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Die Reform der Vereinten Nationen - Weltorganisation unter Anpassungsdruck | Vereinte Nationen | bpb.de

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Die Reform der Vereinten Nationen - Weltorganisation unter Anpassungsdruck

Johannes Varwick

/ 25 Minuten zu lesen

In der internationalen Politik besteht Konsens darüber, dass die Vereinten Nationen reformiert werden müssen. Die Reformagenda ist jedoch sehr komplex, und die institutionellen Hürden sind hoch.

Grundfragen der Reformdebatte

Die Organisation der Vereinten Nationen (VN) macht, wie so oft in ihrer fast 60-jährigen Geschichte, Sprünge auf der Beliebtheitsskala wie sonst kaum eine internationale Organisation. "VN-Enthusiasten", bei denen die Organisation für alles Gute und Schöne dieser Welt verantwortlich zu sein scheint und Defizite immer nur den Mitgliedstaaten angelastet werden, stehen Fundamentalkritiker gegenüber, die kein gutes Haar am vermeintlichen Zentralorgan des Multilateralismus lassen und die VN in wichtigen Fragen der internationalen Politik für irrelevant halten. Mit der Realität haben diese politischen Extrempositionen wenig gemein. Dennoch steht die Weltorganisation nicht erst seit der Irakkrise 2003 unter erheblichem Anpassungsdruck. Sie hat ihre Zusammensetzung und Tätigkeitsfelder in den vergangenen Jahrzehnten erheblich ausgeweitet, ohne dass es bisher zu grundlegenden Änderungen in ihrem Gründungsdokument, der VN-Charta, gekommen wäre. Von 51 Gründerstaaten ist sie auf 191 Staaten angewachsen, undvon einer Organisation, die in erster Linie den Krieg als Mittel der Politik ächten sollte, istsie zu einem globalen Forum geworden, indemalle grundlegenden Weltprobleme diskutiert undzum Teil einer Lösung näher gebracht werden.


In der internationalen Politik besteht weitgehender Konsens darüber, dass die VN reformiert werden muss, weil Strukturen und Verfahren nicht mehr den weltpolitischen Realitäten entsprechen. Allerdings ist die Reformagenda ebenso lang wie komplex: So spiegelt der Sicherheitsrat mit seinen fünf ständigen Mitgliedern nicht mehr die weltpolitische Machtkonstellation des 21. Jahrhunderts wider, das Völkerrecht muss den neuen Bedrohungsformen angepasst werden, die zahlreichen Sonderorganisationen und Spezialorgane der VN haben sich zu einem undurchschaubaren Konglomerat entwickelt, das dringend gestrafft werden muss, und schließlich sollte über die Prioritätensetzung im Spannungsfeld zwischen Friedenssicherung, Stärkung der Menschenrechte, Armutsbekämpfung und Schutz der globalen Umwelt entschieden werden.

Jede Reformdebatte muss mit einer Analyse der globalen Herausforderungen und der Beantwortung einiger grundlegender Fragen nach der Ordnung des internationalen Systems beginnen: Bis zu welchem Grad kann den Staaten die Erosion ihrer Souveränität zugunsten kollektiver Mechanismen zugemutet werden? Inwieweit halten sich die Staaten an gemeinsam verabredete Beschlüsse, und in welchem Maße ist deren Verletzung, Missachtung oder mangelnde Unterstützung hinnehmbar? Wie können Macht und Recht in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht und widerstreitende Interessen in konstruktiver Weise ausgeglichen werden? Auf diese Fragen lassen sich verschiedene Antworten geben, die dann jeweils unterschiedliche Konsequenzen für die daraus ableitbare Rolle der VN in der internationalen Politik haben. Einerseits wird ihr lediglich eine untergeordnete Rolle beigemessen, und Reformbemühungen sollen sich darauf beschränken, die Effizienz der Organisation in den Bereichen zu erhöhen, in denen sich die Mitgliedstaaten einig sind, dass sie die VN als Forum, Akteur oder Instrument nutzen wollen. Andererseits werden hohe Erwartungen an die VN gestellt, die bis zu der Hoffnung reichen, mit Hilfe der VN ein internationales Milieu zu formen bzw. zu stabilisieren, in dem Konflikte nicht mit Gewalt gelöst werden und die Zusammenarbeit zwischen Staaten norm- und regelgeleitet abläuft.

Die Organisation der Vereinten Nationen blickt auf eine Geschichte zurück, die auch als ein permanenter Prozess des Wandels, der Anpassung an veränderte weltpolitische Strukturen und Prozesse und der Reformen beschrieben werden kann, bei dem sich Phasen der Marginalisierung mit Phasen der Renaissance stetig abwechselten. Den VN ist es aber - anders als ihrem Vorgänger, dem Völkerbund - gelungen, trotz aller Kritik zu einem festen Bezugspunkt in der internationalen Politik zu werden. Zu den bereits bei der Gründung der VN im Oktober 1945 erkannten und antizipierten Risiken und Problemen traten neue globale Fragen hinzu, wie die Verschärfung des Nord-Süd-Gegensatzes, die Verknappung natürlicher Ressourcen, die Zerstörung der Umwelt und die voranschreitende Klimaveränderung, das rasante Wachstum der Weltbevölkerung, die Veränderung dessen, was als "innere Angelegenheiten der Staaten" verstanden wird, sowie neue Formen der Bedrohung des Friedens und der gesamten Menschheit durch innerstaatliche Konflikte, zerfallende Staaten und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Die Frage, ob und wie die Weltorganisation reformierbar ist, richtet sich dabei an erster Stelle an die Mitgliedstaaten, weil nur sie die Macht haben, Veränderungen durchzusetzen. Die VN sind insofern eine klassische intergouvernementale Organisation, d.h., sie können nur so weit agieren, wie es die sie tragenden Staaten nach Abwägung der eigenen Interessen gestatten. Zu unterscheiden ist zwischen internen Organisationsrechtsreformen, die sich ohne Änderungen der Charta verwirklichen lassen, und "Verfassungsänderungen", die eine Chartaänderung erfordern. Die Hürden für Letztere sind extrem hoch - neben einer Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung und der Ratifizierung durch eine entsprechende Mehrheit von Mitgliedstaaten hat jedes der derzeit fünf Ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat (China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA) ein Vetorecht gegen Chartaänderungen. Damit können die ständigen Mitglieder zwar jede Reform unterbinden, benötigen aber für die Durchsetzung eigener Vorstellungen eine Gestaltungsmehrheit von derzeit 127 Staaten. Viele der seit Jahren diskutierten Themen und Vorschläge sind deshalb vertagt und damit auf die lange Bank geschoben worden.

Doch insbesondere infolge des Irakkrieges 2003/4 und der damit sichtbar gewordenen Machtlosigkeit der Weltorganisation hat die Reformdebatte an Intensität zugenommen, und auch die Umsetzungschancen haben sich verändert. VN-Generalsekretär Kofi Annan hatte im September 2003 abermals an die Mitgliedstaaten der VN appelliert, ihre Regeln und Institutionen einer grundlegenden und umfassenden Reform zu unterziehen. Die Weltgemeinschaft stehe an einer Weggabelung, die nicht weniger entscheidend sei als die Gründung der VN im Jahre 1945. Annan hat zu diesem Zweck eine hochrangige Arbeitsgruppe eingerichtet, die Reformvorschläge in vier Bereichen (Herausforderungen für Frieden und Sicherheit, Analyse der Beiträge kollektiver Aktionen zur Lösung dieser Probleme, Bestandsaufnahme der Funktionsfähigkeit der Hauptorgane der VN, Stärkung der VN durch Reform der Institutionen und Verfahren) unterbreiten soll. Zwar wurde der ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten, der Bericht soll aber im Dezember 2004 vorliegen und dann in den Mitgliedstaaten sowie im Herbst 2005 in der VN-Generalversammlung diskutiert und wenn möglich entschieden werden.

Institutionelle Reformen

Reform des Sicherheitsrats

Die Reform des Sicherheitsrats gehört zu den schwierigsten und machtpolitisch sensibelsten Reformvorhaben. Unabhängig von der Zielvorstellung formulieren sämtliche Reformvorschläge deutliche Kritik an der Zusammensetzung dieses zentralen Gremiums, das nach Artikel 24 der Charta zuständig für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist. Die Mehrheit der VN-Staaten hält die Zusammensetzung und die Privilegien der fünf Ständigen Mitglieder für undemokratisch und angesichts der weltpolitischen Realitäten des neuen Jahrtausends auch für anachronistisch. Wer möchte, so Kofi Annan, dass den Entschließungen des Rates mehr Respekt erwiesen werde, der müsse sich der Frage seiner Zusammensetzung mit großem Nachdruck zuwenden. Seit mehr als einem Jahrzehnt befassen sich diverse Arbeitsgruppen der VN mit diesem Thema, ohne dass bisher eine Einigung in Sicht ist. Ein denkbares Modell wäre die Erweiterung um Japan und Deutschland (die zusammen mit den USA gut 55 Prozent des VN-Haushalts finanzieren) sowie Indien, Pakistan oder Indonesien (für Asien), Nigeria oder Südafrika (für Afrika) und Brasilien (für Lateinamerika). Aber auch Argentinien, Mexiko und Ägypten sind interessierte Beitrittskandidaten.

Eine Erweiterung ist aber aus mindestens zwei Gründen schwierig: Zum einen gibt es zwischen "Nord" und "Süd" keinen Konsens über die Kriterien für einen ständigen Sitz. Insbesondere Deutschland - das inzwischen offen für eine deutsche Mitgliedschaft wirbt und notfalls eine Kampfabstimmung in den VN-Gremien erzwingen will - und Japan argumentieren mit ihrer Wirtschaftskraft, ihrer weltpolitischen Verantwortungsübernahme und ihrer Stellung in der Welt, während andere auf die Größe ihrer Bevölkerung hinweisen (so hat allein Indien fast dreimal mehr Einwohner als die gesamte EU). Zum anderen bedarf eine veränderte Zusammensetzung nach Artikel 108 und 109 der VN-Charta einer Chartaänderung, die nur mit zwei Dritteln der Stimmen der Generalversammlung und der Zustimmung aller Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates erreichbar ist. Es müsste also eine Situation geschaffen werden, in der alle Beteiligten Vorteile im Vergleich zum Status quo sehen, aber eine solche Formel ist nicht in Sicht.

Zu wenig diskutiert wird in Deutschland die mit einer möglichen ständigen Mitgliedschaft verbundene globale Verantwortung. Denn in der Konstruktion der VN haben diese Staaten eine besondere Verpflichtung, sich für Frieden und Sicherheit zu engagieren, was auch mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden ist. Außerdem ist die potentielle Schwächung der Effizienz und Effektivität des Sicherheitsrats bei einer Vergrößerung zu beachten. Ein flexibleres Modell wäre die Erweiterung um Ständige Mitglieder ohne Vetorecht oder zumindest die Beschränkung des Vetos auf Militäreinsätze, möglicherweise sogar nur für die eigene Region ("regionales Veto"). Aufgrund interner Interessendivergenzen ist auch dem Vorschlag rotierender Sitze der Mitglieder von Regionalorganisationen wie Europäischer Union oder Organisation für Afrikanische Einheit keine Chance einzuräumen. Demnach sollten die potenziellen Beitrittskandidaten den Sitz für einen bestimmten Zeitraum für ihr Regionalkontingent jeweils abwechselnd wahrnehmen. Eine Revisionsklausel soll am Ende die Möglichkeit eröffnen, das Verfahren zugunsten eines Landes zu ändern oder fortzusetzen. Griffe diese Lösung, würde der Sicherheitsrat auf zehn Ständige Mitglieder, sieben feste und drei rotierende, aufgestockt und die Zahl der nichtständigen Mitglieder ebenfalls erhöht. Wenn sich allerdings selbst so eng kooperierende Staaten wie die Mitglieder der EU aufgrund interner Interessen- und Statusdivergenzen nicht auf ein Rotationsprinzip einigen können, so scheint eine Festlegung für andere Gruppen mehr als unwahrscheinlich.

Reform der Generalversammlung

Im Vergleich zur Diskussion um die Modernisierung des Sicherheitsrats stehen Überlegungen zur Aufwertung der Generalversammlung eher am Rande der Reformdebatte. So ist die Generalversammlung zwar das Hauptorgan der VN, hat aber de facto keine zentrale Rolle inne. Artikel 14 ermöglicht es ihr zwar, Maßnahmen zur friedlichen Beilegung jeder Situation zu empfehlen, die ihrer Auffassung nach dazu geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Nationen zu beeinträchtigen. In der Praxis werden aber alle Friedenssicherungsaktivitäten vom Sicherheitsrat beschlossen. Es werden Zweifel angemeldet, ob dieses Vorgehen effektiv ist. So wird argumentiert, dass die führende Rolle des Sicherheitsrates effizienter erscheine, als sie tatsächlich sei. Das entscheidende Medium der VN sei das der Kooperation, die aber nicht erzwungen, sondern vielmehr erzeugt werden müsse. Dafür sei die Generalversammlung mit ihren Ausschüssen ein geeigneter Ort. Die Voten der Generalversammlung als "öffentliche Meinung der Welt" konstituierten damit eine Art globale Legitimität, und es würde - so die Hoffnung - die Akzeptanz von VN-Entscheidungen erhöhen, wenn sie durch eine aufgewertete Generalversammlung beschlossen würden.

Allerdings ist die Generalversammlung in ihrer heutigen Form keineswegs das demokratische Gegenstück zum Sicherheitsrat. Auch sie ist vorwiegend ein Gremium der Exekutiven, nämlich in erster Linie eine Versammlung der nationalen Botschafter. Um eine erhöhte demokratische Legitimation zu erhalten, wird diskutiert, eine Parlamentarierversammlung nach dem Vorbild der OSZE oder der NATO einzurichten. Ein solches Zweikammersystem müsste nicht zwangsläufig zu einer bürokratischen Aufblähung führen. Während eine Kammer wie bisher nach dem "one-state-one-vote-Prinzip" aus Regierungsvertretern zusammengesetzt wäre, würde eine zweite Kammer (für welche die Bezeichnung "Assembly of the Peoples of the United Nations" vorgeschlagen wurde) aus Parlamentsdelegierten bestehen. Zudem könnte überlegt werden, auch die Sonderorganisationen und Spezialorgane mit parlamentarischen Gremien auszustatten. So hat beispielsweise die EU vorgeschlagen, parlamentarische Gremien zu schaffen, die sich aus den Vorsitzenden der parlamentarischen Ausschüsse der nationalen und regionalen Parlamente zusammensetzen. Allerdings unterschlägt diese Argumentation, dass auch die Regierungsvertreter in den meisten VN-Staaten demokratisch legitimiert sind und die VN nicht wie ein demokratischer Staat mit Gewaltenteilung zu organisieren sind. Zudem pflegen die VN eine außerordentlich intensive Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen. Was eine Aufwertung der Generalversammlung für die Akzeptanz bei den Groß- und Mittelmächten bedeuten würde, wird zudem häufig nicht ausreichend bedacht. So ist es schwer vorstellbar, dass gegen den Willen etwa der USA, Chinas oder Russlands mit Mehrheit in der Generalversammlung entschieden würde und sich diese Staaten dann dem Votum beugen würden.

Reformen im Bereich Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt

Die Arbeit der VN im Bereich Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt leidet in besonderer Weise unter überlappenden Zuständigkeiten und mangelhafter Koordinierung. Insbesondere der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) einschließlich seiner fast unüberschaubaren Anzahl von Unter- und Nebenorganen steht dabei im Zentrum der Kritik. So wird gefordert, das Gesamtsystem gründlich auf den Prüfstand zu stellen. Der ECOSOC sei in seiner derzeitigen Struktur nicht in der Lage, seine koordinierende Funktion wahrzunehmen, und er arbeite überbürokratisiert und unwirksam. Während einerseits seine Auflösung vorgeschlagen wird, wollen andere mit einer stärkeren Weisungsbefugnis die Effizienz erhöhen. Die Vorschläge reichen von der Schaffung eines neuartigen Wirtschaftsrats mit Kompetenzzuweisung analog zum Sicherheitsrat (d.h. dem Recht, verbindliche Beschlüsse zu fassen) bis zur Schaffung eines miteinander verzahnten Drei-Räte-Modells, bei dem je ein Rat für Sicherheit, Wirtschaft und Soziales/Entwicklung zuständig wäre. Solche Vorschläge sind aber bisher nicht offiziell von einem VN-Gremium vorgebracht bzw. mit Aussicht auf Erfolg in die Debatte eingebracht worden.

Auch dem System aus zahlreichen Sonderorganisationen, Spezialorganen und Programmen mit teilweise ähnlichen Aufträgen wird Ineffizienz vorgeworfen, was im Extremfall zu sich gegenseitig behindernden Mandaten führen kann. Ein besonders schwer wiegendes Problem ist darüber hinaus die mangelhafte Abstimmung zwischen den VN-Gremien und den in den vergangenen Jahren an Einfluss gewinnenden Bretton-Woods-Organisationen, die alles andere als problemlösend wirkt. So wird vorgeschlagen, die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit der VN stärker mit der Handels- und Währungspolitik zu verzahnen oder gardie Handels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) mit der Welthandelsorganisation (WTO) zu verschmelzen. Spätestens seit der Mexikokrise 1994 findet zudem eine ausführliche Diskussion über die Reform der internationalen Finanzmarktarchitektur statt. Zu den unterschiedlichen Reformvorschlägen gehören eine Trennung zwischen den Aufgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, die Abkehr vom one-fit-all approach und die stärkere Berücksichtigung nationaler Rahmenbedingungen sowie die Erhöhung der Transparenz auf den Finanzmärkten. Zu den diskutierten Neuerungen der internationalen Finanzmarktarchitektur zählen unter anderem die Errichtung einer Welt-Zentralbank oder eines internationalen Konkursgerichtshofs, die Errichtung von Zielzonen für die wichtigsten Wechselkurse zur Verringerung der Schwankungen auf den Devisenmärkten oder die Einführung der Besteuerung von Devisentransaktionen (Tobin-Steuer).

Eine stark diskutierte institutionelle Veränderung bezieht sich auf die Schaffung einer neuen Dachorganisation für Umwelt- und Entwicklungsfragen. Eine solche Organisation könnte bestimmte bestehende Institutionen in eine neue, übergeordnete Struktur einbinden und die Zusammenlegung des VN-Umweltprogramms (UNEP) und der Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) sowie der relevanten umweltpolitischen Konventionssekretariate zu einer einzelnen Organisationbedeuten. Eine Zusammenarbeit mit den Bretton-Woods-Organisationen, der WTO und den themenverwandten VN-Sonderorganisationen müsse dabei sichergestellt werden. Damit könnten ein höherer Stellenwert für die Aufgaben der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik bei den nationalen Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und privaten Akteuren erreicht und akute Probleme der Umwelt- und Entwicklungspolitik prominenter auf die Agenda gesetzt werden. Kritiker wenden hingegen ein, dass ein spezifischer Beitrag einer solchen Organisation zur Verminderung der Umweltprobleme nicht erkennbar sei. Es könnten gute Gründe angeführt werden, weshalb noch keine Weltumweltorganisation besteht.Neben formalen Kriterien zeichneten sich wirksame internationale Organisationen durch Spezialisierung und Vereinfachung von Entscheidungsprozessen aus und seien dadurch zu eigenständigem Handeln befähigt. Nehme man diese Definition als Grundlage, existierten in der internationalen Umweltpolitik bereits zahlreiche organisatorische Elemente. Es sei nicht einsichtig, warum Staaten bei einer neuen Organisation eher zur Abgabe von Souveränität bereit seien und damit zu handlungsfähigerer internationaler Umweltpolitik beitrügen. Insbesondere Praktiker der internationalen Umweltpolitik weisen darauf hin, dass es nicht darum gehen könne, auf dem Reißbrett zu planen, sondern man die Realität im Auge behalten müsse. Dies betreffe vor allem die Frage der nationalstaatlichen Souveränitätsrechte, zu deren Aufgabe die Staaten nach wie vor nur eingeschränkt bereit seien.

Zu fragen ist deshalb, ob es nicht eine weitere Überdehnung und Überforderung des VN-Systems bedeutet, es mit allen gravierenden Menschheitsproblemen zu befrachten. Außerdem wäre mit der rein deklaratorischen Einrichtung von Umwelt-, Wirtschafts- bzw. Sozialräten oder -organisationen noch nichts gewonnen: Es käme einzig und allein auf die Kompetenzen und die Art der Legitimation an, die ihnen zugewiesen würden. Ihrer Verwirklichung stünden zudem aufgrund der erforderlichen Billigung durch die Generalversammlung erhebliche Verfahrensschwierigkeiten entgegen.

In der Kritik stehen auch die von den VN organisierten großen Weltkonferenzen wie etwa der Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg vom August 2002. Unstrittig ist ihre Funktion als Plattform für globale Kommunikation und Interaktion. Es ist aber kritisch zu fragen, ob man sich nicht vom Ziel der von allen Teilnehmerstaaten mitzutragenden Abschlusserklärungen und Formelkompromisse verabschieden sollte. So wird angeregt, sich bei künftigen Gipfeln zu umwelt- und entwicklungspolitischen Themen vom Druck der Einstimmigkeit zu befreien und stattdessen diese Treffen eher als globale Foren zu betrachten, und vor allem mehr "coalitions of the willing" in entscheidenden Fragestellungen anzustreben. Damit "wäre den Belangen der von Umweltzerstörung und Unterentwicklung betroffenen Menschen womöglich besser gedient".

Reformen des Systems der Friedenssicherung

Die Debatte um "präemptive Sicherheitspolitik"

Einen fundamentalen Einschnitt in die etablierte Völkerrechtsordnung stellt der Krieg gegen den Irak im Frühjahr 2003 dar. Die USA begründeten ihren ohne VN-Mandat geführten Krieg mit der Notwendigkeit, das Land von einem grausamen Unterdrückungsregime zu befreien und der irakischen Führung den Zugang zu Massenvernichtungswaffen zu entziehen bzw. zu verweigern. Es wurde ein gewaltsamer Regimewechsel angestrebt und auch erreicht, der völkerrechtlich unzulässig ist. Damit, so kritische Beobachter, sei wieder einmal deutlich geworden, dass sich Staaten - und zwar nicht nur die USA - bei der Anwendung militärischer Gewalt nicht in erster Linie fragen, ob diese rechtmäßig sei oder nicht, sondern schlicht als Maßstab ihre nationalen Interessen zugrunde legen. Die völkerrechtlichen Regelungen zur Einhegung des Krieges, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen festgeschrieben sind, seien gescheitert und es sei an der Zeit, das Völkerrecht zu reformieren und den neuen Gegebenheiten anzupassen. Wenn über eine Reform der Völkerrechtsordnung nachgedacht wird meint dies nicht, dass "das" Völkerrecht insgesamt gescheitert ist oder in Frage gestellt würde. Die Reformdiskussion bezieht sich vielmehr in erster Linie auf die Frage, wie mit gefährlichen Risikokombinationen der Zukunft umgegangen werden soll, ohne - wie im Falle des Irakkrieges geschehen - die VN-Charta zu missachten.

Unter welchen Voraussetzungen und für welche Fälle militärische Interventionen erlaubt sein sollen, sind strittige Fragen, die mit der Debatte um die so genannte "präemptive Sicherheitspolitik" verbunden sind. Hintergrund dieser Überlegungen ist die in sicherheitspolitischen Fachkreisen bereits seit Längerem diskutierte Veränderung der strategischen Landschaft. In der Kombination von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen liege eine der zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Die der sicherheitspolitischen Strategie in der Zeit des Ost-West-Konflikts zugrunde liegende Philosophie der Abschreckung (deterrence) funktioniere unter den neuen Gegebenheiten nicht mehr. Im Einzelfall müsse von einer "Abschreckung durch Bestrafung" (deterrence by punishment) zu einer "Abschreckung durch Verwehren" (deterrence by denial) übergegangen werden. Denn werde militärische Gewaltanwendung prinzipiell als Ultima Ratio begriffen, könne der günstigste Augenblick verpasst werden, in dem beim Eingreifen in Konflikte mit vergleichsweise geringem Mittelaufwand - und möglicherweise schon mit einer glaubwürdigen Drohung - ein maximaler politischer Effekt erzielt werden könne. Die Selbstverteidigung nach Artikel 51 der VN-Charta ist zwar ein klassisches legitimes Recht der Staaten. Die zentrale Frage ist aber, was im Zeitalter von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen Selbstverteidigung ist. Die Grenzen des Selbstverteidigungsrechtes sind bereits seit längerem unscharf, spätestens seit dem 11. September 2001 ist aber deutlich geworden, dass existenzielle Bedrohungen für Staaten nicht dem klassischen Bild eines bewaffneten Überfalls von Staat A auf Staat B entsprechen müssen.

Der VN-Sicherheitsrat hat nach dem 11. September 2001 unverzüglich deutlich gemacht, dass die USA gegen diesen terroristischen Angriff das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen können. Insofern ist die Anpassungsfähigkeit des Völkerrechts an neue Gefahren bereits anerkannt und in der Praxis demonstriert worden. Voraussetzung für ein legitimes Handeln ist immer, dass Gefahren nicht nur instrumentell behauptet werden, sondern deren Existenz mit hoher Plausibilität dargelegt wird. Während militärische Prävention als im Einzelfall legitim gelten kann, stellen Präemptionskriege die internationale Ordnung vor fundamentale Herausforderungen. (Anders als bei Präventivkriegen stellen Präemptionskriege militärische Maßnahmen gegen eine allenfalls vermutete und erst zukünftig eventuell akut werdende Gefahr dar.) Dabei bleibt es offen, wer über die Angemessenheit von solchen Militäreinsätzen entscheidet, auf welcher völkerrechtlichen Grundlage sie durchgeführt werden und wie sich dazu das allgemeine Gewaltverbot der VN-Charta verhält. Bedacht werden müssen aber ebenfalls die möglichen Folgen, wenn in jedem Fall auf der Sanktionierung von Gewaltanwendung durch den Sicherheitsrat bestanden wird. So sind durchaus Fälle vorstellbar, in denen er aufgrund von - nicht zwangsläufig rationalen - Veto-Drohungen blockiert ist, aber dennoch unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Ein überzogener "VN-Legalismus" ist also nicht tragfähig. Um es dann aber nicht nur der Willkür oder der Interessensdefinition einzelner Staaten zu überlassen, was eine sicherheitsrelevante Bedrohung ist und was nicht, wird u.a. diskutiert, das Völkerrecht im Lichte der neuen Bedrohungen fortzuentwickeln. Denkbar wäre etwa eine Debatte darüber zu führen, wo die Toleranzgrenze bei der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Unterstützung des internationalen Terrorismus oder aber auch der systematischen Verletzung von Menschenrechten liegt. Es müsste dann ein nachvollziehbarer Kriterienkatalog entwickelt werden, bei dem ein Eingreifen gerechtfertigt sein kann. Solche Definitionsversuche sind mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden, und es ist zudem eher unwahrscheinlich, dass es gelingen wird. Die Alternative ist aber, den Status quo zu erhalten, der ebenfalls unbefriedigend ist.

Veränderungsbedarf im Bereich der VN-Friedenssicherung

Jenseits der Frage, wer in der internationalen Politik den Einsatz militärischer Gewalt legitimieren soll, steht das gesamte Friedenssicherungssystem der VN zur Diskussion. Bei unzähligen Gelegenheiten hat Generalsekretär Annan gefordert, die Mitgliedstaaten müssten die VN besser auf die Herausforderungen der Globalisierung einstellen, und dabei insbesondere drei strategische Prioritätsbereiche genannt: Freiheit vor Not (Entwicklungsagenda), Freiheit vor Furcht (Sicherheitsagenda) und Schaffung einer ökologisch bestandsfähigen Zukunft (Umweltagenda). Die besondere Qualität der VN liege darin, dass sie diese Bereiche miteinander verbänden und sich "neuen und alten", "harten und sanften" Bedrohungen stellen könnten. Damit wird versucht, traditionelle Elemente des Sicherheitsbegriffs mit der Gewährleistung von Menschenrechten, dem Recht auf Entwicklung sowie dem Recht auf eine lebenswerte Umwelt zu verbinden. Diese Verknüpfung im Rahmen einer universalen Organisation bietet enorme Chancen, es sind aber ebenfalls die Grenzen zu beachten.

Die ursprüngliche und durchaus erfolgreiche Ausrichtung der VN auf die Verhinderung zwischenstaatlicher Kriege hat sich mit dem Wandel des Kriegsbildes in Richtung innerstaatlicher Auseinandersetzungen radikal verändert. Spektakuläre Fehlschläge wie in Ruanda, im bosnischen Srebrenica oder in Sierra Leone haben den Reformdruck in diesem Bereich erhöht. Gemäß Kapitel VII der Charta stünde den VN ein hinreichendes Instrumentarium an Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens zur Verfügung, in der Praxis wurde aber von diesen Bestimmungen bisher kaum Gebrauch gemacht. Nach den Vorschlägen einer Expertengruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen algerischen Außenministers Lakhdar Brahimi vom August 2000 sollen die VN-Truppen in Zukunft grundsätzlich ein "robustes" Mandat erhalten und nur in Einsätze geschickt werden, wenn die Regeln dafür eindeutig sind, sie hinreichend geführt werden können und gut ausgerüstet sind. Dazu wird auch eine personelle Aufstockung im dafür zuständigen "Department of Peacekeeping Operations" im VN-Hauptquartier am New Yorker East River gefordert. Zudem soll gemäß dem Konzept des "Standby-Arrangement-Systems" eine schlagkräftige multinationale Streitkraft bereitgestellt werden, auf die bei Bedarf schnell zugegriffen werden kann. Insgesamt soll damit das System der Friedenssicherung effektiver arbeiten; auch der vorbeugenden Diplomatie sowie der Friedenskonsolidierung soll mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Die Bilanz der Reformbemühungen im Bereich der VN-Friedenssicherung ist gemischt. Die Empfehlungen des Brahimi-Berichts sind schnell wieder in den Schubläden verschwunden und nur zu sehr geringen Teilen umgesetzt worden. Auch die Erfahrungen mit den vergangenen Operationen zur Friedenssicherung verdeutlichen, dass die VN die Mitgliedstaaten in ihrer Verantwortung für den Frieden keinesfalls ersetzen können. Insbesondere das Scheitern der so genannten "dritten Peacekeeping Generation" hat gezeigt, dass die VN zur Erzwingung des Friedens mit eigenen Mitteln ungeeignet ist und dabei allenfalls einen legitimatorischen Rahmen schaffen kann. Unverzichtbar ist hingegen der Beitrag der VN zu den komplexen und langwierigen Friedenssicherungs- und Konsolidierungsprozessen wie auch zur Konfliktprävention.

Allerdings dürfte eine zu beobachtende Praxis die Relevanz der VN im Bereich der Friedenssicherung nachhaltig bestimmen: die Tendenz, dass sich insbesondere die leistungsfähigen Industriestaaten verstärkt Friedensmissionen mandatieren lassen (oder auch nicht), um sie dann in eigener Verantwortung durchzuführen. Dies führt zu einer Konzentration ihrer Kräfte auf Länder und Regionen, die für die betroffenen Staaten von unmittelbarem Interesse oder von Bedeutung sind. Den VN droht dabei nur noch eine Restkompetenz für vergessene Konflikte zuzufallen, für die sie dann - wie z.B. in Afrika zu beobachten - von den Industriestaaten zudem nur zögerlich unterstützt werden.

Ein Reformvorschlag im Bereich der VN-Friedenssicherung, der zwar auf absehbare Zeit keine Realisierungschancen haben dürfte und zudem mit zahlreichen Problemen behaftet ist, der aber gleichwohl zunehmend diskutiert wird, ist die so genannte "Privatisierung des Peacekeeping". Hintergrund dafür ist der insbesondere seit den neunziger Jahren feststellbare Trend zur Privatisierung des Sicherheitssektors, verstanden als verstärkte Übernahme polizeilicher und militärischer Funktionen durch private Dienstleister. Seit Jahren stehen zahlreiche solche Firmen bereit, die von militärischer Logistik und Beratung bis hin zum aktiven Kriegsdienst militärische Dienstleistungen anbieten und auch in militärischen Konflikten einsetzen. Angeregt wird, die Aufgabe der Friedenssicherung ganz oder teilweise an private Firmen zu delegieren. So ist in Zukunft denkbar,Privatfirmen zur Reform der militärischen Fähigkeiten der VN heranzuziehen oder eine engere Kooperation zwischen VN und privaten Firmen zu entwickeln.

Bilanz und Realisierungschancen

Vor dem Hintergrund grundlegender Differenzen über die Rolle der VN in der internationalen Politik verwundert es nicht, dass die Vorstellungen einer umfassenden Reform bisher ebenso vielfältig wie unscharf geblieben sind. In dieser Situation sind Prognosen über die Realisierungschancen zentraler Vorhaben wie etwa der Sicherheitsratsreform kaum möglich. Die jüngst von Generalsekretär Annan eingesetzte Expertengruppe scheint sich immerhin in dieser Frage auf einen Vorschlag geeinigt zu haben, der Aussicht auf Erfolg haben könnte. Demnach soll der Sicherheitsrat auf 24 Staaten erweitert werden und künftig aus drei Gruppen von Mitgliedern bestehen: den bisherigen fünf Ständigen Mitgliedern, einer Gruppe semi-permanenter Mitglieder, die von der Generalversammlung für jeweils fünf Jahre gewählt werden (vorgeschlagen werden u.a. Brasilien, Deutschland, Indien, Japan und Südafrika), und einer Gruppe rotierender nichtständiger Mitglieder, die für eine zweijährige Periode ebenfalls von der Generalversammlung gewählt werden. Das Vetorecht solle dabei nur für die fünf ständigen Mitglieder gelten. Das unverhohlene deutsche Drängen auf einen ständigen Sitz mit vollen Rechten könnte sich dabei noch als Reformhindernis erweisen - ganz abgesehen davon, dass fraglich ist, ob Deutschland tatsächlich ein geeigneter Kandidat für einen ständigen Sitz ist.

Dass aber, unabhängig von der Frage der Sicherheitsratsreform, die Kraft zu einem großen Reformschritt aufgebracht wird, steht nicht zu erwarten. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen in den Mitgliedstaaten darüber, was die Organisation in welchen Politikfeldern leisten und wie intensiv man sich ihres Instrumentariums bedienen soll. Die Weltorganisation war in ihrer Geschichte stets abhängig von den wechselhaften politischen Konjunkturen für multilaterale Zusammenarbeit, und der Reformprozess dürfte sich auch weiterhin vornehmlich in kleinen Schritten vollziehen und von einigen Ausnahmen abgesehen auf Maßnahmen beschränkt bleiben, die in der Regelungskompetenz des Generalsekretärs liegen. Dass diese Schritte in ihrer Summe zu durchaus substanziellen Veränderungen führen können, beweisen die in der Amtszeit von Generalsekretär Annan seit 1997 vollzogenen Strukturmaßnahmen innerhalb des VN-Systems wie auch des VN-Generalsekretariats.

Multilaterale Zusammenarbeit im Rahmen der VN ist oft mühsam, ineffektiv und zeitraubend. Einerseits ist bei bestimmten Problemkonstellationen (etwa in Fragen der Weltumweltpolitik) unstrittig, dass nur ein multilateraler Ansatz Erfolg versprechend sein kann. Andererseits sind andere Problemkonstellationen offensichtlich multilateral nicht immer effektiv zu bearbeiten. Hier gilt es, jenseits von "Wunschdenken" eine nüchterne Bestandsaufnahme vorzunehmen und die VN nicht zu überfordern oder gar von ihr Leistungen zu verlangen, die sie nicht erbringen kann. Multilateralismus ist kein Wert an sich, sondern nur dann sinnvoll, wenn damit Beiträge zur Problemlösung geleistet werden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der internationalen Sicherheit, wo mitunter schnelles und effizientes Handeln unerlässlich ist. Aber auch in anderen Bereichen ist nüchtern über ein "Herabstufen" der VN nachzudenken und zu überlegen, wo der Vorteil einer globalen Organisation gegenüber anderen bi- oder multilateralen Foren liegt. Viel gewonnen wäre bereits, wenn sich die Mitgliedstaaten in den Politikbereichen, in denen gemeinsamer Handlungsbedarf definiert wurde, intensiver engagierten. Fragwürdig ist es beispielsweise, wenn in der Millenniums-Erklärung der VN angekündigt wird, bis 2015 den Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren. So wünschenswert diese Absicht ist, so fraglich ist es, ob diese Zielmarke durch internationale Organisationen erreichbar ist. Solche vollmundigen Versprechungen erinnern vielmehr an die seit Jahrzehnten verfehlte Selbstverpflichtung der Industrieländer, 0,7 Prozent ihres Sozialprodukts für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Selbst engagierte VN-Befürworter kommen daher zu dem Schluss, dass solche Forderungen zwar nicht völlig unrealisierbar seien, die Erfahrung aber lehre, "im besten Fall mit skeptischen, im schlimmsten Fall mit zynischen Erwartungen" an solche Verpflichtungen heranzugehen. Kritisch zu fragen ist, ob die zunehmende "Floskelisierung" der internationalen Politik (also der Trend, permanent vollmundige Versprechungen ohne realistische Umsetzungsstrategien zu machen) nicht zu einem erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust der VN wie auch zur Diskreditierung multilateraler Zusammenarbeit führen muss.

Die Chancen für einen "großen Wurf" beim Thema VN-Reform sind mithin gering, und die Weltorganisation dürfte auch zukünftig nicht in der Lage sein, die hoch gesteckten Erwartungen zu erfüllen. Der anhaltende Reformbedarf sollte aber nicht den Blick dafür verstellen, dass die Weltorganisation für die Stabilität des internationalen Systems unverzichtbar ist. Sie hat sich, trotz aller Schwächen, als eine Institution erwiesen, mit der flexibel auf neue (und alte) Herausforderungen reagiert werden kann. Es kommt wie so oft darauf an, was die Mitgliedstaaten aus diesem Rahmen machen. Der Schriftenreiheband "Menschenrechte" ist soeben erschienen. Bestellungen unter Publikationen. Dort ist der Band ist auch online verfügbar.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Reformdebatte ist so umfangreich, dass hier nur auf einige wenige markante Punkte eingegangen werden kann. Weitgehend ausgeblendet werden z.B. die internen Organisationsreformen, die Finanzreformen, die Veränderungen in der internationalen Strafgerichtsbarkeit, der internationalen Finanzarchitektur, des Wirtschafts- und Sozialbereichs, die Einbeziehung neuer Akteure und Nichtregierungsorganisationen in die Arbeit der VN sowie die Global-Governance-Debatte.

  2. Vgl. Sven Bernhard Gareis/Johannes Varwick, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen, Opladen-Stuttgart 2003(3), S. 285 - 341; James P. Muldoon, The Architecture of Global Governance, Boulder 2004, S. 15 - 95.

  3. Vgl. Sven Bernhard Gareis/Johannes Varwick, The United Nations. An Introduction, Basingstoke 2005; Edward C. Luck, Reforming the United Nations: Lessons from a History in Progress, Brantford 2003; Klaus Hüfner (Hrsg.), Agenda for Change. New Task for the United Nations, Opladen 1995; Ernst-Otto Czempiel, Die Reform der UNO. Möglichkeiten und Missverständnisse, München 1994.

  4. So hat etwa die Generalversammlung nach Jahren schwierigster Verhandlungen im Dezember 2000 die Finanzierung der VN auf eine neue Basis gestellt und damit einen Weg aus einer ihrer drückendsten Krisen gefunden.

  5. Vgl. aus der Fülle der Reformvorschläge die Berichte des VN-Generalsekretärs: Renewing the United Nations: A Programme for Reform (VN-Dokument A/51/950) vom 14. 7. 1997; We the People. The Role of the United Nations in the twenty-first century (VN-Dokument A/54/2000) vom 27. 3. 2000; Strengthening the United Nations: An Agenda for further Change (VN-Dokument A/57/387) vom 9. 9. 2002.

  6. Vgl. Rede des VN-Generalsekretärs vor der 58. Generalversammlung der VN am 23. 9. 2003, in: Internationale Politik, 58 (2003) 11, S. 116 - 118.

  7. Dieser Zeitplan, der sich noch ändern kann, beruht auf Angaben der deutschen Vertretung bei den VN in New York gegenüber dem Verfasser im August 2004.

  8. Vgl. Rede des Generalsekretärs (Anm. 6), S. 118.

  9. Wichtigster Bezugspunkt ist hierbei der so genannte "Razali-Vorschlag" aus dem Jahr 1997, vgl. S. B. Gareis/ J.Varwick (Anm. 2), S. 298 - 303.

  10. Vgl. die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder am 25. 3. 2004, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/100, S. 8912A.

  11. Vgl. E.-O. Czempiel (Anm. 3), S. 156f., sowie Komitee für eine Demokratische UNO (Hrsg.), Internationale Demokratie entwickeln. Für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen, Nauheim 2004 (www.uno-komitee.de).

  12. Vgl. Entschließung der Europäischen Union zu den Herausforderungen einer Weltordnungspolitik und zur Reform der UNO, in: Amtsblatt der EG vom 23. 3. 1999 (EG-Dokument C 177/63).

  13. Vgl. Report of the Panel of Eminent Persons on United Nations Civil Society Relations (VN-Dokument A/58/817) vom 11. 6. 2004.

  14. Vgl. Klaus Hüfner/Jens Martens, UNO-Reform zwischen Utopie und Realität. Vorschläge zum Wirtschafts- und Sozialbereich der Vereinten Nationen, Frankfurt/M. 2000.

  15. Vgl. Rosemary Righter, Utopia Lost. The United Nations and World Order, New York 1995, sowie den im März 2000 vorgelegten Bericht der so genannten "Meltzer-Commission" des US-Kongresses zur Zukunft der internationalen Entwicklungskooperation (http://www.house.gov/jec/imf/meltzer.pdf, 13. 8. 2004).

  16. Vgl. Frank Biermann/Udo Ernst Simonis, Institutionelle Reform der Weltumweltpolitik? Zur politischen Debatte um die Gründung einer Weltumweltorganisation, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 7 (2000) 1, S. 163 - 183.

  17. Vgl. Thomas Gehring/Sebastian Oberthür, Was bringt eine Weltumweltorganisation? Kooperationstheoretische Anmerkungen zur institutionellen Neuordnung der internationalen Umweltpolitik, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 7 (2000) 1, S. 185 - 211.

  18. Andreas Rechkemmer, Globale Umwelt- und Entwicklungspolitik in der Krise? (SWP-Aktuell 44), Berlin 2002, S. 4.

  19. Vgl. Michael Glennon, Why the Security Council Failed, in: Foreign Affairs, 82 (2003) 3, S. 16 - 35. Die Gegenposition vertritt u.a. Jochen A. Frowein, Ist das Völkerrecht tot?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 7. 2003, S. 10. Zur grundlegenden Kritik am sicherheitspolitischen Multilateralismus siehe Joachim Krause, Multilateral Cooperation in the Face of Old and New Challenges, in: William Wallace/Young Soogil (Hrsg.), Asia and Europe. Global Governance as a Challenge to Cooperation, Tokyo 2004, S. 58 - 91.

  20. Der VN-Generalsekretär formulierte die Sorge, dass diese Logik, falls sie übernommen wird, "zur Ausbreitung einer einseitigen und gesetzlosen Anwendung von Gewalt führen könnte, egal ob mit oder ohne Rechtfertigung", vgl. die Rede des VN-Generalsekretärs (Anm. 6), S. 117.

  21. Es sei daran erinnert, dass ein militärisches Eingreifen im Kosovo 1999 nicht möglich gewesen wäre, wenn auf die Legitimierung durch den VN-Sicherheitsrat bestanden worden wäre.

  22. Ansätze dazu finden sich bei Adam Roberts, Law and the Use of Force after Iraq, in: Survival, 45 (2003) 2, S. 21 - 56; Werner Hoyer, Völkerrecht reformieren, um es zu bewahren, in: Internationale Politik, 59 (2004) 2, S. 63 - 66.

  23. Vgl. dazu die zahlreichen Reformvorschläge des VN-Generalsekretärs (Anm. 5), und S. B. Gareis/J. Varwick (Anm. 2), S. 34f.

  24. Vgl. Report of the Panel on United Nations Peace Operations (VN-Dokument A/55/305-S/2000/809) vom 23. 8. 2000; Kofi Annan, Prevention of Armed Conflicts, New York 2002.

  25. Das voraussetzungsreiche Konzept der so genannten "Blauhelmeinsätze" nach Kapitel VI der VN-Charta (u.a. Konsens der Konfliktparteien als Voraussetzung für einen Einsatz, Durchführung der Einsätze unter der Verantwortung der VN, Unparteilichkeit der Friedenstruppen) ist in den vergangenen Jahren durch die Praxis vollkommen verändert worden. Zudem haben sich Kapitel VI ("Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten") und Kapitel VII ("Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen") der VN-Charta zunehmend vermischt. Inzwischen gibt es kein klares Muster von VN-Friedenseinsätzen mehr, vielmehr muss jede Mission gewissermaßen neu erfunden werden. Vgl. S. B. Gareis/J. Varwick (Anm. 2), S. 73 - 176 und 304 - 314, sowie Tobias Debiel, UN-Friedensoperationen in Afrika. Weltinnenpolitik und die Realität von Bürgerkriegen, Bonn 2003.

  26. Derzeit (August 2004) verantwortet die VN 16 Friedensmissionen, bei denen 56 249 Personen aus 97 Staaten eingesetzt werden. Das Budget dafür beträgt 2004/5 rd. 2,8 Mrd. US-Dollar.

  27. Vgl. Karin von Hippel, NATO, EU, and ad hoc coalition-led peace support operations: The end of UN peacekeeping or pragmatic subcontracting, in: Sicherheit und Frieden, 22 (2004) 1, S. 12 - 18.

  28. Vgl. Steven Brayton, Outsourcing War: Mercenaries and the Privatization of Peacekeeping, in: Journal of international Affairs, 55 (2002) 2, S. 303 - 329.

  29. Vgl. A Winning Recipe for Reform?, in: The Economist vom 24. 7. 2004, S. 36f.

  30. Vgl. Gunther Hellmann/Reinhard Wolf, Neuer Spielplan auf der Weltbühne. Deutschlands Auftritt muss abgesagt werden, in: Internationale Politik, 59 (2004) 8, S. 73 - 80, und Karl Kaiser, Der Sitz im Sicherheitsrat. Ein richtiges Ziel deutscher Außenpolitik, in: Internationale Politik, 59 (2004) 8, S. 61 - 69.

  31. Vgl. Andreas Rechkemmer, Die UNO, die Irak-Kontroverse und das Prinzip kollektiver Aktion. Weltorganisation unter Rekonstruktion?, Berlin 2003 (Arbeitspapier der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik Nr. 13), S. 8.

  32. Ian Williams, Eine kritische Masse an Staatskunst. Der "Millenniums-Gipfel" der Vereinten Nationen vom September 2000, in: Vereinte Nationen, 48 (2000) 5, S. 166.

Dr. phil., geb. 1968; Professor für Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Anschrift: Institut für Politische Wissenschaft, CAU Kiel, Westring 400, 24118 Kiel.
E-Mail: E-Mail Link: varwick@politik.uni-kiel.de

Veröffentlichungen u. a.: Deutsche Außenpolitik in globaler Perspektive: Kooperativer Multilateralismus und die Vereinten Nationen, in: Politische Bildung, (2003) 2; Die NATO-Politik der rot-grünen Bundesregierung 1998 - 2003, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, (2004) 1; Vom Partner zum Rivalen? Die Zukunft der transatlantischen Sicherheitsbeziehungen, in: Österreichische Militärische Zeitschrift, (2004) 2.