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Kopernikus und die Entwicklung des abendländischen Denkens | APuZ 19/1954 | bpb.de

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APuZ 19/1954 Kopernikus und die Entwicklung des abendländischen Denkens Die Führung Westeuropas Großbritannien liegt in Europa Augenschein in Asien Eindrücke einer Rundfahrt

Kopernikus und die Entwicklung des abendländischen Denkens

Pascual Jordan

Vortrag zur Kopernikus-Feier des Ostdeutschen Kulturrates in Aachen 28. 3. 54

Inhalt

Die Lehre des Nikolaus Kopernikus von der Bewegung der Erde um die Sonne ist uns längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Gerade diese Selbstverständlichkeit erschwert es uns, die Bedeutung seiner geistigen Leistung zu würdigen. Wir müssen uns zurückversetzen in das Denken mittelalterlicher Menschen, wir müssen uns nachträglich wieder einfühlen in ihre Vorstellungswelt, um Rang und Maß der kopernikani-sehen Wendung erfassen zu können, um ihre Rolle in der abendländischen Geistesentwicklung zu ermessen. Wir bedürfen dieser rückblicken-den Wiedereinfühlung insbesondere auch dann, wenn wir begreifen möchten, warum diese kopernikanische Wendung für damalige Menschen auch eine religiöse Erschütterung bedeutet hat.

Das mittelalterliche Weltbild faßte in unzerteilter Ganzheit Natur und Übernatur, Diesseits und Jenseits im anschaulich vorstellbarem Raume zusammen. Über der flachen Erdscheibe wölbte sich der Sternenhimmel. Das den irdischen Bereich nach oben abschließende Himmelsgewölbe war aber zugleich die geheimnisvolle Unterzone überirdischer Räume — des Himmelreiches, in welchem Gott inmitten der Scharen seiner Engel thront. Und auch die Macht des Bösen hatte ihren zugewiesenen Platz in diesem Weltbild, denn im unterirdischen Dunkel hatte die Hölle ihr finsterstes Reich.

Die Erde, das Diesseits, das menschliche Leben zwischen Geburt und Ted, war also ganz anschaulich-greifbar eingebettet im Spannungsfeld zwischen Himmel und Hölle; die Ganzheit der wirkenden, das menschliche Dasein beherrschenden Mächte — Natur und Übernatur — fand Platz im dreidimensionalen Raume; und die räumlichen Ordnungsbegriffe Oben und Unten symbolisierten zugleich die Ordnung nach Wert und Rang.

Aus der Geborgenheit dieses Weltbildes hat Kopernikus uns unwiderruflich herausgeführt. Er knüpfte dabei an Vorgänger an. Wenn wir uns in dieser Feierstunde auch seiner Vorläufer erinnern, so bedeutet das keine Verkleinerung seiner Leistung. Sondern es bedeutet ihre Einordnung in den großen Denkprozeß der Menschheit, wie er sich im Schrittmaß der Jahrhunderte vollzieht. Schon die Antike hat die Lehre des Kopernikus vorbereitet — so daß uns hier der große Brückenbogen sichtbar wird, der unsere abendländische Kultur mit der Antike verbindet.

Verschiedene Gelehrten und Philosophen antiker Zeit haben den Gedanken erörtert, daß die Erde nicht eine Scheibe, sondern eine Kugel sei. Aristoteles hat diese Vorstellung nachdrücklich vertreten; und später, in hellenistischer Zeit, hat Eritosthenes sogar die Größe dieser Erdkugel auszumessen vermocht. In pythagoreischen und platonischen Spekulationen ist aber auch schon erwogen worden, nicht die Erde, sondern die Sonne in den Mittelpunkt des Weltgebäudes zu stellen. A r i s t a r c h , der die Lehre von der Bewegung der Erde um die Sonne wissenschaftlich zu präzisieren und auch unsere Entfernung von der Sonne zu messen versuchte, hat sich hierdurch in seiner heidnischen Umwelt eine Anklage wegen Gottlosigkeit zugezogen.

Die Begründung, welche Aristarch seiner Vorstellung geben konnte, war freilich noch schwach und unzureichend. Als einige Jahrhunderte später Ptolemäos in seinem berühmten Werk das gesamte astronomische Wissen damaliger Zeit zusammenfaßte, hierbei die Astro-nomie als eine schon hochentwickelte Wissenschaft erweisend, setzte er noch einmal die Erde in den Mittelpunkt. Dort ist sie geblieben, bis Kopernikus kam.

Die Vorstellung von der Erde als Kugel war ja hingegen schon früher wieder lebendig geworden. Als Kolumbus aufbrach zu seiner abenteuerlichen Fahrt auf den freien Ozean hinaus, da handelte es sich keineswegs nur um ein Abenteuer. Sondern es handelte sich um eine echte Forschungsexpedition, um ein großangelegtes wissenschaftliches Experiment. Die Anregung zu diesem Experiment hatte Kolumbus dadurch erhalten, daß ihm ein gelehrter Freund erzählt hatte von der in den Schriften der Alten enhaltenen seltsamen Behauptung, daß die Erde ein« Kugel sei. Der durch Kolumbus erreichte endgültige Beweis, daß die Erde eine frei im Raum schwebende Kugel ist, zerstörte bereits ein wesentliches Stück des mittelalterlichen Weltbildes. Aber erst Kopernikus hat sich danach zu der geistigen Kühnheit erhoben, die Erde aus dem Mittelpunkt des Weltgebäudes zu entfernen, sie zu einem Himmelskörper, einem die Sonne umkreisenden Planeten zu erklären.

Nur zögernd, dem Drängen seiner Freunde folgend, hat sich Kopernikus bereit gefunden, seine revolutionierende Lehre in einem großen Bucht niederzulegen. Auf dem Sterbebette wurde ihm das fertige Buch in die Hand gegeben; aber es scheint, daß er es nicht mehr erkannt hat. Die Beweisunterlagen, die Kopernikus zusammenfassend darstellen konnte, waren nun schon von erdrückendem Gewicht im Vergleich zu dein, was Aristarch bekannt gewesen war. Aber wir wollen es uns versagen, auf die Beweise näher einzugehen: Das würde diesen Vortrag in die Bahn einer fachwissenschaftlichen Vorlesung einmünden lassen. Infolgedessen müssen meine freundlichen Zuhörer entschuldigen, daß ich 'n meinem ganzen Vortrag eigentlich nur mittelbar von Kopernikus spreche. Ich habe von seinen Vorläufern gesprochen, und ich werde von seinen Nachfolgern sprechen; von ihm selber aber spreche ich unmittelbar am wenigsten. Denn ich will auch nichts Biographisches bringen. Eine Lebensbeschreibung dieses großen Deutschen, dieses großen Europäers, vor dem Hintergründe einer buntbewegten Zeitgeschichte, das wäre eine große Aufgabe für einen Historiker, aber nicht für einen Physiker. Sondern ich will mich beschränken auf das Thema der Einordnung der kopernikanischen Tat in den Denkprozeß der Menschheit; dazu freilich ist es nun erforderlich, daß wir auch die geistes-geschichtliche Weiterentwicklung betrachten, um in der Erkenntnis des Kopernikus die Wurzeln des Späteren zu sehen. Eine vollständige Würdigung der Auswirkung der kopernikanischen Gedankenleistung würde freilich fast mit einer vollständigen Geschichte der Naturwissenschaften in nachkopernikanischer Zeit gleichbedeutend sein; ich muß mich also mit einigen Andeutungen begnügen.

Das große Dreigestirn Da haben wir vor allem an drei Männer zu denken, an das Dreigestirn Galilei, Kepler, Newton.

Galilei, der Bahnbrecher der physikalischen Forschung, wurde durch die Erkenntnis der Fallgesetze zum Begründer der Mechanik. Indem er das Fernrohr nacherfand und es auf die Gestirne richtete, eröffnete er jene großartige Entfaltung der Astronomie, die erst durch das Fernrohr ermöglicht worden ist. Galilei wurde aber auch zum bedeutendsten Vertreter und Verfechter der Lehre des Kopernikus, nachdem er sich schließlich von ihrer Richtigkeit überzeugt hatte.

Al Kepler das kopernikanische Bild des Planetensystems verschärfte und verfeinerte, konnte er sich stützen auf die neuen umfassenden Messungen, die Tycho de Brahe in mühsamer, geduldiger Arbeit ausgeführt hatte. Tycho de Brahe war der letzte große Astronom, der noch ohne Fernrohr gearbeitet hat, wobei er eine erstaunliche Genauigkeit der Messungen erreichen konnte. Er selber blieb noch auf der Grundlage des Ptolemäischen Weltbildes stehen, das er nur in Einzelheiten zu verbessern suchte, um genauere Überein-stimmungen mit seinen Meßergebnissen zu erzielen. Kepler jedoch las in tiefdringender mathematischer Analyse aus den Ergebnissen T y -ehe de Brahes heraus, daß die Planeten in Wahrheit nicht Kreisbahnen, sondern Ellipsenbahnen um die Sonne beschreiben. Die von Kepler in seinen berühmten Gesetzen gegebene genauere Beschreibung dieser elliptischen Bewegungen blieb freilich eine bloße Beschreibung, ohne schon auch einen Ansatz zu einem dynamischen Verständnis dieser Bewegung zu enthalten.

Zu diesem dynamischen Verständnis gelangte erst Newton, unbestritten als größter Physiker der Geschichte angesehen. Er ist der Vollender Galileis ; zugleich auch der Vollender des kopernikanischen . Werkes. Die von ihm erkannten Grundgesetze der Mechanik liefern zusammen mit seinem Gravitationsgesetz die dynamische Begründung der Kcplerschen Gesetze der elliptischen Planetenbahnen. Der geniale französische Mathematiker Henri Poincare hat einmal gesagt, die Menschheit habe vom Sternenhimmel, von den Planeten, jene Gesetze der Mechanik gelernt, die später zur Grundlage unserer Maschinentechnik geworden sind. Wie nötig dieses Lernen war, wie weit entfernt die Zeit vor Newton noch von einem Verständnis der mechanischen Gesetze war, zeigt uns das Beispiel des großen T v c h o de Brahe, der die Meinung geäußert — und sie als einen ernsten Einwand gegen Kopernikus betrachtet hat. die „träge, dicke Erde“ sei zu ungeschickt für die ihr von Kopernikus zugeschriebenen Bewegungen. Auch vermochte er sich nicht zu befreien von jenem damals landläufigen, oft vorgebrachten Einwand, welcher behauptete, daß die kopernikanische Lehre von der Erdbewegung widerlegt werde durch das senkrechte Niederfallen eines losgelassenen Steines. Galilei hatte diesen Einwand entkräftet durch den Hinweis, daß auch auf einem schnell dahin fahrenden Schiff ein losgelassener Stein senkrecht auf den Schiffsboden niederfällt.

Während also die Astronomiegewissenmaßen die Mutter der Mechanik geworden ist, konnte später — im vorigen Jahrhundert — die Mechanik umgekehrt noch einmal der Astronomie einen wesentlichen Dienst erweisen, durch ein Experiment, das schlagend zeigte, daß wirklich die Erde sich um ihre Achse dreht, so daß die tägliche Umdrehung des Fixsternhimmels nur eine scheinbare ist. Der Franzose Foucault erbrachte diesen Beweis durch seinen berühmt gewordenen Pendelversuch. Ähnlich wie bei Kopernikus reichten auch bei Newton die gedanklichen Ausstrahlungen seines Werkes weit über Fachgrenzen hinaus. Erinnern wir uns daran, daß Voltaire, ein in der Naturforschung sonst recht fernstehender Geist, ein Buch über Newton verfaßt hat, um ihn den kontinentalen Europäern näher zu bringen. Aber augenblicklich wollen wir nur die von Newton ausgegangene Weiterentwicklung der Physik kurz betrachten. Nach dem Vorbild der Newton sehen Gravitationstheorie hat sich die Lehre von der Elektrizität entwickelt, deren Gesetze zum Teil erstaunlich enge mathematische Ähnlichkeit mit dem Gesetz der Gravitation besitzen. Im vorigen Jahrhundert hat sich in der Elektrizitätslehre noch einmal ein bedeutungsvoller Umschwung vollzogen: Der Übergang von der Fernwirkungs-thcoric zur Nabewirkungstheoric. Zwei elektrische Ladungen, die voneinander räumlich getrennt sind, üben dennoch Kraftwirkungen aufeinander aus, welche den zwischen ihnen liegenden räumlichen Abstand gewissermaßen zu überspringen scheinen. Die Fernwirkungstheorie hat solche über räumliche Entfernung hinweggreifende Kraftwirkungen als primäre, ursprüngliche physikalische Gesetzlichkeiten angesehen und sie mathematisch genau beschrieben. Aber die Engländer Faraday und Maxwell haben die Erkenntnis errungen, daß es sich nur scheinbar um Femwirkungen handelt, daß sie zustandekommen als Ergebnis physikalischer Wirkungen, die sich von Ort zu Ort ausbreiten, ohne räumliche Abstände zu überspringen. Dies vertiefte Verständnis hat zur Entdeckung der elektrischen Wellen durch Hertz geführt.

Das N e w t o nsche Gravitationsgesetz ist ja ebenfalls ein Fernwirkungsgesetz; zeitgenössische Kritiker haben daran übrigens ernsten Anstoß genommen, und Newton selber hat keineswegs dies Fernwirkungsgesetz als letzte, endgültige Wahrheit aufgefaßt, sondern nur als die beste zu seiner Zeit erreichbare Stufe der Erkenntnis.

Einsteins „allgemeine Relativitätstheorie“

Die höhere Stufe einer auch die Gravitation auf Nahewirkung zurückführenden Theorie ist erst in unserem Jahrhundert erreicht worden, nämlich durch Einsteins „allgemeine Relativitätstheorie“. Einstein ist damit der große Vollender Newtons geworden, so, wie Newton der Vollender Galileis war. Indem die allgemeine Relativitätstheorie den Begriff der Bewegung relativiert, rückt sie nachträglich die Lehre des Kopernikus noch einmal in eine veränderte Beleuchtung. Man könnte, wenn man so wollte, von einer nachträglichen Einschränkung oder gar Aufhebung der kopernikanischen Behauptung sprechen; denn es erweist sich, daß die Bewegung der Erde um die Sonne nicht mehr von absoluter Bedeutung bleibt; grundsätzlich ist es nur eine Frage des Standpunkts, der Betrachtungsweise, welchen Körper wir als bewegt, und welchen wir als unbewegt ansehen wollen — die allgemeine Relativitätstheorie gibt uns die Möglichkeit, in folgerichtiger Betrachtung auch diejenigen Tatsachen jeder der gleichberechtigten Betrachtungsweisen einzuordnen, welche früher (wie insbesondere der Foucault-sehe Pendelversuch) eine absolute Bewegung der Erde zu beweisen schie-nen. Die richtige und sinngemäße Bewertung ist aber sicherlich die, daß wir in dieser von Einstein herbeigeführten neuen Wendung nicht eine Einschränkung, sondern im Gegenteil die eigentliche Krönung oder letzte Vertiefung der kopernikanischen Lehre sehen.

Die Bedeutung Giordano Brunos Nadi diesem Überblick über die geistesgeschichtliche Einordnung der kopernikanischen Gedankenleistung möchte ich noch zwei Themen kurz betrachten, welche durch die kopernikanische Wendung tiefgreifend berührt worden sind. Ich spreche einerseits über die Kosmologie, und andererseits über den Begriff der Naturgesetzlichkeit. Wenn wir die nachkopernikanische Entwicklung der Kosmologie verfolgen wollen, so haben wir zunächst eines anderen bedeutenden Geistes zu gedenken, nämlich Giordano Brunos. Spätere Beurteiler haben in lebhafter Bewunderung Giordano Brunos häufig die tiefe Wesensverschiedenheit zwischen Kopernikus und Bruno verkannt. Ganz kurz könnten wir es so ausdrücken: Kopernikus war Naturforscher, Bruno hingegen war ein spekulierender Philosoph, der freilich die Naturwissenschaften stark und nachhaltig beeinflußt hat.

Schon Tycho de Brahe hatte darauf hingewiesen, daß die Fixsterne überaus weit entfernt sein müßten, wenn Kopernikus recht hätte; denn trotz der Schärfe seiner Messungen konnte Tycho de B r a h e an den relativen Stellungen der Fixsterne keine jahreszeitlichen Veränderungen erkennen, wie sie vorhanden sein müßten, wenn die Erde im Laufe des Jahres einen so großen Kreis beschreibt, und ihre Stellung zu den Fixsternen so stark verändert. Erst im vorigen Jahrhundert ist es dem bedeutenden Astronomen Bessel gelungen, diesen Einwand Tycho de Brahes zu überwinden und ihn in einen entscheidenden astronomischen Beweis zugunsten des Kopernikus umzuwandeln: Die im Zeitalter der Fernrohr-Astronomie möglich gewordene Verschärfung der Messungen läßt wenigstens für die uns noch einigermaßen nahen Sterne der Milchstraße jene winzigen jahreszeitlichen Verschiebungen erkennen, die sich aus dem wechselnden Standort unserer Beobachtung ergeben. Die Feststellungen Tycho de Brahes, daß auf Grund der kopernikanischen Lehre die Fixsterne überaus weit entfernt sein müßten, ist damit bestätigt und präzisiert worden.

Bereits Giordano Bruno hat aber gelehrt, daß die Fixsterne andere Sonnen seien, und das war zweifellos ein großer Gedanke. Kopernikus hatte noch von der „stillstehenden Sphäre der Fixsterne" gesprochen. Jetzt erst, durch Giordano Bruno, wurde diese das Diesseits umschließende Sphäre endgültig zertrümmert, wurde endgültig der gesamte Raum für die Natur, den astronomischen Kosmos, in Anspruch genommen.

In der Ausmalung seiner Lehren hat Bruno eine Fülle mystisch-pantheistischer Gedanken vorgetragen, die für die europäische Geistes-entwicklung keine Bedeutung gewonnen haben. Aber vier Thesen, die er in diesem Zusammenhänge ausgesprochen hat, gewannen — losgelöst vom Hintergründe der mit ihnen verwobenen mystischen Spekulation — richtunggebende, beherrschende Bedeutung für die Astronomie im Zeitalter der Fernrohr-Forschung. Nach Giordano Bruno ist der Weltraum als solcher unendlich groß. Das Weltall, der Kosmos besteht seit unendlich langer Zeit und wird in unendliche Zukunft hinein weiterbestehen, im Großen unveränderlich trotz allen Wechsels im Einzelnen. Im unendlichen Raume gibt es unendlich viele Sonnen. Unter den unendlich vielen Planeten dieser unendlich vielen Sonnen gibt es auch unendlich viele bewohnte Himmelskörper: Das Leben ist eine durch das ganze Weltall verbreitete Erscheinung.

Ernste Fragezeichen Erst in unserem Jahrhundert haben sich zu diesen vier berühmten Behauptungen Giordano Brunos ernste Fragezeichen ergeben. Erstens bezweifeln heutige Astronomen und Physiker, gestützt auf die schon erwähnte Einstein sehe allgemeine Relativitätstheorie, die Unendlichkeit des Weltraums. An dieser Stelle haben wir eines anderen großen Stückes aus der geistigen Hinterlassenschaft der Antike zu gedenken. Neben der antiken Astronomie steht als andere, gleichermaßen überragende Leistung die antike Geometrie, die mathematische Raumlehre, wie sie vor allem in den berühmten Büchern des E u k I i d niedergelegt ist.

Erst im vorigen Jahrhundert konnten sich Zweifel erheben, ob die euklidische Geometrie mit abschließender, vollkommener Genauigkeit die endgültige Wahrheit ausspreche; die damals entwickelte „nichteuklidische" Geometrie erwies die Denkmöglichkeit gewisser Abweichungen von den euklidischen Gesetzen — Abweichungen, die innerhalb irdischer Maßstäbe noch keinerlei Rolle spielen, aber in den riesigen Verhältnissen des Kosmos grundsätzliche Bedeutung erlangen können. In diesem Rahmen hat es sich als logisch-mathematisch möglich erwiesen, daß das Weltall, der allumfassende Raum, als solcher trotz Unbegrenztheit von endlicher Gesamtgröße sein könnte. Die Frage ist heute noch unentschieden; die größte Sternwarte der Welt auf dem Mount Palomar in Kalifornien, ist der Klärung dieser Frage gewidmet.

Sehr entschieden verneint aber die moderne Forschung schon heute die Behauptung einer bis in unendliche Ferne erstreckten Vergangenheit des Kosmos. Die Geschichtlichkeit des astronomischen Alls, seine fortschreitende Entwicklung und Veränderung ist uns zur Gewißheit geworden, und schwerwiegende Gründe sprechen dafür, daß diese Geschichte des Kosmos vor etwa vier Milliarden Jahren begonnen hat — wahrscheinlich mit einem echten Anfang der Zeit als solcher, wie er bereits von philosophischen Theolgen früherer Jahrhunderte aus ganz anderen Gründen angenommen war. Wenn der Raum nicht unendlich ist, so gibt es nicht unendlich viele, sondern nur sehr viele, aber endlich viele Sonnen. Es gibt dann auch nur endlich viele als Wohnstätte organischen Lebens geeignete Planeten; und die Frage wie viele das sein mögen, stellt uns vor ganz neue Aufgaben. Wir wissen darüber noch fast nichts. Viele Naturforscher sind heute noch der Ansicht, daß Giordano Bruno wenigstens darin recht gehabt habe, daß das organische Leben eine im Kosmos sehr häufige, verbreitete Erscheinung sei. Ich selber möchte auch hierzu ein Fragezeichen machen. Schwerwiegende Gründe scheinen mir dafür zu sprechen, daß das organische Leben — sehr vorsichtig ausgedrückt — jedenfalls eine im Kosmos überaus seltene Erscheinung ist.

Im Ganzen sind also die modernen Entwicklungen der Naturwissenschaft den Spekulationen Giordano Brunos nicht günstig gewesen. Durch das, was er in kühnem Gedankenflug vermutet hat, ist er zwar der Astronomie ein großer Anreger geworden; aber nur weniges davon hat sich als bleibend erwiesen.

Um so heller strahlt durch die Jahrhunderte der Stern des Koperni-k u s. Im Vergleich dieser beiden Gestalten wird uns ergreifend deutlich, worin das Wesen von Forschung und Wissenschaft liegt. In Kopernikus verkörpert sich die Demut echter Erkenntnis. Er kennt und befolgt das strenge Gebot einer Beschränkung der Aussage auf das, was zuverlässig gesagt und auch bewiesen werden kann. Im sorgfältigen, gewissenhaften Zusammentragen von Beweisen sammelt er Baustein um Baustein für das Gebäude der Erkenntnis; und er beugt sich der Tatsache, daß dies Gebäude immer unfertig bleiben muß, immer offen und unabgeschlossen, nur ein Fragment. Er verschmäht den Ausweg spekulierender Phantasie, die zu abschließender, letztgültiger Gesamterkenntnis kommen und das Gebäude eigenwillig krönen möchte.

Begriff der Naturgesetzlichkeit In der Entwicklung unserer Vorstellungen vom Wesen der Natur-gesetzlichkeit können wir drei Stufen unterscheiden: Plato hat dazu aufgefordert, die scheinbar so verwickelten Bewegungen der Planeten — mit den merkwürdigen Schleifen, die sie am Himmelsgewölbe bilden — durch mathematische Zerlegung auf einfache, gleichmäßige Bewegungen zurückzuführen. Der Vollkommenheit der Himmelskörper sei es angemessen, in Wahrheit einfache, gleichmäßige Bewegungen auszuführen. Der damit ausgedrückten Vorstellung von Naturgesetzlichkeit entspricht nicht nur die gesamte antike Astronomie, sondern auch Kopernikus steht mit seinen umwälzenden Gedanken noch ganz im Rahmen dieser Vorstellung. Tatsächlich ergab sich ja eine großartige Vereinfachung des Bildes der Planetenbewegung durch seine die Sonne zum Mittelpunkt machende Betrachtungsweise: Wenngleich den meisten seiner Zeitgenossen diese Betrachtungsweise zumindest eine kaum vollziehbare Abstraktion bedeutete, so erreichte sie jedenfalls in unüberbiet-barer Schönheit und Vollkommenheit das Bild gleichmäßiger und einfacher Bewegung.

Die Verfeinerung, die Kepler diesem Bilde gab, bedeutete freilich zugleich auch eine nachträgliche Komplizierung: Die Ersetzung der Kreisbahnen durch Ellipsen ergab jedenfalls einen Verlust an Einfachheit, dem jedoch die in den Kepler sehen Gesetzen ausgedrückte wunderbare mathematische Harmonie dieser Ellipsenbewegung gegenüberstand.

Indem Newton die tiefere dynamische Deutung der Keplerschen Gesetze fand, schuf er (an G a 1 i 1 e i anknüpfend) einen vertieften Begriff der Naturgesetzlichkeit. Hiernach bedingen die Naturgesetze nicht mehr unmittelbar eine in einfache mathematische Aussagen zu fassende Gesamtgestalt der Planetenbahnen, sondern diese Bahnen kommen mittelbar zustande auf Grund einer ursprünglicheren, tieferen Gesetzlichkeit, welche ausspricht, wie sich der Planet an irgendeiner Stelle seiner Bahn unter dem Einfluß der auf ihn wirkenden Kräfte unmittelbar weiterbewegen muß. Von da aus ergab sich, daß die Kepler sehen Ellipsen eine nicht in voller Reinheit verwirklichte Idealform der Planetenbahnen sind: Sie ergeben sich aus den Newton sehen dynamischen Gesetzen auf Grund des Umstandes, daß jeder Planet in erster Linie nur von der Gravitation der Sonne beeinflußt wird. Aber daneben gibt es auch eine Gravitationsanziehung der Planeten untereinander; und diese muß gewisse kleine Abweichungen von den Kepler-Bahnen, kleine Störungen dieser Bahnen zustande bringen. Newton war überzeugt, daß diese Störungen trotz ihrer Kleinheit im Laufe langer Zeit so sehr anwachsen müßten, daß sie das Planetensystem in völlige Verwirrung bringen würden. Er folgerte daraus, daß von Zeit zu Zeit regelnde Eingriffe Gottes, unter Durchbrechung der Naturgesetze, die Ordnung des Planetensystems wiederherzustellen hätten.

Die Natur ist mit sich allein Später jedoch haben jene genialen französischen Mathematiker, welche Newtons Theorie mathematisch ausgebaut haben, auch den Beweis geliefert, daß die wechselseitigen Störungen der Planeten über lange hin Veränderungen Zeiten keineswegs zu beträchtlichen der Bahnellipsen führen; diese Veränderungen gleichen sich über sehr lange Zeiten hin im Wesentlichen wieder aus. Dies Ergebnis hat entscheidend dazu beigetragen, in den führenden Köpfen der abendländischen Naturwissenschaft die Vorstellung zu festigen, daß die Natur mit sich allein sei, daß die in sich geschlossene Naturgesetzlichkeit ausreichend sei — ohne regelnde Eingriffe Gottes — den Kosmos in seiner Ordnung zu erhalten.

Eine besondere Verschärfung erhielt die damit begründete Vorstellung von der in sich abgeschlossenen Natur, als man sie von den Gestirnen übertrug auf die Atome. Die antike Atomphilosophie, vor allem durch Demokrit geschaffen, ist neben antiker Geometrie und antiker Astronomie die dritte jener uns aus der Frühzeit menschlicher Erkenntnis überlieferten Gedankenleistungen, auf denen unsere moderne Welt beruht. Folgen wir der Lehre Demokrits, wonach es nichts gibt als die Atome und den leeren Raum, und stellen wir uns die für die Bewegung der Atome maßgebende Naturgesetzlichkeit nach Art derjenigen vor, die N e w t o n im Planetensystem gefunden hat, so gewinnen wir in voller Schärfe das Bild einer Natur, die einem riesigen Uhrwerk gleicht, in jeder Feinheit des Geschehens uhrwerksmäßig vorausbestimmt. In dieser lückenlosen Vorausbestimmung des Naturgeschehens bleibt weder ein Bedürfnis noch eine Möglichkeit für regelnde Eingriffe des Schöpfers, wie Newton sie angenommen hatte. Der Lenkung Gottes entzogen, bleibt diese Natur mit sich allein.

Zur dritten Stufe im grundsätzlichen Verständnis der Naturgesetzlichkeit ist erst unser eigenes Jahrhundert gekommen, durch Quantentheorie und Atomphysik. In unserer Zeit haben die Atome, indem sie Gegenstand der physikalischen Erforschung geworden sind, andererseits aufgehört, mögliche Gegenstände spekulierender Vermutung zu sein; wir können nicht mehr der Phantasie erlauben, uns das Reich der Atome auszumalen. Sondern wir sehen heute in diese Unterwelt der Atome hinunter und müssen uns abfinden mit einem sehr unerwarteten, befremdenden Bild.

Hier an dieser Stelle sind wir am weitesten entfernt von jenem heroischen Zeitalter abendländischer Naturforschung, das durch Kopernikus eröffnet und durch Galilei, Kepler, Newton gestaltet worden ist. Wenn wir Einstein als Vollender des Gedankenwerkes jener Großen der Vergangenheit bezeichnen durften, so haben wir Planck und Bohr schon als Überwinder jener Epoche anzusehen. Aber auch sie stehen auf den Schultern derer, die vorangegangen sind; auch ihre Erkenntnisse wären der Menschheit nicht anders erreichbar gewesen, als auf dem Wege über die Erkenntnis des Kopernikus.

In der menschlichen Erkenntnis liegt Versuchung und Gefahr Schon in meinen einleitenden Ausführungen habe ich versucht, die religiöse Erschütterung nachfühlbar zu machen, als welche die kopernikanische Wende von den Zeitgenossen erlebt worden ist. Bekanntlich hat Luther die Lehre des Kopernikus abgelehnt und ihn einen Narren gescholten. Die katholische Kirche hat sich zunächst abwartend verhalten. Nachdem aber durch Giordano Bruno das ganze Ausmaß der gefährlichen Perspektiven sichtbar geworden war, zu denen die kopernikanische Lehre verlocken konnte, kam es 1616 zu einem Verbot aller Schriften, welche die Bewegung der Erde um die Sonne oder die Drehung der Erde um ihre Achse lehrten. Dies Verbot hat länger als zweihundert Jahre bestanden; es hat auch die Grundlage für den Inquisitionsprozeß gegen Galilei geliefert.

Ein bedeutender katholischer Denker unserer Zeit, Friedrich Dessauer, hat dem Prozeß Galilei eine ausführliche Studie gewidmet. Er hat das damals gefällte Urteil als einen folgenschweren Irrtum bezeichnet und darauf hingewiesen, daß gerade von da an eine Bewegung zur Auswanderung der Naturforschung aus dem kirchlichen Bereich begonnen hat — eine vorher unbekannt gewesene Trennung der Naturwissenschaften von allem theologischen Denken. Dessauer hat die Überzeugung ausgesprochen, daß diese Trennung für die abendländische Entwicklung verhängnisvoller, noch verhängnisvoller geworden sei, als die konfessionelle Zerspaltung der Christenheit.

Die Welt ist heute in Schrecken und Angst versetzt durch die Atombombe. So haben heute wir kein Verständnis mehr für jene Stimmungen und Meinungen, die am Beginn unseres so verbreitet Jahrhunderts waren — jene bedingungslose Anpreisung des sogenannten Fortschritts, welche überzeugt war, daß die Fortentwicklung von Naturwissenschaft und Technik auch zu einer moralischen Neugestaltung der Menschenwelt führen und die Menschen in friedliche Lämmer verwandeln würde. Es lag dabei ja die Meinung zugrunde, nur durch Mangel und Not würden die Menschen zum Streit gezwungen und zum Bösen getrieben — ganz von selber würde das Böse verschwinden und der Frieden sich ausbreiten, indem der Fortschritt der Technik allen Mangel behöbe.

In der empirischen Wirklichkeit ist es ja anders gekommen — der Fortschritt der Technik hat der Zerstörung neue Waffen geliefert, ohne die Menschen selber geändert zu haben. Und so könnten heute Zweifel entstehen — und sind auch entstanden — ob eine Bewertung der historischen Entscheidungen in dem von Dessauer vertretenen Sinne richtig ist.

Hätte es nicht vielleicht im Gegenteil eine rettende Bewahrung der Menschheit bedeuten können, wenn es im Prozeß Galilei gelungen wäre, eine Bremsung, eine Verlangsamung der naturwissenschaftlichen Entwicklung zu erreichen?

Meine Eigenschaft als Naturforscher, als ein Mensch, der die naturwissenschaftliche Arbeit zu seinem Handwerk, zu seinem Beruf gemacht hat, berechtigt mich nicht, zu dieser Frage ein Urteil abzugeben. Denn ich bin ja als solcher nicht neutral, nicht unbefangen.

Ich glaube aber, daß ich als Christ zu dieser Frage ein Urteil zu äußern versuchen darf. Da scheint es mir, daß die Kirche des 17. Jahrhunderts im bestimmten Sinne recht gehabt hat mit ihrem tiefen Mißtrauen, mit ihrer tiefen Besorgnis gegenüber einer allzu stürmisch vordringenden Kühnheit der Forschung. In der menschlichen Erkenntnis liegt auch Versuchung und Gefahr — das beginnt uns heute wohl deutlicher sichtbar zu werden, als je zuvor.

Ich glaube aber auch, daß wir dieser Versuchung und Gefahr nicht ausweichen dürfen. Ich glaube, daß sie uns als eine Prüfung auferlegt ist. Gott will, daß wir diese Prüfung in Tapferkeit bestehen.

So wollen wir uns heute aufrichten am Beispiel eines Großen der Vergangenheit, der diese Prüfung bestanden hat.

Fussnoten

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