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Situation der Volksrepublik China | APuZ 22/1954 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 22/1954 Die Vollmacht des Gewissens. Deutsche Gespräche über das Recht zum Widerstand Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit Situation der Volksrepublik China

Situation der Volksrepublik China

Artur W. just

Mit Genehmigung der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, veröffentlichen wir den folgenden Artikel von Artur W. Just, erschienen in der Zeitschrift „AUSSENPOLITIK" (Heft 4/54).

Die enge Verflechtung europäischer und asiatischer außenpolitischer Fragen ist auf der Berliner Konferenz, die nach Ansicht der Westpartner in erster Linie zur Förderung des deutschen und österreichischen Problems zusammen-trat und als Ergebnis lediglich den Beschluß brachte, daß eine Asienkonferenz nach Genf für Ende April einberufen werden sollte, erneut deutlich geworden. Nichts ist näherliegender, als daß die chinesische Volksrepublik dazu ihre Vertreter nach Genf entsenden wird, denn die Behandlung asiatischer Fragen ohne die volk-reichste asiatische Macht scheint nicht erfolgversprechend. Seit der Verurteilung des Pekinger revolutionären Regimes als Angreifer im Korea-

Krieg konnte sich die Moskauer Außenpolitik in der Rolle eines Sprechers für die chinesischen Interessen mehr und mehr gefallen, obwohl außer den dem Ostblock zugehörigen vierzehn andere Staaten diplomatische Beziehungen mit Peking unterhalten. Das politisch-militärische Vertragswerk, das im Februar 1950 von Mao Tse-tung persönlich im Kreml unter Dach gebracht worden war und bei wiederholten Anlässen von beiden Seiten als gemeinsame Basis der außenpolitischen Position gerühmt worden ist, ist ein Faktum. Indessen hat man sich in Moskau vom Tage der Gründung der Chinesischen Volksrepublik (1. 10. 1949) ab einer achtungsvollen Reserve gegenüber diesem Phänomen befleißigt, in der deutlich zum Ausdruck kam, daß China nicht gleichrangig mit den übrigen „Volksdemokratien“ behandelt wird, sondern sein eigenes Schwergewicht zuerkannt erhielt.

Wenn nun die Abgesandten aus Peking wieder in der Arena der Weltpolitik erscheinen, entfällt für die sowjetischen Teilnehmer die Notwendigkeit, ja die Möglichkeit, weiter als Anwälte Pekings aufzutreten. Der Grad der Selbständigkeit, der Handlungsfreiheit der Chinesen ist zunächst eine unwägbare Unbekannte im Spiel der weltpolitischen Kräfte. Sie wird nicht zuletzt von dem chinesischen Selbstbewußtsein bestimmt sein. Davon wird abhängen, ob mit Genf eine neue Etappe der chinesischen Geschichte beginnt, ein neues Verhältnis des mit den Traditionen von Jahrtausenden beladenen „Reichs der Mitte“, dem die Regierung Mao Tse-tungs rach jahrzehntelangen Wirren endlich wieder ein Zentrum gegeben hat, zu den weltpolitischen Machtfaktoren des Westens.

Im Zuge der letzten Etappe des revolutionären inneren Kriegs gegen die moralisch zersetzten Kräfte des nationalistischen Flügels der Kuomintang waren diese 1949 so schnell zusammengebrochen, daß der politische Sieg der Kommunisten den militärischen Erfolgen ihrer disziplinierten Armeen vorausgeeilt war. Nur in Ausnahmefällen und an einigen Schwerpunkten waren noch Kämpfe mit den Nachhuten der Truppen Tchiang Kai-scheks auf ihrem Fluchtweg nach Formosa zu bestehen. Noch ehe diese Operationen — Ende Dezember 1949 — beendet worden waren, konnte deshalb bereits im September von der Kommunistischen Partei eine Politische Konsultative Volkskonferenz in die Purpurstadt einberufen werden, zu der 45 verschiedene politische Parteien und gesellschaftliche Organisationen Vertreter entsandten.

Unter 662 Delegierten waren nur 16 Vertreter der Kommunistischen Partei, die allerdings die Führung beanspruchte und zuerkannt erhielt. Dies „Volksfront“ -Gremium wählte ein Nationalkomitee von 180 Mitgliedern, das 1951 durch 16 Zuwahlen ergänzt wurde. Unter diesen fanden sich als Repräsentanten Tibets der Dalai Lama und der Pantschen Lama. Diese vorläufige, ernannte Volksvertretung bestellte ein 34köp-figes „Ständiges Komitee“, dessen Vorsitzender Mao Tse-tung ist. Die Exekutive wurde von der Konsultativen Volkskonferenz einem Zentralen Volksregierungsrat übertragen, dessen Präsidium wiederum Mao Tse-tung inne hat. Neben ihm stehen 6 Vizepräsidenten und 56 Ratsmitglieder. Er repräsentiert China in außenpolitischen Fragen und hat die Führung aller Staatsorgane im Inneren. Ihm unterstehen unmittelbar der Regierungs-Administrationsrat, der Revolutionäre Militärrat, der Oberste Volksgerichtshof und der Generalstaatsanwalt. Dem Administrationsrat, dessen Präsident Tschou En-lai ist, sind vier Komitees untergeordnet, von denen eines, das Kontrollkomitee, generelle Aufsichtsfunktionen hat, während den anderen drei — für politische und Gesetzesangelegenheiten, für Finanzen und Wirtschaft und für Kultur und Erziehung — jeweils eine Gruppe von Ressortministerien zugeordnet ist. Diese komplizierte Konstruktion aus Kollektiven, denen die Verantwortung übertragen wird, erinnert in ihrer Schwerfälligkeit an die frühere Epoche der Kollegialverantwortung im russischen Verwaltungsaufbau. Die Klammer der Parteidisziplin dürfte aber jetzt wie damals stärker sein als die bürokratische organisatorische Ordnung, die alle Zeichen des Übergangs an sich trägt.

Während im Süden und Südwesten noch zwei Jahre lang örtliche Banden und Reste der Nationalarmee Widerstand leisteten, von denen ein Teil nach Burma abgedrängt wurde, wo ein beträchtlicher Landesteil noch heute als Freizone beherrscht wird, war das kommunistische Regime im Nordosten und Norden bereits 1947/48 stabilisiert. In der revolutionären Entwicklung bestanden also Zeit-und damit auch Gradunterschiede von mehreren Jahren zwischen Nord und Süd, die von der Zentralgewalt nur allmählich ausgeglichen werden konnten. Die überaus vielschichtigen traditionellen Unterschiede in Geschichte, Kultur, Rasse, Sprache, Besiedlung, Landschaft und Wirtschaftsintensivität, die es möglich machen, die Vielzahl der chinesischen Provinzen und die Randgebiete zwischen Mandschurei und Tibet, zwischen der pazifischen Küste und Russisch-Zentralasien auf einen Nenner zu bringen, waren in den Jahrzehnten der Bürgerkriege nur gewachsen. Die zwölfjährige japanische Okkupation großer Landesteile auf der einen Seite der Front, die sich teils nach Moskau, teils nach Washington orientierenden Kämpfer auf der anderen Seite, hatten jeder Einigungsidee entgegen gewirkt. Schließlich haben chinesische „freiwillige" Truppen seit Juni 1950 die Hauptlast auf der roten Seite der Koreafront getragen. Auf diesem Fond erscheinen die organisatorischen, politischen und wirtschaftlichen Leistungen des Regimes in Peking als eindrucksvolle Leistungen.

Als an Moskauer Dogmen geschulter Kommunist hat Mao Tse-tung mit überlegener und eigenwilliger Autorität, die ihm nicht nur zu-hause, sondern auch in der Sowjetunion zugebilligt wurde, den Standort der chinesischen Entwicklung auf dem zwangsläufigen Weg „hin zum Kommunismus" als das „neudemokratische Stadium im Übergang von der Beseitigung der kolonialen, halbkolonialen und halbfeudalen Gesellschaftsordnung zur Errichtung der sozialistischen Gesellschaft" gekennzeichnet. Die Revolution von heute hat danach „bürgerlich-demokratischen Charakter" und führt zunächst noch nicht zu einem „sozialistischen" Zustand, mit dessen Aufbau erst später wird begonnen werden können. Diese Interpretation ist in Moskau als den Bedürfnissen des Fernen Ostens entsprechend angenommen worden. So bestehen denn in dieser Volksrepublik „einerseits kapitalisti-sehe, andererseits sozialistische Elemente" fort und werden von dem Regime gefördert. Für die Moskauer orthodoxen Ideologen ergaben sich aus dieser Mißachtung der Theorie Lenins von der Möglichkeit eines unmittelbaren Übergangs „vom Feudalismus zum Sozialismus" beträchtliche ideologische Schwierigkeiten. China gilt heute als Vorbild für die Entwicklung in vielen kolonialen und halbkolonialen Räumen, nicht nur in Asien.

Das erste Wahlexperiment

Im Januar 195 3 beschloß der Konsultativrat die Durchführung von allgemeinen Wahlen im ganzen Lande zum erstenmal in der fünftausend-jährigen Geschichte Chinas. Sie beschäftigten die Verwaltung und das Volk seit Mai 1953 in rund einer Million Siedlungen, darunter 2 500 Städten. Jedes 18jährige Individuum darf zu einer lokalen Volksvertretung wählen. Zu der Liste der Volksdemokratischen Einheitsfront, auf der Vertreter der verschiedenen Parteien und Massenorganisationen (Gewerkschaften, Jugend-, Frauen-, Bauern-, Genossenschaftsund andere Organisationen) figurieren, konnten in Wählerversammlungen beliebige Ergänzungsvorschläge gemacht werden. Im allgemeinen wurde nicht geheim gewählt; ein wenn auch nur kleiner Prozentsatz der Bevölkerung besaß kein Wahlrecht: ehemalige Gutsbesitzer und andere Vertreter gegenrevolutionärer Kräfte, „die ihre Klassenzugehörigkeit nicht bereits geändert haben“ und Personen, denen das Gericht das Wahlrecht aberkannt hat. In Rußland hatte es 19 Jahre gedauert, bis die „Wahlrechtlosigkeit“ der Klassenfeinde — 1936 — beseitigt wurde. In China genügen fünf Jahre loyalen und werktätigen Verhaltens, um den Charakter als „ehemaliger Klassenfeind" zu verlieren, wie dies die Praxis im revolutionär älteren Norden und Nordosten zeigte. Die Wahlen sind also nicht allgemein. Sie sind zudem auch nicht gleich, denn das spezifische Gewicht der zahlenmäßig geringen „Arbeiterklasse" in den Städten wurde dadurch künstlich verstärkt, daß ähnlich wie bis 1936 in der Sowjetunion die Stimmen der Dorfbevölkerung, die immer noch 80% stellt, geringer bewertet wurden. Das Experiment dieser ersten Wahl, deren Durchführung sich verspätet hat und noch im Gange ist, hat mit Demokratie in westlicher Auslegung wenig zu tun. Die Wahlkampagne kann eher als erster Lehrgang in einer politischen Mässenschulung, als Versuch zur Weckung politischer Anteilnahme an den Maßnahmen der fernen Zentrale in Peking begriffen werden.

Als nächster Schritt sollen die Lokalvertretungen die Mitglieder für die Vertretungen der Bezirke und diese dann für die Provinzen wählen, von wo aus eine gesamtchinesische Versammlung beschickt werden soll, die noch im Jahre 1954 die Aufgabe hat, die Verfassung in Kraft zu setzen und den ersten Fünfjahresplan zu bestätigen. Ihr wird es auch obliegen, die Regierung neu zu bilden.

Grundsätzlich sollen in den Volksvertretungen nicht nur alle loyalen politischen Gruppen und alle werktätigen Berufsstände, darunter in maßgeblicher Weise die Intelligenz, sondern auch alle Nationalitäten vertreten sein. Eine Besonderheit ist, daß 11 Millionen Auslands-chinesen 30 Repräsentanten für die erste konstituierende Versammlung zu wählen haben. verschwunden waren. Die Einbeziehung privater Unternehmungen in die Produktionsplanung geschah durch Abschluß von langfristigen Lieferverträgen. Dem Staat anheim gefallene Produktionsstätten konnten sogar privaten Unternehmern in Pacht gegeben werden, wenn dies nützlich erschien. Jedenfalls gelang es, bis Ende 1952 die chinesische Industrieproduktion über den Vorkriegsstand hinaus zu steigern. Für die dringend gewünschte Entwicklung der Grundstoffindustrien wurde geologische Forschungsarveit geleistet. Hochwertige Eisenerze und abbauwürdige Kohlenlager wurden an mehreren neuen Plätzen festgestellt. Auch Erdöl, Kupfer, Mangan, Wolfram, Blei, Zink und Kochsalzlager wurden entdeckt. Besondere Förderung erfuhr aber zunächst die Erzeugung von Produktionsmitteln in Industrieanlagen, die solange als Montage-und Reparaturwerkstätten dienten. Daß es gelang, die ersten in China hergestel’ten Lokomotiven, Autos, Traktoren, Drehbänke und hunderte anderer früher importierte Maschinen zu bauen, zeugt für die technischen Fähigkeiten der jungen chinesischen eisenverarbeitenden Industrie, die auf europäischen Messen und Ausstellungen mit Elektromotoren, Transformatoren, Textilmaschinen, Radioröhren und feinmechanischen Apparaten anspruchsvolle Objekte präsentierte.

Wirtschaftliche Entwicklung

Die revolutionäre Bereinigung der patriarchalischen Agrarordnung als erste sichtbare und weittragende wirtschaftliche Maßnahme des siegreichen Regimes geschah mit elementarer Gewalt überall dort, wohin die Truppen Mao Tsetungs vordrangen, vielfach begleitet von Brutalitäten und Blutvergießen. Die Ausgangssituation wies außerordentlich große regionale Unterschiede auf. Eine totale Kollektivierung war jedoch nirgends geplant und ist nach Mao Tsetungs Ansicht vorerst nicht anzustreben. Von genossenschaftlicher Organisation in verschiedener Abstufung sollen etwa 40°/o aller Bauern inzwischen erfaßt sein. Von hier aus kann zu gegebener Zeit die „sozialistische“ Entwicklung vorangetrieben werden, die nach der kommunistischen Lehre und Praxis mit dem industriellen Status korrespondieren muß. Anfang Januar d. J. verfügte die Kommunistische Partei denn auch — ohne Inanspruchnahme der legislativen oder administrativen Kollegien — daß nunmehr die „sozialistische“ Umformung, unter strikter Wahrung der Freiwilligkeit, eine Grundaufgabe werden solle. Solange waren nicht mehr als 14 000 Kollektivwirtschaften mit 273 000 Mitgliedern entstanden.

Die Landwirtschaftsproduktion hat sich brutto von 1949 bis 1952 auf das Anderthalbfache gesteigert, so daß gewisse Mengen von Nahrungsmitteln für den Export bereitgestellt werden konnten.

Indessen zeigte es sich sehr bald, daß die Anhänger Mao Tse-tungs keineswegs nur biedere Landreformer waren. Verstaatlicht wurden bis 1953 vier Fünftel der Schwerindustrie, etwa die Hälfte der Leichtindustrie und der Banken, das Eisenbahnwesen, die Naturschätze des Landes und die großen Bewässerungssysteme. Mit Hilfe der Zentralen Staatsbank wird das gesamte Bankwesen kontrolliert. Damit ließ sich die Voraussetzung für eine einheitliche und stabile Währung schaffen, die es jahrzehntelang nicht gab.

Nur auf diesen staatlichen Sektor der Volkswirtschaft kann sich die staatliche Planung zunächst erstrecken und sie konzentriert sich aus dogmatischen Gründen auf die Schwerindustrie, zu der Ansätze lediglich im Nordosten und im Südwesten des Landes vorhanden waren. Die Übernahme konnte fast reibungslos erfolgen, da sowohl die Japaner wie die Manager der halb-staatlichen, mit amerikanischer Hilfe entwickelten Unternehmungen mit dem Regimewechsel Der 1953 beginnende erste Fünfjahresplan soll von der schmalen vorhandenen Basis aus die systematische Entwicklung der Schwerindustrie in die Wege leiten. Der Bau eines großen „metallurgischen Kombinats", neue Bergwerks-anlagen, von 24 Maschinenbaufabriken, 24 neuen Kraftwerken, 21 Hütten-und chemischen Werken, eines Röhren-und eines Blechwalzwerks hat 1953 eingesetzt. Im Bereich der Leichtindustrie beginnt im ersten Planjahr die Arbeit an 137 neuen Objekten. Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt weiter im Nordosten, wo sich von 1952 auf 195 3 die industriellen Kapitalinvestierungen versechsfacht haben, gegenüber einer Verdoppelung im Süden und im Zentrum. Im Südwesten, dem Grenzgebiet zur Sowjetunion, erfolgte sogar Verzehnfachung. Die Planungstechnik folgt nicht der starren sowjetischen Praxis mit ihren weitgestreckten konkreten Einzelzielcn. Zwar kann in China der Sektor Grundstoff-, Schwer-und Produktionsmittelindustrie ähnlich wie in der Sowjetunion in einen bisher fast leeren Raum hineingeplant werden, aber die übrigen Wirtschaftsfaktoren wie Landwirtschaft, kleine und mittlere verarbeitende Industrie, ferner der eminent wichtige und große Bereich des Handwerks und Kleingewerbes, weitgehend im Familienbetrieb, und schließlich der aller modernen Vorraussetzungen für ein intensiviertes Wirtschaften in einem Großraum von chinesischen Ausmaßen entbehrende Sektor Verkehr schließen totale mechanistische Zentralplanung sowjetischen Musters vorläufig und noch lange aus. Man wird sich die chinesischen Planungsanfänge eher als Investitionslenkung vorzustellen haben, wobei das nur unbestimmt umrissene Ziel einer Forcierung der Entwicklung im staatlichen Sektor zwar feststeht, die Quote des Staatsanteils am Konsum des So-zialprodukts jedoch in absehbarer Zeit die sowjetische Höhe nicht erreichen kann.

Nadi der relativ schnellen Wiederherstellung des dürftigen vorhandenen Eisenbahnnetzes zwischen 1949 und 1952 wurden neue Strecken von 1 300 km gebaut. 1953 entstanden 11 neue Linien mit zusammen 600 km Länge im Bau. Bis zum Ende des Planabschnitts sollen mehrere tausend Kilometer neu erstellt werden. Es wird angestrebt, eine leistungsfähige Verbindung vom Industriegebiet des Nordostens nach dem Nordwesten (Mongolei) und vom Südwesten, der Grenzprovinz Sinkiang nach dem Zentrum zu bauen. Praktisch bedeuten diese Linien nach ihrem Ausbau den interkontinentalen Anschluß Chinas an das russisch-europäische Eisenbahnnetz, der vom 1. Februar d. J. ab durch den Einsatz von sieben durchgehenden Schnellzügen aus sowjetischen Ganzmetallwagen auf einer durchgehenden Verbindung Moskau-Peking auf dem Umweg über das mandschurische Netz Harbin-Mukden bereits Tatsache ist. Technisch bestünde die Möglichkeit, diesen Expreßzug zur Verbindung zweier Kontinente bis in das Herz Europas, Berlin und Prag weiterzuführen. Voreilige Behauptungen, daß die im Bau befindliche Strecke von Ulan Bator (Urga), der Hauptstadt der Mongolischen Volksrepublik nach Kalgan fertiggestellt sei, entsprechen nicht den Tatsachen. geführt, der ein wirksames Instrument zur Förderung der in den Entwicklungstendenzen des Fünfjahresplans sich ausdrückenden Industrialisierungspolitik werden soll, wenn einmal für die Außenhandelsentwicklung normale Verhältnisse eintreten sollten.

Das im außenpolitischen Bereich entscheidende historische Triebmoment für die chinesische Entwicklung ist aber der Ausgang des Krieges in Korea gewesen. Er wurde als chinesischer Sieg

Außenpolitik in der Isolation

Das Eingreifen chinesischer Freiwilligenverbände in den koreanischen Krieg beraubte die junge Zentralregierung in Peking neun Monate nach der Staatsgründung aller Möglichkeiten zu einer außenpolitischen Entfaltung. Die einzige allerdings fundamentale Handlung war der Abschluß des politischen und militärischen Freundschaftspakts am 14. Februar 1950 im Kreml, der Chinas Stellung im Lager der „Volksdemokratien“ verankerte. Materiell gab der überaus bescheidene Wirtschaftsannex über langfristige Kredite der Sowjetunion in der geringen Höhe von 300 Millionen Dollar zu verstehen, daß China für reichere Kreditwillige seine Tore weit offen hielt. Er war nicht mehr als ein Muster, ein Präzedenzfall für die von China gewünschte künftige Gestaltung von Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland, ließ aber jedenfalls erkennen, daß wohlhabendere Kreditgeber von den beiden Partnern des Moskauer Abkommens gern gesehen würden.

Die sich ständig verschärfende Wirtschaftsblockade der UNO beschränkte auch die außen-handelspolitischen Möglichkeiten als Funktionen der Außenpolitik. Immerhin blieb noch ein gewisser Spielraum in den " Beziehungen zu den asiatischen Staaten außerhalb des Sowjetblocks, wobei wohl am wichtigsten das Verhältnis zu Indien wurde, das mit unerschütterlicher Folgerichtigkeit auf freundliche Nachbarschaft Wert legte und sich auch durch das Vorrücken der Pekinger Zentralmacht in den Grenzraum Tibet nicht beunruhigen ließ. Ein Handelsvertrag mit dem unabhängigen Commonwealth-Staat Ceylon vom Dezember 1952, wonach die Hälfte des Kautschuküberschusses von China ausgenommen wird, das dafür die Hälfte des Reisbedarfs von Ceylon deckt, gilt als Musterabkommen für die östliche Seite, während es im Westen zu heftigen Kontroversen geführt hat.

Im September 1953 kamen neue Verträge über sowjetische Kredit-und technische Hilfe (für den Auf-resp. Ausbau für 141 industrielle Großunternehmungen im Zeitraum bis 1959) zustande, auf Grund derer Sowjetfachleute in zahlreichen technischen, aber auch Verwaltungsund Kultursparten ihr Amt antreten konnten. Nachdem die Sowjetregierung der Regierung Nordkoreas ein Geschenk von 1 Milliarde Rubel (etwa 250 Millionen Dollar) in Konsum-und namentlich Investitionsgütern zur Beseitigung der Kriegsschäden zugesagt hatte, entschloß sich auch China zu einer solchen Hilfeleistung in Höhe von 8 Trillionen Yuan (etwa 300 Millionen Dollar) und dem Verzicht auf jegliche Bezahlung für die freiwillige Waffenhilfe, einschließlich der Waffen und Kriegsmaterialien. Hinter diesem karitativen Wettbewerb der Nachbarn Nordkoreas können sich im weiteren auch Rivalitäten verbergen, vorläufig aber hat die bestehende politische Verflechtung der Interessen eine kräftige wirtschaftliche Untermauerung erfahren, zumal die Waffen der chinesischen Freiwilligen weitgehend sowjetischer Herkunft waren.

Eine zwangsläufige Folge der Embargopolitik der UNO gegenüber China war es, daß sich der chinesische Außenhandel weitgehend auf die Ostblockverbindungen ausrichten mußte. Deren Anteil stieg zwischen 1950 und 1952 von 26 auf 73% vom Gesamt. Auf vielerlei gewagten Umwegen gelangten chinesische Güter schließlich doch nach dem Westen und umgekehrt. So konnte sich das winzige Finnland mit weniger als 1% der chinesischen Bevölkerung in einen Dreiecksverkehr mit China und der Sowjetunion einschalten. Diese unnatürliche Situation drängt unter dem Druck der am Ostasienhandel Interessierten in vielen Staaten (darunter auch in den USA) zu einer praktikableren Lösung.

Die in China sehr schmerzlich empfundene Embargopraxis wurde jedoch benutzt, um eine der verhängnisvollsten Fesseln aus der „imperialistischen“ Epoche der halbkolonialen Vorherrschaft des weißen Händlers in den chinesischen Vertragshäfen völlig zu zerschneiden: das System der ausländischen Zollverwaltung. Zwischen 1950 und 1952 wurde erstmalig in China wieder ein zentrales System der Zollerhebung und ein stark differenzierter Schutzzolltarif ein-übereine Koalition fremder Eindringlinge auf das asiatische Festland im Grenzbereich Chinas unter Führung der stärksten Westmacht, der Vereinigten Staaten, empfunden. Zum ersten Male in der Geschichte haben chinesische Truppen mit modernen Waffen sich im Kampf den Weißen gegenüber als ebenbürtig bewährt. In Genf tritt somit ein ganz anderes China auf den Plan als jenes, dem man vor vier Jahren den Anspruch auf den rechtmäßigen Sitz im Sicherheitsrat an der Seite der Großmächte der Welt versagte. Wer sich dieser inneren Wandlung nicht bewußt ist, wird die Abgesandten Pekings in Genf nicht begreifen können.

Anmerkung Die „DEUTSCHEN GESPRÄCHE UBER DAS RECHT ZUM WIDERSTAND", Europäische Publikationen 4— 7, wurden in der vorliegenden Form von Wolf Nicol, München, gestaltet und zur Drucklegung fertiggestellt. Wir verweisen unsere Leser in diesem Zusammenhang noch einmal auf unser Vorwort zur Beilage XVII/54, Ausgabe 4. Mai 1954, sowie auf den ersten und zweiten Teil der Gespräche in den Beilagen B XX/54, Ausgabe 26 . Mai 1954 und B XXI/54, Ausgabe 2. Juni 1954.

Prof. Dr. Theodor Eschenburg, geb. 24. 10. 04 in Kiel, Staatsrat, ord. Professor für wissenschaftl. liehe Politik an der Universität Tübingen.

Artur W. Just lebte als Korrespondent der Kölnischen, Frankfurter und Deutschen Allgemeinen Zeitung über ein Jahrzehnt in Moskau. Als Kenner des Ostens ohne marxistische Vergangenheit hat er internationalen Ruf.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dies sind in der Reihenfolge der Anzeige zur Bereitschaft der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen: Großbritannien, Ceylon; Norwegen, Israel, Afghanistan, Holland, Indien, Schweden, Dänemark, Burma, Indonesien, Schweiz, Finnland, Pakistan.

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