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Die Vollmacht des Gewissens. Deutsche Gespräche über das Recht zum Widerstand | APuZ 22/1954 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 22/1954 Die Vollmacht des Gewissens. Deutsche Gespräche über das Recht zum Widerstand Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit Situation der Volksrepublik China

Die Vollmacht des Gewissens. Deutsche Gespräche über das Recht zum Widerstand

Die Gesprächspartner * general der FLIEGER a. d . boga tsch , München GENERALMAJOR a. D. HASELOFF, AMBACH OBERSTAATSANWALT HÖLPER, MÜNCHEN PROFESSOR DR. KINDER, ERLANGEN DR. KRAUSNICK, MÜNCHEN PROFESSOR DR. KÜNNETH, ERLANGEN PATER PRIBILLA S. J., MÜNCHEN PATER RÖSCH S. J., MÜNCHEN BUNDESRICHTER SAUER, KARLSRUHE OBERSTLEUTNANT a. D. SENDTNER, MÜNCHEN PROFESSOR DR. STADTMÜLLER, MÜNCHEN GENERAL DER INF. a. D. STAPF, MÜNCHEN REICHSMINISTER a. D. DR. TREVIRANUS, FRANKFURT-MAIN BUNDESGERICHTSPRÄSIDENT DR. WEINKAUFF, KARLSRUHE GENERALMAJOR a. D. v. WITZLEBEN, MÜNCHEN

Der Eid

Inhalt

Viele Deutsche fragen heute noch, beinahe verwundert, wie es überhaupt möglich war, daß in unserem Volke Zweifel hinsichtlich der Bindung an den Hitler geleisteten Eid aufkommen konnten. Die einen sagen ka^egorisch „Eid ist Eid’, die anderen erklären nicht minder kategorisch „Ein Eid auf einen Tyrannen ist kein Eid'. Beide lehnen eine Diskussion darüber ab. Wenn nun viele Deutsche nach wie vor die „Eidespflicht'betonen, die es galt, Hitler bis zum bitteren Ende zu halten, so ist damit schon Pflicht und Eid gekoppelt. Dann muß aber auch zugegeben werden, daß es nie — nach abendländischen Begriffen — eine einseitige Pflicht und einen einseitigen Eid geben kann.

Niemand im deutschen Volke legalisiert oder verherrlicht den Eidbruch oder die Verletzung der Treuepflicht. Es ist selbstverständlich, daß Eid und Treuepflidit unentbehrliche Fundamente für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft sind. Niemand in Deutschland, am wenigsten der Soldat, könnte es verstehen oder gar zulassen, daß diese Fundamente untergraben werden. Seit undenklichen Zeiten standen diese Fundamente in unserem Volke fest. Wer hat sie ins Wanken gebracht? Warum konnte dies geschehen? Prüfen und antworten wir!

Fs gilt, den Eid wiederzugewinnen als Symbol einer Ordnung, die den Menschen als Gottes Geschöpf achtet. v. Witzleben: Nichts war im Dritten Reich fragwürdiger geworden als jenes Mittel, das die engste gegenseitige Bindung von Führung und Gefolgschaft herstellt: Der Eid. Einmal in seinem Wert angezweifelt, ist diese heilige Bindung seither fragwürdig gebliebene Wer aber echte Freiheit nur in der Bindung für möglich hält, wird dies voller Sorge feststellen und sich um das richtige Verständnis des Eides, um eine neue Orientierung bemühen. Wie konnte es zum Mißbrauch des Eides kommen? Im Gesetz vom 17. 12. 1932, das die Vertretung des Reichspräsidenten im Behinderungsfall festsetzte, war zum Stellvertreter des Reichspräsidenten der Präsident des Reichsgerichtes, damals Bumke, ernannt worden.

Hier erhebt sich folgende Frage: Konnte dieses Gesetz durch das Ermächtigungsgesetz vorn 24. 3. 1933 einfach beseitigt werden? Das Ermächtigungsgesetz bestimmt in Artikel 2, daß die Rechte des Reichs-präsidenten — zu diesen gehörten doch zweifellos auch die Rechte des Stellvertreters — unberührt bleiben. Da Hitler, wenigstens damals, die Legalität stets betonte, ist zu prüfen, ob zur Änderung des Gesetzes vom 17. 12. 1932 nicht ein verfassungsänderndes Gesetz notwendig war.

Artikel 41 der nicht außer Kraft gesetzten Weimarer Verfassung bestimmte, daß der Reichspräsident vom ganzen deutschen Volke zu wählen war. Über das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933 hatte Hitler sich dahingehend geäußert, daß es nur zur „Durchführung lebenswichtiger Maßnahmen" angewendet werden solle: die Zahl der Fälle, in denen man es werde anwenden müssen, sei gering.

Dann könnte man also, wenn man diesen Gedanken folgt, zu dem Schluß kommen, daß das nun folgende Gesetz vom 1. 8. 1934 über die Vereinigung der beiden höchsten Reichsämter, nämlich des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten, ein Staatsstreich war, bar jeglicher Legalität. Hindenburg starb erst am 2. August vormittags. Die sogenannte Volksabstimmung aber über dieses Gesetz der Zusammenlegung der Ämter erfolgte am 19. August 1934. Ob diese Verordnung der Reichsregierung vom 2. 8. 1934 überhaupt legal war, d. h. ob alle Reichsminister anwesend waren bei dieser Kabinettssitzung, ist zweifelhaft. Papen z. B. war nicht anwesend, trotz seiner Unterschrift. Nun steht die Frage des Eides unmittelbar im Zusammenhang damit. Am 2. 8. 1934, unmittelbar nach Hindenburgs Tode, also siebzehn Tage vor der verordneten Volksabstimmung, läßt Blomberg auf dem Verordnungswege die Reichswehr auf Hitler persönlich vereidigen. Diese Maßnahme muß also zwischen Hitler und Blomberg spätestens am 1. 8. 1934, also noch zu Lebzeiten Hindenburgs, persönlich abgesprochen worden sein. Auch in diesem Falle wäre zu prüfen, ob damit nicht ein Staatsstreich vollzogen wurde.

Darf ich folgendes in die Erinnerung zurückrufen:

In der Weimarer Verfassung vom 11. 8. 1919 war am 14. 8. 1919 rechtsgültig angeordnet worden, daß alle Soldaten nur auf die Verfassung vereidigt wurden. An dieser Verfügung war auch während der Präsidentschaft Hindenburgs nichts geändert worden. Damals wurde auf eine religiöse Bindung in diesem Eid, den wir ja noch alle kennen, verzichtet. Eine religiöse Bekräftigung war aber freigestellt.

Stadtmüller: Und wie war das de facto in der Reichswehr? v. Witzleben: Wir fügten dieser Eidesformel immer die religiöse Formel bei.

Seeckt hat, nach dem Buch von Rabenau, der ja auch in Flossenburg umgebracht wurde —, wörtlich folgendes festgestellt:

„Der Eid unter der republikanischen Staatsform gilt der Verfassung, nicht der Person des jeweiligen Inhabers der Präsidentenwürde".

Hitler selbst hielt übrigens durch eine Neufassung des Gesetzes über die Vereidigung vom 1. 12. 1933 an dieser gesetzlichen Regelung fest. Diese Eidesformel bezog sich jetzt wieder auf Gott. Die Beamten und Soldaten waren auf Volk und Vaterland, die Beamten überdies auf die Verfassung und die Gesetze zu vereidigen.

Bogatsch: Das bezog sich aber nur auf die neu eingestellten Soldaten.

v. Witzleben: Allerdings. Aber immerhin, es war eine Änderung. Blomberg hatte, quasi zur Vorbereitung des Staatsstreiches vom 2. August, an jenem blutigen 30. Juni 1934, also noch zu Lebzeiten Hindenburgs, seinen berühmten Aufsatz „Die Wehrmacht im Dritten Reich“ veröffentlicht. Die Herren werden sich noch daran erinnern. In diesem Aufsatz bezeichnete er zwei Monate, bevor Hindenburg starb, Hitler als den Führer des Reiches.

Es erscheint mir aber auch notwendig, noch auf zwei Punkte hinzuweisen:

1. Blombergs Verordnung vom 2. 8. 1934 hob, wie gesagt, das geltende Gesetz über die Vereidigung vom 1. 12. 1933 nicht auf.

2. Hitlers persönliches Dankschreiben an Blomberg für die schnelle Vereidigung der Armee auf seine Person fälschte das Datum des erwähnten Gesetzes über die Zusammenlegung der beiden höchsten Reichsämter — dieses Gesetz war bekanntlich am 1. 8. in der Kabinettssitzung beschlossen worden — ausdrücklich auf den 2 . 8. um, also auf einen Zeitpunkt nach dem Tode Hindenburgs.

3. Hitler verpflichtete sich in diesem Schreiben an Blomberg ausdrücklich, die Armee als einzigen Waffenträger in der Nation zu verankern.

Haseloff: Würden Sie bitte die Eidesformel bekanntgeben.

Bogatsch: Bitte die beiden Eidesformeln: Die der Weimarer Republik und die Hitlersche. v. Witzleben: Eidesformel 1919, Reichsgesetzblatt Seite 1383: „Alle öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht sind unverzüglich auf die Verfassung des Deutschen Reiches zu vereidigen, und zwar leisten 1. die Reichsbeamten den Eid: „Ich schwöre Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten", 2. alle übrigen öffentlichen Beamten den Eid: „Ich schwöre Treue der Reichsverfassung", 3. die Angehörigen der Wehrmacht den Eid: „Ich schwöre Treue der ReichsVerfassung und gelobe, daß ich als tapfeter Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam leisten will".

Das war die Vereidigung, die bis 1933 galt. Dann die nächste, Ihnen ja bereits vorgetragene Änderung . . .

Haseloff: Darum war auch eine nochmalige Vereidigung nach dem Tode Eberts in keiner Weise notwendig. Denn der Soldat war auf die Person des Oberbefehlshabers und des Reichspräsidenten, was den Gehorsam betraf, vereidigt. v. Witzleben: Dies war also der eine Eid. Der andere ist, wie ich bereits sagte, in der Verfügung vom 1. Dezember 1933 enthalten und lautet:

„Die öffentlichen Beamten und Soldaten der Wehrmacht haben beim Eintritt in den Dienst einen Eid zu leisten“. Das ist also der Eid für die neu Eintretenden, der uns alte Offiziere und Soldaten nicht berührte. Das Nähere wird in der Verordnung des Reichspräsidenten bestimmt. Der Reichspräsident verordnet:

Es schwören die Soldaten der Wehrmacht 1933:

„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich meinem Volk und Vaterland allzeit treu und redlich dienen und als tapferer und gehorsamer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen". Da ist also nicht mehr das Amt des Reichspräsidenten genannt.

Stadtmüller: Also ich glaube, hier drängt sich doch der Verdacht auf, daß die Neufassung dieses Eides ganz bewußt und planmäßig von Hitler als Übergangsmaßnahme gedacht war. Man eliminierte einmal die Verfas-sung — denn die war ja das Beunruhigende dabei — und zum anderen die Person des Reichspräsidenten und des Oberbefehlshabers. „Volk und Vaterland“ — wenn man dann die Formel proklamierte: „Hitler ist Deutschland und Deutschland ist Hitler“, so kam man zu dem gewünschten Ergebnis von Akt 3 der neuen Eidesfassung. v. Witzleben: Es ist hierbei auffallend, daß in § 1 steht: Die öffentlichen Beamten schwören: „Ich werde Volk und Vaterland Treue halten, Verfassung und Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe". Was damals für den Soldaten diese Eidesleistungen bedeuteten, ist nun wohl klar.

Haseloff: Haben Sie den Blomberg-Eid auch zur Hand? v. Witzleben: Der Blomberg-Eid lautet folgendermaßen: „Die öffentlichen Beamten und Soldaten der Wehrmacht haben den Diensteid in folgender Form zu leisten: — Und zwar ist das Gesetz über die Vereidigung von Beamten und Soldaten, Reichsgesetzblatt vom 20. August, von Blomberg unmittelbar auf dem Verordnungswege am 2. August vormittags herausgegeben worden. Gesetz wurde es erst am 20. August 1934, gemäß Gesetzblatt 1934, Teil I, Seite 785.

Der Diensteid der Wehrmacht lautet:

„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen“.

Von Volk nichts mehr, nichts von Verfassung, nichts von Reich. Sendtner: Man kann nur sagen: Was ist hier eigentlich zusammen-geschworen worden bei Gott dem Allmächtigen innerhalb von zwölf Jahren! Sie leiteten die Sadie mit dem Hinweis auf die Gesetze über die Vertretung des Reichspräsidenten ein. Das ist eine staatsrechtliche Frage, die uns bei der Eidesuntersuchung nicht unmittelbar beschäftigt, aber doch hineingehört. Die Reichsverfassung von Weimar legte fest, daß der Reichspräsident durch den Reichskanzler vertreten wird; im Falle längerer Behinderung wählt der Reichstag einen Stellvertreter. Demgemäß wurde beim Tode Eberts verfahren. Vertreter des verstorbenen Reichs-präsidenten war der Reichskanzler Luther. Nach etwa zehn Tagen wählte — wählte der Reichstag! — den Reichsgerichtspräsidenten Dr. Simons zum Stellvertreter.

Das Gesetz vom 17. Dezember 1932, das die Vertretung in allen Fällen automatisch dem Reichsgerichtspräsidenten übertrug, war ein verfassungsänderndes Gesetz und mußte mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen werden. Es ist sicher mit dieser Mehrheit angenommen worden, sonst wäre es damals unter den Nazis sofort umstritten gewesen. Dann kommt nach wenigen Monaten das Ermächtigungsgesetz. Hier ergibt sich eben die Frage:

Gilt das Ermächtigungsgesetz für die Reichsregierung als Ermächtigung zu beliebigen Verfassungsänderungen? Das bestreite ich. Ich bin überzeugt, daß das nicht der Fall ist. Jedenfalls war das auch gar nicht die Absicht und widerspricht allem, was Hitler als Kommentar dazu ursprünglich gegeben hat. Aber immerhin muß die Frage beantwortet werden: Konnte dieses Ermächtigungsgesetz zu beliebigen Verfassungsänderungen benützt werden oder nicht?

Stadtmüller: Ich möchte dazu noch grundsätzlich etwas sagen. Wenn wir durch einen Nebel von unklaren Vorstellungen über die moralische Bindekraft des Eides durchstoßen wollen zu einer klareren Auffassung, so müssen wir wahrscheinlich über zwei Dinge in unserem Kreise sprechen: 1 1. über die Frage, was der Eid überhaupt ist; denn darüber herrschen in Deutschland seit langem sehr unklare Vorstellungen;

2. ob Hitler auf Grund dieses Gesetzes vom 2. August 1934 überhaupt auf Treuepflicht Anspruch hatte und sich diese Treuepflicht durch Eid bestätigen lassen konnte.

Die erste Frage ist mehr eine moralische und philosophische; die zweite ist weitgehend eine historische und staatsrechtliche.

Wir müßten uns, meine ich, über den Eid grundsätzlich unterhalten und zwar zunächst nicht über den militärischen Eid, sondern darüber: was, ist der Eid, und innerhalb welcher Grenzen kann er den Eidleistenden zu einem bestimmten Verhalten überhaupt verpflichten? An sich wird man fragen: Weshalb ist das notwendig? Es wäre durchaus nicht notwendig, darüber auch nur drei Worte zu sprechen, wenn nicht im deutschen Volk darüber durchaus nebelhafte Vorstellungen herrschten, äußerst nebelhafte, etwa der Mentalität des alten Hagen von Tronje im Nibelungenlied entsprechend: Treue um jeden Preis, auch bis ins Verbrechen hinein.

v. Witzleben: Wir müssen zu dem Eidproblem Stellung nehmen. Erst einmal überhaupt zum Eid, und dann zum Eid im „Dritten Reich“.

Der rechtliche Standpunkt Hölper: Im Rechtssinn unterscheidet man zwei Arten des Eides:

1.den Eid, durch den eine Partei im Zivilprozeß, ein Schuldner bei der Zwangsvollstreckung, ein Zeuge oder ein Sachverständiger die Wahrheit ihrer Aussagen vor Gericht in einer besonders feierlichen Form beteuern.

2.den Eid, durch den eine Verpflichtung oder ein Versprechen feierlich bekräftigt wird, z. B.den Beamteneid, den Amtseid der Geschworenen und Schöffen, den Fahneneid.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Eidesformen zeigt sich auch bei ihrer verschiedenen Behandlung in strafrechtlicher Hinsicht. Dafür zwei Beispiele: Der Zeuge, der vorsätzlich oder fahrlässig falsch schwört, wird nach dem Strafgesetzbuch wegen Meineides bzw. Falscheides bestraft. Der Soldat, der fahnenflüchtig geworden ist und damit seinen Fahneneid gebrochen hat, wird wegen Fahnenflucht, aber nicht wegen Eidesverletzung bestraft.

Stadtmüller: Darf ich zu meiner Belehrung eine Zwischenfrage stellen: Es gibt doch heute im bürgerlichen Recht keine Möglichkeit mehr, ein Rechtsgeschäft mit einem Verpflichtungseid zu bekräftigen? Das ist doch gar nicht mehr vorgesehen.

Hölper: Nein, das gibt es nicht mehr.

Stadtmüller: Also ist der Verpflichtungseid praktisch reduziert auf die Möglichkeit des Beamteneides und des Soldateneides.

Hölper: Im wesentlichen, Ja. — Beim Verpflichtungseid stellt sich nun der Fahneneid als etwas Besonderes dar. Der ganzen Tradition nach hebt sich dieser Eid heraus, und der Gesichtspunkt der Treuepflicht steht hier sehr wesentlich im Vordergrund.

Staatsrechtlich gesehen, erheben sich gegen die Gültigkeit des geleisteten Eides verschiedene Bedenken; wie weit sie durchschlagen, möchte ich dahingestellt sein lassen. Man hat aus den anderen Verpflichtungseiden erstens von der verfassungsrechtlichen Seite her geltend gemacht, daß das Ermächtigungsgesetz keine Veränderungen des Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vorsah. Daraus folgerte man dann weiter, daß das Gesetz vom 1. 8. 1934, nachdem das Amt des Reichspräsidenten mit dem Amt des Reichskanzlers vereinigt wurde, durch dieses Ermächtigungsgesetz nicht gedeckt und daher rechtsungültig war.

Der zweite Gesichtspunkt war der, daß durch das Ermächtigungsgesetz und weitere Gesetze die Weimarer Verfassung, wenn auch nicht ausdrücklich aufgehoben, so doch praktisch außer Kraft gesetzt wurde, daß aber der frühere Eid auf die Weimarer Verfassung nicht etwa widerrufen wurde und eine Entbindung von diesem Eid nicht erfolgte. Jedenfalls bleibt es fraglich, ob der auf Hitler geleistete Fahneneid überhaupt gültig war. Entscheidend ist aber meines Erachtens vor allem: Der Verpflichtungseid auch auf einen Hitler begründete nicht eine einseitige, sondern eine zweiseitige Verpflichtung.

Bogatsch: Darf ich einmal etwas einwerfen, was sehr selten in den Diskussionen auftaucht: daß nämlich Hitler selbst einen Eid geleistet hat und zwar dem Reichspräsidenten v. Hindenburg. Sie wollen doch darauf kommen? Das ist nämlich meines Erachtens ein ganz entscheidender Punkt.

Hölper: Gewiß, das wollte ich noch sagen: Hitler hat ja selbst diese Verpflichtung durch seinen Eid gegenüber dem damaligen Reichspräsidenten bekräftigt.

Pater Pribilla: Aber hat Hitler als Präsident einen Eid geleistet?

Hölper: Nein, nur als Reichskanzler.

Ich sprach zuerst von der gegenseitigen Verpflichtung, die durch den Fahneneid begründet wird. Dieser Gedanke kommt an einer Stelle des Buches „Gottesgnadentum und Widerstandsrecht“ von Kern besonders klar zum Ausdruck: „Der Grundgedanke des deutschen Rechts ist, daß Herrscher wie Untergebene dem Recht verbunden sind. Dem Recht gilt eigentlich die Treue beider Teile. Das Recht ist der Schnittpunkt ihrer beider Treue-pflichten. Wenn also der König das Recht bricht, verliert er ohne weiteres, eben durch sein Handeln, den Anspruch auf die Treue der Untertanen“. Pater Pribilla: Das ist das altdeutsche Recht. v. Witzleben: Herr Oberstaatsanwalt, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie gerade das noch einmal so herausgestellt haben; der Eid ist eine Angelegenheit, die immer auf Gegenseitigkeit beruht. Niemals kann er ein einseitiger Akt sein.

Stadtmüller: Vielleicht stellen wir die Sache noch klarer, wenn wir hier einfach von Treueid sprechen; denn der Fahneneid ist ja ein Spezialfall des Treueides. Der Beamteneid ist ein Treueid, der Fahneneid des Soldaten und ebenso auch der Eid des Staatshauptes auf die Verfassung.

Bogatsch: Der Eid des Reichskanzlers auf die Verfassung gegenüber dem damaligen Reichspräsidenten v. Hindenburg enthielt die Worte: „ ... die Verfassung und die Gesetze zu wahren und die Geschäfte unparteiisch und gerecht gegen jedermann zu führen“. Stadtmüller: Das hat Hitler geschworen?

Bogatsch: Das hat Hitler als Reichskanzler geschworen.

Hölper: Auch ich bin der Meinung, daß der Gesichtspunkt, daß es sich um einen Treueid handelt, sehr wesentlich ist; denn wenn wir auf das germanische Recht zurückgehen, müssen wir feststellen, daß dieses germanische Recht den Begriff des Gehorsams in dem Sinne überhaupt nicht gekannt hat. Wir sprechen ja auch nicht von Nibelungen-gehorsam, sondern von Nibelungentreue. Da liegt der wesentliche Unterschied. Im alten germanischen Recht gilt der Begriff „Gehorsam“ nach einem Rechtsatz, für Sklaven; der Freie ist nur zur Treue und Treue setzt Gegenseitigkeit voraus. verpflichntet Pater Pribilla: Nun darf ich aus dem deutschen Recht — Holtzendorff hat das geschrieben — vorlesen:

„Beruhte doch das germanische Volkskönigtum auf dem Gedanken der Verantwortung des Königs für seine Funktionen. Der König, der dem Volke nicht Gedeihen brachte, wurde verjagt; durch Treueschwur, Huldigung hingegen wurde dem König, der dem Volke als Schutz seines Gedeihens erschien, deshalb die Unabsetzbarkeit zugesichert. Die Idee des Widerstandsrechts entspricht ganz allgemeinen deutschen Rechts-gedanken.“ Das ist nur später in Deutschland zurückgetreten durch den Absolutismus und dann auch während des 19. Jahrhunderts. Das ist aber auch alles geschichtlich zu erklären; denn im 19. Jahrhundert waren die Könige ja keine Tyrannen. Es traten damals die revolutionären Ideen sowohl in Deutschland wie in Italien und Frankreich auf, und deshalb entsprach es der Haltung der Christen, besonders der Katholiken und Protestanten, sich als die Stützen des Thrones hinzustellen. Daher kam es, daß die Frage, ob es ein Widerstandsrecht gibt, überhaupt verpönt war. Jeder, der die Frage bloß erörterte, geriet schon in den Verdacht, ein Revolutionär zu sein. Man dachte, das bleibt eben in Ewigkeit so. Wir haben so gute Verhältnisse. Aber nachher kamen wir dann in dieses Schlamassel, auf das wir völlig unvorbereitet waren.

Wir müssen ganz offen sein: Auch die Kirchen haben vor diesem Faktum wie vor etwas Unfaßbarem gestanden. Der Kardinal Bertram, ich weiß es von seinem Vertrauten, sagte, er schaue zu einem Reichsminister des Äußeren auf; dieser erschien ihm eben immer noch als eine verehrungswürdige Persönlichkeit. Daß er ein Verbrecher war, konnte er überhaupt nicht fassen.

Nun standen diese Leute aber vor der neuen Situation, und ich möchte Ihnen kurz sagen — vielleicht wird es Sie interessieren — wie oft große Denker, aber auch kleine Denker, etwas ganz Richtiges in eine kurze Formel fassen. Es steht im Anfang der Summa Theologica beim Thomas von Aquino der kurze Satz: „Exercitus ad bonum civitatis ordinatur", d. h.: „Das Heer ist zum Wohle des Staates bestimmt“. — Ein Heer, das Selbstzweck ist, ein Heer, das den Verbrechern hilft das Volk zu versklaven, ist eben ein innerer Widerspruch. Es war mir deshalb hochinteressant, wie mir hier ein Professor der Medizin, als die Anfänge des „Dritten Reiches“ sichtbar wurden, sagte: „Jetzt muß man die Geschichte der Praetorianer lehren".

Das war die Entscheidung für das Heer: Bleiben wir ein Heer, das dem Staate dient, oder werden wir eine Parteitruppe? Besonders Generaloberst Beck sträubte sich mit ganzer Seele dagegen, er wollte nicht einer Partei, er wollte seinem Volke dienen. Das ist ihm aber dann nicht mehr gelungen, und das Heer wurde eben eine Parteitruppe. Die Partei herrschte über den Staat, und so wurde es ja auch formuliert: „Die Partei befiehlt dem Staat“.

Das war das Unglück. Wir haben es aber nicht gesehen, weil wir Deutschen bei all unseren Vorzügen — wir sind fleißig, vielleicht das fleißigste Volk der Welt, wir haben Erfinder, Dichter, Musiker — eben keine großen Politiker hervorgebracht haben. Die Politiker sind bei uns sehr dünn gesät. Und unser Volk wurde da in seinem schwächsten Punkte geprüft.

Hölper: Über die Treuepflicht im germanischen Recht gibt es eine kleine Geschichte, die von einem Norweger, Snorri Sturluson, stammt. Da heißt es:

„Dieser König läßt keinen mit sich sprechen“, redet der greise Gesetz-sprecher vom Tiundaland, „und mag nichts hören, als was ihm selbst wohlgefällig zu hören ist und welches er mit aller Hitze betreibt. Deshalb wollen wir Bauern, daß Du, König Olaf, Frieden schließt. Willst Du aber unser Begehren nicht erfüllen, so werden wir Dich töten und nicht länger Unfrieden und Ungesetzlichkeit dulden; denn so haben es unsere Voreltern gemacht. Sie stürzten fünf Könige in einen Brunnen bei Mulathing, weil sie so von Hochmut erfüllt waren und gegen das Gesetz handelten.“

Die Verpflichtung zur Treue gegenüber dem Volk und Vaterland besteht bereits ohne den Eid, für den Beamten, der dem Staate dient und genau so für den Soldaten. Die Verpflichtung wird ja nicht erst durch den Eid begründet, sondern bereits durch die Anstellung im Staatsdienst oder die Einberufung zur Wehrmacht.

Wenn ich also das Recht auf Widerstand gegen einen pervertierten Staat bejahe, dann kann ich es grundsätzlich wegen des geleisteten Eides nicht verneinen.

Hier wäre nur noch die Frage zu klären, ob man nicht deswegen, weil der Eid mit der Formel „unbedingter Gehorsam“ geleistet wurde, sagen muß: Ich habe das Recht auf Widerstand verloren, weil ich verpflichtet bin, unbedingten Gehorsam zu leisten.

Hierzu wäre zu sagen: „Unbedingt“ ist natürlich auch hier nicht so aus-zulegen, daß ich verpflichtet bin, jeden Rechtsbruch mitzumachen. Ich darf darauf hinweisen, daß das Militärstrafgesetzbuch trotz der Forderung nach unbedingtem Gehorsam das Recht enthält, einen Befehl nicht zu befolgen, der ausgesprochen rechtswidrig ist. Auch daraus ergibt sich, daß dieses „unbedingt" nicht in dem Sinn zu verstehen ist, daß ich jeden Befehl, von dem mir im vornherein klar ist, daß er rechtswidrig ist — wenn wir z. B. mein Kompaniechef befiehlt, einen Kriegsgefangenen ohne jeden Grund zu erschießen, — ausführen muß und auf Grund meines Eides zu diesem unbedingten Gehorsam verpflichtet bin.

Haseloff: Das „unbedingt" soll doch, meinem Gefühl nach, viel eher zum Ausdrude bringen, daß ich mich in einem von mir als rechtlich empfundenen Gehorsam bis zum letzten einsetze.

Pater Pribilla: Praktisch haben ja auch im letzten Kriege manche Kommandeure das so ausgeführt. Der Kommissar-Befehl z. B. ist an einigen Stellen einfach nicht durchgeführt worden, auch Befehle zur Tötung abgeschossener Flieger usw. Unter der Hand ist das also schon richtig interpretiert worden, aber wir müssen das in der Theorie immer klar hervorheben, weil diese Fragen unserem Volke bis jetzt fremd waren. v. Witzleben: Der Eid band ja sehr viele Offiziere bis zuletzt an das System, mochten sie dessen verbrecherischen Charakter auch erkennen. Gehorsam und Pflichterfüllung hielten diese Offiziere auch weiterhin für geboten. Sie standen auf verlorenem Posten.

Die Tragik ihrer inneren Situation zwingt uns die Frage auf, ob der Eid weiterhin bindet, wenn derjenige, der auf der Gegenseite die Verpflichtung hat, den Eid bricht. Stellt also der Eid gegenüber diesem Eid-brecher, als den wir Hitler erkannt haben, noch eine bindende Verpflichtung dar?

Grenzen des Eides Künneth: Durch die Forderung des Eides versucht der Staat, sich eine höchstmögliche Zuverlässigkeit des Staatsbürgers zu sichern. Es geht hier um die Zuverlässigkeit, und er droht auch mit Strafe bei Verletzung dieser Verpflichtung, dieses Eides. Nun ist aber mit Recht schon gesagt worden, daß es sich hier ja um eine zweiseitige Verpflichtung handelt, nämlich um die Verpflichtung des Eidnehmers und die Verpflichtung des Eidgebers.

Die Verpflichtung des Eidnehmers besteht darin, daß er zum verantwortlichen Dienst für den Staat ruft. Zugleich aber muß er, wenn er einen Eid verlangt, auch die Grenzen des Eides anerkennen und berücksichtigen. Es gibt bei einem Eid niemals einen unbedingten Gehorsam. Die frühere Formulierung des unbedingten Gehorsams ist auf jeden Fall vom ethisch-christlichen Standpunkt aus zu verwerfen und stellt eine Formulierung dar, die wir immer bekämpfen müssen.

Worin liegen die Grenzen des Eides?

In der grundsätzlichen Verantwortung sowohl des Eidnehmers als auch des Eidleistenden vor Gott. Das heißt also, der Eid geht niemals an den Geboten Gottes vorbei, sondern er hat sie immer im Auge. Die Bindung an die Gebote Gottes wird vom Eid nicht eliminiert, sondern ist darin eingeschlossen. Der Eid ist also das feierliche Versprechen, das zwischen dem Eidnehmer und dem Eidgeber vollzogen wird, den Dienst verantwortlich vor Gott wahrzunehmen. Gott wird hier geradezu als der Garant der Wahrheit anerkannt; denn Gottes richterliche Entscheidung (das ist ja der Sinn) steht über dem Eid. Für den Christen sind darum die Grenzen des Eides eigentlich ohne jede Diskussion gegeben, ob er ihn mit oder ohne religiöse Eidesformel leistet. Für den Christen ist diese Begrenzung des Eidvollzuges selbstverständlich.

Die Verpflichtung des Eidgebers besteht ja nun darin, daß er sich auch an eine ganz bestimmte Aufgabe bindet. Wenn der Staat den Eid fordert, so bindet er sich nämlich selber an eine Aufgabe. Auch der Beamteneid bedeutet ja die Bindung des Eidgebers an den Staat. Der Soldateneid ist nicht willkürlich; auch hier wird derjenige, der den Eid leistet, wiederum an eine bestimmte Verpflichtung gebunden.

Ich würde also sagen: Die Eidesleistung besagt Stärkung der Verantwortlichkeit für die rechte Erfüllung der übernommenen Pflicht. Sie bedeutet also nicht eine Eliminierung, eine Ausschaltung, sondern im Gegenteil, hier wird das Verantwortungsbewußtsein aufs höchste gefordert und gestärkt. Die Eidesleistung stellt darum keine Ausschaltung, sondern eine Anrufung und eine Anerkennung der Autorität Gottes dar. Es wird hier gerade etwas gesagt, was ungemein wichtig ist, und ich würde es sogar für fraglich halten, ob die heutige Tendenz, den Eid zu umgehen, sehr glücklich ist. Denn was heißt „Verpfllichtung"? Ist „Verpflichtung" nur ein anderes Etikett, das die gleiche Sache schmackhafter machen soll? Es geht hier immer um eine Verpflichtung ganz besonders feierlicher Art. v. Witzleben: Im Amt Blank meint man anscheinend, der Eid sei durch die vielen Eidesleistungen seit 1919 und das viele Hin und Her so entwertet worden, daß er heute nicht mehr dasselbe wie früher bedeute. Wenigstens muß ich diese Ansicht unterstellen, sollte man wirklich dazu kommen, nur noch eine Verpflichtung unterschreiben zu lassen. Wir sind aber gehalten, im Hinblick auf die Opposition zu diesem Eidproblem Stellung zu nehmen; denn in der bisher erschienenen Literatur über die Opposition ist diese Frage meist umgangen worden. Wir müssen sie als Soldaten beantworten, aber auch von der Moraltheologie her und vom juristischen Standpunkt aus eine Antwort finden.

Haseloff: Was Sie sagen, ist ganz richtig. Blank begründet diesen Entschluß damit, daß so viele Leute in Deutschland keine echte religiöse Bindung mehr haben; außerdem sei der Soldateneid in der Nazizeit zu oft mißbraucht worden.

Künneth: Die heutige Kritik am Eide ist natürlich verständlich. Es ist psychologisch durchaus einzusehen, daß man gegenüber der Eidinflation der Vergangenheit heute sehr behutsam und vorsichtig geworden ist. Trotzdem kann ich die Entwicklung, die wir heute vor uns sehen, nicht gutheißen. Denn das bedeutet schon wieder ein Zugeständnis an eine saecularistische Entartung. Es ist zwar ein Tatbestand, den wir vor uns haben, aber es ist Saecularismus. Wir haben, wenn wir ethisch-theologisch als Menschen christlicher Überzeugung darüber, nachdenken, die Aufgabe, den rechten Gebrauch, das rechte Verständnis vom Mißbrauch zu unterscheiden. Und wenn in der Vergangenheit ein Mißbrauch vorlag, so heißt die Aufgabe nicht, sich durch ein Ausgleichsmanöver gleichsam an der kritischen Frage vorbeizudrücken, sondern vielmehr, den rechten Gebrauch, das rechte Verständnis wieder in die Mitte zu stellen. Das würde ich als ethische Aufgabe ansehen.

Ich möchte noch auf eines hinweisen. Warum ist denn das so wichtig? Weil der Eid ein geradezu klassisches Zeichen dafür ist, daß eine Staatsordnung eben nicht autonom in sich ruht und aus sich verstanden werden darf, sondern, daß eine Staatsordnung, wenn sie recht begriffen wird, immer nur theolog in Gott begründet wird. Darum bedauere ich cs, wenn man hier an dieser Kardinalfrage des rechten Staatsverständnisses vorbeigeht.

Noch ein letztes zur Frage der Ablösung des Eides: Ich würde sagen, der Eid ist dann zu Ende gekommen, wenn die rechtmäßige Beziehung zwischen Eidnehmer und Eidgeber aufgelöst ist.

Wodurch werden die rechtmäßigen Beziehungen, welche die Voraussetzungen des Eides sind, aufgelöst? Durch zweierlei. Einmal wenn die eidlichen Verpflichtungen mißbraucht werden, wenn also der, der den Eid geleistet hat, auf Grund des Eides zu Handlungen veranlaßt wird, die im Widerstreit zum eigentlichen Sinn des Eides stehen, also gleichsam zu gottwidrigen Handlungen. Damit wird durch den Eidnehmer der Eid selber mißbraucht und in Frage gestellt. Und zweitens, das ist nun die andere Seite der gleichen Sache, wenn eben eine Grenzüberschreitung vorliegt, und die liegt wiederum dann vor, wenn die Ausrichtung auf Gottes Willen, der beide verpflichtet sind, außer acht gelassen wird. In diesem Falle, würde ich sagen, kann es sich nicht mehr um einen Eidbruch handeln, sondern hier wird das vorausgegebene Rechtsverhältnis überhaupt schon von vornherein unterminiert und aufgelöst.

Abschließend möchte ich darum die folgende Formulierung geben: Gehorsamsverweigerung und Widerstand des Christen in diesen von uns heute erörterten Fällen sind eine echte und notwendige Erinnerung an die eigentliche sittlich-religiöse Qualität des Eides. Es handelt sich also nicht um eine Verteidigung des Eidbruches, das würde ich für falsch halten. Vielmehr muß die Tatsache, daß der Eid nicht mehr in Kraft ist, verstanden werden als Wille, den Eid zu erhalten. Meine These lautet also: nicht Eidbruch, sondern Zeichen der Eiderhaltung im rechten Verständnis. v. Witzleben: Die Opposition hat ja den Eid überhaupt erst wieder an den rechten Fleck gebracht.

Künneth: Genau das meine ich.

Kinder: Meiner Meinung nach wird man im führenden politischen Amt und besonders im Soldatendienst auf den Eid nicht verzichten können. Weil es hier um Leib und Leben, um Einsatz der ganzen Existenz und Person geht, muß eine Bindung bestehen, die nicht nur durch meine Person vollzogen wird, sondern durch etwas, was größer und wichtiger ist als ich selbst. Weil ich mich selbst ja einsetzen soll, muß das, was mich bindet, größer und wichtiger sein, als ich es bin. Es muß also wenigstens eine Bindung sein durch das, was dem Betreffenden als Höchstwert gilt. Wir als Christen können es nur als Bindung durch Gott ansehen. Und da möchte ich zu dem Eid zweierlei sagen. Einmal, daß das, was den Eid begründet, ihn auch begrenzt. Wenn ich bei Gott schwöre, so wird auch durch Gott und Gottes Willen der Eid begrenzt. Ich werde also durch die Eidesleistung nicht ein Automat des Kadavergehorsams, sondern meine ethische Verantwortlichkeit wird dadurch noch gesteigert. Indem ich sage: „Ich schwöre bei Gott“, mache ich mich Gott gegenüber verantwortlich. Und „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ liegt schon in der Grundlage des Eides, in seinem Wesen.

Das zweite ist dies: Woran binde ich im Eid? Ein Eid ist kein Blankoscheck, sondern ich muß mich an eine objektive Norm binden. Selbst beim alten monarchischen Eid waren die Kriegsartikel grundlegend als objektive Norm für das, woran man gebunden war. Das fehlte in dem Hitler-Eid: Kriegsartikel, Verfassung oder etwas, woran Eidgeber und Eidnehmer beide gebunden waren. Wenn ich also meinetwegen die Verfassung zugrundelege, so ist auf diese Weise auch dahingehend eine Begrenzung gegeben, daß, wenn mein Eidverhältnis dieser nicht mehr dient, sondern ihr entgegengesetzt ist, ich den Eid nicht breche. Vielmehr verpflichtet mich dieser Eid gerade, dagegen zu handeln, weil es ja gegen das geht, woran ich mich gebunden habe. Ich würde sagen, nicht das sittlich shiechte Verhalten des Eidnehmers entbindet mich. Wenn es so ist, daß ich durch Gott gebunden bin und durch die Kriegsartikel, auf die ich im Eid schwöre, so kann der Eidnehmer Eidbrecher sein, und ich bleibe doch noch gebunden. Dadurch, daß er Eidbrecher ist, bin ich nicht entbunden, also nicht durch die sittliche Qualität des Eidnehmers, der sich als ein Schuft erweist, sondern nur durch Gott und durch die objektive Norm der Kriegsartikel. Eine andere Lösung dürfte man, glaube ich, nicht freigeben.

Der Erlanger Professor Elert hat diese Formel des Hitler-Eides im Vergleich mit früheren Eidesformeln, die er alle geschichtlich bis zum alten Fritz zurück kennt, ausgezeichnet und scharfsinnig analysiert

Er gibt eine ernsthafte Analyse jedes einzelnen Momentes des Hitler-Eides im geistesgeschichtlichen Zusammenhang mit ethischen Normen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Prof. D. Dr. Werner Elert, . Deutsches Pfarrblatt — Bundesblatt d.deutschen evangelischen Pfarrvereine —” Heft 13, 14 und 15, 1952.

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