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Politik der Gewaltlosigkeit . Eine Rede des indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru vor der Volkskammer des Parlaments am 25. August 1954 | APuZ 40/1954 | bpb.de

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APuZ 40/1954 Gustav Stresemann. Zu seinem 25. Todestage Das politische Vermächtnis des deutschen Widerstands Politik der Gewaltlosigkeit . Eine Rede des indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru vor der Volkskammer des Parlaments am 25. August 1954

Politik der Gewaltlosigkeit . Eine Rede des indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru vor der Volkskammer des Parlaments am 25. August 1954

des Problems zu verhüllen, den politischen wie den sittlichen. Politisch geh« es, wenn wir das Vermächtnis des 20. Juli in seinem vollen Gewicht anrufen, nicht um irgendwelche Defensive sondern um Angriffe, gegen jedes System, das des Menschen Gewissen zu vergewaltigen und ein ganzes Volk in Verbrechen zu verstricken unternimmt. Sittlich geht es um letzte prinzipielle Entscheidungen in der Grenzsituation, in der die Rangordnung traditioneller Werte sich zurechtrückt und ordinäre Maßstäbe versagen.

Sieht man von da aus noch einmal auf das Heute und Morgen, so wird gewiß niemand sagen wollen, daß die Grenzsituation ein Modellfall ist für alle Zukunft oder daß im Extrem die Regel des täglichen Handelns gefunden werden kann. Die gleichen außerordentlichen Umstände kehren nicht wieder, und das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, ist nicht eine Aufgabe für jedermann oder in jedem gegebenen Moment. Und doch hat der Durchbruch ins Freie, für den der 20. Juli Symbol ist, eine wegweisende Bedeutung. Es sind damals in der Grenzsituation Möglichkeiten und Umwertungen vorgelebt und vorgestorben worden, die potentiell zum Wesen der Zeit gehören, in der wir existieren. Es sind das die Möglichkeiten und Umwertungen internationaler Art im Sinne einer Front-bildung des Menschlichen gegen das Unmenschliche, von der einleitend die Rede war und die eine gewisse Aktualität schon heute hat. Aber auch der innerstaatliche Bereich sollte über dem äußeren Bild wiederhergestellter Rechtlichkeit, hinter dem doch immer die Drohung des Anonymen und Kollektiven steht, nicht aus dem Blickfeld verschwinden. Konkret gesprochen heißt das etwa, es dürfen keine Lagen eintreten, in denen noch einmal deutsche Offiziere gezwungen werden könnten, gegen ihren Eid zu handeln oder aus einer mißbrauchten Verteidigungsgemeinschaft auszubrechen. Dies ist indessen nur der zugespitzte Einzelfall. In allgemeinerer Sicht wird man die latente Gefahr so umschreiben dürfen, wie sie Graf York vor dem Volksgerichtshof in aller Klarheit und Schlichtheit herausgestellt hat: „Das Wesentliche ist der Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtungen vor Gott“. Es ist damit von den Männern, die so dachten, so handelten und starben, zugleich auch auf der Ebene des Täglichen und Stündlichen eine Wachheit des Gewissens und der Mitverantwortung dem Einzelnen eingeschärft worden, der es an Erprobungen nach der Natur des modernen gesellschaftlichen Mechanismus nicht fehlen kann und ohne die doch eine freie Welt nicht zu bestehen vermag. Indem Bonhoeffer, um ihn noch einmal und zwar zum unmittelbar Politischen und spezifisch uns Angehenden des Vermächtnisses zu zitieren, in einer Aufzeichnung von der Jahreswende 1942/43 den traditionellen Freiheitsbegriff des Deutschen und die schmähliche Ausnutzung seiner Bereitschaft zu Gehorsam und Lebenseinsatz erörtert, fährt er fort: „Es mußte sich herausstellen, daß eine entscheidende Grunderkenntnis dem Deutschen noch fehlte: die von der Notwendigkeit der freien, verantwortlichen Tat auch gegen Beruf und Auftrag“.

Das Haus ist sich bewußt, daß seit dem 15. Mai, an dem es sich mit der internationalen Lage und den entsprechenden politischen Reaktionen der indischen Regierung befaßte, bedeutungsvolle Ereignisse und Entwicklungen eingetreten sind, die uns alle betreffen und für uns von Interesse sind. Einige Ereignisse und Entwicklungen sind gerade für uns von Bedeutung. Sie appellieren an unsere Gefühle und hängen mit unserer geschichtlichen Entwicklung zusammen. In andere wieder sind wir verwik-kelt, oder wir versuchen, uns aus ihnen herauszuhalten; für einige jedoch haben wir als unseren Anteil an den internationalen Verpflichtungen und um des Friedens willen eine schwere Last und eine große Verantwortung auf uns genommen.

Ich habe nicht die Absicht, mich mit allen Punkten zu befassen oder auf einige besonders ausführlich einzugehen, sondern ich möchte nur verhältnismäßig kurz den Standpunkt der Regierung zu einigen Problemen und Entwicklungen aufzeigen.

Die Beziehungen zu den portugiesischen Niederlassungen in Indien, die sowohl das Haus als auch das Land mit großer Aufmerksamkeit verfolgten, waren Gegenstand eingehender Prüfungen und lebhafter Erwägungen von Seiten der Regierung. In den portugiesischen Niederlassungen selbst haben Opposition und Widerstand gegen das ausländische Kolonial-regiment um sich gegriffen. Es handelt sich hier um eine reine Volksbewegung der Einwohner Goas. Die Behörden bekämpften sie mit den altgewohnten, jedoch zweifelhaften kolonialen Unterdrückungsmethoden und autoritären Gewaltmaßnahmen, die die natürlichen Rechte des Volkes auf Freiheit und Selbstbestimmung leugnen.

Der Standpunkt der indischen Regierung und auch des indischen Volkes sind bekannt und brauchen nicht noch einmal wiederholt zu werden. Goa und die indische Union bilden ein Land. Verschiedene Teile Indiens kamen durch ausländische Eroberungen unter Kolonialherrschaft. Die geschichtlichen Ereignisse brachten es mit sich, daß fast das ganze Land unter britische Herrschaft geriet. Aber einige kleinere Landstriche blieben unter kolonialer Herrschaft anderer ausländischer Mächte, vornehmlich weil sie die Engländer dort beließen. Die Freiheitsbewegung beschränkte sich nicht nur auf einen Teil des indischen Landes sondern erstreckte sich auf das ganze Land und richtete sich gegen jede Art von ausländischer Herrschaft. Im sogenannten britischen Indien gewann die Freiheitsbewegung unaufhaltsam an fester Gestalt und erwirkte schließlich den Rückzug der Kolonialmacht und die Bildung der indischen Republik. Dieser Befreiungsprozeß kann aber nicht vollendet werden, solange nicht die letzten Teile des Landes von der kolonialen Überwachung befreit sind. Die Regierung und das Volk Indiens haben daher volles Verständnis für die Bestrebungen der Einwohner Goas, sich von fremder Herrschaft zu befreien und mit dem Mutterlande zu vereinen.

Wir haben, selbst zur Zeit, als Indien noch britischer Herrschaft unterworfen war, eine Politik der Gewaltlosigkeit verfolgt, und entsprechend waren unsere Einstellung und Haltung. Gewaltlosigkeit aber bedeutet:

1. daß wir weder auf unsere Identifizierung mit der Sache unserer Mitbürger unter portugiesischer Herrschaft verzichten noch eine Beeinträchtigung unseres Standpunktes dulden würden;

2. daß wir weiterhin keine Gewaltakte freiwillig unternehmen oder befürworten werden. Unser Standpunkt gründet sich auf der Tatsache, daß die Befreiungsbewegung spontan und eine Angelegenheit der Einwohner Goas ist, und daß ihre Stärke auf diesen Tatsachen beruht.

Die indische Regierung und ich sind der Überzeugung, daß der größte Teil unseres Volkes keine Politik oder Methode befürworten würde, die sich von diesen Grundsätzen entfernen, auf denen die Grundlagen unserer nationalen Einheit beruhen und die das geschichtliche und einzige Vermächtnis Gandhis und der Vorkämpfer unserer Freiheit sind.

Weiterhin dürfen wir niemals vergessen, daß wir aus unseren Bemühungen um unsere eigene Freiheit das Element der Furcht entfernen müssen. Ich möchte hier in aller Aufrichtigkeit sagen, daß die Regierung niemals einen derartigen Weg beschreiten wird und auch nicht will. Besorgnis und Furcht vor Drohungen, gleichgültig aus welchen Kreisen sie kommen oder wer sie billigt, vermindern die Möglichkeiten einer Verständigung oder be-wirken Reaktionen, die aus Furcht geboren sind. Ein solches Verhalten steht im Widerspruch zu unserer Politik und verleugnet den Grundsatz der Gewaltlosigkeit.

Die portugiesische Regierung hat uns mit Beschuldigungen überhäuft und mit unserer Nachsicht zügellosen Mißbrauch getrieben. Sie wird von Furcht getrieben. Ihre Erklärung, sie würde ihre militärischen Streitkräfte in ihren indischen Besitzungen zusammenziehen, um die Einwohner zu terrorisieren, reiht sie unter diejenigen ein, die auf die Stärke pochen. Sie ist sich wohl bewußt, daß sie uns damit nicht schrecken kann.

Die indische Regierung jedoch hat nicht die Absicht, militärische Maßnahmen zu planen und zu ergreifen. Die Konzentration portugie-sischer Truppen stellt zweifellos eine Verletzung unserer nationalen und internationalen Rechte dar. Wir werden diese Tatsache überprüfen und in Rechnung stellen und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Wir haben aber nicht die Absicht, hierin dem Beispiel der portugiesischen Regierung zu folgen.

Die Erklärungen der portugiesischen Regierung an uns oder an andere Länder und ihre Propaganda sind voll von unwahren und willkürlichen Beschuldigungen. Sie stellt uns nicht nur als aggressive Militaristen hin sondern bezeichnet uns vor allem als Anti-Christen, Anti-Katholiken und Scheinheilige; damit verfolgt sie den Zweck, die anderen gegen uns einzunehmen. Sie versucht, die anderen zu überzeugen, daß wir aus Goa eine indische Kolonie machen wollen.

Diese Behauptungen weisen die Einwohner Goas trotz dem autoritären Regime, der drük-kenden Zensur und der vom Staat kontrollierten Propaganda zurück. Trotzdem wächst die goaische Befreiungsbewegung weiter und ihre Stärke kann man an der zunehmenden Heftigkeit und Willkür der portugiesischen Beschuldigungen und Propaganda ablesen.

Goaer im Auslande, vor allem in Indien und Ostafrika, haben sich zu Gunsten dieser Bewegung ausgesprochen. Sie fordern das Ende der Fremdherrschaft und die Vereinigung Goas mit dem Mutterlande.

Die portugiesische Behauptung, Indien verhalte sich gegenüber den römischen Katholiken feindselig und die Katholiken würden in Gefahr geraten, wenn Goa der indis 'nen Union angeschlossen werden sollte, wurde von den römischen Katholiken Indiens und ganz besonders von ihren hervorragenden Führern verworfen. Die Katholiken in Indien weisen diese portugiesische Behauptung nicht nur als falsch zurück sondern betrachten sie als Schmach für sich und ihr Land. Sie weisen auf die 5 Millionen Katholiken in Indien hin, die absolute Religionsfreiheit und die Achtung ihrer übrigen Landsleute genießen. Sie wissen, daß die Garantien unsere. Verfassung eingehalten werden. Auf einem kürzlich abgehaltenen, überaus gut besuchten Treffen von Goaern in Bombay, das sich aus Personen unterschiedlichster Richtungen, vor allem aus Nicht-Konfessionellen und Parteilosen zusammensetzte, wurde diese Ansicht nachdrücklich vertreten und dieUnhalt-barkeit der portugiesischen Beschuldigungen aufgedeckt.

Idi bedauere tief, wenn die portugiesische Regierung beabsichtigt haben sollte, um ihrer kolonialen Ziele willen die religiösen Leidenschaften aufzustacheln. Diese Bemühungen waren erfolglos.

Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, um noch einmal einige Erklärungen über die grundsätzlichen Beziehungen zu Goa abzugeben, wenn es Teil der indischen Union wird. 1. Die von der indisdien Verfassung garantierte Freiheit und die garantierten Rechte, die vor allem das Recht auf die Freiheit des Gewissens, des Gottesdienstes und der Religionsausübung einschließen, werden in vollem Umfange und mit allen Folgerungen auf dieses Gebiet ausgedehnt werden.

2. Besondere kulturelle, soziale und sprachliche Belange und Eigentümlichkeiten der territorialen Gruppe, die eine Folge der geschichtlichen Entwicklung sind, werden respektiert werden.

3. Gesetze und Gewohnheiten, die zum sozialen Gefüge dieses Landes gehören und die mit den Grundsätzen der Menschenrechte und der Freiheit in Einklang stehen, werden respektiert werden, und Änderungen werden nur auf dem Verhandlungswege und bei Zustimmung vorgenommen werden.

4. Entsprechend unserem Vorgehen im übrigen Indien werden wir uns in vollem Umfange der Verwaltung, der Rechts-und der anderen Einrichtungen bedienen in der Überzeugung, daß die Erlangung der Freiheit und die Vereinigung dieser Gebiete mit dem Mutterlande eine Angleichung ermöglichen werden, die in Übereinstimmung mit einer fortschrittlichen Auffassung und mit den Wünschen des Volkes vorzunehmen ist.

Das Haus hat Kenntnis davon, daß kürzlich zwischen der portugiesischen und der indischen Regierung Noten gewechselt wurden. Sie wurden dem Haus vorgelegt. Aus diesen Noten geht klar hervor, daß die indische Regierung ihren Standpunkt mit Festigkeit, Klarheit und Zurückhaltung vertreten hat und sich weder durch die Form der Sprache noch durch den Inhalt der portugiesischen Noten herausfordern ließ. Die Regierung ist der Meinung und der Überzeugung, das Haus stimme mit ihr darin überein, daß Regierungen sich immer eines solchen Verhaltens befleißigen sollten. Ich werde davon Abstand nehmen, ausführlich auf den Notenwechsel einzugehen, möchte jedoch betonen, daß die indische Regierung entsprechend ihrer Politik, Meinungsverschiedenheiten und Probleme auf dem Wege des Ausgleichs und der Verhandlungen beizulegen und zu lösen, sofort das erste Angebot der portugiesischen Regierung auf Zusammenarbeit zum Zwecke einer unvoreingenommenen Prüfung der Goa-Frage annahm. Die indische Regierung hat nichts dagegen einzuwenden und nichts zu verbergen. Sie schlug ein sofortiges Treffen von Vertretern beider Regierungen vor, um die Regelungen zu treffen, über die sie eine Einigung erzielten. Die letzte Note der portugiesischen Regierung scheint weitere Zweifel und Schwierigkeiten zu erregen, aber die indische Regierung hat ihre feste Absicht bekundet, den Weg der Versöhnung und der Verhandlung fortzusetzen. Sie forderte die portugiesische Regierung auf, den baldigen Beginn einer Konferenz zu ermöglichen.

Im Namen unseres Landes und der Regierung möchte ich erklären, daß wir gegen Portugal und seine Bewohner keine feindlichen Gefühle hegen. Wir sind der Ansicht, daß es auch für Portugal einen Gewinn bedeuten würde, wenn die Goaer, die jetzt portugiesische Untertanen sind, frei sein würden. Wir werden 1 mit Geduld und Festigkeit den Weg der Versöhnung und Verhandlung weiter gehen. Wir glauben jedoch, gleichzeitig feststellen zu müssen, daß wir unserer Geschichte untreu und Verrat an der Sache der Freiheit üben würden, wenn wir nicht freimütig bekennen würden, daß unser Land und die Regierung fest und voll vom Recht unserer Mitbürger in Goa, sich selbst von fremder Herrschaft zu befreien und sich mit dem übrigen Mutterlande zu vereinen, überzeugt sind. Unsere Offenheit wird der Freundschaft und dem gegenseitigen Verstehen nur förderlich sein, so wie Indiens Befreiung zu freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Vereinten Königreich und Indien geführt hat.

Wir laden daher die portugiesische Regierung ein, zur friedlichen Vollendung-dieser Bestrebungen mit uns zusammenzuarbeiten.

Die Frage der französischen Niederlassungen bietet gegenwärtig erfreulicherweise ein ganz anderes und hoffnungsvolleres Bild. Ich glaube, wir dürfen die berechtigte Hoffnung hegen, daß wir uns dem Ziele unserer Hoffnung nähern, eine friedliche und dauernde Regelung, die für alle Betroffenen zugleich ehrenvoll und befriedigend ist, auf dem Wege des Ausgleichs und der Übereinstimmung zu erreichen. Der Ansichten-und Gedankenaustausch zwischen unserer Regierung und der von Frankreich macht seit einiger Zeit Fortschritte, und er wird von beiden Seiten in entgegenkommender Haltung weitergeführt. Der französische Premierminister bewies der Welt seinen Patriottsmus und seine politische’ Kühnheit, aber auch seinen Wunsch nach friedlichen Regelungen auf dem Verhandlungswege. Ich hege die große Hoffnung, daß wir in absehbarer Zeit die Lösung dieses Problems im Sinne der vollen Freiheit für unser Volk und einer festeren Freundschaft zwischen Indien und Frankreich erleben werden. Wie ich schon sagte, ist die gegenwärtige Phase der Angelegenheit hoffnungsvoll. Aber es war nicht immer so. Die Übung von Geduld und unser fester Vorsatz, eine Regelung auf dem Verhandlungswege zu erreichen, rechtfertigten sich selbst. Das Haus wird mir die Bemerkung gestatten, daß diese Politik der Geduld und Weisheit in Übereinstimmung mit unseren Grundsätzen das rechte Verhalten war und auch zu Ergebnissen führte.

Ich darf jetzt das Haus bitten, seine Aufmerksamkeit von diesen beiden Fragen, die uns geographisch und politisch so nahe berühren, anderen zuzuwenden, die uns nicht weniger angehen und an denen wir vielleicht in noch stärkerem Maße unmittelbar beteiligt sind. Ich meine die beiden Konferenzen, die in diesem Jahr von April bis Juli in Genf abgehalten wurden. Beide Konferenzen befaßten sich mit Ländern und Völkern Asiens. Die Hauptteilnehmer an diesen Konferenzen waren mit der bedeutsamen Ausnahme Chinas nicht-asiatische Staaten. Dies kennzeichnet in etwa die heutige Weltlage, die sich durch territoriale, rassische und politische Unausgeglichenheit auszeichnet. Wir sind daher der Ansicht, daß widrtige Weltprobleme heute nicht zu lösen sind, wenn man sie ausschließlich als asiatische oder europäische, östliche oder westliche Probleme ansieht. Um sie zu lösen, muß Asiens Platz in der modernen Welt anerkannt werden.

Genf bewies dies in mehr als in einer Hinsicht. Erstens nahm China an beiden Konferenzen teil. Seine Anwesenheit bewies, daß die Anerkennung der Tatsachen nicht nur unvermeidbar sondern auch zweckmäßig ist.

Zweitens ist es Tatsache, daß die Beratungen der südostasiatischen Premierminister in Colombo auf die Indochinakonferenz in Genf zwangsläufig einen bedeutsamen Einfluß hatten, obgleich keines der Länder an der Genfer Konferenz teilnahm. Die Colombovorschläge über Indochina stützten sich zum großen Teil auf ähnliche Vorschläge, die diesem Haus bei einer früheren Gelegenheit unterbreitet worden waren und die nun nach einigen Abänderungen in der Formulierung den Beifall der anderen Premierminister fanden.

Die Konferenz vertagte sich, ohne zu einem Beschluß geführt zu haben, doch muß betont werden, daß sie nicht zusammengebrochen ist. Die Koreafrage muß im Interesse der Stabilität und des Friedens Asiens und der Welt gelöst werden. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß in Genf keine Seite gneigt oder bereit war, gewaltsam ein katastrophales oder auch nur formales Ende der Konferenz herbeizuführen. Ein großer Teil der vertretenen Staaten wünschte und suchte wenigstens eine Teillösung. Einige der in Genf unterbreiteten Vorschläge weisen Wege zu einer künftigen Regelung. Sie stellen eine Art Brückenkopf dar, von wo eine hoffnungsvolle Landung an den Gestaden einer koreanischen Lösung geplant und ins Auge gefaßt werden sollte. Ein Fehlschlag der Genfer Konferenz sollte nicht geduldet werden. Die Bemühungen um einen Frieden in Korea sollten fortgesetzt werden.

In Genf kam der Indochinakonferenz die größere Bedeutung zu. Es war die historische Rolle der Konferenz, eine Alternative darzustellen zu einer Politik, die drohte, zu einem dritten Weltkrieg zu führen. Das ist das Besondere an der Genfer Indochinakonferenz; dies gibt ihr einen denkwürdigen Platz in der Geschichte.

In Genf herrschte der Wunsch vor, trotz aller Konflikte und toten Punkte eine Regelung zu finden und die grimmige Alternative abzuwenden. In diesem Sinne bemühten sich auch die beiden Präsidenten der Konferenz, Eden und Molotow, als Vermittler.

Außer den beiden Konferenzpräsidenten zeichnete sich auch noch der chinesische Premierminister, den wir zu unserer Freude in unserem Lande begrüßen konnten, als konstruktiver Staatsmann aus. Er vermittelte der Konferenz einen unmittelbaren Eindruck von der Existenz eines neuen Asiens. Sein Besuch in Indien scheint sein Verständnis für die asiatischen Länder außerhalb Chinas und für den südostasiatischen Plan eines kollektiven Friedens gefördert zu haben.

So groß auch der Anteil der anderen Staaten war, so spielten doch Frankreich und die demokratische Republik Vietnam als kriegführende Staaten die wichtigste Rolle und hatten auf der Konferenz die Hauptarbeit zu leisten. Direkte Verhandlungen zwischen ihnen, die zuerst in diesem Hause vorgeschlagen und später auf der Colombo-Konferenz unterstützt wurden, erhielten eine gewisse Bedeutung. Wir sind dem französischen Premierminister Mendes-France und den Vertretern der demokratischen Republik von Vietminh unseren Dank für ihren Mut und ihre Einsicht schuldig, mit der sie das schwierige Problem anpackten. Auch die drei anderen indochinesischen Regierungen, die auf der Konferenz vertreten waren, nämlich Laos, Kambodscha und Vietnam, die auch von den Schrecken des Krieges berührt waren, leisteten ebenfalls ihren Beitrag zur Indochinaregelung. Die Regelung der Indochinafrage wurde wirklich auf dem Verhandlungswege erreicht und keiner der kriegführenden Mächte, sondern der Frieden blieb Sieger.

Die Waffenstilstandsbedingungen kamen auf Grund von Abmachungen zwischen den krieg-führenden Parteien, die durch die beiden Ober-kommandos vertreten wurden, zustande. Diese haben auch die Verantwortung für ihre Einhaltung. Von Beginn der Konferenz an konnte keine Einigung über Rolle, Funktionen, Zusammensetzung und Vorgehen der neutralen oder unparteiischen Überwachungskommissionen erzielt werden. Es wurde schließlich ein Übereinkommen über Funktionen und Zusammensetzung der Kommissionen aus Vertretern Kanadas, Polens und Indiens erreicht, was einen Wendepunkt in den Verhandlungen bedeutete. Jedesmal und von jedem Teilnehmer wurde Indien als Mitglied der Kommission vorgeschlagen. Indien fiel die führende Rolle in den Kommissionen zu, was schließlich zu einer der Vorbedingungen für die endgültige Regelung wurde.

Indien nahm nicht an der Konferenz teil. Es hat nicht um einen Platz in den Kommissionen gebeten. Wir enthüllten nicht einmal, ob wir diese Verantwortung zu übernehmen gedachten oder nicht. Als uns dieses verantwortungsvolle Amt angeboten wurde, konnten wir die Annahme nicht verweigern, denn unsere Weigerung hätte das Abkommen gefährdet. So müssen wir diese schwere und lastende Verantwortung auf uns nehmen.

Unsere Beziehungen zu unseren Kollegen in der Kommission und zu den Parteien in Indochina standen bisher unter einem günstigen Stern. Bis jetzt sind alle Entscheidungen in den Kommissionen einstimmig gefaßt worden. Dies beweist den guten Willen und den ernsten Wunsch zur Zusammenarbeit. Am ersten August eröffnete ich die Konferenz der drei Staaten, um die Kommissionen zu dem durch das Indochinaabkommen festgesetzten Datum zu bilden. Diese Konferenz traf einstimmige Entscheidungen und schickte schnellstens unter Leitung des Sekretärs für Commonwealth-Fragen am Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Herr S. Dutt, eine Vorauskommission nach Indochina. Dutt kehrte vor zwei Tagen zurück, nachdem alle drei Kommissionen nunmehr gebildet sind. Ich habe den Eindruck, das Haus hat das Bedürfnis, den Kommissionen von seiner Bereitschaft zur Zusammenarbeit und seiner aufrichtigen Hoffnung auf erfolgreiches Wirken Kenntnis zu geben.

Es ist wichtig, daß das Indochinaabkommen die Herstellung der Unabhängigkeit der drei Staaten: Vietnam, Laos und Kambodscha vorsieht und ihre Souveränität zu bewahren sucht auf Grund der Zusicherung, die Integrität gegenseitig zu achten, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der anderen einzumischen und keine militärischen Bündnisse mit anderen Staaten einzugehen. So besteht die Hoffnung, daß die Indochinastaaten lieber an einem kollektiven Frieden teilnehmen als sich einem Kriegsblock anschließen werden.

Dem indochinesischen Volk senden wir ungeachtet seiner inneren Wirren und schweren Mühsal unsere aufrichtigen und warmen Wünsche und Hoffnung für Frieden, Einheit und Gedeihen. Die Regelung der Indochinafrage vergrößerte Asiens Hoffnung auf Frieden und Stabilität.

Ich erwähnte schon den Besuch Tschu-En-lais in Delhi. Ihm wurde ein spontaner Empfang bereitet. Er war der Ausdruck unseres Volkes für seinen Wunsch nach Verstehen und friedlichen Beziehungen. Er war zugleich der Ausdruck für das unseren beiden Völkern gemeinsame asiatische Bewußtsein. Tschu-En-lais Besuch förderte das Verständnis der beiden Völker füreinander.

Das von Tschu-En-lai und mir als Premierminister unserer Völker herausgegebene Kommunique zog die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Die in ihm enthaltenen fünf Grundsätze entspringen dem Wunsch nach einem kollektiven Frieden. Unser nächster Nachbar, Burma, hat diese fünf Grundsätze übernommen und andere südostasiatische Länder stehen ihnen wohlwollend gegenüber. Das von uns erreichte Einvernehmen richtet sich gegen kein Land und keine Ländergruppe. Wir hoffen, daß es den Kern für einen kollektiven Friedensplan bildet, der die einzige Alternative zur Kriegsbereitschaft und der einzige echte Weg zur wirklichen Sicherheit ist.

In den ersten Tagen des nächsten Monats soll in Baguio auf den Philippinen ein Treffen stattfinden, auf dem Vorschläge für die Bildung einer südostasiatischen Kollektivorganisation geprüft werden sollen. Wir haben uns außerstande erklärt, an diesem Treffen teilzunehmen, weil nach unserer Ansicht die Gefahr besteht, daß es die durch die Indochinaregelung gerade erst zustande gekommene Aussöhnung zunichte machen könnte. Nach unserer Über-zeugung ist eine kollektive Sicherheit nur zu erlangen, wenn die Weltspannung beseitigt und ein kollektiver Friedensplan entwickelt wird. Alles, was die Spannungen noch vergrößert, entfernt uns vom Frieden. Wir fürchten daher, daß die geplante südostasiatische Kollektivorganisation gegenwärtig mehr Schaden als Nutzen anrichten wird, den sie sich für die Zukunft verspricht. Die indische Regierung ist der Ansicht, daß das als Folge des Indochina-abkommens eingetretene Nachlassen der Welt-spannungen und das Friedensverlangen der Nationen gefördert und dazu benutzt werden sollten, weitere Mittel und Möglichkeiten zur Erreichung des Weltfriedens und zur Lösung der Weltspannungen ausfindig zu machen. Dies wird die Aufgabe der Vollversammlung der Vereinten Nationen sein, die im nächsten Monat zusammentritt. Wir glauben zuversichtlich, daß sie die Lösung der hartnäckigsten Welt-konflikte im Rahmen einer kollektiven Friedensbemühung suchen wird.

Fussnoten

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