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Taifun-Küste | APuZ 36/1955 | bpb.de

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APuZ 36/1955 Die deutsche Politik an der Wegegabel Die Vereinigten Staaten blicken nach Süd- und Südostasien Taifun-Küste

Taifun-Küste

G. F. Hudson

Der folgende Aufsatz von G. F. Hudson wurde mit Genehmigung des Verlages der englischen Zeitschrift „THE TWENTIETH CENTURY" (April 1955) entnommen.

Juni, zu frillt; Juli, vor Didi sieh; August, Iwiui'i'tei'i es muflt‘; September, denke an den Kalender; Oktober, alles vorüber'.

Das ist eines Seemanns Knüttelvers zur Mahnung an die Taifun-Monate in der chinesischen See. Heute könnte er sich fast auf die Möglichkeiten eines anderen Taifuns über der Formosastraße beziehen, in der amerikanischen Schlachtschiffe in ständiger Kampfbereitschaft pausenlos patroullieren, ein Kampf, der vielleicht kommt oder auch nicht. Seit die hochdramatische Bedeutsamkeit der Kongreßbotschaft Präsident Eisenhowers die Aufmerksamkeit der Welt auf Formosa gelenkt hat, herrscht das Gefühl, daß die Spannungen nachlassen. Nachdem die Zuhörerschaft durch eine donnergleiche Ouvertüre auf große Ereignisse gefaßt war, hat sich überhaupt nichts ereignet, ausgenommen einige reibungslose Evakuierungen.

Doch die Spannung besteht weiter.

Draußen auf hoher See setzen die nationalchinesischen und amerikanischen Kriegsschiffe ihre Patroillen fort, während in den Fukienhügeln russische Maschinengewehre eingebaut und neue Flugfelder angelegt werden. Die Befehlshaber jener in den Hügeln verborgenen Streitkräfte haben einen großen Vorteil: wenn es zum Kriege kommen sollte, dann sind sie es, die den Zeitpunkt und den Ort des Angriffs bestimmen werden; den die andere Seite ist verpflichtet. nicht als erste anzugreifen. Aber auch sie wissen vermutlich nicht, ob der Rubikonn wirklich überschritten werden soll, das kann nur von Peking entschieden werden. Pekings Absichten aber sind in tiefstes Dunkel gehüllt. Inzwischen tobt der Nervenkrieg.

Sir Anthony Eden war nach seiner Rückkehr von der Bangkok-Konferenz und nach seinen Besprechungen in Rangoon und Delhi nicht in der Lage, dem Unterhaus irgend eine Aussicht auf eine internationale Konferenz über die Formosa-Situation zu eröffnen, deren Teilnehmerkreis dem kommunistischen China sowie den Vereinigten Staaten genehm wäre. Er erläuterte den Standpunkt der englischen Regierung über angemessene Feuereinstellungsbedingungen, die eine beiderseitige Erklärung über den Verzicht von Gewaltanwendung und die vorherige Evakuierung von Quemoy und Matsu durch die Nationalchinesen einschließen sollten. Doch mußte er zugeben, daß die Vereinigten Staaten zu diesen Bedingungen nicht verpflichtet wären. Und über die derzeitige, in eine Sackgasse geratene verwirrende Situation hinausschauend erklärte er hoffnungsvoll, daß die Frage des Sitzes Chinas in den Vereinten Nationen und des zukünftigen Status'von Formosa zum Gegenstand einer „internationalen Erwägung“ gemacht werden könnte, wenn erst einmal eine Feuereinstellung vereinbart worden wäre. Dulles, der fast gleichzeitig in Amerika über den Rundfunk sprach, hat einen anderen Ton angeschlagen. Er warnte Peking eindringlich vor den Folgen einer offensiven rot-chinesischen Aktion. Ein Kommentator schrieb hierzu, der englische Außenminister habe eine Mohrrübe dargeboten, während der amerikanische Außenminister einen großen Stock geschwungen hätte, und da dies die sprichwörtliche Art und Weise sei, mit widerspenstigen Tieren umzugehen, dürfte das Zusammenwirken von Mohrrübe und Stock gute Erfolgsaussichten haben. Urglücklicherweise ist es gar keine richtige Mohrrübe. Sir Anthony Eden besitzt gar nicht die Macht, sie zu geben. Weder Formosa noch auch Matsu oder Quemoy sind in englischem Besitz und können deshalb auch nicht an die chinesische Volksrepublik gegeben werden, noch stehen sie unter englischem Schutz, der aufgehoben werden könnte. Alles, was die englische Regierung tun kann, ist Hoffnungen und Wünsche äußern. Nur Washington kann darüber entscheiden, welche Konzessionen gegebenenfalls dem kommunistischen China gemacht werden sollen, und Washington befindet sich gegenwärtig nicht in der Geberlaune. Die Vereinigten Staaten sind zur Verteidigung Formosas und der Pescadoren verpflichtet, wenn diese angegriffen werden, und sie haben die Verteidigung von Matsu und Quemoy dem Ermessen des Präsidenten anheim-gestellt. Bis zu diesem Punkte ist der von Dulles vorgezeigte Stock in weit größerem Maße eine Realität als die Mohrrübe Edens. Aber selbst der Stock ist nicht so fürchterlich, wie er auf den ersten Blick aussieht. Er kann nur eingesetzt wer-den, wenn die Kommunisten bestimmte Aktionen unternehmen, und solange sie diese nicht unternehmen, kann er sie nicht zwingen, mit den Drohungen aufzuhören, sie würden die Aktionen unternehmen. Mit anderen Worten, er kann nicht dazu verwandt werden, sie zur Einwilligung in eine Feuereinstellung zu bewegen.

Wahl zwischen drei Alternativen

Die rotchinesische Führung hat die Wahl zwischen drei Alternativen. Sie kann einen Waffenstillstand schließen entweder auf der Basis eines militärischen Status quo oder als Gegenleistung für die Evakuierung von Matsu und Quemoy durch die Nationalchinesen, aber in jedem Falle unter Verzicht auf einen Angriff auf Formosa. Sie kann eine Feuereinstellung verweigern und auf unbegrenzte Zeit einen „Scheinkrieg“ führen, indem sie unausgesetzt mit einem Angriff droht, unwesentlich lokale Vorstöße durchführt, aber ihre Streitkräfte niemals eine umfassende Offensive unternehmen läßt. Oder sie kann zu einem von ihr bestimmten Zeitpunkt eine Offensive entweder gegen die von den Nationalchinesen gehaltenen Inseln, oder gegen Formosa unternehmen, wenn die vor der Küste liegenden Inseln aufgegeben worden sind. Vom amerikanischen Standpunkt aus wären die zweite und dritte Alternative praktisch nicht zu unterscheiden, weil die amerikanische Regierung und die amerikanischen Generalstäbe ohne ein heimliches Mikrophon bei den Konferenzen des Präsidiums der chinesischen kommunistischen Partei gar nicht wissen können, ob ein ernsthafter Angriff beabsichtigt ist oder nicht. Ein Scheinkrieg, in dem die eine Seite aus bestimmten Gründen nicht angreifen darf, hat für die andere, die die Initiative in der Hand hat, große Vorteile, da sic jeden Augenblick losschlagen kann oder auch nicht. Nichts kann für eine kämpfende Truppe demoralisierender sein wie eine dauernde Alarmbereitschaft für den Fall eines Angriffs, der immer wieder verzögert wird und der nicht durch einen „Störangriff“ vereitelt werden darf. Es ist kaum notwendig, an die Wirkungen des acht Monate dauernden Scheinkrieges 1939/40 auf die Moral der französischen Armee zu erinnern — obgleich in diesem Falle die Passivität des französischen Oberkommandos nicht eine Folge der politischen Entscheidungen gewesen ist, keinesfalls der erste Angreifer zu sein, sondern eine Folge der mangelhaften Bewaffnung und der Abneigung, die Verluste einer großen Offensive auf sich zu nehmen. Im Formosastreit — niemand weiß, ob man es schon einen Krieg nennen soll oder nicht — können die Amerikaner nicht zuerst angreifen, ohne nicht ganz offen den Vorwurf der Aggression auf sich zu laden und ihre eigenen Verbündeten zu verärgern. Sie müssen daher ganz passiv auf einen Angriff warten, der vielleicht niemals — oder plötzlich kommen kann.

Der Vorteil, den die Kommunisten aus dieser Sachlage ziehen, ist so groß, daß sie sich solange in einer „starken Position“ befinden, wie endgültige Feindseligkeiten unterbleiben — und auch dann würden die Kommunisten vermutlich den Vorteil der ersten Überraschung für sich haben. Da sie selbst der Gefahr eines Angriffs nicht ausgesetzt sind — welche gegenteiligen Behauptungen sie auch immer in ihrer Propaganda aufstellen mögen — haben sie von einer Feuereinstellung nichts zu gewinnen, ausgenommen wenn sie von ihren Widersachern als Gegenleistung wichtige Konzessionen erhalten. Vom amerikanischen Standpunkt aus jedoch wäre eine Feuer-einstellung aus zwei Gründen sehr wünschenswert, um nämlich die örtlichen amerikanischen Streitkräfte vom Druck des dauernden Bereit-seins zu befreien, einem Angriff begegnen zu können, und um eine Kriegsgefahr zu bannen, die die Vereinigten Staaten von ihren Alliierten zu trennen droht. Die Frage ist nur, welchen Preis Washington für einen Waffenstillstand zu zahlen bereit wäre — wobei stillschweigend vorausgesetzt wird, daß Tschiang Kai-schek wegen seiner Abhängigkeit von der amerikanischen Unterstützung zu jeglicher Regelung seine Zustimmung geben muß. Es wäre sicherlich nicht unvernünftig, in einem Rückzug von Matsu und Quemoy als Gegenleistung für ein ausdrückliches, kommunistisches Versprechen einzuwilligen, sich allen bewaffneten Operationen zur „Befreiung“ Formosas und der Pescadoren zu enthalten. Aber würde Peking damit zufrieden sein? Dies erscheint höchst unwahrscheinlich. Der Wert der Fukien-Inseln ist nicht so groß, daß er einem Verzicht der chinesischen Kommunisten auf ihr „Recht“, Formosa mit Gewalt zu nehmen, gleichkäme — eine Angelegenheit, von der sie behaupten, sie sei eine völlig interne Rechtsangelegenheit.

Die Linie, die Peking bei Verhandlungen über eine Feuereinstellung einschlagen würde, deutet der ursprüngliche sowjetische Vorschlag einer internationalen Konferenz und die vor nicht langer Zeit gemachten inoffiziellen Hinweise aus westlichen Kreisen, die den Kommunisten nahe-stehen, mit genügender Klarheit an. Was die Kommunisten wollen, sind Verhandlungen über Formosa selbst, über den Status des nationalchinesischen Regimes und eine Feuereinstellung, die von einer politischen Regelung abhängig gemacht wird — mit anderen Worten, während der Friedenskonferenz soll der Scheinkrieg weitergehen und die Drohung mit aktiven militärischen Operationen fortgesetzt werden. Das war der Weg, der in Indochina beschritten worden ist, wo der tatsächliche Kampf nur im Zusammenhang mit der in Genf zustande gebrachten allgemeinen politischen Regelung beendet worden ist, im Gegensatz zu dem in Korea eingeschlagenen Weg, wo schließlich der Waffenstillstand abgeschlossen wurde, während die politischen Fragen später folgenden diplomatischen Verhandlungen überlassen blieben. Der Unterschied zwischen Indochina und Korea bestand natürlich darin, daß die Franzosen in ersterem Lande eine ernste militärische Niederlage erlitten hatten und nicht in der Lage waren, eine Beendigung der Feindseligkeiten zu erwirken, ohne nicht den wichtigsten politischen Bedingungen des Feindes nachgeben zu müssen, während es in Korea zu einem Stellungskrieg gekommen war, wodurch die Alliierten in der Lage waren, sich den kommunistischen Versuchen zu widersetzen, politische Fragen in die Waffenstillstandsbesprechungen einzuflechten. Im Formosakonflikt sind die Kommunisten nicht die Sieger wie in Indochina. Sie haben nicht einmal gekämpft, sondern drohen nur mit dem Kampf. Deshalb ist der auf den Amerikanern lastende militärische Druck nicht stark genug, um sie zu zwingen, schon vor einem Waffenstillstand politische Fragen zu diskutieren. Sie können darauf bestehen, daß ein Waffenstillstand einer politischen Konferenz, an der sie teilnehmen, vorangehen muß. Wenn sie anders handeln, dann nicht wegen eines Dien Bien Phu, sondern weil Washington von internationalen diplomatischen Bewegungen beeinflußt wird, die auf eine Beruhigung Rotchinas zielen.

Offizielle englische Haltung

Die Sowjets haben eine internationale Konferenz unter Auschluß der nationalchinesischen Vertreter angeregt. Diese Anregung hatten keinen Erfolg, weil sich ihr nicht nur die Vereinigten Staaten sondern auch England widersetzt haben. Ganz klar wäre in diesem Falle die Zusammensetzung der Konferenzteilnehmer für das Ergebnis ausschlaggebend gewesen, denn die entscheidende Frage war die, ob die Nationalchinesen als eine souveräne Regierung behandelt werden oder nicht, und wenn sie nicht zu einer Länderkonferenz hinzugezogen würden, die einberufen worden war, um über ihre Zukunft zu verhandeln, so würden sie schon vor dem Zusammentreten der Konferenz ihre Sache verloren haben. Wenn andererseits Peking die „verräterische Tschiang Kai-schek-Clique" als ebenbürtigen Partner für politische Verhandlungen erst einmal anerkannt hätte, dann hätte es in der Frage der Anerkennung des Taipeh-Regimes als besonderen und unabhängigen Staat schon die Mitte des Weges überschritten. Es ist nicht einfach, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Wenn es sich nur einfach darum handelte, einen Waffenstillstand abzuschließen, dann könnte ein amerikanischer Befehlshaber im Namen der Nationalchinesen verhandeln und auf diese Weise die Weigerung der Kommunisten und NationalChinesen, einander zu begegnen, überbrücken, aber wenn die politische Frage des Status von Formosa zu besprechen ist und andere Nationen an den Verhandlungen teilnehmen, dann kön-nen die Amerikaner der Ausschließung der Nationalchinesen nicht zustimmen, ohne nicht ihren Vertrag mit Taipeh zu verletzen.

Es besteht kein Grund zur Annahme, daß selbst die chinesischen Kommunisten den Fukien Inseln große Bedeutung beimessen, abgesehen aus rein strategischen, sich auf Formosa beziehenden Gesichtspunkten. Für Peking ist der Haupt-, wenn nicht sogar der einzige Grund, der Besitz Formosas. Es ist die englische Regierung, die aus den Inseln ein besonderes Problem gemacht hat, indem sie sich auf den Standpunkt gestellt hat, sie sollten bedingungslos, selbst ohne Feuereinstellung evakuiert werden. Zwei Gründe gibt es für die offizielle englische Haltung in dieser Angelegenheit. Erstens fürchten die Engländer grundsätzlich den Ausbruch eines Krieges wo auch immer, der auf Europa überspringen könnte, und im besonderen fürchten sie einen Krieg, der den größten Teil der amerikanischen strategischen Macht im Pazifik binden könnte. Da ein bewaffneter Zusammenprall unter allen Umständen vermieden werden soll, wird behauptet, dies Ziel sei leichter zu erreichen, wenn sich die weite Fläche des Meeres zwischen den feindlichen Parteien dehnt, als wenn sie sich in Reichweite der Artillerie gegenüberständen. Zweitens erwächst England aus der Anerkennung des kommunistischen Regimes als der de jure Regierung Chinas eine Verpflichtung. Angesichts dieser Anerkennung und der Fiktion, daß sich England und das kommunistische China in Korea niemals im Kriege befunden haben, hat England nach internationalem Gesetz nicht das Recht, einer rebellischen Regierung auf chinesischem Boden oder einer auswärtigen Macht, die zu ihren Gunsten interve-niert, Unterstützung zu gewähren. Ihre einzige Begründung für eine Billigung der amerikanischen Formosapolitik kann nur die Unbestimmtheit des rechtlichen Status'von Formosa sein, nämlich daß es einst von Japan losgetrennt und China noch nicht formell zurückgegeben worden ist. Aber dieser rechtliche Umstand, auf den sich die englische Regierung jetzt bezieht, erstreckt sich nicht auf Matsu und Quemoy, die niemals von Japan losgetrennt worden sind. Daher der Wunsch, daß ein Zusammenprall, wenn er schon kommt, nicht wegen der Fukien Inseln sondern möglichst wegen Formosa erfolgen sollte, so daß Amerika wenigstens moralisch unterstützt werden könnte, ohne daß nach internationalem Recht dadurch die englischen Verpflichtungen verletzt würden. Für die Amerikaner ist dies kaum ein Problem. Da sie immer diplomatische Beziehungen mit den Nationalchinesen gepflogen und die de jure Anerkennung niemals auf die Volksrepublik ausgedehnt haben, sind sie berechtigt, ihren Verbündeten in jedem Teil seines nominellen Gebietes beizustehen, wenn auch der kürzlich abgeschlossene Bündnisvertrag mit der Nationalregierung ihre Schutzverpflichtungen auf Formosa und die Pescadoren beschränkt und Dulles öffentlich erklärt hat, daß Amerika zur Verteidigung von Matsu und Quemoy als solche, d. h. abgesehen von ihrer Beziehung zur Verteidigung Formosas, nicht verpflichtet ist. Soweit die Chinesen selbst betroffen sind, sind die Kommunisten und Nationalchinesen der übereinstimmenden Ansicht — es ist vielleicht die einzige Frage, in der sie der gleichen Ansicht sind — daß Formosa ein Teil Chinas ist und es gegenwärtig keinen Rechts-unterschied zwischen Formosa und den Fukien Inseln gibt.

Welches Risiko ist tragbar?

Die Einwände, die vom amerikanischen Standpunkt aus gegen eine bedingungslose Evakuierung von Matsu und Quemoy gemacht werden, sind zweifacher Art. Erstens, ein Rückzug ohne Feuereinstellung würde nicht zur Garantie verhelfen, daß Formosa selbst in der Folgezeit nicht angegriffen wird. Wenn auch Matsu und Quemoy zur Verteidigung Formosas nicht wichtig sind, so würde ihr Verlust durch Öffnung der Häfen Foochow und Amoy sicherlich die Gefahr einer Invasion erhöhen. Auf diese Häfen hätte sich in der Hauptsache eine Expedition zu stützen. Zweitens, die kampflose Aufgabe Matsus und Quemoys nach der vorangegangenen Evakuierung der Tachen Inseln (die vor der Öffentlichkeit damit gerechtfertigt wurde, daß Matsu und Quemoy dadurch gestärkt würden) könnte wohl die Moral der Nationalchinesen in einem Maße absinken lassen, daß kein Verlaß mehr auf sie wäre, wenn Formosa in nächster Zeit angegriffen würde. Die Amerikaner könnten nichtsdestoweniger wegen der Schwierigkeit, Matsu und Quemoy gegen einen ernsthaften Angriff zu verteidigen oder um mit England zu einer besseren politischen Koordinierung zu gelangen, auf Tschiang Kai-schek einen Druck ausüben, seine Streitkräfte von dem vorgeschobenen Posten nach Formosa zurückzuziehen. Wenn sie dies tun, werden sie ein gewisses Risiko für die Verteidigung Formosas selbst laufen, was diejenigen nicht übersehen können, die für die amerikanische Strategie verantwortlich sind.

Welche Chancen würde ein ernsthafter kommunistischer Versuch einer Eroberung Formosas haben? Die englischen Regierungsvertreter scheinen den Standpunkt zu vertreten, daß die Rotchinesen angesichts des amerikanischen See-und Luftschutzes der Insel gar nicht versuchen werden, die See zu überqueren. Aber da die von einer Unzugänglichkeit der Insel sprechenden militärischen Argumente zur Unterstützung einer Politik herangezogen werden, die von ganz anderen Beweggründen bestimmt wird, könnte es sehr wohl sein, daß in diesem Falle der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Es sind schon tragische Folgen aus der groben Unterschätzung der rotchinesischen Bereitschaft erwachsen, Risiken einzugehen. Man hat nicht geglaubt, daß sie die Kühnheit haben würden, in Korea zu intervenieren, und doch taten sie es. Sie könnten sich sehr wohl sagen, daß das Risiko eines Kampfes mit Amerika allein im Jahre 195 5 nicht größer ist als das Risiko eines Kampfes mit Amerika plus 15 anderen Mitgliedern der Vereinten Nationen 1950. Vielleicht irren sie sich, aber darauf kommt es nicht an.

Die Frage ist, welches Risiko ihnen tragbar erscheint für ein Ziel, das ihnen so außerordentlich wichtig ist. Eine Invasion über die Formosa Straße hinüber wäre ein Wagnis, kann jedoch nicht als ausgeschlossen angesehen werden. Die Kommunisten können zahllose kleine Schiffe von der ganzen südchinesischen Küste zum Transport ihrer Streitkräfte sammeln, und ein Oberkommando, das in Korea in voller Überlegung die Infanterie über Minenfelder hinweg angreifen ließ, würde nicht zögern, die Hälfte der Schiffe zu opfern, wenn es mit der anderen eine erfolgreiche Invasion zu Wege bringen würde. Die Kommunisten können sich auf geeignete Wetterbedingungen in der FormosaStraße, die die Einmischung der amerikanischen Luftflotte behindern, auf ihre neuen sowjetischen Düsenflugzeuge und LI-Boote, die die 7. Flotte binden, und auf Untergrundbewegungen in Formosa verlassen, die ihnen helfen würden, wenn sie erst einmal ihre Truppen dort gelandet haben. Der bequeme Glauben, daß sich in der Formosa-Straße bestimmt nichts ereignet mit Ausnahme einer zwischen Peking und Taipeh hin-und hergehenden Propagandaschlacht, könnte sich ja bewahrheiten, aber angesichts des rotchinesischen Verhaltens in der Vergangenheit scheint die Wette nicht eben sicher zu sein. Die Zeit der Taifune ist nicht mehr fern, und in diesem Jahr sind es vielleicht nicht nur die Stürme der entfesselten Natur, die in der Chinesischen See toben werden.

Anmerkung:

Professor Dr. Ludwig Dehio ist Ordinarius für neuere Geschichte an der Universität Marburg/Lahn und Herausgeber der „Historischen Zeitschrift“. Geb. 25. 8. 1888 in Königsberg/Pr.

G. F. Hudson ist Direktor des Seminars für Fernöstliche Fragen am St. Antony's Colleg, Oxford.

Fussnoten

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