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Afrika fordert Unabhängigkeit | APuZ 23/1959 | bpb.de

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APuZ 23/1959 Afrika fordert Unabhängigkeit

Afrika fordert Unabhängigkeit

ROBERT COUGHLAN

Dieser Bericht ist mit freundlicher Genehmigung des Verlages den beiden März-Nummern 1959 der amerikanischen Halbmonatsschrift „Life" entnommen.

Um diesen Bericht zu schreiben, legte Robert Coughlan mehr als 10 000 Meilen zurück und besuchte 18 afrikanische Länder und Gebiete. Unter Mitarbeit der ständigen Sonderkorrespondenten der „Life“ interviewte er Verwaltungsbeamte, Geschäftsleute, Missionare und vor allem die neuen Anführer der politischen Bewegungen Afrikas.

Mein Vater war ein Kannibale , .

Der afrikanische Elefant, allgemein bekannt wegen seines bösartigen Temperaments und seiner schnellen Angriffslust, läuft nur vor wenigen Dingen davon — eins davon ist ein Flugzeug. Aufgestört durch das Dröhnen der Maschine, und unfähig, die Ursache dieses schrecklichen Geräuschs zu erkennen, geraten Elefanten völlig aus der Fassung und rasen in panischer Flucht durch den Dschungel, ungeachtet der Verletzungen, die sie davontragen. Manche sollen sich in Abgründe gestürzt haben. Deshalb haben die Piloten der Handelsfluglinie in Afrika Anweisung, nicht so niedrig zu fliegen. damit sie keine Elefanten aufstören

Diese Tatsache kann man von zwei Seiten betrachten: einmal sagt sie etwas über Elefanten aus; unter diesem Aspekt ist ihr Nutzen zugegebenermaßen begrenzt. Doch zum anderen sagt sie uns auch etwas über Afrika-heute fliegen dort genügend Flugzeuge, um den Gleichmut der Elefanten zu bedrohen und das ist wichtig. Das ist Anzeichen und Symbol eines der wirklich bedeutendsten Geschehnisse unserer Zeit: den Eintritt des tropischen Afrika in die moderne Welt.

Ausbruch ist vielleicht ein besseres Wort, denn das, was dort geschieht, geschieht plötzlich, unkontrollierbar und manchmal äußerst gewaltsam. Afrika erscheint plötzlich in den Schlagzeilen der Zeitungen. Fast jede Woche bringt es etwas Neues und Erstaunliches: die Geburt einer neuen Nation, die Einweihung eines neuen großen Dammes oder eines Stahlwerks, einen blutigen Aufstand in Nyassaland oder in Belgisch Kongo, und andauernd verändern französische Besitzungen ihr Verhältnis zueinander wie Teilchen in einem Kaleidoskop. Dies ungeheuer große Gebiet befindet sich in einem Prozeß des direkten Übergangs vom Stein-zeitalter in das der Atomzeit, und das widerspricht sich ebenso wie die Gegenüberstellung von Elefanten und Flugzeugen. Z. B. Barthelemy Boganda, Premierminister der Zentralafrikanischen Republik (vormals Ubangi-Shari), ist ein Mann von intellektuellem Range, der sich völlig frei in Pariser Regierungskreisen bewegt. Er spricht ein perfektes Französisch. Auch hat er, früher Geistlicher, eine Vorliebe für Latein und schmückt seine Rede gern mit klassischen Zitaten. Es amüsiert ihn sehr, den Ausdruck von Europäern zu beobachten, wenn er bemerkt: „Ja, mein Vater war ein Kannibale Ibadan, die größte Negerstadt der Welt, ist die Hauptstadt von Nigerias westlicher Provinz, deren Bevölkerung stolz darauf ist, die fortschrittlichste in diesem Lande zu sein. Zwei Sehenswürdigkeiten sollte sich der Besucher Ibadans auf keinen Fall entgehen lassen. Die eine ist die neue Universität, eine prächtige Anlage modernster Gebäude. Die andere, nur eine kurze Fahrtstrecke entfernt, ist der „juju", oder der Zaubermarkt; eine Ansammlung von Verkaufsständen wo man — hübsch ausgestellt — alle Ingredienzien findet, die ein Medizinmann zu verschreiben pflegt: Leopardenklauen, Pavianschädel, Fledermausflügel, getrocknete Mäuse, kurz alles, was zur reichen Heilmittelkunst der juju-Medizin gehört an die vielen Nigerier noch heute glauben und von der sie auch Gebrauch machen.

Bestürztes Erwachen

Jeder, der das tropische Afrika bereist hat, kann solche Beispiele dutzendweise erzählen. Aufwachend aus dem Schlaf der Jahrhunderte, noch träge und leicht bestürzt, kommt dieser riesige Teil der Menschheit mit all seinen Anachronismen auf die Weltbühne getaumelt. Was wird diese Entwicklung für die Welt bedeuten? Wie weit wird sie die Beziehungen zwischen den weißen und farbigen Völkern anderer Länder in der ganzen Welt verändern? Wird der soge-nannte Afro-Asiatische Block in den Vereinten Nationen noch stärker? Werden die Rohprodukte und Absatzmärkte des tropischen Afrika dem westlichen Einfluß entzogen? Wird diese Entwicklung noch neue nationalistische Rivalitäten und Spannungen in eine Welt bringen, die bereits mit derartigen Sorgen überlastet ist?

Bei einem Versuch, Antworten auf diese Fragen zu geben, schließt unser Artikel Nordafrika und Südafrika aus; Nordafrika, das vom übrigen Kontinent durch die Sahara einerseits und durch einen Zivilisationsunterschied anderseits abgetrennt wird, und Südafrika, wo die weiße Oberherrschaft so offenbar ist, daß das Problem von einer ganz anderen Warte aus beurteilt werden muß. Das Afrika, von dem wir sprechen, ist tropisches Gebiet und fast ausschließlich negroid. Es ist das schwarze Afrika der Affen und des Elfenbeins und des „großen, graugrünen, trägen Limpopo" eines Stanley und Livingstone, der Krokodile und Löwen und der 125 Millionen Menschen, die noch in oder am Rande der Barbarei leben.

Welche allgemeinen Betrachtungen kann man über dieses riesige Gebiet anstellen? Nicht viele: topographisch gibt es jedes Extrem vom Mt. Kenya mit seinem ewigen Schneegipfel (obgleich er am Äquator liegt) bis zu den gewaltigen Fluß-Deltas und Küstensümpfen; klimatisch erstreckt es sich von der weiten Sudan-Wüste bis zu sumpfigen Regenwäldern. Dieses Land ist einfach alles: Dschungel und Busch, ungeheure Seen und große Flüsse, offene Savanne und schrecklich zerfressenes Ödland. Die Bevölkerung ist in Hunderte von Stämmen aufgeteilt, jeder mit seinen eigenen Göttern und Tabus, seinen Antagonismen, besonderen Gewohnheiten und Sprachen.

Zufälligkeit der Grenzziehung

Sein Hauptcharakteristikum ist seine Vielschichtigkeit, das kann man wohl als erstes über den afrikanischen Kontinent sagen. Zu dieser primären Tatsache, die eine klare politische Nebenbedeutung enthält, müssen wir eine ihr verwandte hinzuzählen. Als Afrika zwischen den Kolonialmächten aufgeteilt wurde, schenkte man den Stammesbelangen wenig Aufmerksamkeit. Für gewöhnlich zog man die Grenzen mit einer nur sehr vagen Kenntnis, wen oder was sie ein-oder ausschlossen. Folglich mußten alte Stammesrivalen manchmal unter ein und demselben Gebieter leben, während stolze und mächtige Stämme zersplittert wurden.

Es ist weiter von politischer Allgemeinbedeutung, daß fast alle Afrikaner Primitive waren, ehe die Europäer in ihr Leben traten. Nur ganz wenige der primitivsten Werkzeuge sind von ihnen selbst erfunden worden. Sie kannten kein Alphabet und keine Zahlen, und folglich keinerlei Schriftstücke. Niemals auch war ihnen der Gedanke an das Rad oder den Pflug gekommen. Es ist kaum überraschend, daß unter den vielen Ideen, die die Afrikaner nicht hatten, sich auch die der parlamentarischen Demokratie befindet. Nur ganz gelegentlich und in rudimentärer Form war sie existent. Autoritäre Methoden bestimmten die Herrschaft — oft mit der Spitze des Speers. Es gab einen Anführer — Vater, Dorfältester, Stammeshäuptling — und das Volk gehorchte ihm. Wichtige Belange des Stammes konnten in öffentlichen Versammlungen verhandelt werden, und für gewöhnlich traf der Häuptling keine wichtige Entscheidung, ohne den Rat der Stammesältesten eingeholt zu haben. Aber Demokratie im westlichen Sinne bedeutet für Afrika ein wesensfremder Import.

Afrika hat den Ideen der Zivilisation erst seit sehr kurzer Zeit Raum gegeben, hauptsächlich erst in diesem Jahrhundert. Der Prozeß begann mit der Entdeckung der Gold-und Diamantenfelder in Südafrika, mit Europas anwachsendem Bedarf an Palmöl und anderen tropischen Erzeugnissen, und bis zu einem gewissen Maße mit dem moralischen Beschluß, den Sklavenhandel an der Wurzel auszurotten. Um 18 80 spielte der „Drang nach Afrika" eine ernsthafte Rolle bei den europäischen Mächten. Mit der Ankunft europäischer (für den Afrikaner sind alle Weißen, einschließlich der Amerikaner „Europäer") Verwaltungs-und Geschäftsleute, Soldaten und Missionare, begann der Erziehungsprozeß. In den wenigen Generationen, die verstrichen sind, wurden in manchen Gebieten große Anstrengungen gemacht, doch ist trotz allem recht wenig erreicht worden. Mindestens 90 Prozent aller Afrikaner blieben Analphabeten; in keinem Gebiet bleibt die Zahl unter 60 Prozent. Auf der anderen Seite lebt heute in den meisten Ländern eine intellektuelle Oberschicht: Ärzte, Juristen, Lehrer, Politiker und andere, die ein schlagender Beweis für die angeborene Lernfähigkeit der Afrikaner und die lebendige Widerlegung jeglicher rassischen Minderwertigkeit sind. Doch sind das immer nur winzige Gruppen, sogar in den fortschrittlichsten Regionen.

Die Geschichte ist einfach zu schnell vorangeschritten. Sogar mit den allerbesten Absichten, die keineswegs alle Kolonialverwalter besaßen, hätten ein paar Generationen nicht ausgereicht, die afrikanischen Massen umzumodeln; Schwerfälligkeit von jahrtausendealtem Unwissen weicht nur langsam. Und so, wie Afrika nun in die Welt einbricht, stellt es eine für uns gänzlich neuartige Schichtung dar: 1. eine ganz kleine Elite; 2. eine größere, aber immer noch kleine Gruppe von Halbgebildeten, die in die neuen Städte strömt, und sich von ihrem Stamm und vom Ballast der Stammesbräuche löst, ohne die Werte der modernen Gesellschaft richtig begreifen zu können; und 3. eine ungeheure Masse Primitiver, die zwar die Anziehungskraft der Moderne empfindet, aber immer noch in Aberglauben und irrationaler Hysterie befangen ist. Kurz, die Afrikaner können nicht nur, sondern wollen geführt werden, und der Mann, der dynamisch genug ist, ihr Vertrauen zu gewinnen, wird sie führen.

Da ist noch ein weiterer allgemeiner Punkt, der verstanden werden muß: im großen und ganzen ist Afrika ein armes Land. Die allgemeine Vorstellung vom tropischen Überfluß ist keineswegs zutreffend. Guter Boden, gute landwirtschaftliche Bedingungen sind äußerst selten. Afrikas wahrer Reichtum liegt in seinen Bodenschätzen, und seine hydroelektrische Kraft ist beinahe unbegrenzt. Doch die Entwicklung des Bergbaus — gar nicht zu reden von Dammbauten und hydroelektrischen Anlagen — verschlingt Kapital, und die Afrikaner selbst haben fast keins. Das Kapital muß von draußen kommen, und im politischen Sinne gibt es da nur zwei Quellen. Es kann von der freien Welt kommen als private Anlage und als Entwicklungsdarlehen von westlichen Regierungen. Doch wenn der Westen aus irgend einem Grunde versagt, dann kann es auch von den kommunistischen Ländern kommen, eine Möglichkeit, mit der ein paar afrikanische Anführer spielen — ungeachtet aller möglichen Konsequenzen.

Wie alle Verallgemeinerungen haben auch die oben genannten ihre Ausnahmen. Behauptet man, daß Afrika arm ist, dann spricht man z. B. nicht vom Kaffee und Holz der geschäftigen Elfenbeinküste, oder von Uganda, einem Land von außergewöhnlicher Schönheit und Fruchtbarkeit. Und im vergangenen Jahr hat Afrika einen höchst imponierenden industriellen Aufschwung genommen. Wenn man sagt, daß es Afrika an bedeutender eigener Kultur mangelt, dann läßt man seine genialen phantasiereichen Skulpturen und Tanzmasken außer acht. Nur wenn wir Afrika in seiner immensen Mannigfaltigkeit sehen, dann fangen wir tatsächlich an zu begreifen, welche Wichtigkeit das gemeinsame Erbe bei einer Selbstverwaltung spielt.

Und dieses Land wollen wir nun betrachten. Seltsamen Anschauungen werden wir begegnen, Komplikationen, zähe wie Schlinggewächse im Dschungel, und phantastischen unaussprechbaren Namen. Doch diese Reise wird uns einen Einblick gewähren in die Geschehnisse der Zukunft, die erst jetzt im Begriff sind Gestalt und Gewicht anzunehmen. In diesem ersten Teil des Artikels wollen wir die Länder betrachten, die heute frei, oder am Rande der Freiheit sind, wo sogar die Frauen — die ja lange nur als Besitztum betrachtet wurden — sich mit der Frage der Unabhängigkeit befassen.

Afrikas Paradestück

Unsere Reise beginnt in Ghana, der früheren Goldküste, das im März 1957 eine freie Nation wurde, als erste der europäischen Kolonien. Sein Premierminister, Kwame Nkrumah (das afrikanische N wird EN gesprochen) war bei der Bevölkerung in den Zeiten vor der Befreiung als „Show Boy“ bekannt: Er war ihr Musterbeispiel dafür, daß afrikanische Fähigkeit durchaus mit der des weißen Mannes auf gleicher Ebene wetteifern kann. Im gleichen Sinne ist Ghana selbst heute Afrikas „Show Country“. Die Tatsache allein, daß Ghana die Unabhängigkeit erreichen konnte, schlug gewaltig in anderen Teilen Afrikas ein, deren Führer nun anfingen zu fragen, „Wenn die es können, warum sollten wir nickt?"

Die Bewohner von Ghana ihrerseits sind sich völlig im klaren, daß sie einen geschichtlichen Präzedenzfall geschaffen haben, und völlig unbelastet von falscher Bescheidenheit haben sie sich zusammengetan und die Führung der gesamten Selbstverwaltung in die Hand genommen. Vor ein paar Wochen zum Beispiel, trafen sich die Delegierten politischer Organisationen des gesamten schwarzen Afrika in der Hauptstadt Accra, um Beratungen zwecks gegenseitiger Hilfe und gemeinsamer Politik gegenüber der weißen Oberherrschaft abzuhalten. Der internationale politische Verkehr um Accra hat sich zu einer blühenden Lokalindustrie ent-

wickelt.

Die auffallendste Eigenschaft der Bewohner von Accra ist ihre große Vitalität. Die meisten Afrikaner sind unglaublich gutmütig, aber die Ghanaer scheinen von geradezu unbändiger Heiterkeit zu sein. Alles ist eine einzige Atmosphäre von Aktivität und Optimismus, noch besonders begünstigt von einem Aufschwung des Bauprogramms, das eine beträchtliche Anzahl neuer Wohnhäuser und Bürogebäude hat erstehen lassen.

Diese charmante Stimmung — man hat immer das Gefühl, daß ein neuer Streich ausgeheckt wird -herrscht auch bei Nkrumah und den meisten seiner Regierungsmitglieder vor. Nkrumah selbst, flink und witzig und stets bereit zum Lachen, hat wirklich den Kopf voller Streiche. AIs er bei der letzten Parlamentseröffnung seiner Stellung entsprechend ziemlich spät erschien, winkte er seinen Anhängern auf den Regierungssitzen auf ihre Zurufe hin zu — um dann herüberzugehen und in den Reihen der Opposition Platz zu nehmen. Brüllendes Gelächter auf beiden Seiten und laute Scherzrufe die nicht endeten, bis er seinen ordnungsgemäßen Platz eingenommen hatte.

Köstlich, gewiß —aber 14 Tage später fielNkru-mahs Polizei in die Häuser einer Anzahl derselben Oppositionsmitglieder ein, um sie nach Waffen und aufrührerischer Literatur zu durchsuchen. Ein paai Wochen danach brachte seine große parlamentarische Mehrheit eine Gesetzesvorlage (., Schutzhaft ) durch, die die Regierung ermächtigte, jeden, der verdächtigt wurde, die öffentliche Ordnung zu bedrohen, ohne Haftbefehl und ohne Gerichtsverhandlung ins Gefängnis zu werfen. Vor ganz kurzer Zeit wurden prominente Mitglieder der Opposition in Haft genommen, weil sie angeblich ein Attentat auf Nkrumah und andere Führer vorbereitet hatten; ein Fall, den man überhaupt nicht überprüfen kann, da man sie gänzlich von der Außenwelt abschließt.

Man glaubt vielerorts, daß Nkrumah auf solche Weise die Zukunft der Demokratie in Ghana gefährdet und dadurch auch ihr weiteres Anwachsen in anderen Gebieten Afrikas behindert. Dies ist umso beunruhigender, denn, wenn überhaupt irgendwo, dann hätten gerade in die westlichen Ideen von Freiheit und guter Regierungsform Wurzeln schlagen können. Ghana ist westlichen Einflüssen lange genug ausgesetzt gewesen. Sein im allgemeinen guter Boden und seine große Kakao-Produktion machen es zu einem der reichsten Gebiete in Afrika. In den Jahren vor der Unabhängigkeit haben sich die Engländer bemüht, demokratische Einrichtungen zu schaffen und die afrikanischen Führer entsprechend zu unterweisen. Schließlich sind diese Führer intelligente Menschen, die durch ihre eigene Erziehung genug von demokratischer Tradition mitbekommen haben. Nkrumah studierte an amerikanischen Universitäten und an der Londoner School of Economics und bekennt sich zum Glauben an die Demokratie im öffentlichen wie im privaten Leben.

Ein Kult entwickelt sich

Doch haben sich all die vorherigen Unterdrückungen in den beiden Jahren der Unabhängigkeit ereignet. Mittlerweile sind alle Kennzeichen eines Persönlichkeitskults in Erscheinung getreten. Accra hat eine Nkrumah-Straße, eine Nkrumah-Allee und einen Nkrumah-Platz. Ein Standbild des Premierministers in doppelter Lebensgröße mit der messianischen Botschaft auf dem Sockel: „Trachtet zunächst nach dem politischen Reich“ ist auf dem Rasen•platz vor dem Parlamentsgebäude errichtet worden, mit einem Kostenaufwand der Regierung von 196 OOO Dollar. Im September letzten Jahres wurde zum erstenmal sein Geburtstag im ganzen Lande als ein Nationalfeiertag begangen mit Paraden und Festveranstaltungen zu seinen Ehren.

Man muß sich ernsthaft fragen: ist Ghana auf dem Wege, eine Diktatur zu werden? Bedeutet Freiheit eine Freiheit für Partei-Oligarchen.

die das Land ausschließlich nach ihren eigenen Plänen regieren wollen? Für eine große Anzahl von Nkrumahs Gegnern steht das leider sehr fest.

Und doch können all diese Dinge ganz anders und sehr viel optimistischer ausgelegt werden, wenn man sich einige der vorher angestellten Allgemein-Betrachtungen vor Augen führt. Genau wie die anderen afrikanischen Gebiete ist Ghana geographisch gesehen ein willkürliches Land, ohne natürlichen Zusammenhalt. Es setzt sich aus drei Teilen zusammen: einem Küstenstrich, der vorwiegend von Fantiund Ewe-Stäm-men bewohnt ist, die schon immer den europäischen Handelsleuten friedlich gesonnen waren und zum Teil westliche Sitten angenommen haben; einem großen und fruchtbaren Mittelgebiet bewohnt von den Ashanti, die, wohlhabend und kriegerisch, sich aber bis auf gelegentliche Raubzüge, von den anderen Stämmen fernhielten; und einem öden, halbwüsten nördlichen Gebiet, von nur ein paar armen Stämmen bewohnt. Hauptbestandteil in diesem gesamten Völker-gemisch bilden die Ashanti, einer der wenigen Stämme in ganz Afrika, die etwas Ähnliches wie eine Nation geformt haben. Ihr Reich geht zurück bis 1697 wie zuverlässige Quellen berichten, und die Briten mußten sieben Feldzüge führen, um sie endlich 1901 zu besiegen. Dann begann das Ashanti-Volk wieder von sich als einer besonderen und den benachbarten Stämmen überlegenen Nation zu denken Und als schließlich die Briten soweit waren, der Goldküste die Freiheit zu geben, wurden — nicht weiter überraschend — Stimmen in diesem stolzen Volk laut mit dem Wunsch, ihre eigene Nation zu bilden, oder wenigstens ein autonomer Staat in einer Föderation zu sein.

Nkrumahs Beweggründe

Weder die Briten noch Nkrumahs Nationalisten wollten dies zulassen, denn ein solches Ghana wäre geographisch oder wirtschaftlich ohne Ashantiland total sinnlos. Folglich mußte man im März 1957, als der Staat Ghana geboren wurde, mit der Möglichkeit eines Bürgerkrieges rechnen. Aber nur wenige Regierungsführer betraten auf eigene Gefahr Ashantiland.

Heute jedoch ist Ashantiland gefügig und sein Stammesfürst hat seiner Bewunderung für Nkrumah Ausdruck gegeben. Die Macht der Häuptlinge ist gebrochen und Nkrumahs Partei hält Ghana mit überwiegender Mehrheit zusamGhana men. Das Land ist auf dem Wege, eine echte Nation zu werden. Haben diese Ergebnisse Nkrumahs Methoden gerechtfertigt? Haben sie nicht derartige Methoden geradezu gefordert, und — wie man vielerorts in Afrika vernimmt — stellen sie nicht ein praktisches Beispiel dar, dem neue Regierungen folgen können?

Betrachtet man die Zustände in Afrika im allgemeinen und in Ghana im besonderen, dann kann man schwer etwas gegen Nkrumahs Vorschlag vorbringen: „Denn eine eben freigewordene Nation . . . und sogar ein System, das auf sozialer Gerechtigkeit und einer demokra- tischen Verfassung basiert, muß in der ersten Zeit nadt der Unabhängigkeit durdt totalitäre Maßnahmen gesdmtzt werden.“ Auch an der Wichtigkeit des Persönlichkeitskults um Nkrumah ist nicht zu zweifeln. Wie schon vorher betont, hat der durchschnittliche Wähler in Afrika nur ganz vage Vorstellungen von allem, was außerhalb seines Dorfes oder Distrikts geschieht. Seine größten Hoffnungen sieht er verkörpert in der Gestalt eines einzigen Mannes, der dann mehr als ein Mensch wird: ein Halbgott, den man anbetet, besingt, dem man zujubelt und dem man gehorcht. Ohne ein solches National-symbol wäre das ganze nationale Gebäude ernsthaft in Gefahr, zusammenzubrechen.

Ghanas Zukunft wird durch die Geschehnisse der nächsten Jahre bestimmt. Inzwischen ist es wohl richtig, daß man die Fehler — und es hat bestimmt viele gegeben — hauptsächlich dem erregten revolutionären Übereifer zuschreibt;

Einem Übereifer, der zeigen will, daß auch ein schwarzes Land mit Stammessystemen interne Stabilität besitzen kann, daß eine ausschließlich schwarze Regierung auch wirklich regieren, und daß der Premierminister Nkrumah als unangefochtener Führer eines vereinten Volkes auftreten kann.

Aus dem gleichen Gefühl heraus, die Blicke der Welt auf sich zu lenken, haben Ghanaische Anführer den Symbolen nationalen Prestiges vor den Belangen von wirklichem Nationalwohl übermäßige Bedeutung zugemessen. Nachdem sie sich bereits eine Handelsmarine gesichert haben (gemeinsam mit Israel), fordern sie nun eine Kriegsmarine und eine militärische Luftwaffe. Sie bauen eine internationale Rundfunkstation, stark genug, um ganz Afrika zu umspannen. „Eine Art nationaler Trunkenheit ist hier ausgebrodten", sagt ein erfahrener Beobachter. „Dieses kleine Land ist ganz fest davon überzeugt, daß es einen großen Platz in der Gesdtichte einnehmen wird. Um seiner selbst willen ist es sdtade, daß Ghana der erste freie Nationalstaat sein mußte. Idt glaube, daß die Lage hier sich bessern wird, wenn nodt andere dieser Länder ihre Unabhängigkeit bekommen, und damit (Ghana) das Rampenlicht der Öffentlichkeit wegnehmen.“

Das Scheinwerferlicht wurde tatsächlich für eine Zeitlang weggenommen: nämlich im September letzten Jahres, als ein anderes neues Land, Guinea, auf Grund des konstitutionellen Volksentscheids in Frankreichs Kolonialgebieten, die Bühne betrat. Eines der ersten Abenteuer Guineas war der plötzliche Entschluß seines Führers Sekou Toure und Nkrumahs, ihre beiden Länder zu „vereinen“. Über Ursache und Bedeutung wird später noch gesprochen werden. Hier soll nur gesagt werden, daß es eine rein politische Geste war, und daß gar keine wirkliche Absicht bestand, die beiden Länder unter einer Regierung zu verschmelzen.

Aber heute in einem Jahr, 1960, werden mindestens vier neue Länder geboren, Kamerun am 1. Januar, Togo am 29. April, Nigeria am 1. Oktober, Somaliland am 2. September. Von diesen ist Nigeria bei weitem am wichtigsten; tatsächlich muß seine Unabhängigkeit zu einem der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte Afrikas gerechnet werden.

Dieses Land, das an den Südatlantik grenzt und sich zurückerstreckt durch dichte Dschungel und Haine bis zu dürren Hochländern weit im Inneren, entstand 1914 aus ein paar einzelnen britischen Besitzungen.

Es ist sehr groß, viel größer als die britischen Inseln oder irgend ein anderes westeuropäisches Land, mit einer Bevölkerung von 34 Millionen Menschen, mehr als einem Viertel der gesamten Bevölkerung Schwarz-Afrikas. Seine landwirtschaftlichen Bedingungen sind gut, und es lebt dort eine verhältnismäßig große Anzahl von Afrikanern, die im Geschäfts-und Handels-wesen, sowie in Finanz-und Regierungsbelangen ausgebildet sind. Diese Menschen haben einen ausgeprägten Sinn für ihre offenkundige Bestimmung. Sie empfinden sehr deutlich, daß Nigeria durch seine Größe und Überlegenheit nicht nur zur führenden Nation des tropischen Afrika, sondern zu einem wichtigen Faktor in der Welt überhaupt werden könnte.

Nur eins könnte da im Wege stehen: Nigeria fördert so etwas wie die größte Sammlung politischer Feindschaften, die man überhaupt in der Welt finden kann. Jeder dieser drei Haupt-stämme, die Hausas, Ibos und Yorubas — Bewohner der nördlichen, östlichen und westlichen Gebiete, die die Föderation Nigeria bilden — bringt dem anderen Verachtung und Mißtrauen entgegen und ist durchaus nicht gewillt, etwas von seiner Macht zugunsten einer Zentralregierung einzubüßen. Außerdem haben ein paar hundert von mittleren und kleineren Stämmen das Gefühl, daß ihre Interessen unterdrückt werden und fordern die Schaffung neuer Selbstverwaltungsgebiete. Die Religionen komplizieren die Dinge noch mehr. Der südliche Rand des Landes ist hauptsächlich christlich und die Mitte vorwiegend heidnisch. Der größte Teil des Nordens ist islamisch und empört über solch radikale Ideen, wie z. B. die Verleihung des Wahlrechts an Frauen.

Wäre nicht dieses verwickelte Netzwerk, dann wäre Nigerias Unabhängigkeit bereits eine vollendete Tatsache. Von den Briten wurden keinerlei prinzipielle Auflagen gemacht Hier, wie überall in Afrika haben sie sich seit einigen Jahren (offiziell seit 1947) zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung vorzubereiten, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, mit dem Plan einer Unabhängigkeit innerhalb des britischen Commonwealth. Aber die Engländer wollten nicht gehen, bevor sie nicht verhältnismäßig sicher waren, daß das Land auch später zusammenhielt. Endlich, im Oktober letzten Jahres, erbrachten die Stammesgebiete genügend Zusicherungen für den Wunsch eines Zusammenlebens und -arbeitens, um das Kolonialamt zufriedenzustellen. Das Datum wurde festgesetzt: 1. Oktober 1960.

Rivalitäten in Nigeria

Der Unabhängigkeitstag wird der Weltpolitik einige bemerkenswerte Charaktere vorstellen. Der hervorragendste — so oder so — wird wahrscheinlich Dr. Nnamdi Azikiwe, M. Sc., M. A., Litt. D., L. L. D., Führer der Nationalversammlung von Nigeria und Kamerun, Premierminister des östlichen Gebiets und allgemein bekannt unter dem Namen „Zik". Zik erhielt seine Ausbildung in Amerika: er kam als Journalist nach Nigeria zurück, stürzte sich in die Politik und trat als Organisator und Führer der ersten großen repräsentativen nationalistischen Bewegung in Nigeria hervor. Daß Zik mit 54 Jahren der älteste Staatsmann ist, ist ein weiterer Faktor des afrikanischen Nationalismus. Er ist ein brillanterpolitischerTaktiker, Demagogebis in die Fingerspitzen, und ein übereifriger Herausgeber von fünf Zeitungen, die seiner Sache stürmisch ergeben sind.

Ziks großer Rivale ist Chief Obafemi Awolowo, ein Rechtsanwalt, der in England studierte; ein ernster und intellektueller Mann, der sich von Zeit zu Zeit zu Kontemplationen in die Einsamkeit zurückzieht, daneben aber ein äußerst tüchtiger Politiker. Er ist Mitglied des Yoruba-Stammes, während Zik ein Ibo ist, und er stieß bei den Yorubas auf keinen Widerstand, als er vorschlug, sich von Ziks Partei zu lösen, und ihre eigene aufzuziehen. Diese Aktionsgruppe, wie man sie nennt, erhob Awolowo folglich zum Premierminister der westlichen Region. Er bringt sehr deutlich zum Ausdruck, daß er ein Freund der westlichen Weltpolitik ist, und er glaubt fest an Demokratie und Bürger-rechte. Mit Heranrücken der nationalen Unabhängigkeit hat Awolowo unermüdlich versucht, seine Partei von Stammesbräuchen zu befreien und eine Organisation in Yoruba-freien Gebieten zu gründen, sogar im Ibo-Osten. Zik ist genau so energisch beim nationalen Aufbau seiner Partei vorgegangen, und hat bis jetzt mehr Erfolg gehabt. Jeder hofft Premierminister des neuen Commonwealth Nigeria zu werden.

Aber keiner von beiden kann ohne Unterstützung der nördlichen Region, die ungefähr die Hälfte der Gesamtbevölkerung enthält, auskommen. Und noch wahrscheinlicher beansprucht der Norden die Stelle des Premier für einen seiner eigenen Führer, und höchstwahrscheinlich für den Mann, den es bereits zum Premierminister in Nigerias augenblicklicher Bundesverwaltung gemacht hat. Er heißt Abubakar Tafawa Balewa, und eine eindrucksvollere Persönlichkeit ist kaum vorstellbar. Kohlschwarz, ein guter Kopf mit gewaltigen Lippen und sinnenden Augen, sitzt er an seinem Schreibtisch, ganz in islamisches Schneeweiß gekleidet vom Turban bis zum fließenden Gewand. Aus dieser Erscheinung dringt eine wunderbar, und bezwingende Stimme im reinsten Englisch „Nigerias größtes Problem sind wir selbst , sagt die Stimme, „mit unseren Stammes-, Lan- des-und persönlichen Rivalen. In gewissem Sinne ist es bedauerlich, daß uns niemals ein gemeinsamer Feind bedroht hat, vor dem wir uns hätten schützend zusammenscltließen müssen. Jetzt, wo wir dabei sind, Regierung, Wirtschaft und Technik aufzubauen, müssen wir auch noch die Nation formen. Das dauert seine Zeit. Aber es kann geschafft werden. Mit allem Nachdruck habe ich den Gedanken zurückgewiesen, daß wir die Unabhängigkeit bis zu dem Tage aufschieben müssen, an dem wir dafür bereit wären. Nur durch Taten werden wir lernen. Und haben wir erst unsere Unabhängigkeit, dann werden Stolz und Verantwortlichkeit des Volkes die innere Konflikte langsam verschwinden lassen.“ Wenn noch etwas anderes neben dem Wunsch nach Unabhängigkeit die Nigerischen Führer vereint, dann ist es die Verstimmung, daß Ghana sie zuerst erreicht hat; und sie halten nichts von der Meinung, daß Ghana deswegen berechtigt sein soll, andere Länder zu unterweisen. Auf die Frage, ob er der Ansicht sei, daß Nigeria aus Ghanas Erfahrungen lernen könne, lehnte sich Balewa in seinem Stuhl vor und seine Stimme dröhnte voller Verachtung: „Ich kann nicht verstehen, wie die Menschen auf solch einen Gedanken kommen können. Ghana hat nur Millionen vier Menschen. Wir haben 34 Millionen. Wenn Nkrumah glaubt, daß er sich als Führer der afrikanischen Unabhängigkeit hinstellen kann, dann irrt er sich gewaltig! ’'

Und genau das hat Nkrumah im Sinn; und um eine möglichst große Anhängerschaft auf dem gesamten Kontinent zu gewinnen, hat er in vielen Ländern Staatsbesuche gemacht, und plant auch schon seit langem eine offizielle Reise nach Nigeria. Zik, als alter Freund und Bundesgenosse wird zweifellos Nkrumahs Besuch begrüßen. Aber Awolowo mißtraut Nkrumah und ist ein absoluter Gegner der grausamen Methoden, die jener in Ghana angewandt hat. Lind deutlich offenbarte die führende nördliche Partei in Nigeria ihre Meinung über Nkrumah und Ghana indem sie sich sogar weigerte, einen Delegierten zu der Gesamt-Afrika-Konferenz im Dezember letzten Jahres nach Accra zu schicken.

Baiewas Abneigung gegen Nkrumahs Herrschaft über ganz Afrika wird zweifellos von Sekou Toure, Präsident der neuen Republik Guinea, geteilt, trotz der geplanten „Union“ mit Ghana. Jung, begabt, gut aussehend und außerordentlich selbstbewußt, betrachtet sich Toure als ein afrikanischer Simon Bolivar. Lange bevor Guinea unabhängig wurde, führte er Besuchern gegenüber aus: „Mein Ziel ist ganz Afrika.“ Am ersten Tag von Guineas nationaler Einheit erklärte er: „Unsere Möglichkeiten reichen weit über dieses Gebiet hinaus. Dies ist ein Musterbeispiel für die Entwicklung der Völker Schwarz-Afrikas . . . die anderen Gebiete haben keine andere Wahl als dem Beispiel Guineas zu folgen. ..."

Tatsache ist, daß die „anderen Gebiete“, zumindest sich für die gegenwärtige Zeit, gemeinsam gegen Toures LInabhängigkeitsideen ausgesprochen haben. Doch wird am Ende Toure vielleicht das Spiel gewinnen — und es ist schon ein sehr großes Spiel. Was fern von „GanzAfrika“ auf dem Spiel steht, ist die politische Zukunft des französischen tropischen Afrika, das sozusagen annähernd ein Drittel unseres in Frage kommenden Gebietes umfaßt. Hierzu sind einige Erklärungen notwendig.

Frankreichs „großer Happen"

Als die Kolonien Afrikas aufgeteilt wurden, erhielt Frankreich den weitaus größten Anteil, ein Gebiet in West-und Zentral-Afrika, größer als die Vereinigten Staaten. Verwaltungsmäßig war es in zwei Hauptgebiete aufgeteilt: Französisch-Äquatorial-Afrika, das aus vier Provinzen nördlich des Kongo bestand, und Französisch West-Afrika, das acht Provinzen rund um den westafrikanischen „Buckel“ umfaßte Von diesen beiden Teilen ist FranzösischÄquatorial-Afrika zwar landschaftlich schöner, aber Klima und Bodenverhältnisse sind nicht gut, und auch sonst hat das Land keine Reichtümer aufzuweisen. Das ganze Gebiet, größer als die Vereinigten Staaten östlich des Mississippi, hat eine Bevölkerung von nur 5 Millionen, und die meisten sind noch völlig primitiv.

Französisch-West-Afrika ist nicht nur viel größer, sondern auch viel weiter fortgeschritten mit einer Bevölkerung von 20 Millionen Menschen auf einem Raum dreifünftel so groß wie die Vereinigten Staaten. Wenn auch ein großer Teil aus Busch und Wüste besteht, so bietet dieses ausgedehnte Gebiet auf der anderen Seite die besten wirtschaftlichen Möglichkeiten in Afrika. Zum Beispiel Sekou Toures Guinea mit riesigen Bauxit-Vorkommen; weiter die Elfenbeinküste, wo die tropische Agrarwissenschaft bereits eine Wirtschaftshochkonjunktur erzielte. Der führende Politiker dort ist Felix Houp-houet-Boigny, klein, mittleren Alters, scharfsinnig und gutmütig. Houphouet-Boigny sollte man nicht vergessen, denn er ist Toures politischer Erzfeind, ein Kabinettsmitglied General de Gaulle’s und einer von de Gaulle’s Haupt-berater in Sachen französischer Politik in Schwarz-Afrika.

Diese Politik erstrebte in erster Linie immer die Angleichung; französische Erziehung und Kultur sollten die Afrikaner schließlich zu schwarzen Franzosen machen. Selbstverständlich wußte man, daß das lange dauern würde. Aber wegen der sich erhebenden Flut des Nationalismus und Frankreichs Entschluß, mitzumachen in Schwarz-Afrika — anstatt zu versuchen sie einzudämmen wie in Algerien — haben Geschehnisse, die zu ihrer Entwicklung sonst Generationen brauchen, sich innerhalb von zwölf Jahren abgespielt. Der erste große Schritt wurde nach dem Krieg getan, als Frankreich seine Afrikaner von französischen Unterworfenen zu französischen Bürgern machte. Alle Wahlberechtigten wählten ihre Vertreter nicht nur für die beratende Körperschaft der Territorien, sondern auch für das Parlament in Paris. So kam es zu der überraschenden Zahl Afrikaner — zum Schluß waren es etwa 60 — die bei allen französischen Parlamentsangelegenheiten ihre Stimme abgaben. Die Einführung eines allgemeinen Wahlrechts für Männer und Frauen im Jahre 1957 war wieder ein gewaltiger Schritt voran. Lind so gab man denn dem Waldpygmäen ganz genau die gleichen Rechte bei der Wahl wie dem qualifizierten französischen Ingenieur, ein Beispiel in der Geschichte der Demokratie, das wohl auch den glühendsten Verteidiger der Menschenrechte mit Genugtuung erfüllt hätte. Dazu erhielten die Landesvertretungen weitestgehende Voll-" macht über ihre internen Angelegenheiten. Frankreich erhoffte mit diesem kühnen Programm sich die Ergebenheit und Freundschaft der Afrikaner zu sichern. Inzwischen startete Frankreich auch ein gewaltiges Aufbauprogramm mit der enormen Summe von 500 Millionen Dollar pro Jahr.

Der Gipfel dieser Politik des realistischen Liberalismus wurde im September letzten Jahres erreicht, als man den Ländern die völlige Freiheit anbot. Sie brauchten einfach nur gegen die neue französische Verfassung General de Gaulle’s zu stimmen, dann hätten sie ihre Freiheit. Allen Ländern, die die Verfassung annahmen, würde man gestatten, ihr individuelles Verhältnis zu Frankreich selbst zu wählen. Sie konnten ihren halbautonomen Status beibehalten. Sie konnten sich völlig mit Frankreich vereinen und „Übersee-Provinzen" werden. Oder sie konnten autonome Republiken werden in einer neuen föderativen „Community“ mit Frankreich. Als besondere Zusicherung gestattete die Verfassung jedem Mitglied der „Community“, jederzeit seine Unabhängigkeit zu erlangen. Wieviel weiter kann „Kolonialismus"

noch gehen?

Frankreich wurde mit einem begeisterten „Ja“ zur Verfassung von allen Ländern belohnt — mit einer Ausnahme. Lind das war Guinea, wo Toure eine Gegenkampagne geführt hatte und das Wahlergebnis ein ebenso begeistertes, 95prozentiges „Nein“ erbrachte. Weder das Ergebnis noch der Prozentsatz sind überraschend im Hinblick auf das, was über afrikanische Demokratie gesagt wurde. Hier wurde deutlich gezeigt, daß a) ein beliebter Führer in Afrika die Massen dazu bringen kann, völlig so zu wählen wie e r will, und daß b) Sekou Toure ein außergewöhnlich beliebter Führer ist. Es bleibt nur noch zu klären, warum Toure dieses Ergebnis gewollt hat.

Rache für eine Niederlage

Einer von Toures Vorfahren war Chief Sa-mory, ein berühmter Krieger, dessen Niederlage durch die Franzosen Toure anscheinend noch rächen will. Aber er geht weiter. Er möchte die acht vormaligen Länder Französisch-West-Afrikas zu einer großen Nation verbünden — für deren Präsidentschaft er selbstverständlich kandidieren will. Überdies ist er das Oberhaupt der 700 000 Mitglieder zählenden Gewerkschaften von Schwarz-Afrika, und er träumt von dem Gedanken, daß in einer solchen Föderation die Gewerkschaften eine führende Rolle bei der Regierungsbildung spielen sollten. Klar ist jedoch eins — ungeachtet der Auswirkungen seines großen Plans —, für Toure wird das Ergebnis sicherlich die politische Herrschaft über das gesamte französische tropische Afrika sein.

Gegner Nummer 1 von Toures Ideen ist schon immer sein Nachbar unten an der Küste gewesen, Houphouet-Boigny. Seine Elfenbeinküste ist das reichste Land in ganz Französisch-Schwarz-Afrika. Warum sollte er seine Wohlhabenheit mit ärmeren Ländern durch ein Bündnis teilen? Houphouet, der ein erfolgreicher Arzt war, wandte sich der Politik zu und gründete die RDA-Partei, die zur einflußreichsten Partei in den meisten Ländern des französischen tropischen Afrika wurde. Dann stieß der junge aggressive Toure hinzu und gewann eine derart große Anhängerschaft, daß er eine wachsende Gefahr für Houphouets Führerschaft wurde.

Darüber hinaus vertritt Houphouet jedoch die Ansicht, daß Afrikas Interessen am ehesten in einer möglichst engen Verbindung mit Frankreich gewahrt würden, und das am besten in einem direkten individuellen Bündnis wie es von der „Community“ ermöglicht wird.

Somit war also die Bühne frei für das Duell: der junge Linkspolitiker, ehrgeizig und draufgängerisch, gegen den älteren und mehr konservativen klugen Parteigründer. Zuerst schien der Ältere zu gewinnen. Toure nahm offensichtlich Houphouets Ernennung in de Gaulle’s Kabinett als Zeichen, daß Frankreich nicht freiwillig einer Föderation zustimmen würde. Als er seinen ersten Schritt zur Unabhängigkeit tat, brachte er sein Land fast einer Katastrophe nahe. Frankreich verweigerte jede technische und wirtschaftliche Hilfe und lehnte es darüberhinaus ab, Guinea diplomatisch formell anzuerkennen, und ließ somit das Land ziemlich in der Luft hängen.

Sehr beunruhigt erklärte Toure, es sei sein Wunsch, daß Guinea mit Frankreich verbunden bliebe. Paris blieb weiterhin kühl.

In dieser äußerst schwierigen Lage besuchte Toure Nkrumah und das Gerücht von einer „Union" von Ghana und Guinea kam auf. In Wirklichkeit gab es überhaupt keine gerechtfertigte Hoffnung auf eine wirkliche Union, weder jetzt noch später. Diese Länder liegen zu weit auseinander, machen sich wirtschaftlich gegenseitig Konkurrenz und haben ganz unterschiedliche Kulturen. Politisch indessen wandte sich das Blatt durch diesen Schritt zu Toures Gunsten. Die 28 Millionen Dollar, die er als Anleihe von Ghana bekam, reichten aus, ihn vor dem Bankrott zu retten. Und die sogenannte „Union“ alarmierte Frankreich derartig, daß die Regierung de Gaulle vor einigen Wochen ihre Zustimmung zu Guineas Verbleiben in der Franc-Zone gab und dem Land technische und „kulturelle“ Unterstützung zusagte. Frankreich hat die neue Nation auch formell anerkannt.

Inzwischen ist der Widerstand gegen Toures Idee von der Föderation tatsächlich geschwunden. Vor kurzem gründeten bei einem Treffen in Dakar die Führer von 4 der vormaligen französischen Gebiete in Westafrika -jetzt die autonomen Republiken Senegal, Oberer Volta, Sudan und Dahomey — eine vorwiegend westafrikanische Föderation „innerhalb der neuen französischen Community“. Houphouet ist noch in de Gaulle’s Kabinett, aber sein Prestige ist bei den Afrikanern stark gesunken.

Wo bleibt bei diesem Schachspiel die französische Community? Die Wahlen, die unter der neuen Verfassung stattfinden sollten sind nun vorüber, und alle früheren Territorien haben beschlossen, „autonome Republiken“ innerhalb der Community zu werden. Die neue politische Ordnung wird bald in Kraft treten -und was dann?

Ganz bestimmt wird viel von der Bewährung der Community abhängen. Aber bereits jetzt haben einige der jüngeren afrikanischen Führer an der neuen Verfassung etwas auszusetzen. Betrachtet man die ungeheure Woge des Nationalismus in Afrika, dann kann man wohl erwarten, daß Toure, der erst 36 Jahre alt ist, noch erleben wird, daß der größte Teil von Französisch Schwarz-Afrika seinen Plänen zustimmt.

Togo, Kamerun und Somaliland

Wie schon einmal früher erwähnt sind noch drei andere Länder außer Nigeria im Endstadium der Vorbereitung für die Unabhängigkeit. Keines kann sich mit der Bedeutung Nigerias vergleichen, aber in den nächsten Jahren wird die Presse höchstwahrscheinlich von jedem eine Menge zu berichten haben. Hier eine kurze Erläuterung zu den drei Ländern: Togo, Kamerun und Somaliland.

Sie haben vieles gemeinsam. Alle sind U. N -Treuhandländer; die beiden ersten wurden Deutschland nach dem ersten Weltkrieg abgenommen, das andere, Somaliland, Italien nach dem zweiten Weltkrieg. Unter dem System der Treuhänderschaft sollte die sie verwaltende Macht — Frankreich für Togo und Kamerun, Italien für Somaliland -sie für die eventuelle Unabhängigkeit vorbereiten, und die Zeit dafür ist nun da. Ob sie wirklich reif für die Unabhängigkeit sind, mag dahingestellt sein. Sie alle haben noch eine Menge Analphabeten und einen sehr niedrigen Lebensstandard: alle sind durch Staatszuschüsse unterstützt worden.

Ganz bestimmt aber haben alle drei einen großen gemeinsamen Kummer: Die Zersplitterung der Stämme. Nur ungefähr 60 Prozent der 2, 2 5 Millionen des Somalivolkes lebt in Somali-

land. Die anderen sind unter vier fremde Verwaltungen aufgeteilt, in Französisch-Somaliland, Britisch-Somaliland, Kenya und Äthiopien. Das hat natürlich eine heftige politische Gegenbewegung ins Leben gerufen. Es ist die Somali-Jugend-Liga, und man kann damit rechnen, daß sie die Regierung von 1960 für die Vereinigung der Somali einspannen wird. Es bestehen gute Aussichten für eine Einigung mit Franzosen, Briten und Keniern, aber nur geringe für eine Einigung mit den“ Äthiopiern.

Es ist gut möglich — man kann fast sagen wahrscheinlich —, daß es zu einem äthiopisch-somalischen Grenzkrieg kommen wird, der die Intervention der U. N. -Streitkräfte erfordert.

In Togo, an Ghana angrenzend, ist der wunde Punkt die Teilung des großen patriotischen und intelligenten Ewe-Stammes, der beinahe zur Hälfte zwischen Togo und Ghana aufgespalten ist. Mit der Wahl im letzten Frühjahr von Premierminister Sylvanus E. Olympio, Abkömmling des Ewe-Stammes, schien es eine kurze Zeitlang möglich, daß Togo sich entweder mit Ghana verbinden, oder freien Grenzübertritt für die Bevölkerung gewähren würde. Doch sind die Beziehungen zwischen den beiden Völkern später merklich abgekühlt und das „Ewe-Problem" scheint eine dauernde Quelle der Erbitterung zu werden.

In Kamerun ist das Stammesproblem mit ziemlicher Sicherheit friedlich zu lösen. Das umstrittene Gebiet, das unter Nigerischer Föderationsverwaltung steht, bekommt durch einen Volksentscheid der Vereinten Nationen die Gelegenheit, selbst zu entscheiden, ob es sich mit Nigeria oder der neuen Nation Kamerun verbinden will. Die Volksabstimmung wird wahrscheinlich noch in diesem Frühjahr sein, und die Mehrheit ist für Nigeria.

Jetzt haben wir fast die Hälfte des schwarzen Afrika gesehen, all die Nationen, die schon frei sind, oder es bald werden. Weite Gebiete sind noch zu besichtigen, die in mancher Hinsicht anders sein werden. Aber eins haben sie alle gemeinsam: in allen Ländern ist der Schwarze im Vordringen, ohne genau zu wissen wohin, aber immer mit dem Ruf: Uhuru! — Freiheit!

Land der Gegensätze

Die schwüle Nacht löst sich in Grau, und der Reisende erwacht von zwei verliebten, kurzen und piepsigen Rufen, die sehnsüchtig in den Palmen klingen: „Toot, — toot — toot! Crack!" ruft es. Irgendeine fremdartige Vogelart. Unter seinem riesigen Moskitonetz, das schmutzig weiß, und so groß wie ein Zelt ist, hört er am Pfeifen und Zwitschern und an schwirrenden Flügelschlägen, wie andere Vögel munter werden. Die Sonne steigt höher, und ein kühler Wind kommt auf, der den Geruch von grünen Pflanzen und üppig wachsenden hellen Blumen mit sich bringt; dazu diesen anderen charakteristischen Geruch, der sich so schwer bestimmen läßt: ursprünglich, leicht bitter, verhalten. Woher und wovon kommt er? Dort hört man einen Schrei — schrill und kurz, nicht menschlich. Irgendein kleiner Raubtiervogel hat ein lebendiges Frühstück gefangen. Und bald darauf ein entfernter Laut, der in der immer heller werdenden Luft schwingt und diesmal menschlich ist. „Ho! . . . Ho! . . . Ho! . . .“ der Reisende eilt zur Veranda und schaut über die blaue Bucht. Bemalte Canoes, jedes mit acht unbekleideten Schwarzen besetzt, fahren von stroh-gedeckten Hütten zu einer entfernten Bucht, indem sie aufs offene Meer zusteuem. Die Schwarzen sitzen kerzengerade und rudern im Gleichtakt wie eine Maschine. Ihr Gesang schallt über das Wasser und füllt kurz darauf die ganze Luft. Dann verliert er sich in der Ferne; die großen Boote werden wie Spielzeuge und verschwinden.

Das ist Afrika — unverändert seit Jahrtausenden. Aber auch dies ist Afrika: große Zechen und Schmelzwerke, und Schwarze in Khaki-Hosen und Schutzhelmen; große neue Städte mit breiten Straßen und kleinen Wolkenkratzern; Stra-ßen werden gebaut, Flugplätze aus dem Busch gehauen, Lagunen in Seehäfen verwandelt. Lind dazu entstehen neue Ideen, die der Landschaft ebenso fremd sind, sich aber schnell verbreiten — Ideen von Demokratie, Selbstverwaltung und nationaler Einheit, die heftige Wirkungen hervorriefen, so wie den Kongo-Aufstand im letzten Monat. Die Welle der Geschichte, die in den Nachkriegsjahren zwanzig neue Länder im fernen, mittleren Osten und im Mittelmeergebiet ins Leben gerissen hat, hat jetzt das Schwarze Afrika erreicht.

Diese Entwicklung führte bereits zu der Schaffung von zwei neuen afrikanischen Ländern, der Schaffung von zwölf „autonomen Republiken“ in französischen Gebieten und dem Versprechen von Unabhängigkeit für vier andere im nächsten Jahr: Nigeria, Togo, Kamerun und Somaliland. Welche anderen neuen Länder warten auf ihre nationale Geburt? Welche Zukunft hat der Weiße in Afrika? Wird sich das neue Afrika mit dem Osten oder dem Westen verbünden? Das sind Fragen, die sich mit der Entstehung einer neuen Welt aufdrängen.

Zwei Dinge über Afrika muß man sich immer vor Augen halten: seine ungeheure Weite und seine Mannigfaltigkeit. Gebiete, deren Namen fast unbekannt sind, erweisen sich — vergleicht man sie auf der Karte — als viel größer als irgendein europäisches Land; z. B. ist Angola zweimal so groß wie Frankreich. Eine andere geographische Gegebenheit ist, daß afrikanische Grenzen oft von großen Flußläufen abhängen; dies ist erklärlich, da die Flüsse, vor dem Zeitalter des Flugzeugs, der einzige Weg in das Landesinnere waren. Einige Flüsse umgrenzten ein Kolonialterritorium, andere wiederum waren die Grenzen zwischen rivalisierenden Weltmächten.

Hoher Lebensstandard in Belgisch-Kongo

Das anschaulichste Beispiel ist der Kongo und sein Nebenfluß LIbangi. Das Gebiet nördlich des Kongo wurde französisch durch Graf Savor-gnan de Brazza, ein Italiener, der zur französischen Marine ging und 187 5 begann, das Gebiet zu erforschen und für Frankreich mit den leitenden Führern Verträge abzuschließen. Das südliche Gebiet ist belgisch, durch Henry Morton Stanley gewonnen, ein welsch-amerikanischer Journalist, der unter dem belgischen König Leopold II. tätig war. Jedes dieser beiden zentralafrikanischen Reiche gründete eine Metropole. Brazzaville und Leopoldville liegen einander gegenüber dort, wo der Kongo sich zum »Stanley-Pool“ weitet, bevor er in riesigen Schnellen dem Meer entgegenströmt.

Man braucht nur zwanzig Minuten, um in einer Fähre das Becken von Brazzaville nach Leopoldville zu überqueren — aber politisch gesehen, ist dies eine der längsten Fahrten der Welt. Frankreichs Politik, seine afrikanischen Besitzungen zu assimilieren, hatte schnell für diese eine vollkommene Demokratie zur Folge.

Jedoch hat Frankreich — wie in der letzten Ausgabe beschrieben wurde — verhältnismäßig wenig getan, um sein äquatoriales Gebiet wirtschaftlich zu entwickeln. Lind die Bewohner sind arm.

Belgien verfolgte eine vollkommen gegensätzliche Politik. Die Belgier haben ihr Territorium zu einem wichtigen Produktionsgebiet für Kupfer, Uran und andere Metalle gemacht, indem sie sich auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentrierten. Sie haben Städte, Straßen und viele andere moderne Einrichtungen geschaffen, und mit einem unnachgiebigen Paternalismus, der nirgends seinesgleichen hat, haben sie die soziale Wohlfahrt der Bevölkerung vorangetrieben, die durch sie zur glücklichsten und gebildetsten im Schwarzen Afrika wurde (etwa 40 Prozent). Die Kongolesen haben die höchste Zahl an Facharbeitern und die stärkste Mittel-klasse. Ihre Wohlfahrt schließt Mindestlöhne, Familiengelder und bezahlten Urlaub für Lohnempfänger ein. Sie haben die meisten Krankenhäuser und den größten und besten sozialen Wohnungsbau. Kurz gesagt, sie sind -was materielle Vorteile anbelangt — das glücklichste Volk im Schwarzen Afrika. Was aber politische Demokratie betrifft, so gewährten die Belgier jahrzehntelang keinerlei Rechte.

Niemand konnte je wählen im Kongo, weder Schwarze noch Weiße, weil — dies war die logische Erklärung — das Territorium beim Generalgouverneur in guten Händen war, der seinerseits Vertreter der guten und weisen Regierung in Brüssel war. Am Ende würden die Afrikaner zwar an der Regierung teilhaben, aber darauf muß man noch viele Jahre warten, bis die Entwicklungskräfte der Erziehung und Zivilisation eine wirklich verantwortungsvolle Wählerschaft hervorbringen können.

Wäre der Kongo von der Welt abgeschlossen, so hätte dieses Versprechen das Volk für viele Jahre länger zufriedenstellen können. Aber es drangen die Nachrichten von Ghana ein, und auf der anderen Seite des Flusses, in Französisch Äquatorial-Afrika, war es offensichtlich, daß Unwissenheit und primitive Kultur der Freiheit nicht unbedingt im Wege zu stehen brauchten. Sowie die Kongolesen dieses gewahr wurden, begannen sie Forderungen zu stellen und Manifeste herauszubringen.

Schließlich unternahm vor etwas mehr als einem Jahr die Regierung die ersten vorsichtigen Schritte zu einer Befreiung des Kongo. In den drei größten Städten, Leopoldville, Jadotville und Elisabethville, die in Bezirke eingeteilt sind — so etwa wie die „wards" in amerikanischen Städten — durfte die Bevölkerung in indirekter Wahl Stadtverordnete ernennen. Diese hatten natürlich nur Routine-Rechte, während die hauptsächliche Verwaltung der Stadt immer noch gänzlich bei einem vom Generalgouverneur bestimmten Bürgermeister lag. Jedoch, so wie der sprichwörtliche Stein, der eine Sache ins Rollen bringt, bildeten diese Wahlen den Anfang zu großen politischen Ereignissen. Denn sie ermöglichten die Bildung von politischen Parteien. Und mit der Gestalt des Stadtverordneten schufen sie politische Führer, um die sich die Massen versammeln konnten — so wie dies vor einigen Wochen der Aufstand in Leopoldville dramatisch demonstrierte.

Es besteht kein Zweifel, daß dieser fürchterliche Vorfall — mehr als siebzig Afrikaner wurden getötet und Hunderte von Menschen verletzt — ursprünglich nur ein Überschäumen von nationalen Gefühlen war. Doch war, wie bei allen Unabhängigkeitsbewegungen in ganz Afrika, ein Stammesgefühl mit einbezogen, und dies ist wichtig, um die Ereignisse zu verstehen.

Der Kongo (dreimal so groß wie die Türkei) setzt sich aus vielen Stämmen und Überresten afrikanischer Reiche zusammen. Das größte war in der alten Zeit das Königreich Kongo, das das niedere Flußland einschloß, von den großen Stromschnellen bis zum Meer. Als im späten 19. Jahrhundert die europäischen Mächte Afrika aufteilten, wurde der alte Kongo in drei Teile zerlegt, die dem portugiesischen Angola, dem Französisch-Äquatorial-Afrika und dem Belgischen Kongo einverleibt wurden.

Ein Ausbruch schwelender Empörung

Nach der Teilung jedoch, lebten einige der alten Traditionen weiter durch die „Kigongo“ -Sprache. 1952 wurde eine Gesellschaft mit Namen ABAKO gegründet, die die alte Sprache und Geschichte lebendig erhalten sollte. Joseph Kasavubu, ein bronzehäutiger Mann mit raubtierähnlichen Zähnen, der früher Buchhalter war, wurde ihr Vorsitzender. Kasavubu entwickelte das Programm so gewaltig, daß ABAKO bei den Wahlen in Leopoldville, mit mehr als 3 : 1 gewann.

So sah sich Kasavubu tatsächlich in der Stellung eines politischen Führers der schwarzen Bevölkerungsteile in der Hauptstadt des Kongo und — wenn die Anhänger von ABAKO dort je wählen könnten — eigentlich in der Stellung eines Führers des ganzen niederen Belgisch Kongo. Er benutzte den Vorteil seines Amtsantritts als Stadtverordneter, um eine Rede zu halten, bei der er wiederholt eine Erweiterung der politischen Rechte forderte. Im letzten Sommer erklärte er: „Wir wollen die Sdrlüssel zu diesem Land, um es zu regieren! Wir wollen allgemeines Wahlrecht, damit wir unsere eigene Regierung wählen können. Wir fordern sofortige Unabhängigkeit!“

Die belgische Antwort waren lange Gespräche über eine belgisch-kongolesische Gemeinschaft, die sich auf das Prinzip der „brüderlichen Liebe" gründete, — und gleichzeitig eine Befestigung des inneren Sicherheitssystems, bis der Kongo in vielen Punkten einem politischen Staat zu gleichen begann. Die Spannung erhöht? und verschlimmerte sich durch Arbeitslosigkeit. Vor einigen Wochen fuhr Arthur Pinzi, ein anderer Abgeordneter der ABAKO aus Leopoldville und Präsident der Union der afrikanischen Staatsbeamten, nach Brüssel, um die belgische Regierung um wirtschaftliche Unterstützung zu bitten. Bei seiner Rückkehr versammelte sich die Menge, um seinen Bericht zu hören. Es entstand eine Verzögerung, und die Menge wurde unruhig. Die Polizei kam und feuerte Warnungsschüsse ab. Innerhalb von einigen Stunden befanden sich 60 000 Afrikaner auf den Straßen, die plünderten, brandschatzten und blind und wild um sich schlugen.

Welches Ausmaß hatte diese Katastrophe? Die Aufständischen waren hauptsächlich Anhänger der ABAKO, Leute aus dem niederen Flußgebiet oder aus Bakongo, nur wenige waren vom oberen Flußgebiet Bangala und eine große Minderheit aus Leopoldville. Folglich umfaßte diese Revolte noch lange nicht das ganze Land, nicht einmal die ganze Stadt. Nichtsdestoweniger war das Ereignis ein Symptom für die allgemeine Lage. Die am oberen Flußteil wohnende Bevölkerung Bangalas hat ihre eigene Unabhängigkeitsbewegung. Im Gegensatz zur ABAKO fordert sie nicht unmittelbare und bedingungslose Freiheit, aber sie ist daher nicht weniger auf eine Selbstverwaltung der Kongolesen gerichtet. In Elisabethville, Jadotville und in anderen Bergwerks-und Handelszentren sind nationalistische Ideen ebenfalls weit verbreitet.

Die Aufständischen erreichten ein Gutes: die stark getroffenen Belgier waren schließlich gezwungen, die Stärke dieses nationalen Gefühls einzusehen. Der Plan, den sie am 13. Januar veröffentlichten, sieht eine rweiterung der Selbstverwaltung in Stadt und Land vor, die zu einem direkt gewählten nationalen Parlament führt. Am selben Tage hielt König Baudouin eine Rundfunkrede, in der er schließlich Unab-

hängigkeit versprach.

Wird der neue Plan und Baudouins Zusiche-

rung ausreichen, um vor neuen Unruhen zu 'schützen? Wahrscheinlich nicht. Kasavubu, Pinzi und die meisten Anführer der ABAKO sind festgenommen worden und werden vor Gericht der Anstiftung zu LInruhen beschuldigt. Wenn sie verurteilt und im Gefängnis sind, wird am niederen Kongo eine neue Welle der Empörung entstehen. Jedoch würde ihre Freilassung oder Begnadigung von den Mitgliedern der ABAKO leicht als Zugeständnis aus Schwäche mißverstanden. Die Belgier sehen sich einem Dilemma gegenüber, das sie sich zum größten Teil selbst zuzuschreiben haben. Ein Mitglied des belgischen Abgeordnetenhauses erklärte bedauernd:

„Wir sind alle verantwortlich. Zu viel Zeit ging verloren, in der der Kongo seiner Entwicklung überlassen blieb.“

Derselbe Gedanke gilt unglücklicherweise auch für andere afrikanische Gebiete, in die weiße Menschen in großer Zahl gekommen sind, um dort zu leben und zu arbeiten. Will man die Unabhängigkeitsbewegung überhaupt verstehen, so muß man grundlegend unterscheiden zwischen Gebieten, in denen sich Weiße ansiedelten und solchen, wo das nicht der Fall war. Die Gründe für eine Ansiedlung an einem Ort und nicht an dem anderen können unter dem Begriff „Historischer Zufall“ zusammengefaßt werden. Doch uns interessieren hier nur die Folgen; und diese zeigen, daß Belgisch-Kongo (mit 115 000) eine verhältnismäßig starke ständige weiße Bevölkerung hat, während die ehemals französischen Territorien in Zentralafrika und die britischen Gebiete in Westafrika nur eine sehr geringe aufweisen. Ebenso haben die britisch-zentral-afrikanischen Gebiete, Nord-und Süd-Rhodesien und die britisch-ostafrikanischen von Kenia eine starke weiße Bevölkerung. Desgleichen auch Portugals Territorien, Angola und Mozambique. Es scheint ein allgemein verbreiteter Irrtum des weißen Siedlers zu sein, — und diesbezüglich auch des indischen und arabischen Siedlers, deren Gegenwart in manchen Gebieten die Situation verkompliziert — daß sich die schwarze Bevölkerung mit einer Entwicklung zufriedengäbe, deren langsamer Fortlauf eigens für sie bestimmt sei. Dieser Trugschluß wurde auf plötzliche und ziemlich grausame Weise bei den Aufständen in Leopoldville offenbar. Daher ist heute die wirklich entscheidende Frage nicht, ob die Afrikaner eine wichtige Rolle in der Regierung spielen werden, sondern ob sie sich mit einer Regierung zufrieden geben, die sich aus verschiedenen Rassen zusammensetzt, und in der sich die Minderheit — Europäer, Inder, Araber — entsprechend vertreten fühlt.

Ilm ihr Land betrogen?

Hier ist nicht der Ort, die Mau-Mau-Geschichte zu berichten (sie hat bereits einer langen Reihe von Romanen und Memoiren den Stoff geliefert), doch sind einige Tatsachen daraus zum Verständnis des heutigen Nationalismus in Kenia nützlich. Der haupsächlich in diese Bewegung einbezogene Stamm war der der Kikuyus, der größte Kenias und einer der aktivsten und ehrgeizigsten in ganz Afrika. Die Kikuyus sind hauptsächlich Bauern, doch ihr Grundbesitz ist klein, da der größte Teil des fruchtbaren Hochlands früh von den Weißen übernommen wurde. Die Kikuyus haben immer behauptet, um dieses Land betrogen worden zu sein, aber sie konnten in dieser Sache nichts unternehmen, da weder sie noch andere Afrikaner das Stimmrecht besaßen. Die weiße Bevölkerung Kenias bestand aus einer starken Vertretung junger Söhne aus angesehenen Familien, verabschiedeter „Colonel Blimps“, Pensionären aus früheren Teilen des Empire und ähnlichen Typen der alten Schule, die zwar ein menschliches Interesse am Fortschritt der Eingeborenen versicherten, aber doch gleichzeitig annahmen, daß ein merklicher Fortschritt erst nach höchstens einer oder zwei Generationen wirksam würde. Die daraus resultierenden Mißstände führten mit zu dem'hysterischen Mau-Mau-Aufstand, der 1952 unter Führung Jomo Kenvattas los-brach. Der Mau-Mau-Aufstand wurde durch das Einschreiten der Polizei im wesentlichen unterdrückt. Heute laufen nur noch wenige Terroristen frei herum, und diese leben vereinzelt an den wilden Abhängen des Mount Kenya. Aber obwohl Mau-Mau durch Gewalt erdrückt wurde, sahen das Kolonialamt und die intelligentere Bevölkerung Kenias ein, daß man etwas unternehmen mußte, um den Forderungen einen legitimen Ausdruck zu verleihen. Demzufolge ermöglichte eine neue Verfassung direkte Wahlen für Afrikaner für die Gesetzgebende Versammlung der Kolonie; und vor zwei Jahren fanden die ersten statt. Einer der acht erfolgreichsten Kandidaten war ein Stammesgenosse der Luos, Tom Mboya, ein außerordentlich junger Mann von nur 27 Jahren, der jedoch schon Generalsekretär der Gewerkschaften Kenias war.

Auf dem Wege zur Gottähnlichkeit

Sehr viele Dinge für Kenias Zukunft können von Tom Mboya abhängen — von seinen Handlungen und von dem, was mit ihm geschieht. Wie schon vorher gesagt, neigt der afrikanische Nationalismus stark dazu, sich durch die Figur eines gottähnlichen Führers zur Geltung zu bringen: dafür ist Ghana’s Nkrumah ein Musterbeispiel. Mboya hat diese Position noch nicht erreicht, aber er ist ein grandioser politischer Redner mit dem dramatischen Gefühl eines Schauspielers und der Fähigkeit eines Demagogen, die Unwissenheit seiner Zuhörer auszunutzen. Er ist kräftig und gutaussehend genug, um von Männern und Frauen bewundert zu werden. Er ist gut erzogen, geistig gewandt, ist mutig, ehrgeizig und stolz. Bis jetzt ist er nicht nur eine führende politische Persönlichkeit in Kenia, sondern sogar eine der wichtigsten in ganz Afrika

Welche Rassengemeinschaft beabsichtigt Mboya für Kenia? Die Antwort scheint „gar keine“. Er erklärte: „Ich lehne ein Zusammenleben vieler Rassen als Lösung ab, da ich alles ablehne, was weniger als eine ecl-ite Demokratie ist, welche sich auf die Gleichheit der Individuen gründet. , Ein Mann, eine Stimme’. Nach dem Willen der Europäer soll ich mich damit einverstanden erklären, daß Kenia und Ghana verschieden sind. Doch das will ich nicht. Sie sind sich im Grunde gleich, trotz einiger europäischer Siedler hier. Kenia ist ein afrikanisches Land! Man sagt, die Rechte von Minderheiten sollen geschützt werden. Was für , Rechte? ’ Wenn man die Rechte meint, die die Afrikaner daran hindern, sich im weißen Hochland anzusiedeln, Rechte, die den Wohnungsbau und Schulen ausschließen, Rechte für eine .color bar', dann sagen wir, dies sind keine Redtte. Wenn man nur fragt, . sollen wir gleidt sein vor dem Gesetz? ’ so ist unsere Antwort Ja'

Wir verlangen nidu, daß sich alles überNadit ändern soll, aber wir verlangen, daß sidt jeglid'ie Veränderung in Richtung auf eine edtte Demokratie hin vollziehen muß. Idi bin zu Verhandlungen bereit, aber nicht bevor man sich auf der anderen Seite über das äußerste Ziel einig geworden ist "

Diese Position Mboyas — zusammen mit der zähen Taktik, die er bei dem Versuch an-wandte, von der kolonialen Regierung eine Zustimmung zu erzwingen — hat bei den Europäern Unruhe und Ärger hervorgerufen, und bei einigen die Neigung, sich zu verschanzen, und — wenn überhaupt — sich nur nach einem Streit um jedes Stückchen des Weges zurückzuziehen. Mit derselben Methode hat Mboya die afrikanischen Gefühle entfacht. Infolgedessen darf man die Möglichkeit für neue große Unruhen nicht außer acht lassen. Trotzdem jedoch stehen die Chancen stark dagegen;

hauptsächlicher Grund dafür ist, daß die Führer auf beiden Seiten nicht länger glauben, daß sich die Probleme mit Gewalt lösen lassen.

Aber ein sogar noch wichtigerer Grund ist, daß außerordentlich starke liberale Elemente auf beiden Seiten arbeiten. Unter dem Einfluß von europäischen Führern, so wie Michael Blundell und E. H. Vasey, die Landwirtschafts-und Finanzminister der kolonialen Regierung, erkennen die Siedler klar, daß sie mit den Afrikanern zu einer Einigung kommen müssen. Langsam sehen sie auch, daß sie eines Tages unter einem Parlament mit afrikanischer Mehrheit leben werden. Auf afrikanischer Seite kommt die Stimme der Versöhnung aus dem entscheidenden Lager, von den Kikuyus. Diese Stimme mit einem amerikanischen Akzent ist die von Dr. Gikonyo Kiano, einem Kikuyu, der 1956 zurückkehrte, nachdem er acht Jahre in den Vereinigten Staaten politische Wissenschaften studiert und sich zu eigen gemacht hatte (Antioch College, Stanford und Universität von Kalifornien). Indem man ihn in einen der neuen afrikanischen Sitze der Gesetzgebenden Versammlung wählte, ist er schnell der einflußreichste Politiker der Kikuyus geworden. Diese Tatsache ist für die Hoffnung auf Einigung doppelt vorteilhaft. Er ist ein Bollwerk in seinem eigenen Volke gegen das Wiederaufleben der Mau-Mau-Bewegung: ein Wiederaufleben, das wegen der für nächstes Jahr vorgesehenen Freilassung Jomo Kenyattas begreiflicherweise akut wird. Außerdem ist Kiano ein vernünftiger Mann ohne Einwände gegen eine Regierung, die sich aus verschiedenen Rassen zusammensetzt, und geduldig genug, um auf die Ausarbeitung einer gerechten Lösung zu warten. Als führender Kikuyu erlaubt es ihm seine Position nicht nur Mboya Ratschläge zu geben, sondern auch diesen zum Zuhören zu bringen. Tatsächlich besteht die Vermutung, daß Kiano eventuell sogar die nationalistische Führung von Mboya übernehmen könne, dessen Stamm — die Luos — schon immer von den Kikuyus und ihren Verbündeten verachtet und mißbilligend betrachtet wurde.

Das was die Afrikaner Kenias für sich wollen, ist in allgemeinem Wortlaut das, was das ganze Schwarze Afrika fordert. Afrika ist wie sein einheimischer Manglebaum, ein großes Labyrinth exzentrischer Formen, die am Ende alle gleich aussehen. Wir könnten hier noch weiter zu anderen Kolonien übergehen, aber wir würden ziemlich gleiche Muster finden wie die, die wir bereits gesehen haben:

Uganda, Tanganjika und Nyassaland

Uganda, welches im Westen an Kenia angrenzt, ist etwa das Gegenteil von Ghana, mit Feudalinstitutionen und Stammesrivalitäten, die die Situation beherrschen: und bis jetzt ist kein „Nkrumah“ in Sicht. Es gibt einen König, der Kabaka genannt wird (ein intellektueller junger Cambridge-Mann mit dem Titel Mute-sa II. und seinen Freunden als „Freddie“ bekannt) der aber eine wohlhabende und stolze zentrale Region namens Buganda regiert. Er und seine Höflinge sind nicht gewillt, die speziellen Interessen Bugandas den allgemeinen LIgandas unterzuordnen. Buganda boykottierte nationale Wahlen, die vor einigen Monaten stattfanden, und versucht, britische Vertrags-rechte aufzuheben, Uganda abzutrennen und allein als unabhängiges Königreich zu bestehen. Doch dies würde die anderen Gebiete geographisch und wirtschaftlich trennen; und damit will sich England nicht einverstanden erklären. Die Nationalisten LIgandas erhoffen Unab-

hängigkeit und Commonwealth-Status für 1961, die sie, wäre Buganda nicht so unnachgiebig, so gut wie sicher bekommen würden.

Tanganjika, das größte und eigentlich reichste Territorium in Ostafrika, ist hauptsächlich wegen seines Wildes berühmt das es dort immer noch im Überfluß gibt. Ein Beobachter der Vereinten Nationen schrieb es England zu, daß Tanganjikas erste direkte Wahlen für die Gesetzgebende Versammlung erst im letzten Jahr stattfanden. Der Führer der nationalistischen politischen Bewegung, der die Wahl gewann, ist Julius K. Nyerere, ein begabter und vernünftiger Mann, der einer Selbstverwaltung innerhalb von 5— 6 Jahren absolut zuversichtlich entgegensieht.

Der britische Staatenbund von Rhodesien und Nyassaland ist etwa Kenia vor der Mau-Mau-Bewegung zu vergleichen. Auch hier besitzen weiße Siedler große Teile des besten Landes, Stimmrechte für Afrikaner gibt es größtenteils nicht, und in der Regierung spielen die Afrikaner keine wirksame Rolle. Führende weiße Politiker willigen zwar in eine „racial partnership“ theoretisch ein, sagen aber, daß diese zurückgestellt werden müsse, bis sich das Bildungsund Wirtschaftsniveau der Afrikaner gehoben habe. In der Zwischenzeit wäre es „unfair“, wie Premier Minister Sir Roy Welensky es formulierte, „nur für bewundernde Besucher etwas vorzutäuschen“. Dieser Besucher stimmt der Ansicht von Sir John Moffat zu, dem liberalen Vorsitzenden des „African Affairs Board der Föderation, daß „die Schwarzen immer ungeduldiger, die Weißen furchtsamer werden, und daß das gegenseitige Mißtrauen ständig anwächst. Und wenn nidu von Seiten der Staatskunst etwas Plötzlidies geschieht, werden wir der Gewalt ins Auge sehen müssen.

Diese Aussicht wurde im wesentlichen bestärkt durch die Heimkehr von Dr. Hastings Banda. Er hatte Nyassaland als kleiner Junge verlassen, durch eigene Leistung eine Erziehung in den Staaten (Llniversität Chicago) und Schottland erworben und viele Jahre in einem Vorort von London als Arzt praktiziert. 195 3 kam er nach Ghana. Inzwischen wurde Nyassaland, das britisches Protektorat war, zu dem Bündnis mit Nord-und Süd-Rhodesien gezwungen. Dadurch fürchtete seine Negerbevölkerung (99%) die Herrschaft weißer Siedler von Rhodesien, die die Ideen der Apartheid teilen. Vom Ausland aus förderte und beriet Dr. Banda die nationalistisehe Bewegung und kam im letzten Sommer zurück, um sich ihrer anzunehmen. Seitdem ist das Leben in Nyassaland ständig in Aufruhr, und dieses Beispiel bildete ein Anreiz für die afrikanischen Nationalisten beider Rhodesien.

Dr. Banda ist entschlossen, Nyassaland wenn möglich noch dieses Jahr gänzlich von dem Bündnis zu lösen. Er hofft, dies durch passiven Widerstand zu erreichen: „Wir müssen zu Millionen ihre Gefängnisse füllen, nicht nur zu ein-oder zweihundert. Wir müssen Ha!! elu/a . .. singen". Aber als er gefragt wurde, ob sein Aufruf zu öffentlicher Gehorsamsverweigerung zu Gewalttätigkeit und Blutvergießen führen könne, antwortete er: „Ich bin nicltt Gott. Ich weif! nicht, was passieren wird“. Die weißen Siedler von Nyassaland haben begonnen, nachts ihre Fenster zu verschließen, ihre Dienstboten mißtrauisch anzusehen und ihre Gewehre zu ölen.

Da ist noch Sansibar, diese nahezu mythische Insel der Gewürznelken und des Zimts, mit ihren unglaublich weißen Küsten und dem türkisblauen Meer — und ihrem britischen Gouverneur über einem arabischen Sultan; und dieser über einer größtenteils afrikanischen Bevölkerung. Der arabische Einfluß ist stark; und Sansibar ist ein Eingangstor für Staatspräsident Nasser’s Auffassung vom afrikanischen Nationalismus, welche eine Mobilisierung des Kontinents unter der Führung Kairos anstrebt. Nasser hat auch einen beachtlichen Rückhalt durch arabische Siedlungen an der Küste und in Somaliland; aber die meisten schwarzen afri-kanischen Führer hegen höchstes Mißtrauen gegen ihn.

Das ist Ruanda-Urundi, Treuhandgebiet der Vereinten Nationen, von Belgien verwaltet, das erst begonnen hat, das Prinzip der Selbstverwaltung zu entdecken; und Sierra Leone, eine britische Kolonie, die (wie sein von den Vereinigten Staaten geförderter Nachbar Liberia) von befreiten Sklaven besiedelt wird, die jetzt eindringlich um den Commonwealth-Status bitten; und Portugals zwei große Territorien, Angola und Mozambique, in denen Rassenmischung durchaus geduldet wird und führende Persönlichkeiten sogar hoffen, Rassenproblemen durch die Heranbildung einer Mulattenrasse aus dem Wege zu gehen, (gleichzeitig unterdrückt die Polizei unbarmherzig alle nationalistischen Impulse); und Südwest-Afrika, ein deutsches Territorium, das nach dem 1. Weltkrieg dem Mandat der Südafrikanischen Union unterstellt wurde, die es im wesentlichen, trotz der Proteste der Vereinten Nationen, annektiert hat; und Spaniens kleine Enklave Rio Muni; und eine ganze Menge anderer Enklaven und Inseln und vereinzelter Stücke, die irgendwie von den verschiedenen Kolonialmächten aus der „Wundertüte“ herausgerissen wurden und mit in dieses außerordentliche Erwachen Afrikas einbezogen sind.

Doch haben wir jetzt genug von den charakteristischsten Beispielen genannt, um die Beantwortung einiger Hauptfragen versuchen zu können, die das neue Afrika der Welt stellt. Da ja die Voraussetzungen unbeständig sind, ist es unnötig zu erwähnen, daß die „Antworten“ nur provisorisch sein können.

Die neue Rolle des weißen Mannes

Hat der weiße Mann eine Zukunft iv Schwarzen Afrika? Die Antwort ist: Ja, eine sehr wichtige. Diese Antwort basiert teils auf Notwendigkeit und teils auf Imponderabilien, die als „goodwill" (eine gewisse Bereitschaft zur Partnerschaft) zusammengefaßt werden können.

Die Erwähnung von „goodwill“ mag merkwürdig erscheinen, wenn man die vielen Beispiele für Böswilligkeit betrachtet und die Heftigkeit, mit der die Nationalisten sich von der europäischen Herrschaft befreien wollen Der Ausdruck meint nicht, daß der Schwarze den Weißen mag, sondern daß er seinen Wohlstand und seine Erfahrung respektiert, daß er bis zu einem gewissen Grade bereit ist, von ihm abhängig zu sein, und daß er in jedem Falle durch mancherlei Bündnisse an ihn gebunden ist. Die Kolonialmächte haben nicht nur dem Schwarzen Afrika einen europäischen Stempel aufgedrückt, sondern sie haben ihren verschiedenen Teilen ihr eigenes Gesicht gegeben. Die gebildeten Kongolesen neigen dazu, ihre Freunde auf der anderen Seite des Flusses in Französisch-Äquatorialafrika als unberechenbar in der typisch französischen Art und gern bereit zu abstrakten Gesprächen anzusehen, während die französischen Afrikaner die belgischen für ziemlich schwerfällig in der belgischen Art halten. Obwohl die nationalistischen Führer über „Pan-Afrikanismus" sprechen, ist alles, was sie wirklich gemeinsam haben, eigentlich nur ihre Hautfarbe und eine Ansammlung von Ideen und Gefühlen, die die westliche Kultur ausmachen.

Wie zu erwarten war, besteht jetzt ein ziemlich starkes Bestreben, diese kulturellen Werte zu „afrikanisieren". Leopold Senghor, ein Dichter, Philosoph und Politiker aus Senegal, hat die geistige Führung der sogenannten „Negritude“ übernommen, deren Ideen es sind, die besten Werte aus Afrikas Vergangenheit wiederzuentdecken, das Wesen des „Afrikaners“ zu definieren und das europäische Erbe zu übernehmen, um eine neue, spezifisch afrikanische, Zivilisation zu schaffen. Dieses bewußte Suchen nach Individualität — nach einem „afrikanischen Menschen“ -hatte z. B. bei den nationalistischen Führern die weitverbreitete Rückkehr zur afrikanischen zeremoniellen Kleidung zur Folge. Im allgemeinen tragen Nkrumah und sein Stab in Ghana gewöhnliche Kleidung bei der Arbeit, aber bei offiziellen Anlässen machen sie es sich zum Prinzip, Togas aus Ghana's lebhaftem (und teuren) Kent e-Stoff zu tragen. Doch so etwas wirkt gezwungen und kann daher nur bis zu einem gewissen Grade gehen.

Ein wichtiger Beitrag zu diesem überaus starken „goodwill“ wurde von den christlichen Missionaren geliefert. Streng religiös gesehen, waren ihre Bemühungen zweifellos enttäuschend; nicht nur da die Majorität der Afrikaner am Heidentum festhielt, sondern die Christen haben in der letzten Zeit weniger Menschen bekehrt als die Vertreter des Islam. Ferner sind starke heidnische Spuren sogar bei Bekenntnischristen zurückgeblieben.

Nichtsdestoweniger waren es Missionare, die die Schulen gründeten, die westliche Medizin, das Rad und den Pflug einführten und überhaupt unendlich viel Gutes getan haben, ganz abgesehen von ihrer religiösen Aufgabe. Die letztere ist natürlich wesentlich: Es gibt Millionen von aufrichtigen Christen in Afrika, und ihr Verlangen, die Bibel zu lesen stellt einen ungeheuren Anreiz zur Bildung dar.

Die Intensität des „goodwill“ variiert natürlich an den verschiedenen Orten. Sie ist sehr wahrscheinlich am stärksten in Französisch-Afrika, besonders an der Elfenbeinküste und in Britisch-West-Afrika, dort besonders in Nigeria. Am schwächsten ist sie wahrscheinlich in Süd-Rhodesien und Kenia. In Süd-Rhodesien beunruhigt es die intellektuell gebildeten Afrikaner am meisten, daß die europäische Unerbittlichkeit bei Rassenproblemen den noch vorhandenen „goodwill“ zerstört. Denn ohne Zweifel ist er noch vorhanden.

Doch selbst ohne ihn müssen die Afrikaner noch jahrelang eine große Anzahl von Weißen in ihrer Mitte aufnehmen. Denn noch hat kein afrikanisches Land genug ausgebildete Menschen, mit denen es sich selbst ausreichend regieren könnte. Vermutlich war Ghana in dieser Hinsicht am weitesten fortgeschritten, jedoch sind 6 von 13 ständigen Unterstaatssekretären dermini-sterialen Abteilungen — die Männer, die eigentlich die Regierung in der Hand haben -vertraglich verpflichtete Engländer. Die neuen afrikanischen Länder werden sogar noch mehr europäische Ärzte, Juristen, Ingenieure, Wissenschaftler und Erzieher benötigen. Und noch jahrzehntelang werden sie den fremden Geschäftsmann brauchen mit seinem Kapital, seinen Erfahrungen und seiner Fähigkeit, die lokalen natürlichen Mittel zur Entfaltung zu bringen Die afrikanischen Führer wissen das und sie erwarten mit Spannung die ausländischen Bergbau-und Baugesellschaften.

Hier erhebt sich die zweite Hauptfrage, die das neue Afrika betrifft. Wird es wohl kommunistisch werden, oder jedenfalls dem kommunistischen Einfluß ausgesetzt sein? Die allgemeine Antwort hierauf ist , Nein‘ — nicht, wenn der Westen seine augenblicklichen Vorteile mit Klugheit nützt.

Bis jetzt ist der Kommunismus als organisierte politische Macht im tropischen Afrika sehr schwach. Hier und da kann man zwar seine Spuren finden: eine kleine Gruppe von Rebellen in den Dschungeln von Kamerun; kommunistisch gesinnte Gruppen in einigen Gewerkschaften; es beginnen, russische und rot-chinesische Handelsdelegationen aufzutreten. Aber die Organisationen der Afrikanischen Union fühlen sich stärker mit der internationalen Arbeitsorganisation der freien Welt, als der der Kommunisten verbunden; und kommunistische Parteien gibt es überhaupt nicht.

Das ist besonders bemerkenswert im Hinblick auf die großen Anstrengungen der Kommunisten, die als Studenten in ihre Länder kommenden Afrikaner zu Proselyten zu machen. Besonders in Frankreich ist es eine bekannte Tatsache, daß diese Studenten von Parteifunktionären begünstigt, in die Vergnügungen von Paris gestürzt, im Marxismus unterwiesen und sogar, um sich dort weiter schmeichlerische Worte anzuhören, nach Moskau und anderen kommunistischen Hauptstädten geschickt werden. Viele werden wirklich vom Kommunismus angesteckt. Aber anstatt nach Hause zurückzukehren, um ihre Landsleute zu unterweisen, wollen die meisten von ihnen gerade dort bleiben, wo sie sind, und das schwelgerische Leben des künstlich zusammengesetzten Proletariats genießen. Lind wenn sie zurückkehren, scheinen sie sich fast immer vom Kommunismus abzuwenden. Sie sind dann zwar noch Marxisten, aber sie suchen im Sinne der „Negritude" nach einer afrikanischen Umgestaltung des Marxismus. Indem sie unter den Einfluß älterer politischer Führer kommen, nehmen sie eine Art pragmatischen und gemäßigten Sozialismus an.

Notwendige Kapitalinvestitionen

Die meisten afrikanischen Nationalisten kennen die Nützlichkeit des privaten Kapitals, während sie vor jedem Anschein von „kapitalistischer Ausbeutung" auf der Hut sind. Sie erkennen, daß dieses private Kapital nur durch günstige Bedingungen herangezogen werden kann. Aber im allgemeinen bestehen sie darauf, daß ihre Regierungen am Eigentumsrecht der neuen Gesellschaften beteiligt sind, um deren Politik zu beeinflussen und den Profit zu teilen. Die Gefahr einer kommunistischen Durchdringung besteht dann, wenn die Nationalisten das Kapital nicht vom Westen zu diesen Bedingungen bekommen zu können glauben. Dann werden sie sich an Moskau wenden.

Die Russen sind bereits bekannt für ihre Angebote, den afrikanischen Ländern bei ihrer Entwicklung Hilfe „ohne Einschränkung" zu leisten, und das kürzliche Versprechen an Ägypten über eine Anleihe von 100 Millionen Dollar für den Bau des Assuan-Damms zeigte deutlich, daß das Angebot nicht nur Propaganda war. Diese Hilfe für Ägypten sollte für den Westen von alarmierender Bedeutung sein, denn fast jedes Land hat einen gleichbedeutenden Plan aus sich heraus geschaffen. Z. B. ist Ghana’s

Plan das Volta-Fluß-Projekt, ein großes Unternehmen, für das Nkrumah im letzten Sommer bei seinem Besuch in den Vereinigten Staaten ein provisorisches Versprechen amerikanischer Hilfe bekommen hatte. Aber gleichzeitig plant er die Einrichtung einer ghanischen Botschaft in Moskau. Über seine Politik der „positiven Neutralität" sagt er: „Es ist gleich, wen man um Hilfe angeht; wenn man sie nur bekommen kann.“

Für diese Haltung besteht ein sehr praktischer Grund. Wie Nkrumah offen erklärte, „sehen sich die politischen Führer der Entwicklungsländer einem Dilemma gegenüber. Sie haben für ihr Volk zwar die Unabhängigkeit erreicht. Aber jetzt . . . ganz einfach als Resultat der gewonnenen Unabhängigkeit — verlangt man von ihnen Wunder. Das Volk erwartet neue Sclrulen, neue Städte, neue Fabriken ... In dieser Situation kann die neue Regierung nicht einfadt dasitzen und nichts tun . . . sie muft etwas aufzuweisen haben für die Unabhängigkeit. Und wenn nidtts aufzuv/eisen ist, könnte die Unzufriedenheit das Land spalten.“

Für die weißen Nationen liegt die Moral auf der Hand. Allein von ihnen können Werkzeuge und Ausbildung kommen, die den neuen Ländern des noch unsicheren, erwachenden Afrika dazu verhelfen, ihren Weg durch eine verhangene und gefährliche Zukunft zu finden.

Fussnoten

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