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Die baltischen Staaten | APuZ 38/1959 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 38/1959 Die Sowjetisierung Ost-Mitteleuropas 1945-1957 Die baltischen Staaten

Die baltischen Staaten

HELLMUTH WEISS

Von den Moskauer Verträgen bis zur Eingliederung der baltischen Staaten in die Sowjetunion (1939-1940)

Estland Lettland Litauen 1939 1950 einschl. Memelgebiet) Kreise 11 19 23 Landgemeinden 248 516 261 Rayons 39 58 87 Republiks -Dorfsowjets unmittelbare Städte 626 17) 1229 2774 5 6 5

Zwanzig Jahre lang war es den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen durch eine vorsichtige, Bindungen an größere Machtgruppen vermeidende Außenpolitik gelungen, ihre in den Jahren 1918/19 gewonnene Selbständigkeit erfolgreich zu behaupten 1). Lettland und Estland hatten durch gegenseitige Verträge und Abkommen mit den benachbarten Staaten außenpolitische Reibungsflächen weitgehend beseitigt, wogegen Litauen, mit Polen wegen Wilna verfeindet und Deutschland gegenüber durch die Memelfrage belastet, noch vor ungelösten Problemen stand. Aus diesem Grunde kam es auch zu keiner Ausdehnung des bereits 1923 zwischen Lettland und Estland abgeschlossenen Militärbündnisses auf Litauen; der in Genf 1934 von den drei baltischen Staaten unterzeichnete Freundschaftsvertrag sah nur eine Koordinierung der Außenpolitik durch regelmäßige Außenministerkonferenzen vor.

Umsiedlung der Deutschen und Estland-Schweden Erste sowjetische Besetzung (1940/41). Durch Vernichtung, Verschickung und Einberufung Deutsche Besetzung (1941/42). Verluste der kämpfenden Verbände und durch Arbeitseinsatz in Deutschland Arbeitseinsatz in Deutschland (Russen und Polen) Vernichtung der Juden Flüchtlinge Zweite sowjetische Besetzung (1944—). U. a. Verschickung im Zusammenhang mit der Kollektivierung Durch Umsiedlung nach Polen 1945/47 • Estland 26 500 60 000 10 000 4 000 65 000 7 5 000 238 500

Daß die politische Entwicklung im baltischen Raum in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen trotz den vorhandenen Spannungen in verhältnismäßig ruhigen Bahnen verlaufen konnte, war vornehmlich eine Folge des Schwächezustandes, in dem sich die beiden benachbarten Großmächte, die Sowjetunion und Deutschland, befanden. Das im Laufe seiner wechselvollen Geschichte von seinen Nachbarn wiederholt zum Felde politischer Ambitionen erkorene baltische Gebiet wurde nun deren Machteinflüssen für einige Zeit entrückt. Verhältnismäßig frei von äußeren Einwirkungen konnten die drei neuentstandenen Staaten ihren inneren Aufbau vollziehen und im Bewußtsein ihrer Völker die junge Selbständigkeit fest verankern

Erzbischöfe und Bischöfe Priester Angehörige geistlicher Orden in Benutzung befindliche Kirchen Theologische Seminare Theologische Fakultäten 1939 14 1646 1586 1202 4 1 1948 1 ca. 400 — 600 1 —

Als dann in den dreißiger Jahren das Wiedererstarken Deutschlands und der Sowjetunion einen Wandel im Spiel der Kräfte ankündigte, hielten die sich vertiefenden politischen und weltanschaulichen Gegensätze zwischen den beiden Großmächten das Gleichgewicht zunächst weiter aufrecht. Dieser Zustand änderte sich jedoch von Grund auf, als die bisher gegeneinanderstehenden Mächte sich 1939 im Moskauer Vertrage einigten und in den Geheimprotokollen vom 23. August und 28. September 1939 ihre Interessensphären auf Kosten der kleinen Länder absteckten. Die baltischen Staaten wurden dadurch völlig überrascht. Vom Deutschen Reich im Stiche gelassen und ohne Aussicht auf wirksame Hilfe seitens der Westmächte, sahen sie sich zum Abschluß von Beistandspakten mit der Sowjetunion gezwungen, der sie militärische Stützpunkte und Flugplätze auf ihren Hoheitsgebieten einräumen mußten. Dagegen verpflichtete sich die Sowjetunion, die Souveränität ihrer Vertragspartner vorbehaltlos anzuerkennen und sich nicht in deren innere Angelegenheiten einzumischen Diese Zusicherungen, dienten, wie die Ereignisse des Sommers 1940 zeigten, nur zur Verschleierung ihrer wahren Absichten.

1945 1950 1955 Estland 24 56 69 Lettland 50 96 120 Litauen — 113 135

Noch am 29. März 1940 erklärte Molotow vor dem Obersten Sowjet in Moskau, daß die zufriedenstellende Ausführung der Verträge mit Estland, Lettland und Litauen die Voraussetzungen für eine weitere Besserung der Beziehungen zwischen den baltischen Staaten und der Sowjetunion schaffe. Keine drei Monate später forderte die Sowjetunion jedoch, ohne für ihr Vorgehen stichhaltige Gründe aufführen zu können, unter Ausnutzung der durch den Fall von Paris entstandenen außenpolitischen Lage von ihren Vertragspartnern in ultimativer Form die Zustimmung zur uneingeschränkten Besetzung ihres Staats-gebietes durch die Rote Armee und zur Bildung sowjetfreundlicher Regierungen. Angesichts der Bedrohung durch die sowjetischen Stützpunkte blieb den baltischen Staaten nichts anderes übrig, als sich dem Ultimatum zu fügen. Am 15. Juni nahm Litauen die sowjetischen Forderungen an; am 16. folgten Lettland und Estland. AIs Gegenleistung erklärte sich die Sowjetunion bereit, ihnen im Rahmen der geltenden Vertragsbestimmungen die staatliche Unabhängigkeit zuzusichern, doch war auch dieses Zugeständnis, wie sich bald erweisen sollte, keineswegs ernst gemeint

Dezember 1947 Januar 1949 März 1949 Mai 1949 September 1949 Dezember 1949 7 455 530 2 90'2 975 3 017 Estland 72, 0 82, 0 Lettland Zahl der Prozentsatz Zahl der Prozentsatz Zahl der Prozentsatz Kolchose der Betriebe Kolchose der Betriebe Kolchose der Betriebe 5 1 090 1 248 3 700 3 879 4 035 75, 0 90, 0 20 926 4 884 6 000 Litauen 50, 0

Seit dem 15. Juni marschierten sowjetische Truppen in die baltischen Staaten ein; zur gleichen Zeit begaben sich der Sekretär des Zentral-komitees und Leiter der Leningrader Parteiorganisation Zdanov sowie die stellvertretenden Außenminister Vysinskij und Dekanosov nach Reval, Riga und Kaunas, um als Beauftragte Moskaus die Bildung neuer, den Sowjets genehmer Regierungen durchzusetzen. Alle Fäden liefen bei Zdanov zusammen, der in der Revaler Sowjetgesandtschaft sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte.

Der Verlauf der weiteren Entwicklung, die nach wenigen Wochen in der Umgestaltung der baltischen Staaten zu sozialistischen Sowjetrepubliken und ihrer Einverleibung in die Sowjetunion gipfelte, ist mehrfach ausführlich dargestellt worden; hier sollen nur einige Tatsachen hervorgehoben werden, die besonders geeignet scheinen, die Methoden dieser politischen Sowjetisierung zu kennzeichnen.

Zunächst zeigte man sich auf sowjetischer Seite bemüht, die erregte Bevölkerung durch Versprechungen zu beruhigen. So versicherte Zdanov dem zum Ministerpräsidenten Estlands ausersehenen Arzt und Dichter Johannes Vares-Barbarus, die staatliche Unabhängigkeit Estlands würde erhalten bleiben, auch sei in Aussicht genommen, die sowjetischen Truppen bald wieder zurückzuziehen. Übereinstimmend erklärten die auf sowjetischen Druck eingesetzten neuen Regierungen zunächst, daß die Unabhängigkeit ihrer Staaten durch die Beistandspakte mit der Sowjetunion garantiert sei, daß keine verfassungswidrigen Reformen erfolgen würden und niemand an die Errichtung eines Sowjetregimes denke.

Es zeigte sich bald, daß die politischen Ziele der unter dem Schutz der sowjetischen Truppen rasch zu Einfluß gelangenden örtlichen kommunistischen Gruppen, die ihre Weisungen unmittelbar aus Moskau erhielten, in direktem Widerspruch zu diesen Beteuerungen standen. Schließlich war es Molotov selbst, der die wahren Absichten der Sowjetregierung ausdeckte. Dem nach Moskau gereisten litauischen Ministerpräsidenten und Außenminister Prof. Kreve-Mickevicius erklärte er am 30. Juni: Sie werden sehen, es dauert keine vier Monate mehr, bis die Bevölkerung aller baltischen Staaten für den Anschluß an die Sowjet- union stimmen wird ... Sie müssen die Realitäten im Auge behalten und verstehen, daß in Zukunft die kleinen Staaten verschwinden müssen. Ihr Litauen, wie audt die anderen baltisdten Staaten, werden sich zusammen mit Finnland der ehrenhaften Familie der Sowjetunion anschließen

Die von Molotov angedeutete Frist wurde in Wirklichkeit beträchtlich unterboten: bereits am 14. und 15. Juli 1940 fanden in den drei baltischen Staaten Wahlen statt, die das von ihm vorausgesagte Ergebnis hatten. Um Mißtrauen und Furcht innerhalb der Bevölkerung zu zerstreuen, wurden sie durch eine Fülle von Versprechungen eingeleitet. Im Programm der „Blocks des werktätigen Volkes“, der kommunistischen Wählerorganisationen, die nach Ausschaltung aller Gegenkandidaten mit ihren Listen allein dastanden, wurde Unantastbarkeit der Person und des Eigentums zugesichert. Aufrufe wandten sich gegen die Gerüchte von einer bevorstehenden Zwangskollektivierung und bezeichneten sie als provokatorische Machenschaften der Feinde des Volkes. „Es wird keine Konfiskationen und Nationalisierungen geben“, schrieb in einem Leitartikel die „Gina“, das Organ der Kommunistischen Partei Lettlands. Zur gleichen Zeit aber erklärte Vysinski auf einer Arbeiterkundgebung in Riga: „Aufgabe der Arbeiter, der Bauern, der arbeitenden Intelligenz und aller ehrlichen lettischen Patrioten ist es, unter Führung der lettischen Partei den Volkswillen nadt dem Muster der Brüder im Osten, die sich vom Ausbeutungsjoch befreit haben, zu organisieren“, das heißt, auch für Lettland die Sowjetisierung anzustreben Nur zu bald zeigte es sich, daß Vysinski recht behalten sollte. Als mit Hilfe entsprechender Wahlgesetze, durch Ausschaltung der Gegenkandidaten, Anwendung sämtlicher Möglichkeiten der Wahl-beeinflussung und schließlich durch Einführung einer Wählerkontrolle, welche alle Nichtwähler als Volksfeinde brandmarkte, in den drei Ländern die vorgeschriebenen Wahlergebnisse erzielt worden waren, wurden jegliche Rücksichten sofort fallen gelassen. Am 14. und 15. Juli fanden die Wahlen statt; schon am 21. traten die nur noch aus Kommunisten und Mitläufern bestehenden Parlamente zusammen und beschlossen durch einstimmige Billigung fast gleichlautender, in jedem Satz die Regie Moskaus zeigender Resolutionen, die bisherigen Frei-staaten Estland, Lettland und Litauen in sozialistische Sowjetrepubliken umzuwandeln und beim Obersten Sowjet um deren Aufnahme in die Sowjetunion nachzusuchen. Es folgten weitere Deklarationen über die Nationalisierung des gesamten Grund und Bodens sowie aller großen Unternehmungen des Handels, der Industrie, des Transportwesens und der Banken, wobei der Begriff „größere Unternehmungen“ nicht näher erläutert wurde.

So waren in wenigen Tagen alle früheren Versprechungen und Zusicherungen in nichts zerronnen. Mit Hilfe der sowjetischen Truppen, die während der Verhandlungen die Parlamentsgcbäude besetzt hielten, waren die gesteckten Ziele erreicht. Eine weitere Rücksichtnahme auf die Volksstimmung erschien überflüssig; der letzte Akt konnte beginnen. Delegationen der drei nunmehr völlig gleichgeschalteten Parlamente fuhren noch Moskau und trugen dort dem Obersten Sowjet ihre Bitten um Aufnahme in die UdSSR vor, denen selbstverständlich stattgegeben wurde. In Gegenwart Stalins wurden „unter stürmischem Beifall“ aller Abgeordneten des Obersten Sowjets am 3. August 1940 Litauen, am 5. August Lettland und am 6. August Estland durch einstimmig angenommene Gesetze als 14., 15. und 16. Teilrepublik der Sowjetunion einverleibt.

Durch die Eingliederung in die Sowjetunion wurden die baltischen Staaten vorbehaltlos dem kommunistischen System ausgeliefert, dessen sie sich aus eigener Kraft nun nicht mehr erwehren konnten Gleichzeitige Beschlüsse der Parlamente Estlands, Lettlands und Litauens hatten am 25. August 1 40 die Einführung neuer, in Moskau nach dem Muster der übrigen Unionsrepubliken entworfener Verfassungen zur Folge. Die Parlamente verwandelten sich selbst in „Oberste Sowjets“, aus den bisherigen Regierungsmitgliedern wurden „Volkskommissare“. Der Annahme der neuen Verfassungen folgte die Gleichschaltung auf militärischem Gebiet; als „territoriale Schützenkorps“ wurden die Armeen der baltischen Staaten in den Bestand der Roten Armee übernommen. Jetzt senkte sich auch vor der Bevölkerung endgültig der „Eiserne Vorhang“: alle bisherigen Staatsbürger der baltischen Republiken wurden sowjetische Staatsangehörige, und zwar rückwirkend vom Tage der Vereinigung mit der Sowjetunion. Damit war auf der staatlichen Ebene die Einverleibung in der Hauptsache vollzogen; auf der parteipolitischen folgte sie wenige Wochen später durch die Verwandlung der baltischen kommunistischen Parteien in Gliederorganisationen der Kommunistischen Partei der UdSSR.

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeit — von einer echten Souveränität kann bei den baltischen Sowjetrepubliken, trotz der von kommunistischer Seite immer wieder vertretenen gegenteiligen Auffassung, nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassungen nicht mehr die Rede sein — bahnte sich auf allen Gebieten des gesellschaftlichen wirtschaftlichen und kulturellen Lebens ein völliger Strukturwandel an. Nach und nach verschwanden alle staatlichen, kommunalen und privaten Organisationen, in deren Rahmen sich ein vielseitiges und reichgegliedertes Gemeinschaftsleben abgespielt hatte. Echte Parteien hatte es in den baltischen Staaten schon seit der Einführung autoritärer Regierungssysteme in den dreißiger Jahren nicht mehr gegeben; sie waren durch willfährige politische Verbände ersetzt worden, die nun als erste der Auflösung unterlagen. Ein gleiches Schicksal widerfuhr den in der Abwehr kommunistischer Einflüsse bewährten, finnischem Muster nachgebildeten halbmilitärischen Schutzwehren Schließlich wurden nahezu alle bestehenden Verbände und Vereine — in Estland allein mehr als 4000 — unabhängig von ihrer Zielsetzung, geschlossen. Diese Aktionen wurden von zahlreichen Verhaftungen und anderen Terrormaßnahmen begleitet: die bisherige Ordnung sollte sowohl in institutioneller wie in personeller Hinsicht möglichst gründlich und schnell beseitigt werden. Überwältigt vom Wirbel der Ereignisse, durch den Zusammenbruch aller gewohnten Lebensformen jedes äußeren Haltes beraubt, sah sich der einzelne Staatsbürger bald schütz-und beziehungslos einer übermächtigen Zentralgewalt gegenübergestellt, die ihn zum Objekt eines wohlüberlegten, mit unerbittlicher Folgerichtigkeit ablaufenden Sowjetisierungsprozesses machte, der letzten Endes darauf hinzielte, ihm die Existenz in persönlicher Sicherheit und Freiheit unmöglich zu machen.

Wie sich dieser Prozeß im einzelnen vollzog, wird in den folgenden Abschnitten an Hand von Beispielen näher dargestellt werden. E i n solches Beispiel aus der Reihe der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen sei hier vorweggenommen, weil es die angewandten Methoden besonders deutlich charakterisiert Bereits in den ersten Tagen der sowjetischen Besetzung wurden in allen baltischen Staaten Bankenmoratorien erlassen. Die Höhe der zulässigen Auszahlungen wurde auf einen geringfügigen Betrag (in Estland 100 Kr., in Lettland 100 Lat im Monat) beschränkt. Dieser Betrag wurde auch nicht erhöht, als durch die Angleichung an das sowjetische Preisniveau und die Einführung der Rubelwährung die Kaufkraft des Geldes nur noch ein Sechstel bis ein Achtel ihres früheren Standes betrug. Die Entwicklung endete schließlich damit, daß Anfang 1941 alle Guthaben über 1000 Rubel der Beschlagnahme verfielen, der Rest aber, dessen Kaufkraft sich inzwischen weiter verringert hatte, zur Auszahlung freigegeben wurde. Bezeichnenderweise wurden die entsprechenden Beschlüsse der Räte der Volkskommissare nicht veröffentlicht. Die Konfiskation nahezu aller Ersparnisse der Bevölkerung sollte möglichst lautlos erfolgen, ein Prinzip, an das man sich auch bei der Durchführung anderer Zwangsmaßnahmen nach Möglichkeit hielt, um die Erregung nicht noch weiter zu steigern.

So wurde durch ein System, welches sich auf der einen Seite auf Vermögenskonfiskationen, Währungsmanipulationen, Preiserhöhungen und die Zerschlagung der bisherigen sozialen Ordnung, auf der anderen auf Verhaftungen und physischen Terror stützte, das oben angedeutete Ziel im Verlaufe nur weniger Monate erreicht. Als die Bevölkerung der jüngsten Sowjetrepubliken am 12. Januar 1941 durch Teilnahme an den Wahlen in den Obersten Sowjet zum ersten Mal ihren staatsbürgerlichen Pflichten der UdSSR gegenüber nachkam, hatte der Sowjetisierungsvorgang auf vielen Gebieten bereits einen gewissen Abschluß gefunden.

Zu einer vollständigen Angleichung an die Verhältnisse im Innern der Sowjetunion ist es jedoch in der ersten, nur ein Jahr währenden Besatzungszeit noch nicht gekommen. Mit Rücksicht auf die Stimmung der ländlichen Bevölkerung wurde auf Kollektivierungspläne zunächst verzichtet, auch wurden Preise und Steuern noch nicht auf den in den übrigen Unionsrepubliken geltenden Stand gebracht. Diese Zurückhaltung wäre aber wahrscheinlich bald aufgegeben worden, wenn nicht der Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges und die Eroberung der baltischen Staaten durch deutsche Truppen im Sommer 1941 das Sowjet-regime für mehrere Jahre wieder beseitigt hätten.

Als es dann im Herbst und Winter 1944 nach der Räumung des Landes durch die Deutschen wieder eingeführt wurde, brauchten keinerlei Rücksichten mehr genommen zu werden. Jetzt begann die totale Sowjetisierung, deren Verlauf im folgenden kurz geschildert werden soll. 2. Staat und Verwaltung Bei der Eingliederung in die UdSSR war gegenüber den baltischen Staaten die benachbarte Russische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) der stärkere Partner; das wirkte sich auch in territorialer Hinsicht ungünstig aus. Nach der zweiten sowjetischen Besetzung in den Jahren 1944/4 5 mußten sowohl Estland wie Lettland widerspruchslos Land-einbußen zugunsten der RSFSR hinnehmen, und zwar auf Kosten jener Grenzgebiete, welche ihnen die Sowjetunion 1920 in den Friedensverträgen von Dorpat und Riga abgetreten hatte Durch Dekrete vom 15. und 16. Januar 1945 schuf der Oberste Sowjet der RSFSR innerhalb des Pleskauer Gebiets (Pskovskaja oblast') drei neu Rayons: Pecory, Kacanova und Pytalovo aus Teilen des estnischen Kreises Petserimaa (Petschur) und des lettischen Kreises Abrene (Abrehnen) Estland verlor außerdem noch den Landstrich östlich des Flusses Narva und damit insgesamt die Städte Petseri (Petschur und Irborsk) sowie zehn Landgemeinden (Amtsbezirke) . Lettlands Verlust beschränkte sich auf den Ostteil des Kreises Abrene (früher Jaunlatgale) mit der gleichnamigen Kreisstadt sowie auf zwei früher zum Kreise Daugavpils (Dünaburg) gehörende Gemeinden. Das Staatsgebiet Estlands verringerte sich dadurch von 47 549 (1940) auf rund 45 000 qkm (1945), dasjenige Lettlands von 65 791 auf rund 64 500 qkm. Bei diesen Landabtretungen dürften nationale Gesichtspunkte ausschlaggebend gewesen sein: die Bevölkerung der in die RSFSR wiedereingegliederten Gebiete bestand in der Mehrheit aus Russen.

Anders liegen die Dinge bei Litauen, das 1939 durch die Rückgewinnung des Wilnagebietes einen erheblichen Gebietszuwachs (rund 13 500 qkm) erfahren hatte. Ein weiterer geringer Zuwachs ergab sich 1940 aus einigen Grenzberichtigungen mit der Weißruthenischen SSR .

Wie der Gebietsstand blieb bei der ersten Besetzung der baltischen Staaten durch die Sowjetunion auch die Verwaltungsgliederung ziemlich unangetastet. Erst als die Kollektivierung des bäuerlichen Grundbesitzes 1950 in der Hauptsache abgeschlossen war, erfolgte auch in administrativer Hinsicht die Angleichung an das System der Sowjetunion. Die bisherigen Verwaltungseinheiten — Kreise und Landgemeinden (Amtsbezirke) — wurden beseitigt und durch die nach wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten neu geschaffenen Rayons und Dorfsowjets ersetzt. Bei der Abschaffung der Kreise, die sich zum Teil durch Jahrhunderte in den gleichen Grenzen erhalten hatten, spielte deutlich die Absicht mit, auch verwaltungsmäßig die geschichtlich gewordenen Formen zu beseitigen und durch Bildung neuer Einheiten den Prozeß der Zersetzung aller früheren Bindungen zu fördern.

Die Veränderung im Verwaltungssystem zeigt folgende Gegenüberstellung .

Die dreistufige Verwaltung wurde in Litauen bereits 1950 mit vier Gebieten (oblasti) als höheren, den Rayons übergeordneten Einheiten eingeführt; 1952 folgten Lettland und Estland mit je drei Gebieten. Diese Neuerung erwies sich aber sehr bald als unzweckmäßig, denn schon 1953 wurden die „Gebiete" als Verwaltungseinheiten wieder abgeschafft. Hauptgrund dafür war wohl das rapide Anwachsen der Bürokratie, da nach vorliegenden Schätzungen jedes Gebiet rund 400 neue Partei-und Staatsfunktionäre erforderte. Statt Partei und Staat, wie es die Parteipresse erhoffte, den breiten Schichten der Bevölkerung näherzubringen, drohte die Neuregelung den Druck des ohnehin schon überbesetzten Verwaltungsapparates ins Unerträgliche zu steigern.

So strebte denn auch die 1954 erfolgte, bisher letzte Reform auf administrativem Gebiet eine Vereinfachung an. Sie setzte die Zahl der Dorfsowjets erheblich herab: in Estland von 641 auf 320, in Lettland von 1229 auf 708, in Litauen von 2774 auf 1224, und zwar mit der Begründung, die Arbeit der Dorfsowjets müsse sowohl für die Aufgaben der Verwaltung als auch des kulturellen und wirtschaftlichen Aufbaus verbessert werden; auch sei es erforderlich gewesen, ihre Grenzen den von Kolchosen und Sowchosen genutzten Ländereien anzugleichen

Dennoch wollen die Klagen über den aufgeblähten und schwerfälligen Verwaltungsapparat nicht verstummen. Sie richten sich gegen die Ministerien und Verwaltungsstellen aller Stufen in den Städten wie auf dem Lande, und es wird von ihnen noch an anderer Stelle die Rede sein müssen.

3. Bevölkerung Bereits während der ersten sowjetischen Besetzung bahnten sich in der Bevölkerungsstruktur der baltischen Staaten Wandlungen an, die nach 1944 in raschem Tempo fortschritten. Für das baltische Gebiet ist eine charakteristische Begleiterscheinung dieser Prozesse die allmähliche Russifizierung des Landes. Sie erfolgt durch das Eindringen fremden, hauptsächlich russischen Volkstums, das in zunehmendem Maße die ansässige estnische, lettische und litauische Bevölkerung durchsetzt und zurückdrängt. Die Hauptvoraussetzungen für diesen Infiltrationsvorgang bilden die ungeheuren Menschenverluste seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, deren Umfang sich aus der folgenden Übersicht ergibt (die freilich mangels zuverlässiger statistischer Unterlagen nur das Ergebnis von Schätzungen darstellt):

Bevölkerungsverluste

1940-1952

Vor dem Zweiten Weltkriege stellten die Esten bei einer Gesamtbevölkerung von 1 126 413 88 v. H.der Einwohner ihres Landes, die Letten bei 1 950 502 76 v. H., die Litauer bei 2 028 971 (ohne Memel-und Wilnagebiet) 83 v. H. Die amtliche Statistik der Sowjetunion nennt für 1956 folgende Bevölkerungszahlen: Estland 1 100 000, Lettland rund 2 000 000, Litauen rund 2 700 000 (mit Memel-und Wilnagebiet) Danach sind die Vorkriegszahlen für Estland fast wieder erreicht, für Lettland und Litauen bereits überholt. Doch ist der Anteil der Einheimischen an der Gesamtbevölkerung stark zurückgegangen und beträgt zum Beispiel heute bei den Esten und Letten nur noch 62 bzw. 60 v. H. Die Verluste sind somit überwiegend durch die Einwanderung aus der Sowjetunion wettgemacht worden. Wenn man bedenkt, daß Estland und Lettland schon zur Zeit ihrer Unabhängigkeit einen außerordentlich geringen Bevölkerungszuwachs hatten und damals bereits gezwungen waren, für die Landwirtschaft auswärtige Arbeitskräfte anzuwerben, so wird verständlich, eine wie starke Sogwirkung von den durch die Bevölkerungsverluste entstandenen Leerräumen ausgehen mußte. Diese steigerte sich noch in dem Maße, wie die Eingliederung der baltischen Länder in die Wirtschaft der Sowjetunion fortschritt.

Das Einsickern fremder Elemente vollzieht sich sowohl als Unterwanderung wie als Überlagerung der einheimischen Bevölkerung. Die Überlagerung erfolgt durch die russischen Funktionäre und Militärpersonen. vor allem aber durch die in der Sowjetunion beheimatete Schicht der sogenannten Rußlandesten, -letten und -litauer. Bei ihnen handelt es sich um meist bis auf das äußere Merkmal des Namens entnationalisicrte Gruppen politischer Emigranten und früherer Rußlandauswanderer sowie ihre Nachkommen, die heute in der Partei, der Verwaltung und im Bildungswesen dieser Staaten eine erhebliche Rolle spielen. Wegen ihrer landesüblichen Namen (die bei Esten und Letten häufig deutschen Ursprungs sind) sind sie schwer von der eingesessenen Bevölkerung zu unterscheiden, deren Sprache sie jedoch oft nur noch mangelhaft beherrschen Diese „Rußlandbalten", die unter Russen ausgewachsen, sich deren Mentalität und politische Anschauungen völlig zu eigen gemacht haben, leisten heute dem Sowjetregime willkommene Vorspann-dienste. Die eigentlichen Russen, soweit sie zur Oberschicht gehören, finden sich am zahlreichsten in führenden Stellungen der Partei, der Verwaltung und vor allem der Wirtschaft dieser Länder; in den der Moskauer Zentralregierung unmittelbar unterstellten Verwaltungen und Industrien sind die leitenden Posten fast ausnahmslos durch sie besetzt. Daneben stellen sie heute auch schon einen sehr beträchtlichen Teil der technischen Funktionärsschicht, zum Beispiel der Direktoren der Traktorenstationen (MTS).

Parallel zu dieser Überlagerung durch russische oder dem eigenen Volkstum entfremdete baltische Elemente vollzieht sich auf einer tieferen, aber auch viel breiteren Ebene ein Prozeß der LInterwanderung, an dem neben Russen Angehörige fast aller Völkerschaften der Sowjetunion in größeren oder kleineren Gruppen beteiligt sind. Seit 194 5 ergießt sich, zum Teil spontan, zum Teil durch die Behörden gelenkt, ein Strom russischer Arbeiter in das Gebiet der baltischen Staaten, wo er sich auf die größeren Städte und die stärker industrialisierten Land-gebiete, wie zum Beispiel das Ölschiefergebiet in Estland, verteilt In den sprunghaft gewachsenen Städten Riga, Reval und Libau kommt, wenn man das Militär mit berücksichtigt, der russische Bevölkerungsanteil dem einheimischen zahlenmäßig schon sehr nahe; in Narva und den aufsteigenden Industriestädten und -Siedlungen des Ölschiefergebiets übertrifft er diesen bereits. Wie bunt die eingewanderte Arbeiterschaft in nationaler Hinsicht zusammengesetzt ist, zeigt ein Bericht über die Baltische Baumwollspinnerei in Reval: Dort arbeiteten 1952 die Angehörigen von 14 Völkerschaften, darunter Russen, Esten, Weißruthenen, Bessarabier, Mordwinen, Tataren und Baschkiren. Die Verfasserin des Berichts selbst ist Spanierin 4. Rechtswesen • Dem Inkrafttreten der neuen Verfassungen am August 1940 folgte unmittelbar die Übertragung der sowjetischen Staatsangehörigkeit an alle bisherigen Bürger der baltischen Republiken 25). Im Aus-lande befindliche Personen mußten zwecks Erwerb der sowjetischen Staatsangehörigkeit sich bis zum 1. November 1940 bei den diplomatischen oder konsularischen Vertretungen der UdSSR melden. Soweit sie in amtlichen Funktionen ins Ausland gereist waren und sich weigerten, in die Heimat zurückzukehren, wurden sie als Staatsverräter betrachtet. Als solche konnten sie für rechtlos erklärt und von den Organen des Volkskommissariats des Innern (NKWD) im Verwaltungsverfahren zum Tode sowie zur Einziehung des Vermögens verurteilt werden; auch war ihnen gegenüber als Druckmittel die Anwendung der Sippenhaftung zulässig. Die Übertragung der sowjetischen Staatsbürgerschaft erfolgte unmittelbar von Moskau aus durch Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets, ohne Beteiligung der örtlichen Instanzen. Nach vollzogener Eingliederung der Staaten wurden nun auch deren einzelne Bürger aus der bisherigen nationalstaatlichen Bindung gelöst und als „Sowjetmenschen“ der Atomisierung preisgegeben.

In ähnlicher Weise wie die Regelung der Staatsangehörigkeitsfrage erfolgte auch die Umgestaltung des Rechtswesens Durch die neuen Verfassungen der baltischen Republiken wurden deren bisherige Rechts-und Gerichtsorgane zugunsten der sowjetischen beseitigt. Obwohl nach § 19 der Verfassung der UdSSR die in ihr geltenden Gesetze auch in den Teilrepubliken Rechtskraft besitzen erfolgte zunächst noch keine schematische Übernahme der sowjetischen Rechtsnormen. Erst Anfang November schien der Zeipunkt dafür gekommen. „Auf Bitten der baltischen Sowjetrepubliken“ ordnete ein Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets für die baltischen Staaten die Einführung von Gesetzbüchern der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) an, und zwar des russischen Zivilkodex von 1922, des Kriminalkodex von 1926, der Zivilprozeßordnung von 1923, der Strafprozeß-Ordnung von 1923 sowie des Ehe-, Familien-und Vormundschaftsrechts. Es folgten die Verordnungen des Rates der Volkskommissare der UdSSR über die Aufhebung der bisherigen Zolltarife, Regelung der Binnenschiffahrt, Einführung der sowjetischen Eisenbahngesetze u. a. m. Auch in diesen Fällen setzten sich die Moskauer Zentralbehörden über die Regierungsorgane der baltischen Teilrepubliken hinweg; ihre durch die neuen Verfassungen schon aufs äußerste beschnittenen Verwaltungsbefugnisse wurden selbst innerhalb dieser engen Grenzen keineswegs immer respektiert.

Beteiligt waren dagegen die örtlichen Stellen gemäß den neuen Verfassungen, wenn auch nur in formaler Hinsicht, bei der Umgestaltung der Gerichtsordnung. Durch Dekret der Obersten Sowjets Estlands, Lettlands und Litauens wurde das nach überkommenen westlichen Rechts-prinzipien aufgebaute, in über zwei Jahrzehnten bewährte Rechtsprechungssystem der baltischen Länder beseitigt und durch die sowjetische Gerichtsverfassung ersetzt. Höchste Gerichtsorgane der baltischen Teil-republiken wurden die von dem jeweiligen Obersten Sowjet auf fünf Jahre gewählten Obersten Gerichte. Die ihrer Aufsicht unterstellten Volksgerichte waren ursprünglich von den örtlichen Sowjets ernannt; sie werden heute von den Einwohnern der Bezirke und Städte auf drei Jahre unmittelbar gewählt. Die Unabsetzbarkeit der Richter wurde beseitigt und die Möglichkeit geschaffen, sie während ihrer Amtsperiode abzuberufen. Wohl ist in den Verfassungen eine Bestimmung verankert, die den Richtern Unabhängigkeit und alleinige Unterstellung unter die Gesetze zusichert; da aber die Gerichte der ständigen Kontrolle durch die Organe des Staates und der Partei unterworfen sind, ist diese Bestimmung ohne große praktische Bedeutung. Keinesfalls vermag sie den Richtern jene Unabhängigkeit zu garantieren, wie sie in den nichtkommunistischen Ländern durch die Anwendung des Prinzips der Unabsetzbarkeit gewährleistet ist.

Im Widerspruch zu westlichem Rechtsdenken steht es auch, wenn neu-eingeführten Strafgesetzen rückwirkende Kraft verliehen wird, um eine Handhabe für die Beseitigung politischer Gegner zu gewinnen. Diesen Zweck verfolgten die Übergangsbestimmungen des Dekrets über die Einführung des Kriminalkodex der RSFSR, wonach dieser auch auf Handlungen Anwendung finden sollte, die vor der Errichtung der Sowjetherrschaft begangen worden waren, darunter auch auf solche, welche die bisher geltenden Strafgesetze nicht als strafwürdige Vergehen bezeichneten

Die gesamte Aufsicht über die verfassungsmäßige Ausübung der Staatsgewalt sowie die richtige Anwendung der geltenden Gesetze auch für die baltischen Teilrepubliken übernahm der Generalstaatsanwalt der UdSSR; dazu wurde die sowjetische Verwaltungs-Strafgerichtsbarkeit, ausgeübt durch die Organe der Ministerien des Innern (MWD), eingeführt. Diese Maßnahmen trugen vollends dazu bei, die bisher im Rechtsleben der baltischen Länder maßgebenden rechtsstaatlichen Formen zu zersetzen und den fiktiven Charakter der den Staatsbürgern auch durch die neuen Verfassungen zugesicherten Grundrechte bloßzustellen.

Somit war auf dem Gebiet des Rechtswesens die Sowjetisierung schon während der ersten Besatzungszeit (1940/41) nahezu abgeschlossen Die rechtlichen Handhaben waren geschaffen, um sie auch auf allen übrigen Lebensgebieten, wenn nötig mit Gewalt, vorwärtszutreiben. -So haben die folgenden Jahre an dem einmal errichteten System grundsätzlich kaum mehr etwas geändert, nur die Auswirkungen wurden zum Teil erst später spürbar und haben zu einer weitgehenden Verwirrung der Rechtsbegriffe geführt. Die zunehmende Kriminalität, besonders unter den Jugendlichen, gibt Anlaß zu ständigen Klagen (die Unsicherheit ist in vielen Städten so groß, daß sich die Einwohner nachts kaum noch auf die Straße wagen). Die sowjetische Gerichtsbarkeit vollzieht'sich im allgemeinen unter Ausschluß der Öffentlichkeit; hin und wieder gelangen aber doch Berichte in die Presse, welche ein grelles Licht auf die herrschenden Zustände werfen. Der sogenannte „Hooliganismus“ der Jugend ist es vor allem, welcher wie in der gesamten Sowjetunion so auch in den baltischen Republiken den Behörden wachsende Sorgen bereitet zumal gerade die Kinder der neuen Oberschicht häufig an den unter diesen Begriff fallenden Straftaten beteiligt sind.

Auf die Agrargesetzgebung wird im Zusammenhang mit der Entwicklung der Landwirtschaft noch einzugehen sein.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die baltischen Republiken heute mit der RSFSR, deren Gesetzbücher sie im wesentlichen übernommen haben, ein Gebiet einheitlichen Rechts bilden, das nur durch administrative Grenzen, die erfahrungsgemäß jederzeit verschoben werden können, aufgeteilt ist und das in allen wichtigen Entscheidungen der unmittelbaren Aufsicht und Initiative der Moskauer Spitzen von Partei und Staat unterliegt. 5. Kirchliche Verhältnisse Die drei baltischen Staaten boten in konfessioneller Hinsicht kein einheitliches Bild. Während in Estland die evangelisch-lutherische Kirche mit 77, 5 v. H.der Bevölkerung das Übergewicht besaß, gehörten in Litauen nicht weniger als 8 5 v. H.der katholischen Kirche an. Lettland stand mit 56 v. H. Evangelischen und 24 v. H. Katholiken zwischen seinen beiden baltischen Nachbarn. Ebenso ungleich war die Verteilung der Anhänger der nächststärksten Konfessionen — der griechisch-orthodoxen und mosaischen. Entsprechend der Bevölkerungsverteilung wies Litauen mit 7, 6 v. H.der Gesamtbevölkerung die größte Zahl von Angehörigen des mosaischen Glaubensbekenntnisses auf, während in Estland die griechisch-orthodoxe Kirche mit fast 19 v. H.den Platz hinter der evangelisch-lutherischen Kirche behauptete. Mit 8, 5 v. H. Orthodoxen und 4, 8 v. H. Glaubensjuden nahm Lettland auch hier eine Zwischenstellung ein

Als unmittelbar nach dem Umsturz im Sommer 1940 seitens der neuen Regierungen die ersten kirchenfeindlichen Maßnahmen getroffen wurden, ließen sich in der Behandlung der einzelnen Konfessionen zunächst noch keine wesentlichen Abweichungen feststellen Die antireligiöse Propaganda wandte sich unterschiedslos gegen alle Glaubensbekenntnisse. Wenn in der Praxis gegenüber der griechisch-orthodoxen Kirche gewisse Rücksichten genommen wurden, so geschah dies wohl in der Absicht, ihre in der Mehrzahl dem russischen Volkstum angehörigen Mitglieder leichter für das neue Regime zu gewinnen. Diese Sonderstellung wurde augenfälliger, als die Sowjetregierung während des Zweiten Weltkrieges mit der griechisch-orthodoxen Kirche nach außen hin Frieden schloß und ihr unter den Glaubensgemeinschaften der Sowjetunion eine bevorzugte Stellung einräumte. Die orthodoxen Kirchen Lettlands und Estlands mußten die mildere Behandlung aber mit dem Preis ihrer Eigenständigkeit bezahlen. Sie wurden gezwungen, die Verbindung zum Patriarchen von Moskau zu unterstellen. Damit gingen sie völlig in der vom Staate gelenkten russischen Kirche auf. Ob diese nach dem Vor-bilde zaristischer Kirchenpolitik heute wieder staatlichen Entnationalisierungs-und Russifzierungsbestrebungen dienen muß, läßt sich schwer beurteilen; die Vermutung, daß sie in den nationalen und konfessionellen Mischgebieten an der Ostgrenze der baltischen Länder in diesem Sinne wirkt, ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.

Den gefährlichsten ideologischen Gegner erblickten die Kommunisten von Anbeginn an in den abendländischen Konfessionen. Im Laufe der Geschichte der baltischen Länder hatten im Norden das Luthertum, im Süden der Katholizismus ihre führende Stellung behauptet; sie blieben mit der Bevölkerung aufs engste verbunden. Diese Stellung zu vernichten und das Vertrauen der Bevölkerung zur Kirche zu untergraben, wurde das Ziel der antireligiösen Propaganda.

Ihr gegenüber befand sich die evangelisch-lutherische Kirche in ungünstiger Ausgangsstellung wegen der Einbußen, die sie durch die Umsiedlung der überwiegend evangelischen deutschen Bevölkerungsteile erlitten hatte. Allein in Estland hatten 1939/41 53 deutsche evangelische Prediger das Land verlassen, darunter 28 Betreuer estnischer Kirchengemeinden Auch in Lettland war die evangelische Kirche durch den Verlust zahlreicher Pfarrer und Gemeindeglieder geschwächt, als die Bewährungsprobe begann.

Die erste Phase der Unterdrückung stand im Zeichen politischer und wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen. Die Kirchen büßten ihre rechtliche Sonderstellung ein, ihr Besitz wurde entschädigungslos enteignet, für die Benutzung der beschlagnahmten Kirchengebäude mußten hohe Steuern entrichtet werden. Die Theologischen Fakultäten in Dorpat und Riga wurden geschlossen, der Religionsunterricht an den Schulen untersagt, der Verkauf religiöser Schriften unterbunden Die nächste Phase wurde durch den Terror gegen die Amtsträger der Kirche gekennzeichnet. Zu Volksfeinden gestempelt, waren sie jeder Art von Schikanen ausgesetzt. Da sie als nichtarbeitende Personen galten, mußten sie für Wohnung Beleuchtung und andere Lebensbedürfnisse ein Vielfaches der sonst geltenden Preise bezahlen. Der Stromtarif für die Beleuchtung der Kirchen war vierzehnmal höher als die übliche Norm. Für kirchliche Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen und Beerdigungen wurden erhebliche Steuern gefordert. Unter dem Schlagwort „Kampf gegen die Religion ist Kampf für den Kommunismus" schalteten sich die „Verbände der aktiven Gottlosen“ in die antikirchliche Bewegung ein

Seinen Höhepunkt erreichte der Terror in den letzten Wochen der ersten sowjetischen Besetzung, nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges. In Estland wurden zwei Pastoren ermordet, 15 verhaftet und verschleppt, darunter der ehemalige Bischof Dr. Rahamägi, in Lettland fielen 41 Geistliche den Verfolgungen zum Opfer; zu den Verhafteten zählten u. a. zwei Professoren der Rigaer Theologischen Fakultät.

Die große Flüchtlingswelle vor der zweiten sowjetischen Besetzung im Herbst 1944 riß neue Lücken in die schon gelichteten Reihen der kirchlichen Amtsträger. Mit den Oberhäuptern der evangelisch-lutherischen Kirchen Lettlands und Estlands verließen zahlreiche Geistliche das Land, um in Deutschland oder Schweden Schutz zu suchen. Infolgedessen sank in Estland die Zahl der Pastoren von 170 (1939) auf 77 (1945); die Verhaftungen der nächsten Jahre verursachten einen weiteren Rückgang, so daß 1952 in Estland nur noc Geistliche den Verfolgungen zum Opfer; zu den Verhafteten zählten u. a. zwei Professoren der Rigaer Theologischen Fakultät.

Die große Flüchtlingswelle vor der zweiten sowjetischen Besetzung im Herbst 1944 riß neue Lücken in die schon gelichteten Reihen der kirchlichen Amtsträger. Mit den Oberhäuptern der evangelisch-lutherischen Kirchen Lettlands und Estlands verließen zahlreiche Geistliche das Land, um in Deutschland oder Schweden Schutz zu suchen. Infolgedessen sank in Estland die Zahl der Pastoren von 170 (1939) auf 77 (1945); die Verhaftungen der nächsten Jahre verursachten einen weiteren Rückgang, so daß 1952 in Estland nur noch 63 Pastoren verblieben .

Seit dem Anfang der fünfziger Jahre scheint man sich sowjetischerseits immer mehr von der Unwirksamkeit des Terrorsystems überzeugt zu haben. Die Organe der politischen Polizei zogen sich zurück und überließen es der „Gesellschaft zur Verbreitung politischer und wissenschaftlicher Kenntnisse“, den Kampf auf ideologischem Gebiet durchzufechten. Es setzte eine breit angelegte „wissenschaftlich-atheistische“ Propagandatätigkeit ein, die aber auch erfolglos blieb, weil sie mit Mitteln geführt wurde, die eher abzuschrecken als zu überzeugen vermochten

Entsprechend dem bekannten Beschluß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion vom 11. November 1954 „über die Fehler bei der Durchführung der wissenschaftlichen Aufklärungspropaganda“ wurde der antireligiösen Agitation eine mehr von taktischen Erwägungen bestimmte Richtung gegeben. Ein estnischer Parteifunktionär gab in diesem Zusammenhang zu, daß sich die wissenschaftlichatheistische Propaganda häufig allzu primitiver Formen bedient habe. Es müsse dafür gesorgt werden, daß die religiösen Gefühle der Gläubigen wie der kirchlichen Amtsträger in Zukunft nicht mehr verletzt würden Dieser, unter dem Einfluß von Chruev zustande gekommene Parteibeschluß bestimmt auch heute noch das Verhältnis zwischen Kirche und Staat.

In Litauen war die katholische Kirche wegen ihrer Machtstellung und ihres Einflusses auf das geistige und soziale Leben des Landes besonders schweren Verfolgungen ausgesetzt. Auch ihr gegenüber begannen die feindlichen Maßnahmen sofort mit der Errichtung des kommunistischen Regimes und mit noch größerer Schärfe. Die Theologische Fakultät an der Universität Kaunas wurde geschlossen, die Priesterseminare unterlagen bis auf eines der Auflösung, ihre Häuser wurden der Roten Armee übergeben. Schon während der ersten sowjetischen Besetzung wurden 42 Priester verhaftet oder getötet. Nach 1944 vermehrte sich die Zahl der Opfer derart, daß von 1646 (1939) amtierenden Priestern nur noch 400 (1948) übrigblieben. Ein Bild der Verluste gibt nachstehende Tabelle:

Wiederholte Bemühungen der kommunistischen Machthaber, die Geistlichkeit zur Gründung einer von Rom unabhängigen litauischen Nationalkirche zu bewegen, blieben erfolglos. Noch im Frühjahr 19 52 unternommene Versuche des 1. Parteisekretärs, A. Snieckus, und des Direktors der Abteilung für Kultusangelegenheiten beim Ministerrat der Litauischen SSR, B. Pusinis, konnten die Vertreter der Kirche nicht von ihrem ablehnenden Standpunkt abbringen.

Mit der Zeit ist aber auch in Litauen der Terror einer vorsichtigeren Behandlung der Kirchenfragen gewichen. Die „wissenschaftlich-atheistische Propaganda“ kann wegen des Fehlens überzeugender Argumente ebensowenig ausrichten wie gegenüber der evangelisch-lutherischen Kirche. Wenn der Einfluß’ der Kirche trotzdem geringer wird, so beruht dies auf der Tatsache, daß sie allein auf die gottesdienstlichen Handlungen beschränkt ist und über keinerlei andere Mittel der geistigen Einflußnahme mehr verfügt. Es besteht die dauernde Gefahr, daß die in Schule und Jugendorganisation ständig der antireligiösen Propaganda ausgesetzten jungen Menschen ihr allmählich entgleiten. Die wiederholten Klagen über allzu geringe Erfolge der ideologischen Schulung zeigen aber, daß der Abfall der Jugend von der Kirche noch keine sehr großen Ausmaße angenommen hat. Das entspräche nur der Wirkungslosigkeit der „wissenschaftlich-atheistischen“ Aufklärungsarbeit unter den Erwachsenen, von welcher der 1. Sekretär der KP Litauens Snieckus im Februar 1954 feststellte, daß sie ernste Mängel aufweise und es bisher nicht vermocht habe,den reaktionären Klerus in den Augen des Volkes als Handlanger des anterikaniscken Iniperialisntus zu entlarven“.

Die Nachrichten über den gegenwärtigen Zustand in den baltischen Ländern lassen darauf schließen, daß das religiöse Leben neue Impulse erhalten hat, nachdem der staatliche Druck auf die Kirchen seit Ende 1954 schwächer geworden ist. Sogar die kommunistische Presse gibt zu, daß die regelmäßig abgehaltenen Gottesdienste aller Konfessionen gut besucht sind, kirchliche Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen häufig stattfinden und junge Menschen in wachsender Zahl, darunter sogar Mitglieder des Komsomol, an den Konfirmationen teilnehmen. In Estland sind bei Schülern einer höheren Schule der im Industriebezirk gelegenen Stadt Jewe (Jöhvi) an einem Tage 20 kirchliche Gesangbücher beschlagnahmt worden. Praktisch verboten ist der Kirchenbesuch nur den sogenannten „ideologischen Arbeitern“ und den Lehrern. Das kirchliche Leben ist heute vielfach in den von den großen Städten weiter entfernten Landbezirken noch am intensivsten. Hier werden die kirchlieh'n Feiertage nach herkömmlicher Art begangen und in Einzelfällen sogar neue Kirchen erbaut; an einem Ort wurde die neue Kirche neben der früheren errichtet, die von den Kommunisten in ein Schulhaus verwandelt worden war.

Die wirtschaftliche Lage der Kirche ist dank der Opferfreudigkeit ihrer Gemeindeglieder vielerorts nicht schlecht. In Litauen haben die Priester oft ein höheres Einkommen als die mittleren Beamten, obwohl sie weit höher besteuert werden. Nach Aussagen von Flüchtlingen, die freilich nicht nachgeprüft werden können, halten sich heute noch 600 000 bis 700 000 Esten, nahezu die gesamte eingesessene Bevölkerung — zur Kirche.

Man würde jedoch irren, wollte man aus diesen Tatsachen auf eine freiere und unabhängigere Stellung der Kirche schließen. Nach wie vor sind ihre Wirkungsmöglichkeiten auf das Innere der Gotteshäuser — den eigentlichen Gottesdienst — beschränkt und auch dort vielfach behindert. Nach wie vor sind der Religionsunterricht und der Druck religiöser Schriften — abgesehen von wenigen Kirchenkalendern — verboten.

Wenn sich heute der Eiserne Vorhang gelegentlich ein wenig hebt und Begegnungen zwischen Vertretern der baltischen Kirchen und ihren Amtsbrüdern in Westeuropa oder Amerika stattfinden, so geschieht dies unter strengster Bewachung und nur auf Grund propagandistischer Erwägungen. Noch sind die Kirchen Gefangene des Kremls, denen jeder Schritt, den sie nach außen tun, vorgeschrieben wird. 6. Wandlung des Geschichtsbildes Bald nach der äußeren Stabilisierung des Sowjetregimes setzten Maßnahmen ein, um die vollständige Einschmelzung der baltischen Staaten in die Sowjetunion auch in geistig-wissenschaftlicher Hinsicht sicherzustellen. Dazu ergab sich die Forderung nach einer Revision des bisherigen betont nationalen Geschichtsbildes. Herrschend sollte fortab eine neue, auf dem historischen Materialismus beruhende und nach der großrussischen Geschichtskonzeption von Stalin und Zdanov ausgerichtete Geschichtsideologie sein.

Schon 1945 erhielt der aus dem sozialistischen Lager zum Kommunismus übergetretene estnische Historiker Hans Kruus — früher Professor für neuere Geschichte in Dorpat, nach dem Umsturz Präsident der Akademie der Wissenschaften Sowjetestlands und zeitweiliger Außenminister — den Auftrag, die estnische Geschichte nach marxistischen Gesichtspunkten neu darzustellen. Noch war das Manuskript nicht abgeschlossen, als er 19 50 zusammen mit seinem Fachkollegen R. Kleis einer Säuberungswelle zum Opfer fiel. Beide hatten die ideologische Trennung von ihrer eigenen Vergangenheit wohl nicht mit genügender Deutlichkeit vollzogen und mußten daher als „bürgerliche Nationalisten“ weichen. Die ihnen zugedachte Auf zusammen mit seinem Fachkollegen R. Kleis einer Säuberungswelle zum Opfer fiel. Beide hatten die ideologische Trennung von ihrer eigenen Vergangenheit wohl nicht mit genügender Deutlichkeit vollzogen und mußten daher als „bürgerliche Nationalisten“ weichen. Die ihnen zugedachte Aufgabe übernahmen jetzt die inzwischen gegründeten Geschichtsinstitute bei den Wissenschaftsakademien und den Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Hinfort wurden alle geschichtlichen Ereignisse ausschließlich so gewertet, wie es die parteiamtliche Geschichtsideologie vorschreibt. In primitivster Schwarzweißmalerei werden dem Osten alle guten, dem Westen alle schädlichen Einflüsse zugeschrieben: fortschrittlich ist, was den russischen Interessen dient. So heißt es in einem Aufsatz des führenden sowjetlettischen Historikers Prof. Zutis über die geschichtliche Bedeutung des Anschlusses Livlands an Rußland: 47) „Die Analyse der historisd^en

Wirklidtkeit zeigt, daß das Aufgelten einzelner Nationen im Vielvölnerstaat Rußland einen Vorgang von größter progressiver Bedeutung darstellt . . . Mit dem Ansdduß an Rußland erhebt sich die lettische Kultur auf eine neue Stufe, bereidtert sich die lettisdte Sprache mit neuen Wörtern, die sie der russisdten entlehnt. Auf allen Gebieten der Volkskunde, in Volksliedern, Märchen, Rätseln und Spridtwörtern, aber auch in den Volkstradtten, Ornamenten sowie bei der Herstellung von Gegenständen des täglichen Bedarfs macht sich seitdem der russische Einfluß geltend." Nadi dieser Auffassung konnte die Loslösung von Ruß-land dem selbständig gewordenen Lettland nur LInheil bringen. Demgemäß heißt es bei Zutis weiter: „Nach der Trennung verkümmerte die von der Wirtschaft Osteuropas gewaltsam getrennte Industrie. Lettland wurde ein agrarisch-rohstofflid'ies Anhängsel der imperialistischen Westmächte. Die Loslösung von Rußland widerspradt den wichtigsten nationalen Interessen des Landes wie den Lebensinteressen des lettischen Volkes." 48) Die Beseitigung der Selbständigkeit Lettlands und seine Eingliederung in die Sowjetunion sind danach nur folgerichtige Ergebnisse der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung.

Unter maßgeblicher Beteiligung sowjetrussischer Historiker werden in allen drei baltischen Ländern neue Geschichtsbücher nach gleichem Periodisierungsschema entworfen und vor ihrem Erscheinen lebhaft diskutiert. So wird von einem noch im Entwurf befindlichen Lehrbuch der litauischen Geschichte gefordert, es solle den Auseinandersetzungen der Feudalherren untereinander weniger Aufmerksamkeit schenken, dagegen die Ausbeuterklasse und das volksfeindliche Wesen ihrer Politik deutlicher entlarven. Auch solle es den Kampf , in ein helleres Licht rücken, den das Volk für nationale und soziale Freiheit mit seinen Unterdrükkern, fremden wie eigenen, geführt hat, desgleichen den Streit mit den deutschen Eroberern. 49) Die reaktionäre Geistlichkeit habe sich während des gesamten Verlaufs der Geschichte als erbittertster Gegner der Werktätigen Litauens erwiesen, daher müsse ihr volksfeindlicher Charakter noch krasser bloßgestellt werden, als es bisher geschehen sei. Wieder ergeht die Mahnung: „Die ganze gesdiichtlidte Erfahrung des litauischen Volkes bezeugt aufs eindringlichste die Bedeutung seiner Freundsdiaft mit dem russischen Volk . . . Das mächtige, vom russischen Volke geschaffene zentralistische russische Staatswesen beeinflußte das historische Schicksal des litauisdten Volkes in fortschrittlichem Sinne. Idngeaditet dessen, daß damals in Rußland der Zar und die Gutsbesitzer herrsd'iten, war die Vereinigung Litauens mit Rußland von ungeahnter progressiver Bedeutung." Diese Tatsache muß nach Ansicht der Kritiker noch schärfer herausgearbeitet werden, ebenso — ein litauischer Sonderfall — den litauisch-polnischen Beziehungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dies sei besonders wichtig, weil die bürgerlichen Nationalisten jahrelang bemüht gewesen seien, den Werktätigen Litauens antipolnische Gefühle einzuimpfen. Es gehe aber nicht an, die räuberischen Magnaten mit dem polnischen Volke gleichzusetzen. Bedeutung und Einfluß der Vorkämpfer des polnischen Volkes, so zum Beispiel eines Adam Mickiewicz, müßten kräftiger hervorgehoben werden. 50)

Am eindeutigsten haben sich die bekannten sowjetestnischen Historiker Maamägi und Vassar zu dieser Geschichtsauffassung bekannt. Nach ihnen sind alle Errungenschaften des estnischen Volkes, wie in der Vergangenheit so in der Zukunft, ausschließlich ein Ergebnis der ihm vom russischen Volk zuteil gewordenen Hilfe. Deshalb trifft alle Forscher, die den westlichen Einflüssen in der Geschichte und Kultur der baltischen Völker nachgehen und ihnen die Bedeutung zuerkennen, welche sie tatsächlich gehabt haben, schonungslose Kritik. Nach der herrschenden Auffassung stellt das russische Volk allein die „zementierende Kraft" dar, welche alle Völker des baltischen Landes vereint und ihre Freiheit und Unabhängigkeit sichert. Hieraus folgt, daß jedes russische Eingreifen des Landes als fortschrittlich in die Geschicke zu gelten hat, mag es für dessen Einwohner auch von noch so verheerenden Folgen begleitet gewesen sein. Die vernichtenden Feldzüge Ivans des Schrecklichen in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts werden auf diese Weise als Befreiungskrieg gegen den Deutschen Orden — den angeblich grausamsten und erbittertsten Gegner der baltischen Völker — gedeutet. Den Schweden, deren Herrschaft im Gedächtnis dieser Völker als „goldene Schwedenzeit“ fortlebt, wird koloniales Ausbeutertum vorgeworfen. Um so heller strahlt der Sieg Peters des Großen im nordischen Kriege, der die baltischen Völker von der angeblichen schwedischen Ausbeutung befreite und sie mit Rußland vereinigte, das allein befähigt ist, ihren biologischen Bestand zu sichern und ihnen eine kulturelle und wirtschaftliche Weiterentwicklung zu gewährleisten.

Wie die Zeit der politischen Selbständigkeit der baltischen Staaten, so findet auch deren Geschichtschreibung heute mit wenigen Ausnahmen keine Gnade vor den Augen der Kritiker aus dem Lager des geschichtlichen Materialismus. Die Historiker der baltischen Völker werden als „bürgerliche Nationalisten“ abgetan und damit zu „Erzfeinden des werktätigen Volkes“ gestempelt. Nur diejenigen werden bis zu einem gewissen Grade anerkannt, die sich bereit gefunden haben, „ihre früheren Anschauungen zu revidieren und in den Dienst des Volkes zu treten". Die übrigen trifft der Vorwurf, die Geschichte, insbesondere die der baltisch-russischen Beziehungen, verfälscht, das Vertrauen der Werktätigen zu ihrem einzigen zuverlässigen Verbündeten — dem russischen Volk als die in ihr „führende Nation“ gesät zu haben.

Das baltische Deutschtum erscheint in seiner Gesamtheit, wie nicht anders zu erwarten, als Horde von Eindringlingen und Bedrückern. Diese Beurteilung schließt jedoch nicht aus, daß einzelnen Männern, die sich in russischen Staatsdiensten besonders bewährt haben, gelegentlich auch Anerkennung gezollt werden kann. Die Namen des berühmten Biologen und Akademikers Karl Ernst von Baer, der Admirale Johann Adam von Krusenstiern und Fabian von Bellinghausen, von denen der eine als erster auf einem russischen Schiff die Welt umfuhr, während die Forschungsergebnisse des anderen der Sowjetunion den Vorwand gegeben haben, Ansprüche auf die Antarktis zu erheben, des Feldmarschals Barclay de Tolly und vieler anderer stehen heute in der Sowjetunion hoch in Ehren. 7. Sprache Von dem Vorgang der Sowjetisierung werden auch die Sprachen der baltischen Völker betroffen. Hier von einer Russifizierung zu reden, wäre ungenau, denn es handelt sich bei den die einheimischen Sprachen in wachsendem Maße überfremdenden Wortbildungen weniger um russische Ausdrücke, als um solche, welche die gleichfalls „sowjetisierte“ russische Sprache den Westsprachen entlehnt hat und mit zum Teil neuen Begriffsinhalten an die Sprachen des sowjetischen Einflußgebietes weitergibt. Einen ähnlichen Sprachwandel können wir heute in der Sowjetzone Deutschlands beobachten; mit geringen Unterschieden charakterisiert er die Sprachentwicklung in allen Satellitenstaaten. Es handelt sich weniger um einen unwillkürlichen, aus der allgemeinen Entwicklung sich von selbst ergebenden Vorgang, als um eine bewußte durch Presse und Publizistik geförderte Entwicklung, die, wie andere ähnliche Maßnahmen, die geistige Uniformierung innerhalb des sowjetischen Einflußbereiches zum Ziel hat. So heißt es in einem Aufsatz des Historikers Maamägi von der estnischen Sprache: „Unter den Voraussetzungen des Sowjetsystems, den Voraussetzungen einer ununterbrodtenen Vorwärtsentwiddung von Industrie, Landwirtsdtaft, Handel, Verkehr und Technik, hat sich der Wortschatz der estnisdten Sprache durdt eine große Zahl von neuen Wörtern und Ausdrücken bereichert. Viele neue Wörter wurden dem Wortschatz der russisdten Spradre entnommen. Die estnische Spradte befreite sich vom bürgerlidi-ständisdien Jargon, der ihr durdi die bürgerlich-nationalistisdten , Spradterneuerer‘ (J. Aavik u. a.) aufgezwungen worden war. Sie wurde dadurch reidier und kraftvoller, ihr grammatikalischer Aufbau — besser."

Vom 19. bis 23. Februar 1952 fand in Riga in Anwesenheit der Moskauer Philologen Serebrennikov, Gornung u. a. eine Konferenz baltischer Sprachforscher statt. Der Direktor des Historischen Instituts der Lettischen Kommunistischen Partei, K Kraulins, berichtete, daß die Sammlungen seines Instituts 15 OOO russische Fachausdrücke und Wörter enthielten, die schwer zu übersetzen seien. Die Konferenz äußerte zu dieser Frage folgende Ansichten: 1. Die Theoretiker des Marxismus müßten mit größter Genauigkeit übersetzt werden. 2. Durch Übernahme von Wörtern aus der reichsten Sprache der Welt — der russischen — könnten die baltischen Sprachen ihren Wortschatz vergrößern und bereichern. 3. Die baltischen Sprachen würden dadurch reiner werden und könnten sich gleichzeitig „vom Jargon der Ausbeuterklassen aus der Zeit der kapitalistisdien Gesellsdiaft und den Ardüsmen des religiösen Wortschatzes befreien". 4. Schließlich hätten die Übersetzer leichtere Arbeit und würden'die Völker der UdSSR einander besser verstehen

Durch eine sehr rege Übersetzertätigkeit aus dem Russischen in die baltischen Sprachen wird die Sprachentwicklung dauernd im Sinne dieser Richtlinien beeinflußt. 8. Hochschulen Auch auf dem Gebiet des Hochschulwesens gleichen sich die Zustände in den baltischen Ländern immer mehr der Lage in der Sowjetunion an. Die Zahl der Hochschulen hat sich seit 1945 erheblich vergrößert, doch geht diese Vermehrung auf Kosten der wissenschaftlichen Vertiefung des Studiums, das in wachsendem Maße der Förderung eines engen Spezialistentums dient Das Bestreben, Forschung und Lehre voneinander zu trennen, führte dazu, daß die Forschungsaufgaben den Universitäten weitgehend abgenommen und den neugegründeten Akademien der Wissenschaften übertragen wurden. Die Absplitterung mehrerer Fakultäten zu Gunsten neuer, rein fachlich ausgerichtetes Hochschulen brachte den Universitäten weitere Einbußen. Wo theologische Fakultäten bestanden, wurden sie ausnahmslos geschlossen Die baltischen Universitäten kennen heute weder freie Forschung noda freie Lehre. Von der weitgehenden Autonomie, die sie einst besaßen, ist nichts übriggeblieben. Sie sind unter Umgehung der örtlichen Kulturministerien Moskau unmittelbar unterstellt und werden von dort aus einheitlich nach der jeweils gültigen Parteilinie gelenkt.

Der Krieg und seine Folgeerscheinungen, insbesondere die Emigration, hatten in den Bestand der Dozentenschaften schwere Breschen geschlagen. So waren von den 115 Professoren, 80 Dozenten und 28 Lektoren und wissenschaftlichen Hilfskräften, die 1939 an der Universität Dorpart (Tartu) tätig waren, Ende 1944 dort nur noch 29 Professoren sowie 19 Dozenten und Lektoren verblieben Dessen ungeachtet übten diese in den ersten Jahren nach der russischen Wiederbesetzung des Landes, trotz den hereinströmenden russischen und rußlandestischen Elementen, noch einen gewissen Einfluß aus, zumal die entstandenen Lücken teilweise durch ehemalige Gymnasiallehrer und andere ältere Fachkräfte geschlossen wurden. So fanden die für Dozenten und Studenten gleicherweise verbindlichen Vorlesungen des dialektischen Materialismus ebenso Gegenliebe wie der russische Sprachunterricht In den Reden der Parteifunktionäre mehrten sich bald die Klagen über „bürgerlich-nationalistische“ Strömungen innerhalb der Universitäten; sie führten schließlich zu Säuberungsaktionen, denen zahlreiche, noch aus der Selbständigkeitszeit der baltischen Staaten stammende Hochschullehrer zum Opfer fielen. 1952 konnte der Dorpater Rektor Fedor Klement — ein Rußlandeste — anläßlich des 150jährigen Bestehens der von Kaiser Alexander I. gegründeten Universität in einem Presseartikel befriedigt feststellen, daß es dank den Beschlüssen des 8. Plenums des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Estlands nunmehr gelungen sei, den bürgerlichen Nationalismus in der Universität gänzlich auszurotten Die Übertragung der durch die Säuberungen frei gewordenen Lehrstühle an jüngere, zumeist nach politischen Gesichtspunkten ausgesuchte Kräfte ließ den wissenschaftlichen Stand der Hochschulen weiter absinken. Da es keine „bürgerlich-nationalistischen Vorurteile“ mehr zu bekämpfen gibt, richtet sich die öffentliche Kritik jetzt gegen die manglhaften Leistungen der neuen Lehrkräfte und ihre geringe Neigung, sich durch den Erwerb akademischer Grade die nötige Qualifikation zu schaffen. Die Fertigstellung wissenschaftlicher Arbeiten ziehe sich oft fünf bis zehn Jahre und noch länger hin, wobei überhaupt nur ein Teil der nichtgraduierten Dozenten darum bemüht sei, durch eigene Forschung weiterzukommen Die ungünstigen Erfahrungen mit den aus dem Inneren der Sowjetunion berufenen, von den einheimischen Studenten allein schon wegen ihrer Unkenntnis der örtlichen Sprachen abgelehnten Lehrkräften scheinen in letzter Zeit die Stellung der noch aus der bürgerlichen Zeit übriggebliebenen Dozenten wieder gefestigt zu haben. Diese werden häufiger erwähnt; es wird ihnen bescheinigt, daß ihre erfolgreiche Lehr-und Forschungstätigkeit viel zur Hebung des Ansehens der Hochschulen beiträgt.

Nicht nur die Struktur der Hochschulen, auch die der Studentenschaften hat sich in den letzten zehn Jahren weitgehend gewandelt. Die Maßnahmen, welche den Kindern ehemals wohlhabender oder der bürgerlichen Führungsschicht angehörender Eltern den Zutritt zu den Hochschulen erschweren oder ganz verwehren, haben die Zusammensetzung der Studentenschaften grundlegend verändert. Wie weit sich auch deren nationale Struktur geändert hat, ist noch nicht genau zu übersehen;

die Einrichtung besonderer Abteilungen bei einzelnen Fakultäten, in denen die Vorlesungen in russischer Sprache gehalten werden, deutet auf eine Zunahme des russischen Elementes hin

Die Überfüllung einzelner Fakultäten hat zur Folge, daß viele Studenten gegen ihren Willen ein anderes Fach studieren müssen und dorthin geschoben werden, wo noch Freiplätze vorhanden sind. So kann ein Jugendlicher, der seinen Zulassungsantrag zum Beispiel bei der naturwissenschaftlichen Fakultät eingereicht hat, es erleben, daß er sich am Tage der Immatrikulation — zwecks Planerfüllung — in der juristischen Fakultät wiederfindet.

Die Lebensbedingungen sind für die meisten Studenten außerordentlich schwer, da sie auf unzureichende Stipendien angewiesen sind. Zur besseren Überwachung werden die Studenten nach Möglichkeit in Wohnheimen untergebracht, wo sie in der Regel zu mehreren in einem Zimmer hausen müssen. Während des Studiengangs befinden sie sich unter der ständigen Aufsicht der für die Hochschulen zuständigen Parteiinstanzen. Auch nach beendetem Studium können viele noch nicht frei über sich verfügen, sondern werden zur Berufsausübung oder weiteren Fortbildung ins Innere der Sowjetunion geschickt Angeblich geschieht dies ebenso „freiwillig“ wie die Beteiligung an den Erntearbeiten in den neuerschlossenen Gebieten Sibiriens, wofür die Studenten von den Komsomol-Organisationen nach deren Ermessen ausgesucht werden. Auf diese Weise wurden zum Beispiel 1956 119 Studenten der Universität Dorpat zu Erntearbeiten nach Kasachstan abkommandiert Da die Zugehörigkeit zum Komsomol den Zutritt zur Hochschule erleichtert, treten ihm verhältnismäßig viele ältere Schüler bei, die für diesen durch den herrschenden Zwang bedingten Schritt auch bei ihren sonst partei-und russenfeindlich eingestellten Volksgenossen Verständnis finden. Nach erfolgter Zulassung zum Studium versuchen sie sich von dieser lästigen Bindung wieder zu befreien. Neueintritte von Studenten finden daher nur verhältnismäßig selten statt

Entsprechend der Zahl der Hochschulen ist auch die der Studenten beträchtlich gewachsen. Sie beträgt heute in Estland etwa 12 000, in Lettland 16 000 und in Litauen 24 000 Viele nehmen jedoch ausschließlich am Fernunterricht teil und erscheinen in den Hochschulen nur, um Prüfungen abzulegen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß im Vergleich zu früher viel breitere Schichten den Anschluß an die Hochschule finden: sie ist freilich in vielen Fällen nur noch eine höhere Fach-schule. Die Jugend drängt zum Studium, um mit Hilfe einer abgeschlossenen Hochschulbildung der schlecht bezahlten Industriearbeit und dem Frondienst auf den Kolchosen zu entrinnen und sich, soweit dieses im kommunistischen System überhaupt möglich ist, ein etwas freieres und materiell unabhängigeres Leben zu sichern. 9. Schulwesen Die drei baltischen Staaten besaßen während ihrer Selbständigkeit ein gut entwickeltes Schulwesen, dessen Gedeihen allen Bevölkerungsschichten am Herzen lag. Nachdem die Gründung eigener Staaten den vollen Übergang zum Unterricht in der Muttersprache ermöglicht hatte, wurden aus bescheidenen Ansätzen in überraschend kurzer Zeit reich-gegliederte Schulsysteme geschaffen.

Dieses seinen Erziehungsprinzipien nach individualistisch ausgerichtete, geistig aus dem Bildungs-und Gedankengut des Westens schöpfende Schulwesen — die bevorzugten Fremdsprachen waren zuerst Deutsch, dann Englisch — war zugleich Ausdrude und Träger des Selbstbehauptungswillens der baltischen Völker. So machten sich denn auch nach dem kommunistischen Umsturz zuerst in den Schulen nationale Widerstände bemerkbar. Schüler widersetzten sich noch vor den Erwachsenen der Verunglimpfung ihrer Ideale und der Beseitigung nationaler Symbole. Ihre Proteste verhallten freilich ungehört in den Gefängnissen und Konzentrationslagern der weiten Sowjetunion.

Die erste sowjetische Besetzung ließ es wegen ihrer kurzen Dauer noch zu keinem entscheidenden Einbruch in das bisherige Schulsystem kommen. Erst nach 1945 setzte auch hier, und zwar schlagartig, die Sowjetisierung ein Zwischen 1945 und 1947 wurden in allen drei baltischen Republiken die eigenen Schulsysteme durch das sowjetische ersetzt. Dieses sieht theoretisch eine siebenjährige Schulpflicht vor, kennt aber neben der siebenklassigen unvollständigen und zehnklassigen vollständigen Mittelschule auch noch die vierklassige Grundschule. Im Verlauf des 195 5 beendeten fünften Fünfjahrplanes sollten die Hauptstädte der Republiken, die Zentren der größeren Verwaltungseinheiten und die bedeutenderen Industriestädte zur zehnjährigen Schulpflicht übergehen. Ihnen sollen im nächsten Jahrfünft die übrigen Städte und das Land folgen. Die Verwirklichung dieses Programms stößt aber auf so große Schwierigkeiten, daß mit erheblichen Verzögerungen gerechnet werden muß. Auf einer Beratung über Schulfragen im Januar 1956 erwähnte der litauische Bildungsminister Pupeikis, daß trotz der allgemeinen Schulpflicht viele Kinder schulpflichtigen Alters keinen Unterricht besuchen, weil die zuständigen Staats-und Parteiorgane in ihrer Aufsichtspflicht versagen Besondere Bedeutung maß er dem Aufbau des Netzes der Internate bei. Wohl seien einige Erfolge errungen worden, doch gäbe es überhaupt noch keine von Kolchosen unterhaltenen Schülerinternate.

Neben den allgemeinbildenden Schulen (für einige von ihnen wurde die Zahl der Schuljahre von zehn auf elf erhöht bestehen Abendmittelschulen für die arbeitende Jugend und zahlreiche als „Techniken“ bezeichnete Fachschulen. Einen besonderen Typus bilden die dem Ministerium für Arbeitsreserven der Sowjetunion unmittelbar unterstellten Fachschulen für Arbeitemachwuchs, die auf den siebenklassigen Schulen aufbauen. Obwohl der Staat für den vollen Unterhalt einschließlich Unterkunft und Bekleidung der Schüler aufkommt, sind diese Schulen bei der Bevölkerung unbeliebt, weil ihr Besuch den Schülern die Verpflichtung auferlegt, sich drei Jahre als Lehrlinge und weitere drei Jahre als Facharbeiter nach Belieben des Ministeriums im gesamten Bereich der Sowjetunion verwenden zu lassen. Wenn die Erziehungsgrundsätze der baltischen Schulen darauf hinausliefen, die Persönlichkeit der Schüler möglichst ungehemmt zur Entfaltung kommen zu lassen und ihre Entwicklung zu fördern, so gilt für die kommunistische Pädagogik genau das Gegenteil. Ihr Erziehungsziel ist der Kollektivmensch, der von der Bewußtwerdung an gelehrt wird, so zu denken, wie alle anderen um ihn, der auf individuelle Neigungen und Interessen verzichtet, in der Arbeit für die Gemeinschaft, das heißt für den totalitären Staat, aufgeht und sein Leben gestaltet, wie die kommunistische Partei es ihm vorschreibt. Als Ergebnis des Zusammenwirkens von Schule und Jugendorganisation entsteht der „Sowjetmensch“. Weil in der Regel beide Eltern durch Arbeit zum Familienunterhalt beitragen müssen, werden die Kinder schon bald nach der Geburt Krippen, Kindergärten und ähnlichen öffentlichen Anstalten anvertraut, wo bereits die erste Beeinflussung erfolgt. Diese steigert sich dann von Jahr zu Jahr, je nachdem, wie die Ausbildung des Kindes fortschreitet, stößt aber allem Anschein nach in den baltischen Sowjetrepubliken noch auf sehr erhebliche Widerstände

Auf den von den Organen der Partei und des Staates wiederholt veranstalteten Beratungen über Schul-und Erziehungsfragen wollen die Klagen und Mißstände verschiedenster Art nicht verstummen. Sie gelten zum geringeren Teil dem Mangel an Schulräumen, der schlechten Versorgung mit Heizmaterial und ähnlichem mehr, zum weitaus größeren den ungenügenden weltanschaulichen Erfolgen des Unterrichts. So heißt es in der bereits zitierten Rede des litauischen Bildungsministers Pupeikis: „Im Kampf für die Verbesserung der Unterrichts-und Erziehungsarbeit sind die Lehrer gehalten, den Schülern gründlicher als bisher die Vorzüge des sozialistischen Systems gegenüber dem kapitalistischen vor Augen zu stellen und auf die Folgeriditigkeit eines Sieges des Sozialismus in der ganzen Welt hinzuweisen ... Die ernsteste Beachtung mufl der Erziehung der Lernenden im Geiste der materialistischen Weltanschauung geschenkt werden. In vielen Schulen des Landes wird im Biologie-, Physik-und Chemieunterridu noch zu wenig für die Verbreitung der materialistischen Weltanschauung unter den Schülern getan, wird der reaktionäre Charakter der religiösen Vorurteile noch ungenügend hervorgehoben 12).“

Die Parole „Kampf gegen die religiösen Vorurteile" wird immer aufs neue ausgegeben, doch anscheinend ohne den erwünschten Widerhall. Im August 1954 war eine Beratung in Riga ganz dieser Frage gewidmet Der Referent und viele an der Diskussion beteiligte Pädagogen beklagten sich darüber, daß die antireligiöse Propaganda in den Schulen vernachlässigt oder ohne Kontakt mit dem wirklichen Leben getrieben wird. Im Geschichts-und Geographieunterricht werde der reaktionäre Charakter der Glaubensvorstellungen nicht hinreichend enthüllt, den religiösen Erfindungen von der Erschaffung der Welt, der Herkunft des Menschen usw. keine vernichtende Abfuhr erteilt. So könne es nicht verwundern, daß Teile der Schülerschaft unter den Einfluß der Kirche geraten, an Abendmahlsfeiern und Konfirmationen teilnehmen und an Kirchenfeiertagen der Schule fernbleiben.

Mehr als die Bildungsministerien, denen die Schulen nach außen hin unterstellt sind, nehmen die verschiedensten Parteiinstanzen Einfluß auf das Leben der Schulen und übertragen auf sie die bei ihnen ausgebildeten Methoden der Überwachung aller durch alle. Von dem Geiste des Vertrauens und der freiwilligen Einordnung in das Ganze, der früher die baltischen Schulen kennzeichnete, ist nichts übriggeblieben;

er ist einer Atmosphäre des Mißtrauens und der gegenseitigen Bespitzelung gewichen. Jede freie Meinungsäußerung ist unterbunden, die Lüge zum System erhoben, jede echte Autorität untergraben. So erscheint es fast zwangsläufig, daß die Schüler, aus den einstigen Bindungen gelöst, den neuen, ihnen mit allen Mitteln angepriesenen vielfach noch ablehnend gegenüberstehend, oft jeden Halt verlieren und dem „Hooliganismus“

verfallen.

10. Landwirtschaft Als die Kommunisten im Sommer 1940 zur Macht gelangt waren, schreckten sie mit Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung noch davor zurück, offen mit Kollektivierungsplänen hervorzutreten. Die Propaganda vor den manipulierten Parlamentswahlen war offensichtlich darauf abgestellt, alle dahingehenden Befürchtungen zu zerstreuen So ist es denn auch in der ersten sowjetischen Besatzungszeit nur in Einzelfällen zur Bildung von Kolchosen gekommen; Bestrebungen örtlicher Parteifunktionäre, die Entwicklung schneller voranzutreiben, wie sie z. B. in Lettgallen zutage traten, wurden aus taktischen Gründen zunächst zurückgehalten.

Diese abwartende Haltung in der Kollektivierungsfrage war jedoch keineswegs gleichbedeutend mit einem Verzicht auf sofortige agrarpolitische Maßnahmen. Man wählte nur für den Anfang den Weg der „Agrarreform“, wie ihn Sowjetrußland in den Jahren nach der Oktoberrevolution (1917) gegangen war Im Juli 1940 proklamierten die neugewählten „Parlamente“ die Verstaatlichung von Grund und Boden, bald darauf wurden alle bäuerlichen Besitze über 30 ha, ferner alle Ländereien der Kommunen und Kirchen enteignet. Auf diese Weise wurden in Estland 758 258 ha, in Lettland 961 394 ha eingezogen und zur Bildung von Neusiedlerstellen in der Größe von 6— 12 ha, von Sowchosen und zur Abrundung von Kleinstbetrieben verwandt Diese „Landreform“ war von der kommunistischen Partei zweifellos nur als Etappe auf dem Wege zur Kollektivierung gedacht; durch sie sollte der Bauer wirtschaftlich geschwächt und für den Kolchos reif gemacht werden. Diesem Ziele dienten neben der Landenteignung überhöhte Ablieferungsnormen sowie eine jede Rentabilität der mittleren und größeren Bauernhöfe untergrabende Steuer-und Preispolitik. So waren z. B. die im Mai 1941 in Estland eingeführten Übergangssteuern für die Landwirtschaft zehnmal höher als die Steuern, welche der estnische Freistaat erhoben hatte; dabei blieben die neuen Sätze noch unter den in der übrigen Sowjetunion geltenden. Ein Hof von etwa 30 ha Größe hatte nach den estnischen Steuersätzen 54 Eki. oder 2 v. H.des Durchschnittseinkommens von 2232 Ekr. zu zahlen gehabt; nach den Sätzen von 1941 betrug die entsprechende Summe 2199 Rbl. oder 27, 7 v. H.des auf Grund der willkürlich festgesetzten Preise neugeschätzten Hof-einkommens

Seit den baltischen Agrarreformen der zwanziger Jahre hatten sich die sozialen Gegensätze auf dem Lande weithin entschärft. Die nach Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten wirtschaftlich erstarkenden Neusiedler hatten sich in ihrer Lebens-und Wirtschaftsweise immer mehr den Altbauern angeglichen und mit dem Einzelhofsystem auch deren individualistische konservativ-bäuerliche Einstellung übernommen. Sie verschmolzen insbesondere in Estland und Lettland mit jenen zur politisch tragenden Schicht, von der nach dem Umsturz der stärkste Widerstand gegen alle Sowjetisierungsbestrebungen zu erwarten war. Sie galt es daher in erster Linie zu treffen und nach Verlust des politischen auch durch Entziehung des wirtschaftlichen Rückhalts für die Pläne der kommunistischen Partei gefügig zu machen

Die Besetzung der baltischen Staaten durch deutsche Truppen im Sommer 1941 und die Einrichtung einer deutschen Zivilverwaltung unterbrachen diese Entwicklung und führten für drei Jahre zu einer teilweisen Wiederherstellung der früheren Zustände. Als die Sowjets jedoch 1944/4 5 das Land wieder in Besitz nahmen, setzten sie ihre Maßnahmen genau an der Stelle fort, wo sie sie 1941 hatten unterbrechen müssen. Der Kampf gegen die Großbauern wurde sogleich und in verschärfter Form wieder ausgenommen. Tausende von ihnen wurden der Kollaboration mit den Deutschen beschuldigt, ihre Höfe — in Estland allein 2450 — beschlagnahmt. Die Maximalgröße der einzelnen Betriebe wurde weiter auf 2 5 ha vermindert, die Landwirtschaftsteuer durch Angleichung an die in der übrigen Sowjetunion geltenden Sätze noch drückender gestaltet. Den sowjetischen Verhältnissen angepaßt wurden auch die Ablieferungsnormen für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu festen Preisen, wodurch den Bauern die Möglichkeit genommen wurde, sich hinreichend mit Industrieerzeugnissen zu versorgen, die, wenn überhaupt, nur noch illegal und zu Überpreisen erhältlich waren. Daneben erfolgte eine weitere Atomisierung des Landbesitzes durch die Verteilung beschlagnahmter Ländereien und Bildung kleinster, oft nicht lebensfähiger Höfe.

Die offene Propaganda für die Kollektivierung — und zwar zunächst für eine „freiwillige" — setzte erst 1947 ein; sie war von geringerer Wirkung, weil die an freie genossenschaftliche Zusammenarbeit gewöhnten baltischen Bauern den Produktionsgenossenschaften sowjetischer Prägung mit tiefstem Mißtrauen begegneten. Trotz dem Einsatz von Aktivistengruppen und der Verbreitung von Hunderttausenden von Flugblättern gelang es nur wenige Bauern — zumeist enttäuschte Neu-siedler — zur Gründung von Kolchosen zu bewegen. Der Versuch, mit propagandistischen Mitteln die psychologischen Voraussetzungen für eine freiwillige Kollektivierung auf breiter Basis zu schaffen, schlug fehl. Um den Widerstand der zu „Kulaken“ gestempelten Großbauern zu brechen, griff die Sowjetregierung nunmehr zu den bereits 1930 bei der Durchführung der Kollektivierung in der Ukraine erprobten Gewalt-methoden. Im März 1949 fanden in allen baltischen Ländern Massenverschleppungen statt, denen in erster Linie die Bauern zum Opfer fielen, die sich geweigert hatten, freiwillig in die Kolchose einzutreten. Diese Maßnahme führte unmittelbar zum erwünschten Erfolge: bis zum Ende des Jahres waren in Estland 82 v. H., in Lettland 90 v. H.der bäuerlichen Betriebe kollektiviert. Nur in Litauen bedurfte es noch einer zweiten Deportationswelle, um ein ähnliches Ergebnis zu erzielen. Den Verlauf der Kollektivierung gibt folgende Tabelle wieder

Der entscheidende Schritt zur Massenkollektivierung erfolgte in offenbarem Zusammenhang mit den Deportationen in der Zeit vom März bis Mai 1949. Während dieser kurzen Zeitspanne stieg die Zahl der Kolchose in Estland von 530 auf 2905, in Lettland von 1248 auf 3700 . Daß sich diese überstürzte Entwicklung zur „Liquidierung des Kulakentums“ in der Atmosphäre schärfsten Klassenkampfes vollzog, wird auch sowjetischerseits zugegeben. So heißt es in einer parteiamtlichen Darstellung der Geschichte Sowjetlettlands: „Das Kulakentum wurde seiner wirtschaftlidten Grundlage beraubt und verlor die Möglidtkeit, die werktätigen Bauern zu exploitieren. Die Sowjetntadu half den werktätigen Bauern, den Widerstand der Kulaken zu brechen, die int Endergebnis der Kollektivierung als Klasse liquidiert wurden.Die bisher letzte Etappe im Kollektivierungsprozeß begann 19 50 mit der Zusammenlegung der kleineren Kolchose zu Großwirtschaften. Durch diese Maßnahme verringerte sich in den Jahren 1950— 1954 die Zahl der Kollektivbetriebe in Estland von 3000 auf 914, in Lettland von 4115 auf 1448, in Litauen von rund 6000 auf 2266. Im gleichen Zeitraum erreichte der Prozentsatz der kollektivierten bäuerlichen Betriebe in allen drei Republiken etwa 98 v. H. Der Großkolchos umfaßt in Lettland und Estland jetzt rund 100 Bauernhöfe mit einer Gesamt-fläche von etwa 2500 ha; er entspricht damit der Durchschnittsgröße eines früheren baltischen Rittergutes. In zweimaligem jähen Wechsel ist hier im Verlauf von nur dreißig Jahren die feudale Großwirtschaft von der bäuerlichen Klein-und Mittelwirtschaft und diese wiederum von der sozialistischen Großwirtschaft abgelöst worden.

Eine der Hauptvoraussetzungen für eine reibungslose Arbeit der Kollektivbetriebe und damit für die Durchführung der staatlichen Erzeugungspläne ist die Mechanisierung der Landwirtschaft. Die nachstehende Tabelle zeigt den Ausbau des Netzes der Maschinen-und Traktoren-stationen (MTS) in zehn Jahren :

Die MTS haben jedoch vom Beginn an ihre Aufgaben nur unbefriedigend erfüllen können; die Presse bringt nicht endenwollende Klagen über die Minderwertigkeit von Maschinen und Geräten sowie deren unzulängliche Handhabung, über den Mangel an ausgebildetem Personal und schließlich über den jede planvolle Arbeit unmöglich machenden Bürokratismus. So kommt es, daß viele MTS jahraus, jahrein ihr Soll nicht erfüllen. Erschwerend tritt hinzu, daß das höhere technische Personal der MTS, einschließlich der Direktoren, zum großen Teil aus Russen besteht, die mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraut sind. Endlich sind auch viele der gelieferten Maschinen und Geräte den Boden-und Klimaverhältnissen der baltischen Länder nicht angepaßt und daher nur bedingt verwendungsfähig. Im Zusammenhang damit ist gerade in letzter Zeit von maßgebenden Funktionären wiederholt gefordert worden, landwirtschaftliche Maschinen zu entwickeln, die den besonderen Bedürfnissen der Nordwestgebiete entsprechen

Die unzureichende LInterstützung der Kolchose durch die MTS, die für die Durchführung der Produktionspläne verantwortlich sind, der Mangel an erfahrenen Arbeitskräften als Folge der Kriegsverluste und der Beseitigung des selbständigen Bauerntums, nicht zuletzt das Versagen der Planwirtschaft sowie der ständige Wechsel landfremder und unfähiger Kolchosleiter haben auf allen Gebieten der Landwirtschaft zu schweren Rückschlägen geführt. Die Anbauflächen schrumpften zusammen, es verminderten sich die Hektarerträge und der Viehbestand. Dabei können die gegenüber der Vorkriegszeit stark verringerten Ernten auch nur mit Hilfe „freiwilliger“ Kräfte aus den Städten einigermaßen rechtzeitig eingebracht werden. Oft treten durch Verzögerung der Arbeiten empfindliche Ernteverluste ein. Wiesen und Weiden bedecken sich mit Buschwerk und werden durch fortschreitende Versumpfung der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen Dadurch wird die Futterbasis der Kolchose und Sowchose geschmälert, was sie um so empfindlicher trifft, als den baltischen Sowjetrepubliken im Rahmen der Chruscevschen Agrarpolitik die Aufgabe zugewiesen worden ist, ihre Viehzucht besonders zu entwickeln Sie sind infolgedessen gezwungen, staatliche Futtermittel in größeren Mengen anzukaufen, auf Kosten des ohnehin minimalen Lohnniveaus der Kolchosbauern. In noch höherem Maße als die Kolchose sind die Sowchose auf Kraftfutterankäufe angewiesen, sie arbeiten daher zum Teil mit großen Verlusten. Der in den letzten Jahren mit allen Mitteln der Propaganda geförderte Maisanbau zeitigte nicht die erhofften Ergebnisse.

Als im Winter 1952/53 der Futtermangel ein bedrohliches Ausmaß annahm und ein großes Viehsterben begann, wurde den Kolchosen empfohlen, gehäckselte Zweige von Laub-und Nadelbäumen zu verfüttern, ja man riet ihnen sogar, Löcher in das Eis der Flüsse und Seen zu hacken, um Wasserpflanzen zu ernten Unter diesen Umständen zeigt die Viehzucht nicht nur keinen Fortschritt, sondern zeitweilig eher eine rückläufige Tendenz. Dennoch haben Lettland und Estland in der Milcherzeugung der Sowjetunion die ersten zwei Plätze behaupten können, ein Zeichen dafür, daß sich der einstige hohe Stand der Viehzucht in den baltischen Staaten auch heute noch in gewisser Weise auswirkt

Alle Bemühungen, die Leistungen der Kolchose zu steigern, sind vergeblich, solange die menschliche Seite des Problems ungelöst bleibt. In einer Rede vor landwirtschaftlichen Funktionären der baltischen Republiken führte Chruev die Schwierigkeiten in der Agrarfrage unter anderem darauf zurück, daß die Menschen hier früher unter völlig anderen Bedingungen gelebt hätten. Es sei daher keine leichte Aufgabe, den baltischen Einzelhofbauern, der nicht einmal richtige Nachbarn gekannt hätte, zu einem sich in die Gesamtheit des Kollektivs willig einfügenden Kolchosmitglied zu machen Sicherlich ist die auch heute noch in Estland und Lettland vorherrschende bäuerliche Streusiedlung ein starkes Hemmnis bei der konsequenten Durchführung der Kollektivierung. Ihre Beseitigung durch Umsiedlung der Bauern in neu zu erbauende Kolchoszentren gehört daher zu den immer wiederkehrenden Forderungen der maßgebenden Parteiführer; sie stößt aber auf große psychologische und technische Widerstände und konnte bisher nur in wenigen Fällen verwirklicht werden Entscheidend für das Versagen der Kolchose sind jedoch die den Bauern zugemuteten Lebensbedingungen, die ihnen in der Regel kaum die nackte Existenz sichern. Die Vergütung für die im Kolchos geleisteten Arbeitstage richtet sich nach seinen Einkünften; in wirtschaftlich schwachen Betrieben erhalten die Bauern häufig so gut wie nichts und sind allein auf die Erträge des ihnen belassenen halben Hektars Gartenland sowie einiger Haustiere angewiesen, für die sie noch hohe Steuern zu zahlen haben

Die Folge dieser Zustände ist eine dauernde Landflucht, gegen die das Verbot, den Kolchos ohne Genehmigung zu verlassen, wirkungslos bleibt. Sie führt zu einem weiteren Rückgang der durch Kriegsverluste und Verschleppungen ohnehin schon dezimierten Landbevölkerung. An erster Stelle verlassen die arbeitsfähigen Männer den Kolchos, um in der Industrie eine leichtere und lohnendere Tätigkeit zu suchen. Aus dem Militärdienst entlassene Jugendliche setzen alles daran, nicht in den heimischen Kolchos zurück zu müssen. So verlagert sich die Last der Landarbeit immer mehr auf die Alten und die Frauen, deren Gleichberechtigung in der Hauptsache sich dahin auswirkt, daß sie heute auch hei den früher nur Männern zugemuteten schwersten Arbeiten mit anpacken müssen. 1953 bestanden die Pflügerbrigaden in Lettland zu 70 v. H. aus Frauen, in Estland stellen sie mehr als 50 v. H.der Mitglieder sämtlicher Kolchose In weitem Umfang betätigen sich Frauen als Kolchosvorsitzende, Brigadiere und Leiterinnen der Viehfarmen. Es gibt Gegenden in Südestland und Kurland, in denen die Landarbeit nahezu ausschließlich von Frauen geleistet wird.

Die Beschlüsse des 20. Kongresses der Kommunistischen Partei der UdSSR sehen auch für die baltischen Republiken eine sehr beträchtliche Steigerung ihrer Agrarproduktion vor. Um hierfür die Voraussetzungen zu schaffen, suchen Regierungen und Parteiführung mit Mitteln der Überredung und des Zwanges die Produktivität der einzelnen Kolchose und Sowchose zu erhöhen. Durch stärkere Beteiligung an den Erträgen sollen die Kolchosbauern zu größeren Leistungen angespornt werden. Erhielten sie früher ihren Lohn nur einmal im Jahr aus den Überschüssen der Kolchose (wobei sie häufig leer ausgingen), so sollen ihnen künftig monatliche Vorschüsse gezahlt werden. Auch wird ihnen erlaubt, mehr eigenes Vieh als bisher zu halten und das Futter vom Kolchos zu beziehen. Dafür soll aber das Minimum an jährlich zu leistenden Normtagen von 120 auf 200— 250 heraufgesetzt und evtl, noch weiter erhöht werden. Kolchosbauern, die ihre Pflichten nicht erfüllen, wird mit der Ein-ziehung des privaten Gartenlandes gedroht.

Nach den bisherigen Erfahrungen scheint es sehr zweifelhaft, ob diese Maßnahmen in Verbindung mit geplanten großen Meliorationsvorhaben die beschlossene Produktionssteigerung sicherstellen werden. In seiner oben zitierten Rede sagt Chruev in bezug auf die psychologischen Widerstände von Seiten der Bauern bei der Einführung des Maisanbaus: „Alte Gewoltnlieiten müssen beseitigt werden, jedoch nidtt durch Administrativmaflnahmen, sondern durch Überzeugung. Man muß mit den Leuten Geduld haben und ihnen beweisen, welch ausschließlichen Wert Mais besitzt. Sind die Kolchosbauern erst durch die Erfahrung überzeugt, so werden sie selbst zu aktiven Propagandisten des Mais Was hier vom Maisanbau gesagt ist, gilt für die Kollektivwirtschaft überhaupt. Sie kann nur dann zu größeren Erträgen kommen, wenn es gelingt, bessere Lebensbedingungen zu schaffen und die tief in den baltischen Bauern wurzelnde Ablehnung des Kolchossystems durch Über-zeugung in eine positivere Einstellung zu verwandeln. 11. Industrie Nach der Eingliederung der baltischen Staaten in die Sowjetunion begann sofort die Nationalisierung der Industrie, die in kurzer Zeit zur völligen Verstaatlichung nach sowjetischem Muster führte; gleichzeitig wurde das planwirtschaftliche System der UdSSR auf die baltischen Länder übertragen. Die Ausschaltung eines großen Teils der bisherigen Eigentümer und Betriebsleiter sowie das Sinken der Kaufkraft von Löhnen und Gehältern hatten ein allgemeines Nachlassen der Arbeitsdisziplin und damit den Rückgang der Produktivität der Betriebe zur Folge. Die zur Zeit der Eigenstaatlichkeit angesammelten Warenreserven, die schon bei Kriegsausbruch eine starke Minderung erfahren hatten, zeigten sich dem Ansturm der in Massen auftretenden sowjetischen Käufer nicht lange gewachsen; so erfolgte mit zunehmender Verknappung aller Gebrauchsgüter bald auch in dieser Hinsicht die Angleichung an die Verhältnisse in der Sowjetunion

Nach Beendigung des Krieges wurden von der Sowjetregierung große Anstrengungen gemacht, um die Kriegsfolgen zu beseitigen und die Industrialisierung der baltischen Republiken, insbesondere Estlands und Lettlands, vorwärtszutreiben. Hierzu waren erhebliche Investitionen erforderlich, die während des vierten Fünfjahrplanes (1946— 1950) in Estland 3, 5, in Lettland 2, 05 und in Litauen 1, 5 Milliarden Rubel betragen haben sollen. Die Tatsache, daß die Kapitalinvestierungen in Estland ebenso groß waren wie in Lettland und Litauen zusammen, erklärt sich durch die Bedeutung, welche von vornherein dem Ausbau der estländisehen Ölschieferindustrie beigemessen wurde.

Zugleich mit ihrem Wiederaufbau vollzog sich die Einbeziehung der baltischen Industrie in das komplizierte System der Sowjetwirtschaft, das in der obersten staatlichen Planungskommission der LIdSSR gipfelt.

Die Energiequellen und die Schwerindustrie wurden als „unionswichtig unmittelbar den Moskauer Ministerien unterstellt. Den Teilrepubliken und ihren Verwaltungen verblieb im wesentlichen die örtliche Gebrauchsgüter-und Lebensmittelindustrie mit eingeschränkter Produktion. Erst in jüngster Zeit ist durch die Einführung der Volkswirtschaftsräte (Sownarchose) ein Systemwandel erfolgt, der sich zugunsten der Teilrepubliken auswirkt

Beim Wiederaufbau und Ausbau der Industrie in den baltischen Ländern knüpft das Sowjetregime an die wirtschaftspolitische Lage vor dem ersten Weltkriege an. Damals setzten die rasch emporstrebenden Industrieunternehmen der einstigen Ostseeprovinzen, insbesondere der Stadt Riga, ihre Ei Zeugnisse hauptsächlich auf dem innerrussischen Markt ab. Die Trennung von Rußland bewirkte nach 1918 einen Schrumpfungsprozeß, von dem besonders die Textil-und Maschinenindustrie betroffen wurde. Zahlreiche Großbetriebe in Riga, Reval, Libau und Narva fielen auf Bruchteile ihrer einstigen Produktion zurück; Riga verlor mehr als ein Drittel seiner Einwohner.

Es ist bereits gezeigt worden, wie sich die kommunistische Propaganda mit Vorliebe dieser Tatsachen bedient, um ihre Thesen zu stützen, daß die Eigenstaatlichkeit die baltischen Länder in eine schädliche Isolierung geführt habe und ihre Wirtschaftsblüte nur durch enge Verbindung mit Rußland gewährleistet sei. In der Zeit ihrer Selbständigkeit seien sie zu kolonialen Rohstoffbasen der Westmächte herabgesunken! Diese einseitige Kennzeichnung der damaligen Sachlage soll die Aufmerksamkeit davon ablenken, daß der Vorwurf der Ausbeutung weit eher gegenüber der heutigen Wirtschaftspolitik erhoben werden könnte, die darauf ausgerichtet ist, aus der Industrialisierung der baltischen Republiken möglichst große Vorteile für die Gesamtunion zu ziehen. Die im baltischen Raum wiedererstandenen oder neu aufgebauten Industriewerke sollen dazu beitragen, den ungeheuren Bedarf der Sowjetunion an Gütern aller Art zu befriedigen — bei möglichst geringen Gegenleistungen —, sie sollen aber zugleich auch die Integrierung der früher vorwiegend nach Westen ausgerichteten baltischen Nationalwirtschaften in das sowjetische Wirtschaftssystem beschleunigen.

In diesem Zusammenhang gewinnen die Ölschieferindustrie und die an der Grenze Estlands und der russischen Sowjetrepublik (RSFSR) entstehenden Elektrokraftwerke besondere Bedeutung. Die Gasleitung, welche das estländische Ölschiefergebiet und die Stadt Kohtla-Järve mit Leningrad verbindet und die angeblich bereits zwei Millionen Einwohner mit Haushaltsgas versorgt, sowie die Hochspannungslinien, die der Leningrader Industrie den Strom des neuen Narvaer Wasserkraftwerks zuführen, dienen zugleich dazu, die bis 1940 durch Staatsgrenzen streng geschiedenen benachbarten Wirtschaftsräume heute möglichst eng miteinander zu verbinden.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den geplanten Ausbau der baltischen Industrie bildet die Erschließung neuer Energiequellen. Schon der vierte Fünfjahrplan (1946— 1950) sah daher eine beträchtliche Steigerung der Stromerzeugung vor. In Lettland wurde das während des Krieges zerstörte Dünakraftwerk bei Keggum 1947 wiederaufgebaut, in Estland der Ölschiefer als Energiequelle stärker als bisher erschlossen. Für Litauen, das schon vor dem Kriege hinsichtlich der Stromerzeugung hinter den anderen baltischen Staaten zurückstand, wurde im Rahmen des Elektrifizierungsprogramms für die Landwirtschaft ein Netz kleinerer Kraftwerke in Aussicht genommen

Der fünfte Fünfjahrplan sah dann die Errichtung eines neuen großen Wasserkraftwerkes bei Narva mit einer geplanten Kapazität von 120 000 kW sowie des Rigaer Wärmekraftwerks auf Torfbasis vor. Beide haben inzwischen den Betrieb ausgenommen, dagegen befindet sich das im gleichen Plan vorgesehene Wasserkraftwerk von Kaunas noch im Bau Die vom 20. Parteikongreß in Moskau gebilligten Richtlinien für den sechsten Fünfjahrplan setzen diese Entwicklung fort: für Estland soll beispielsweise eine Steigerung der Stromerzeugung um 280 v. H. durch die neue, unweit des Narvaer Wasserkraftwerks zu errichtende „Baltische Elektrozentrale“ auf Ölschieferbasis erreicht werden.

Den stärksten Ausbau hat in den letzten Jahren die estländische Ölschieferindustrie erfahren. Im Jahre 1939 wurden 1, 7 Mill. Tonnen Ölschiefer gewonnen und zum Teil als Brennstoff verwandt, zum Teil zur Ölgewinnung verwertet. Die Rohölerzeugung betrug im gleichen Jahr 179 000 t. Der Krieg hatte schwere Zerstörungen an den Anlagen zur Folge, deren Beseitigung sofort nach Beendigung der Kampfhandlungen unter Einsatz von über 10 000 deutschen Kriegsgefangenen in Angriff genommen wurde. Der vierte Fünfjahrplan sah für 1950 eine Förderung von 8, 4 Mill, t Ölschiefer vor, die jedoch nicht annähernd erreicht werden konnte. Vermutlich beträgt die Produktion heute etwa 7— 8 Mill, t jährlich. Neben die Verwertung als Brennstoff sowie als Ausgangsprodukt für die Ölgewinnung ist in den letzten Jahren die Vergasung des Ölschiefers getreten. Ein Gaswerk in Kohtla-Järve mit einer Jahreserzeugung von etwa 400 Mill, cbm wurde 1948 in Betrieb genommen; die Errichtung eines zweiten Gaswerks in Ahtme soll im Rahmen des sechsten Fünfjahrplanes erfolgen. Unterirdische Gasleitungen verbinden das Ölschiefergebiet mit Leningrad und Reval; geplant ist eine weitere Leitung zur Versorgung von Dorpat und Riga

Einen besonderen Aufschwung zeigt nächst der Ölschieferindustrie der Maschinenbau, der in der Zeit der Selbständigkeit wegen Absatz-mangel zum Teil fast zum Erliegen gekommen war. Die stillgelegten Waggonfabriken in Riga und Reval beliefern heute wieder wie vor 1918 die russischen Bahnen mit rollendem Material. Fabriken für den Bau von Werkzeugmaschinen, Motoren und Turbinen werden erweitert oder neu errichtet. Die Erzeugung elektrischer Geräte hat sich gegenüber der Vorkriegszeit vervielfacht; die Produktion der Rigaer Elektroindustrie geht in alle Teile der Sowjetunion. Die zum Teil verschrotteten Werften sind wiedererstanden und arbeiten für die sowjetische Flotte

Lim die Landwirtschaft mit hochwertigen Düngemitteln zu versorgen, wird die Phosphaterzeugung vergrößert: im Rahmen des Chemiekombinats Maardu (Maart) bei Reval wurde 1956 eine neue Superphosphatfabrik in Betrieb genommen, welcher der Bau einer Schwefelsäurefabrik vorausgegangen war. Die Richtlinien des 20. Parteikongresses sahen für Estland eine Vermehrung der Mineraldüngererzeugung um 500 v. H. vor.

So sind auf dem Gebiet der Industrialisierung unleugbar bedeutende Fortschritte erzielt worden. In einer Rede vor dem Nationalitätensowjet der UdSSR stellte der zweite Sekretär des Zentralkomitees der Lettischen KP, Krumins, 19 54 fest, daß die Industrieproduktion Lettlands sich gegenüber der Vorkriegszeit um das elffache vermehrt habe Ähnliche, ebenfalls nicht nachprüfbare Zahlen werden auch für Estland genannt.

Hinter dieser scheinbar reibungslosen Aufwärtsentwicklung steht in vielen Fällen ein Versagen von Menschen und Material. In einem Aufsatz anläßlich des 20. Parteikongresses klagt der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Estnischen KP, Käbin, darüber, daß in der Industrie Erscheinungen wie das grundlose Fernbleiben von der Arbeit, der häufige Arbeitsplatzwechsel und die Nichterfüllung der Normen sowohl durch einzelne Arbeiter wie durch ganze Brigaden nicht aufhören wollen Die Ursache hierfür liegt wohl hauptsächlich in der noch immer völlig unzureichenden Entlohnung der Arbeiter sowie ihrer mangelnden Betreuung. Lingeachtet der wiederholten Preisermäßigungen ist die Kaufkraft der heutigen Arbeiterlöhne noch mindestens um 20 v. H. geringer als vor dem ersten Weltkrieg, ganz zu schweigen von den Einkommensverhältnissen zur Zeit der Selbständigkeit der baltischen Staaten. Das geringe materielle Interesse der Arbeiter an der Produktion erklärt auch zum Teil den sehr hohen Prozentsatz an Ausschußware, über den in der Presse ständig geklagt wird. Da auch die Rohstoffe häufig viel zu wünschen übriglassen, schwindet mit dem Gefühl für Qualität auch die Verantwortung gegenüber den Käufern der erzeugten Waren, die bei der völlig unzureichenden Versorgung mit Gebrauchsgütern gezwungen sind, sich auch mit mindervertigen Erzeugnissen zufriedenzugeben. Mit dem Umfang der Industrie ist die Zahl der Arbeiter in den größeren Wirtschaftszentren ständig gewachsen; sie dürfte sich heute gegenüber dem Stande von 1939 sowohl in Estland wie in Lettland mehr als verdoppelt haben; in Litauen, wo die Entwicklung noch nicht so weit gediehen ist, hat sich die Zahl der Arbeiter ebenfalls stark vermehrt. Die durch Kriegsverluste, Verschleppungen und Emigration in ihrer Substanz geschwächten baltischen Völker können den wachsenden Menschen-bedarf nicht mehr decken; die Folge davon ist eine zunehmende Unterwanderung durch russische Elemente. So fördert die Industrialisierung der baltischen Länder auch die Sowjetisierung in doppelter Hinsicht. Einerseits begünstigt die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung den Prozeß der Eingliederung dieser Länder in die gesamtsowjetische Wirt-schäft, andererseits führt die durch den wachsenden Bedarf an Menschen ausgelöste Massenunterwanderung in nationaler Hinsicht zu einer Änderung der bisherigen Bevölkerungsstruktur.

Es sind dies in der Geschichte des baltischen Raumes keine neuen Erscheinungen; sie haben sich schon zu Beginn des Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem stürmischen Wachstum der Stadt Riga und später, zur Zeit des Ersten Weltkrieges, auch in Reval gezeigt, als die Überschwemmung durch russische Soldaten und Werftarbeiter das nationale Gepräge der Stadt in kurzer Zeit völlig veränderte Damals handelte es sich nur um vorübergehende Erscheinungen, weil die Eigengesetzlichkeit des Raumes noch mehr oder weniger unangetastet und die Substanz der ihn bewohnenden Völker noch unversehrt war. Heute liegen die Dinge, insbesondere in Estland und Lettland, wesentlich anders; das Kräfteverhältnis hat sich dort so sehr zu Ungunsten der baltischen Völker und ihrer Eigenständigkeit verschoben, daß bei gleichbleibenden Voraussetzungen der Zeitpunkt abzusehen ist, an welchem die russischen Einwanderer, die der eingesessenen Industriearbeiterschaft zum Teil auch biologisch überlegen sind, jene in die Minderheit gedrängt haben werden. 12. Schlußbemerkungen Stellen wir zum Schluß noch die Frage, ob sich durch den ständigen politischen Druck das Verhalten der Bevölkerung dem Vorgänge der Sowjetisierung gegenüber gewandelt hat, so werden wir trotz manchen Vorbehalten im Grundsätzlichen verneinend antworten dürfen. Wohl hat das erste „heroische Zeitalter“ des aktiven Widerstandes mit seinen in Estland und Litauen besonders erbittert geführten Partisanenkämpfen der sogenannten „Waldbrüder" schon lange sein Ende gefunden. Der Geist, von dem dieser Widerstand getragen wurde, ist aber auch heute noch lebendig und beherrscht weitgehend die Stimmung der baltischen Völker, wobei sich im Verhalten der drei Nationen, je nach ihrem geschichtlichen Werdegang und ihrer völkischen Eigenart, deutlich erkennbare Unterschiede zeigen

Anscheinend ist der innere Widerstand bei den Esten am stärksten; ihnen folgen die Litauer, dann die Letten. Die in Jahrhunderten der Fremdherrschaft erprobte Fähigkeit der baltischen Völker, lange Zeiträume hindurch unbeirrt in passiver Resistenz zu verharren, hat sich in der letzten Epoche ihrer wechselvollen Geschichte aufs neue bewährt. Durch äußere Zugeständnisse gesichert, bewahren die Angehörigen dieser Völker innerlich ihre bewußt nationale Haltung, die durch das herausfordernde Auftreten der Russen nur noch verstärkt wird. Die Neuzuwanderer aus der Sowjetunion werden als Eindringlinge angesehen; die ihnen entgegengebrachte Ablehnung überträgt sich unwillkürlich auf die kommunistische Ideologie, als deren Vertreter sie erscheinen.

Dieses gilt nach vielen Zeugnissen gerade aus neuester Zeit auch für die Jugend, die sich, entgegen allen bisherigen Befürchtungen, der Beeinflussung durch die Schule und die kommunistischen Jugendorganisationen weitgehend hat entziehen können. Es zeigt sich immer deutlicher, daß der Kampf der. Kommunisten um die Jugend vergeblich war. Statt sich dem Leitbild der sowjetrussischen Jungkommunisten anzupassen, verharrt die Jugend in der Ablehnung alles Russischen. Nur widerwillig wird die russische Sprache erlernt; nach Möglichkeit wird ihr Gebrauch auch im Umgang mit Russen vermieden. In der Schule wie bei Sport und Tanz scheut die baltische Jugend die Berührung mit ihren russischen Altersgenossen. Die von Jahr zu Jahr steigende Ablehnung der kommunistischen Jugendorganisationen führt dazu, daß sich eine wachsende Zahl von Jugendlichen ihnen zu entziehen sucht. Mischheiraten sind überaus selten.

Aber auch bei den Erwachsenen ist es trotz aller Resignationen unverkennbar, daß sie noch nicht gewillt sind „echte“ Sowjetmenschen zu werden. Die Erinnerung an die Zeit der politischen Selbständigkeit ist noch lebendig, und nach wie vor schauen die Menschen dieser Länder westwärts, wenn auch nach den Erfahrungen des ungarischen Aufstandes die Hoffnung auf eine Befreiung mit westlicher Hilfe nahezu geschwunden ist. Die Verbindung mit der freien Welt wird in erster Linie durch das Abhören ausländischer Sender aufrechterhalten; in letzter Zeit finden die in beschränktem Llmfange eingeführten Bücher und Zeitschriften in westeuropäischen Sprachen (zumeist Erzeugnisse der Satellitenstaaten) dankbare Abnehmer Wird einmal ein ausländischer Film gezeigt, so füllen sich die bei der Vorführung russischer Filme oft gähnend leeren Kinos bis auf den letzten Platz In seltenen Fällen, zum Beispiel, wenn bei einem Konzert ein volkstümlicher Liedtext ausnahmsweise die Maschen der Zensur passiert hat, bricht das unterdrückte Nationalgefühl spontan durch

Das seit jeher den Russen gegenüber deutlich ausgeprägte Überlegenheitsgefühl der baltischen Völker — manchmal sogar eine Gefahr, weil es sie die eigenen Kräfte überschätzen ließ — ist auch heute noch wirksam.

Wiederholt war hier die Rede von den sogenannten Rußlandbalten, den in der kommunistischen Umwelt in nationaler Hinsicht indifferent gewordenen Nachkommen einstiger Rußlandauswanderer und politischer Emigranten, die in ihre baltische Heimat zurückverpflanzt worden sind, um dem Sowjetsystem als Handlanger zu dienen. Das enge Zusammenleben mit der ansässigen Bevölkerung scheint dazu zu führen, daß sich diese Rückwanderer wieder auf ihre nationale Herkunft besinnen und allmählich auf die Seite ihrer in Opposition verharrenden Landsleute hinüberwechseln. So ist die Assimilationskraft eines im Innern ungebrochenen Volkstums auch heute noch stärker als die des mit allen Mitteln der Propaganda und des staatlichen Machtapparats verbreiteten Leitbildes vom „Sowjetmenschen".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Da die Entwicklung in den drei baltischen Staaten im wesentlichen parallel verläuft, wird, um Wiederholungen zu vermeiden, in erster Linie Estland als Modellfall herausgestellt. Wo in den anderen Ländern Besonderheiten auftreten, werden sie nach Möglichkeit berücksichtigt.

  2. G. v. Rauch, Die baltischen Staaten und Sowjetrußland 1919— 1939. In: Europa-Archiv. 1954. S. 6859— 6868, 6965— 6972, 7087— 7094; W. Meder, Werdegang und Ende der baltischen Staaten. In: Zs. f. osteuropäisches Recht. N. F. 7 . 1940/41. S. 124— 147.

  3. Zur Vorgeschichte des Moskauer Vertrages vgl.: B. Meißner, Die Groß-mächte und die baltische Frage. In: Osteuropa. 2. 1952. 241— 250, 341— 346. Ihm z. T. widersprechend: H. v. Rimscha, Die Baltikumpolitik der Großmächte. In: Historische Zs. 177. 1954. S. 281 bis 309; B. Meißner, Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht. (Köln 1956.) S. 24 ff.

  4. B. Meißner, Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den baltischen Staaten von der deutsch-sowjetischen Interessenabgrenzung bis zum sowjetischen Ultimatum. In: Zs. f. Ostforschung. 3. 1954. S. 161 179.

  5. Für die Einzelheiten vgl.: B. Meißner, Die kommunistische Machtübernahme in den Baltischen Staaten. In: Vierteljahreshefte f. Zeitgesch. 2. 1954. S. 95- 114; ders., Die Sowjetunion, S. 78 ff.; A. Ceichners, Was Europa drohte. Die Bolschewisierung Lettlands. 1940- 41. Riga 1943. S. 163 ff.; Eesti rahva kannatuste aasta (Das Leidensjahr des estnischen Volkes). 1. 2. Tallinn 1943 Report of the Select Committee to investigate Communist Aggression and the forced incorporation of the Baltic States into the U. S. S. R. Third interim report . . . Washington 1954. S. 215- 375; A. N. Makarov, Die Eingliederung der baltischen Staaten in die Sowjetunion. In: Zs. f. ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. 10. 1941. S. 682- 707.

  6. Third interim report, S. 450— 463, bes. S. 458— 460.

  7. A. Ceichners, S. 240.

  8. Zu folgendem vgl. A. Ceichners, besonders S. 313 ff.; B. Meißner, Sowjetunion, S. 91 ff.; Eesti riik ja rahvas teises maailmasöjas (Estland, Staat und Volk im 2. Weltkrieg). 3. Stockholm (1956).

  9. Das estnische Schutzkorps (Kaitseliit) wurde am 28. Juni, die lettische Schutzwehr (Aizsargi) am 8. Juli 1940 aufgelöst.

  10. M. Ojamaa, A. u. T. Varmas, Eesti ajalugu (Geschichte Estlands). Stockholm 1946. S. 401.

  11. A. Ceichners, S. 515— 518; Eesti riik ja rahvas, 3, S. 129— 133.

  12. V. Riismandel, Eesti maa-alad Vene halduse all (Estnische Gebiete unter russischer Verwaltung). In: Tulimuld. 4. 1953. S. 102— 108; H. Weiss, Verwaltungskarte Estlands. In: Zs. f. Ostforschung. 3. 1954. S. 258 ff.

  13. V. Riismandel, S. 105. Der Rayon Pecory wurde aus ehemaligen estnischen, der Rayon Pytalovo aus lettischen, der Rayon Kacanova aus estnischen wie lettischen Gebietsteilen neu gebildet.

  14. Sieben Landgemeinden des Kreises Petserimaa (davon zwei nur teilweise) und drei des Gebiets jenseits der Narva (Kreis Virumaa-Wierland). Durch Gesetz des Obersten Sowjets der UdSSR v. 20.12.1957 wurden weitere geringfügige Grenzberichtigungen zwischen der RSFSR und der Estnischen SSR im Gebiet des ehemaligen Kreises Petserimaa (Petschur) geregelt. Vedomosti Vercovnogo Soveta SSSR 1957. Nr. 25. S. 709-710.

  15. Gesetz d. OS d. UdSSR v. 3. 8. 1940. Es handelt sich um Grenzveränderungen zugunsten Litauens im Gebiet von venionys, bei Lenkiskis/Varanavas, Rodüne/Poriece und bei Druskininkai.

  16. B. Meißner, Sowjetunion. In: Osteuropa, 2. 1952. S. 213— 215; H. Weiss, Estland. In: Osteuropa. 2. 1952. S. 298; J. v. Hehn, Lettland. In: Osteuropa. 3. 1953. S. 219 ff.; Dekret des Präsidiums des OS der Lett. SSR v. _ 31. 12. 1949 über die Einführung der Rayons veröffentl. in: Latvijas PSR Zintu Akademijas Vestis. 1950, 1 (30). S. 137— 145 (enthält das Verzeichnis der Rayons mit den ihnen zugeteilten Städten und Dorfsowjets). Ein entsprechendes Verzeichnis der litauischen Rayons in: Vilnies Kalendorius 1951. Chicago; D. Krivickas, The evolution of the Soviel Constitution imposed on Lithuania. In: The Baltic Review. 6. 1956. S. 58.

  17. Diese Zahl erhöhte sich später auf 641.

  18. Dekret des Präsidiums des OS der Estn. SSR v. 17. Juni 1954. In: Rahva Hääl, Nr. 143 v. 18. 6. 1954; Sovetskaja Estonia Nr. 143 u. 144 v. 18. und 19. 6. 1954; Newsletter from behind the Iron Curtain Nr. 369 v. Juli 1954. S. 27 ff.; Narodnoe chozjajstvo SSSR. Statisticeskij sbornik. Moskau 1956. S. 22— 23.

  19. Stockholms Tidningen Eestlastele v. 8. 8. 1952; G. M. Werner, Baltische Heimat, baltische Völker 1953. In: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 1954. S. 77— 79; A. Trimakas, The russification Drive in Soviet-occupied Baltic countries. In: The Baltic Review. 5. 1955. S. 53. Für die Bevölkerungsverluste Litauens konnten von Herrn Dipl. -Ing. P. Zünde, Weinheim, freundlichst zur Verfügung gestellte Angaben verwertet werden.

  20. Narodnoe chozjajstvo SSSR, S. 18. Die auf den Wählerzahlen beruhenden Schätzungen kommen zu etwas höheren Ergebnissen (Estland rd. 1 200 000; Lettland rd. 2 150 000; Litauen rd. 2 750 000). Bei den Wahlen in den Obersten und den Nationalitäten-Sowjet der UdSSR am 16. 3. 1958 betrugen die Wählerzahlen (in Klammern die Zahlen der Wahlen vom 14. 3. 1954): Estland 885 596 (876 892); Lettland 1 528 864 (1 434 249); Litauen 1 736 751 (1 645 427). Sov. Estonija Nr. 67 v. 19. 3. 1958.

  21. G. M. Werner, S. 78.

  22. Aus Estland seien folgende Beispiele angeführt: Johan Eichfeld, Präsident d. Akademie d. Wissenschaften (seit 1958 Vorsitzender d. Präsidiums d. Obersten Sowjets d. Estnischen SSR); Leonid Lentsman, 2. Sekretär d. KP Estlands; Leonhard Illisson, Vorsitzender d. Gewerkschaften d. Estnischen SSR; Fedor Klement, Rektor d. Universität Dorpat (Tartu).

  23. Hinter der sichtbar werdenden behördlichen Lenkung läßt sich eine planmäßig auf allmähliche Umvolkung ausgerichtete Bevölkerungspolitik wohl vermuten, jedoch nicht nachweisen. Eine solche stößt, sofern sie beabsichtigt sein sollte, u. a. auf die Schwierigkeit, daß ein Teil der ins baltische Gebiet einwandernden Russen sich angesichts der ablehnenden Haltung der einheimischen Bevölkerung dort nicht eingewöhnen kann und es nach kurzem Aufenthalt vorzieht, in die gewohnte Umwelt zurückzukehren.

  24. Eesti Teataja v. 19. 1. 1952.

  25. Dekret d. OS der UdSSR v. 7. 9. 1940; B. Meißner, Sowjetunion, S. 110; V. Riismandel, Soviet Law in occupied Estonia. In: The Baltic Review. 5. 1955. S. 26.

  26. B. Meißner, Sowjetunion, S. 98 ff., V. Riismandel, Soviet Law, S. 28 ff.

  27. V. Riismandel, Kodu-Eestis kehtib Nöukogude Vene öigus (In der Heimat Estland gilt das Recht der Sowjetunion). In: Vöitlev Eesti. 4. 1953. S. 43.

  28. A. N. Makarov, Die Einführung der Sowjetgesetzbücher in den der Sowjetunion neuangegliederten Gebieten. In: Zs. f. osteuropäisches Recht. N. F. 7. 1940/41. S. 423- 441. Nähere Angaben bei B. Meißner, Sowjetunion, S. 110 ff., und V. Riismandel, Soviet Law, S. 37 ff.

  29. V. Riismandel, Soviet Law, S. 30; B. Meißner, Sowjetunion, S. 103.

  30. vgl. auch die Referate über die Rechtsentwicklung in den baltischen Staaten, abgedr. in: Internationaler Juristen-Kongreß West-Berlin 1952, Gesamtbericht (Berlin 1952), S. 32- 36, 106- 113, 127- 128.

  31. A. Rusis, Report on recent criminal cases. In: Highlights. 4, 1. 1956. S. 13— 23.

  32. E. Walter, Das Baltikum in Zahlen. Königsberg 1937. S. 4, 22, 41; A. Bilmanis, The Church in Latvia. New York 1945. S. 22.

  33. Zum folgenden vgl.: Religious Persecution in the Baltic Countries 1942— 1952. National Committee for a Free Europe. Research and publications service. New York 1952; H. Perlitz, Estlands kyrka under sovjetväldet 1940— 1941. Stockholm (1943); L. Cuibe, The Lutheran Church of Latvia behind the Iron Curtain. Stockholm 1948; A. Ceichners, S. 667— 669; V. Vaitiekunas, Genocide against the Roman Catholic Church in Lithuania. In: The Baltic Review. 2/3. 1954. S. 54— 68; A. Trakiskis, The Situation of the church and religious practices in occupied Lithuania. 1. Under the Soviet occupation 1940/41. In: Hearings before the Select Committee to investigate the incorporation of the Baltic States into the USSR. 1. Washington 1954. S. 583— 617; S. Zymantas, The Church and Soviet Communism — a Lithuanian example. In: East and West. 1. 1954. S. 34— 41; H. Brunavs, Religion versus Communism. In: The Baltic Review. 8. 1956. S. 64— 70; G. N. Shuster, Religion behind the Iron Curtain. New York 1954. S. 207— 215.

  34. Eesti. Eesti entsüklopeedia andmeil (Estland nach Angaben der Estnischen Enzyklopädi). Geislingen 1949, S. II, 97.

  35. B. Meißner, Sowjetunion, S. 108.

  36. J. Aunver, Eesti rahvakiriku ristitee (Der Leidensweg der estnischen Kirche). Stockholm 1953. S. 120; A. Ceichners, S. 667- 669. In Lettland wurde das Statut des Verbandes der aktiven Gottlosen am 24. 4. 1951 vom Rat der Volkskommissare bestätigt.

  37. V. Vaitiekunas, S. 64.

  38. J. Aunver, S. 120.

  39. Bezeichnend ist die Gleichstellung von Religion und Trunksucht, wie sie der Direktor des estländischen Instituts für Parteigeschichte, J. Saat, zu Be-ginn eines neuen Propagandafeldzuges im Herbst 1954 verkündete. Religion und Trunksucht seien beide nichts anderes als vom kapitalistischen System unter der Bevölkerung verbreitete Narkotia und müßten in gleicher Weise bekämpft werden. Newsletter Nr. 371 v. Sept. 1954..

  40. A. Vader, Sekretär des Revaler Gorkom d. KP Estlands, „Pravda" 17.11.1954.

  41. V. Vaitiekunas, S. 62—63; Religious persecution, S. 7.

  42. V. Vaitiekunas, S. 64.

  43. Tiesa v. 24. 2. 1954; V. Vaitiekunas, S. 68.

  44. Die Volkshäuser verfallen, während Kirchen und Kapellen dank freiwilliger Spenden des Volkes gut instand gehalten werden. An einigen Orten zeigen sich sogar kommunistische Funktionäre in den Kirchen, wobei sie ihr Erscheinen damit begründen, daß sie „mit den Massen Kontak halten und sich nicht vom übrigen Volk absondern wollen". Newsletter Nr. 374 v. Dez. 1954, v. Okt. 1955. Vgl. Nr. 384 auch A. Kaelas, Okupeeritud Eesti (Das besetzte Estland), Stockholm 1956, S. 102— 104.

  45. J. Klejment, The Forms of Baltic resistance to the communists. In: The Baltic Review. 8. 1956. 39.

  46. H. Brunavs, S. 65— 70.

  47. vgl. hierzu: E. Blumfeldt, Umwertung der Geschichte in Sowjet-Estland. In: Die baltischen Völker in ihrer europäischen Verpflichtung. 6 Vorträge. Hannover-Döhren 1958. S. 3— 17. Für Estland vgl.: J. v. Hehn, Sowjetisiierung der baltischen Geschichte. In: Osteuropa. 3. 1953. S. 394— 395.

  48. Sov. Litva Nr. 148 v. 24. 6. 1954.

  49. Rahva Hääl Nr. 87 v. 12. 4. 1953.

  50. vgl.den Angriff von O. Saadre u. V. Golant auf das Buch von P. Johansen, Nordische Mission, Revals Gründung und die Schwedensiedlung in Estland, in: Rahva Hääl Nr. 93 v. 19. 4. 1953. Wiss. Dienst. 3. 1953. S. 217— 218

  51. Voprosy istorii. 1953. H. 12. S. 174; H. Weiss, Geschichtswissenschaft in Sowjet-Estland. In: Zs. f. Ostforschung. 3. 1954. S. 255.

  52. Rahva Hääl Nr. 87 v. 12. 4. 1953.

  53. V. A. (Maamjagi), Obrazovanie Estonskoj socialisticeskoj nach (Di© Gestaltung der estnischen sozialistischen Nation). In: Istor. Zapiski. 45. 1954. S. 288.

  54. Newsletter Nr. 270/71 v. 26. 3. 1952. S. 57.

  55. Die Zahl der Hochschulen betrug 1957 (in Klammern die entsprechen-Zahlen für 1940): in Estland: 6 (5); in Lettland: 9 (4); in Littauen: 11 (5). Spravocnik dlja postupajuscich v vyssie ucebnye zavedenija Sojuza SSR v. 1957 g. Moskau 1957, S. 212 ff.

  56. vgl. S. 36, 37.

  57. E. Kareda, Estonia in the Soviet grip. London (1949). S. 51.

  58. Välis Eesti Nr. 25 v. 5. 12. 1954 (zit. n. Wiss. Dienst. 5. 1955^ 8. 20— 22); Newsletter Nr. 263/64 v. 6. 2. 1952 (Rede des Parteisekr. Kalnberzins a. d. 11. Kongreß der KP Lettlands).

  59. Izvestija Nr. 229 v. 26. 9. 1952; Pravda Nr. 270 v. 26. 9. 1952.

  60. Sov. Latvija Nr. 194 v. 17. 8. 1955; Rahva Hääl Nr. 282 v. 30. 11. 1955.

  61. vgl. Anm. 60.

  62. E. Viirsalu, Women and youth in Soviet occupied Estonia. London 1955. S. 49.

  63. Sov. Estonija Nr. 140 v. 15. 6. 1957.

  64. Eesti Teataja Nr. 3 v. 19. 1. 1952.

  65. A. Kaelas, Okupeeritud Eesti, S. 99; A. M. Kolotievskij u. a., Latvijskaja SSR. Moskau 1955. S. 39; School System in occupied Latvia. In: The Baltic Review. 6. S. 29; Litovskaja SSR. Moskau 1955. S. 108. Narodnoe chozjastvo SSSR v. 1956 godu. Statisticeskij ezegodnik (Die Volkswirtschaft der UdSSR i. J. 1956. Statist. Jahrbuch). Moskau 1957. S. 255; Kul'turnoe stroitel'stvo SSSR. Statist, sbornik (Das Kulturwesen der UdSSR). Moskau 1956. S. 210— 211).

  66. O. Parlo, Uldharidus Nöukogude Eestis (Die Allgemeinbildung in Sowjetestland). In: Vitlev Eesti. 5. 1954. S. 54— 65; E. Viirsalu, S. 38 ff.; J. Sarve!, Estonia to-day. London 1947. S. 33— 36; V. Kosa, Kultüras dzlve okkuptj Latvijä (Das kulturelle Leben im besetzten Lettland). In Värti 1. 1952. S. 14— 25; School System in occupied Latvia. S. 23— 33.

  67. Sov. Litav Nr. 4 v. 1. 1956.

  68. O. Paria, S. 63.

  69. [A. Kaelas], Den estniska ungdomens moständ. In: Svensk Tidskrift. 44. 1957. S. 322— 324.

  70. Sov. Litva Nr. 4 v. 5. 1. 1956.

  71. Sov. Litva Nr. 204 v. 28. 8. 1954.

  72. s. S. 24.

  73. vgl. zum folgenden: A. Ceichners, S. 358— 406; E. Kareda, Technique of economic sovietisation. London (1947). S. 35— 60; ders. Estonia, S. 21— 30; A. Kaelas, Estland efter andra världskriget. Stockholm (1951). S. 11— 14; ders. Jordbrukseländer i Sovjetestland. In: Svensk Tidskrift. 38. 1951. S. 472 481; H. Petersen: Die sowjetische Agrarpolitik in den Baltischen Staaten 1940 bis 1952. In: Osteuropa. 3. 1953. S. 191 — 196; Die Wirtschaftslage im Baltikum. In: Ostprobleme. 7. 1955. S. 393— 410; J. v. Hehn, Die heutigen Agrarverhältnisse Lettlands. In: Baltische Hefte. 1, 1. 1954. S. 6— 10; V. Riismandel, Land and peasant. Estonia. In: Government, law, and courts behind the Iron Curtain. International Commission of Jurists. 1955 (Preliminary edition); R. v. Benda, Die landwirtschaftlichen Auswirkungen der Sowjetisierung auf die Landwirtschaft Nordeuropas. Hamburg 1955; A. Kaelas, Die sowjetische Landwirtschaft in Estland. In: Baltische Hefte. 3. 1956/57. S. 202— 207. J. A. Bokalders, Strukturwandel der Landwirtschaft Lettlands. In: Zs. f. Ost-forschung. 6. 1957. S. 512— 524 ; 7. 1958. S. 45— 60.

  74. E. Kareda, Technique, S. 41; A. Ceichners, S. 363.

  75. E. Kareda, Technique, S . 56; V. Rüsmandel, Land and peasant, S. 179.

  76. H. Petersen, Agrarpolitik, S. 192.

  77. Ostprobleme, S. 394.

  78. Ostprobleme, S. 395.

  79. Istorija Latvijskoj SSR. Sokrascennyj kurs. Riga 1955. S. 552. Vgl. auch V. Lill und V. Maamägi), Estonskaja SSR, Moskau 1955, S. 85; „Die Massenkollektivisierung der bäuerlichen Betriebe und die Beseitigung der letzten und zahlreichsten Ausbeuterklasse des Kulakentums — bedeuten für das estnische Dorf den größten revolutionären Umbruch.

  80. Ostprobleme, S. 396. Die Auswirkungen der MTS-Reform von 1958 (vgl. Osteuropa. 8. 1958. S. 217— 223 u. 489— 492) konnten hier nicht mehr berücksichtigt werden.

  81. Rahva Hääl v. 30. 12. 1955; Pravda v. 19. 2. 1956.

  82. vgl. die o. a. Literatur. Ferner Pravda v. 9. 12. 1954; J. v. Hehn, Agrarverhältnisse Lettlands, S. 9.

  83. Dies gilt hauptsächlich für Lettland und Estland. Für Litauen, das zur „Leinrepublik“ erklärt worden ist, steht der Flachsanbau im Vordergründe.

  84. R. v. Benda, S. 84— 85; Osteuropa. 3. 1953. S. 224; Sov. Estonija v. 26. 12. 1954.

  85. Newsletter Nr. 372 v. Oktober 1954.

  86. Pravda v. 17. 6. 1955.

  87. vgl. die Reden der Ersten Parteisekretäre Snieckus und Käbin auf dem 8. Kongreß der KP Litauens und dem 9. Kongreß der KP Estlands. Sov. Litva v. 24. 2. 1954; Rahva Hääl v. 18. 1. 1956. Siehe auch: 15 let Sovetskoj Latvii (15 Jahre Sowjetlettland). Riga 1955. S. 199— 200; Sov. Estonija v. 10. 12. 1954; Bau von Kolchossiedlungen in Estland.

  88. Newsletter Nr. 309/10 v. Dez. 1952. S. 216— 217; Nr. 377 v. März 1955. S. 15— 17; A. Kaelas, Der Verdienst des Kolchosbauern in Sowjetestland. In: Osteuropa. 5. 1955. S. 178— 181; 6. 1956. S. 71— 73; ders., Okupeeritud Eesti, S. 84— 86; R. v. Benda, S. 62.

  89. E. Vürsalu, S. 6— 17; J. v. Hehn, Agrarverhältnisse Lettlands, S. 8.

  90. „Auf keinem Gebiet des Wirtschaftslebens sind wir solchen Schwierigkeiten " begegnet, wie auf dem der Landwirtschaft, wo neben der Aufgabe, die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu steigern, die Notwendigkeit bestand, Fragen der organisatorischen und politischen Konsolidierung der Kolchose zu lösen." (Aus der Rede des 1. Parteisekretärs Kalnberzins auf dem 14. Kongreß der KP Lettlands.) Sov. Latvija v 18 1 1956.

  91. Pravda v. 17. 6. 1955.

  92. Zum folgenden vgl.: R. Neumann, Die Wirtschaftsentwicklung der baltischen Staaten nach der Eingliederung in die Sowjetunion. In: Zs. f. Ostforschung. 3. 1954. S 180— 188; A. Ceichners, S. 446— 469; E. Kareda, Estonia, S. 34— 41; A. Kaelas, Die sowjetische Brennschieferindustrie in Estland In: Baltische Hefte. 1, 3. 1954/55. S. 2— 6; Die Wirtschaftslage im Baltikum In: Ostprobleme 7. 1955. S. 378— 387; A. Kolotievskij u. a., Latvijskaja SSR (Die Lettische SSR), S. 48— 63.

  93. H. Weiss, Estland. Durchführung der Chruschtschowschen Wirtschaftsreform.

  94. Die Wirtschaftslage im Baltikum, S. 368.

  95. Sov. Litva v. 26. 1. 1956.

  96. A. Kaelas, Brennschieferindustrie, S. 4.

  97. R. Neumann, Wirtschaftsentwicklung, S. 186; A. Kolotievskij, S. 51— 55.

  98. Cina v 25. 3. 1955; J. v. Hehn, Lettland. In: Osteuropa. 5. 1955. S. 298.

  99. Rahva Hääl v. 14. 2. 1956.

  100. W. Lenz, Die Entwicklung Rigas zur Großstadt. Kitzingen 1954. S. 79.

  101. Zum folgenden vgl.: Newsletter Nr. 384 v. Okt. 1955. S. 55; [A. Kaelas], Den estniska ungdomens motständ, S. 322— 324; N. Valters, Die Jugend im heutigen Lettland. In: Die baltischen Völker in ihrer europäischen Verpflichtung. Hannover-Döhren 1958. S. 18— 25.

  102. Rahva Hääl Nr. 29 v. 3. 2. 1956.

  103. Eesti Teataja Nr. 4 v. 26. 1. 1952.

  104. Stockholms Tidningen Nr. 316 v. 21. 11. 1954.

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