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Amerikas globales Engagement | APuZ 9/1966 | bpb.de

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APuZ 9/1966 Das Ende der Nachkriegszeit über den Polyzentrismus Amerikas globales Engagement

Amerikas globales Engagement

Zbigniew K, Brzezinski

Wenn sich die Vereinigten Staaten aus der Weltpolitik zurückzögen

Es ist noch nicht viele Jahre her, da wurde Amerika heftig kritisiert, weil es traditionell eine isolationistische Politik verfolge. Diese Politik sei kurzsichtig und unmoralisch, so hieß es; kurzsichtig, weil es für Amerika von lebenswichtiger Bedeutung sei, wer Europa oder Asien beherrsche, und unmoralisch angesichts der Bedrohung der westlichen Werte durch die totalitären Mächte.

Seit damals ist die Welt viel kleiner und unruhiger geworden, während die Macht Amerikas und sein weltpolitisches Engagement ungeheuer gewachsen sind. Es entbehrt daher nicht eines ironischen Beigeschmacks, daß heutzutage der amerikanischen Außenpolitik von einheimischen wie ausländischen Kritikern hauptsächlich vorgeworfen wird, sie sei zu „globalistisch" geworden und die politischen Führer der USA seien zu sehr geneigt, in dem heutigen Weltkonflikt eine Auseinandersetzung um bestimmte fundamentale Werte zu sehen. Der politische Realismus verlange, so hört man oft, daß Amerika die Grenzen seiner Macht erkenne, daß es in Europa ein Disengagement und ein gaullistisches „europäisches Europa" akzeptiere und daß es sich in Asien mit der Vorherrschaft Chinas abfinde, die nun einmal unvermeidlich sei.

Es dürfte nützlich sein, einmal kurz darüber nachzudenken, was geschehen würde, wenn Washington jetzt zu solch einer isolationistischen Haltung zurückkehrte. Was wäre die Wirkung auf Indien, wenn die Vereinigten Staaten „die Tatsache" der chinesischen Vorherrschaft in Asien hinnähmen, und sei es nur stillschweigend? Könnte das nicht für die Chinesen eine Versuchung sein, ihren Erfolg von 1962 zu wiederholen und dadurch ein schon geschwächtes Indien weiter zu unterminieren? Was würden die Japaner tun, wenn sie sich überzeugen müßten, daß die amerikanische Macht nicht mehr zu ihrem Schutz zu Gebote stünde und daß Amerika die Vormachtstellung in Asien, die es Japan immer verweigert hatte, jetzt China überlassen hätte? Wie würden die Deutschen reagieren, wenn sie feststellten, daß die Disengagement-Politik die offizielle Linie Washingtons geworden wäre und daß die Europäer nunmehr auf eigene Faust versuchen müßten, das Problem der europäischen Teilung und ihres Verhältnisses zu dem mäch-tigen Nachbarn im Osten zu lösen? Es ist eine schlichte Tatsache, daß es an vielen Stellen der Welt alteingefressene Animositäten zwischen Nachbarn gibt, die sich sehr schnell in feindseligen Aktionen Luft machen würden, wäre nicht die Einsicht, daß eine äußere Gewalt eingreifen und örtliche Konflikte ersticken oder eindämmen würde

Es könnte eingewandt werden, daß unser überblickungenau sei und den neo-isolationistischen Kritikern des amerikanischen globalen Engagements der Nachkriegszeit nicht gerecht werde. Diese Kritiker könnten sagen, sie beanstandeten ja nicht, daß Amerika seine Macht zum Schutz anderer einsetze, sondern daß es dazu neige, seinen Schützlingen die Politik zu diktieren und die amerikanische Macht in nutzlosen Engagements zu verzetteln.

Weiter könnten sie argumentieren, daß die Verantwortung für die Erhaltung des Welt-friedens bei den Vereinten Nationen liege und daß man es dieser Organisation überlassen müsse, die beschwerliche Aufgabe der Friedenssicherung auf sich zu nehmen.

Leider ist es in der Ära des Kalten Krieges eine nackte Tatsache, daß die Vereinten Nationen so gut wie gar nichts auszurichten vermögen, wenn die Interessen der Großmächte kollidieren. Das hat sich in den Nachkriegsjahren wiederholt gezeigt: in Berlin, Ungarn, Kuba usw. Daher stehen die Vereinigten Staaten in bestimmten Augenblicken auch heute vor der gleichen Wahl wie 1940 in Europa, 1950 in Korea und 1960 in Berlin oder Vietnam: entweder müssen sie sich der Einmischung enthalten und passiv zusehen, wie andere den Verlauf der Dinge bestimmen, oder sie müssen ihre Macht einsetzen und sich an dem schmutzigen Geschäft der Weltpolitik beteiligen. Der Einsatz ökonomischer und politischer Macht bringt die Möglichkeit mit sich, an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken. Setzt umgekehrt Amerika Macht ein ohne einen entsprechenden Betrag politischer Initiative — sei es beim Aufbau eines neuen Europa, sei es bei der Einleitung einer nicht-totalitären Modernisierung in Asien —, so belastet es damit seine eigene Zukunft. Es ist deshalb undenkbar, daß die Vereinigten Staaten anderen Ländern einen Blankoscheck zur Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik ausstellen könnten oder sollten — bloß, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie diktierten anderen die Politik.

Schließlich steht es auch nicht immer völlig im Belieben Amerikas, ob es seine Macht einsetzt oder nicht. Viele globale Krisen entzünden sich nicht von selbst aus örtlichen Streitigkeiten, sondern werden von Mächten, die ein Interesse an der Schaffung explosiver Situationen haben, ausgenutzt oder gar geschürt. Daher ist damit zu rechnen, daß die amerikanische Macht gerade in solchen Weltgegenden herausgefordert wird, wo sie am meisten exponiert ist und ihre technische Überlegenheit am wenigsten ins Gewicht fällt. Das „Mi-nimax" -Prinzip ist ja eine alte Kriegslist im politischen Kampf.

Die Konzeption der Einflußsphären ist überholt

In letzter Zeit ist es wieder Mode geworden, von Einflußsphären zu sprechen. Vor allem de Gaulle hat dem Begriff zu neuem Ansehen verholten und viele akademische Kritiker der gegenwärtigen amerikanischen und britischen Fernostpolitik sind ihm eifrig gefolgt. Ihr Zukunftsbild zeigt eine in regionale Einflußgebiete geteilte Welt: Die Vereinigten Staaten sind die Vormacht in der westlichen Hemisphäre, ein „europäisches Europa" irgendwo in Europa, China in Asien und Rußland in dem verbleibenden Teil Eurasiens. Mitunter wird dieses Bild sogar als die bestehende Wirklichkeit hingestellt, aus der unsere politischen Führer die „richtigen" Schlußfolgerungen ziehen sollten

Es ist zweifelhaft, ob im 20. Jahrhundert nach diesem sehr traditionellen und statischen Konzept eine vernünftige Politik möglich ist. Seine Anwendung auf Asien würde gerade den Zustand herbeiführen, den seine Verfechter als unvermeidliche Zukunft voraussagen. Eben deshalb beobachten heute die Inder, die Thailänder und die anderen Nachbarn Chinas sehr genau, wie der Westen auf die chinesische Herausforderung reagiert. Mit dem traditionellen Einflußsphären-Konzept kommt man in einer Welt, in der rapide Veränderungen und sich vermutlich noch verschärfende Konflikte den Frieden bedrohen, nicht weiter.

Auch wenn es China gelingen sollte, seine revolutionäre Führerstellung zu festigen und Gewalt, Radikalismus, Feindschaft gegen den Westen, ja gegen die Weißen überhaupt zu schüren, so würde es dadurch noch nicht eine dominierende Macht in seiner eigenen Einflußsphäre im hergebrachten Sinne werden. Es wäre dann die treibende Kraft und das führende Zentrum einer quer durch Völker und Kontinente hindurchgehenden revolutionären Bewegung, die von dem zum Teil selbstgeschaffenen internationalen Chaos profitieren und vielleicht auch eine negative Rückwirkung auf die Beziehungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion ausüben würde.

Die in letzter Zeit an der amerikanischen Außenpolitik geübte Kritik ist in hohem Grade wirklichkeitsfremd und die Analyse, von der sie ausgeht, sehr unzulänglich. Daher förderte denn auch die jüngste Debatte über Präsident Johnsons Außenpolitik keine praktische Alternative zur jetzigen Politik und keine neuen Leitsätze für das weltpolitische Engagement Amerikas zutage. Was fehlte, war Verständnis für die Dynamik unserer Zeit und ein klarer Begriff von den historisch relevanten politischen Zielen des Westens.

Drei weltpolitische Ziele der Vereinigten Staaten

Die amerikanisch-sowjetische Konfrontation nach 1945 erzeugte zeitweilig die Illusion einer neuen internationalen Stabilität. Zwei Weltblöcke, durch das nukleare Patt bewegungsunfähig gemacht, standen sich in scheinbarem Mächtegleichgewicht gegenüber und verringerten damit die Gefahr eines neuen Weltbrandes. Dieser bipolare Zustand schwindet jedoch schnell dahin. Die beiden Blöcke lösen sich allmählich auf und an die Stelle des nuklearen Patts tritt die nukleare Streuung, so daß sich bald Massenvernichtungswaffen in den Händen höchst unstabiler, sprunghafter und wenig verantwortungsbewußter Eliten befinden werden. Ein Teil der kommunistischen Welt, dem seine wirtschaftliche und militärische Schwäche keine andere Rolle erlaubt, fördert zugleich in den weniger entwickelten Gebieten der Welt Revolutionen und Guerrillakriege. Er hofft damit auch die sowjetisch-amerikanische Feindschaft zu verschärfen und die allmählich schwindende revolutionäre Kampfstimmung der Sowjetunion, die durch das Trauma der Kuba-Krise von 1962 schwer angeschlagen ist, neu zu beleben.

Unter diesen Umständen kann es nicht das Ziel der amerikanischen Außenpolitik sein, einfach die revolutionäre Bewegung nieder-zuwerfen oder eine Art amerikanisch-sowjetisches Kondominium zu schaffen. Das erste zu versuchen, hieße alles verleugnen, was die amerikanische Revolution traditionell für die übrige Welt bedeutet. Amerika kann sich auch nicht einfach aus dem revolutionären Zeitalter ausschließen; es würde damit die Zukunft den kommunistischen Staaten überlassen. Wenn Amerika das zweite erstrebte, käme es unvermeidlich zu Rissen im westlichen Bündnis und die Sowjets erhielten zusätzliche Gelegenheiten, an der Spaltung des Westens zu arbeiten. Das wäre also auch keine stabile und konstruktive Lösung der anstehenden Probleme.

Das globale Engagement Amerikas muß drei grundlegende, miteinander verbundene Ziele haben: 1. Das Gefühl der Einheit zwischen Amerika und den westeuropäischen Staaten muß gewahrt und die institutioneile Interdependenz Europas gefördert werden; andernfalls kann es leicht geschehen, daß Europa zu den labilen Zuständen zurückkehrt, die zu zwei Weltkriegen und dem politischen Selbstmord Europas führten. 2. Es ist darauf hinzuarbeiten, daß sich die entwickelteren Länder der Welt zu einer lok-keren Gemeinschaft zusammenschließen, der nicht nur Japan, sondern auch die meisten kommunistischen Staaten Europas angehören. Die bestehenden Konflikte zwischen den entwickelten Ländern könnten auf diese Weise allmählich der Zusammenarbeit Platz machen, besonders im Hinblick auf die Dritte Welt. Die Bereitschaft der sowjetischen Führer, an dieser Zusammenarbeit teilzunehmen, wird in dem Maße wachsen, wie sie einsehen, daß die Einheit des Westens zwar der kommunistischen Expansion einen Riegel vorschiebt, aber keine feindselige Bedrohung der bestehenden kommunistischen Staaten darstellt, während das zunehmende Chaos in der Dritten Welt, durch die Spannungen innerhalb der entwickelten Welt und durch die Chinesen gefördert, entweder Amerika und Rußland in einen von beiden nicht gewünschten Konflikt treiben oder neue politische Systeme gebären könnte, die Peking in seiner Kampagne gegen Moskau unterstützen würden. 3. Es sind derartige internationale Bedingungen zu schaffen, daß die revolutionären Veränderungen, die sich in vielen Ländern vollziehen, in konstruktive Bahnen gelenkt werden und daß der Modernisierungsund Entwicklungsprozeß nicht von kommunistischen Eliten usurpiert wird, denen die militanteren kommunistischen Staaten mit der Strategie der „nationalen Befreiungskriege" Beistand leisten.

Wenn nicht alle drei Ziele verfolgt und schließlich erreicht werden, ist es mehr als wahrscheinlich, daß die Welt rasch in ein internationales Chaos versinkt, das durch die Streuung der Kernwaffen nur desto verhängnisvoller sein wird. Solch ein Chaos ist gewiß nicht dadurch abzuwenden, daß sich das reichste und mächtigste Land der Welt nach und nach aus der Weltpolitik zurückzieht, daß es davor zurückschreckt, seine Militärmacht in Gebieten einzusetzen, wo die örtlich vorhandene Macht nicht ausreicht, der Gewaltanwendung, dem Terrorismus und der Guerrillataktik der Kommunisten wirksam zu begegnen, die oft eigens deshalb zu solchen Methoden greifen, um die positiven Wirkungen der westlichen Wirtschaftshilfe aufzuheben. Man darf nie vergessen, daß die radikale Fraktion der kommunistischen Weltbewegung nur dann Erfolge erzielen kann, wenn es ihr gelingt, auf die sowjetische Haltung einzuwirken. Ein Aufstieg der revolutionären Erwartungen bei den Sowjets würde automatisch die Chancen dafür verringern, daß der Kalte Krieg zwischen jenen Ländern, die vor allem anderen westlich und entwickelt sind, ein Ende nimmt.

Ziel der Entspannung ist internationale Stabilität

Das Streben nach Weltordnung kann also an bestimmten Stellen zu bestimmten Zeiten den Gebrauch von Gewalt erfordern. Eine erfolgreiche Politik friedlicher Verständigung mit einigen kommunistischen Staaten schließt nicht aus, daß die Gewaltanwendung anderer kommunistischer Staaten energisch beantwortet wird. Einige Kritiker haben in diesem Zusammenhang argumentiert, solcher aktive Widerstand könne zur Wiederherstellung der chinesisch-sowjetischen Freundschaft oder zum Abbruch der amerikanisch-sowjetischen Entspannung beitragen Dabei wird jedoch offensichtlich vergessen, daß vom westlichen Standpunkt aus der chinesisch-sowjetische Streit und die amerikanisch-sowjetische Entspannung nicht Selbstzweck sind, sondern in erster Linie Mittel zur Erreichung größerer Ziele.

Für den Westen besteht der positive Wert des sowjetisch-chinesischen Streits darin, daß er die gewaltsame Expansion der kommunistischen Welt hemmt, die Fähigkeit der Kommunisten, Unruhe zu stiften, verringert und zum Abbau der revolutionären Mystik bei den sowjetischen Führern beiträgt, die dadurch geneigter werden, in einer stabilen Welt einen Vorteil für sich zu sehen. Tatsächlich ist ja der Streit vor allem deswegen entstanden, weil die Sowjets zu der Überzeugung gelangten, daß eine Mäßigung ihres bisherigen militanten Auftretens an der Zeit sei und weil sie die Chinesen warnend darauf hinwiesen, daß direkter Druck nicht zur Expansion des Kommunismus führen werde, wohl aber eine gefährliche militärische Konfrontation mit dem Westen herausbeschwören könne.

Es wäre daher unvernünftig, den radikaleren kommunistischen Staaten das zu gewähren, was wir den Sowjets in der Vergangenheit verweigert haben — bloß um den sowjetisch-chinesischen Konflikt in Gang zu halten. Denn der Erfolg der kommunistischen Radikalen würde auf die Sowjets ansteckend wirken und die kommunistische Einheit würde nicht wegen unseres Widerstands, sondern gerade wegen des Fehlens von Widerstand wiederhergestellt werden.

Ebenso ist die amerikanisch-sowjetische Entspannung zu begrüßen, wenn sie die Interessen unserer westlichen Verbündeten nicht beeinträchtigt — denn sonst könnte sie eine spaltende Wirkung haben, die Moskau ausnutzen könnte, was die ganze Entspannung zunichte machen würde — und wenn sie nicht erfordert, daß im Osten einem Druck nachgegeben werden muß, dem im Westen erfolgreich widerstanden worden ist. Man darf nämlich nicht vergessen, daß dieser erfolgreiche Widerstand erst die Grundlage für die Entspannung geschaffen hat — trotz der apokalyptischen Prophezeiungen prominenter „realistischer Neo-Isolationisten", die bei jeder Berlin-Krise eine Politik der Zugeständnisse empfahlen.

Die Bedeutung und Wünschbarkeit einer Entspannung ermißt sich daran, wieviel sie zur internationalen Stabilität beiträgt, d. h. zur Anerkennung des Grundsatzes: In einer Zeit, wo sich rasche soziale Wandlungen vollziehen und Waffen von unermeßlicher Zerstörungskraft verfügbar sind, darf keine Großmacht versuchen, qualitative politische Veränderungen auf Kosten der Interessen einer anderen Großmacht gewaltsam heibeizuführen. Die Vereinigten Staaten haben diesen Grundsatz während der ungarischen Revolution von 1956 stillschweigend anerkannt; der Sowjetunion wurde er während der Kuba-Krise von 1962 eingeprägt; und der chinesisch-sowjetische Konflikt hat sich gerade deswegen zugespitzt, weil die Sowjetunion die Lektion beherzigte. Deshalb ist es so wichtig, daß der Westen und besonders Amerika seine Interessen unzweideutig klarstellt und sie ebenso unzweideutig behauptet, auch auf die scheinbare Gefahr militärischer Auseinandersetzungen.

Noch leben wir im Zeitalter der Waffen, wenn wir auch immer stärker von dem Wunsch beseelt sind, sie nicht zu gebrauchen. Aber die Furcht, sie zu gebrauchen, beruht auf den Folgen ihres Gebrauchs, nicht auf einseitiger Fnthaltung. Es ist deshalb nicht ein Beitrag zum Frieden, sondern zum Krieg, wenn man dem Westen empfiehlt, angesichts militärischer Pressionen des Ostens Zugeständnisse zu machen. Man darf dem Westen nicht raten, etwas zu tun, was wir von der anderen Seite gar nicht erwarten: nämlich um der angeblichen Sache des Friedens oder der amerikanisch-sowjetischen Entspannung willen Konzessionen zu machen — und zwar einfach deshalb, weil sich die andere Seite entschließt, einige sich ihr bietende politische und soziale Gelegenheiten militärisch auszunutzen.

Es ist auch zu bedenken, daß Möglichkeiten, als internationaler Störenfried aufzutreten, nicht nur einer Seite offenstehen. Der Westen könnte versuchen, Unruhe in Osteuropa zu schüren, Sabotageakte gegen die Berliner Mauer zu organisieren, eine Partisanenbewegung in Kuba oder einen nationalen Befreiungskrieg in Tibet zu fördern. Es ist zweifelhaft, ob die westlichen Kritiker, die sich so heftig gegen westliche Reaktionen auf Pressionen in Berlin oder Vietnam wenden — Pressionen, die den politischen Status quo ändern sollen! —, ob diese Kritiker in solch einem Fall den Sowjets ebenso dringend nahelegen würden, der amerikanisch-sowjetischen Entspannung zuliebe nachzugeben.

Wann soll der Westen einer kommunistischen Herausforderung entgegentreten?

Für die Vereinigten Staaten — zunehmend unterstützt, wie man hoffen darf, von den geeinten westeuropäischen Ländern und Japan — wird es nicht leicht sein, in der Dritten Welt hinlänglich stabile Bedingungen zu schaffen, so daß die freigesetzten Energien und die rapide steigenden sozialen Erwartungen der kürzlich befreiten und politisch aktivierten Völker in konstruktive Bahnen gelenkt werden. Das Eingreifen des Westens und besonders Amerikas muß zielbewußt und selektiv sein. Es hieße die Mittel des Westens verschwenden und verzetteln, wollte man auf jede radikale kommunistische Herausforderung automatisch und unterschiedslos reagieren. Selbst ein begrenzter Einsatz muß unter der Voraussetzung erfolgen, daß er sich mit der Zeit zu einer großen Verpflichtung aus-wachsen kann — und dementsprechend ist im voraus abzuschätzen, ob die auf dem Spiele stehenden Interessen einen solchen Einsatz rechtfertigen.

Die Entscheidungskriterien werden natürlich wechseln, aber manche Kriterien führen mehr in die Irre als andere. Der alte Begriff der strategischen Wichtigkeit hilft im allgemeinen wahrscheinlich nicht weiter. Korea war 1950 gewiß strategisch wichtig für die Sicherheit Japans; Laos 1960 für die Sicherheit Thailands oder Süd-Vietnams; Süd-Vietnam für ganz Südostasien; Südostasien für Indien; Kuba für das Karibische Meer, usw. Mit anderen Worten: In einer politischen Konfrontation von globalen Ausmaßen ist fast jedes Gebiet strategisch wichtig. Das bedeutet einfach, daß die politische Entscheidung, ein Gebiet zu verteidigen — es also zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen —, jedem Gebiet automatisch strategische Bedeutung verleiht. Und damit sind wir wieder bei der Frage: Auf welchen Kriterien soll die politische Entscheidung beruhen?

Mehrere innere und äußere Faktoren müssen vorliegen, um einen anhaltenden Einsatz des Westens zur Entwicklung eines rückständigen Landes und zu seiner Verteidigung gegen den kommunistischen „nationalen Befreiungskampf" zu rechtfertigen. Natürlich muß an Ort und Stelle selbst eine gewisse Entschlossenheit, das Land zu modernisieren und zu verteidigen, vorhanden sein; ebenso einige Naturschätze, die einen wirtschaftlichen „Start" ermöglichen, wie es in Taiwan der Fall war. Außerdem muß erwogen werden, wie eine mögliche kommunistische Machtübernahme auf die Außenwelt wirken würde. Man könnte nämlich argumentieren, daß es in mancher Hinsicht beinahe ein Segen wäre, wenn hin und wieder ein Land, das weder den Willen noch die Mittel hat, seinen Fortschritt zu fördern, dem Kommunismus anheimfiele.

Entgegen weitverbreiteten Mythen sind die kommunistischen Methoden der Industrialisierung weder besonders wirkungsvoll noch gewährleisten sie ein besonders hohes Tempo. In einigen Ländern, wo die Voraussetzungen für Industrialisierung und Modernisierung gegeben waren, hat der Kommunismus recht gute Erfolge erzielt. Aber im großen und ganzen sind die Wachstumsraten kommunistischer Länder nicht wesentlich höher als die mancher nichtkommunistischer Länder oder einiger kommunistischer Länder vor der kommunistischen Machtübernahme. In einigen kommunistischen Staaten hat die soziale und wirtschaftliche Entwicklung zuzeiten sogar stagniert. Wenn gelegentlich ein rückständiges, verarmtes Land, das unfähig ist, sich vorwärts zu bewegen, kommunistisch wird und dadurch die Dynamik und soziale Anziehungskraft des Kommunismus überhaupt mindert, so mag das besser sein, als wenn der Westen und insbesondere Amerika den Kommunismus unterschiedslos an allen Fronten gleichzeitig zu bekämpfen sucht.

Man darf jedoch nie die Tatsache aus den Augen verlieren, daß Macht auch eine psychologische Dimension hat. Die Zurücknahme einer einmal eingegangenen Verpflichtung unter Druck ist viel schlimmer als eine kommunistische Machtübernahme in einem Land ohne amerikanische Verpflichtung. Niemand kennt die Zukunft, aber manche sind überzeugt, daß sie dem Kommunismus gehöre. Diese Ansicht ist nur zu widerlegen, wenn diejenigen Länder, die eine geschlossene Gesellschaft und einen kommunistischen Entwicklungsgang bewußt ablehnen, wirkliche Fortschritte machen und wenn sie ihre Entwicklung trotz ständiger kommunistischer Störversuche in außen-und innenpolitischer Sicherheit vorantreiben können. Der Koreakrieg hat gezeigt, daß sich direkte Invasion nicht auszahlt. Die Konfrontationen in Berlin und Kuba haben dargetan, daß nuklearer Druck unzulässig ist, wenn die Lebensinteressen anderer Mächte berührt werden. Der Krieg in Vietnam beweist, daß sich „nationale Befreiungskämpfe" praktisch zu lokalen Kriegen steigern und daß (zum erstenmal in der Geschichte des staatlich organisierten Kommunismus) der kommunistische „Paten" staat nicht ungeschoren davonkommt. Je weniger internationale Gewaltanwendung ungestraft bleibt, desto mehr wird internationale Zusammenarbeit zunehmen. Es ist zu hoffen, daß eines Tages auch gewichtige Streitfragen friedlich in den Vereinten Nationen entschieden werden; aber im Augenblick wäre es bloßes Wunschdenken, in absehbarer Zeit eine merkliche Verbesserung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen zu erwarten. Bestenfalls kann man ein Patt erhoffen, aus dem dann langsam die beiderseitige Bereitschaft reift, die Ansichten und Interessen des anderen und Wege zur Verständigung zu erkunden.

Gefahr einer neuen Balkanisierung Europas

Da unser Ziel die Schaffung einer stabilen Welt ist, in der die soziale und technische Revolution unserer Zeit sich entfalten kann, darf die westliche Politik nicht den Charakter eines antikommunistischen Kreuzzugs haben. In Europa ist genau das Gegenteil nötig. Dem Bemühen um dauerhafte und immer kräftiger werdende Bande zwischen den westlichen Nationen kann es nur zugute kommen, wenn gleichzeitig versucht wird, eine größere Gemeinschaft der entwickelten Länder einschließlich der Sowjetunion und der osteuropäischen Staaten zu schaffen. Dieser Versuch sollte auch dann fortgesetzt werden, wenn in Asien oder anderswo die Spannungen zunehmen; denn es ist wichtig, daß einige der kommunistischen Staaten in einem friedlichen Verhältnis zum Westen klare Vorteile für sich erkennen.

Die Politik des friedlichen Übereinkommens mag teilweise ein Abgehen von hergebrachten Denkweisen erfordern, wie sie in der Phase des akuten Kalten Krieges in Europa Wurzel gefaßt haben, als sich Westeuropa in hohem Grade abhängig von Amerika fühlte. Heute, mehr als zwanzig Jahre nach Kriegsende, besteht diese Unsicherheit nicht mehr und der Kalte Krieg ist nicht mehr so akut. Deshalb ist es wichtig, dem atlantischen Bündnis ein neues Zielbewußtsein zu geben. Das kann aber nur geschehen, indem größere Ziele gesteckt und weitere Horizonte eröffnet werden. Eine Konzeption, die bestehende europäische Teilung durch Förderung multilateraler Bindungen mit den europäischen kommunistischen Staaten friedlich zu beenden, würde wahrscheinlich Großbritannien und Skandinavien ermuntern, auch ihrerseits eine engere Bindung zum Kontinent zu suchen, und das käme wiederum der europäischen Zusammenarbeit und Integration zugute, die seit 1945 erstrebt wird. Eine solche umfassendere Politik ist um so dringender nötig, als die gegenwärtigen Tendenzen in Westwie in Osteuropa die Gefahr einer neuen Balkanisierung Europas und damit einer Erschlaffung des amerikanischen Verhältnisses zu Europa heraufbeschwören.

Die im Westen zutage getretenen Risse sind Ausdruck des Gefühls vieler Europäer, daß ein bloßes Defensivbündnis mit Amerika gegen einen möglichen sowjetischen Angriff nicht mehr das dringendste Bedürfnis der Zeit ist, daß es vielmehr die Spaltung Europas verewigen hilft. Diese Spaltung, so meint de Gaulle, kann nur von den Europäern selbst überwunden werden. Die amerikanische Politik hat ungewollt dazu beigetragen, diesen Eindruck zu verstärken. Sie legte den Akzent so stark auf die atlantische Gemeinschaft, daß sie an aktiven Schritten zur Beendigung der Spaltung Europas nur ganz beiläufig interessiert erschien. Damit überließ sie de Gaulle das Feld und verstärkte bei den Deutschen die Unzufriedenheit mit der sich auf bloße Deklamationen beschränkenden westlichen Wiedervereinigungspolitik. Der Gaullismus zog ursprünglich viele Deutsche an, weil sie in ihm den Beginn einer kraftvollen westlichen Politik gegenüber dem Osten sahen.

Als diese pro-gaullistischen Deutschen später erkannten, daß die französischen Ziele andere waren, als sie angenommen hatten, kehrten sie in ihrer Mehrzahl nicht zur atlantischen Orientierung zurück, sondern wandten sich, von de Gaulles Nationalismus angesteckt, einer selbständigen deutschen Orientierung zu und propagierten deutsche Erkundungen in Moskau. All das zusammen hat die atlantischen Bindungen geschwächt, obwohl es keineswegs sicher ist, daß es die Herausbildung eines „europäischen Europa" gefördert hat.

Ansätze für eine Zusammenarbeit West-und Osteuropas

Noch wichtiger ist, daß starke Zweifel bestehen, ob ein „europäisches Europa" wirklich zu einer Verminderung des internationalen Chaos beitragen könnte. Eher dürfte das Gegenteil der Fall sein. Ein von Amerika geschiedenes Europa hätte nicht die ökonomischen Mittel, um an den Osten heranzutreten; es könnte seine eigene Sicherheit nicht garantieren, und es könnte im Eventualfall auch kein Gegengewicht zu einem wiedervereinigten Deutschland bieten. Solch ein balkanisiertes Europa könnte entweder ein neutralistischer Nadibar der Sowjetunion sein, der von Moskaus gutem Willen abhängig wäre, oder es könnte sogar erleben, wie die Russen sich bemühten, durch eine russisch-deutsche Übereinkunft das Schicksal Europas zu besiegeln. Es ist nicht recht einzusehen, daß dies im Interesse Frankreichs, Jugoslawiens, Polens oder auch Deutschlands selbst liegen sollte Jedenfalls wäre es kein Schritt in Richtung auf internationale Stabilität. Vielmehr würde da-durch die Waagschale der Geschichte tief zugunsten Moskaus gesenkt.

Moskau selbst und noch mehr seine osteuropäischen Verbündeten werden mit der Zeit empfänglicher für eine westliche Politik, deren Ziel es ist, den europäischen Status quo Schritt für Schritt in die Anfänge der Zusammenarbeit überzuführen — vorausgesetzt, daß der Status quo nicht durch die Uneinigkeit oder mangelnde Festigkeit des Westens untergraben wird. Die Schaffung des Gemeinsamen Marktes und das Wachsen der westlichen Einheit haben entscheidend dazu beigetragen, orthodoxe kommunistische Lehrmeinungen zu erschüttern und sowjetische Berechnungen über den Haufen zu werfen. Zudem hat sich die sowjetische Herrschaft über Osteuropa so gelockert, daß Moskau Schwierigkeiten hätte, osteuropäische Staaten an der Annahme vorteilhafter westlicher Angebote zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu hindern. Rumänien hat das bereits bewiesen. Angesichts der inneren Probleme der Sowjetunion und des vielleicht wachsenden chinesischen Drucks wird möglicherweise eines Tages der Kreml selbst den Wunsch haben, an dieser Zusammenarbeit zu partizipieren.

Freilich würde dies einen bedeutenden Wandel in der weltpolitischen Grundhaltung der Sowjets voraussetzen; aber innenpolitische Entwicklungen und äußere Fehlschläge, die der Ideologie zuwiderlaufen, bewirken tatsächlich einen allmählichen Richtungswechsel. Die sowjetische Durchbruchsstrategie, wie sie beim Berlin-und Kuba-Abenteuer angewandt wurde, hat versagt, und implizite haben das die Sowjetführer auch zugegeben. Die von Chruschtschow im Januar 1961 verkündete Doktrin des nationalen Befreiungskampfes, die im Sinne der Durchbruchsstrategie formuliert war, wurde nach dem Beginn der Ent-Spannung mit Amerika noch eine Weile weiterbefolgt. Offensichtlich erkannte Chruschtschow jedoch bald, daß beides zugleich nicht möglich war, und die Chinesen scheinen mit ihrem Vorwurf ganz recht zu haben, daß er bereit gewesen sei, den nationalen Befrei-ungskampf zugunsten der Entspannung zu opfern. Chruschtschows Nachfolger dachten offenbar zunächst ebenfalls, daß die beiden Strategien miteinander vereinbar seien; doch im Sommer 1965 wurde ihnen klar, daß sie sich für eine von ihnen entscheiden müssen.

Schritte zu einer pluralistischen und stabilen Welt

Es würde Moskau die Entscheidung leichter machen (und die Folgen günstiger für den Weltfrieden), wenn die zur Wahl stehenden Möglichkeiten zugespitzt formuliert würden. Auf der einen Seite: Bekenntnis zum nationalen Befreiungskampf bedeutet Eskalation und örtliche Kriege, und zwar höchstwahrscheinlich in Weltgegenden, wo die politischen Nutznießer eines kommunistischen Sieges die Chinesen wären. Auf der anderen Seite: Entspannung bringt vorteilhafte Handelsbeziehungen zum Westen mit sich, und Moskau könnte sie vielleicht ideologisch rechtfertigen durch fortgesetzte, wenn auch zurückhaltendere Unterstützung verschiedener antiwestlicher Bestrebungen in den neuen Staaten sowie durch diplomatische Ausnutzung von Differenzen innerhalb des Westens. (Den zahlreichen von Arbeitslosigkeit bedrohten Doktrinären in Moskau dürfte es nicht schwerfallen, all das als eine wahrhaft revolutionäre leninistische Politik nachzuweisen.)

Die globale Wirkung jedoch wäre beiderseits zunehmende Zurückhaltung im Gebrauch von Gewalt und fortschreitende Verwandlung der Ost-West-Politik in ein Spiel, in dem beide Hauptpartner die gleichen Regeln befolgen, aber jeder seine eigene Punktrechnung führt. Wir würden kalkulieren: Wenn es gelingt, eine engere Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten und der Sowjetunion herbeizuführen und gleichzeitig Widerstand gegen unverhüllte kommunistische Initiativen an anderen Stellen zu leisten, so ist dies ein Schritt vorwärts zu einer pluralistischen und zunehmend stabilen Welt. Die Kalkulation Moskaus könnte lauten: Der Westen wird sich in endlose Konflikte verwickeln, während wir von der Zusammenarbeit mit ihm profitieren und unsere Weltposition verbessern. Internationale Zusammenarbeit kommt oft nur dadurch zustande, daß die beiden Seiten dabei entgegengesetzte Absichten verfolgen.

Um diesen Zustand herbeizuführen, werden mehrere Zwischenschritte notwendig sein, deren Ziel es ist, Osteuropa und die Sowjetunion in ein engeres Verhältnis zum Westen zu bringen und dadurch auch die Voraussetzungen für die Lösung des deutschen Problems zu schaffen. Verschiedene Maßnahmen werden notwendig sein, um den Osten wegen der bestehenden Gebiets-und Sicherheitsfragen zu beruhigen, desgleichen ernsthafte Schritte zur Entwicklung multilateraler wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen. Die Tage, wo rein bilaterale Wirtschaftsverbindungen mit kommunistischen Staaten für den Westen eindeutig einen politischen Gewinn abwarfen, sind vorüber. Heute suchen selbst die unbeweglichsten kommunistischen Staaten solche Kontakte, und Moskau sieht darin kein überlaufen zum Westen. Nur ausgedehnte multilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit kann ein dauerhaftes Gefüge internationaler Stabilität entstehen lassen. Deshalb kommt jetzt die Zeit heran, dem Osten großzügige Vorschläge für einen gesamteuropäischen Plan der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu unterbreiten. Sein Zweck müßte es sein, die bestehenden Grenzen zu überschneiden und den Prozeß konstruktiver Zusammenarbeit der entwickelten Länder einzuleiten.

Amerika muß die Führung übernehmen

Amerika wird wohl auch hier wieder die Initiative ergreifen müssen, da die Perspektive der Deutschen zwangsläufig enger ist, die Briten mehr zur Hinnahme des europäischen Status quo neigen und die Franzosen der Illusion vom „europäischen Europa" anhängen. „Amerika muß Führer im atlantischen Bündnis sein; wenn es das nicht sein will, wird das Bündnis in seiner jetzigen Form aufhören zu existieren. Als Führer muß es aber irgendwohin führen. Ohne solche Führung werden wirtschaftliche Ressentiments, die trüben Instinkte des Nationalismus und die aus einer Zeit vergangener Größe ererbten Emotionen Europa zu ihrem Spielball machen." (Economist, 6. März 1965.) Mit diesem „irgendwohin" sind deutlich zwei miteinander verbundene Ziele gemeint: weitere Förderung der atlantischen Einheit und gleichzeitig eine große Initiative zur Herstellung eines neuen Verhältnisses zur Sowjetunion, durch das der „Bürgerkrieg" zwischen den entwickelten und in der Hauptsache europäischen Nationen ein Ende findet. In Asien und anderwärts besteht die Aufgabe darin, internationale Stabilität zu schaffen, damit die revolutionären Erwartungen von Millionen benachteiligter Menschen durch die konstruktive Zusammenarbeit der entwickelten Länder — darunter auch einiger kommunistischer — unter friedlichen Bedingungen erfüllt werden können. Keines der beiden Ziele ist über Nacht zu erreichen, aber ohne bewußtes Streben wird überhaupt keines erreicht werden. Die Wahl, vor der Amerika steht, lautet ganz einfach: globales Engagement oder internationales Chaos.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In Parenthese kann man hinzufügen, daß die Sowjetunion die gleiche zügelnde Funktion ausübt, aber nur in unmittelbar an sie angrenzenden Gebieten: Die ungarisch-rumänischen, bulgarisch-

  2. „Die chinesische Vorherrschaft in Asien ist ebensosehr eine Tatsache wie die amerikanische Vorherrschaft in der westlichen Hemisphäre, und unsere Versuche, die chinesische Vorherrschaft in Asien durch lokale militärische Operationen einzudämmen, ist ungefähr ebenso vernünftig, als wollte China die amerikanische Vorherrschaft in der westlichen Hemisphäre dadurch eindämmen, daß es dem einen oder anderen lateinamerikanischen Land mit militärischen Kräften zu Hilfe eilte.“ (Hans Morgenthau, War with China, in: The New Republic, 3. April 1965.) So etwas wird über einen Kontinent gesagt, zu dem Japan und Indien gehören: Japan, dessen Wirtschaft unvergleichlich fortgeschrittener ist als die chinesische und die ihm gestatten würde, binnen weniger Jahre wieder eine moderne Militärmacht zu werden; und das ungeheuer volkreiche Indien, dessen wirtschaftliche Fortschritte denen Chinas mindestens gleichwertig sind. (Vgl. D. Wilson, The Tortoise and the Hare, in: Far Eastern Economic Review, 8. April 1965.) Der Vergleich mit den Vereinigten Staaten in der westlichen Hemisphäre (die Parallele wird wie eine feststehende Tatsache behandelt) ist besonders schlecht gewählt. Zwischen den USA und den anderen Ländern der Hemisphäre besteht ein ungeheurer Machtunterschied; er besteht übrigens auch zwischen den USA und China. Damit wird das zitierte Argument in allen Punkten hinfällig.

  3. Das war das Grundmotiv der Leitartikel der New York Times im Februar und März 1965, in denen Präsident Johnsons Vietnam-Politik scharf verurteilt wurde. Das gleiche Argument gebrauchten viele seiner Kritiker in Protestversammlungen an Universitäten.

  4. Eben aus diesem Grunde begrüßen nicht alle Osteuropäer die von den Sowjets geförderte Kampagne der osteuropäischen Regierungen zugunsten des „europäischen Europa" de Gaulles. Einige warnen offen vor den Folgen, die diese Konzeption auf lange Sicht haben müsse, und setzen sich ausdrücklich für eine umfassendere amerikanisch-sowjetische Zusammenarbeit in Europa ein. Siehe dazu den äußerst interessanten Artikel von E. Os-manczyk, Vereinigtes Europa, vereinigtes Deutschland, und was noch?, in: Polityka, Warschau, 5. Juni 1965. Osmanczyk wendet sich ausdrücklich gegen de Gaulles — von Moskau begünstigte — Idee eines Europas, das frei von amerikanischem Einfluß sein soll. Er argumentiert, daß die Anwesenheit sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Sowjetunion in Europa ein stabilisierender Faktor sei. „Europa kann nicht in der von General de Gaulle vorgeschlagenen Weise vereinigt werden: durch Schwächung der Position der USA in Westeuropa und der der UdSSR in Osteuropa." Os-manczyk fordert sodann verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden Seiten auf der Basis der bestehenden Trennungslinie.

Weitere Inhalte

Zbigniew K. Brzezinski, Direktor des Research Institute on Communist Affairs und Professor für Public Law and Government der Columbia-Universität; geb. 28. März 1928 in Warschau. Veröffentlichungen u. a.: The Soviet Bloc — Unity and Conflict, Cambridge, Mass. 1960 (deutsch: Der Sowjetblock — Einheit und Konflikt, Köln 1962), Ideology and Power in Soviet Politics; Africa and the Communist World, Cambridge, Mass. 1964; Political Power USA — USSR, New York 1964 (deutsch: Washington — Moskau, Köln 1966).