Der Verfasser wendet sich in seinem Beitrag gegen die in den beiden Studien „A Blueprint for Survival" und „Grenzen des Wachstums" erhobene Forderung nach einem alsbaldigen globalen Stopp des industriellen Wachstums. Er erhebt folgende Einwendungen gegen die genannten Studien: — Die den angenommenen exponentiellen Entwicklungen zugrunde liegenden Fakten bedürfen einer Überprüfung, besonders was die Rohstoffvorkommen angeht. — Der technische Fortschritt und die „Lernfähigkeit" des technischen Systems sind ungenügend berücksichtigt worden. — Eine Gesellschaft mit einem industriellen Nullwachstum muß nicht unbedingt eine Gesellschaft im ökologischen Gleichgewicht sein. — Programme für die Zukunft sollten sich nicht prinzipiell gegen industrielles Wachstum wenden, sondern gegen umweltzerstörendes Wachstum. Der Verfasser stimmt mit den Autoren der beiden Studien darin überein, daß es sich hier nicht nur primär um ein „Zurückdrängen der Zeitgrenze" vor einem zu erwartenden Chaos handeln könne, sondern um eine grundsätzliche Veränderungen der Einstellung des Menschen zu seiner Umwelt. Da jedoch nicht anzunehmen sei, daß sich das menschliche Verhalten in absehbarer Zeit entscheidend verändern könne — und hier ist der Verfasser skeptischer als die Autoren werden zahlreiche einschneidende institutioneile Maßnahmen notwendig sein. Diese erforderlichen exekutiven Regelungen werden für die gesellschaftliche Entwicklung entscheidender sein als die bestehenden Gegensätze zwischen den östlichen und westlichen Wirtschafts-und Gesellschaftsverfassungen.
I.
Das Leben auf unserem Planeten ist eine zerbrechliche Angelegenheit, eine Art wunderbarer mikrobischer Aktivität, die auf der dünnen Haut aus Luft und Wasser und zerfallenem Gestein gedeiht, die das unbewohnbare Erdinnere von der Leere des Weltraums trennt.
Die meiste Zeit in der Geschichte der Menschheit hat man das Vorhandensein dieser Umwelt als selbstverständlich angesehen, und die Anstrengungen des Menschen haben sich ihrer „Zähmung" gewidmet, d. h.der Veränderung dieser lebensnotwendigen dünnen Schale auf verschiedene Weise, um uns so ein leichteres überleben zu sichern. Nun sind wir mit betäubender Plötzlichkeit zu der Erkenntnis gekommen, daß die Umwelt keineswegs als selbstverständlich hingenommen werden kann, daß wir uns vielleicht sogar am Rande eines nicht wiedergutzumachenden Verschleißes befinden. Denn wenn die Berechnungen einer Gruppe von Sozialwissenschaftlern und Physikern korrekt sind, braucht es nur weitere fünfzig Jahre des Bevölkerungswachstums und der wirtschaftlichen Expansion mit den augenblicklichen Zuwachsraten, um zu einem Zusammenbruch unserer lebenserhaltenden Umwelt zu führen, was eine Massenhungersnot in einigen Gebieten, den industriellen Zusammenbruch in anderen, eine drastische Verkürzung der Lebenserwartung beinahe überall mit sich bringen würde.
Dieses erschreckende Drehbuch stammt ursprünglich aus der Arbeit von Jay Forrester und einem Team von Wissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology (MIT), die mit Hilfe von Modellen aus dem Computer die komplexen Wechselbeziehungen zwischen den menschlichen Aktivitäten und der Umwelt aufgezeigt haben. Die Modelle bilden die Grundlage zweier Alarmrufe für einen sofortigen Stopp der Zerstörung der Umwelt: „A Blueprint for Survival" unterzeichnet von etwa dreißig hervorragenden britischen Wissenschaftlern, und ein von der Werbung stark herausgestelltes und weitverbreitetes Buch: „The Limits of Growth" ein Bericht mit Unterstützung des Club of Rome, eines internationalen „unsichtbaren College" von siebzig Wissenschaftlern und Spezialisten. Im Grunde sagen uns beide Studien dasselbe, daß nämlich — wenn wir die lebenserhaltenden Fähigkeiten unserer äußerst wichtigen dünnen Schale aus Luft, Wasser und Erde erhalten wollen — das wirtschaftliche Wachstum so schnell wie möglich zu einem Stillstand gebracht werden muß. Die Hochrechnungen, auf denen die beiden Studien aufbauen, zeigen uns, daß selbst wenn das Bevölkerungswachstum innerhalb von zwei Generationen zum Stil-stand käme, wir ferner „unerschöpfliche"
Rohstoffe entdeckten und dreiviertel der Verschmutzung, die wir erzeugen, beseitigten, ein anhaltendes industrielles Wachstum dennoch bereits zu Lebzeiten unserer Enkel zur Selbst-zerstörung führen wird. Noch vor dem Jahr 2100 würde für die Erdbevölkerung eine Zeit des Rückgangs beginnen, die so dramatisch wie die in Europa während der Pest sein würde, aber keineswegs von so kurzer Dauer.
Dies ist ein Zukunftsbild von so überwältigender Größenordnung, daß man ihm schwerlich mit Distanz und ausgewogener Würdigung gegenüberstehen kann. In der Tat scheint das Gebot der Stunde nicht Distanz, sondern ein Ruf zu den Waffen zu sein — oder vielmehr zu dem Sofortprogramm, wie es von den Wissenschaftlern des „Blueprint" und der „Grenzen des Wachstums" beschrieben wird. Jedoch, in voller Erkenntnis des Ernstes der Lage, würde ich einen anderen Weg vorschlagen. Zwar ist das Rezept, das ich entwerfe, nicht weniger ernüchternd als das der Anti-Wachstums-Schule, aber, wie wir sehen werden, führt es zu einer ganz anderen Strategie für unsere Zeit.
Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber nachgedruckt aus FOREIGN AFFAIRS, Oktober 1972. Copyright by the Council on Foreign Relations Inc., New York. Übersetzung: Therese Müller, Flensburg.
II.
Ich möchte damit beginnen, daß ich kurz einige der Entwicklungen und Fakten, die zu dem jüngsten leidenschaftlichen Ruf nach einem Wachstumsstopp geführt haben, aufzeige. Das erste dieser Fakten ist nun schon so allgemein bekannt, daß es vielleicht seine Fähigkeit zu schockieren verloren hat, aber es muß trotzdem unser Ausgangspunkt sein. Es ist das erschreckende Anwachsen der Bevölkerung mit einer Verdopplungszeit von dreißig Jahren. Während die Weltbevölkerung heute noch auf drei bis fünf Milliarden geschätzt wird, wird sie sich in weniger als einem Jahrhundert nahe an die 28-Milliarden-Marke drängen — ich sage „drängen", weil keine Schätzung, die ich gesehen habe, sich gleichzeitig eine Zunahme der Nahrungsmittelproduktion vorstellen kann, die ausreichen würde, eine solche Menschenmenge zu ernähren.
Natürlich berücksichtigt dies nicht die mögliche Bremswirkung der Geburtenkontrolle. Es besteht eine zunehmende Übereinstimmung darüber, daß das Bevölkerungswachstum bei den Industrienationen bis zum Jahr 2000 zum Stillstand gebracht werden kann, und es ist möglich, daß sich die Nettoproduktionsrate in den Entwicklungsländern (wo sich die Bevölkerung noch alle achtzehn bis zwanzig Jahre verdoppelt) innerhalb von zwei Generationen auf Null bringen läßt. Weil aber ein so hoher Anteil der Bevölkerung in diesen Gebieten noch nicht im gebärfähigen Alter ist, wird unglücklicherweise sogar das Absinken der Nettoproduktionsrate auf den Nullpunkt — annähernd ein weibliches Kind je Ehepaar — nicht das gesamte Bevölkerungswachstum in diesen Gebieten auf Null bringen, da für einige Zeit immer größere Mengen von Kindern das Fruchtbarkeitsalter erreichen. Bestenfalls werden wir dann nach Schätzung der Demographen „nur" eine Erdbevölkerung von fünfzehn Milliarden im Jahre 2060 haben. Tatsächlich kann die Zahl viel größer sein.
Die Bevölkerungsexplosion führt uns zu den . technischen'Problemen der Kapazität der Erde — ich erwähne nicht solche grundlegende sozialen Probleme wie das Krebswachstum der Städte oder die psychologischen Effekte der Überfüllung. Das erste dieser technischen Probleme ist, daß sich unsere Rohstoffe erschöpfen, die nötig sind, um das augenblickliche Tempo der industriellen Expansion aufrechtzuerhalten. Seltsamerweise ist dies kein Problem, das unmittelbar mit dem Bevölkerungswachstum verbunden ist, denn die große Masse industrieller Aktivität in der Welt konzentriert sich in den fortgeschrittenen Gebieten, wo das demographische Problem am wenigsten schwerwiegend ist. Industrielle Expansion in den fortgeschrittenen Nationen wächst heute mit einer Rate von etwa sieben Prozent im Jahr, einer Rate, die die Gesamtproduktion alle zehn Jahre verdoppelt. Wenn wir deswegen fünfzig Jahre vorausschauen, ist es wahrscheinlich, daß die industrielle Produktion, wenn sie sich der bestehenden Techniken bedient, um die exponentielle Zahl 5 zugenommen hat, d. h. sich in zehn Jahren verdoppelt, in zwanzig vervierfacht, in dreißig verachtfacht usw. Jeder, der vertraut ist mit der Wirkung des Zinseszins, wird diese Kurve als eine solche erkennen, deren Ansteigen noch steiler werden wird.
Können wir die industrielle Megamaschine, die diese Hochrechnungen zeigen, füttern? Die folgende Tabelle, auf der die Anti-Wachstums-Schule ihre Argumente aufbaut, zeigt, daß wir es nicht können:
Die Tabelle (die hauptsächlich auf Schätzungen des U. S. Bureau of Mines basiert) macht zwei erschreckende Dinge deutlich. Erstens gibt es nach bestehenden Schätzungen nicht genug Rohstoffe — mit Ausnahme einiger weniger wie Kohle und Stahl —r um eine industrielle Expansion mit einer Rate von sieben Prozent im Jahr für auch nur annähernd fünfzig Jahre --von einem Jahrhundert gar nicht zu sprechen — ungehindert fortfahren zu lassen. Lange vor diesem Zeitpunkt würde die Erschöpfung erst eines und dann eines anderen „kritischen" Rohstoffes die Wachstumskurve zum Stillstand gebracht haben. Danach zeigen die MIT-Computermodelle, daß die industrielle Produktion abrupt in eine Phase steilen und ausgedehnten Abfalls eintritt.
Zweitens macht die Tabelle deutlich, daß sogar sehr beträchtliche Zunahmen bei der Entdekkung neuer Rohstoffquellen, wie es die fünffache Vergrößerung in der rechten Spalte zeigt, nur beunruhigend kleine Zeitgewinne bringen, über die eine exponentiell wachsende industrielle Produktion aufrechterhalten werden könnte. Wie wir sehen werden, erscheint das Problem der erstaunlichen Geschwindigkeit, mit der eine exponentielle Serie jede gegebene endliche Grenze erreicht, immer wieder in den Warnungen der Umweltforscher. Soweit die Rohstoffe betroffen sind, enthält diese Tatsache einen ernsten Hinweis, nicht zuviel von der Möglichkeit zu erwarten, sich nicht regenerierende Rohstoffe wieder in Umlauf zu bringen, was — wie die Entdeckung neuer Vorkommen — nur einen begrenzten Zuwachs von neuen Rohstoffen einbringt.
Ein noch ernsterer Aspekt im Zusammenhang mit dem Problem des industriellen Wachstums betrifft etwas anderes als die Fähigkeit der Erde, Rohstoffe bereitzustellen, nämlich deren Möglichkeit, die Rückstände und Abfallstoffe, die gefährlichen Produkte und Nebenprodukte industrieller Produktion, zu absorbieren — in einem Wort: die Fähigkeit der Erde, der Verschmutzung zu widerstehen. „Umweltverschmutzung" ist ein Begriff, der viele Arten von unerwünschten direkten oder indirekten Wirkungen ökonomischer Aktivität einschließt. Es gibt Umweltschäden, die Belästigungen sind, wie z. B. Lärm und wilde Müll-plätze, und solche, die örtlich beschränkt sind: der Erie-See mag „tot" sein, aber seine Leiche bleibt innerhalb seiner geographischen Grenzen. Auf der anderen Seite gibt es die tödliche Verschmutzung — wie z. B. Strahlung — und Verschmutzung, die weltweit verbreitet ist — z. B. hat das Blei, das von amerikanischen und europäischen Wagen in die Luft abgelassen wird, innerhalb der letzten dreißig Jahre zu einer Verdreifachung des Bleigehaltes im Inlandeis von Grönland geführt.
Es ist diese zweite Gruppe der Umweltschäden, auf die die Umweltforscher ihre Aufmerksamkeit konzentrieren. Viele Beispiele sind allgemein bekannt, obwohl deswegen nicht weniger erschreckend. Eine nun schon bekannte Behauptung ist, daß die Milch der meisten Mütter in den Vereinigten Staaten so viel DDT enthält, daß der Handel über Staatsgrenzen verboten wäre, wenn sie als Kuhmilch verkauft würde. Weniger bekannt, aber von nicht geringerer Bedeutung sind die Wirkungen der Nitrate und Phosphate, die durch Kunstdünger in der Erde abgelagert werden. Besonders Nitrate dringen in die Wasserversorgung ein und werden dann im menschlichen Körper zu Nitriten umgewandelt, die Kindersterblichkeit hervorrufen. Künstdünger verursacht auch das Auslaugen des Bodens und führt zu einer Eutrophie, einer Übersättigung der Gewässer, in die er sickert, was ein starkes Algenblühen und den Tod vieler Lebewesen im Wasser zur Folge hat.
Von zentraler Bedeutung für Argumente gegen wirtschaftliches Wachstum ist, daß auch diese tödlichen und über die ganze Erde verbreiteten Schadstoffe exponentiell anwachsen — gleichzeitig mit dem industriellen Wachstum und als sein direktes Resultat. Später werden wir die Möglichkeit haben, einige der Vermutungen, die die Grundlage für diese Behauptung bilden, zu untersuchen. Aber es besteht kein Zweifel, daß die Umweltverschmutzung letzlich der Todfeind in den Augen der Anti-Wachstums-Schule ist. Denn es gibt gewisse Arten von Umweltbelastungen, die nicht vermieden werden können, wenn man nicht weitreichende Veränderungen in unserer industriellen Technologie in Kauf nehmen will, und eine Art, die von keiner bekannten oder vorstellbaren Technologie vermieden werden kann.
Zur ersten Art gehört der Verschmutzungseffekt durch den Verbrennungsvorgang, die zentrale Energiequelle auf der ganzen Welt heute. Als Ergebnis der Verbrennung von gewaltigen Ausmaßen, durch die der industrielle Mechanismus in Gang gehalten wird, steigt der Anteil von CO 2 in der Atmosphäre ständig an. Extrapolierend von der gegenwärtigen Entwicklung können wir voraussagen, daß er in den nächsten dreißig Jahren um etwa dreißig Prozent zunehmen wird. Die Wissenschaftler sind unsicher, in jedem Fall aber beunruhigt, ob die veränderte Zusammensetzung die lebenswichtigen Fähigkeiten der Atmosphäre, Wärme zu speichern, beeinflussen kann. Auf die Dauer fürchten sie auch die langsame Erschöpfung des Sauerstoffvorrates selbst. Heute verbrauchen die Vereinigten Staaten bereits mehr Sauerstoff, als ihre Grünbedeckung regenerieren kann. Dies ist ein Prozeß, der sehr lange, aber nicht ewig andauern kann, besonders nicht, wenn die ganze Welt das industrielle Niveau der USA erreichte.
Noch verhängnisvoller ist das Problem der Wärmeerzeugung, die notwendig mit der Erzeugung von Energie in jeglicher Form verbunden ist. Die Professoren Pirages und Ehrlich haben kürzlich auf folgendes hingewiesen: Wenn die 750 Millionen Menschen, die heute das chinesische Festland bewohnen, den gleichen Energieverbrauch pro Kopf wie die Amerikaner hätten, würde in bestimmten Gebieten soviel Wärme freigesetzt, daß es zu „größeren, unvorhersehbaren Auswirkungen" auf das Klima kommen könnte. Vergrößern wir diese Warnung maßstäblich, um die fünfzehn Milliarden zu berücksichtigen, die vielleicht nach drei Generationen die Erde bewohnen werden, sind wir gezwungen, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß eine Wärmeerzeugung, die dem amerikanischen Standard entspricht, bei diesem Bevölkerungsstand zu einer Umweltkatastrophe führen könnte, die etwa — umgekehrt — mit dem Beginn der Eiszeit zu vergleichen wäre.
III.
Angesichts dieser überwältigenden Fakten ist es nicht einfach, eine distanzierte und abwägende Haltung zu erreichen. Es könnte uns deswegen helfen, wenn wir das Wachstum von einem anderen Blickwinkel aus betrachten — wobei wir für einen Augenblick seine zerstörerische Wirkung außer acht lassen und statt dessen seine konstruktiven Begleiterscheinungen betonen.
Das bringt uns zurück zur Bevölkerungsexplosion, die uns den ersten Zugang zum ökologischen Problem verschaffte. Nimmt man die Minimalzahl von fünfzehn Milliarden nach einem Jahrhundert, so stehen wir vor einem Problem der Menschheit, das sofort das Wachstum in eine völlig neue Perspektive rückt. Denn es macht deutlich, daß jede Anstrengung für ein Nullwachstum der industriellen Produktion heute tatsächlich eine Entscheidung bedeuten würde, die kommende Bevölkerung ihrer Existenzmöglichkeit zu berauben. Solch eine Entscheidung könnte eine sehr schnelle „Lösung" des Problems aufdrängen, aber es würde die Lösung des Verhungerns sein. Da der größte Teil der zukünftigen Bevölkerung der kommenden Generationen in die unterentwickelten Gebiete gezwängt sein wird, zeigt die Voraussage außerdem auch, daß die industrielle Produktion in diesen Gebieten schneller wachsen muß als die Bevölkerung, wenn die Milliarden, die noch geboren werden, jemals einen Lebensstandard erreichen sollen, der besser ist als der, den sie heute „genießen".
Wenigstens ein Hinweis auf die Größe des notwendigen Wachstums kann gewonnen werden, wenn man das Bruttosozialprodukt pro Kopf in Portugal — kaum eine Nation, die für ihren hohen materiellen Lebensstandard bekannt ist — mit dem der unterentwickelten Gebiete vergleicht. 1966 betrug das Bruttosozialprodukt pro Kopf in Portugal 529 Dollar; in Ost-und Südostasien (ohne Japan) waren es 114 Dollar; in Afrika südlich der Sahara; (ohne Rhodesien und die Südafrikanische Union) unter 100 Dollar. Wenn also die ärmsten zwei Drittel der künftigen Bevölkerung nicht nur einfach existieren, sondern auf das Niveau eines portugiesischen Bauern gebracht werden sollen, wird die Produktion in den unterentwickelten Ländern um das Zwölf-bis Fünfzehnfache ansteigen müssen: zunächst um das Dreifache, um eine wahrscheinlich dreimal so große Bevölkerung zu versorgen, und dann noch einmal um das Vier-bis Fünffache, um jeden dieser neuen Einwohner ein Einkommen auf portugiesischem Niveau zu verschaffen.
Zugegeben, Zahlen wie diese müssen mit großer Vorsicht behandelt werden. Das Bruttosozialprodukt ist ein sehr unzulänglicher Indikator für menschliches Wohlbefinden. In vielen der unterentwickelten Länder könnte die Lebensqualität entscheidend dadurch verbessert werden, daß man einfach für stabile und gerechte Regierungen und ökonomische Systeme sorgt, das Analphabetentum abschafft und die öffentliche Gesundheitsfürsorge, die die Geburtenkontrolle und die Behebung von Ernährungsmängeln einschließen müßte, stark verbessert. Diese Veränderungen werden sich wahrscheinlich nicht in dem Maße in Veränderungen des Bruttosozialprodukts spiegeln, wie es die Zunahme der Stahlproduktion täte, obwohl ihre Bedeutung unvergleichbar größer sein könnte und ihre Ansprüche an die Umwelt unvergleichbar geringer. Deshalb darf man nicht annehmen, daß das notwendige Steigen des Lebensstandards unweigerlich eine Umweltzerstörung zur Folge hat.
Jedoch mit all diesen Einschränkungen macht die Tatsache eines unbarmherzigen Anwachsens der Bevölkerung — und die Hoffnung auf ein Steigen ihres materiellen Verbrauchs — eine starke Zunahme der Produktion unvermeidbar. Eine vermehrte Herstellung von Nahrungsmitteln, Textilien und des einfachen Wohnungsbaus wird notwendig sein, um die künftigen Milliarden in den Entwicklungsländern am Leben zu erhalten, wenn nicht sogar ihre Lage zu verbessern. Dies verlangt dann wieder die Produktion großer Mengen von Dünger, Stahl, Zement, Ziegelsteinen und Holz mit all den Umweltproblemen, die wir kennen. Diese riesige —• wenn auch in ihrem Umfang noch unbestimmte — dringend erforderliche Produktionssteigerung sollte uns zwingen, noch einmal darüber nachzudenken, ob „industrielles Nullwachstum" wirklich wünschenswert ist.
Nun sollen die Forderungen nach Wachstum, die aus der industrialisierten Welt stammen, hinzügefügt werden. Wir könnten natürlich versucht sein, den moralischen Wert dieses Wachstums auf vielen Teilgebieten zu bestreiten. Brauchen wir mehr Luxusgüter pro Kopf? Würde nicht unsere eigene Lebensqualität stark verbessert durch eine Zunahme nicht-materieller „Güter" oder durch die Neuverteilung dessen, was wir schon besitzen? Wie wichtig auch diese Fragen sein mögen, so sind sie doch so unbedeutend für das Umweltproblem wie Fragen zur „Moralität" der zu erwartenden Bevölkerungszunahmen im Osten und Süden. Wofür wir uns interessieren — sowohl im Hinblick auf die Bevölkerung als auch auf die Industrieproduktion — ist der Zustand, zu dem sich die Welt bei der enormen Trägheit ihrer gegenwärtigen sozialen Kräfte entgegendrängen wird. Jede realistische Schätzung sagt uns. daß genauso, wie die Bevölkerung ungeheuer anwachsen wird, wenn diese Bevölkerung am Leben erhalten werden kann, es auch starke Zunahmen in der industriellen Produktion geben wird, wenn diese Produktion möglich ist. Die Frage ist dann, ob wir die
Rohstoffe und die Absorptionsfähigkeit haben, um diese steigenden Tendenzen zum Zuge kommen zu lassen.
Das führt uns zurück zur Frage nach den Grundrohstoffen, deren Vorkommen, wie wir erkannt haben, in alarmierender Weise begrenzt ist. Bedeuten diese Grenzen, daß potentielles industrielles Wachstum durch die Erschöpfung der Rohstoffquellen gedrosselt wird — so wie die Kurve des potentiellen Bevölkerungswachstums durch die Erschöpfung der Nahrungsquellen fallen kann?
Ehe wir vorschnell diesen düsteren Schluß ziehen, müssen wir die Tatsache selbst — oder vielmehr die Fakten, auf die sich die Tabelle stützt — noch einmal untersuchen. Hier ist die erste wichtige Überlegung, daß diese „Fakten"
(die grundlegenden Daten der verfügbaren Rohstoffe) sehr unsicher sind. Mit der möglichen Ausnahme einiger weniger Vorkommen (wie z. B. Erdgas innerhalb der kontinentalen Grenzen der Vereinigten Staaten) haben wir nur sehr ungenaue Kenntnisse über die vollen Ausmaße der Rohstoffvorkommen der Welt. In Wirklichkeit läßt die Tatsache, daß während vieler vergangener Jahrzehnte jede Generation am Ende ihrer Wachstumsperiode über mehr „nachweislich" vorhandene Reserven vieler Rohstoffe verfügte als zu Beginn, vermuten, daß die Größe unserer „bekannten"
Reserven hauptsächlich durch die Anstrengungen bestimmt wird, die wir in ihre Suche investieren. In der Sowjetunion z. B. ist der große sibirische Subkontinent kaum erforscht: Ein russischer Wissenschaftler schätzte kürzlich, daß Sibirien für „tausend Jahre" den russischen Rohstoffbedarf decken könnte. Genauso ist der südamerikanische Kontinent noch weitgehend terra incognita und könnte so viel unerwarteten Reichtum offenbaren wie z. B. die reichen Ölvorkommen in Alaska oder die libyschen Ölfelder, beides riesige Reservoirs, die erst im letzten Jahrzehnt entdeckt wurden. So könnte eine „optimistische" Schätzung der verfügbaren Rohstoffe in Wirklichkeit nicht das Fünffache der gegenwärtigen Schätzung betragen, sondern das Zehn-oder Fünfzig-fache. Das rettet die Welt nicht vor dem Problem des exponentiellen Pro-Kopf-Wachstums, aber es schiebt eine mögliche katastrophale Entwicklung um ein oder zwei Generationen auf.
Zweitens müssen wir eine technologische Realität, die die Tabelle nicht wiedergeben kann, in unsere Betrachtungen einbeziehen. Es handelt sich um die gegenseitige Ersetzbarkeit der Rohstoffe. Z. B. ist es sehr wahrscheinlich, daß wir unsere Reservoirs von Erdgas und Erdöl in einer Generation ausbeuten werden. Jedoch zeigt die Tabelle nicht die Möglichkeit (und die Anti-Wachstums-Wissenschaftler diskutieren sie nicht), zu anderen Quellen fossilen Öls überzuwechseln, wie z. B.den enormen Reserven von Schieferöl, die die Welt besitzt. Analog sollten wir uns ins Gedächtnis rufen, daß wir heute unsere Stahlindustrie mit minderwertigen Erzen füttern, die vor fünfzig Jahren, als die , Mesabi Range'noch ihre hochwertigen Erze hergaben, nicht einmal als potentielle „Reserven" angesehen wurden. So verschiebt auch die Ersetzbarkeit den Tag der Katastrophe um eine unbestimmte, aber möglicherweise ganz beträchtliche Zeit.
Das Zurückdrängen der Zeitgrenze ist von großer Bedeutung im Hinblick auf das Rohstoff-problem. Denn möglicherweise hat die Erde Rohstoffvorkommen — unbeschränkt wenigstens in bezug auf die Bedürfnisse ihrer mikrobischen Oberfläche — in den Mineralien, die in ihrem Gestein und im Meerwasser eingeschlossen sind. Mit ausreichender Energie, welche die Kernspaltung uns zu versprechen beginnt, könnten wir buchstäblich die Steine „schmelzen" und jede Substanz durch synthetische Prozesse neu bilden. Sicherlich würden solche Prozesse die Verarbeitung enormer Mengen von Meerwasser oder Granit erfordern, mit den damit verknüpften Problemen der Abfallbeseitigung und der thermischen Umweltverschmutzung. Aber in Anbetracht ausgesprochener Engpässe in der Versorgung verspricht die entferntere Zukunft mehr, als die Schule der Wachstumsgegner preisgibt.
Die grundlegende Frage also, wenn wir die letzten möglichen Rohstoffquellen von Meerwasser und Granit betrachten, ist, wie lange wir brauchen werden, bis wir im Besitz der nötigen Energie und Techniken sind, um diese alchimistischen Möglichkeiten Wirklichkeit werden zu lassen. Ich weiß nicht, welche Zeitspannen diesen Zielen eingeräumt werden müssen, aber von den Antworten wird die Rate abhängen, mit der wir gefahrlos „Roh" -materialien aufbrauchen können, ehe wir zu den synthetischen überwechseln müssen.
Wenn eine wissenschaftliche Übereinstimmung darüber besteht, daß Fusionsenergie für eine „unbestimmte" Zeit unwahrscheinlich ist (wir wissen, daß sie nicht unmöglich ist), werden wir uns damit abfinden müssen, Rohstoffe nur in einem Umfang zu verbrauchen, der mit der Spaltungsenergie vereinbar ist. Wenn unsere Wissenschaftler sich einig sind, daß wir „Generationen" brauchen werden, um bestimmte Probleme der synthetischen Chemie zu lösen, dann werden wir sorgfältig mit jenen Substanzen haushalten müssen, deren Vorrat auf die Mengen beschränkt sein wird, die wir jährlich aus den industriellen Prozessen herausziehen und wiederverwenden können. So hängen die Rohstoffprobleme letztlich von unseren wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten ab. Geht man von der Vergangenheit aus, wäre es nicht weise, diesen Fähigkeiten gegenüber eine pessimistische Haltung einzunehmen. Denn wenn es einen Faktor gibt, der endgültig unser Wachstum von den Produktionsmitteln her begrenzt, ist es unser Reservoir von wissenschaftlichen und technologischen Kenntnissen; und die Kurve dieser Quelle steigt ständig ohne Anzeichen für eine Grenze.
Aber wie steht es mit den Schranken, die uns durch die Schadstoffe gesetzt sind? Hier liegen, wie ich bereits gesagt habe, diejenigen Wachstumsgrenzen, die unter den von den MIT-Studien aufgestellten am ernstesten zu nehmen sind. Jedoch zeigt sich eine gewisse Willkür in ihrer Sorge um die Schadstoffe. Die Modelle, die den „Kollaps" in fünfzig oder hundert Jahren zeigen, nehmen „großzügig" an, daß wir die Umweltverschmutzung um den Faktor 4 vermindern können. Warum nicht um 40 oder 400? An dieser kritischen Stelle bietet die Anti-Wachstums-Schule überhaupt keine Beweise. Könnte man jedoch nicht plausibel argumentieren, daß die Technologie des Umweltschutzes ihre Wirksamkeit exponentiell mit dem Wachstum steigert?
Schließlich bleiben uns unbestreitbar die Langzeitprobleme des Kohlendioxyds und der Abwärme. Ersteres könnte durch den Wechsel von Verbrennungsprozessen zur Kernspaltung oder Kernverschmelzung vermieden werden; das letztere bleibt ein schwieriges Problem. Es wäre jedoch nur fair, hinzuzufügen, daß dieses Problem ungewiß ist. Die Messungen der Temperaturschwankungen in der Erdatmosphäre sind ungenau; wir besitzen nicht einmal sehr präzise Kenntnisse über die relativen Wirkungen der thermischen Umweltverschmutzung des Menschen, verglichen mit der der Natur — es gibt schließlich Vulkane, heiße Quellen und Ströme und die ständige Wärmeeinstrahlung der Sonnenenergie. Obwohl es also genug Gründe gibt, vorsichtig zu sein, ist Panik kaum angezeigt. „Der prinzipielle Mangel der industriellen Lebensweise mit ihrem Ethos der Expansion" beginnt „A Blueprint for Survival”, „ist, daß sie nicht beibehalten wer-den kann". Am Ende kann diese Anklage mit ihrer Betonung der exponentiellen Rate nicht verworfen werden. Dieses Ende ist wahrscheinlich noch weit entfernt. Die Frage ist dann, was man jetzt tun soll.
IV.
Die Autoren des „Blueprint" und der „Grenzen des Wachstums" haben eine sehr klare Vorstellung, was man jetzt tun soll: Wir müssen uns mit restlosem Einsatz dafür engagieren, ein Nullwachstum der Bevölkerung und der Industrie so schnell wie möglich zu erreichen. Um zu diesem Ziel zu kommen, müsse jedes technologische Mittel, Abfall zu reduzieren, die verfügbaren Rohstoffe durch Wiederverwendung zu vermehren und die Umweltverschmutzung zu verringern, mit allen Kräften vorangetrieben werden. Aber letztlich sei es vor allem erforderlich, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sowohl die Größe der Bevölkerung als auch das Kapital stabil sind. In einem Wort, die einzige Lösung für ökologisches Gleichgewicht sei ein Zustand ohne Wachstum.
Aus zwei Gründen ist dies eine sehr seltsame Lösung. Der erste Grund, dem die Studien nur flüchtige Aufmerksamkeit zollen, ist, daß ein „stillstehender" Zustand — einer, in dem industrielles Wachstum aufgehört hat — nicht notwendig eine Gesellschaft im ökologischen Gleichgewicht sein würde. Das ist so, weil eine Gesellschaft „stillstehen" und trotzdem weiter die Umwelt verschmutzen kann. Tatsächlich wird nach den Annahmen des MIT-Modells auch ein stationärer Zustand noch sich selbst ersticken, obwohl er etwas länger dazu brauchen wird.
Der zweite Grund ist, daß ein derartiger Zustand der Bevölkerung in den Entwicklungsländern große Belastungen auferlegen und andererseits erhebliche Anforderungen an die industrialisierte Welt stellen würde. Unter der Annahme jedoch, daß ein weiteres Wachstum möglich wäre und dabei mehr Getreide, mehr Verbrauchsgüter produziert werden würde, ohne die Umweltverschmutzung zu vergrößern — dadurch, daß neues und besseres Saatgut oder saubere Herstellungsverfahren entdeckt werden: Würde es dann irgendeinen Grund geben, den Armen — oder sogar den Reichen — mehr Lebensmittel und mehr Verbrauchsgüter zu verweigern? Ich kann mir keinen denken, und ich vermute, daß es die Mitglieder der Anti-Wachstums-Schule auch nicht können.
Daraus ergibt sich eine sehr wichtige Schlußfolgerung. Wie die MIT-Modelle selbst zeigen, ist es nicht das „Wachstum", das der Todfeind ist, sondern die Umweltverschmutzung. Das Programm der Ökologen sollte sich deswegen nicht gegen das Wachstum richten, sondern nur gegen umweltzerstörendes Wachstum. Jede technologische Veränderung, die die Produktion erhöht, ohne Luft, Wasser und Erde weiteren Schaden zuzufügen, jede technologische Veränderung, die es uns möglich macht, die Produktion durch einen Wechsel von einer weniger ergiebigen zu einer ergiebigeren Rohstoffquelle (wiederum ohne eine Zunahme der Verschmutzung) zu steigern, stellt ein sicheres Wachstum dar und sollte begrüßt werden.
Der Wert, der der Suche nach „Heilmethoden" für die Umweltverschmutzung, für die Erschöpfung der Rohstoffquellen und für das Bevölkerungswachstum beigemessen wird, stellt die Technologie klar in eine Schlüsselposition. Darauf antworten die Wissenschaftler des MIT, daß ein zu starkes Vertrauen auf die Technologie uns davon ablenke, wirksame Aktionen gegen das Wachstumsproblem zu unternehmen. Stimmt das? Angenommen, die Wachstumsgegner unter den Wissenschaftlern haben recht, und daß sie ihre Kollegen auf der ganzen Welt überzeugen, daß der Zusammenbruch nach einer oder zwei Generationen unvermeidbar sei, wenn nicht schon heute ausreichende Maßnahmen zur Abhilfe unternommen werden. Welcher Art würden diese Maßnahmen sein?
Von der unterentwickelten Welt würden wir sicherlich verlangen, daß eine auf Zwang beruhende Geburtenkontrolle eingeführt wird, die auf eine negative Nettoreproduktionsrate zielt (d. h. nur ein Kind — nicht ein weibliches Kind — pro Familie), und von den fortgeschrittenen Länder scharfe Maßnahmen verlangen, um ein sofortiges Nullwachstum der Bevölkerung zu erreichen. In den Entwick-lungsländern würden wir die grüne Revolution mit ihrer Zunahme der landwirtschaftlichen Produktion, die nur auf Kosten riesiger, umweltschädlicher Kunstdüngergaben erkauft werden könnte, stoppen; in der entwickelten Welt würden wir notwendigerweise das Abnehmen der Nahrungsmittelproduktion als Folge eines Verbots von Kunstdünger beschleunigen. In den bedürftigsten Ländern könnte vielleicht eine weitere Industrialisierung erlaubt werden: einige wenige Stahlwerke in Asien und Afrika; im Westen würde ein absoluter Stopp für Kapitalbildung nötig sein.
Ich könnte die Liste der Einzelheiten verlängern, aber das hätte wenig Sinn. Denn es ist klar, daß die Auferlegung eines solchen Programms weit außerhalb unserer vorhandenen politischen und sozialen Möglichkeiten liegt. Welcher asiatische, afrikanische oder südamerikanische Politiker würde, auch wenn er mit sämtlichen wissenschaftlichen Beweisen konfrontiert wird, solch ein Programm für sein Volk gutheißen? Welcher westliche Staatsmann würde ein Programm sofortiger Entsagung befürworten, um ein Unheil abzuwenden, das noch wenigstens ein Jahrhundert entfernt ist?
Worum es hier geht, ist mehr als der offensichtliche Widerstand, auf den solche Maßnahmen bei den bestehenden politischen und wirtschaftlichen Institutionen stoßen würden. Es ist auch eine Sache unserer persönlichen Bereitschaft, jetzt Opfer für das Wohlbefinden unserer ungeborenen Nachkommenschaft auf uns zu nehmen. Ich frage mich z. B., wie viele der über hundert Unterzeichner des „Blueprint" oder der „Grenzen" ihre Autos verkauft haben oder nie ein Taxi nehmen. Ich frage mich, wie viele sich von allen nicht notwendigen technischen Errungenschaften in ihren Wohnungen getrennt haben, beide Seiten des Papiers benutzen, wenn sie ein Manuskript tippen, nur einmal am Tag die Spülung ihrer Toilette benutzen und ganz allgemein ein so spartanisches Leben führen, wie es zu einem Programm der wirtschaftlichen Beschränkungen, das sie verlangen, gehört.
In einer anders beschaffenen Gesellschaft könnte eine solche Identifizierung mit künftigen Generationen möglich sein. Es ist nicht leicht, sie in unserer eigenen zu finden. Natürlich weiß ich, daß ein Anfang gemacht ist.
Einige giftige Produkte sind verboten, Gesetze sind gegen die Umweltverschmutzung erlassen. Die Sorge um die Ökologie ist zum festen Bestandteil jeder politischen Rede geworden. Aber gemessen an der Größe der Aktion, die von den Anti-Wachstums-Wissenschaftlern gefordert wird, ist das, was man getan hat, völlig unzureichend. Maßnahmen zum Umweltschutz werden von mächtigen wirtschaftlichen Interessengruppen bekämpft und umgangen. Die Entscheidung über die Größe der Familie ist vom Präsidenten der Vereinigten Staaten zur „persönlichen Angelegenheit" erklärt worden. Die oberflächlichste Inspektion unserer Landschaft oder Städte zeugt für die mangelnde Sorge um unsere eigene Generation, von kommenden Generationen ganz zu schweigen.
Das Problem, dem die Anti-Wachstums-Schule aus dem Weg geht, ist mit anderen Worten, wie man den gesellschaftlichen Willen mobilisiert — wie man uns dazu bringt, bestehende Technologien gegen den Widerstand von verschanzten Interessengruppen ebenso wie von gewöhnlichen Leuten anzuwenden. Zu einer Reaktion in dem Maßstab, den diese Wissenschaftler vorschlagen, führt, fürchte ich, nur ein Weg: über das entsetzliche Erscheinen der Anfangsstadien der ökologischen Katastrophe. Eine Temperaturumkehr, durch die einige tausend Menschen in New York oder Tokio umkommen, kann veranlassen, daß Autos und Rauch aus diesen Städten verbannt werden; eine erschreckende Steigerung der Kindersterblichkeit, die auf Kunstdünger auf Nitratbasis zurückzuführen wäre, könnte wirksame Verbote für chemische Bodenzusätze bringen. Außer wenn wir durch solch furchtbare Dinge angespornt vzerden, glaube ich nicht, daß die Geschwindigkeit des industriellen Wachstums aus Gründen’ des Umweltschutzes entscheidend verlangsamt oder daß die Überbelastung der Umwelt entscheidend verringert wird. Wenn ich also schließlich auf die „Technologie" vertraue — damit meine ich die Suche nach Ausweitung der Rohstoffquellen und nach Techniken, die die Umweltverschmutzung eindämmen, auch wenn sie für lange Zeit ungenutzt bleiben —, so geschieht das, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß etwas anderes uns eher bei der Lösung des Problems, die eines Tages unumgänglich sein wird, helfen könnte. Das bringt uns schließlich zu dem grundlegenden Problem, daß innerhalb eines geschlossenen Systems ein ständig steigendes Volumen von Schadstoffen enthalten ist; hier haben die Wissenschaftler recht. Wie . schwarzseherisch'auch die Daten sein mögen, auf denen ihre Modelle basieren, wie naiv auch ihr Ruf nach einem in seiner Größenordnung unerreichbaren sozialen Wandel sein mag — wobei sie zudem nicht angeben, wie sie ihr Ziel ansteuern wollen —, so kann man doch eines nicht, nämlich ihre Behauptung widerlegen, daß die exponentiellen Kurven des menschlichen und des industriellen Wachstums früher oder später die begrenzten Fähigkeiten der Biosphäre übersteigen werden, was mit einem furchtbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der Lebensqualität verbunden sein wird. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Gnadenfrist bis zur Zeit der Katastrophe und des Zusammenbruchs beträchtlich länger sein könnte, als die Hochrechnungen ergeben, aber es ist keine unbegrenzte Frist. Früher oder später muß man sich dem Problem stellen.
Aber wie soll man sich ihm stellen? Ich will versuchen, eine Antwort zu finden, indem ich einen Aspekt betone, den ich bis jetzt ignoriert habe: das Ausmaß institutioneller Veränderungen, die erforderlich sind, um ein ökologisches Gleichgewicht zu erreichen. Im Mittelpunkt dieser Veränderungen wird sicherlich die Ausdehnung der öffentlichen Kontrolle stehen, die alles, was man bis jetzt im sozialistischen oder kapitalistischen Westen kennt, weit übersteigen wird. Um eine stabile Umwelt zu erreichen, müssen die Befugnisse der Regierung notwendigerweise auf die Familiengröße, Verbrauchsgewohnheiten und natürlich auf die Menge und die Zusammensetzung industrieller und landwirtschaftlicher Produktion ausgedehnt werden. In einem Wort: der gesellschaftliche Preis für eine ökologische Kontrolle ist die ungeheure Erweiterung des Einflußbereiches der Exekutive, deren Aufgabe es sein wird, bei jedem einzelnen ein auf ein Nullwachstum ausgerichtetes Verhalten zu erzwingen, von dem unsere kollektive Sicherheit auf Weltebene abhängt. Hier ist es, wo mein . Drehbuch'am auffallendsten von dem der Autoren der „Grenzen" und des „Blueprint" und der Wachstumsgegner allgemein abweicht. Obwohl ich optimistischer als sie über die technologischen Möglichkeiten, industrielles Wachstum über eine beträchtliche
Zeit fortzusetzen, denke, bin ich weit pessimistischer, was die Leichtigkeit angeht, mit der gesellschaftliche Strukturen gewandelt werden können Im Westen z. B. bedeutet die eventuelle Notwendigkeit eines stabilisierten Produktionsausstoßes (ganz abgesehen von den anderen regulierenden Eingriffen, die vielleicht erforderlich sind) das Ende der gedankenlos sich selbst vergrößernden Gesellschaft, wie wir sie kennen. Ob der Kapitalismus sich auf die Spannungen eines solchen statischen Zustandes, in dem das Wachstum nicht länger den Kampf um die Verteilung des Sozialprodukts mäßigt, einstellen kann, ist eine strittige Frage. Wenn etwas, das man Kapitalismus nennt, überlebt, wird es sicherlich in eine ganz andere Form gegossen sein als heute.
Auch für die sozialistischen Industrienationen ist die Aussicht nicht rosig. Ministerien und Behörden finden das Ethos des Wachstums ebenso anregend wie gesellschaftlich nützlich und werden sich von den Beschränkungen eines Zustandes ohne Wachstum viel stärker eingeengt fühlen als von denen eines expandierenden. Hier würde sogar an den Fundamenten des Sozialismus gerüttelt, der immer einen Zustand des „Überflusses" als Vorbedingung für die Einführung einer „wahren" kommunistischen Gesellschaft angesehen hat. Unter dem Zwang ökologischer Schranken, die nicht ohne Gefahr durchbrochen werden können, muß diese ideologische Prämisse fallen gelassen und die Institutionen und der Leistungsanreiz des wahren Kommunismus neu überdacht werden.
Aber wen kümmert es noch im Hinblick auf eine größtmögliche Sicherung unserer Umwelt, ob die Formen des heutigen Kapitalismus oder Sozialismus verschwinden? Viel ernüchternder ist vielmehr folgende Frage: Ob man mit der weltweiten Forderung nach Umweltschutz und Erhaltung der Rohstoffquellen die eifersüchtig gehüteten Grenzen „nationaler Interessen" durchdringen kann oder ob sie an ihnen scheitern werden. Wir müssen uns wirklich fragen, ob das Näherrücken der ökologischen Katastrophe die Menschen zu einer gerechteren Verteilung der Lebensgüter ermutigen oder ob es nur dazu dienen wird, die begünstigten Nationen in ihrem Entschluß zu bestärken, ihren eigenen Wohlstand auf Kosten der übrigen zu erhalten.
So ist das ökologische Problem tatsächlich von grundlegender Bedeutung — aber auf eine andere Weise, als die Anti-Wachstums-Wissenschaftler es betonen. Grundsätzlich schließt auch der Zusammenhang von exponentiellem Wachstum und begrenztem Umweltraum technologische Probleme ein, die man im Laufe der Zeit lösen — oder nicht lösen — wird. Viel drängender aber ist das Problem der sozialen Veränderungen, mit denen unsere Generation beginnen und die die kommende Generation fortführen muß. Das „fundamentale" Problem ist deshalb genauso ein soziales wie ein technisches, und während ich einige Gründe für eine optimistische Betrachtung unserer technischen Fähigkeiten zur Anpassung aufgezeigt habe, bin ich keineswegs so zuversichtlich, daß wir es schaffen werden, die notwendigen sozialen und institutionellen Veränderungen schon bald herbeizuführen.
Aber gerade diese Tatsache könnte uns helfen, die Frage zu beantworten, mit der wir begonnen haben und mit der wir jetzt aufhören: Wie soll man sich der Herausforderung durch die Probleme der Umwelt stellen? Denn es ist eindeutig mehr erforderlich als nur eine Haltung der „Distanz und ausgewogenen Würdigung", von der ich oben gesprochen habe. Dieses zusätzliche Element ist die Förderung und allgemeine Verbreitung einer veränderten Einstellung zur Umwelt — ja, zum Leben selbst: Eine Einstellung, die sich stützt auf ein ganz neues Bewußtsein der Zerbrechlichkeit unseres Planeten in seiner lebenserhaltenden Funktion.
Wie ich betont habe, wäre es nicht weise, zu erwarten, daß ein solcher Wandel in der Einstellung sich angesichts der Bedürfnisse, der Wünsche und der institutionellen Trägheit unserer Zeit schnell vollziehen werde. Trotzdem kann ein Anfang gemacht werden — ja, er ist bereits gemacht durch eben die Argumente, die wir in diesem Aufsatz betrachtet haben. Dadurch, daß wir erkennen, daß es ein ernsthaftes Umweltproblem, von dessen Existenz wir bis jetzt nichts ahnten, gibt, sehen wir die menschliche Zukunft mit neuen Augen und werden uns unserer Verantwortung bewußt, dafür zu sorgen, daß es eine menschliche Zukunft geben wird. Es ist unwahrscheinlich, daß unsere Generation die technischen Schwierigkeiten überwinden wird, wodurch die unbeschränkte Lebensfähigkeit unseres Planeten garantiert würde, und sie wird sicher nicht die sozialen Probleme bewältigen, die unlösbar mit dem überleben der Menschheit verknüpft sind. Aber indem wir erstaunt erkennen, daß ein drängendes Umweltproblem existiert, können wir den Boden bereiten für entscheidendere Aktionen kommender Generationen.
Robert L. Heilbroner, Professor an der New School for Social Research in New York. Veröffentlichungen u. a.: Between Capitalism and Socialism, The Limits of American Capitalism.