Zusammenfassung
Gerald Kretschmer: Rechtsetzung und Vollzug innerstaatlicher und völkerrechtlicher Normen im Bundesstaat
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Gerald Kretschmer: Rechtsetzung und Vollzug innerstaatlicher und völkerrechtlicher Normen im Bundesstaat
Im Bundesstaat ist es im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erforderlich, daß die Zuständigkeiten der staatlichen Gewalt entweder dem Bund oder den Ländern zugewiesen werden. Sowohl im Bereich der Gesetzgebung als auch in dem der vollziehenden Gewalt und in dem der Rechtsprechung muß feststehen, ob ein Organ oder eine Behörde eines Landes oder des Bundes zu handeln befugt oder mit Rechten und Pflichten ausgestattet ist.
Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat sich mit der Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen Bund und Ländern befaßt. Sie hat Empfehlungen zur Neugestaltung der Gesetzgebungszuständigkeiten und zur Behandlung völkerrechtlicher Verträge und ihrer innerstaatlichen Ausführung vorgelegt. Sie hat sich auch mit der Kompetenzverteilung beim Vollzug von Bundesrecht und supranationalen Rechtsvorschriften beschäftigt. Den Zuständigkeiten bei der Rechtsprechung mußte sie sich deshalb nicht widmen, weil in diesem Bereich keine Probleme aufgetreten sind und somit eine Änderung nicht angebracht ist.
Die politische Bedeutung der Zuständigkeit für die Gesetzgebung zeigt sich deutlich, wenn die Forderung erhoben wird, dem Bund in einem bestimmten Sachgebiet das Recht zur Gesetzgebung zu übertragen. Die Tendenz zu immer mehr Bundeskompetenzen spiegelt das Verlangen nach einheitlichen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet wider. Andererseits engt sie den Entscheidungsfreiraum der Landtage ein. Dieser und andere Gründe haben die Enquete-Kommission Verfassungsreform bewogen, sowohl für ein eigenständiges Gesetzgebungsrecht der Landtage als auch für zusätzliche, Bundesrecht ausfüllende Gesetzgebungsbefugnisse der Volksvertretungen der Länder einzutreten.
Zur geltenden Rechtslage Auch bei der Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse gilt der in Artikel 30 GG niedergelegte Grundsatz, daß die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Die Länder haben nämlich das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht (Artikel 70 Abs. 1 GG). Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern bemißt sich nach den Vorschriften des Grundgesetzes über die ausschließliche, die konkurrierende, die Rahmen-und die Grundsätze-Gesetzgebungszu-ständigkeit des Bundes (Artikel 70 Abs. 2, 75, 91a Abs. 2, 109 Abs. 3 GG). Die Länder können vom Bundesgesetzgeber im Bereich seiner ausschließlichen Zuständigkeit zur Gesetzgebung ermächtigt werden (Artikel 71 GG). Im Bereich der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung sind sie dazu befugt, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat (Artikel 72 Abs. 1 GG). In der Praxis bleibt für den Landesgesetzgeber aber kaum eigener Gestaltungsraum.
Außerdem kommen dem Bund in geringem und engem Rahmen ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse zu. Der Rest der Gesetzgebungskompetenzen fällt in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Es handelt sich um die Kompetenzen zur Regelung der Landesverfassung, des kommunalen Verfassungsrechts, des Kultur-und Bildungswesens sowie der Polizei. Außerdem haben die Länder gemäß Artikel 105 Abs. 2 a GG die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch-und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind.
Die Kommissionsempfehlungen Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat sich im Grundsatz für das geltende System der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern entschieden. Es soll also grundsätzlich bei der Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder bleiben. Der entgegengesetzte Vorschlag, eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten des Bundes einzuführen und die ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder im Grundgesetz aufzuführen, wurde schon deshalb nicht angenommen, weil es sich als unmöglich erwies, einen allseits annehmbaren Katalog ausschließlicher Länder-kompetenzen zu formulieren.
Verbleiben soll es auch bei der Trennung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Gemeinsame Verantwortlichkeiten in der Gesetzgebung, wie sie beispielsweise in der Schweizerischen Eidgenossenschaft erörtert werden, will man nicht einführen. Auch will man die Zuständigkeit des Bundes und der Länder nicht in Generalklauseln festlegen. So lehnt die Kommission eine Zuständigkeit des Bundes für sogenannte neue Aufgaben ab, die der Bund hätte in Anspruch nehmen können, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt die Notwendigkeit zur Gesetzgebung in Bereichen aufträte, für die bislang eine Gesetzgebung nicht als erforderlich angesehen wurde. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform empfiehlt, den Bund auf die ausschließliche und auf eine neuartige konkurrierende Gesetzgebungszu-ständigkeit sowie auf die Kompetenz zur Grundsätze-Gesetzgebung zu beschränken.
Für die Bundeszuständigkeit zur ausschließlichen Gesetzgebung empfiehlt die Enquete-Kommission Verfassungsreform, das Aufenthalts-und Niederlassungsrecht für Ausländer in die ausschließliche Kompetenz des Bundes zu übernehmen, der dieses Rechtsgebiet bereits erschöpfend geregelt hat. Außerdem soll in Artikel 73 Nr. 8 GG klargestellt werden, daß es sich bei den dort so genannten Körperschaften des öffentlichen Rechts um juristische Personen des öffentlichen Rechts handelt. Das Kernstück der Empfehlungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ist der Vorschlag, die bestehende konkurrierende und Rahmengesetzgebungszuständigkeit zu einer neuartigen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zusammenzufassen. In ihr soll der Bund grundsätzlich auf den Erlaß von Richtlinien für die Landesgesetzgebung beschränkt und nur in Ausnahmefällen zu Vollregelungen befugt sein.
Die Neugestaltung der konkurrierenden Gesetzgebung soll an dem Grundsatz nichts ändern, daß die Länder zur Gesetzgebung befugt sind, so lange und so weit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. Der Artikel 72 Abs. 1 GG braucht also nicht geändert zu werden. Allerdings erfährt das Wörtchen „soweit" eine Inhaltsausdehnung. Bisher meinte es, daß innerhalb einer einheitlichen Gesetzgebungsmaterie den Ländern die Gesetzgebungskompetenz in dem Teil verbleibt, den der Bund nicht geregelt hat. Dieser sektorale Gesichtspunkt wird nach einer Neufassung des Artikels 72 GG um einen auf die Regelungsintensität bezogenen erweitert. Bundesgesetze sind nämlich nach dem zu Artikel 72 vorgeschlagenen Absatz 3 auf diejenigen Regelungen zu beschränken, die erforderlich sind, um die Ziele des Bundesgesetzes zu erreichen. Die Ausfüllung der Richtliniengesetze des Bundes ist der Landes-gesetzgebung zu überlassen. Erläßt der Bund Richtliniengesetze, so sind die Länder allerdings nach dem empfohlenen Artikel 72 Abs. 4 GG verpflichtet, innerhalb einer durch das Bundesgesetz bestimmten angemessenen Frist durch ein Landesgesetz die Einzelbestimmungen zu treffen, die zur Verwirklichung der bundesgesetzlichen Regelungen erforderlich sind.
Der Bundesgesetzgeber kann bisher nur bei dem Nachweis eines Bedürfnisses für ein Bundesgesetz (Artikel 72 Abs. 2 GG) tätig werden. Bundesgesetze im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit soll der Bund künftig nur erlassen dürfen, wenn und soweit bestimmte Ziele nur durch eine bundesgesetzliche Regelung zu erreichen sind. Die vorgeschlagene Neufassung des Artikels 72 Abs. 2 nennt für ein solches Bundesgesetz deren drei, nämlich: 1. Die für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderliche Rechtseinheit, 2. die Wirtschaftseinheit und 3. die geordnete Entwicklung des Bundesgebietes. Damit wird der Erfahrung Rechnung getragen, daß bisher schon das Bedürfnis zur konkurrierenden Ge27 setzgebung vom Bund fast ausschließlich mit der bisherigen Nr. 3 des Artikels 72 Abs. 2 GG begründet wurde, nämlich, daß die Wahrung der Rechts-oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus das Bundesgesetz erfordere. Diese Regelung soll durch die Empfehlung der Enquete-Kommission Verfassungsreform gleichzeitig inhaltlich schärfer gefaßt werden. Wird das Modell der Enquete-Kommission Verfassungsreform verwirklicht, bedarf es bei Gesetzen im Kompetenzbereich der konkurrierenden Gesetzgebung nicht mehr nur der Prüfung des Bedürfnisses zu bundesgesetzlicher Regelung. Es wird dann — wenn die Zurechenbarkeit des Gesetzes zu den Kompetenzbereichen des Artikels 74 GG geklärt ist — erstens zu fragen sein, ob die Voraussetzungen für ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 2 (neu) gegeben sind, und zweitens, ob sich der Bundesgesetzgeber auf Richtlinien beschränken muß oder Einzelregelungen treffen kann. Vor Kompetenzüberschreitungen durch den Bund müssen die Länder geschützt werden. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nach dem geltenden Recht kann in diesen Fällen möglicherweise nicht ausreichen. Darum hat die Enquete-Kommission Verfassungsreform eine zusätzliche Möglichkeit zur Verfassungsklage eingeräumt. Der Bundesrat oder ein Land können nach dem empfohlenen Artikel 72 Abs. 5 Satz 1 das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung darüber anrufen, ob ein Bundesgesetz den Voraussetzungen für die konkurrierende Gesetzgebung entspricht. In einem Sondervotum wird allerdings eine weitergehende Sicherung verlangt. Danach sollen entweder alle Gesetze, die über Richtlinien für die Landesgesetzgebung hinausgehen, der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, oder es soll dem Bundesrat in diesen Fällen ein Widerspruchsrecht oder ein qualifiziertes Einspruchsrecht zustehen. Die Kommission ist diesen Vorschlägen nicht gefolgt, weil sie die Rechte des Bundes-rates bei der Gesetzgebung grundsätzlich unverändert lassen wollte. Sie hat aber empfohlen, bei Einspruchsgesetzen generell für die Uberstimmung durch den Bundestag die gleichen Mehrheiten zu verlangen wie die, die im Bundesrat bei der Einlegung des Einspruchs erreicht wurden. Wenn der Bundesrat seinen Einspruch mit einer Zweidrittelmehrheit einlegt, soll künftig nicht mehr die Zweidrittelmehrheit der Anwesenden, sondern nur noch die der Gesamtzahl der Mitglieder des Bundestages für die Zurückweisung des Einspruchs ausreichen.
Der Schutz der Länder vor einer Kompetenzüberschreitung des Bundesgesetzgebers wird nicht zuletzt deshalb für ntwendig gehalten, weil die Gesetzgebungsmaterien der bisherigen konkurrierenden und der Rahmengesetzgebungszuständigkeit in einem einzigen Katalog zusammengefaßt werden sollen. Die Gesetzgebungsmaterien der Artikel 74 a und 75 GG sollen also in den Artikel 74 GG einbezogen werden. Um dadurch die Rechtsstellung der Länder nicht allzu sehr zu schmälern, empfiehlt die Enquete-Kommission Verfassungsreform, Gesetze aus den Bereichen der bisherigen Artikel 74 a und 75 GG der Zustimmung des Bundesrates zu unterwerfen. Deshalb soll Artikel 74 GG um einen Absatz! ergänzt werden, wonach Bundesgesetze über das Recht der Hochschulen, der Presse und des Films, über die Bodenverteilung, die Raumordnung, den Naturschutz, die Landschaftspflege und den Wasserhaushalt sowie solche über die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder, Gemeinden und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts stehenden Personen sowie der Landesrichter für zustimmungsbedürftig erklärt werden. Bei der Zusammenfassung der Kompetenzkataloge der Artikel 74, 74 a und 75 GG hat die Enquete-Kommission Verfassungsreform auch einige wenige klarstellende und straffende Neuformulierungen empfohlen, ohne damit den Ländern Gesetzgebungsbefugnisse entziehen zu wollen.
Die Befugnis des Bundes zur Grundsätzegesetzgebung im Bereich der bisherigen Gemeinschaftsaufgaben soll modifiziert werden. Die Gesetze zu den Planungsbereichen, die nach dem von der Kommission empfohlenen Artikel 28 a nötig werden, sollen auch Grundsätze über die Beteiligung der Volksvertretungen der Länder an der gemeinsamen Rahmenplanung regeln können. Die Grundsätze-gesetze zu den Gemeinschaftsaufgaben sollen bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetze zu den neuen Artikeln 28 a und 104 b weiter-gelten. Im übrigen soll die Gesetzgebungskompetenz für die Grundsätze des Haushalts-rechts (Artikel 109 Abs. 3 GG) unverändert bestehen bleiben.
Zur geltenden Rechtslage Unter delegierter Rechtsetzung wird hier der Erlaß von Rechtsverordnungen verstanden. Nach Artikel 80 GG gibt es im Bundesrecht nur gesetzesabhängige Rechtsverordnungen. Außerhalb gesetzlicher Ermächtigungen können Rechtsverordnungen nicht erlassen werden. Der Bundesgesetzgeber muß in seiner Ermächtigung zu Rechtsverordnungen den Verordnungsgeber und den Umfang der Rechtsverordnung festlegen. Ermächtigt werden können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen. Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers bedürfen, vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung, in den Fällen des Artikels 80 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates. Bei der Delegation der Rechtsetzungsbefugnisse muß der Bundes-gesetzgeber Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen.
Die Kommissionsempfehlungen Die Enquete-Kommission Verfassungsreform empfiehlt, um das Parlament von Detailarbeit zu entlasten und um ihm die Erteilung von Ermächtigungen zu erleichtern, nur noch den Zweck der Rechtsverordnung im ermächtigenden Bundesgesetz zu bestimmen.
Bei Verordnungsermächtigungen an die Landesregierungen sollen die Landtage das Recht erhalten, anstelle von Rechtsverordnungen der Landesexekutive eigene Gesetze zu erlassen. Die Landtage erhielten bei einer solchen Regelung nicht nur ein zusätzliches Gestaltungsrecht, es würde auch ihr Kontrollrecht über die Tätigkeit der Landesregierungen wirksamer gestaltet.
Schließlich empfiehlt die Enquete-Kommission Verfassungsreform, die unübersichtliche Aufzählung der Fälle, in denen der Bundesrat zu Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers zustimmen muß, zu vereinfachen und auf die Rechtsverordnungen zu beziehen, die nicht in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, sofern nicht ein Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt.
Ein selbständiges Verordnungsrecht der Bundesregierung in Bereichen, in denen nicht in Freiheit und Eigentum der Bürger eingegriffen wird, sieht die Enquete-Kommission Verfassungsreform nicht als geeigneten Weg zur Entlastung des Parlaments an. Der Bundestag soll vielmehr selbst alle Rechtsetzung des Bundes vornehmen oder kontrollieren sowie delegieren oder wieder an sich ziehen können.
Zur geltenden Rechtslage Sowohl beim landeseigenen Vollzug der Bundesgesetze, der die Regel darstellt, als auch bei der Bundesauftragsverwaltung ist die Einrichtung der Behörden Sache der Länder (Ar-tikel Abs. 1, 85 Abs. 1 GG). Der Bund ist über die Errichtung oberster Bundesbehörden hinaus zur Einrichtung von oberen, mittleren und unteren Bundesbehörden nur begrenzt befugt (Artikel 86, 87, 87 b, 87 d, 88, 89 GG). Er kann allerdings für Angelegenheiten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz errichten; bei dringendem Bedarf im Rahmen neuer Aufgaben sogar bundeseigene Mittel-und Unterbehörden (Artikel 87 Abs. 3 GG).
Die Kommissionsempfehlungen Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hält die bestehenden Regelungen über die Ausführung der Bundesgesetze und über die Bundesverwaltung nicht für änderungsbedürftig. Um aber den Artikel 87 Abs. 3 GG angesichts der Zusammenfassung der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung nicht zum Hebel für die Verdrängung der Landes-und Bundesbehörden zu machen, sollen Bundesgesetze über die Errichtung von Bundesbehörden im Rahmen der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach dem empfohlenen Artikel 74 Abs. 2 der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.
Zur geltenden Rechtslage Recht wird nicht nur aufgrund allein innerstaatlichen Entschlusses gesetzt. Es beruht auch auf völkerrechtlichen Verträgen, die in einem förmlichen Verfahren innerstaatlich in Kraft gesetzt werden müssen.
Die Befugnis zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge sowie zu ihrer Transformation in innerstaatliches Recht liegt in der Regel beim Bund, der die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für auswärtige Angelegenheiten besitzt. Im Rahmen der ausschließlichen Ländergesetzgebungsbefugnisse beanspruchen aber auch die Gliedstaaten die Befugnis, völkerrechtliche Verträge zu schließen und innerstaatlich in Kraft zu setzen. Der Streit zwischen Bund und Ländern über die Zuständigkeitsverteilung beim Abschluß und bei der Transformation völkerrechtlicher Verträge, die Bereiche der ausschließlichen Länderzuständigkeit betreffen, konnte in der Staatspraxis durch das sogenannte Lindauer Abkommen vom 14. November 1957 bereinigt werden.
Die Kommissionsempfehlungen Die Enquete-Kommission Verfassungsreform tritt trotz des durchaus befriedigend funktionierenden Lindauer Abkommens für die ver fassungsrechtliche Klärung dieser Streitfrage ein. Sie empfiehlt entsprechend der Staatspraxis eine konkurrierende Zuständigkeit von Bund und Ländern zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder. Die Umsetzung solcher völkerrechtlicher Verträge in innerstaatliches Recht soll bei den Ländern liegen. Wenn gleichzeitig die Länder zur Transformation von Verträgen, die der Bund im Bereich der ausschließlichen Ländergesetzgebungszuständigkeit abgeschlossen hat, verpflichtet werden, werden sie in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeengt. Um ihnen dafür einen Ausgleich zu geben, empfiehlt die Enquete-Kommission Verfassungsreform, die Länder an der Willensbildung und Entscheidungsfindung vor Abschluß des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrages durch den Bund zu beteiligen. Entsprechend der Praxis des Lindauer Abkommens sollen alle Länder, soweit sie betroffen sind, vor Vertragsschluß ihre Zustimmung zu erteilen haben. Die Zustimmung der Länder soll lediglich für den Fall nicht erforderlich sein, daß nur ein für den Vertragszweck unwesentlicher Teil des Vertrages in die Zuständigkeit der Länder fällt.
Zur geltenden Rechtslage Die von den Europäischen Gemeinschaften erlassenen Rechtsvorschriften sind in der Bundesrepublik Deutschland entweder unmittelbar geltendes Recht — so bei Verordnungen und Weisungen der Europäischen Gemeinschaften — oder ausfüllungsbedürftige Richtlinien. Unmittelbar geltendes europäisches Recht bedarf lediglich der Vollziehung. Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften müssen zunächst durch innerstaatliche Rechtsvorschriften ausgefüllt werden, bevor sie vollzogen werden können. Zu klären bleibt die Frage, ob und in welchen Fällen der Bund oder die Länder für die Verwirklichung des europäischen Gemeinschaftsrechts innerstaatlich zuständig sind.
Die Kommissionsempfehlungen Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Ausführung europäischen Gemeinschaftsrechts keine zusammenhängende Prüfung gewidmet. Sie hat lediglich ihre innerstaatliche Finanzierung und ihre Ausführung durch die Verwaltung behandelt. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform empfiehlt zur Finanzierung europäischer Rechtsvorschriften, die Geldleistungen enthalten, in einem neuen Absatz 3 a des Artikels 104 a GG festzulegen, daß Rechtsvorschriften einer zwischenstaatlichen Einrichtung, auf die der Bund Hoheitsrechte nach Artikel 24 Abs. 1 GG übertragen hat, zu 80 v. H. vom Bund zu finanzieren sind. Ausnahmen davon sollen durch ein Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates eingeführt werden können. Enthalten solche Rechtsvorschriften keine Geldleistung und sind sie von den Ländern auszuführen, so sollen Bund und Länder je zur Hälfte die Kosten tragen. Ausnahmen sollen auch in diesem Falle durch ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates zugelassen werden können. Etwas anderes soll auch in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern bestimmt werden können, wobei die Verwaltungsvereinbarung auch das Verfahren und die Planung regeln darf. Trägt der Bund 50 v. H. oder mehr der Ausgaben, soll die Bundesregierung zu Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften zur Ausführung oder Ausfüllung dieser Rechtsvorschriften einer zwischenstaatlichen Einrichtung ermächtigt sein.
Für die Ausführung von Rechtsvorschriften einer zwischenstaatlichen Einrichtung, auf die der Bund gemäß Artikel 24 GG Hoheitsrechte übertragen hat, soll nach einem neuen Artikel 90 a der Grundsatz gelten, daß die Regelungen für die Ausführung von Bundesgesetzen entsprechend anzuwenden sind. Sind danach die supranationalen Vorschriften von den Ländern als eigene Angelegenheit auszuführen, soll durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates abweichend bestimmt werden können, daß sie von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, also nicht dem landeseigenen Vollzug unterliegen sollen.
Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen soll der Bund künftig nicht mehr uneingeschränkt durch einfaches Bundesgesetz vornehmen können. Hoheitsrechte der Länder sollen nur noch mit Zustimmung des Bundesrates aus der deutschen Zuständigkeit ausgegliedert werden dürfen.
Die Empfehlungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur Neuordnung der Zuständigkeiten im Bundesstaat zeigen Wege auf, wie der Tendenz begegnet werden kann, die Gesetzgebung allein dem Bund, den Gesetzesvollzug allein den Ländern zuzuweisen. Um die Eigenstaatlichkeit der Länder nicht auszuhöhlen, wird es nicht nur darauf ankommen, unnötige Übertragungen von Gesetzgebungsbefugnissen auf den Bund abzuwehren.
Um das politische Gewicht der Länder zu stärken, müssen auch ungerechtfertigte Kompetenzausweitungen zugunsten der Länderbürokratie zurückgedrängt und verhindert werden. Es kommt vielmehr im Interesse eines freiheitssichernden Föderalismus nicht zuletzt darauf an, wie die Enquete-Kommission Verfassungsreform anstrebt, den Landtagen politischen Entscheidungsraum hinzuzugewinnen.
Gerald Kretschmer, Dr. jur., Regierungsdirektor, geb. 1935; Angehöriger der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages seit 1970; bis 1973 Gutachter im Fachbereich »Recht und Inneres“; seitdem Mitarbeiter der Enquete-Kommission Verfassungsreform.
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