Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Gibt es eine entwicklungspolitische Alternative für die Dritte Welt? | APuZ 7/1978 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 7/1978 Artikel 1 Gibt es eine entwicklungspolitische Alternative für die Dritte Welt? Sozialökonomische Entwicklung und Umwelt. Neue internationale Perspektiven Finanzpolitik und Arbeitslosigkeit Beschäftigungswirkungen öffentlicher Ausgaben

Gibt es eine entwicklungspolitische Alternative für die Dritte Welt?

Dieter Senghaas

/ 36 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der vorliegenden Untersuchung wird eine entwicklungspolitische Alternative für die Dritte Welt entworfen. Im einzelnen wird begründet, warum eine Abkopplung (Dissoziation) vom Weltmarkt und eine an der Entfaltung des eigenen Binnenmarkts orientierte Entwicklung eine tragfähige Grundlage für die Lösung der Entwicklungsproblematik der Dritten Welt abgeben. Es werden die Grundlagen lebensfähiger Ökonomien herausgearbeitet; Strukturmerkmale und Strukturmängel von Ökonomien der Dritten Welt werden dargestellt. Drei miteinander verklammerte entwicklungspoli-tische Imperative werden diskutiert: Abkopplung (Dissoziation), interne Umstrukturierung, gemeinsame Interessenverbünde zwischen Ländern der Dritten Welt. Daraus ergeben sich einige Folgerungen für ein Entwicklungsprogramm autozentrierter Entwicklung: das Erfordernis einer ausgeglichenen Kapitalbildung, die Verzahnung von Ressourcenmobilisierung und Ressourcennutzung im eigenen Bereich und ein organischer Entwicklungsweg von einfachen zu komplexen Strukturen. Den Zweifeln an der Machbarkeit autozentrierter Entwicklung werden Fragen hinsichtlich der Machbarkeit der überkommenen Entwicklungspolitik gegenübergestellt. Als Denkanstoß will der Beitrag zu kontroversen Stellungnahmen herausfordern sowie Überlegungen zu einer Weiterentwicklung der Konzeption autozentrierter Entwicklung anregen. Im Beitrag wird bewußt an die Entwicklungstheorie von Friedrich List angeknüpft, die der Autor in der gegenwärtigen entwicklungspolitischen Diskussion für bedeutsam hält.

Die vorliegende Untersuchung ist als ein Beitrag zur gegenwärtigen entwicklungspolitischen Diskussion gedacht. Diese Diskussion beschäftigt sich vor allem mit den Forderungen der Dritten Welt nach Ablösung der überkommenen Weltwirtschaftsordnung durch eine „Neue Internationale Wirtschaftsordnung". Die Untersuchung bezieht sich nicht unmittelbar auf die darüber stattfindende Auseinandersetzung zwischen den westlichen Industriegesellschaften und der Dritten Welt. In ihr werden vielmehr einige Thesen entwickelt, die Überlegungen über eine neue Ausrichtung von Entwicklungspolitik anregen sollen. Die dabei zugrunde liegende entwicklungstheoretische und entwicklungspolitische Auseinandersetzung läßt sich wie folgt kurz umschreiben:

Die bisherige Entwicklungspolitik der Industriegesellschaften und der Dritten Welt läuft in Programmatik und Praxis auf eine vertiefte Eingliederung aller Beteiligten in die Weltwirtschaft hinaus. Von mehr Handelstätigkeiten (Import/Export), von gesteigerten privatwirtschaftlichen Investitionen und öffentlichen Hilfsgeldern, von verbesserten Bedingungen für den Technologie-Transfer und einer vertieften Kooperation in vielen anderen Bereichen wird eine beschleunigte Lösung der akuten Nöte in der Dritten Welt erhofft. Eine erweiterte und vertiefte Integration der Dritten Welt in die internationale Ökonomie ist also hier Leitlinie entwicklungspolitischen Denkens und Handelns. Demgegenüber wird im folgenden argumentiert, das nur über eine Abkopplung auf Zeit sich die Gesellschaften und Ökonomien der Dritten Welt auf eigene Beine stellen können, um zu einer langfristig fruchtbaren Kooperation mit anderen Gesell-3 schäften und Ökonomien in der internationalen Wirtschaft zu gelangen. Nicht Integration, sondern — je nach konkretem Fall — unterschiedliche Ausmaße von Abkopplung oder Dissoziation stellt die Orientierung solcher entwicklungspolitischen Programmatik dar. Es ist nicht beabsichtigt, mit diesem Beitrag eine dissoziative Entwicklungspolitik als problemlose , Allerweltslösung‘ vorzustellen. Beabsichtigt ist vielmehr ein Denkanstoß, für INHALT I. Ökonomische Grundlagen lebensfähiger Ökonomien II. Strukturmerkmale der Ökonomien der Dritten Welt III. Zur Problematik der Ökonomien der Dritten Welt IV. Drei entwicklungspolitische Imperative Der Imperativ der Dissoziation Der Imperativ der inneren Umstrukturierung Neue Formen von internationaler Arbeitsteilung V. Folgerungen für ein Entwicklungsprogramm autozentrierter Entwicklung VI. Schlußbemerkung dessen Plausibilität sowohl triftige historische Erfahrungen sprechen als auch zwingende Folgerungen aus neueren Untersuchungen über jene sozialen und ökonomischen Strukturen der Dritten Welt und der internationalen Wirtschaft, die die akuten Nöte und Probleme in der Dritten Welt entstehen lassen

Nach einer kurzen Diskussion der ökonomischen Grundlagen lebensfähiger Ökonomien und einiger wesentlicher Strukturmerkmale der Ökonomien der Dritten Welt sollen jene Folgerungen verdeutlicht werden, die die Abkopplung oder Dissoziation als ein entwicklungspolitisch richtungsweisendes Ergebnis solcher Analyse beinhalten.

I. ökonomische Grundlagen lebensfähiger Ökonomien

Historisch-vergleichende Untersuchungen weisen auf, daß eine erfolgreiche ökonomische und soziale Entwicklung eine besondere Form von Kapitalbildung voraussetzt. Unter rein ökonomischen Gesichtspunkten ist das Zusammenwirken folgender Größen grundlegend: — eine nachdrückliche Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge, wodurch die Ernährungsgrundlage der eigenen Bevölkerung und die Versorgung mit landwirtschaftlichen Rohstoffen gesichert wird;

— die industrielle Erzeugung von Konsumgütern, die für die Masse der Bevölkerung erreichbar sind (Massenkonsumgüter im Unterschied zu Luxuskonsumgütern);

— die industrielle Erzeugung von Produktionsgütern: Ausrüstungsgüter für die Landwirtschaft; Produktionsmittel zur Herstellung von Konsumgütern (z. B. leichter Maschinenbau); Produktionsmittel zur Herstellung von Zwischenprodukten; Produktionsmittel für die Herstellung von weiteren Produktionsmitteln (Werkzeugmaschinen, Computer, Steuer-und Regeltechnik, Telekommunikation);

— die Erzeugung von Zwischenprodukten: Zwischenprodukte für Konsumgüter (Eisen-und Stahlindustrie, Chemie, Energie); Zwi-

schenprodukte für Produktionsgüter (Eisen-und Stahlindustrie, Energie, NE-Metalle);

— die Herstellung von Infrastruktur und von Gütern für den sogenannten „kollektiven Konsum“ (Verkehrs-und Kommunikationsnetze, Ausbildungsstätten, Gesundheitswesen usf.).

Die Geschichte von lebensfähigen Ökonomien beruht auf der Herausbildung und der allmählichen wechselseitigen Verkettung der genannten Wirtschaftsbereiche. In einer langwierigen Entwicklung gliedert sich die Wirtschaftsstruktur — und damit auch das politische System, die Gesellschaftsstruktur, das Rechtssystem usf. — immer mehr auf, während gleichzeitig innere Wechselbeziehungen sich vervielfachen. Derartig vielfältig gegliederte und innerlich verknüpfte Sozialkörper und Wirtschaftsgebilde sind zu bestimmten Grundleistungen befähigt:

— In der Regel wird in ihnen die Masse der Menschen produktiv in die Wirtschaft eingegliedert: Menschen finden Arbeit, erhalten Einkommen und werden zu Konsumenten, wodurch — je nach Entwicklungsstand — in unterschiedlichem Ausmaße Bedürfnisse befriedigt werden können.

— In solchen Ökonomien besteht eine innere Beziehung zwischen der Gestalt des Produktionsapparates, der Art von Beschäftigung, der Einkommensverteilung und der Konsuminhalte.

— Diese innere Beziehung zeigt sich in einem organischen Entwicklungsprozeß vom Einfachen zum Komplexen: Einer durchschnittlich einfachen Technologie und einer durchschnittlich niedrigen Leistungsfähigkeit der Ökonomie entsprechen niedrige Einkommen und die Nachfrage nach einfachen Ausrü-stungsund Konsumgütern; eine fortgeschrittene Technologie und leistungsfähige Ökonomien ermöglichen höhere Einkommen und die Befriedigung von vielschichtigen Bedürfnissen. Die durchschnittliche Höhe der Reallöhne ist mit der durchschnittlichen Höhe der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit rückgekoppelt. — Solche Wirtschaften sind reich an Erfindungen: technischer Fortschritt bestimmt zu einem erheblichen Maße die gesamte Entwicklungsdynamik. — Solche Ökonomien unterliegen einem ständigen Strukturwandel. Dieser ist die Ursache vielfältiger politischer, sozialer und kultureller Krisen, die von einzelnen Gesellschaften in der Regel höchst unterschiedlich bewältigt werden.

— Erfolgreiche Entwicklungsprozesse zeichnen sich dadurch aus, daß aus ursprünglich zerklüfteten Gesellschaften relativ vereinheitlichte Sozialkörper werden. Ein langwieriger historischer Prozeß führt zur Herausbildung von Territorialstaaten, die im Hinblick auf politischen Institutionen, Recht, Kultur, Sprache usf. Einheiten mit eigenem Gepräge verkörpern. Jeder erfolgreiche Entwicklungsprozeß war bisher durch besondere Akzente und Stufenfolgen gekennzeichnet. Die neuere sozialwissenschaftliche Entwicklungstheorie hat dabei vor allem auf zwei Faktoren aufmerksam gemacht: zum einen auf die Stellung, die eine Gesellschaft in der internationalen Arbeitsteilung innehatte, zum anderen auf die Bedeutung innergesellschaftlicher Macht-und Interessenkonstellationen. Beide Faktoren haben einzelnen Entwicklungsprozessen ein je be-sonderes Gepräge verliehen. Die daraus sich ergebenden Unterschiedlichkeiten sind — insbesondere für eine historisch-vergleichende Untersuchung — eindrucksvoll. Jedoch ist für die gegenwärtige entwicklungspolitische Diskussion die Beobachtung bedeutsamer, daß die oben umrißhaft dargestellte Struktur einer lebensfähigen Ökonomie sich sowohl in der westlich-kapitalistischen Industriegesellschaft (OECD-Staaten) als auch in den industrialisierten sozialistischen Gesellschaften (Sowjetunion und osteuropäische Länder) findet. Auch in denjenigen Entwicklungsländern, die heute nicht mehr zu den akuten Problemfällen der Dritten Welt gehören (wie China, Nord-Korea, Albanien, Kuba) lassen sich fortgeschrittene Ansätze zur Herausbildung lebensfähiger Ökonomien aufzeigen. In den letztgenannten Fällen ist, wenn auch noch in unterschiedlichem Ausmaße, eine breite Förderung landwirtschaftlicher Produktivität zu beobachten, weiterhin der Aufbau von industriellen Sektoren für die Herstellung von

Ausrüstungsgütern und Technologie, von Zwischenprodukten und Massenkonsumgütern; eine besondere Förderung der Infrastruktur ist. unübersehbar.

Trotz unterschiedlicher historischer Ausgangslagen und unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Orientierung zeichnen sich alle drei genannten Fälle, vor allem wenn man sie mit der Masse der Entwicklungsländer vergleicht, durch eine eher übereinstimmende als unterschiedliche Struktur von Kapitalbildung aus. Keiner dieser Fälle ist krisenfrei; jeder entwickelt besondere Krisenerscheinungen; manche von ihnen sind übergreifend (z. B. die Ökologie-Problematik); doch in allen Fällen ist — bei völlig unterschiedlichem durchschnittlichem Entwicklungsstand — die Fähigkeit angelegt, die oben genannten ökonomischen Grundleistungen zu erbringen, die ihrerseits erst die Grundlage für eine wachsende Wohlfahrt sind.

II. Strukturmerkmale der Ökonomien der Dritten Welt

Die Gesellschaften und Ökonomien der Dritten Welt (im folgenden als Peripherieökonomien bezeichnet) zeichnen sich durch das genaue Gegenteil dessen aus, was hier als lebensfähige Ökonomie und deren Grund-leistungen umrißhaft dargestellt wurde: — In der Regel sind nur jene Teile der Landwirtschaft leistungsfähig, in denen Güter für den Export erzeugt werden (Nahrungsmittel, agrarische Rohstoffe); eine in die Breite gehende umfassende Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft ist nicht zu beobachten. Damit fehlt eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Entwicklungsprozeß. Ähnliches gilt hinsichtlich des Rohstoffsektors. Zwar ist er vielerorts hochproduktiv, doch ist er in den meisten Fällen immer noch nicht mit der lokalen Wirtschaft verbunden und stellt deshalb, wie früher, weiterhin eine

Wirtschaftsenklave dar.

— Die industrielle Produktion von Massen-konsumgütern bleibt hinter dem Import von industriell erzeugten Luxuskonsumgütern bzw. in manchen Fällen hinter der lokalen Produktion von Luxuskonsumgütern zurück. Diese Verzerrung spiegelt die krassen und in den meisten Fällen sich verstärkenden Einkommensunterschiede in den Ländern der Dritten Welt wider. Wenn der Entwicklungsprozeß nicht zur Eingliederung der Masse der Menschen in produktive Tätigkeiten führt, Masseneinkommen also ausbleiben, dann ergibt sich keine Nachfrage nach Massenkonsumgütern, die Verflechtung von Landwirtschaft und Industrie bleibt aus, die Entwicklung des eigenen Binnenmarktes stagniert. — In der Regel fehlt in Peripherie-Ökonomien ein Wirtschaftsbereich zur eigenen Erzeugung von Produktionsmitteln (Handwerkszeug, Ausrüstungsgüter, Technologie). Sein Aufbau wird durch die Eingliederung dieser Wirtschaften in eine ungleich angelegte internationale Arbeitsteilung verhindert: Die Länder der Dritten Welt liefern den Industriegesellschaften unverarbeitete oder wenig verarbeitete landwirtschaftliche Güter, Rohstoffe und gering verarbeitete Fertigwaren; die Industriegesellschaften tauschen dagegen Fertigwaren, Maschinen, Technologie und Expertise. Indem die Länder der Dritten Welt solche Güter nicht produzieren, gehen ihnen lebenswichtige Entwicklungsimpulse auch dann verloren, wenn die Austauschbedingungen zwischen ihnen und den Industriegesellschaften fair wären (wenn also die terms of trade Problematik nicht existieren würde). In den wenigen Fällen, in denen es zum Aufbau eines solchen Produktionsapparates kommt, ist er in der Regel auf die bestehenden Wachstumspole ausgerichtet und damit z. B. auf die Produktion von Ausrüstungsgütern für die Erzeugung von Luxuskonsumgütern und die für diese erforderliche Infrastruktur (Beispiel: Erzeugung von Produktionsmitteln für die Auto-branche auf einem Entwicklungsstand, der keineswegs eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und/oder mit einfachen Verkehrsmitteln wie Fahrrädern sichert).

— Die Erzeugung von Zwischengütern ist wenig entwickelt und begründet, zusammen mit der mangelnden Erzeugung von Ausrüstungsgütern und Technologie, die tiefgreifende technologische Abhängigkeit der Länder der Dritten Welt von den Industriegesellschaften. Diese übersetzt sich heute in wachsendem Maße in eine heillose finanzielle Abhängigkeit, die sich in der Verschuldungs-Problematik niederschlägt.

— Die Güter des kollektiven Konsums (Erziehung, Gesundheit u. a.) und die Entwicklung der Infrastruktur haben in der Regel nicht zur Vereinheitlichung der Gesellschaften der Dritten Welt beigetragen, sondern zu einer Vertiefung der Zerklüftung dieser Gesellschaften in wenige Wachstumspole (mit relativ hochentwickelter Infrastruktur) und weitem Hinterland.

Solchen Ökonomien fehlen die für eine lebensfähige Gesellschaft erforderlichen Wirtschaftsbereiche (leistungsfähige Landwirtschaft, Massenkonsumgüterindustrie, Ausrüstungsgüterindustrie, in die Breite greifende Infrastruktur), einschließlich ihrer wechselseitigen Vermaschung. Man könnte sie — im Anschluß an die Entwicklungstheorie Friedrich Lists — als „verkrüppelt“ bezeichnen Ihre Grundproblematik besteht nicht darin, daß in ihnen keine Kapitalbildung erfolgt — und damit die Ökonomie insgesamt darniederliegt. Im Gegenteil: Das Wirtschaftswachs-tum der Entwicklungsländer hat z. B. in den Jahren 1951— 1975 Größenordnungen eireicht, die zu keinem Zeitpunkt in einer vergleichbaren Zeitspanne von 1950 von den westlichen Industriegesellschaften erreicht worden war.

In der Regel besitzen die Länder der Dritten Welt ausgesprochene Wachstumsökonomien;

jedoch konzentriert sich das Wachstum auf wenige Teilbereiche (die sogenannten Wachstumspole). Eine in die Breite gehende Binnenmarkterschließung findet kaum statt. Solche Ökonomien sind innerlich unausgewogen. Ihre Brüchigkeit ist bedingt — durch eine mangelnde Verflechtung von Landwirtschaft und Industrie (ausbleibende Vorwärts-und Rückwärtsverknüpfungen);

— durch eine fehlende Produktionstiefe, d. h.

durch einen Mangel an vollständigen Wirtschaftskreisläufen: Ein Teil wirtschaftlicher Aktivitäten, insbesondere die Erzeugung von Technologie, Ausrüstungsgütern, zu einem erheblichen Maße von Zwischenprodukten und von Konsumgütern findet in den Industriegesellschaften statt. Die dabei entstehenden ökonomischen und sozialen Folgewirkungen (Beschäftigung, Einkommen, Qualifizierung von Arbeitskraft usf.) gehen den Ländern der Dritten Welt laufend verloren; die Verluste schlagen sich in den genannten Strukturverkrüppelungen nieder;

— durch die innere, soziologisch begründete Tendenz der bisherigen Industrialisierungsetappen, die Nachfrage einkommensstarker Schichten zu befriedigen (Landoligarchie, Import-und Exportoligarchie, städtisches Bürgertum, Mitglieder des Dienstleistungssektors, der öffentlichen Verwaltung, des Militärs, von Teilen der höher bezahlten Arbeiterschaft in städtischen Zentren), während die Produktion von Massenkonsumgütern auf Grund der nur unterdurchschnittlich oder gar negativ sich entwickelnden Kaufkraft der Masse der Menschen (Bauern, randständiges Handwerk, Arbeiter) relativ stagniert;

— durch die daraus folgende, keineswegs natürlich gegebene Binnenmarktenge, die ein Ergebnis unvollständiger Wirtschaftskreisläufe ist.

III. Zur Problematik der Ökonomien der Dritten Welt

Unterentwicklung hat nichts mit Rückständigkeit zu tun; sie ist nicht das Ergebnis einer mangelnden Mobilisierung wirtschaftlicher Kräfte. Wo Rückständigkeit und mangelnde Dynamik vorliegen, wäre sinnvoller von unentwickelten Ökonomien zu sprechen;

solche sind in der Dritten Welt heute nirgendwo zu finden. Die neuere sozialwissenschaftliche Diskussion hat deutlich gemacht, daß Unterentwicklung vielmehr ein Ausdruck lehlgeleiteter Kraltentfaltung ist Nicht in der Unfähigkeit zur Kapitalbildung liegt das Problem der Dritten Welt, sondern in einer falsch angelegten Mobilisierung der tatsächlich oder potentiell verfügbaren Wirtschaftskräfte. Das zu beobachtende Wirtschaftswachstum ist ungeeignet, den eigenen lokalen Markt erschließen zu helfen; es handelt sich um Wachstum ohne soziale Entwicklung. Die mangelnde Binnenmarkterschließung hat mehrere Ursachen: Ein großer Teil der erzeugten Güter ist nicht für den Binnenmarkt bestimmt, sondern für den Weltmarkt (in vielen Fällen gibt es immer noch exportorientierte Monokulturen); kommt es zur Industrialisierung, so werden in der Regel der Maschinenpark, die Technologie und die Konsummuster hochindustrialisierter Gesellschaften nachgeahmt. Da diese das Ergebnis eines langwierigen Entwicklungsprozesses und heute Ausdruck eines höheren und komplexen Entwicklungsstandes sind, müssen sie in der Regel in Ökonomien geringerer und zudem verzerrter Entwicklung notwendigerweise Fremdkörper bleiben. Die -historische Erfahrung zeigt, daß nur in sich gefestigte Ökonomien das Technologieangebot aus höher entwickelten Gesellschaften schadlos zu übernehmen imstande sind. Wie gezeigt, sind die Länder der Dritten Welt gerade nicht gefestigt und deshalb besonders ungeeignet, ein solches Angebot des Weltmarktes zu sichten sowie bei Übernahme von Technologien diese im eigenen Sozialkörper fruchtbar zu verarbeiten.

Diese überkommene Struktur von fehlgeleiteter Kapitalbildung, die sich zum Schaden der Masse der Menschen auswirkt, ist das Ergebnis der Eingliederung Lateinamerikas, Afrikas und Asiens in eine ungleiche internationale die entwicklungstheoretische Diskussion kaum einen Begriff von gleicher bzw. ungleicher Arbeitsteilung. In der Regel folgt sie der klassischen Freihandelsdoktrin. Ihr zufolge gewinnen alle am internationalen Handel Beteiligten, insofern sie sich auf jene Güter spezialisieren, bei deren Erzeugung sie die lokal verfügbaren Faktoren wie Land, Kapital, Arbeitskraft, technisches Wissen usf. am besten einzusetzen vermögen. Kaum wurde in neuerer Zeit die Frage gestellt, welche konkreten Folgewirkungen auf Produktionsstruktur, Einkommensverteilung, Konsummuster, Arbeitsmarkt und Infrastruktur eine Spezialisierung bei Handelspartnern mit ungleicher Ausgangssituation hat. Wäre diese Frage gestellt worden, so hätte sich der erhebliche Unterschied zwischen symmetrischen und asymmetrischen Handelsstrukturen herausgestellt.

Die oben untersuchten Probleme der Ökonomien der Dritten Welt sind das folgerichtige Ergebnis der Eingliederung dieser Länder in eine asymmetrisch strukturierte internationale Wirtschaft. Während die heute hochindustrialisierten westlichen Industriegesellschaften durch die Erschließung ihrer eigenen Binnenmärkte sich allmählich entwickelten und sich dabei das Angebot von „Kolonialwaren"

zunutze machten (billige landwirtschaftliche und mineralische Produkte, billige Energie, billige Arbeitskraft), verhinderte die Zuordnung der Gesellschaften Lateinamerikas, Afrikas und Asiens auf die Bedürfnisse der Industriegesellschaften eine vergleichbare Binnenmarkterschließung. Durch die Eingliederung der südlichen Kontinente in eine ungleiche internationale Arbeitsteilung wurden die dortigen lokalen Wirtschaftsgebilde umfunktioniert: von leidlich lebensfähigen, den unmittelbaren und einfachen Bedarf deckenden Wirtschaften (sog. Subsistenzökonomien) in verkrüppelte Peripherie-Ökonomien, deren Dynamik folgende Ergebnisse zeitigt:

— die Unfähigkeit, die Masse der Menschen in die Wirtschaft produktiv einzugliedern;

— die wachsende Unfähigkeit, die Masse der Menschen mit lokal erzeugten landwirtschaftlichen Gütern zu ernähren;

— die Unfähigkeit, eigene Produktionsmittel (Handwerkszeug, Ausrüstungsgüter, Technologie) zu erfinden und herzustellen und derartige, andernorts bestehende Güter an lokale Bedingungen anzupassen; — die Unfähigkeit, das Bevölkerungswachstum — ein Ergebnis sozio-ökonomischer Zerrüttungen — in den Griff zu bekommen; — die Unfähigkeit, technischen Fortschritt, der auf die lokale Problemsituation bezogen wäre, selbst in Gang zu bringen und überkommene Strukturen zu verändern. — die Unfähigkeit, den offensichtlichen Prozeß weiter fortschreitender innerer Zerklüftung (strukturelle Heterogenität) aufzuhalten und umzukehren; — die Unfähigkeit, unter gegebenen Bedingungen die politischen Rechte der Masse der Menschen und die Würde der Menschen zu achten. Der Prozeß politischer Entmündigung ist seit den Tagen der politischen Unabhängigkeitsbewegungen dramatisch fortgeschritten; Anfänge einer gewerkschaftlichen Organisation von Arbeitern und Bauern — eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Binnenmarkterschließung — sind in der Mehrzahl der Fälle in den vergangenen zehn Jahren politisch zerschlagen worden. — Aus der Dialektik von fehlgeleitetem Wachstum und Massenelend entsteht heute ein erheblicher sozialer Konfliktstoff, der Hintergrund für interne Militarisierung wachsende der Gesellschaften der Dritten Welt ist. Die Gefahr wird immer sichtbarer, daß solche nach innen gerichtete Militarisierung Grundlage für den -von klas die Aufbau sischen zwischenstaatlichen und zwischengesellschaftlichen Konfliktfronten abgibt.

Karl Schiller hat vor vielen Jahren den Entwicklungsgang der Länder der Dritten Welt im Rahmen der bisherigen Arbeitsteilung wie folgt beschrieben: „In den überseeischen Rohstoffländern hat der Prozeß bei ihrer Berührung mit der kapitalistischen Welt sozusagen gleich im zweiten Akt eingesetzt (einige Anhänger des Theorems der komparativen Kosten vergessen auch oft, daß in dem Beispiel Ricardos bekanntlich vor Eröffnung des Außenhandels beide Länder, Portugal und England, beide Produkte, Wein und Tuch, produzieren können und sich nach Eröffnung auf Wein bzw. Tuch spezialisieren, wobei in jedem Land das jeweilige nationale Beschäftigungsvolumen gehalten wird. Hier ist also vor der Spezialisierung schon ein Stadium der Entwicklung der produktiven Kräfte vorausgesetzt). In die Länder wurden moderne Erzeugungen verlagert, die nach dem . Gesetz'für die Teilnahme am Welthandel dort angebracht waren. Der erste Akt der schrittweisen . Erziehung'der gesamten Volkswirtschaft zur modernen Arbeitsweise wurde ausgelassen. So entstand das Bild einer Uberseewirtschaft, die zwar hochmoderne Produktion aufweist, aber im wesentlichen nur in solchen Branchen, in denen sie spezialisierter Exporteur ist. Die Uberseewirtschaft wurde in ihrem modernen Teil, also nicht etwa in der Breitenstruktur der europäisch-amerikanischen Kernländer, sondern . punktuell', als ergänzende , Contrastruktur'zu dieser entwickelt. Die . Verbreitungstendenz der Produktion'kam in diesen Ländern in voller Breite gar nicht erst zum Durchbruch . . . Bisher sind also viele Uberseeländer gewissermaßen nur schief oder toppla-stig allein unter dem Aspekt der . Weltarbeitsteilung'in die moderne Wirtschaft einbezogen."

Die Frage, was mit den Ländern der Dritten Welt geschehen wäre, ohne jegliche Eingliederung in die von den Industriegesellschaften beherrschte internationale Arbeitsteilung, kann heute kaum noch interessieren; festzuhalten ist der von Schiller diagnostizierte

Mangel einer Breitenentwicklung: die fehlende

Entwicklung einer „Breitenstruktur". Die Aufgabe von Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik besteht heute darin, über jene Voraussetzungen und Maßnahmen nachzudenken, die eine Entwicklung in die Breite ermöglichen.

Eine klare Vorstellung über die Grundstruktur einer Ökonomie der Dritten Welt ist erforderlich, um zu sinnvollen entwicklungspolitischen Leitlinien zu gelangen. Werden, wie herkömmlicherweise, die Ökonomien

Dritten Welt als traditional-rückständig der im Unterschied zu den westlich oder östlich modernen Ökonomien begriffen, werden sie also als Kleinausgaben von Frühphasen westlicher oder östlicher Wirtschaftsgebilde interpretiert, die es nur noch zu dynamisieren gelte, so ist der entwicklungspolitische Fehlschlag von darauf aufbauenden Strategien schon in eine solche anfängliche Interpretation eingebaut. Dies hat die fehlgeschlagene Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahrzehnten unleugbar sichbar gemacht.

IV. Drei entwicklungspolitische Imperative

Welches sind die entwicklungstheoretischen und die praktisch-entwicklungspolitischen Schlußfolgerungen aus der vorangegangenen Analyse? Drei entwicklungspolitische Imperative sollen formuliert und begründet werden:

der Imperativ der Abkoppelung (Dissoziation), der Imperativ der inneren Umstrukturierung und der Imperativ der neuen Arbeitsteilung zwischen den Ökonomien der Dritten Welt.

Der Imperativ der Dissoziation Die Dritte Welt hat langfristig nur eine Chance, eigenständige und lebensfähige Ökonomien und Gesellschaften aufzubauen, wenn sie sich von der gegebenen internationalen Ökonomie auf Zeit abkoppelt. Wie Karl Schiller korrekt analysierte, fehlt den Entwicklungsländern für einen erfolgreichen Entwicklungsprozeß „der erste Akt der Breitenentwicklung". Die historische Erfahrung kapitalistischer und sozialistischer Entwicklungsprozesse, die zu einigermaßen lebensfähigen Sozial-körpern führten, lehrt, daß ohne eine im Einzelfall kürzer oder länger dauernde Selbstbezogenheit, d. h. ohne entwicklungspolitisch motivierten Schutz, eine intensive Entfaltung der Wirtschaftskräfte kaum möglich ist. Merkantilismus, Phasen gezielter Schutzpolitik, erzwungene oder freiwillig selbst auferlegte Autarkie — sie sind unter diesem Gesichtspunkt Ausdruck ein und desselben Erfordernisses. Und ist es nur zufällig oder von tieferer Bedeutung, daß in jenem Bereich Westund Mitteleuropas, in der die Entwicklungsprozesse der Neuzeit ihren Ausgang genommen haben, die Entwicklung durch die „zeitweilige Abschnürung von den Hauptadern des bisherigen Verkehrs" bestimmt worden ist?

„In der Karolingerzeit gruppierte sich in der Tat ein wichtiges Gebiet zum ersten Mal um ein ganz weit im Binnenland gelegenes Zentrum. Die Gesellschaft war vor die Aufgabe gestellt, die binnenländischen Kommunikationen stärker zu entwickeln. Als es ihr im Laufe von Jahrhunderten gelang, war auch von dieser Seite das Erbe der Antike unter neue Bedingungen gestellt. Es wurde der Grund für Formationen gelegt, die die Antike nicht kannte. Von hier aus sind gewisse Unterschiede zwischen den antiken Integrationseinheiten und den anderen, die sich langsam im Abendlande herausbilden, zu verstehen: Staaten, Nationen, wie immer wir diese Einheiten nennen, es sind zum guten Teil in binnenländische Zentren oder Hauptstädte gruppierte und durch binnenländische Adern miteinander verbundene Völkergruppen."

Ist es nicht gerade das Wachstum solcher Binnenlandverflechtungen als Kern politischer Steuerung, der Entfaltung von Wirtschaftskraft und der Herausbildung kultureller Identität, was typischerweise den Ländern der Dritten Welt abgeht und was sie nicht erlangen können, solange sie in die überkommene Struktur der internationalen Wirtschaft so eingegliedert bleiben wie in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten?

Eine solche Selbstbezogenheit mit dem Ziel einer intensiven Entfaltung von Wirtschaftskraft mit eigenen Ressourcen für die eigenen Bedürfnisse ist nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit Autarkie. Auch wenn eine solche „dissoziative" Politik verfolgt wird, ist ein Austausch mit produktiveren Ökonomien möglich. Doch ist dieser Austausch Mittel einer nach innen gerichteten Entwicklungsdynamik und also nur zweckdienlich für die Binnenmarkterschließung. Er ist selektiv zu handhaben und soll nur dort stattfinden, wo er dem Aufbau einer lebensfähigen Binnen-struktur in den Ländern der südlichen Kontinente zugute kommt. Es handelt sich also, wie in einer Studie über so unterschiedliche Fälle wie die Entwicklung Japans und der Sowjetunion aufgewiesen wurde, um eine „kalkulierte Isolierung bei selektiver Nutzbarmachung des Weltmarktes" Die Autoren machen dabei zu Recht darauf aufmerksam, daß mehr als irgendein anderes Land das heutige China dieses Szenario „der kalkulierten Isolation, des nachdrücklichen Vertrauens auf die Kraft und Überlegenheit von intern entwik-kelten Strategien und der gezielten Anleihen* zu wiederholen scheint.

Für die Mehrzahl der Länder der Dritten Welt hieße, allgemein formuliert, Dissoziation heute insbesondere: Bruch mit der überkommenen exportorientierten Ökonomie und dafür eine Mobilisierung von eigenen Ressourcen mit dem Ziel ihrer Nutzbarmachung für eigene Zwecke. Im einzelnen hieße dies: die Einbindung von Landwirtschaft und Rohstoffproduktion in die Binnenmarkterschließung;

Bruch mit einer exportorientierten Industrialisierung; Bruch mit der falsch angelegten, auf den Binnenmarkt bezogenen Industrialisierung, die bekanntlich — wo sie verfolgt wurde — vor allem die Nachfrage einkommens-starker Schichten befriedigt und zur Binnen-marktenge beigetragen hat und die nicht auf die potentielle Nachfrage der Masse der verarmten Menschen ausgerichtet ist.

Der Imperativ der inneren Umstrukturierung Der zweite Imperativ bezieht sich auf den Aufbau aufgegliederter und gleichzeitig verknüpfter Wirtschaftsbereiche in den Ländern der Dritten Welt. Eine solche — autozentrierte Entwicklung ist ohne die organische — Verbindung folgender Aktivitäten kaum denkbar:

— erneute Sichtung der lokal verfügbaren Ressourcen;

— lokale Nutzung lokaler Ressourcen;

— Aufbau eines industriellen Sektors für die Produktion von Produktionsmitteln und Zwischengütern; — Erfindung und Wiedererfindung passender Technologie sowie Weiterentwicklung und Anpassung bestehender Technologie an lokale Bedürfnisse;

— breit angelegte Leistungssteigerung in der Landwirtschaft;

— industrielle Produktion von Massenkonsumgütern, die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der Masse der Menschen geeignet sind;

— Aufbau einer in die Breite wirkenden Infrastruktur. Nur das Zusammenwirken dieser Tätigkeiten erlaubte eine schrittweise Erschließung des eigenen Binnenmarktes, durch die die Masse der Bevölkerung produktiv in die Wirtschaft eingegliedert wird. Dadurch kann Kaufkraft erworben und die Nachfrage nach agrarischen und industriellen Ausrüstungs-und Massenkonsumgütern sowie nach privaten und öffentlichen Dienstleistungen angeregt werden. In fortschreitendem Maße wird die Entfaltung der Wirtschaftskraft an der Befriedigung der eigenen lokalen Bedürfnisse ausgerichtet. Werden inzwischen einzelne Forderungen einer dissoziativen Entwicklungsstrategie auch in der überkommenen Entwicklungsprogrammatik akzeptiert (wie z. B. die Forderung nach einer in die Breite wirkenden Leistungssteigerung der Landwirtschaft), so wird ansonsten einem solchen Entwicklungsprogramm widersprochen. Ein wesentlicher Grund hierfür besteht darin, daß ein solches Programm ohne einen erheblichen Verstoß gegen die überkommene Freihandels-Doktrin (und die in ihr enthaltene Doktrin komparativer Vorteile) nicht denkbar ist. Was heißt dies?

In einer internationalen Ökonomie, in der es nationale Ökonomien verschiedenartiger Entwicklungshöhe und unterschiedlicher Leistungsfähigkeit (Produktivitätsgrade) gibt, kann jegliche Ware (Konsumgüter, Maschinenpark, Technologie usf.) von Seiten weniger produktiver Ökonomien in Ökonomien höherer Produktivität — Devisenbesitz vorausgesetzt — kostengünstiger eingekauft als selbst erzeugt werden. Erfolgt ein Austausch innerhalb einer asymmetrischen Struktur, also z. B. zwischen einer hoch entwickelten Industriegesellschaft und einer Ökonomie der Dritten Welt, so führt ein derartiges „komparatives Kostenkalkül" zur „Peripherisierung“ der weniger leistungsfähigen Ökonomie: Die weniger leistungsfähige Ökonomie kauft auf dem Weltmarkt Erzeugnisse leistungsfähiger Ökonomien kostengünstiger ein, als sie sie selbst produzieren könnte — und handelt sich dafür grundlegende Strukturdefekte ein. Sie

erspart sich die für den Aufbau einer lebensfähigen Ökonomie unerläßlichen Lernkosten, um am Ende der Fähigkeit zur Erfindung, Weiterentwicklung, Anpassung und Produktion von eigenem oder fremdem Handwerks-zeug, von Ausrüstungsgütern und Technologie, von Massenkonsum-und Luxuskonsumgütern entkleidet zu sein. Deshalb sind die relativ kapitalreichen Länder der Dritten Welt (wie z. B. Venezuela) durch viel extremere Strukturverzerrungen gekennzeichnet als Länder, die nur unter allergrößten Schwierigkeiten Devisen erwirtschaften können (wie z. B. das benachbarte Kolumbien) 7).

Die Folge dieses Vorganges ist, daß fremde Maschinen und eine fremde Technologie sowie komplexe Konsumgüter einer Ökonomie mit einer höheren durchschnittlichen Lei-stungsfähigkeit als fertige Erzeugnisse In eine weniger und überdies defekt entwickelte Wirtschaft übertragen werden, um dort notwendigerweise zu ökonomischen Fremdkörpern mit weitreichenden Verzerrungswirkungen zu werden.

Sollen die Länder der Dritten Welt sich wirklich entwickeln, so ist ein zeitweiliger Bruch mit einer ungleich angelegten internationalen Arbeitsteilung und der Doktrin komparativer Kosten und Vorteile unerläßlich. Die für den Aufbau einer lebensfähigen Wirtschaftsstruktur erforderlichen Kosten müssen — wie dies immer schon der Fall war — als unerläßliche Lernkosten eingeschätzt werden. Diese sind belastend; doch sie nicht tragen zu wollen, hieße nur, die jetzigen Strukturmängel und ihre sozialen Folgewirkungen (Arbeitslosigkeit, unsteuerbares Bevölkerungswachstum, krasse Einkommensungleichheit, Verschuldung usf.) in die Zukunft fortzuschreiben.

„Industrialisierung bedeutet . .. die schrittweise Entwicklung von Produktionsfähigkeit durch einen steten, langsamen und geduldigen Prozeß des Learning by Doing. Sie bedeutet viel mehr als lediglich die Erstellung bestimmter Produktionskapazitäten, die man ja notfalls auch vom Ausland importieren kann.

Wenn die breite Masse der Bevölkerung an der Produktion beteiligt wird und durch diese Produktion Einkommen beziehen soll, müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, um diese breiten Massen in den immer differenzierteren Prozeß der Arbeitsteilung einzugliedern. Dazu ist erforderlich, daß auf breiter Basis die Grundkenntnisse der Alphabetisierung, der Technik und Organisation geschaffen und systematisch weitergebildet werden. Ebenso müssen die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen einer industriellen Produktion geschaffen und alle Beteiligten in entsprechende organisatorische Abläufe eingeübt werden. Eben das sind Dinge, die kein Land importieren kann, sondern die es selbst schaffen muß. Importieren kann man Ideen, bestimmte fertige Problemlösungen, die dann in jedem betreffenden Land adaptiert werden können. Aber die Adaptionsfähigkeit selbst muß vorhanden, bzw. systematisch aufgebaut und entwickelt werden."

Die hier vorgetragene Kritik gilt nicht der Doktrin komparativer Vorteile an und für sich. Diese Doktrin scheint bei der Bewertung von Austauschbeziehungen zwischen ziemlich gleichgelagerten Ökonomien sinnvoll zu sein (wie z. B. beim Handel zwischen dem heutigen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland). In einem solchen Falle läßt die vergleichbare Ausgangssituation einen fairen Nutzen für alle Beteiligten erwarten.

Folgen die Länder der Dritten Welt weiterhin der verführerischen Doktrin komparativer Vorteile, so verstellen sie sich weiterhin den Weg zur Erschließung des eigenen Entwicklungspotentials. Auf diesen Sachverhalt hat Friedrich List vor mehr als hundert Jahren alle seinerzeit relevanten „Entwicklungsanwärter" aufmerksam gemacht (USA, Frankreich, Deutschland usf.), die sich gegenüber der in allen Sparten produktiveren englischen Ökonomie in einer ähnlichen . zweitklassigen'Lage sahen, in der sich heute die Länder der Dritten Welt gegenüber allen Industriegesellschaften befinden. Der von England ausgehenden klassischen liberalen Theorie stellte List eine an der Erschließung des eigenen Entwicklungspotentials orientierte Theorie der „Produktion produktiver Kräfte" gegenüber.

In den westlichen Gesellschaften wird heute in der Auseinandersetzung mit den Forderungen der Dritten Welt letztlich auf dieselbe Doktrin des Freihandels zurückgegriffen. Wie Friedrich List nachgewiesen hat, handelt es sich hierbei um die Doktrin, die den Interessen der jeweils hochproduktiven Ökonomien entspricht. In solchen Plädoyers wird vergessen, daß es in der Geschichte jeder einzelnen westlichen Industriegesellschaft, gleichgültig ob es sich um bevölkerungsstarke oder bevölkerungsschwächere Staaten handelte, Phasen gab, in denen nur durch eine Mißachtung freihändlerischer Wirtschaftsund Entwicklungspolitik (d. h. durch die Mißachtung preismechanischer Steuerung von Entwicklungsprozessen) ein unerschlossenes Entwicklungspotential erschlossen werden konnte Auch die Entwicklungsdynamik Deutschlands seit dem frühen 19. Jahrhundert ist ohne diesen Vorgang nicht begreifbar. * Es ist bemerkenswert, daß die entwicklungspolitisch motivierte Auseinandersetzung über die liberale Theorie des Freihandels („Theorie der Werte") und die von List formulierte „Theorie der Produktion von produktiven Kräften“ nicht nur im Entwicklungsprozeß der westlich-kapitalistischen Industriegesellschaften eine wichtige Rolle spielte; die gleiche Problematik steht auch in der Auseinandersetzung über die internationale Arbeitsteilung und die außenwirtschaftliche Kooperation zwischen sozialistischen Gesellschaften ungleichen Entwicklungsstandes im Mittelpunkt.

Die chinesisch-sowjetische Auseinandersetzung über den angemessenen Entwicklungsweg Chinas in der zweiten Hälfte der fünfziger und in den frühen sechziger Jahren bezog sich u. a. auf diese Kontroverse 10). Auch die Auseinandersetzung zwischen der Sowjetunion und Nordkorea — ein hinsichtlich Größenordnung und Entwicklungsunterschiede interessanterer Fall — drehte sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre um die Frage, ob ein Entwicklungsland wie Nordkorea es sich leisten könne, einen Entwicklungsweg zu verfolgen, durch den eine Schwerindustrie aufgebaut werden soll, die der Förderung der Leichtindustrie und der Landwirtschaft dienen sollte — oder ob es nicht sinnvoller wäre, zu einer tiefgreifenden Arbeitsteilung zwischen der in jeder Hinsicht vergleichsweise produktiven Sowjetunion und einer nur in Teilbereichen auszubauenden, arbeitsteilig spezialisierten nordkoreanischen Ökonomie zu kommen 11). In einem Vortrag in Indonesien beschrieb Kim il Sung 1965 die Kontroverse rückblikkend wie folgt: „Die Antiparteielemente, die innerhalb der Partei ihr Unwesen trieben, die Revisionisten und Dogmatisten im eigenen Lande und im Ausland protestierten laut gegen die Linie, mit Priorität das Wachstum der Schwerindustrie zu verfolgen, während man gleichzeitig die Leichtindustrie und die Landwirtschaft entwickelt. Gemäß ihrer Argumente hätte alles auf die täglichen Konsumbedürfnisse orientiert werden müssen, ohne die Zukunft in Rechnung zu stellen. In letzter Hinsicht war es ihre Absicht, unser Land daran zu hindern, seine eigenen ökonomischen Grundlagen aufzubauen." 12)

In dem offiziellen hieß es im Herbst 1963:

Parteiorgan Nord-Koreas „Heute haben einige Leute einseitig ihre Übereinkommen mit Bruderstaaten aufgegeben und praktisch die Beziehungen ökonomischer und technischer Kooperation abgeschnitten. Sie brandmarken den Aufbau einer unabhängigen nationalen Ökonomie als eine . nationalistische Tendenz'.. . Diejenigen, die sich dem Aufbau einer unabhängigen Ökonomie widersetzen, propagieren an deren Stelle die Errichtung einer . integrierten Ökonomie'der sozialistischen Länder .. . Unter dem Vorzeichen von . integrierter Ökonomie'wollen sie die ökonomische Unabhängigkeit von Bruderstaaten beseitigen ... und diese sich unterwerfen." 13)

An anderer Stelle thematisiert Kim il Sung denselben Sachverhalt systematischer wie folgt: „Wir haben keineswegs die Absicht, gegen die wirtschaftliche Zusammenarbeit von Ländern aufzutreten und den Sozialismus abgekapselt aufzubauen. Wogegen wir uns wenden, das sind die Großmachttendenzen, die darauf hinauslaufen, unter dem Vorwand der . wirtschaftlichen Zusammenarbeit'und der . internationalen Arbeitsteilung'die selbständige und komplexe Entwicklung der Wirtschaft eines Landes zu hemmen und sich die Wirtschaft dieses Landes zu unterwerfen. Wir meinen, daß jedes Land auf der Grundlage des Aufbaus seiner eigenen nationalen Wirtschaft mit anderen zusammenarbeiten muß, und daß man erst dann die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Ländern nach den Prinzipien der völligen Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils unablässig ausdehnen und weiterentwickeln kann. Heute baut unser Land seine Wirtschaft mit der eigenen Technik, mit den eigenen Ressourcen, mit der Kraft der eigenen Kader und des eigenen Volkes aus und deckt den Inlandbedarf an Erzeugnissen der Schwer-und Leichtindustrie sowie an landwirtschaftlichen Produkten im wesentlichen aus der eigenen Produktion."

Auch die Auseinandersetzung über internationale Arbeitsteilung und wirtschaftliche Kooperation im Rahmen des COMECON ist ein Indiz für die hier angesprochene Problematik, die auch zwischen sozialistischen Ländern von Bedeutung ist Angesichts der Alternative zwischen einer weitgehenden internationalen sozialistischen Arbeitsteilung einerseits und dem relativ kostspieligen Aufbau breiter Landwirtschafts-Industriegefüge andererseits haben sich die Länder Osteuropas offensichtlich für den Listschen Weg entschieden, was sich u. a. in dem relativ geringen Integrationsgrad des COMECON dokumentiert. Insbesondere von seifen der südosteuropäischen Staaten, die bis zum Zweiten Weltkrieg durch alle Merkmale peripher-kapitalistischer Ökonomien geprägt waren, wird die internationale Produktionsspezialisierung als ein zwar wichtiger, aber nicht unter allen Umständen und in allen Produktionsbereichen vorrangig zu verwirklichender Vorgang begriffen. Die Konzentration auf die Mobilisierung und Nutzung der eigenen Ressourcen und Anstrengungen hat demnach auch im Rahmen von internationaler Arbeitsteilung zwischen sozialistischen Gesellschaften unterschiedlicher Entwicklungshöhe eine ähnliche Schutzfunktion wie diejenige, die List in seiner Strategie der Dissoziation auf Zeit vorsah.

Die genannten, hier nur exemplarisch angeführten Erfahrungen aus dem Bereich der Entwicklung kapitalistischer und sozialistischer Industriegesellschaften sowie sozialistischer Entwicklungsländer unterstreichen eine Beobachtung von Paul Streeten, einem Berater der Weltbank. In seinem Beitrag über „self-relian-ce" schreibt er, daß neue entwicklungstheoretische Argumente wenigstens im Prinzip auf die Protektion von allen ökonomischen Aktivitäten (wenn auch nicht auf eine vollständige Autarkie) hinauslaufen:

„Die erzieherischen, psychologischen und institutionellen Argumente gegen eine Bewegung hin zu einem weltweiten Freihandel, zu Kapitalflüssen und einer allgemeinen Öffnung deuten auf die Notwendigkeit, alle Aktivitäten von den schwächenden Einflüssen der fortgeschrittenen Ökonomien zu beschützen und, was noch bedeutender ist, sie weisen auf die Notwendigkeit für konstruktive eigene Anstrengungen, die natürlich nicht automatisch daraus resultieren, daß man auf gleichgesinnte Länder starrt, aber die sicherlich durch eine stark außenorientierte Strategie und eingeschränkt durch die Nachahmung des Lebensstils der Reichen werden. Derartiges liegt auch der Unterscheidung zwischen self-reliance und Abhängigkeit, zwischen Autonomie und Beherrschung zugrunde. Diejenigen Gruppen von Ländern, welche ihre eigene technologische Kapazität, ihre eigenen sozialen Institutionen und Organisationen (nicht nur in Technologie und Industrie, sondern auch in der Agrarstruktur und in ländlichen Institutionen) entwickeln, werden fähig sein, ihre eigenen Kräfte effektiver zu mobilisieren als diejenigen, die immer darauf starren, wie sie diese Dinge in den hochentwickelten Ökonomien besorgen können."

Neue Formen von internationaler Arbeitsteilung

Ein weiterer, dritter entwicklungspolitischer Imperativ richtet sich auf die Herausbildung neuer Formen von Arbeitsteilung zwischen den Ökonomien der Dritten Welt selbst. Begrifflich wird dieser Imperativ heute als „col-lective self-reliance" (kollektives Selbstvertrauen) umschrieben. Eine internationale Arbeitsteilung im subregionalen, regionalen und kontinentalen Umkreis, und natürlich auch zwischen den drei südlichen Kontinenten, wird wenig erfolgreich sein ohne die Abkopplung der dortigen Ökonomien von den die internationale Ökonomie beherrschenden Industriegesellschaften. Bleiben die lokalen Wirtschaftsgebilde in den Weltmarkt eingegliedert, so wie er heute besteht, ist die Idee des kollektiven Selbstvertrauens interessant, aber ohne wirkliche entwicklungspolitische Bedeutung. Denn neue, einzelne Ökonomien übergreifende Marktgebilde (z. B. Freihandelszonen) würden sehr leicht nichts weiter als erweiterte Räume verstärkter Durchdringung von seifen der wirtschaftlich stärkeren Industriegesellschaften abgeben. Dies hat die bis-* herige Geschichte regionaler und subregionaler Wirtschaftsverbünde in der Dritten Welt deutlich gemacht.

Abgekoppelt vom Weltmarkt hätten die Peripherien demgegenüber die Chance, ihre eigenen Ökonomien aufeinander bezogen zu entwickeln. Dabei käme es nicht nur auf eine Arbeitsteilung im rein ökonomischen Sinne an, sondern auch auf den Auibau subregionaler,hinsichtlich gemeinsamer Verkehrsund Kommunikationssysteme, Transportmedien, Versicherungsgesellschaften, Nachrichtenagenturen usf. Dies könnte dazu beitragen, daß die heute extrem hierarchisch aufgebaute internationale Gesellschaft allmählich umstrukturiert würde — und die Dritte Welt auf solcher Grundlage wirkliche Gegengewichte gegen die heute beherrschenden Industriegesellschaften entwickeln könnte.

Wenn man von den dringendsten Erfordernissen einer Entwicklungspolitik in der Dritten Welt ausgeht, der Befriedigung von Grundbedürfnissen, dann ist die Übersetzung des dritten Imperativs in die Praxis, zumindest in einer ersten Stufe sinnvoller Entwicklungspolitik, weniger dramatisch, als es zunächst den Anschein hat. „Bei diesem Aufbau „von unten'geht es um eine Art Bodensatz sozioökonomischer Aktivitäten, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie von allen Menschen benötigt werden und daß sie fast überall produziert werden können. Es handelt sich um Produktion und Nachfrage . lokaler Güter'. Ihre notwendige Zusammensetzung zu ermitteln — etwa nach dem . balanced-growth'-Schema — ist gerade für die frühen Entwicklungsstadien keine unlösbare Aufgabe, und vor allem: Produktion und Nachfrage dieser Güter sind von der . Weltwirtschaft'relativ unabhängig. Das Abstimmungsproblem stellt sich nicht in voller Schärfe. Es spricht viel dafür, daß in diesem scheinbar bescheidenen Bereich, der aber die große Masse der nicht-integrierten Bevölkerung umfassen würde, die größten Entwicklungschancen für fast alle Entwicklungsländer liegen."

Zwei Stoßrichtungen sind dem Imperativ kollektiven Selbstvertrauens zu eigen:

— Der Aufbau von wechselseitigen Beziehungsstrukturen zwischen Gesellschaften und Ökonomien mit ähnlicher Entwicklungsproblematik.Die bisherige Rolle der Industriegesellschaften bei der Vermittlung der Beziehungen von Ländern der Dritten Welt untereinander würde dadurch drastisch zurückgedrängt. Neue Institutionen, über die wechselseitige Hilfestellungen erfolgen könnten, würden derart sich verdichtende Beziehungsstrukturen ergänzen müssen.

— Durch eine Stärkung der solidarischen Basis der Dritten Welt untereinander — über rhetorische Proklamation hinaus — könnte sich das politische Gewicht der Dritten Welt gegenüber den Industriegesellschaften bedeutsam erhöhen. Eine veränderte internationale Arbeitsteilung ließe sich erzielen. Beides könnte zu einer in der Tendenz multizentrisch organisierten internationalen Ökonomie führen

(und damit zu einer wirklich neuen internationalen Wirtschaftsordnung) Die krasse überkommene Hierarchie der internationalen Wirtschaft, begründet in der ungleichen Arbeitsteilung zwischen den Industriegesellschaften und der Dritten Welt, würde einer Struktur weichen, in der es mehr selbständige, wenn auch nicht selbstgenügsame lebensfähige Wirtschaftsräume mit eigenen autonomen Kommunikationsund Entscheidungsverbünden gäbe. Ob derartige Wirtschaftsräume, wie raumwirtschaftliche Theorien nahelegen, nur dort möglich sein werden, wo besondere Bevölkerungsballungen vorhanden sind, wäre eine im einzelnen noch zu untersuchende Frage

Eine solche Umstrukturierung würde auch Rückwirkungen auf die Industriegesellschaften haben. Dort wären Strukturanpassungen fällig, die das Ausmaß an self-reliance auch dort erhöhen müßten. Es ist die Aufgabe einer entwicklungspolitisch angeregten Theorie multizentrischer Weltwirtschaft, über diese Zusammenhänge im einzelnen nachzudenken, auf die bisher der Blick durch die liberale freihändlerische Theorie und die ihr zugrunde liegenden gängigen Wirtschaftskalküle verstellt wurde

Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler W. Arthur Lewis hat 1969 die praktische Philosophie, die diesem Imperativ zugrunde liegt, wie folgt ausgesprochen: „Es ist wahr, daß der Wohlstand der unterentwickelten Länder in der Vergangenheit davon abhing, was sie den Industriegesellschaften verkaufen konnten, aber es gibt keinen Grund, warum dies weiterhin so sein soll. Die unterentwickelten Gesellschaften haben alle Ressourcen, die sie für ihre eigene Entwicklung benötigen. Zusammengenommen haben sie einen Überfluß an Ol, Fasern, Eisenerz, Kupfer, Bauxit und praktisch jedem anderen Rohstoff. In der Landwirtschaft sind sie vollkommen fähig, durch wechselseitigen Austausch sich selbst zu ernähren, und sie müssen nicht die USA darum bitten, mehr Tee und Kaffee zu kaufen, damit sie amerikanisches Getreide bezahlen können, während sie mehr Getreide für sich selbst erzeugen könnten. Fertigkeiten sind in den unterentwickelten Ländern Mangelware, aber diese können gelernt werden, so daß sie die gesamte industrielle Verarbeitung selbst tätigen könnten. Mit Ausnahme von diesen Fertigkeiten könnte die Entwicklung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sich fortsetzen, selbst wenn der Rest der Welt im Meer versinken sollte. Wenn dem so ist, bedeutet dies, daß diese Länder die Lösung für ihre Probleme selbst besitzen, und sie sollten aufhören, immer nur darüber nachzudenken, was sie den Industrie-gesellschaften verkaufen können bzw. was sie von diesen selbst einkaufen wollen."

V. Folgerungen für ein Entwicklungsprogramm autozentrierter Entwicklung

Aus den vorangegangenen Überlegungen lassen sich einige allgemeine Folgerungen für ein Entwicklungsprogramm ziehen, das kurzfristig zu erheblichen Strukturveränderungen führen würde, jedoch langfristig — würde es mit Nachdruck verfolgt — die Chance einer Lösung der heute diskutierten Entwicklungsprobleme in sich bergen würde. Drei von ihnen sollen besonders betont werden:

1. eine ausgeglichene Struktur von Kapitalbildung, 2. die Verzahnung von Ressourcen-Mobilisierung und Ressourcen-Nutzung im eigenen Binnenmarkt, 3. die organische Entwicklung von einfachen zu komplexen Strukturen.

Zu 1): Nach der gängigen Entwicklungstheorie ist eine Spezialisierung der Entwicklungsländer in ihrem außen-und binnenwirtschaftlichen Verhalten innerhalb der internationalen. Ökonomie gemäß ihrer sogenannten „natürlichen Faktorausstattung" (Boden, Kapital, Arbeit, Expertise u. a.) erforderlich. Eine auto-zentrierteEntwicklung setzt demgegenüber auf die Förderung aller wichtigen Wirtschaftsbereiche und damit auf die Förderung einer ausgeglichenen inneren Kapitalbildung. Sind, wie in vielen Ländern der Dritten Welt, ausreichende natürliche Ressourcen vorhanden, so würde eine derartige Strategie dem Aufbau einer eigenen Schwerindustrie in dem Maße einen gewissen Vorrang zuweisen, als diese gleichzeitig zur Dynamisierung der Entwicklung der Landwirtschaft, der Leichtindustrie und des Bergbaus beitragen könnte. „Es ist falsch, den Aufbau der Schwerindustrie und die Verstärkung der ökonomischen Grundlage des eigenen Landes zu vernachlässigen; aber es ist nicht weniger irrtümlich, nicht eine Leichtindustrie aufzubauen, deren Aufgabe darin besteht, den Lebensstandard der Menschen zu verbessern . .. Um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern, ist es notwendig, rasch die Produktion in ihrer ganzen Breite zu steigern, die Produktion von lebensnotwendigen Gütern zu fördern und die Preise systematisch zu senken." Was unter Rentabilitätsgesichtspunkten unsinnig, weil unökonomisch, erscheint, nämlich der Aufbau eines Produktionsapparates, der in einer ersten Phase Güter nur kostspieliger zu erzeugen imstande ist, als wenn diese auf dem Weltmarkt eingekauft würden, gewinnt in einem Prozeß autozentrierter Entwicklung einen strategischen Stellenwert. Plastisch kommt das Problem in der Aussage zweier nordkoreanischer Wirtschaftswissenschaftler zum Ausdruck:

„Als die Partei begonnen hat, eine neue Entwicklungsrichtung zu verfolgen (nämlich die Schwerindustrie gleichzeitig mit der Leichtindustrie und der Landwirtschaft aufzubauen), gab es eine Fraktion in der Partei, die dagegen war. Auch einige ausländische Freunde intervenierten gegen die Politik unserer Partei. Diese Kreise sagten, man würde zuviel Nachdruck auf die Schwerindustrie legen: , Wie können denn Maschinen Reis produzieren?', fragten sie. Mit anderen Worten wollten sie, daß wir alle Ressourcen und alle ausländische Hilfe . aufessen'würden, und damit gut für eine kurze Zeit leben könnten, um schließlich nichts mehr zu haben. Unsere Partei verwarf diese Linie, weil, ohne eine gewisse Priorität der Schwerindustrie zu geben, wir unfähig gewesen wären, den Lebensstandard der Menschen zu stabilisieren; unsere Verteidigungskraft hätte darunter gelitten, und wir wären unfähig gewesen, die Grundlagen für eine unabhängige nationale Ökonomie zu le-gen. In der Tat können Maschinen auch Reis produzieren! Die Schwerindustrie ist die Grundlage für die Entwicklung der Landwirtschaft und der Leichtindustrie. Wenn wir mehr Landwirtschaftsmaschinen bauen, produzieren wir mehr Reis; wenn wir mehr Ausrüstungsgüter für die Bauindustrie produzieren, produzieren wir auch mehr Häuser; und mit mehr Schiffahrzeugen fangen wir auch mehr Fische.“

Dieses Beispiel ist hier angeführt, weil zu jener Zeit, in der zweiten Hälfte der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre, der nordkoreanischen Führung von der Sowjetunion empfohlen wurde, anstatt Maschinen und Ausrüstungsgüter mehr Konsumgüter einzuführen, um auf der anderen Seite im Gegenzug sich auf die Produktion von Rohstoffen zu konzentrieren. Die Ablehnung dieser Empfehlung und der Wille, sich gängigen Investitionskalkülen zu widersetzen, waren die Grundlage für den Aufbau einer eigenständigen Entwicklung, die von dem Vertrauen auf die eigenen Kräfte ausgeht. Auch handelt es sich hierbei um einen der wenigen Fälle, in dem die Entwicklungsdevise „Vertrauen auf die eigenen Kräfte" (self-reliance oder wie die Nordkoreaner sagen: dschutsche) eine praktische Bedeutung in der Entwicklungspolitik angenommen hat.

Zum Prinzip der Ausgeglichenheit gehört auch eine Balance zwischen den Erfordernissen einer massiven Kapitalbildung auf der einen Seite und den Erfordernissen einer ständigen Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der Masse der Bevölkerung. Eine falsche, weil einseitige Schwerpunktbildung kann katastrophale Fol-gen für die gesamte Entwicklungsdynamik haben.

Das Prinzip der Ausgeglichenheit bezieht sich auch auf die Mischung der Technologien (im Spektrum von Arbeitsintensität zu Kapitalintensität), wobei Ausgeglichenheit nicht Gleichförmigkeit in allen Sektoren meint. Gerade in Industrien, in denen Vorprodukte für die weitere Verarbeitung in nachgelagerten Industrien produziert werden, kann auch in einer Ökonomie geringer durchschnittlicher Produktivitätshöhe eine kapitalintensivere Produktion erheblich dynamisierend wirken, allein schon, weil durch sie bei entsprechender Berücksichtigung von Skaleneffekten derartige Erzeugnisse kostengünstiger produziert werden können Diese lassen sich dann in weniger kapitalintensiven Verarbeitungsprozessen so weiterbearbeiten, daß die arbeitssparenden Effekte der ersten Stufe durch arbeitsschaffende Effekte in der zweiten und in weiteren Stufen aufgefangen werden können. Dies setzt jedoch eine wachsende Verknüpfung der lokalen Ökonomie voraus, die ihrerseits durch eine derartige Zuordnung von Schwerindustrie, Leichtindustrie und Landwirtschaft nachdrücklich verstärkt wird. Die einschlägigen neueren Planungsdebatten in China und Nordkorea nach 1955 haben die dabei auftretenden praktischen Probleme verdeutlicht Sie konnten insbesondere die Fragwürdigkeit der in der überkommenen Entwicklungsdiskussion gemachten Unterscheidung zwischen einem Entwicklungsprogramm ausgeglichenen Wachstums und unausgeglichenen Wachstums aufweisen. Führt in einer unausgeglichenen, verkrüppelten ökonomischen Struktur eine Strategie unausgeglichenen Wachstums zur weiteren Dynamisierung ohnehin schon bestehender Wachstumspole — und damit zur weiteren Zerrüttung ohnehin schon zerrütteter Strukturen —, so haben Elemente dieser Strategie in einem ausgeglichenen Entwicklungsprozeß durchaus einen positiven und konstruktiven Stellenwert, in dem neue „disproportionale" Akzente auf Zeit zur weiteren Dynamisierung einer an und für sich ausgeglichenen Wirtschaftsstruktur führen.

Zu 2): Das Wesen eines solchen Entwicklungsweges besteht darin, daß Ressourcenmobilisierung und Ressourcennutzung auf die eigene Ökonomie gerichtet ist. Dies ist genau das Gegenteil dessen, was in den heutigen Peripherie-Ökonomien zu beobachten ist, deren Außenorientierung einer sol-chen Entwicklung den Boden entzieht. Autozentrierte Entwicklung führt zu einer Dekkungsgleichheit von Bedürfnissen und Nachfrage. Auch diese Verzahnung ist in den Peripherie-Ökonomien heute nicht gegeben, da die Nachfrage äußerst topplastig ist und die Befriedigung der Bedürfnisse der Masse der Menschen angesichts einer fehlenden ökonomischen Breitenstruktur nicht die Grundlage der Ökonomie abgibt. Dadurch wird die Produktivkraftentfaltung nicht nur verzerrt und fehlgeleitet; vielmehr bleiben in solchen verkrüppelten Entwicklungsprozessen erhebliche potentielle, also mobilisierbare Entwicklungspotentiale unerschlossen.

Zu 3): Erfolgreiche Entwicklungsprozesse schreiten im wesentlichen und schwerpunktmäßig vom Einfachen zum Komplexen fort. Ein solcher organischer Prozeß begründet Festigkeit und Breitenwirkung. Daß hierbei, wie oben ausgeführt, disproportionale Entwicklungsimpulse (z. B. durch den gezielten Einsatz einer Technologie, die komplexer ist als der durchschnittlich erreichte technologische Entwicklungsstand) eine erhebliche Ausstrahlungskraft auf die übrige Ökonomie haben können und auf diese dynamisierend einzuwirken vermögen, verdeutlicht, daß es sich bei diesem Entwicklungsprinzip nicht um ein Plädoyer für eine lineare, bruchlose Entwicklung handelt.

Ein derart definierter organischer Prozeß setzt eine Einkommensverteilung voraus, die die Nachfrage nach standardisierten Massenkonsumgütern anreizt. Die Topplastigkeit der Nachfrage in den bestehenden Peripherie-Ökonomien zugunsten komplexer, kapitalintensiver und energieverzehrender dauerhafter Konsumgüter der jeweiligen Oberschicht und des städtischen Mittelstandes steht diesem Entwicklungsprinzip entgegen.

Der Test, ob in einem konkreten Fall autozentrierte Entwicklung vorliegt, hängt also von der Beantwortung folgender Fragen ab:

— Wächst der Zusammenhalt einer Ökonomie im Verlauf des Entwicklungsprozesses?

— Vermag eine solche Ökonomie für die Masse der Menschen bestimmte oben definierte Grundleistungen als Folge von Entwicklung zu erbringen?

— Wächst die Fähigkeit zur gezielten Kooperation, die der eigenen Entwicklung dienstbar gemacht wird?

Die Lernkosten politischen, administrativen, ökonomischen und technologischen Experimentierens sind auch in einem Prozeß autozentrierter Entwicklung nicht gering zu veranschlagen, doch zahlen sich diese Kosten langfristig in einer erhöhten Selbständigkeit, einer einigermaßen lebensfähigen Wirtschaftsstruktur und in der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Masse der Menschen aus.

Die dritte Welt muß heute von der Erfahrung ausgehen, daß es in den vergangenen 300 Jahren keinen einzigen Fall erfolgreicher Entwicklung gab, in dem nicht zentrale Faktoren autozentrierter Entwicklung miteinander verbunden wirksam waren:

— eine erhebliche Leistungssteigerung in allen wesentlichen Wirtschaftsbereichen: der Landwirtschaft, der Produktionsgüterindustrie, der Produktion von Zwischengütern, der Erfindung und Produktion von Technologie, der Massenkonsumgüterindustrie, den privaten und öffentlichen Dienstleistungen — mit dem Ziel der Erreichung von Breitenwirkung, Produktionstiefe und der Verkoppelung zwischen den genannten Bereichen;

— die in solcher Leistungssteigerung begründete Herausbildung von Autonomie als der wachsenden Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Selbststeuerung von Politik, Gesellschaft, Ökonomie und Kultur — die erfolgreiche Herausbildung einer eigenen Identität von Individuen und Kollektiven — und damit auch von politischer Kultur;

— der Austausch mit sozialen Einheiten jenseits der eigenen Grenzen, zunächst streng selektiv gehandhabt, um in späteren Entwicklungsphasen sich aufzufächern.

Das vorherrschende Entwicklungsszenario in der Dritten Welt steht, wie aus dieser Auflistung leicht ersichtlich ist, auf dem Kopf:

1. Austauschprozesse im Rahmen einer ungleichen internationalen Arbeitsteilung führen zu 2. einer verzerrten Entfaltung von Wirtschaftskraft, die 3. die Fähigkeit für Selbstkontrolle und Selbststeuerung begrenzt hält und 4. eine eigene Identitätsfindung nicht erlaubt. Dadurch werden Autonomie, Selbstkontrolle, Fertigkeiten und Lernfähigkeiten verzerrt; ohne einen Bruch mit diesem Entwicklungsweg bleiben sie auf absehbare Zeit beschränkt.

VI. Schlußbemerkung

Jeder Denkanstoß führt zu mehr Fragen, als er zunächst Antworten zu vermitteln vermag. Dies gilt auch für das hier vorgetragene Plädoyer für eine dissoziative Entwicklungspolitik. Solche Fragen beziehen sich heute weniger auf die Triftigkeit der zugrunde liegenden Diagnose über die Dritte Welt; sie sind vielmehr auf die politische, soziale und ökonomische Machbarkeit von entwicklungspolitischen Strategien gerichtet. Darin unterscheiden sie sich jedoch nicht prinzipiell von Fragen, die auch an die heutige praktische Entwicklungspolitik zu stellen sind. Sind denn die Alternativen zur autozentrierten Entwicklung wirklich machbar? Erreicht die gegenwärtig

verfolgte Entwicklungspolitik ihre Ziele? Offensichtlich nicht! Und warum sollen Überlegungen, die ein neues Entwicklungsprogramm auszuarbeiten sich bemühen, nur deshalb als illusionär gelten, weil ihnen in der Mehrzahl der Fälle heute zugegebenermaßen eine Rückendeckung durch politische Autorität noch fehlt?

Immerhin sprechen die historischen Erfahrungen der Entwicklung westlich-kapitalistischer Industriegesellschaften sowie die Erfahrungen sozialistischer Industriegesellschaften und jener wenigen sozialistischen Entwicklungsländer, die innerhalb von wenigen Jahrzehnten die krassesten Merkmale von Unterentwicklung überwunden haben, für die Vernünftigkeit und praktische Wirksamkeit eines auto-zentriertenEntwicklungsweges. Daß Geschichte sich nicht wiederhole, ist ein richtiges, aber in diesem Zusammenhang wenig überzeugendes Argument. Kein einzelner Fall von autozentrierter Entwicklung ist mit einem zweiten völlig vergleichbar. Das gilt für die westlichen oder östlichen Industriegesellschaften untereinander gleichermaßen wie für die tiefgreifenden ordnungspolitischen Unterschiede zwischen kapitalistischer Entwicklung und sozialistischer Entwicklung nach 1917. In Japan war der Entwicklungsweg Englands nicht wiederholbar, so wenig wie in Nordkorea derjenige der Sowjetunion sklavisch nachgeahmt wurde. Und dennoch weisen trotz aller Unterschiedlichkeiten z. B. England, Japan, die Sowjetunion und Nordkorea erstaunliche Ähnlichkeiten auf, die eingangs als die Grundmerkmale lebensfähiger Ökonomien und Gesellschaften beschrieben wurden. Sollte eine solche übergreifende Erfahrung nicht entwicklungstheoretisch und entwicklungspolitisch fruchtbar gemacht werden? An dieser Stelle versucht die Diskussion einer dissoziativen Entwicklungspolitik anzusetzen. Obgleich die ihr zugrunde liegenden Überlegungen alt sind (vergleiche die obigen Hinweise auf Friedlich List befindet sie sich nicht am Ende, sondern in ihren allerersten Anfängen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Beitrag schließt an entwicklungstheoretische und entwicklungspolitische Untersuchungen an, die der Verfasser vor kurzem in dem Buch „Weltwirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik. Plädoyer für Dissoziation", Frankfurt 1977, veröffentlicht hat. Da in diesem Buch die wissenschaftliche Diskussion eingehend aufgearbeitet wurde, wird im folgenden auf ausführliche Anmerkungen verzichtet.

  2. Friedrich List, Das nationale System der politischen Ökonomie, Tübingen 1959 (Erstausgabe 1841), S. 164.

  3. Siehe hierzu u. a.: Dieter Senghaas (Hrsg.), Peripherer Kapitalismus. Analysen über Abhängigkeit und Unterentwicklung, Frankfurt 19772.

  4. Karl Schiller, Zur Wachstumsproblematik der Entwicklungsländer, in: Kieler Vorträge, Neue Folge Nr. 15, Kiel 1960, S. 8 9.

  5. Norbert Elias, über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt 1976, 2 Bde.; Zitat aus Bd. 2, S. 74.

  6. Cyril Black u. a., The Modernization of Japan and Russia. A Comparative Study, London 1975, insb. S. 233 ff. und S. 243 ff., -Zitat S. 235.

  7. Alfons Lemper, Collective Self-Reliance. Eine erfolgversprechende Entwicklungsstrategie?, in: Mitteilungen des Verbunds Stiftung Deutsches Überseeinstitut, Hamburg 1976, Heft 4, S. 61— 88, Zitat S. 75/76.

  8. Vgl. S. 7 ff., S. 121 ff. und passim. hierzu Hans-Gerhard Voigt, Probleme der weltwirtschaftlichen Kooperation, Hamburg 1969,

  9. Kim il Sung, Reden und Aufsätze, Frankfurt 1971, Bd. 1, S. 289; daß dieser Selbstdarstellung eine sozioökonomische Wirklichkeit entspricht, zeigt Joseph Sang-hoon Chung, The North Korean Economy, Stanford 1974.

  10. Vgl. Uwe Stehr, Sozioökonomische Bedingungen des Außenverhaltens der RGW-Staaten, Frankfurt 1977 (HSFK-Studie 17).

  11. Paul Streeten, Self-Reliant Industrialization, Manuskript für die Tagung der International Studies Association in St. Louis 1977, S. 22.

  12. Hans Jürgen Harborth, Anforderungen an eine revidierte Integrationstheorie für Entwicklungsländer, in: Integration der Entwicklungsländer in eine instabile Weltwirtschaft, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge, Bd. 90, Berlin 1976, S. 65— 88, Zitat S. 84/85.

  13. In welcher Hinsicht dabei raumwirtschaftliche Überlegungen hilfreich sein können, hat Hans-Jürgen Harborth vor einigen Jahren schon in dem Aufsatz aufgewiesen: Zur Rolle der Entwicklungsländer in einer multizentrischen Weltwirtschaft, in: Jahrbuch für SozialWissenschaften, Bd. 22, Heft 2, 1971, S. 244— 256. Harborths Überlegungen wären heute aus der Perspektive der Theorie autozentrierter Entwicklung weiter zu entwickeln.

  14. Hans-Jürgen Harborth, Dissoziation — Mit welchem Ziel?, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, Heft 7/8, 1977, S. 17— 18.

  15. Vgl. Ansätze hierzu bei Johan Galtung, Alternative Life Styles in Rich Societies, in: Marc Ner-fin (Hrsg.), Another Development. Approaches and Strategies, Uppsala 1977, S. 106— 121.

  16. W. Arthur Lewis, Some Development, Accra 1969, S. 15.

  17. Kim il Sung, zitiert nach a. a. O., Anm. 14, S. 154.

  18. Ebd., S. 168/169.

  19. Skaleneffekte kommen bei Massenund Serienproduktion zustande und führen zur Senkung der Kosten pro produziertem Stück.

  20. Zur Analysierbarkeit dieser Dimensionen siehe die immer noch wegweisende Studie von Karl W. Deutsch, Nationalism and Social Communica-tion. An Inquiry into the Foundations of Nationa-lity, Cambridge 1966*.

  21. Insofern könnte als „Neolistianismus" bezeichnen.

Weitere Inhalte

Dieter Senghaas, Dr. phil., geb. 1940; Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt; z. Z. Forschungsgruppenleiter an der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung, Frankfurt/Main. Veröffentlichungen u. a.: Abschreckung und Frieden, Frankfurt 19783; Rüstung und Militarismus, Frankfurt 1972; Aggressivität und kollektive Gewalt, Stuttgart 19722; Aufrüstung durch Rüstungskontrolle, Stuttgart 1972; Gewalt — Konflikt — Frieden, Hamburg 1974; Weltwirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik, Frankfurt 1977. Herausgeber und Mitherausgeber zahlreicher Sammelwerke.