Das Privatisierungsthema in der politischen Willensbildung
Manfred Groser
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Zusammenfassung
Das Thema „Privatisierung" hat die bundesrepublikanische Öffentlichkeit in zwei Phasen und mit durchaus unterschiedlichen Akzenten beschäftigt Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre waren es vor allem ordnungs-und vermögenspolitische Argumente, die zur Forderung nach Überführung industriellen Bundesvermögens in Privateigentum führten. Mitte der siebziger Jahre setzte dann vor dem Hintergrund der Finanzmisere (insbesondere der Kommunen) eine Diskussion um die Entlastung des Staates durch Aufgabenübertragung auf Private ein, die zunächst eher pragmatisch geführt wurde (Kostenersparnis), sich aber bald zu ordnungspolitischen Dimensionen erweiterte. Während der erste Teil des Aufsatzes den Argumenten der gesellschaftlichen Kräfte (Parteien, Verbände, Wissenschaft) pro und kontra Privatisierung gewidmet ist, wird im zweiten eine von der ökonomischen Theorie der Politik angeregte „Interessenlogik" der Beteiligten skizziert In der Bundesrepublik ist es den Befürwortern der Privatisierung bisher nicht gelungen, dem Privatisierungsthema im Rahmen einer allgemeinen ordnungspolitischen Initiative zum Durchbruch zu verhelfen. Entscheidend für Privatisierungsversuche waren häufig nicht ordnungspolitische Argumente, sondern der Druck von der Finanzseite. Dies gilt vor allem für die kommunale Ebene, auf der das Privatisierungsthema gegenwärtig am aktuellsten ist
Einleitung
Das Thema „Privatisierung" hat die bundesrepublikanische Öffentlichkeit in zwei Phasen mit unterschiedlichen Akzenten beschäftigt. Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre waren es vor allem ordnungs-und vermögenspolitische Argumente, die zur Forderung nach Überführung industriellen Bundes-vermögens in Privateigentum führten. Mitte der siebziger Jahre setzte dann, vor dem Hintergrund der Finanzmisere (insbesondere der Kommunen), eine Diskussion um die Entlastung des Staates durch Aufgabenübertragung ein, die zunächst eher pragmatisch geführt wurde (Kostenersparnis), sich aber bald zu ordnungspolitischen Dimensionen erweiterte.
Der Prozeß der politischen Willensbildung um das Privatisierungsthema kann hier nur skizzenhaft nachgezeichnet werden. Zwangsläufig müssen viele wichtige Stellungnahmen von Entscheidungsträgern vernachlässigt andere auf das Wesentliche konzentriert werden. Die Vermittlung des Flairs der Argumentation — nicht unwichtig zur Analyse der politischen Rhetorik und der „Verpackung" von Interessenstandpunkten — kommt ebenfalls zu kurz. Eine geraffte Darstellung der Positionen und der dahinter stehenden Interessenlogik sollte aber doch deutlich machen, daß jeder Vorschlag pro und kontra Privatisierung bzw. jede Privatisierungstechnik auf ein bereits be-setztes Interessenfeld trifft, mit (wenigstens annähernd) bestimmbaren Kräfteverhältnissen, Zielkonflikten und -harmonien, Abhängigkeiten und Machtbalancen.
Auch der wirtschafts-und finanzpolitische Berater wird dieses Kräftefeld nicht ignorieren dürfen, wenn er die Realisierbarkeit seiner Vorschläge in das Beratungskalkül einbezieht Das Verhalten der Regierung wird dabei sicher eine herausragende Rolle spielen. B. Frey ist zuzustimmen, wenn er feststellt, daß eine „ädäquate und praktisch verwendbare Theorie der Wirtschaftspolitik" auch eine Theorie des Regierungsverhaltens enthalten muß Das Privatisierungsthema liefert ein Beispiel dafür, daß im Einzelfall zu einer einigermaßen vollständigen Einschätzung der Situation auch die Ziele und das Verhalten anderer Akteure einbezogen werden müssen, die die Realisierbarkeit bestimmter Vorschläge beeinflussen: Kommunalpolitiker, Wähler, Interessengruppen. Der Privatisierungsbegriff wird hier in seiner politisch „brisantesten" Form verwendet: als Verlagerung bisher von der öffentlichen Verwaltung erstellter Leistungen auf den privaten Sektor (materielle oder echte Privatisierung). Ausgeklammert bleibt die sogenannte formale Privatisierung, d. h. die bloße Verlagerung der Leistungserstellung von Gebietskörperschaften auf privat-rechtlich organisierte Träger, die sich ihrerseits völlig oder überwiegend in öffentlicher Hand befinden
Während der erste Teil den Argumenten der gesellschaftlichen Kräfte gewidmet ist, gilt der zweite dem Versuch einer Darstellung der „Interessenlogik" der Beteiligten. Am Ende steht eine Bewertung der Realisierbarkeit von Privatisierungsinitiativen.
Argumente für eine Privatisierung öffentlicher Dienste
Parteien Bei den Parteien haben sich vor allem die CDU und die CSU, in Teilen auch die FPD, für eine Privatisierung staatlicher Leistungen ausgesprochen. Auffallend ist die Spannweite der Argumentation zwischen konkreten, meist an Finanzproblemen anknüpfenden Vorschlägen und abstrakten ordnungspolitischen Entwürfen, die an das (gestörte) Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft anknüpfen Besonders deutlich wird dies bei der CDU. Der vom Bundesfachausschuß Innenpolitik 1976 vorgelegte „Privatisierungskatalog" entstand im Rahmen eines Auftrags der Präsidien von CDU und CSU, die Entwicklung der öffentlichen Personalkosten zu untersuchen und Vorschläge zur Kostendämpfung zu machen. Der Fachausschuß trat für eine Übertragung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung auf Dritte ein, wies zugleich aber darauf hin, daß eine solche nur unter folgenden Maßgaben in Betracht komme:
— „Es handelt sich nicht um eine sog. hoheitliche Aufgabe, deren Wahrnehmung den staatlichen Instanzen überlassen bleiben muß (z. B. Polizei, Justiz, Steuerverwaltung usw.).
— Es handelt sich nicht um Funktionen, deren Ausübung im Interesse des — richtig verstandenen — Gemeinwohls wegen der notwendigen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden muß.
— Es handelt sich nicht um Aufgaben, deren Erfüllung zwar erforderlich ist, die aber mangels entsprechender Einrichtungen oder Fehlens eines (finanziellen) Anreizes von keinem außerhalb der öffentlichen Hand wahrgenommen werden.
— Die Erledigung durch Dritte ist finanziell weniger aufwendig, bringt eine echte Entlastung der öffentlichen Haushalte und ist auch gesamtwirtschaftlich vernünftig.
— Die Aufgabenerfüllung durch Dritte ist bei gleicher oder besserer Quantität und Qualität gewährleistet."
Immerhin bleiben auch nach diesen notwendigen Einschränkungen eine Reihe von Aufgaben, die als privatisierungsfähig betrachtet werden: Entsorgungsleistungen, innerstädtischer und Nahverkehr, Erholungseinrichtungen, Fremdenverkehr, Versorgungseinrichtungen (z. B. Schlachthöfe). Aufgaben im Bereich des Sozialwesens (Kindergärten, Alten-und Altenpflegeheime, Krankenhäuser etc.) sollen „weitgehend" den Kirchen und Verbänden der freien Wohlfahrt überlassen werden. Genannt werden auch die Stiftungen und Bürgervereine. Diese Dienstleistungen bedürften aber staatlicher Garantien und Aufsicht
1979 legte derselbe Bundesfachausschuß Innenpolitik der CDU „Thesen zum Wettbewerbsprinzip für öffentliche Dienstleistungen vor, die eine eher indirekte Vorgehensweise nahelegen. Durch die Verpflichtung zum Kosten-und Leistungsvergleich sollen die Kommunen veranlaßt werden, sich der Alter-native zwischen staatlicher oder privater Produktion zu stellen
Die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSUtritt in ihrem Kommunalpolitischen Grundsatzprogramm von 1975 für eine Einschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand ein: „Wir Kommunalpolitiker wollen die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand einschränken und auch Versorgungsleistungen, soweit dies sinnvoll und möglich erscheint, privatisieren ... Die Wirtschaftskraft der Gemeinde wird in dem Maße gestärkt, wie die Freiheit wirtschaftlicher und beruflicher Tätigkeit des einzelnen in der Gemeinde gesichert und ausgebaut wird. Deswegen darf die Gemeinde nichts an sich ziehen, was in eigenverantwortlicher und risikobereiter Initiative von Privaten geleistet werden kann."
Noch grundsätzlicher wird das Thema in der Mannheimer Erkiärung der CDU 1975 angesprochen, der als ordnungspolitischem Dokument unverminderte Aktualität bestätigt werden kann. Die Mannheimer Erklärung gibt zunächst eine Analyse der Situation:
„Durch die Übernahme eines wesentlichen Teils der Dienstleistungen durch den Staat wird dessen Finanzkraft sowie seine Leistungs- und Steuerungsfähigkeit überfordert. Noch schwerer wiegt, daß dem Staat auf diese Weise wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht zuwächst, die zu einer zunehmenden Abhängigkeit des einzelnen von staatlichen und öffentlichen Einrichtungen und damit zu einer Abnahme individueller Freiheit führt. Dabei ist der Bürger, der in allen Lebensbereichen vom Staat betreut wird, außerstande, diesen Staat politisch noch wirksam zu kontrollieren."
Die „Entlastung des Staates im Dienstleistungsbereich durch nichtstaatliche Leistungsträger" wird als Beitrag zur Sanierung der öffentlichen Haushalte gewertet. Voraussetzung dafür sei eine Abgrenzung der Staats-aufgaben, die auf abstrakter Ebene in der Mannheimer Erklärung vorgenommen wird: „Nach unserem Staatsverhältnis ist es nicht die vorrangige Aufgabe des Staates, für die Bürger eine Unzahl wirtschaftlicher und administrativer Dienstleistungen zu erbringen. Im Gegensatz zur SPD sind wir nicht der Auffassung, daß die Erweiterung der staatlichen Einflußnahme und des staatlichen Angebots an Dienstleistungen gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Fortschritt ist. Die Befriedigung der Nachfrage nach Dienstleistungen ist für uns in erster Linie Aufgabe der gesellschaftlichen Einrichtungen: der Unternehmen, Verbände und freien Träger im sozialen Bereich. Die Aufgabe von Staat und Regierung ist es, die politischen Ziele der staatlichen Gemeinschaft zu bestimmen, das Gemeinwesen nach den Grundsätzen der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit zu gestalten und zu entwickeln, gegen Angriffe und Bedrohungen von außen zu schützen und im Inneren Freiheit, Sicherheit und den Rechtsfrieden zu wahren."
Das Grundsatzprogramm der CDU von 1978 stellt die staatlichen Aufgaben unter einen Begründungszwang: „Alle staatlichen Aufgaben, Ausgaben, Maßnahmen und Gesetze sind ... ständig auf ihre Notwendigkeit, Vertretbarkeit und rationelle Durchführung zu überprüfen" (Zf. 95) Eine Eingrenzung der Staatsausgaben ergibt sich für die CDU aus dem Subsidiaritätsprinzip, das der Verwirklichung der Freiheit dient: „Deshalb muß der Staat auf die Übernahme von Aufgaben verzichten, die der einzelne oder jeweils kleinere Gemeinschaften erfüllen können" (Zf. 17).
Subsidiarität ist auch — gemeinsam mit Vertrauen, Selbstverwaltung, Personalität, Wettbewerb und Leistungsbezogenheit — ein Ordnungsprinzip der CDU zur Entbürokratisierung von Staat und Gesellschaft. Das Programm „Weniger Bürokratie — mehr Freiheit!" wurde vom Bundesvorstand der CDU am 3. Dezember 1979 vorgelegt Danach markiert das Subsidiaritätsprinzip die Grenze für die Ausdehnung und Intensität öffentlicher Aufgaben Bei den Maßnahmen zum Aufgabenabbau will die CDU „prüfen, ob eine Übertragung von Aufgaben auf private und nicht-staatliche Institutionen möglich ist und in wel-eher Form sie erfolgen soll. Eine Ausgliederung von Aufgaben ist immer dann geboten, wenn sie zu einer Entlastung der öffentlichen Haushalte führt und die Aufgabenerfüllung durch Dritte bei gleicher oder besserer Quantität und Qualität gewährleistet ist, ohne sozialstaatliche Verpflichtungen zu verletzen. Das Subsidiaritätsprinzip spielte auch in der Diskussion der CSU über die Entstaatlichung eine herausragende Rolle Der jetzige Generalsekretär der CSU, E. Stoiber, vertrat im bayerischen Landtag die (juristisch allerdings umstrittene) Auffassung, das Subsidiaritätsprinzip sei in der Verfassung verankert. In jedem Fall sei es aber als Leitlinie des politischen Handels der CSU zu betrachten: „Gerade weil es in der Rechtswissenschaft noch umstritten ist — dabei liegt die Betonung auf . noch'—, ob dieses Subsidiaritätsprinzip einen Verfassungsrang besitzt und damit kraft Verfassung staatliche Aufgaben begrenzt, und gerade weil es letzten Endes die gemeinsame Meinung ist, daß der Staat bzw. die Vertreter des Staates allein bestimmen, was eine staatliche Aufgabe ist und was keine staatliche Aufgabe ist, muß für uns zur Begrenzung der staatlichen Aufgaben das Subsidiaritätsprinzip die entscheidende Komponente der gesellschaftspolitischen Abgrenzung sein."
Im Grundsatzprogramm der CSU von 1976 wird die Privatisierung explizit als Maßnahme zur „Förderung von Entstaatlichung" genannt: „Die Christlich Soziale Union tritt dafür ein, den Umfang der staatlichen Aufgaben zu begrenzen. Im Bereich der Eingriffsverwaltung ist eine Beschränkung der Staatstätigkeit kaum möglich. Der Bereich der Dienstleistungen und der wirtschaftlichen Unternehmungen des Staates dagegen bietet vielfältige Möglichkeiten, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren."
Von Seiten der CDU haben auf Landesebene vor allem die Initiativen des niedersächsischen Wirtschaftsministers, Birgit Breuel, eine überregionale Öffentlichkeit erfahren. Bei den Privatisierungsabsichten der Landesregierung geht es vor allem darum, „Vermögen des Staates, das sich in seiner Hand angesammelt hat, zur Durchführung seiner Aufgaben aber nicht oder nicht mehr benötigt wird, und Tätigkeiten der öffentlichen Hand, die auch mit anderen als staatlichen Mitteln sinnvoll bewältigt werden können, auf private Träger zu verlagern. Dabei kann die öffentliche Hand, soweit die Aufgabe das erfordert, sich durchaus Aufsichts-und Einwirkungsmöglichkeiten vorbehalten."
Eine erste konkrete Maßnahme war hier der Beschluß zur Vergabe der Naßbaggerarbeiten im Emdener Hafen an private Hände, von der Einsparungen in Höhe von mehreren Millionen DM erwartet werden Die Landesregierung hat darüber hinaus die Absicht, die einzelnen Ressorts Ende 1980 zusammenfassend über den Stand der Privatisierung in Niedersachsen berichten zu lassen Befürworter fand die Privatisierung auch in der FDP. So stellte beispielsweise der gegenwärtige Bundesminister für Wirtschaft und damalige Staatssekretär Otto Graf Lambsdorff 1976 fest: „Der Staat ist an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gestoßen. Wir müssen deshalb prüfen, wie er die vorhandenen Mittel effizienter einsetzen kann, beziehungsweise, wo und inwieweit er von Aufgaben und damit Ausgaben entlastet werden kann. Die Verlagerung staatlicher Leistungen eröffnet die Möglichkeit, daß manche Leistungen billiger und marktgerechter als bisher angeboten werden können. Dabei muß allerdings das Entstehen neuer monopolartiger Strukturen verhindert werden. Rrivatisierungsmöglichkeiten sehe ich beispielsweise bei Verkehrsbetrieben und Teilbereichen von Post und Bahn, bei Krankenhäusern, kommunalen Schlachthöfen, Müllabfuhr, Gebäudereinigung, Wäschereien, Sportanlagen und Reparaturwerkstätten." In einem internen Papier, das der „Spiegel" am 29. September 1975 veröffentlichte, hatte sich der Bundesfachausschuß für Wirtschaft der FDP noch entschiedener für Privatisierung ausgesprochen: „Langfristige Zielsetzung: Privatisierung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit ... Für eine Privatisierung kommen insbesondere in Betracht: Beteiligungen der öffentlichen Hand auf Bundesebene, aber auch zahlreiche Beteiligungen von Ländern und Gemeinden; Verkehrsunternehmen: Bundesbahn zumindest in Teilbereichen; Energieversor-gungsunternehmen (kommunale Stadtwerke); öffentliche Einrichtungen (Müllabfuhr, Schlacht-und Viehhöfe, Straßenreinigung); zahlreiche technische Funktionen von Behörden (Gebäudereinigung, Fahrbereitschaft). Bei der Bundespost ist zu überprüfen, ob die hoheitlichen Funktionen, welche zu der derzeitigen Verfassung geführt haben (Fernmeldehoheit, Beförderungsmonopol für Briefpost) un-ersetzbar sind. Anderenfalls käme auch die Bundespost, zumindest in Teilbereichen, für eine Privatisierung in Betracht."
In allgemeiner Form wird das Privatisierungsthema von der FDP in ihren „Thesen liberaler Kommunalpolitik" von 1978 aufgegriffen: „Im Dienstleistungsbereich ist laufend zu überprüfen, inwieweit Aufgaben, die bisher von den Gemeinden wahrgenommen wurden, privatisierbar sind oder in andere Trägerschaften überführbar sind. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden soll nur in denjenigen Bereichen erfolgen, in denen die Versorgung der Bürger durch Gemeindeunternehmen wirtschaftlicher bzw. leistungsfähiger möglich ist oder in denen aus hoheitlicher Sicht bzw. aus Gründen des Gemeindewohls eine Gemeindeeinrichtung geboten ist" (These 5)
Kaum als Befürworter der Privatisierung kann dagegen FDP-Bundesinnenminister Baum gelten, der sich gegen eine „Fixierung nur auf Kosten-beziehungsweise Kostenersparnisgesichtspunkte" wendet Nach Auffassung von Baum bzw. Hartkopf verschließen sich große Bereiche der Leistungsverwaltung einer rein privatwirtschaftlichen Organisation. Sie nennen aber auch einige einer Privatisierung prinzipiell zugängliche Aufgabengruppen, z. B. einzelne Bildungsaufgaben, vor allem im Bereich der Fortbildung, sowie bestimmte Ver-
sorgungs-und Entsorgungsleistungen. Vor allem aber sollte ein Gesichtspunkt, der die Privatisierungsdebatte mit ausgelöst habe — die Effizienzsteigerung bei der öffentlichen Verwaltung —, politisch verstärkt aufgegriffen werden. Effizienzsteigerung und Rationalisierung spielen in der Argumentation des Bun-desministers des Inneren eine herausragende Rolle, die auch in der Verbindung zwischen Privatisierungsthema und Tarifpolitik im öffentlichen Dienst sichtbar wird: „Um glaubwürdig zu bleiben, kann freilich die öffentliche Hand die Augen vor Privatisierungsüberlegungen zumindest dann nicht verschließen, wenn sie unter Rationalisierungsaspekten von der Lohngestaltung her dazu gezwungen ist.“
Verbände Im Verbandsbereich sind u. a.der Zentralverband des Deutschen Handwerks, das Institut der Deutschen Wirtschalt und, besonders nachdrücklich, der Bund der Steuerzahler mit Privatisierungsforderungen aufgetreten.
In gleichlautenden, von Handwerkspräsident Schnitker unterzeichneten und 1975 an den Bundeskanzler, den Bundesfinanzminister und den Bundeswirtschaftsminister gerichteten Briefen hieß es: „Das Handwerk ist der Auffassung, daß es — nicht nur wegen der damit eintretenden Entlastung der öffentlichen Haushalte, sondern auch aus grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Überlegungen — eine Fülle von Gründen gibt, alle jene Regie-betriebe der öffentlichen Hand aufzulösen, die bei exakter Kostenrechnung teurer arbeiten als privatwirtschaftliche Unternehmen. Eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise muß den Gesamtbereich der Personalkosten einschließlich der Versorgungsleistungen und der Sondervergünstigungen im öffentlichen Dienst ebenso einbeziehen wie Steuerausfälle und die Folgen der Wettbewerbsverzerrungen am Markt durch das Nebeneinander von Regie-und Handwerksbetrieben mit unterschiedlicher Besteuerung."
Das Institut der Deutschen Wirtschaft stellt die Privatisierung in den Zusammenhang der Sanierung der öffentlichen Haushalte und nennt privatisierungsfähige Bereiche: „Eine generelle Übertragung oder Privatisierung im eigentlichen Sinne, bei der auch die Finanzierung der Leistungen, abgesehen von möglichen Subventionen, auf das private Unternehmen oder den privaten Täger übergeht, kann bei Schlachthöfen, Verkehrseinrichtungen, Sportstätten sowie bei einzelnen Einrichtungen im Sozial-und Gesundheitsbereich in Er-wägung gezogen werden. Die Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Koordinationsmechanismen und der Wettbewerbsdruck lassen auch hier eine rationellere Leistungserstellung vermuten, zumal die Leiter privater Unternehmen nicht an starre Haushaltsregeln gebunden sind. Durch entsprechende Auflagen der staatlichen Aufsichtsbehörden kann sowohl eine flächendeckende gleichmäßige Versorgung sichergestellt als auch ein eventueller Mißbrauch der Marktmacht ausgeschlossen werden.
Der Bund der Steuerzahler hat den wohl umfangreichsten Katalog „privatisierungsfähiger''Aufgaben vorgelegt, der von den Altenheimen bis zu den Zoologischen Gärten reicht und u. a. Teilbereiche von Bahn und Post, den öffentlichen Nahverkehr, das Fernsehen, die Universitäten, die Schulen und die Kindergärten nennt
Wissenschaft In der Wissenschaft haben sich vor allem der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Finanzen und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für eine Privatisierung bei Vorliegen bestimmter Bedingungen ausgesprochen, ebenso zahlreiche Einzelwissenschaftler In der finanzwissenschaftlichen Diskussion werden dabei die Vorteile äquivalenter Finanzierung über kostendekkende Gebühren, Preise etc. hervorgehoben, die in der Durchsetzung bzw. Wiedergewinnung des Informationsflusses vom Verbrau-eher zum Produzenten liegen. Mit der Entrichtung eines kostendeckenden Preises teilt der Verbraucher dem Produzenten die Intensität seines Bedürfnisses mit, eine Information, die bei Nulltarifen oder stark subventionierten Preisen verzerrt wird. Verteilungsgesichtspunkten könnte durch entsprechende Geld-transfers Rechnung getragen werden (Trennung von Allokation und Distribution) Ein anderer Schwerpunkt ökonomischer Forschung gilt den unterschiedlichen Bedingungen öffentlicher und privater Produktion von Leistungen. Neben einer rasch expandierenden „ökonomischen Theorie der Bürokratie" gibt es leider noch zu wenige wissenschaftlich anspruchsvolle und aussagefähige empirische Untersuchungen zum Leistungsvergleich zwischen öffentlicher und privater Produktion. Eine Studie von Pommerehne und Frey analysiert die Abfallbeseitigung in 103 Schweizer Städten und kommt zu dem Schluß, daß private Produktion ökonomisch effizienter sei. Die Regierung müßte allerdings dafür Sorge tragen, daß der Wettbewerb erhalten bleibe
Blankart gibt eine Übersicht über die international — vor allem im angelsächsischen Raum — vorliegenden empirischen Untersuchungen, die verwendeten Maßstäbe zur Messung der Leistung und die wesentlichen Resultate Die untersuchten Bereiche sind: Abfallbeseitigung (hier liegen die meisten Studien vor), Elektrizitätsversorgung, Feuerwehr, Krankenversicherung, Fluglinien, öffentlicher Nahverkehr, Gebäudereinigung. Die Kostenvorteile liegen fast durchweg bei privater Produktion und werden nicht durch schlechtere Qualität kompensiert.
Deutscher Städtetag Zu den zurückhaltenden Befürwortern einer Privatisierung kann der Deutsche Städtetag gerechnet werden, der in einer sehr differenzierten Stellungnahme zu unterschiedlichen Empfehlungen für einzelne Bereiche kommt. Zwar seien manche Aufgaben der Leistungsverwaltung (Dienstleistungen) an sich privatisierungsfähig. Vor einer Entscheidung müßten jedoch eine Fülle von Gesichtspunkten geprüft werden:
a) Gewährleistung des flächendeckenden Leistungsangebots, b) Gewährleistung des Leistungsangebots auf Dauer, c) Erhaltung der Leistungsqualität, d) Vermeidung von Monopolen in privater Hand, e) Entlastung des öffentlichen Haushalts, f) zumutbare Entgelte für den Bürger bei privater Trägerschaft
Argumente gegen eine Privatisierung öffentlicher Dienste
Sozialdemokratische Partei Die Ablehnung der Privatisierung öffentlicher Dienste ist bei SPD und Gewerkschaften deutlich. Unterschiede zeigen sich allenfalls in Akzentuierungen, z. B. wenn die SPD die Verpflichtungen des Sozialstaates betont und die Gewerkschaften auf die Situation der im öffentlichen Bereich Beschäftigten besonderes Gewicht legen, daneben aber auch die Verpflichtungen des Staates herausstellen. Der Parteivorstand der SPD sieht in Privatisierungsforderungen Angriffe auf den Sozialstaat:
»Die von Teilen der CDU/CSU gestartete Privatisierungskampagne ist mit Angriffen gegen den Sozialstaat insgesamt gekoppelt Die soziale Sicherung der Arbeitnehmer und der Ausbau des Sozialstaates werden von der Opposition und den Unternehmerverbänden grundsätzlich in Frage gestellt. Die Führungsspitze der Unionsparteien hat damit ihre Absicht kundgetan, die öffentlichen Dienst-und Versorgungsleistungen drastisch einzuschränken ... Die Attacken gegen unser soziales Sicherungssystem, kombiniert mit Privatisierungsforderungen, gefährden den Sozialstaat tatsächlich: denn der Bürger wird schutzlos gegenüber allen wirtschaftlichen Bedrängnissen. Die privatisierten öffentlichen Einrichtungen sollen der privaten Gewinnerzielung dienen und verlieren damit ihre demokratische und solidarische Hilfsfunktion. Mit der Privatisierung würden sie auch der Kontrolle der Parlamente und der Bürgermitwirkung entzogen. Hinter der Ideologie der totalen Privatisierung verbirgt sich die sozial-feindliche Illusion, der einzelne könne ohne die Solidarität der Gemeinschaft in größerer Sicherheit leben."
Für die Jungsozialisten geht eine Privatisierung zu Lasten der abhängig Beschäftigten, „da die meisten der öffentlichen Leistungen eine hohe gesellschafts-und sozialpolitische Funktion haben und eine Privatisierung entweder zur massiven Einschränkung des Leistungsangebots auf die gewinnbringenden Bereiche oder aber eine enorme Verteuerung bei einem Aufrechterhalten des momentanen Leistungsangebots bringen würde". Dies werde von den Konservativen verschwiegen
Auf dem SPD-Forum Zukunft mit dem Rahmenthema „Bürger und Verwaltung" in Köln am 25. /26. Oktober 1979 wurde das Privatisierungsthema vor allem im Zusammenhang mit den sozialen Diensten diskutiert. Der Bielefelder Soziologe F. X. Kaufmann hatte die provokante These aufgestellt, daß für personenbezogene Dienste die herrschenden Formen bürokratischer Leistungserbringung zunehmend problematisch würden, sie sich aber andererseits auch einer betriebswirtschaftlichen Rationalisierung und einer „Privatisierung“ im Sinne der Übertragung auf gewinnorientierte Privatunternehmen entzögen. Zweckmäßig erschien ihm, soziale Dienstleistungen stärker als bisher als die Selbstversorgungsvorgänge ergänzende Leistungen zu konzipieren Deutscher Gewerkschaftsbund Der DGB machte 1976 die Ablehnung aller Privatisierungsbestrebungen zu einem seiner Wahlprüfsteine für die Bundestagswahl In einer Grundsatzerklärung stellte der DGB fest, „daß — von Ausnahmen abgesehen — die Privatisierung öffentlicher Bereiche und Dienstleistungen weder für die öffentliche Finanzwirtschaft noch für die Bevölkerung, noch für die Arbeitnehmer Vorteile bringen würde. Im Gegenteil, die Privatisierung der Gewinne, um die es ja tatsächlich geht, würde langfristig die öffentlichen Finanzen noch mehr strapazieren, das Arbeitsplatzangebot verringern und die Arbeitssituation der Beschäftigten verschlechtern. Eine Privatisierung würde ferner viele einkommensschwächere Bürger von der Inanspruchnahme privatwirtschaftlich produzierter öffentlicher Güter ausschließen und auch das Risiko konjunktureller Schwankungen in der gesamten Volkswirtschaft vergrößern. Den Nutzen der Privatisierung hätte die private Wirtschaft, die sich die Rosinen aus dem Kuchen schneiden würde."
Der vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 2. Oktober 1979 beschlossene Entwurf für ein Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes erteilt allen Privatisierungsbestrebungen eine eindeutige Absage: „Der beschleunigte wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel fordert sozialstaatliches Handeln. Die Sicherung und der Ausbau sozialstaatlicher Leistungen und leistungsfähiger öffentlicher Einrichtungen erhöhen die Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung der Arbeitnehmer. Darüber hinaus können sozialpolitische Maßnahmen wirtschaftliche Ungleichgewichte verringern, soziale Ungerechtigkeiten abbauen und die Lebensqualität für die Arbeitnehmer verbessern. Dazu bedarf es eines breiten Angebots öffentlicher Einrichtungen, Betriebe und Unternehmen. Wegen ihrer Verpflichtung auf gesellschaftliche Ziele und Aufgaben dürfen diese Einrichtungen nicht ausschließlich an ihrer Rentabilität gemessen werden. Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen ist mit sozialstaatlichen Grundsätzen Unvereinbar." 40) ’OTV und Deutscher Beamtenbund Die Stellungnahmen der besonders betroffenen DGB-Einzelgewerkschaften (ÖTV, Postgewerkschaft, Eisenbahnergewerkschaft) bringen die Ablehnung der Privatisierung mit denselben Argumenten und, soweit dies noch möglich ist, noch entschiedener zum Ausdruck.
1978 hat der Vorsitzende der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Heinz Kluncker, die Haltung seiner Gewerkschaft noch einmal bekräftigt Für ihn sind es „vornehmlich die sozialpolitischen Aspekte, die den Gewerkschaften die generelle Ablehnung von Privatisierungsmaßnahmen bei öffentlichen Dienstleistungen begründet erscheinen lassen".
„Erhebliche negative sozialpolitische Folgewirkungen hat die Privatisierung in der Regel für die betroffenen Arbeitnehmer und für die betroffenen Bürger, die die entsprechenden Dienstleistungen nutzen." Als Stichworte nennt Kluncker:
„ 1. Das Sorgetragen für Ausbildungs-und Arbeitsplätze 2. Die Arbeitsbedingungen 3. Die Lohnsituation 4. Die soziale Sicherung 5. Die Qualität der Dienstleistung 6. Qualifikation und Kontinuierlichkeit der Arbeitskräfte, die die Dienstleistungen erbringen
7. Der Umfang der Dienstleistung und der Dienstleistungspalette 8. Die Preisgestaltung von Privatfirmen." Auf der ausschließlich dem Privatisierungsthema gewidmeten 21. beamtenpolitischen Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes warnte der Vorsitzende des DBB, Krause, vor einer Ideologisierung der Diskussion und präzisierte die Haltung seiner Organisation. Vor einer verantwortlichen Entscheidung sei auf jeder Ebene zu prüfen, „welche konkreten Umstände dafür maßgebend waren, daß die Aufgabe einst zu einer staatlichen gemacht worden ist, ob diese Umstände immer noch GelB tung haben und welche Folgen einer Privatisierung in Rechnung gestellt werden müssen“. Insbesondere seien folgende Fragen zu klären: . Erstens: Inwieweit besteht ein öffentliches Interesse an der Leistung?
Zweitens: Könnte es hingenommen werden, wenn die Aufgabe in privater Hand schlechter erfüllt wird oder gar völlig vom Markt verdrängt wird?
Drittens: An welche Form staatlicher Kontrolle ist gegebenenfalls gedacht, um die ordnungsgemäße Durchführung in privater Hand zu gewährleisten? Welche Lasten und Kosten entstehen dadurch, auch im Blick auf den bürokratischen Aufwand?
Viertens: Inwieweit verändert sich die Versorgungslage der von den Leistungen abhängigen Bevölkerungsgruppen?
Fünftens: Entstehen für die öffentliche Hand finanzielle Folgelasten, etwa durch Subventionserfordernisse und dergleichen mehr?“
Pragmatiker: Die Kommunen Zu den zahlreichen Äußerungen, wie sich die Entscheidungsträger verhalten sollten, kontrastieren die nüchternen Aussagen darüber, wie sie sich tatsächlich verhalten. Für die Städte und Gemeinden läßt sich feststellen, daß sie sich weniger an allgemeinen ordnungspolitischen oder sonstigen programmatischen Leitlinien orientieren, als vielmehr pragmatisch handeln. Konkret bedeutet das, daß sie zwischen den verschiedenen Forderungen, die an sie herangetragen werden (Kostenersparnis, Interessen des öffentlichen Dienstes etc.), vielfach nach dem Prinzip des . Durchwurstelns“ (muddling through) operieren. Die Parteizugehörigkeit des Bürgermeisters läßt unter diesen Umständen kaum eine Prognose über seine Haltung für oder wider die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen zu. So wurden einige der spektakulärsten Privatisierungsaktionen in SPD-regierten Städten (z. B. Köln) durchgeführt, während umgekehrt die Hypothese naheliegt, daß CDU-Bürgermeister nicht immer geneigt waren, Privatisierungschancen zu nutzen, solange sich auch mit dem Status quo finanziell (und politisch) leben ließ. Für den Privatisierungsgeg-ner H. Tofaute „beweist die Praxis vieler auch SPD-geführter Kommunen, daß sie einer Pri-vatisierung in gewissen Grenzen und angesichts einer nicht rosigen Kassenlage nicht abhold sind“
Eine Untersuchung des deutschen Städte-und Gemeindebundes schließlich weist nach, daß das tatsächliche Verhalten der Gemeinden stark von ihrer Größe abhängt: Kleine Gemeinden greifen vielfach auf private Leistungsträger zurück. So lassen z. B. von 69 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen unter 10 000 Einwohnern alle 69 Gemeinden die Müllbeseitigung vornehmen. In der Größenklasse ab 50 000 Einwohner machen sieben Gemeinden die Müllabfuhr selbst und elf haben diese Aufgabe privatisiert In dieses Bild fügen sich die Warnungen des Vorsitzenden des Bayerischen Städteverbandes, OB Deimer, vor einer Ideologisierung der Privatisierungsdebatte
Skeptiker: Die Bürger Schlaglichter auf die Einstellung der Bürger zum Thema „Privatisierung“ werfen einige demoskopische Untersuchungen, die allerdings mit „viel Salz“ zu nehmen sind. Nicht nur die Fragestellung, sondern auch die aktuelle finanz-und konjunkturpolitische Situation beeinflussen das Urteil des Bürgers, so daß die Antworten von gestern möglicherweise heute schon nicht mehr gelten. Noch schwerer wiegen die methodischen Einwände gegen Fragestellungen über hypothetische Alternativen, die eine reale Entscheidung nur sehr unvollkommen simulieren können. Trotz dieser Vorbehalte scheinen zwei Umfrageergebnisse erwähnenswert, die insgesamt Skepsis gegenüber Privatisierungsplänen signalisieren und (nicht überraschend) eine Präferenz für den Status quo dokumentieren. Nur 35 % hielten 1975 eine Privatisierung der Müllabfuhr für sinnvoll, bei Kindergärten und Krankenhäu-sern sind es gar nur 18 % bzw. 11 % Andererseits traten 1974 55 % der Bundesbürger dafür ein, daß die Ölgesellschaften in staatlicher Hand sein sollten
Interessenlogik
Die Argumente der einzelnen Gruppen liefern wichtige Aufschlüsse über die politische Strategie, die in der Auseinandersetzung um die Privatisierung verfolgt wird, über die Interessenlage geben sie allerdings nur unzureichend Auskunft. So gehört es zum Einmaleins jeder Interessenpolitik, das eigene Interesse mit dem Gemeinwohl identisch erscheinen zu lassen (bündigster Ausdruck dieses Verfahrens war der Slogan: „Hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt“). Zur Ergänzung des Bildes soll in einer elementaren „Interessenlogik“ gezeigt werden, wie sich aus unterschiedlichen Rollen im politischen Spiel, unterschiedlichen Informationsvoraussetzungen etc. das konkrete Verhalten der Beteiligten und der Ablauf der Privatisierungsdiskussion in der Bundesrepublik erklären lassen. Methodisch gesehen handelt es sich natürlich nicht um eine vollständige Erklärung, sondern um eine Erklärungsskizze. Mindestens vier Gruppen bzw.deren Interessen müssen in einer Erklärung der Gesamtsituation berücksichtigt werden:
1. Die Parteien bzw. Politiker auf Bundes-bzw. Landesebene, 2. die Kommunalpolitiker, 3. die Bürger, 4. die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und ihre Interessenvertretungen.
Die Analyse könnte durch Einbezug weiterer Gruppen verfeinert werden, z. B.der Medien, der Wissenschaft etc.
Die Parteien bzw. die Politiker Das Verhalten der Politiker/Parteien läßt sich häufig, zumindest in erster Annäherung, aus dem Stimmenmaximierungskalkül erklären Zunächst bedeutet dies nur, daß Politiker bei ihren Handlungen die Rückwirkungen auf die Wahlentscheidung der Bürger in ihre Überlegungen einbeziehen. Es bedeutet nicht — und auf dieses Mißverständnis trifft man häufig —, daß der Politiker sich für nichts anderes interessiert als für Wählerstimmen und das politische Amt als Selbstzweck betrachtet. Stimmenmaximierung als Ausdruck des Bemühens, im politischen Wettbewerb zu überleben, ist mit einer Vielzahl von Motiven vereinbar — mit dem Streben nach dem Gemeinwohl (in der jeweiligen Auslegung) ebenso wie mit egoistischem Machtstreben.
Eine der wichtigsten Konsequenzen stimmen-maximierenden Verhaltens in Zweiparteiensystemen (oder Quasi-Zweiparteien-Systemen wie der Bundesrepublik) ist die Tendenz zur Angleichung der Parteiprogramme und der Kampf um die politische Mitte Um die Wähler in der Mitte nicht zu verlieren, sind die Parteien gezwungen, ihr Programm stark mit Kompromissen zu durchsetzen, möglichst vielen Wählerinteressen gleichzeitig zu entsprechen und keine Gruppe von vornherein zu Gegnern zu machen. Die Parteimitglieder dagegen sehen die „Verwässerung" der Programme eher zwiespältig: Sie würden eine konsequentere Verwirklichung ihrer Ideologie vorziehen, akzeptieren aber (oft zähneknirschend) das Anpassungsverhalten ihrer Partei, solange es im Interesse der Erreichung oder Erhaltung der Regierungsmacht notwendig erscheint.
Das Bestreben, möglichst vielen Gruppen etwas zu bieten, stößt auf natürliche Grenzen; sie liegen bei der Regierungspartei in den finanziellen Ressourcen, bei der Opposition (die theoretisch allen alles versprechen könnte) im Verlust der Glaubwürdigkeit. Regierung und Opposition können versuchen, die Grenzen hinauszuschieben; die Regierung vor allem durch Verschuldung, d. h.dem Versuch, die Verteilungskonflikte in der Gegenwart zu Lasten der Zukunft zu lösen; die Opposition, indem sie den einzelnen Gruppen die Vorteile der Oppositionspolitik deutlich macht, während die Belastungen nicht in ähnlicher Weise konkretisiert werden. Der Regierung steht diese Taktik nur begrenzt offen, denn von Zeit zu Zeit ist sie gezwungen, durch Anhebung des Steuerniveaus für die Finanzierung der Begünstigungen zu sorgen und dabei auch bezüglich der Verteilung der Belastungen Farbe zu bekennen. Im übrigen gilt die Erkenntnis der Finanzpsychologie, daß unmerkliche Belastungen vorgezogen werden, während bei den Begünstigungen auf eine hohe Aufmerksamkeitswirkung bei den Betroffenen geachtet wird.
Kommunalpolitiker Kommunalpolitiker sind zunächst und vor allem Politiker — insofern gilt das vorhin Gesagte auch für sie. Sie unterliegen aber zumeist stärkeren finanziellen Restriktionen als die Politiker auf anderen Ebenen. Ihre Möglichkeiten zu Steuererhöhungen und zur Ausdehnung der Verschuldung sind vergleichsweise begrenzt. Als infolge des konjunkturellen Einbruchs in der Bundesrepublik die Steuereinnahmen generell sanken, wurden die Städte und Gemeinden davon besonders betroffen. Auf der Ausgabenseite haben die Gemeinden vor allem an den Folgekosten von Investitionen (Personalaufwand, z. B. für den Betrieb eines Schwimmbades) zu tragen, während sich an den Investitionen selbst häufig der Bund bzw. das Land beteiligen. Der Zwang, bei den Personalkosten Einsparungen vorzunehmen, ist unter diesen Umständen für die Kommunen besonders groß.
Dies erklärt, daß das Thema „Privatisierung" von den Kommunalpolitikern vielfach ohne ideologische Scheuklappen und unter besonderer Betonung des finanziellen Entlastungseffekts diskutiert wird. In der kommunal-politischen Praxis spielen zudem grundsätzliche ordnungspolitische Auseinandersetzungen eine geringere Rolle als auf den anderen Ebenen der Politik. Zwar mag sich mancher SPD-Bürgermeister, der sich gegen die Linie seiner Partei zu Privatisierungsmaßnahmen entschloß, in dieser Zwickmühlensituation nicht sehr wohl gefühlt haben. Immerhin konnte er, vor allem in kleineren Gemeinden, davon ausgehen, daß der schädliche Einfluß seiner abweichenden Entscheidung auf die Glaubwürdigkeit der Gesamtpartei kaum spürbar ist.
Andererseits ist für das Image der Kommunalpolitiker ein reibungsloses Verhältnis zur Verwaltung von zentraler Bedeutung. Störungen dieses Verhältnisses durch anhaltende Auseinandersetzungen über Privatisierungsmaßnahmen können für sie negativ zu Buche schlagen.
Die Bürger Einstellung und Verhalten der Bürger sind z. T. von Widersprüchen gekennzeichnet. Dem Interesse an der Ausdehnung der Staatsleistungen steht das Interesse an einer möglichst niedrigen Steuer-bzw. Gebührenbelastung entgegen. Die Kritik der Bürger richtet sich vielfach auch gegen die mangelnde Qualität von bürokratisch erbrachten Leistungen (Langsamkeit mangelnde Flexibilität, Amts-ton etc.).
In seiner Eigenschaft als Wähler kann der Bürger versuchen, das staatliche Güterangebot und die Steuerlastquote zu beeinflussen. Dabei sind allerdings zwei wichtige Einschränkungen zu beachten: In repräsentativen Systemen trifft der Bürger seine Entscheidung nicht über einzelne öffentliche Güter bzw. Steuern, sondern über hochaggregierte Bündel von Begünstigungen und Belastungen, die ihm von den konkurrierenden Parteien zur Entscheidung vorgelegt werden (anders z. B. im politischen System der Schweiz mit seinen zahlreichen Einzelabstimmungen). Zudem trifft er seine Entscheidung als einer unter vielen Wählern, kann also davon ausgehen, daß seine einzelne Stimme nur in den seltensten Fällen entscheidend sein wird. Entsprechend gering ist das Interesse vieler Wähler, sich über die politischen Einzelfragen intensiv zu informieren, zumal viele Probleme (z. B. die Verteilung der Steuerlast, die Verteilungswirkungen öffentlicher Leistungen) selbst für den finanzwissenschaftlichen Experten nur schwer durchschaubar sind. In so komplexen Entscheidungssituationen bieten sich dem Wähler mehrere Möglichkeiten der Entlastung an: die Entwicklung einer habituellen Parteipräferenz, die die Information über die sachlichen Alternativen überflüssig macht;
die Orientierung an Ideologien mit ähnlicher Wirkung; die Ausrichtung an den Persönlichkeiten der Kandidaten etc. Zu dem in der Regel niedrigen Informationsstand tritt als weiterer Einflußfaktor das „Gesetz der Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse" (Böhm-Bawerk) und der Vergessensfaktors Verschuldungsstrategien haben nicht zuletzt deshalb Erfolg, weil die wenigsten Bürger die zukünftigen Belastungen (durch die Tilgung der Schuldenlast) als heute entscheidungsrelevant betrachten. Durch die Wirksamkeit des Vergessensfaktors ist es möglich, Begünstigungen und Belastungen über die Legislaturperiode so zu verteilen, daß besonders schmerzhafte Belastungen zum Zeitpunkt der Wahlentscheidung schon wieder vergessen sind.
Neben der Betätigung im Wahlakt gibt es für den Bürger weitere Möglichkeiten, seine Interessen in den politischen Prozeß einzubringen, z. B. durch den Beitritt in einen Verband. Gerade sehr allgemeine Interessen (z. B. jene des Steuerzahlers) erweisen sich aber als sehr schwer organisierbar. Die Existenz des Bundes der Steuerzahler gilt nicht als Gegenbeweis, denn gemessen an der Gesamtzahl der Betroffenen (und von seinen Aktivitäten Begünstigten) ist der Organisationsgrad sehr gering.
Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Das Interesse des Bürgers und Wählers an der Gestaltung der Staatsaufgaben folgt aus seiner Rolle als Konsument der Staatsleistungen und als Steuerzahler. Innerhalb der Bürger-bzw. Wählerschaft gibt es jedoch eine quantitativ beachtliche Zahl von Personen, die in ihrer Rolle als Produzenten öffentlicher Leistungen zusätzlich zu diesem allgemeinen Interesse ein starkes Einkommens-und Arbeitsplatzinteresse ins Spiel bringen. Ihr Organisationsgrad und ihre Konfliktfähigkeit sind z. T. beträchtlich. Neben dem Instrument der Wählerstimmen verfügen sie über weitere Machtinstrumente zur Durchsetzung ihrer Interessen. In einer Fallstudie über Privatisierungsbestrebungen werden diese Faktoren als maßgeblich erkannt: „Der Protest und der Widerstand der Arbeitnehmer ist neben dem Kriterium der Kosten die Variable, die über das Ausmaß der Privatisierung und auch der Rationalisierung entscheidet. Eine Privatisierung etwa wird sich nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten durchsetzen lassen, wenn nicht ein gewisses Maß an Übereinstimmung zwischen Verwaltung und den Beschäftigten besteht, die sich ausdrückt in der Zusammenarbeit von Verwaltung und Gesamtpersonalrat. Die Politik des letzteren bestimmt also entscheidend über den Verlauf von Privatisierungs-und Rationalisierungsmaßnahmen mit."
Selbst unter der Voraussetzung, daß eine bestimmte Privatisierung unzweifelhafte Kostenersparnisse erbringt, ist nach der Interessenlogik eine solche Entscheidung nicht zwingend zu erwarten. Die Bürger werden über das Ausmaß der Kostenentlastung kaum informiert sein — zudem berührt jede einzelne Kostenersparnis im öffentlichen Haushalt nur einen infinitesimalen Teil ihrer Steuerlast. Dieser nur indirekten Beziehung des Bürgers zur einzelnen Privatisierungsmaßnahme steht das hochorganisierte und konfliktfähige Interesse der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gegenüber, die (legitimerweise) ihren sozialen Besitzstand zu halten trachten. Nur wenn starker Druck von der Finanzseite als zusätzlicher Faktor ins Spiel kommt, ist unter diesen Kräfteverhältnissen eine Entscheidung der Kommunalpolitiker für die Privatisierung zu erwarten.
Fazit
In der Bundesrepublik ist es den Befürwortern der Privatisierung bisher nicht gelungen, dem Privatisierungsthema im Rahmen einer allgemeinen ordnungspolitischen Offensive zum Durchbruch zu verhelfen. Während in der ordnungspolitischen Argumentation neben dem Ziel der Kostensenkung weitreichende andere Ziele (mehr Selbständigkeit, Entstaatlichung, Wettbewerb, Wahlfreiheit etc.) verfolgt wurden, spielte sich die Praxis der Privatisierung unterhalb der ordnungspolitischen Ebene und unter starker Betonung des finanziellen Aspektes ab. Das Urteil des Finanzkämmerers wog mitunter schwerer als das Urteil der Parteipolitiker. Das Kräfteverhältnis kehrt sich um, sobald eine entspanntere Finanzsituation den Gemeinden die Beibehaltung ihrer traditionellen Wege der Aufgabenerfüllung erlaubt. Die Durchsetzung von Innovationen — und jede größere Privatisierungsaktion ist zumindest lokal eine beträchtliche politische Innovation — stellt für alle Beteiligten eine Herausforderung dar, der sie sich verständlicherweise gerne entziehen, wenn der äußere Druck fehlt.
Nur konstanter Druck von der Finanzierungsseite könnte die verantwortlichen Kommunalpolitiker zwingen, sich Vorbehalte gegen Innovationen nicht leisten zu können. Wenn die psychologische Theorie von den kognitiven Dissonanzen recht hat, wird in diesem Fall einem pragmatischen Handeln eine pragmatische Rechtfertigung nachgeliefert, welche dann die Diskrepanz zwischen Handeln und Ideologie vermindert.
Manfred Groser, Dr. rer. soc., Dipl. -Volkswirt, geb. 1944; Studium der Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften und Industrial Relations; 1978 bis 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Planungsgruppe der Bundesgeschäftsstelle der CDU in Bonn, ab Frühjahr 1980 im Wissenschaftszentrum Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Sozialökonomische Theorien der Verbände, in: Warnfried Dettling (Hrsg.), Macht der Verbände — Ohnmacht der Demokratie?, München 1976; Ökonomische Theorie des politischen Wettbewerbs (gemeinsam mit Ph. Herder-Dorneich), Göttingen 1977; Grundlagen der Tauschtheorie des Verbandes, Berlin 1979-, Die Neue Soziale Frage (gemeinsam mit W. W. Veiders), Melle 1979.
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