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Sind Frauen die besseren Weihnachtsmänner? Aufsehenerregende Ergebnisse eines neuen Modellprogramms | APuZ 49/1981 | bpb.de

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APuZ 49/1981 Der Nikolaus und die politische Bildung Sind Frauen die besseren Weihnachtsmänner? Aufsehenerregende Ergebnisse eines neuen Modellprogramms Weg mit dem „Schwarzen Pitt"! Der heilige Nikolaus und die katholische Soziallehre Der Nikolaus aus liberaler Sicht Advent in Ouagadougou Katholischer Erzbischofssitz, Hauptstadt von Obervolta, Westafrika. Der Nikolaus und der Dialog mit der Jugend Neuere Probleme bei der Erforschung des Dualen in der beruflichen Bildung Rute in den Sack. Der Nikolaus und die Friedenserziehung Diese Woche im Bundestag:

Sind Frauen die besseren Weihnachtsmänner? Aufsehenerregende Ergebnisse eines neuen Modellprogramms

Marianne Weg

/ 6 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Entgegen weitverbreiteten Vorurteilen sind Frauen durchaus bereit und in der Lage, die Funktionen einer Weihnachtsfrau auszufüllen, wenn man auch im Sinne bestehender Arbeitsschutzvorschriften einige minimale Angleichungen überkommener Gewohnheiten vornehmen muß. Auch die getesteten Familien mit ihren Kindern zeigten einen hohen Grad von Zufriedenheit, so daß die Pallette der von Mädchen ausfüllbaren Berufe um eine . interessante Variante erweitert werden kann.

Unmittelbar vor Beginn der diesjährigen Weihnachtssaison wurden auf einer Pressekonferenz die ersten Ergebnisse eines frauen-politischen Modellversuches der Bundesregierung vorgestellt, der vor einem Jahr begonnen wurde, um die Öffnung von bisher traditionell Männern vorbehaltenen Berufen für Frauen zu erproben.

Es gibt wohl wenige Berufe, die im Bewußtsein unserer Gesellschaft noch eindeutiger als „Männerberufe" gelten als die Berufsgruppe „Weihnachtsmann, Nikolaus, Knecht Ruprecht“. Das Bild des kräftigen, meist bärtigen Mannes, der zu Weihnachten die Familien erfreut, indem er für jung und alt die Geschenke bringt, ist unumstrittene weihnachtliche Tradition. Daß hier Frauen tätig würden, erschien noch bis vor kurzem unvorstellbar — und eine ganze Reihe von Arbeitsschutzvorschriften schienen zu Recht dieses Berufsfeld für Frauen zu versperren. Tief in der Nacht, in der winterlichen Dunkelheit alleine durch den Schnee zu stapfen, einen schweren Sack auf dem Rücken, nein, das sei keine Arbeit für Frauen. So die herrschende Auffassung. Kritische Frauenstimmen, die auch für diesen Bereich die volle gesellschaftliche Teilhabe für Frauen forderten, blieben lange ungehört, vereinzelte Artikel in Frauenzeitungen wurden von der (männerbeherrschten) Fachwelt verlacht. Hier hat die Bundesregierung im Spätherbst 1980 Neuland betreten mit dem Start eines Modellversuchs, in dem die Ausbildung und berufliche Eingliederung von Frauen als „Weihnachtsfrauen", gleichberechtigt arbeitend neben den altbekannten Weihnachtsmännern, modellhaft erprobt werden soll. Im ersten Kurs werden 25 Frauen verschiedenen Alters und mit verschiedener Vorbildung zur Weihnachtsfrau ausgebildet. Das Projekt läuft mit sozialpädagogischer Begleitung, um die Teilnehmerinnen zu motivieren und zu unterstützen. Es wird wissenschaftlich betreut und ausgewertet.

Die ersten Ergebnisse, auf der Pressekonferenz von der wissenschaftlichen Begleitung vorgelegt, sind uneingeschränkt positiv. Die Weihnachtsfrauen sind genausogut wie die Weihnachtsmänner. Vielfach erledigen sie ihre Aufgabe sogar noch besser als die Männer, weil ihnen ihre spezifisch weiblichen Erfahrungen mit Kompetenzen aus der Erziehung der eigenen Kinder sowie hinsichtlich der Gestaltung von Familienfesten zugute-kommen. Auch die Arbeitgeber — besser gesagt: die Nutzer dieser spezifischen Dienstleistung, die entscheidend ist für die Zufriedenheit aller, der Väter, Mütter und Kinder unter dem Weihnachtsbaum — sind begeistert. Eröffnet sich hier ein sozial hoch anerkanntes, qualifiziertes und sicheres Berufsfeld für Frauen? Auch die Diskussion um die Reform der Arbeitsschutzgesetzgebung wird aus diesem Modell wesentliche neue Impulse erhalten. Die hier vorgeführte Berücksichtigung bzw. Reform geschlechtsspezifischer Arbeitsschutzvorschriften zeigt beispielhaft, wie Lösungen ohne Verlust an Arbeitsschutz möglich sind, im Gegenteil Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für alle bringen. Sie wirken in Richtung einer Humanisierung und familien-freundlichen Gestaltung der Arbeitsorganisation. Lösung der Arbeitsschutzprobleme Ein zentrales Hindernis für das Modell war das Nachtarbeitsverbot. Es wurde gegenstandslos durch Verlegung des Heiligabends auf den Vormittag des 24. 12. (für Familien mit Kindern) und den Vormittag des 25. 12. (für Erwachsene, die länger auf den Weihnachtsmann/die Weihnachtsfrau warten können). Diese Anregung kam aus der Praxis der angelsächsischen Länder, in denen schon seit Generationen die Weihnachtsgeschenke am Morgen des 25. zugestellt werden. Alle sind zufrieden mit der Neuregelung: Für die Erwachsenen ist nun nicht mehr der 24. tagsüber mit dem Streß der letzten Weihnachtsvorbereitungen (allerletzte Geschenke besorgen, Wohnung putzen und schmücken usw.) ausgefüllt. Und die Kinder freuen sich, weil die ermü9 dende Warterei am Heiligabend auf das Hereinbrechen der Dunkelheit aufhört.

Diese Veränderung der Weihnachtsregelung wurde verbunden mit einer Arbeitszeitverkürzung hin zum 6-Stunden-Tag für Weihnachtsmänner und -frauen — eine beschäftigungspolitisch außerordentlich wirkungsvolle Maßnahme, durch die auf einen Schlag die Zahl der Voll-Arbeitsplätze in diesem Sektor verdoppelt wurde, Überstunden und Nachtschichten wegfielen und die Qualität der Dienstleistung der Weihnachtsbescherung erheblich verbessert wurde.

Schwierigkeiten wurden dem Projekt auch prophezeit aufgrund der bestehenden Bestimmung, daß für weibliche Arbeitnehmer getrennte Toiletten im Betrieb zur Verfügung stehen müssen. Bekanntlich hat kaum eine bundesdeutsche Familie (deren Wohnung ja die Arbeitsstätte der Weihnachtsfrau ist) eine separate Toilette für die Mutter und für eventuelle Töchter in der Familie. Die Modell-Teilnehmerinnen sahen jedoch hierin für sich kein Problem. Auch eine noch unmittelbar vor Modellbeginn gestartete Repräsentativumfrage bei bundesdeutschen Familien ergab, daß 97, 8 % aller Mütter und Töchter das Fehlen einer „Frauentoilette" in der Familienwohnung nicht als Problem empfinden, obwohl sie ja viel stärker, weil täglich davon betroffen sind. So konnte die Erwartung begründet werden, daß auch den Weihnachtsfrauen, zumal bei den jeweils nur kurzen Arbeitseinsätzen, gegebenenfalls die Benutzung des gemeinschaftlichen Familienklos zugemutet werden könne. Die Modellerfahrungen haben bewiesen, daß dies problemlos möglich ist. Die entsprechende Rechtsverordnung soll nun noch in dieser Legislaturperiode generell aufgehoben werden.

Hinsichtlich des Verbots des Hebens und Tragens schwerer Lasten wurde die 10-kg-Grenze für Weihnachtsgeschenke eingeführt. Ungeachtet der Proteste des Einzelhandels -

ist hieran zugleich als positiv -verbandes zu be werten, daß diese Regelung auch dem kontinuierlich angestiegenen Geschenk-und Konsumzwang in Verbindung mit Weihnachten entgegenwirken wird. Bei Großfamilien und Wohngemeinschaften, wo die 10-kg-Grenze nicht vertretbar wäre, weil einzelne dann womöglich leer ausgingen, werden statt einer einfach zwei Weihnachtsfrauen eingesetzt. Als unbegründet erwies sich auch die Befürchtung, das Verbot der Beschäftigung von Frauen auf Bauten werde die Tätigkeit von Weihnachtsfrauen unmöglich machen, weil Weihnachtsmänner traditionell übers Dach bzw. durch den Kamin kämen. Rückfragen beim Wohnungsbauministerium ergaben, daß es nur in 0, 0037 Prozent aller bundesdeutschen Familien einen für die Weihnachtsgeschenkanlieferung tauglichen Kamin gibt. Eine Befragung von Kaminbesitzern ergab darüber hinaus, daß auch diese es mehrheitlich vorziehen, die Weihnachtsgeschenke durch die Haustür und unverrußt angeliefert zu erhalten.

Erste Stimmen zum Modellversuch

Die ÖTV-Betriebsgruppe der Weihnachtsmänner und Nikoläuse: „Erst waren wir ja skeptisch gegenüber den neuen Kolleginnen.

Aber sie machen ihre Sache wirklich prima.

Man kann direkt noch von ihnen was lernen.

Und die Verbesserungen der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen nützen uns allen."

Eine der ersten Weihnachtsfrauen, Nicole W.:

„Am Anfang hatte ich ganz schön Angst, ob ich das schaffen würde, in meinem Alter (ich bin 45). Aber mein Mann und meine Kinder und auch meine Freundin haben mir viel Mut gemacht. , Das kannst du bestimmt!'haben sie gesagt, und so war es auch. Die Arbeit macht Spaß, klar, auch wenn es manchmal durch Eis und Schnee geht. Wir Frauen sind doch nicht aus Zucker!"

Moritz H, 3 Jahre alt, im letzten Jahr zum ersten Mal von einer Weihnachtsfrau mit Geschenken bedacht: „Die Weihnachtsfrau soll wiederkommen! Und eine Dampfwalze mitbringen!" Die AsF-Ortsgruppe in 4591 Nikolausdorf: „Diese Aktion war schon lange überfällig. Hoffentlich begreifen es die Genossen bei uns nun auch endlich!"

Aus Kreisen des DGB wurde das Modell begrüßt wegen seiner Bedeutung für den Abbau der Frauenarbeitslosigkeit, vor allem auch, weil es die Scheinlösungen von Teilzeitarbeit und Job-Sharing vermeide, vielmehr den Einstieg in den 6-Stunden-Tag für alle vormache: „Ein Schritt in die richtige Richtung!" Konservative Stimmen dagegen warnten, diese Umwertung weihnachtlicher Werte lasse eine Jugend ohne Vorbilder und ohne feste Orientierung zurück. Drogensucht und Jugendkriminalität würden die Folgen sein. „Zu bedauern sind vor allem auch die Männer und Kinder der einer verfehlten Emanzipationsidee aufsitzenden . Weihnachtsfrauen'!"

Wie es weitergehen soll

Das Gesamtecho zum Modellversuch „Weihnachtsfrau" ist so eindeutig positiv, daß an eine stufenweise Erweiterung hin zu einem flächendeckenden

Modellprogramm gedacht ist.

Hamburg als erstes Bundesland hat bereits für die Weihnachtssaison 1981 ein eigenes Projekt gestartet, dessen Modellkonzeption auch die qualifizierte berufliche Erstausbildung junger Frauen zur Weihnachtsfrau vorsieht (die nur 2-jährige Ausbildung zum „Knecht Ruprecht" soll ohnehin in einer Novellierung der Ausbildungsordnung abgeschafft werden). Begonnen werden soll damit, daß Mädchen, die vor dem Schulabschluß stehen, Gelegenheit zu Betriebspraktika als Christkind oder Weihnachtsengel gegeben werden soll, anstelle der bisher nur üblichen Praktika in traditionellen Frauenberufsbereichen, wie z. B. im Büro oder im Kaufhaus.

Die Unterstützung solcher Berufsorientierung erfordert allerdings verstärktes Bemühen um Aufklärung und Motivierung der Eltern und der Mädchen selber. Zum Bewußtseinswandel müssen besonders die Medien beitragen.

Wichtig bleibt auch das Durchforsten von Bilderbüchern und Kinderbüchern; auch in den Schulbüchern wird noch allzu stark, z. B. in Weihnachtsgedichten, durchweg das traditionelle Bild des Weihnachtsmannes mit langem Bart vermittelt. Trotzdem sind die Berufswunschnennungen von Mädchen für den Beruf der Weihnachtsfrau gegenüber 1980 schon um mehr als 500 Prozent gestiegen.

Diese Bewußtseinsfortschritte müssen praktisch unterstützt werden, indem den Mädchen auch eine reale Chance auf einen Ausbildungsplatz als Weihnachtsfrau geboten wird. Hier bietet es sich an, gerade auch wegen der expandierenden Zahl von Ausbildungs-und Arbeitsplätzen dieses Sektors, einen Anfang zu machen mit der Quotierung von Ausbildungsplätzen, wie sie die Enquete-Kommission FRAU UND GESELLSCHAFT mehrheitlich gefordert hat. Die guten Anfangserfolge des Modells könnten auch die Aufstellung von Frauenförderungsplänen für die Ausbildung, Beschäftigung und den beruflichen Aufstieg von Weihnachtsfrauen begründen, die es zur Zeit erst in einigen wenigen anderen Branchen gibt.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Marianne Weg, Dipl. Oec., geb. 1947; z. Zt. Mitarbeiterin im Arbeitsstab Frauenpolitik im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit.