Ausländerzunahme: objektives Problem oder Einstellungsfrage?
Dieter Just/Peter Caspar Mülhens
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Zusammenfassung
Laut demoskopischem Befund haben die Vorbehalte der Bundesbürger gegenüber Auslänidern und Gastarbeitern im Verlauf der letzten zwei Jahre deutlich zugenommen. Einer der Auslöser ist die Verschlechterung der Wirtschaftslage. Nach der Erhebung des infas-Instituts muß knapp die Hälfte der Bundesbürger als ausländerfeindlich eingestuft, können nur 29 % als ausländerfreundlich betrachtet werden. Zwar steigt die Ausländerfreundlichkeit mit dem sozialen Status und sinkendem Lebensalter — jedoch ist sie fast ebenso wenig wie die Ausländerfeindlichkeit auf konkrete Erfahrungen mit Ausländern und Gastarbeitern Izurückzuführen. Konsequenz: Das „Ausländerproblem" ist auch ein originär deutsches Problem, die Auswirkung unterschwelliger Wirtschafts-und Sicherheitsängste, die durch ausländerpolitische Maßnahmen allein kaum abgebaut werden können.
Aktuelle Einstellungen der Deutschen gegenüber ausländischen Mitbürgern I. Vorbemerkung
Die Vorbehalte der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern sind in den letzten Jahren parallel zur Verschlechterung der Wirtschaftserwartungen deutlich größer geworden: Der Anteil der Bürger, die sich bei der Alternative, die Gastarbeiter sollten wieder in ihr Heimatland zurückkehren oder die Möglichkeit erhalten, für immer hier zu bleiben, für Rückkehr und nicht für Integration aussprachen, ist von nur 39 % im November 1978 auf 68 % im März 1982 angestiegen:
Diese Stimmungsveränderung ist alarmierend, weil fast alle Indikatoren der politischen und wirtschaftlichen Stimmung in der Bundesrepublik Deutschland sich nur relativ langsam verändern, das Meinungsbild generell sehr stabil ist Ähnliche Ausnahme: Der dramatische Anstieg der Befürworter der Todesstrafe unter dem Druck der terroristischen Anschläge und des Entführungsfalles Schleyer im Frühherbst 1977.
Diese demoskopischen Trends sowie im ganzen Bundesgebiet und Berlin (West) sichtbar gewordene Anschläge und Diffamierungskampagnen gegenüber Ausländern haben das Problem der ausländischen Mitbürger bei zunehmender Arbeitslosigkeit ebenso virulent werden lassen wie das Phänomen der Ausländerfeindlichkeit selbst In den Parlamenten und Regierungen des Bundes, der Länder, der Kommunen wie auch in vielen gesellschaftlichen Organisationen wurden Diskussionen und Entscheidungsprozesse auf einem Felde ausgelöst, auf dem aus vielerlei rechtlichen, außenpolitischen und humanitären Gründen der Spielraum für politisches Handeln sehr klein ist. Deshalb gewinnt die Frage, wie der deutsche Bürger zur ausländischen Bevölkerung in unserem Lande steht und auf ausländerpolitische Entscheidungen reagiert, zuneh-mend an politischer Bedeutung. Denn wäre die durch 4, 7 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland hervorgerufene Belastung ein objektives . Ausländerproblem“, müßten einschneidende politische Entscheidungen etwa zum Familiennachzug oder zur Dezentralisierung erfolgen, die außerordentlich schwierig und langwierig ausfallen dürften. Wäre es aber zum großen Teil „nur" ein Problem der Empfindungen und Einstellungen der deutschen Mitbürger, ein Problem der . Ausländerfeindlichkeit", so könnte es auch möglich sein, manche Emotionen, Mißverständnisse und Vorurteile wie sicher auch faschistoide Tendenzen durch Gespräche in den Parteien, Kirchen und Gewerkschaften und vor allem in den Medien, durch politische Bil-B düng und staatliche Öffentlichkeitsarbeit wieder abzubauen, um die faktisch unvermeidbare Integrationspolitik gegenüber dem größten Teil der in Deutschland arbeitenden und lebenden Ausländer in einem wieder verbesserten sozialen Klima fortsetzen zu können.
Sozialforschung und Demoskopie müssen hierzu sehr bald ermitteln:
— Sind die deutschen Bürger durch ihre ausländischen Mitbewohner und Arbeitskollegen persönlich — und auf welchen Feldern — unerträglich belastet?
— Ist ein großer Teil der deutschen Bevölkerung dabei, auf der Grundlage falscher Informationen und aufhetzender Parolen sich ein Feindbild zu schaffen, das ihnen die ver-schlechterte Wirtschafts-und Arbeitsmarkt-lage zu erklären scheint?
— Welche Gruppen von Bürgern sind es, die in eine derartige ausländerfeindliche Bewußtseinsstimmung hineinzuschlittern drohen?
— Welche Zusammenhänge bestehen zwischen spürbarer gewordenen rechtsextremistischen Strömungen und zunehmender Ausländerfeindlichkeit? — Wie ist die Gefahr dimensioniert, die unsere politische Kultur bedroht?
Die im folgenden analysierten Ergebnisse einer Studie des infas-Instituts, die im Dezember 1981 bei 1 600 Bundesbürgern durchgeführt wurde, kann einige Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen geben.
II. Generelle Einstellungen
Abbildung 23
Bedrohungsgefühl durch Ausländer Befragte insgesamt bis 24 Jahre 25 bis 34 Jahre 35 bis 49 Jahre 50 bis 64 Jahre 65 und älter Volksschule ohne Lehre Volksschule mit Lehre Mittel-, Fachschule Abitur, Studium Berufstätigkeit Selbständige Angestellte Beamte Facharbeiter an-, ungelernte Arbeiter Nicht Berufstätige Hausfrauen Rentner • Sonstige Einschätzung der eigenen wirtschaftl. Lage im Vergleich zum Vorjahr Besser Gleich Schlechter Stimme Stimme zu nicht zu % 43 44 37 44 39 53 46 51 31 21 47 39 33 47 48 43 5슈ދ?
Bedrohungsgefühl durch Ausländer Befragte insgesamt bis 24 Jahre 25 bis 34 Jahre 35 bis 49 Jahre 50 bis 64 Jahre 65 und älter Volksschule ohne Lehre Volksschule mit Lehre Mittel-, Fachschule Abitur, Studium Berufstätigkeit Selbständige Angestellte Beamte Facharbeiter an-, ungelernte Arbeiter Nicht Berufstätige Hausfrauen Rentner • Sonstige Einschätzung der eigenen wirtschaftl. Lage im Vergleich zum Vorjahr Besser Gleich Schlechter Stimme Stimme zu nicht zu % 43 44 37 44 39 53 46 51 31 21 47 39 33 47 48 43 5슈ދ?
Auf die Frage „Wenn man sich bei uns im (Wohnort) als Deutscher nicht mehr wohl fühlen kann und sich bedroht fühlt, dann liegt das vor allem daran, daß es hier zu viele Ausländer gibt“, ergibt sich bei der Gesamtbevölkerung und den unterschiedlichen soziologischen Gruppen folgende Antwortverteilung:
Es zeigt sich deutlich: das Bedrohungsgefühl ist am stärksten ausgeprägt bei älteren, weniger gut ausgebildeten und wirtschaftlich besorgteren Mitbürgern, deutlich geringer bei besser ausgebildeten Angestellten und Beamten unter 34 Jahren mit optimistischererWirtschaftseinschätzung. Ein ähnliches Einstellungsstatement — „Die hohe Kriminalität bei uns ist vor allem darauf zurückzuführen, daß es hier so viele Ausländer gibt" —, ergibt ein entsprechendes Muster: 42 %, darunter 47 % Volksschüler mit Lehre, aber nur 25 % der Befragten mit Abitur und Studium und 53 % der über 65jährigen geben eine zustimmende Antwort. Auch hier zeigt sich: Von den Befragten, die ihre eigene Wirtschaftslage im Vergleich zum Vorjahr als besser bewerten, stimmen nur 26 %, von denen, die sie als schlechter beurteilen, 43 % zu. Aufschlußreich ist dabei, daß die Befragten, die noch nie Kontakt mit Ausländern hatten, mit 48% im höchsten Maße zustimmen. Dies obwohl sie ihre Erkenntnis von der durch die Ausländer verursachten hohen Kriminalität in Deutschland nur aus den Medien oder am Biertisch — am Arbeitsplatz hätten sie ja Kontakt mit Ausländern gehabt — gewonnen haben können. Schon die Antworten auf solche Einstellungsfragen lassen somit erkennen, daß weniger die unmittelbare und persönliche Erfahrung als vielmehr die eigene reale und psychologische Lage — Alter, Bildungsstand, sozialer Status und subjektive Einschätzung der wirtschaftlichen Lage — die Einstellungen gegenüber den ausländischen Mitbürgern bestimmt.
III. Erwartungen an die Ausländerpolitik
Abbildung 24
Von Befragten, die für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik ... ... Verbesserung erwarten ... keine Veränderung sehen ... Verschlechterung erwarten sind.. aus-ambivalent
Von Befragten, die für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik ... ... Verbesserung erwarten ... keine Veränderung sehen ... Verschlechterung erwarten sind.. aus-ambivalent
Wenn politisches Handeln nach demoskopischen den Anspruch der hier arbeitenden Ausländer Gesichtspunkten ausgerichtet werden auf gleiche Sozialleistungen bejaheUx könnte, müßten die Entscheidungen der zuständigen 68 %);
Staatsorgane sehr restriktiv ausfallen. Der infas-Umfrage zufolge sind — trotz mehrheitlich anderer Erwartungen — 58 % der Bundesbürger für eine Verminderung Rückkehr und Begrenzung den Eindruck oder Begrenzung der Ausländerzahlen in haben, die Bundesregierung (75 %), ihre der Bundesrepublik; für Toleranz und die Gestaltung (77 %) sowie ihre Gemeinde eines Nebeneinanders von Deutschen 77 %) täten hinsichtlich des Ausländerproblems und Ausländern nur 15 %. das Mögliche und Notwendige.
— 56 % für strengere Maßstäbe und geringe Quoten bei Aufnahme von Asylsuchenden; Daß nur 27 % in ihrem täglichen Leben regelmäßig 23 % dafür, jegliche politische oder humanitäre bzw. häufig mit Ausländern Kontakt haben, Ungerechtigkeit bei der Begrenzung 71 % selten bzw. praktisch nie, belegt die des Asylantenzuflusses zu vermeiden. Praxisferne mancher Einstellungen und Urteile. Daß nur 9 % der Bundesbürger eher — 63 % dagegen, daß Gastarbeiter ihre Familien Erfahrungen mit Ausländern in der in die Bundesrepublik nachholen.
Bundesrepublik gemacht haben (eher gute Erfahrungen 76 % der Meinung, daß die Hauptursache 20 %, teils/teils 42 %, keine Erfahrungen den Zuzug von Ausländerkindern das hohe 26 %), weist ebenfalls auf die große deutsche Kindergeld sei. Kluft zwischen persönlicher Erfahrung und Im Gegensatz zu dieser ablehnenden Haltung allgemeiner Stimmung hin. Allerdings: Mehr steht — wie bei stark stimmungsbetonten Themen als bisher mit Ausländern zu pflegen nicht ungewöhnlich —, daß größere wären nur 24 % bereit, an mehr Informationen Mehrheiten der Bundesbürger gleichzeitig über die Probleme der Ausländer nur 19 % der Bundesbürger interessiert. Die Chancen, — für einen gemeinsamen Unterricht der Ausländerkinder Kontakte und Informationen die Einstellungen mit deutschen Kindern eintreten gegenüber Ausländern zu ändern, (65 %);
sind demnach sehr begrenzt.
IV. Latent ausländerfeindlich: 49 % der Bundesbürger
Auf der Basis der Antwortergebnisse auf über 60 Einzelfragen ermittelte infas mit Hilfe eines Typologisierungsverfahrens drei in Verhalten und Einstellungen gegenüber Ausländern homogene Gruppen. Demnach sind:
— 49 % ausländerfeindlich (darunter sehr viel häufiger Rentner, Hausfrauen, über 50jährige und Befragte mit Volksschulbildung);
— 22 % in Einstellungen und Verhalten ambivalent (häufiger mittlere Jahrgänge und Berufstätige). Neben ihrem Alter (von den unter 20jährigen sind nur 23 % ausländerfeindlich, von den über 65jährigen aber 63 %) und Ausbildungsstand (ausländerfeindlich 60 % der Befragten mit Volksschulabschluß ohne Lehre, aber nur 28 % der Bundesbürger mit Abitur/Studium) ist auch die Parteipräferenz deutliches Unterscheidungskriterium der beiden polarisierenden Gruppen: ausländerfeindlich sind 37 % der FDP-Anhänger, 47 % der SPD-Anhänger und 54 % der CDU/CSU-Anhänger.
Deutlich ist der Zusammenhang auch zwischen Wirtschaftserwartungen und Ausländerfeindlichkeit. Nur unter den Befragten mit optimistischen Wirtschaftserwartungen finden sich in überdurchschnittlichem Maße ausländerfreundliche Einstellungen: Wichtiges Unterscheidungskriterium der Einstellungsgruppen sind schließlich ihre allgemeinen politischen Erwartungen: Mehr Demokratie wollen 31 % der ausländerfreundlichen Bundesbürger, aber nur 18 % der ausländerfeindlichen, mehr Leistung 28 % der ausländerfreundlichen, aber 42 % der ausländerfeindlichen Bürger. Pflichtbewußtsein, Ordnung und Sicherheit, Sitte und Moral haben bei der ausländerfeindlichen Gruppe einen überdurchschnittlich hohen, Solidarität und Freiheit für Andersdenkende einen überdurchschnittlich geringen Stellenwert.
Wie emotional die Einstellungen der ausländerfeindlichen Bevölkerungsgruppen bestimmt sind, bestätigt auch eine Allensbach-Untersuchung Danach befürchtet mehr als jeder zweite Angehörige der unteren Schicht (53%), daß die Türken an der derzeitigen oder zukünftigen Arbeitslosigkeit Schuld sind, räumen aber gleichzeitig ein, daß sie meist Arbeiten verrichten, die wir nicht tun wollen (58 %). Dieser Widerspruch, so schlußfolgert Allensbach, gibt einen Hinweis „auf den nicht nur rationalen Untergrund der Ängste und Aversionen gegen die Türken". Es scheint, daß gerade in jenen Bevölkerungsgruppen, die keinen Kontakt zu Ausländern haben, jedoch in ho-hem Maße'sicherheitsorientiert sind, die Risiken der wirtschaftlichen Entwicklung fremdenfeindliche Nebeneffekte ausgelöst haben.
Hinzu kommt, daß die Ausländerproblematik bei den ängstlicheren, weniger flexiblen und weniger welterfahrenen Mitbürgern zusätzlich mit der dramatischen Wahrnehmung von Kriminalität verbunden ist
Ausländerfreundlichkeit und Ausländerfeindlichkeit sind durch ein Moment der Irrationalität verbunden: Ähnlich wie die ausländerfeindlichen Befragten im wesentlichen von der Erfahrung abgehobene Vorurteile und Ängste zu Protokoll geben, haben die ausländerfreundlichen Befragten den Test auf ihre positiven Einstellungen ebenfalls noch, nicht in der Konfrontation mit der Realität bestehen müssen. Sie sind generell zum Kontakt stärker bereit, haben aber nur zu 37 % regelmäßigen oder häufigen Kontakt mit Ausländern.
Einstellungen und Urteile über Ausländer und Ausländerpolitik sind also für die Mehrheit der Bundesbürger nicht Erfahrungs-, sondern Glaubenssache. Das hat zwei Konsequenzen: — Positiv: Die 4, 7 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik stellen — mit Ausnahme einiger weniger Ballungszentren — kein objektiv erfahrenes Problem dar, wären also auch weiterhin integrierbar, wenn es gelingt, die Barriere der unterschwelligen Wirtschafts-und Sicherheitsängste in großen Teilen der Bevölkerung zu überwinden.
— Negativ: Diese Ängste, Mißverständnisse und Irritationen sind auf eine beunruhigende Dimension angewachsen, der mit Information allein kaum beizukommen sein dürfte. Ebenso wenig sind sie durch ausländerpolitische Maßnahmen allein zu kontrollieren.
Sinnvoll könnte allenfalls vorerst sein, das bis-her eher ignorierte Problem der Ausländerfeindlichkeit auch emotional — durch den Appell und die Anmahnung der vom Grundgesetz den Deutschen auferlegten Pflichten auch mit Blick auf die deutsche Geschichte — direkt anzusprechen, um so auf noch labile und amorphe Einstellungen konstruktiv einzuwirken, ehe sie sich zu endgültigen Vorurteilen und Impulsen verfestigen.
Dieter Just, Dr. phil., geb. 1937; Leiter des Referats für Grundsatzfragen und Planung in der Inlandsabteilung des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung. Veröffentlichungen: Der Spiegel — Arbeitsweise, Inhalt, Wirkung, Hannover 1967; Was wollen die Parteien? — Ein synoptischer Vergleich der programmatischen Erklärungen (Mitherausgeber), Bonn 1972; Auf der Suche nach dem mündigen Wähler — Die Wahlentscheidung 1972 und ihre Konsequenzen (Mitherausgeber); Bonn 1974; Entscheidung ohne Klarheit — Anmerkungen und Materialien zur Bundestagswahl 1976 (Mitherausgeber), Bonn 1978. Peter Caspar Mülhens, Dipl. -Psych., geb. 1940; Referent für Meinungsforschung in der Inlandsabteilung des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung.