Die neue Wirtschaftspolitik in Großbritannien und den USA
Jürgen Kromphardt
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Zusammenfassung
Der ölpreisschock von 1973 und vor allem die dadurch ausgelösten Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung haben 1974/75 weltweit zu einem abrupten Ende der Wachstumsphase geführt; in der anschließenden, durch nachfragestimulierende Maßnahmen gestützten Erholungsphase gelang es nicht, zu einem befriedigenden Beschäftigungsstand zurückzukehren. Dies begünstigte in den USA und Großbritannien den Durchbruch einer neuen Wirtschaftspolitik, die sich auf neue, gegen die keynesianische Lehre gerichtete wirtschaftswissenschaftliche Strömungen und auf wiederbelebte konservative Werthaltungen stützen konnte. Die neue Wirtschaftspolitik verknüpft monetaristische und angebotsorientierte Vorstellungen zu einer Strategie, in deren Mittelpunkt die Steuerung der Geldmenge zwecks Beherrschung der Inflation sowie die Zurückdrängung staatlicher Ausgaben-und Regulierungsaktivitäten, öffentlicher Steuer-und Abgabenlasten und öffentlicher Verschuldung stehen. Es wird gezeigt, wie diese Punkte miteinander verknüpft sind, in welcher Form die Strategie verwirklicht wurde und welche Wirkungen dies zur Folge hatte. Das Ziel der Senkung der Inflationsrate wurde in beiden Ländern erreicht, allerdings auf Kosten einer Verschlechterung der Beschäftigungslage und einer Senkung zier Produktion. Diese Kosten sind nicht zufällig, sondern waren vorhersehbare Folgen der neuen Wirtschaftspolitik. Die günstigere wirtschaftliche Entwicklung in der jüngsten Zeit in den USA ist Ergebnis eines Abweichens von der geplanten Strategie; es wurde ein hohes Staatsdefizit zugelassen, dessen expansive Impulse wirksam werden konnten, seitdem das US-amerikanische Notenbanksystem seine vorher stark restriktive Geldpolitik lockerte. Die neuen wirtschaftspolitischen Strategien sollten daher — aufs Ganze gesehen (einzelne angebotsfördernde Maßnahmen sind sicherlich empfehlenswert) — kein Vorbild für die westdeutsche Wirtschaftspolitik darstellen, obwohl diese bereits ihren Spuren folgt. Dagegen sprechen nicht nur deren wirtschaftspolitische, sondern auch die langfristigen sozialen Folgen, insbesondere die der Jugendarbeitslosigkeit.
Ein Vorbild für die westdeutsche Wirtschaftspolitik?
Der erste ölpreisschock im Herbst 1973 markiert für die westlichen Industriestaaten das Ende einer Wachstumsperiode der Nachkriegszeit, die von mäßigen konjunkturellen Schwankungen begleitet war. Nach dieser Zäsur beginnt in diesen Staaten eine Periode mit erheblichen Wachstumseinbrüchen, fast überall begleitet von hoher Arbeitslosigkeit und in einigen Ländern, so auch in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, von zeitweise sehr hohen Inflationsraten. In diesen wirtschaftlich turbulenten Jahren zerbricht auch der wirtschaftspolitische Grund-konsens darüber, daß der Staat durch aktive Geld-und Fiskalpolitik für einen hohen Beschäftigungsgrad zu sorgen habe. Dieser Grundkonsens war das Ergebnis der Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre und der Neuorientierung der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik im Anschluß an die Einkommens-und Beschäftigungstheorie von Keynes. Sein Zusammenbruch wurde auf wirtschaftlichem Gebiet vor allen Dingen dadurch herbeigeführt, daß überhöhte Erwartungen an die Steuerbarkeit der Konjunktur enttäuscht wurden und daß die eingesetzten beschäftigungspolitischen Maßnahmen zumindest in einigen Ländern zu beunruhigend hohen Inflationsraten beitrugen.
Schon vor 1973 hatte auf theoretischem Gebiet die „monetaristische Gegenrevolution" begonnen, die der gesamtwirtschaftlichen Theorie eine neue Richtung zu geben bemüht war. Obwohl auf den ölpreisschock von 1973 nur für ein bis zwei Jahre ein Wachstums-und Beschäftigungseinbruch, dann aber in allen Industriestaaten eine mehrjährige, durch nachfragestimulierende wirtschaftspolitische Maßnahmen gestützte wirtschaftliche Erholung folgte, gewann die neue, gegen die keynesianische Wirtschaftspolitik gerichtete Theorie an Gewicht. Nach dem spektakulären grundsätzlichen Kurswechsel der Wirt-
I. Einleitung Schaftspolitik in Großbritannien und in den USA im Jahre 1979 bzw. 1980 bestimmt sie dort zusammen mit der Angebotstheorie die Leitbilder der Wirtschaftspolitik. In der Bundesrepublik Deutschland war der wirtschaftspolitische Kurswechsel im Herbst 1980 dagegen weniger spektakulär, da er von der wiedergewählten sozial-liberalen Regierung betrieben wurde; erst nach dem Regierungswechsel im Herbst 1982 wurde das Wort von der Wende geläufig.
Zur Durchsetzung neuer Konzeptionen trug auch bei, daß die wirtschaftliche Erholung in den siebziger Jahren nicht wieder zur Vollbeschäftigung führte. Dies lag jedoch nicht nur an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in diesen Jahren, sondern auch daran, daß wegen der Geburtenwelle der frühen sechziger Jahre sehr starke Jahrgänge ins Erwerbsleben drängten, während relativ schwach besetzte Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausschieden. Insgesamt blieb die Erholung zu schwach und damit auch das Steueraufkommen zu niedrig, um die zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise nach 1973 in Kauf genommenen Defizite der öffentlichen Haushalte wieder auf das früher gewohnte Normalmaß zurückzuführen.
Die grundsätzliche Neuorientierung der amerikanischen und angelsächsischen Wirtschaftspolitik führt zu drei Fragen:
1. Was sind die konstitutiven Elemente der neuen Konzeption?
2. Wie wurden diese Konzeptionen in die Tat umgesetzt und welche Wirkungen hatten die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen?
3. Ist es empfehlenswert, angesichts der bisher gemachten Erfahrungen die neuen Konzeptionen stärker als bisher in die westdeutsche Wirtschaftspolitik einfließen zu lassen oder sprechen wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Argumente dagegen?
II. Die neue Konzeption der Wirtschaftspolitik in Großbritannien und den USA
Abbildung 8
Tabelle 2: — Wachstums rate des re alen Brul. tosozial]orodukts (BSP) — Großbritannien USA Bundesrepublik Deutschland Großbritanniena)
Betrachtet man einige Kennzahlen der wirtschaftlichen Entwicklung von 1973 bis 1979, so ist es nicht verwunderlich, daß zuerst in Großbritannien mit dem Wahlsieg der konservativen Partei unter der Führung von Mrs. Thatcher im Frühjahr 1979 eine konzeptionelle Wende der Wirtschaftspolitik eingeleitet wurde. Zwar nahm Großbritannien bei der Arbeitslosenquote mit einem Durchschnitt von 4, 4% einen mittleren Platz ein, aber die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts lag sehr niedrig (1, 3%). Die Verbraucherpreise stiegen dagegen sehr rasch (im Durchschnitt dieser Jahre fast um 16% — diese Zahl wurde nur noch von Italien übertroffen), 1978 allerdings nur noch um 8, 3%. Das Staatsdefizit, d. h. das Finanzierungsdefizit sämtlicher öffentlicher Haushalte, also der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung, erreichte, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, bereits damals ein sehr hohes Niveau. Und die Leistungsbilanz war im Durchschnitt dieser Jahre negativ. Verglichen mit den übrigen westlichen Industriestaaten bestand also kein Grund, mit den wirtschaftspolitischen Erfolgen der bisherigen Politik zufrieden zu sein.
Nach ihrem Wahlsieg konnte die neue Regierung ihr wirtschaftliches Konzept in die Tat umsetzen. Dieses Konzept kombiniert monetaristische und angebotstheoretische Gedanken und läßt sich in vier Punkten zusammenfassen, die miteinander verknüpft sind. An erster Stelle steht eine Reduzierung des Geldmengenwachstums, um die Inflation zu beseitigen. Um die dafür notwendige Kontrolle über die Geldmenge zu gewinnen, heißt der zweite Punkt Verringerung des Staatsdefizites, weil dieses in Großbritannien bei unzureichender Finanzierung über den Kapitalmarkt direkt von der Zentralbank finanziert werden muß. Dieses Ziel soll durch Kürzung der Staatsausgaben erreicht werden. Diese dient zugleich dem dritten Ziel: Einschränkung des öffentlichen Sektors zugunsten des Privatsektors. Dafür wurden zahlreiche Maßnahmen ins Auge gefaßt: Reprivatisierung von Unternehmen im Staatsbesitz, verringerte Subventionen an den verstaatlichten Wirtschaftssektor, der für seine Kostendeckung auf marktgerechte Preise verwiesen wurde, Verringerung der Regulierung und Vorschriften für den privaten Sektor, Verringerung des Verwaltungsaufwandes im öffentlichen Sektor und Verkleinerung des Verwaltungsapparates. Damit der private Sektor den neu gewonnenen Spielraum auch ausnutzt, sind viertens angebotsorientierte Maßnahmen zur Unterstützung des „Spiels der Marktkräfte" zu treffen bzw. Belastungen wie Preis-und Dividenden-beschränkungen, Beschränkung der Kreditvergabe durch Banken, Beschränkung des Devisenaustausches aufzuheben und die Macht der Gewerkschaften einzuschränken. Zu den Stützungsmaßnahmen gehören Steuervergünstigungen für Kleinunternehmen und besondere unternehmerische Tätigkeiten sowie vor allem eine spektakuläre Verlagerung der Besteuerung von Einkommensteuern auf indirekte Steuern: Der Mehrwertsteuersatz wurde wenige Monate nach Regierungsantritt von 8 auf 15% heraufgesetzt und der Spitzen-steuersatz der Einkommensteuer von 83 auf 60% gesenkt, der Grundsteuersatz von 33 auf 30%. Diese hohen Steuersätze galten als erhebliche Belastung der Leistungsbereitschaft.
Die mit der Einkommensteuersenkung verbundene Erhöhung der Mehrwertsteuer war notwendig, um das Ziel des Abbaus des Staatsdefizits zu erreichen (das ja bereits ein hohes Niveau erreicht hatte); sie kollidierte aber mit dem Ziel, die Inflationsrate zu senken, da die Mehrwertsteuer auf die Konsumgüterpreise überwälzt wurde, so daß die Inflationsrate zunächst anstieg — im Jahresdurchschnitt 1980 betrug sie immerhin 18% und erreichte erst 1982 wieder den Wert, den sie vor dem Regierungsantritt von Mrs. Thatcher hatte.
Hinter diesem Programm standen zwei Grundideen: Erstens die für den Monetarismus zentrale These, daß die Geldmenge die Inflationsrate bestimmt und daß Inflation ein kontinuierliches und zufriedenstellendes Wirtschaftswachstum verhindert, und zweitens die Idee, daß das Zurückbleiben Großbritanniens in der Nachkriegszeit hinter allen anderen westlichen Industriestaaten etwas mit dem großen Umfang des öffentlichen Sektors und der Belastung der Privatwirtschaft durch hohe Abgaben sowie der ungünstigen Gewerkschaftsstruktur und -politik zu tun haben müsse.
Die neue britische Regierung betonte von Anfang an, daß ihre neue wirtschaftspolitische Konzeption als ein mittelfristiges Programm zu betrachten sei und daß die damit angestrebte Umstrukturierung der britischen Volkswirtschaft zunächst erhebliche Probleme mit sich bringen werde, so daß die Segnungen des neuen Kurses erst nach Ablauf einiger Jahre voll zum Ausdruck kommen könnten.
Eine entsprechende Wende in der wirtschaftspolitischen Konzeption erfolgte ein Jahr später auch in den Vereinigten Staaten mit dem Amtsantritt von Präsident Reagan, obwohl das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in den USA wesentlich höher war als in Großbritannien und höher als in vielen anderen Industriestaaten. Allerdings war die Inflationsrate ziemlich hoch (1980: 13, 5%) und ansteigend; die Arbeitslosenquote war ebenfalls größer als in anderen Industriestaaten, und zwar schon seit langem.
Auch in den USA wurde eine Kombination aus Monetarismus und Angebotspolitik verwirklicht, wobei die angebotspolitische Komponente wesentlich stärker betont wurde und auch im Programm deutlicher zum Ausdruck kam, was sich vor allem in der stärkeren Senkung der Einkommenssteuersätze niederschlug. Da das Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte sehr gering war, brauchte die neue Regierung keine Erhöhung der indirekten Steuern zum Ausgleich dieser Verringerung der Einkommensteuer, sondern meinte, sie könne den Haushalt allein durch die geplante Kürzung der Staatsausgaben, insbesondere im sozialen Bereich, ausgleichen. Sie erwartete dies vor allen Dingen deshalb, weil sie im Gegensatz zu Großbritannien mit einer sofortigen Wachstumsbeschleunigung durch ihre angebotspolitischen Maßnahmen rechnete und daher — trotz der Steuersatz-senkungen — von dem steigenden Einkommen insgesamt steigende Steuereinnahmen erhoffte. Präsident Reagan versprach aufgrund dieser Erwartungen das Defizit des Bundeshaushalts bis 1984 völlig zu beseitigen. Deutlicher als in Großbritannien (und auch unverhohlener) wurde in den USA von den Anhängern der neuen Politik darauf hingewiesen, daß eine relative Besserstellung der gut Verdienenden und Wohlhabenden nötig sei, damit diese bei höherem verfügbaren Einkommen mehr Investitionsbereitschaft und mehr Mut zum Risiko zeigten, während ein Abbau der Sozialleistungen dazu beitragen sollte, daß die Arbeitnehmer sich gezwungen sähen, mehr zu arbeiten und mehr zu leisten, statt es sich — um es salopp auszudrücken — in der sozialen Hängematte gemütlich zu machen. Diesem Ziel entsprach die lineare Kürzung aller Einkommensteuersätze um 25% (in drei Schritten vom 1. Oktober 1981 bis 1. Juli 1983 verwirklicht) und die Abschaffung der höheren Steuersätze auf Vermögenseinkommen bei gleichzeitigem Abbau von Sozialleistungen.
III. Ausführung und Auswirkung der neuen wirtschaftspolitischen Konzeption
Abbildung 9
Tabelle 3: — Abgabenquote (Steuern und Sozialabgaben in % des BSP) -Großbritannien USA Bundesrepublik Deutschland Großbritannien USA Bundesrepublik Deutschland 41, 7 3, 7 1. 0 2, 5 33, 9 31, 5 42, 5 4, 2 0, 0 2, 5 34, 7 31, 6 42, 1 3, 2 -0, 6 2, 7 36, 2 31, 9 42, 3 — Kreditaufnahme (Staatsdefizit) in % des BSP — 3, 6 1. 2 3, 1 38, 1 32, 4 42, 4 2, 8 0, 9 3, 9 39, 0 31, 6 42, 5 2, 1 3, 8 3, 5 38, 1a) 31, 2a) 42, 2 2, 5 b) 4 b) 3, 0 Steuer-und Abgabenaufkommen sowie Kreditaufnahme aller öffentlichen Haushaltﯵǘ
Tabelle 3: — Abgabenquote (Steuern und Sozialabgaben in % des BSP) -Großbritannien USA Bundesrepublik Deutschland Großbritannien USA Bundesrepublik Deutschland 41, 7 3, 7 1. 0 2, 5 33, 9 31, 5 42, 5 4, 2 0, 0 2, 5 34, 7 31, 6 42, 1 3, 2 -0, 6 2, 7 36, 2 31, 9 42, 3 — Kreditaufnahme (Staatsdefizit) in % des BSP — 3, 6 1. 2 3, 1 38, 1 32, 4 42, 4 2, 8 0, 9 3, 9 39, 0 31, 6 42, 5 2, 1 3, 8 3, 5 38, 1a) 31, 2a) 42, 2 2, 5 b) 4 b) 3, 0 Steuer-und Abgabenaufkommen sowie Kreditaufnahme aller öffentlichen Haushaltﯵǘ
Der monetaristische Teil der neuen Wirtschaftspolitik zielte in beiden Ländern auf die nach Ansicht ihrer Anhänger zu hohe Inflationsrate, die durch eine entsprechende Steuerung der Geldmenge und Reduzierung des Geldmengenwachstums auf ein vertretbares Niveau gedrückt werden sollte. Wie Tabelle 1 zeigt, sind die Inflationsraten tatsächlich gesunken, wenn auch verzögert und verbunden mit erheblichen Einbußen an Produktion und Beschäftigung.
In den USA hatte die Inflationsrate im Wahljahr (1980) einen deutlich ansteigenden Trend, der rasch umgekehrt wurde, so daß schon knapp zwei Jahre nach Regierungsantritt die Inflationsrate unter das Niveau der Jahre 1973 bis 1979 gedrückt wurde und jetzt einen sehr niedrigen Stand erreicht hat. Anders das Bild in Großbritannien: Dort hatte die Labour-Regierung im Jahr 1978 die Inflationsrate von dem sehr hohen Niveau der Jahre 1974— 77 bereits auf 8, 3% heruntergedrückt, als die neue Regierung sie durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer wieder hinaufschnellen ließ; erst 1982 erreichte die Inflationsrate wieder das Niveau von 1978. Im Jahre 1983 gelang dann die gewünschte Reduktion der Inflationsrate auf ein für die britische Nachkriegs-geschichte beachtlich niedriges Niveau.
Nach monetaristischer Theorie müßte sich diese, insbesondere in Großbritannien unbefriedigende Entwicklung der Inflationsrate auf eine entsprechende Entwicklung der Geldmenge zurückführen lassen. Die untere Hälfte der Tabelle 1 zeigt nun, daß in der Tat in Großbritannien die Regierung die vorgesehene Reduzierung des Geldmengenwachstums nicht durchgesetzt hat. In ihrer Vierjahresstrategie vom März 1980, die zusammen mit dem Budget des Haushaltsjahrs 1980/81 (jeweils 1. 4. bis 31. 3.) vorgelegt wurde, wurden die folgenden Zielgrößen festgelegt: Die Geldmenge (Sterling M 3) sollte 1980/81 um 7 bis 11 % wachsen, und dieser Zielkorridor sollte in den folgenden drei Jahren jeweils um 1% niedriger sein, so daß 1983/84 nur noch ein Anstieg der Geldmenge von 4 bis 8% vorgesehen war. Die tatsächliche Zunahme der Geldmenge war dagegen wesentlich höher, insbesondere im ersten Haushaltsjahr nach Verkündung dieser Vierjahresstrategie (18% statt höchstens 11%), aber auch in den folgenden Jahren gelang es nicht, das Geldmengenwachstum in der geplanten Weise einzuschränken.
Dieser Zusammenhang scheint die monetaristische These zu stützen. Es ist jedoch zu bedenken, daß Geldmengen-und Preiserhöhungen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen; denn die Entwicklung der Geldmenge hängt vor allem davon ab, welche Kredite das Bankensystem insgesamt an Staat und Private gewährt, und ist damit von der Kreditnachfrage des öffentlichen und privaten Sektors abhängig.
Die Kreditnachfrage des Staates ist mithin nur einer von mehreren Einflußfaktoren und für das Wachstum der Geldmenge keineswegs ausschlaggebend. Dies gilt auch für Großbritannien: Dort gab es z. B. 1971 einen Überschuß der öffentlichen Haushalte (von 0, 8 Mrd. £); im Laufe des gleichen Jahres stieg die Geldmenge M 3 um 12, 9%. Im nächsten Jahr gab es ein Defizit von 0, 8 Mrd. £; trotzdem stieg die Geldmenge etwas langsamer (12, 4%). 1979 stieg die Geldmenge ebenfalls um 121/2%, obwohl das Staatsdefizit fast sechsmal so groß war (6, 3 Mrd. £). Im Jahr davor war es sogar noch etwas höher (7, 0
Mrd. £), die Geldmenge stieg aber etwas langsamer. Die Nachfrage nach Krediten wird nun ihrerseits sehr stark von der Inflationsrate bestimmt, weil ein höheres Preisniveau höhere Kreditsummen für die geplanten Geschäfte oder zur Abdeckung von Liquiditätsengpässen erforderlich macht. Letztere traten in Großbritannien in dieser Zeit verstärkt auf, weil die neue Politik zu einem drastischen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit führte, statt die erhoffte Wiederbelebung der Volkswirtschaft zu bringen. Hätte die Regierung versucht, gegen die insbesondere durch die Steuerumschichtung bewirkte Beschleunigung der Inflation mit einer restriktiveren Geldpolitik vorzugehen, hätte sie die Zinssätze stark in die Höhe, viele Unternehmen zum Unterlassen von Investitionen, manche sogar in die Zahlungsunfähigkeit getrieben und hätte die Wirtschaft in eine noch tiefere Rezession gestürzt.
In den USA war, wie schon angeführt, die Entwicklung der Inflationsrate wesentlich günstiger. Dazu trug maßgeblich bei, daß die amerikanische Notenbank bis Sommer 1982 eine restriktive Geldpolitik durchgehalten hat, die in den niedrigen Zuwachsraten der Geldmenge in den Jahren 1980 bis 1982 abzulesen ist und die ganz entscheidend das hohe amerikanische Zinsniveau verursachte. Erst im Herbst 1982, als die Inflationsrate deutlich gesunken war, lockerte die US-Notenbank ihren restriktiven Kurs und ließ die Geldmenge wesentlich rascher wachsen. Diese Datierungen, die in den Jahreszuwachsraten nicht deutlich zum Ausdruck kommen, muß man kennen, um die Auswirkungen der neuen Wirtschaftspolitik auf das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung richtig beurteilen zu können. Das wirtschaftliche Wachstum wird in Tabelle 2 anhand des realen Bruttosozialprodukts wiedergegeben, die Beschäftigung durch die Veränderung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und außerdem durch die Arbeitslosenquote; letztere ist jedoch von geringerer Aussagefähigkeit, weil die Zahl der Arbeitslosen auch von demographischen Faktoren abhängig ist und ihre statistische Erfassung erheblich von Definitionsfragen und administrativen Problemen beeinflußt wird.
Die auf ganze Jahre bezogenen Zuwachsraten der Tabelle 2 zeigen nur ungenau, was bei Betrachtung der Monatszahlen ganz deutlich wird, daß nämlich in beiden betrachteten Staaten der Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik die vorangegangene Aufwärtsentwicklung unterbrach (in den USA war der Wachstumseinbruch von Mitte 1980 am Jahresende bereits wieder ausgeglichen) und einen Rückgang der Produktion einleitete, der in Großbritannien besonders deutlich ausfiel und dort auch mit einem deutlichen Rückgang der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer verbunden war.
Die Produktionseinbußen konzentrierten sich in Großbritannien vor allen Dingen auf das verarbeitende Gewerbe; für diesen Bereich sank der Produktionsindex von seinem Höchststand im 2. Quartal 1979, in dem die Regierung Thatcher begann, binnen zwei Jahren um fast 18%. Danach stagnierte der Index und erhöhte sich in den anschließenden zwei Jahren nur um 2%. Der Rückgang der britischen Industrieproduktion war auch außen-wirtschaftlich bedingt: Die versuchte, wenn auch nur zum Teil durchgesetzte restriktive Geldpolitik sowie die zunehmende Förderung und Ausfuhr des Nordsee-Öls führten zu einer erheblichen Aufwertung des Pfundes, wodurch sich die englischen Exporte verteuerten und die Importe entsprechend verbilligten. Daher fiel die englische Industrie in ihrer Konkurrenzfähigkeit weiter zurück und mußte erhebliche Einbußen gegenüber der ausländischen Konkurrenz erleiden. Diese außenwirtschaftlichen Zusammenhänge beschleunigten die Talfahrt der britischen Wirtschaft, wurden jedoch von der Regierung als eine Unterstützung im Kampf gegen die Inflation begrüßt. Diese Haltung zeigt das Vertrauen in die mittel-und langfristige Wirkung der neuen Wirtschaftspolitik, zu der im folgenden noch etwas zu sagen sein wird.
In den USA begann der Rückschlag erst mit Verzögerung im Spätsommer 1981 und war kürzer. Daher fiel das Sozialprodukt nur 1982, und die Arbeitnehmerzahlen sanken weniger und für kürzere Zeit. Während der bisherigen Amtszeit von Reagan änderte sich die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer kaum; bei stark wachsender Erwerbsbevölkerung führte dies zu einer kräftigen Zunahme der Arbeitslosigkeit (die Arbeitslosenquote stieg von 7, 1% vor Reagans Amtsantritt auf 10, 0% in 1983).
In beiden Ländern überwogen insgesamt die negativen Auswirkungen der neuen Wirtschaftspolitik ganz deutlich die erhofften positiven Anreize der angebotsorientierten Maßnahmen. Eine wichtige Ursache dafür ist die hohe Durchschlagskraft einer restriktiven Geldpolitik: Obwohl in den USA die öffentlichen Haushalte schon vorher stark expansiv waren, erhöhte sich das Sozialprodukt erst ab Herbst 1982, als die Geldpolitik gelockert wurde. Und in Großbritannien hat offenbar schon die Ankündigung einer restriktiven Geldpolitik durch ihren Einfluß auf die Absatz-, Zins-und Wechselkurserwartungen zum Rückgang von Produktion und Beschäftigung beigetragen.
Ein Teil der erhofften positiven Wirkungen der Angebotspolitik sollte von der Verringerung des Staatssektors und des Staatsdefizits kommen. Die Belastung der Privatwirtschaft durch Steuern und Sozialabgaben läßt sich am einfachsten an der Abgabenquote ablesen (siehe Tab. 3). Gleichzeitig ist dort auch das Staatsdefizit in Prozent des Bruttosozialprodukts angegeben. Aus der Sicht der neuen angebots-und monetaristisch orientierten Wirtschaftspolitik stellt das Staatsdefizit ebenfalls eine Belastung dar, weil seine Finanzierung die inländischen Kapitalmärkte beanspruche und weil es hohe Inflationserwartungen hervorrufe. Betrachtet man dagegen das Staatsdefizit im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang, so spiegelt es den Teil der staatlichen Nachfrage nach Gütern und Diensten wider, der nicht durch Steuern finanziert wird, also weder Haushalte noch Unternehmen mit Abgaben belastet, deren verfügbares Einkommen also nicht vermindert und daher auch nicht deren Nachfrage aus diesem Einkommen.
Aus Tabelle 3 ist ersichtlich, daß die Abgabenquote in den USA praktisch konstant geblieben ist, während sie in Großbritannien ganz im Gegensatz zu den Absichten der Regierung ständig zugenommen hat. In den USA haben sich mithin die nicht durch Abgaben finanzierten öffentlichen Ausgaben in einem steigenden Staatsdefizit, absolut und im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt, niedergeschlagen; die Höhe dieses Defizits ist seit 1982 aus der internationalen Diskussion nicht mehr wegzudenken. Diese zusätzlichen kreditfinanzierten Staatsausgaben stellen im Wirtschaftskreislauf einen erheblichen stimulierenden Faktor dar, der 1982 noch durch die restriktive Geldpolitik überkompensiert wurde, im Jahre 1983 aber bei großzügigerer Geldpolitik zu einer entsprechenden Erhöhung von Produktion und Beschäftigung führte. Der Bundeshaushalt ist dem Zugriff der neuen Regierung besonders stark und direkt ausgesetzt: Von 1980 bis 1982 stiegen gemäß den politischen Zielsetzungen die Verteidigungsausgaben um 48 Mrd. $und damit um 37%. Allerdings stiegen trotz aller Bemühungen um deren Einschränkung die Transfer-zahlungen absolut noch stärker (70 Mrd-$), prozentual allerdings deutlich weniger (+ 28%). Die stärkste prozentuale Ausdeh-nung erfuhren die Netto-Zinszahlungen (4-59%); die Gesamtausgaben stiegen um 27%.
Ganz anders verlief die Entwicklung in Großbritannien. Die Regierung Thatcher strebte beharrlich nach einer Verringerung des Staatsdefizits; sie gelang ihr 1981 und 1982, nachdem 1980 erst einmal eine Erhöhung gebracht hatte. 1983 hat sich das Defizit allerdings wieder erhöht. Der zunehmende Anteil der Staatsausgaben am Sozialprodukt mußte durch eine entsprechende, sehr deutliche Erhöhung der Abgabenquote finanziert werden. Diese Entwicklung war keineswegs beabsichtigt; es gelang jedoch auch in Großbritannien nicht, das Wachstum der Staatsausgaben wenigstens auf das Wachstum des Bruttosozialprodukts in jeweiligen Preisen zu begrenzen. An der Ausgabensteigerung waren in Großbritannien die einzelnen Ausgabengruppen gleichmäßiger beteiligt als in den USA. Nur die öffentlichen Investitionen zeigen eine atypische Entwicklung: Während die gesamten öffentlichen Ausgaben (Gebietskörperschaften und Sozialversicherung) von 1979 bis 1982 um 56% ansteigen, fallen diese um 11 Prozent! Der Rückgang von Produktion und Erwerbstätigkeit verschärfte die steuerliche Situation weiter, da die verbleibenden Erwerbstätigen (sowie Vermögensbesitzer) die steigende Abgaben-und Steuerlast zu tragen haben, so daß von hier aus eine weitere Belastung (statt der erhofften Entlastung) der privaten wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgte.
Bestandteil der neuen Konzeption ist in beiden Ländern auch eine Einschränkung der Macht der Gewerkschaften, um mehr Platz für Gewinne und Investitionen zu schaffen und um die Wettbewerbskraft zu stärken. Auch will man damit erreichen, daß die Gewerkschaften die Bekämpfung der Inflation nicht durch fortdauernde hohe Lohnforderungen erschweren, sondern sich bei der Forderung nach einem Inflationsausgleich mit einem Ausgleich der künftig niedrigeren Inflationsraten begnügen, statt einen Ausgleich der bisherigen hohen Inflationsraten zu fordern. Daneben wurde eine weitere Verbesserung der Angebotsbedingungen dadurch erhofft, daß der Anstieg der Lohnkosten unter dem Anstieg der Preise gehalten werden könnte, so daß sich die Gewinnsituation der Unternehmer verbessert.
Tabelle 4 zeigt, daß eine entsprechende Verbesserung der Angebotsbedingungen in Großbritannien in den letzten drei Jahren gelungen ist: Der Preis einer Einheit realen Bruttosozialprodukts stieg deutlich rascher als die Lohnkosten je Einheit realen BSP. Die Arbeitnehmer wurden mithin am Produktivitätsfortschritt nur wenig (wenn überhaupt) beteiligt; dieser floß den Unternehmern und dem Staat zu. Die Verbesserung der Angebotsbedingungen mag dazu beigetragen haben, daß in den beiden letzten Jahren das reale Sozialprodukt etwas angestiegen ist, wenn auch so wenig, daß die Beschäftigung weiter zurückging. Allerdings bedeuten niedrige Lohnsteigerungen nicht nur niedrige Lohnkostensteigerung, sondern auch einen geringeren Anstieg des Arbeitnehmereinkommens, das wiederum für die Entwicklung des privaten Konsums eine bedeutende Rolle spielt. Darauf ist im nächsten Abschnitt noch zurückzukommen.
In den USA erfolgte die Bekämpfung der Inflation so zielstrebig und war immerhin so erfolgreich, daß die Lohnkostenentwicklung 1982 mit dem Rückgang der Inflationsrate nicht Schritt hielt. Daher blieben die Lohnkosten nur 1981 und 1983 hinter der Entwicklung der Preise zurück; 1982 dagegen stiegen sie rascher. Diese Verbesserung der Angebotsbedingungen war daher nicht so deutlich wie in Großbritannien.
Die Verbesserung der Angebotsbedingungen, die als Voraussetzung für eine erhöhte Investitionstätigkeit gesehen wurde, sollte jedoch nicht nur von der Entwicklung der Bruttoeinkommen, also der Einkommen vor Steuerabzug kommen (für die Unternehmen ergibt sich die Kostenbelastung aus der Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter), vielmehr sollte auch die Umverteilung der Steuer-und Abgabenlasten von den höher Verdienenden zu den Beziehern niedriger Einkommen, insbesondere aus Arbeit, dazu beitragen. Leider verhindern es die Lücken im statistischen Material, genau anzugeben, wie sehr sich die Verteilung der Nettoeinkommen durch die vielfältigen Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet der Steuersenkungen, Abschreibungserleichterungen und Erhöhung der Sozialabgaben, auf die Einkommenslage der verschiedenen Gruppen ausgewirkt hat. Dessen-ungeachtet läßt sich feststellen, daß in beiden Staaten die Nachfrage kaum von den privaten Investitionen gestützt wurde, sondern ausgerechnet vom privaten Konsum und den Ausgaben des Staates für Güter und Dienste. Da die Rezession in beiden Ländern die Brutto-gewinne, wie zu erwarten, stark beeinträchtigte (in den USA besonders im Jahre 1982), konnte die Umverteilung der Steuerbelastungen den gewünschten Effekt nicht erreichen, zu einer nachhaltigen Belebung der privaten Investitionstätigkeit und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu führen. Dies zeigt ganz deutlich Tabelle 5, in der die Entwicklung der genannten drei wichtigsten Nachfragekomponenten anhand ihres Anteils am Bruttosozialprodukt dargestellt ist.
In den USA ist der Rückgang der privaten Investitionstätigkeit und die Zunahme des privaten Konsums wesentlich ausgeprägter als in Großbritannien, wo die privaten Investitionen nach dem Tiefstand 1981 wieder einen etwas höheren Anteil erreicht haben.
Die privaten Haushalte haben also durch ihr Konsumverhalten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nachhaltig gestützt. Dies geschah auf Kosten ihrer Sparquote. So stieg in Großbritannien der private Konsum von 1979 bis 1982 um 0, 7%, obwohl das verfügbare Einkommen sämtlicher privater Haushalte (also nach Abzug von Steuern und Abgaben) sich im Verlauf dieser vier Jahre um 1, 7% vermindert hat. Dieser Prozeß des zunehmenden Konsums aus einem sinkenden oder stagnierenden Einkommen hat sich auch 1983 fortgesetzt. Dementsprechend ist die Sparquote gefallen, in Großbritannien von 12, 9% im Jahre 1979 auf 10, 8% im Jahre 1982, und für 1983 ist ein weiterer Rückgang der Sparquote zu erwarten.
In den USA stieg der Anteil der Konsumausgaben am Bruttosozialprodukt deutlich an, weil das persönlich verfügbare Einkommen der privaten Haushalte rascher stieg als das Bruttosozialprodukt, wozu die Steuersenkun-gen beigetragen haben dürften, und weil die Haushalte von diesem Einkommen einen größeren Teil konsumierten.
IV. Ergebnis der neuen Wirtschaftspolitik
Abbildung 10
Tabelle 4: •— Anstieg der Lohnkosten je Einheit realen BSP — Großbritannien USA Bundesrepublik Deutschland Großbritannien e)
Die voranstehenden Darlegungen haben gezeigt, daß die neue Wirtschaftspolitik ihr Ziel erreicht hat, die Inflationsrate zu senken — in Großbritannien allerdings nur mit großer Verzögerung. Der restriktivere Teil dieser Strategie wurde also gewissermaßen erreicht, aber die erhofften positiven Auswirkungen der angebotsorientierten Maßnahmen zur Verbesserung der „Rahmenbedingungen" für private Investitionen sind ausgeblieben. Es konnte sogar ein Rückgang der Investitionen und allgemein des Bruttosozialprodukts und der Beschäftigung nicht verhindert werden. Eine Wendung zum Positiven hat sich erst in jüngster Zeit ergeben, wobei die günstigere Entwicklung (in Großbritannien geht die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer immer noch zurück) ausgerechnet den beiden Nachfrage-komponenten zu verdanken ist, die in der angebotsorientierten und monetaristisch untermauerten neuen Wirtschaftspolitik keine Rolle spielen (sollen), nämlich dem privaten Verbrauch und der staatlichen Nachfrage.
V. Übertragbarkeit der neuen Wirtschaftspolitik auf die Bundesrepublik Deutschland?
Vor einer Untersuchung, ob man die neuen wirtschaftspolitischen Konzeptionen der USA und Großbritanniens auf die westdeutsche Wirtschaftspolitik übertragen sollte und was man aus den Erfahrungen mit dieser Politik für Schlüsse ziehen kann, muß man die Frage stellen, inwieweit Elemente dieser neuen wirtschaftspolitischen Konzeptionen bereits in die westdeutsche Wirtschaftspolitik Eingang gefunden haben. Dazu ist daran zu erinnern, daß auch in Deutschland monetaristische und angebotsorientierte Gedanken in der Wirtschaftstheorie und bei wirtschaftspolitischen Beratern Fuß gefaßt hatten, und daß im Herbst 1980 von der Regierung Schmidt/Genscher unmittelbar nach der gewonnenen Bundestagswahl auch offiziell eine veränderte Gewichtung der wirtschaftspolitischen Ziele angekündigt wurde. Während vor der Wahl und insbesondere im Wahlkampf der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die Kreditaufnahme des Bundes’ zur Bekämpfung der hohen und steigenden. Arbeitslosigkeit verteidigte und sagte, er würde in einer entsprechenden Situation diese Verschuldung des Bundes erneut in Kauf nehmen, wurde nach der Wahl dem Ziel der Verringerung des Defizits der öffentlichen Haushalte eine hohe Priorität eingeräumt und damit allen Vorschlägen für eine aktive, mit staatlichen Ausgaben verbundene Beschäftigungspolitik eine Absage erteilt. Gleichzeitig verschärfte die Bundesbank, wie ein Blick auf Tabelle 1 zeigt, die Bekämpfung der Inflation durch eine sehr restriktive Geldpolitik, die in der niedrigeren Zuwachsrate der Zentralbank-geldmenge im Jahre 1981 zum Ausdruck kommt. In jenem Jahr war die Bundesbank gleichzeitig bemüht, die Abwertung der DM in Grenzen zu halten. Auch diese Politik diente der Abwehr von Inflationsgefahren, weil eine Abwertung stets mit einer Verteuerung der Einfuhren verbunden ist und von daher einen Inflationsschub aus dem Ausland bedeutet. Wie in den USA dauerte es ca. zwei Jahre, bis die Inflationsrate deutlich unter das Ausgangsniveau gedrückt werden konnte.
Analog der Entwicklung in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien schrumpfte infolge dieser Politik das Bruttosozialprodukt, und die Zahl der Beschäftigten ging zurück. Das Ausmaß dieses Rückganges wird durch absolute Zahlen deutlicher als durch die Veränderungsraten in Tabelle 2. So gingen in der bundesdeutschen Wirtschaft von November 1980 (dem Höchststand der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer) bis zum November 1983 mehr als eine Million Arbeitsplätze für abhängig Beschäftigte verloren (nämlich 1, 1 Mio.), wobei dieser Rückgang erst im Jahre 1983 ein Ende genommen hat (nach Saisonbereinigung). Dieser Rückgang ist insbesondere wegen der zunehmenden Zahl von arbeit-suchenden Jugendlichen sehr gravierend, auch wenn er nicht die Ausmaße der Beschäf29 tigungsverluste in Großbritannien erreicht, wo seit dem II. Quartal 1979 (Regierungsantritt Margaret Thatcher) mehr als 2 Millionen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben, und der Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze noch nicht gestoppt werden konnte. Nur in den USA wurden seit dem wirtschaftspolitischen Kurswechsel insgesamt nicht weniger, sondern etwas mehr Arbeitnehmer beschäftigt (der Rückgang in 1982 war nur vorübergehend), aber die Arbeitslosenquote stieg dennoch deutlich an. Man sieht in Tabelle 2, daß in allen drei Ländern der Anteil der Arbeitnehmer, die Arbeit suchen, aber nicht finden, deutlich gestiegen ist, wobei die Ausgangssituation in der Bundesrepublik Deutschland am günstigsten war und der Anstieg in den USA am niedrigsten.
Es läßt sich nicht beweisen, ob die Ankündigung der Bundesregierung vom Herbst 1980, man wolle sich verstärkt um eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und um einen Abbau der laufenden Neuverschuldung bemühen, zu dem Rückgang des Sozialprodukts im Jahre 1981 beigetragen hat; denn die wirtschaftliche Entwicklung dieses Jahres wurde entscheidend von der restriktiven Geldpolitik geprägt. Es gibt jedoch mindestens zwei Gründe, hier eine negative Reaktion zu vermuten: Erstens dürften sich bei allen Unternehmen, die direkt oder indirekt aufgrund staatlicher Aufträge produziert haben, nach einer Ankündigung von Haushalts-einsparungen die Absatzerwartungen verschlechtern. Zweitens könnten sich Investoren, die von einer Verringerung der Kreditaufnahme der öffentlichen Haushalte eine Zinssenkung erwarteten, veranlaßt sehen, ihre Investitionen eher zu verschieben, um zu einem späteren Zeitpunkt von den günstigeren Finanzierungsbedingungen profitieren zu könnnen. Jedenfalls zeigt ein Blick auf Tabelle 5, daß die privaten Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland 1981 und auch noch 1982 zurückfielen und daß erst 1983 eine deutliche Verbesserung zu beobachten ist, ohne daß die privaten Investitionen bereits wieder dem Anteil am Bruttosozialprodukt erreicht haben, den sie 1979 und 1980 hatten.
Die eingeleiteten Konsolidierungsbemühungen waren im Jahre 1981 und 1982 ohne Erfolg; ganz im Gegenteil stieg der Anteil kreditfinanzierter Staatsausgaben am Sozialprodukt an (bei rückläufigem Sozialprodukt), während die Abgabenquote ungefähr konstant gehalten werden konnte. Die verstärkten Konsolidierungsbeschlüsse und -bemühungen der neuen Regierung, die seit Herbst 1982 amtiert, führten dazu, daß 1983 die Kreditaufnahmen aller Gebietskörperschaften sowie der Sozialversicherungen zusammengenommen wieder — bezogen auf das Bruttosozialprodukt — das gleiche Niveau wie 1980 erreicht haben. Allerdings war, wie schon erwähnt, diese Entwicklung mit einer erheblichen Verschärfung der Lage auf dem Arbeitsmarkt und einer drastischen Steigerung der Arbeitslosenzahlen verbunden.
Die Forderungen nach einer Verbesserung der „Rahmenbedingungen" für die Unternehmen führte auch in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Umschichtung der Steuer-und Abgabenbelastung von den Unternehmen zu den Privathaushalten, allerdings in einem geringeren Umfange als in den USA und in Großbritannien. Immerhin beziffert der Sachverständigenrat für 1983 die Steuererleichterungen für den Unternehmenssektor auf netto rund 3 Milliarden DM, wobei sich dieser Betrag bis 1985 vermutlich mehr als verdreifachen wird. Die privaten Haushalte hatten dagegen 1983 höhere Steuern zu tragen, schon wegen der Progression bei der Lohn-und Einkommensteuer. Außerdem wurden 1983 einige Verbrauchssteuern angehoben, insbesondere die Tabaksteuer, und vor allem die Mehrwertsteuersätze zum l. Juli 1983 erhöht. Nicht unerheblich ist auch der Wegfall des Kinderbetreuungskostenbetrages von 1 200, — DM je Kind ab 1983. Außerdem werden zusätzlich die Haushalte belastet, die von den Leistungen der Sozialversicherung abhängig sind. Ins Gewicht fällt hier die Einschränkung von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (Einsparung jährlich ca. 3 Milliarden DM), die Verschiebung der Rentenanpassung um sechs Monate (jährliche Einsparung 4, 2 Milliarden DM) und die Einschränkung von Leistungen der Krankenversicherung sowie, vor allem ab 1984, die Beteiligung der Rentner am Krankenversicherungsbetrag (Mehrbelastung 4, 5 Milliarden DM).
Von den ebenfalls beschlossenen Beitragserhöhungen zur Arbeitslosenversicherung und zur Rentenversicherung sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugleich betroffen.
Diese Maßnahmen führten zu einem höheren Anteil der Netto-Einkommen aus Unternehmenstätigkeit und Vermögen am Netto-Volkseinkommen. Nach einem leichten Rückgang im Jahr 1981 gegenüber dem Satz von 33, 6% 1980 ist dieser Anteil 1983 auf über 36 % gestiegen. Der Anteil der Bruttoeinkommen (also vor Steuerabzug) aus Unternehmer-tätigkeit und Vermögen am Volkseinkommen, der — wie üblich — im Zuge der Rezession 1981 auf 25, 6 % gefallen war, hat dagegen 1983 mit 28, 3 % noch nicht ganz wieder die Höhe des Jahres 1979 erreicht (28, 5 %).
Trotz der Mehrbelastung der privaten Haushalte ist der Anteil des privaten Verbrauchs am Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik Deutschland (hierin mit Großbritannien vergleichbar) praktisch unverändert geblieben. Für ihren in laufenden Preisen zunehmenden, real aber abnehmenden Verbrauch mußten die privaten Haushalte ihre Ersparnisbildung verringern; ihre Sparquote ging — wie in den USA und Großbritannien — zurück. Ähnlich wie in Großbritannien beginnt in der Bundesrepublik die Investitionsquote nach zweijährigem Absinken wieder zu steigen; diese Entwicklung ist von einer günstigen Lohnkostenentwicklung begleitet: Wie in Tabelle 4 zu sehen ist, steigen 1982 und insbesondere 1983 die Lohnkosten wesentlich weniger als der Preis einer Einheit realen Sozial-produkts. Dies war übrigens auch in den Vorjahren der Fall, mit Ausnahme des Jahres 1980.
Es wäre jedoch einseitig, die Zunahme der privaten Investitionen im Jahre 1983 nur den genannten allgemeinen Verbesserungen der „Rahmenbedingungen“ zuzurechnen, zumal die höheren Netto-Gewinne z. T. nur ein Ergebnis der leichten wirtschaftlichen Erholung sind. Wichtiger dürfte sein, daß die Investitionen gezielt in antizyklischer Manier vom Staat steuerlich begünstigt worden sind und daß Kapazitätsauslastung und Absatzerwartungen durch die kräftige Exportsteigerung deutlich zugenommen haben; dabei sind die steigenden Exporte vor allem auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch die Abwertung der DM zurückzuführen.
Bei den steuerlichen Maßnahmen spielen nicht nur Verbesserungen der degressiven Abschreibungen eine Rolle, sondern vor allem die Investitionszulage in Höhe von 10 % für Investitionsgüter und Bauten, die 1982 bestellt wurden und bis zum Ende 1983, im Falle von Gebäuden bis zum Ende 1984, geliefert oder erstellt werden, soweit diese Investitionsausgaben die durchschnittlichen Investitionsausgaben im Zeitraum von 1979 bis 1981 übersteigen. Speziell für den Wohnungsbau wurde mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 für selbstgenutzte Häuser und Eigentumswohnungen, die in den Jahren 1983 bis 1986 neu gebaut werden, ein Schuldzinsenabzug von jährlich bis zu DM 10 000 vom zu versteuerndem Einkommen für 3 Jahre zugelassen. Ein Indiz für die Wirksamkeit dieser speziellen antizyklischen Maßnahmen mag sein, daß die Zahl der fertiggestellten Wohnungen im Bundesgebiet 1983 mit rund 400 000 Einheiten knapp 15% über dem Vorjahresergebnis liegt.
Der vorgenommene Vergleich zwischen den wirtschaftspolitischen Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland und der neuen Wirtschaftspolitik in den USA und Großbritannien zeigt, daß bereits jetzt die dort vertretenen Konzeptionen ein Vorbild für die westdeutsche Wirtschaftspolitik sind, ohne daß diese zu vergleichbar radikalen Maßnahmen gegriffen hat. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob diese Orientierung zu begrüßen oder zu empfehlen ist. Vieles spricht dagegen. An erster Stelle seien die wirtschaftlichen Ergebnisse der neuen Wirtschaftspolitik genannt; sie sprechen auf keinen Fall für diese neuen Konzeptionen; denn fünf Jahre nach ihrer Einführung in Großbritannien und drei Jahre nach ihrer Einführung in den USA sind die positiven Auswirkungen der neuen Politik auf Produktion und Beschäftigung nur Zukunftshoffnungen. Die positiven Zuwachsraten des realen Bruttosozialprodukts in Großbritannien sind mehr eine Korrektur der vorangehenden raschen Talfahrt, als sie den Beginn einer befriedigenden Wiederbelebung der britischen Wirtschaft signalisieren. Es sei nur darauf verwiesen, daß die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer weiterhin rückläufig ist.
In den USA ist die Besserung in jüngster Zeit ziemlich eindeutig den Nachfrage-und Beschäftigungseffekten der hohen, nicht durch Steuern und Abgaben finanzierten Staatsausgaben bei gelockerter Geldpolitik zuzurechnen. Selbst die — bekanntlich stark angebots-orientierte — Mehrheit des Sachverständigenrats konzediert in ihrem letzten Jahresgutachten (1983/84, S. 35), die Aufwärtsbewegung in den USA trage „gewisse Züge eines von fiskalischen Nachfrageimpulsen angetriebenen Aufschwungs" der Konsumgüternachfrage sowie der dadurch induzierten Investitionen. Sie beharrt allerdings darauf, im Mittelpunkt der Erklärung müßten die positiven Auswirkungen der Inflationsbekämpfung sowie das — auch dank höherer Produktivität — gesunkene Kostenniveau stehen.
Zweitens kann die Einstellung der neuen Konzeptionen zur Arbeitslosigkeit kaum ein Vorbild sein: Diese Konzeptionen nehmen Arbeitslosigkeit in Kauf; sie betrachten sie als vorübergehend notwendig und benutzen sie mithin als Mittel zur Erreichung anderer Ziele wie Preisstabilität, Zurückdrängung des öffentlichen Sektors und Erhöhung von Leistungs-und Risikobereitschaft. Eine hohe Massenarbeitslosigkeit hat jedoch bedenkliche wirtschaftliche und soziale Folgen. Insbesondere schafft sie, da sie auch viele Jugendli31 ehe betrifft, erhebliche Probleme bei der Eingliederung der heranwachsenden Jugend in die Gesellschaft und ins Erwerbsleben; es steht zu befürchten, daß gerade bei jungen Menschen nicht Leistungsmotivation, sondern Entmutigung und Abgrenzung von der Leistungsgesellschaft Folge der Arbeitslosigkeit sein werden.
Daher sollte die Ziel-Mittel-Beziehung umgekehrt sein: Der öffentliche Haushalt und die Geldpolitik sollten Mittel sein, um die Ziele „hohe Beschäftigung" und „Abbau der Arbeitslosigkeit" zu erreichen; eine bestimmte, tolerierbare Inflationsrate muß dafür notfalls in Kauf genommen werden, ebenso vorübergehende, nicht dauerhafte Kreditaufnahmen des Staates. Diese erhöhen zwar die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte, aber nicht die Steuer-und Abgabenbelastung der privaten Haushalte und treiben daher auch die Arbeitskräfte nicht in die Schattenwirtschaft.
Desweiteren ist bei einer Übernahme der neuen Konzeptionen zu bedenken, welche sozialen Folgen in kurzer und langer Sicht mit ihr verbunden sein werden. Es dürfte klar sein, daß eine Politik, welche die Gewinnsituation der Unternehmen auf Kosten der Arbeitnehmer, der Rentner und anderer sozial schwacher Gruppen zu verbessern bemüht ist, den sozialen Grundkonsens gefährdet, selbst wenn versprochen wird, daß langfristig alle Mitglieder der Gesellschaft von der durch diesen neuen Kurs (in absehbarer Zeit?) herbeigeführten wirtschaftlichen Erneuerung und Aufwärtsentwicklung profitieren werden. Die Bedrohung des sozialen Grundkonsenses betrifft vor allem das Verhältnis zwischen Unternehmen und Gewerkschaften; dies ist besonders bedenklich in einem Lande, dessen Gewerkschaftsbewegung allgemein und weltweit ein maßvolles, an gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Zielen orientiertes Handeln bescheinigt wird. Man mag sich darüber streiten, ob ein Gewerkschaftssystem wie das britische, das auch die Sonderinteressen einzelner, häufig sehr kleiner Gruppen durch eine historisch gewachsene, aber vielleicht doch falsch verstandene Solidarität sicherte, durch eine massive gegen sie gerichtete Strategie der Regierung zu einer mehr auf das Gesamtinteresse ausgerichteten Politik bewegt werden kann, so daß langfristig die Gesamtgesellschaft von dem vorübergehenden Streit profitiert. Sicherlich aber ist in der Bundesrepublik die Problemlage eine andere. So besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die im internationalen Vergleich sehr niedrige Inflationsrate, um die uns die meisten Industriestaaten beneiden, ohne ein insgesamt gemäßigtes Verhalten der Tarifparteien nicht möglich gewesen wäre.
Ferner ist zu bedenken, daß die mit den neuen Wirtschaftskonzepten einhergehende stärkere Betonung der individualistischen Durchsetzung eigennütziger Ziele tendenziell die ökonomisch Schwachen bedroht, weil diese — im Gegensatz zu den wirtschaftlich Mächtigen — nicht in der Lage sind, ihre Interessen individuell durchzusetzen. Ein Beispiel dafür sind die Arbeitslosen. Der einzelne Arbeitslose könnte zwar bei fehlenden offenen Stellen durch Lohnunterbietung einem anderen Arbeitnehmer den Arbeitsplatz wegnehmen, aber dann ist jener arbeitslos, und der Gesamtheit der Arbeitslosen ist nicht geholfen und auch nicht den Arbeitnehmern, die noch einen Arbeitsplatz haben, aber von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Sie können ihre Lage nur durch gemeinsames, solidarisches Handeln verbessern. So gilt auch hier Friedrich Schillers Satz: „Vereint sind auch die Schwachen mächtig — der Starke ist am mächtigsten allein."
Fehlt es jedoch an Solidarität und setzt sich die von der neuen Wirtschaftskonzeption geförderte Entsolidarisierung zwischen allen Gruppen der Gesellschaft und innerhalb der Gruppen, die zur Wahrung ihrer berechtigten Interessen auf die Gruppensolidarität angewiesen sind, durch, so ist mit einer Verschärfung statt einem Abbau der Gegensätze innerhalb der Gesellschaft zu rechnen. Eine Folge dieser Verschärfung ist z. B. die immer größer werdende Zahl von Menschen, die in den USA unter die Armutsgrenze gedrückt werden, eine andere die wieder zunehmende Benachteiligung der „sozial schwächeren" Frauen im Erwerbsleben.
Schließlich darf nicht vergessen werden, daß die propagierte individualistische Verfolgung eigener Interessen nicht auf das wirtschaftliche Gebiet beschränkt bleiben wird, so daß es immer weniger möglich sein wird, solidarisches Verhalten auf Gebieten zu erreichen, wo dies unerläßlich ist. Zu denken ist dabei z. B. an die Achtung von Recht und Gesetz (einschließlich der Steuergesetze), an den Schutz der Umwelt, an die Einhaltung der Spielregeln — in den internationalen Beziehungen z. B., aber auch im wirtschaftlichen Bereich — und an viele andere Bereiche des menschlichen Zusammenlebens, die nur funktionieren können, wenn der einzelne nicht nur individuell und ohne Rücksicht auf die anderen seine Ziele verfolgt, sondern im Interesse aller zu handeln oder mindestens schädigende Handlungen zu unterlassen bereit ist.
Jürgen Kromphardt, Dr. rer. pol., geb. 1933; seit 1980 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin; von 1958 bis 1968 bei der Kommission der EWG in Brüssel tätig; danach von 1968 bis 1980 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Gießen. . Veröffentlichungen u. a.: Wachstum und Konjunktur-Grundlagen, Göttingen 19772; Methoden der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften (zusammen mit P. Clever und H. Klippert), Wiesbaden 1979; Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, Göttingen 1980; zahlreiche Artikel zu wirtschaftstheoretischen und wirtschaftspolitischen Fragen.