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Die Budgets der Sozialversicherung und die Einführung der 35-Stundenwoche | APuZ 12/1984 | bpb.de

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APuZ 12/1984 Wirtschaftspolitische Optionen gegen strukturelle Arbeitslosigkeit Die neue Wirtschaftspolitik in Großbritannien und den USA Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik — Modell für die Bundesrepublik? Die Budgets der Sozialversicherung und die Einführung der 35-Stundenwoche

Die Budgets der Sozialversicherung und die Einführung der 35-Stundenwoche

Ronald Schettkat

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Von der Einführung der 35-Stundenwoche werden in Abhängigkeit vom vereinbarten Lohnausgleich und den auftretenden Beschäftigungseffekten nicht nur die Einkommen der Arbeitnehmer und die Kosten der Unternehmen betroffen, sondern es treten auch erhebliche Effekte in den öffentlichen Haushalten auf, die in der bisherigen Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung stark vernachlässigt worden sind. Die auftretenden Budgeteffekte in der Sozialversicherung (Arbeitslosen-, Kranken-, Rentenversicherung) und im Staatshaushalt werden zunächst unter Berücksichtigung der Budgetverflechtungen qualitativ analysiert. Nach der qualitativen Analyse werden die Budgeteffekte in den öffentlichen Kassen für die Arbeitszeitverkürzung mit und ohne Lohnausgleich in Abhängigkeit von der Beschäftigungswirksamkeit quantifiziert. Es zeigt sich, daß die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich nur bei Annahme einer unrealistisch hohen Zahl von Neueinstellungen nicht zu Defiziten in den öffentlichen Haushalten führt. Bei der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich sind dagegen schon bei einer geringen Beschäftigungszunahme Überschüsse in der Sozialversicherung und im Staatshaushalt zu erwarten. Die Defizite führen — schließt man eine erhöhte Kreditaufnahme und weitere Leistungsminderungen aus — zur Erhöhung der Beitragssätze. Diese vermindern die Arbeitnehmereinkommen über die mit der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich verbundene Reduzierung hinaus und verstärken den hier zu erwartenden Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich führt zu Überschüssen in den öffentlichen Haushalten und macht somit Beitragssatzsenkungen möglich. Die zum Ausgleich der öffentlichen Haushalte notwendigen Beitragssatzänderungen werden in Abhängigkeit von der Beschäftigungswirksamkeit dargestellt. Abschließend werden unter Einbeziehung weiterer Faktoren und möglicher Rückwirkungen die Erfolgswahrscheinlichkeiten der Arbeitszeitverkürzung mit und ohne Lohnausgleich diskutiert.

Zum Abbau der bestehenden und zur Vermeidung zukünftiger Arbeitslosigkeit wird als beschäftigungspolitische Maßnahme zunehmend die Arbeitszeitverkürzung diskutiert, die auch in den kommenden Tarifverhandlungen von zentraler Bedeutung sein wird. Im Zusammenhang mit der Einführung der 35-Stundenwoche werden zwei Formen des Lohnausgleichs, die die Bandbreite abstecken, erörtert. Zum einen wird die Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich gefordert und zum anderen wird argumentiert, daß eine Arbeitszeitverkürzung allenfalls ohne Lohnausgleich finanzierbar sei. Von der Form des Lohnausgleichs werden aber nicht nur die Einkommen der Arbeitnehmer und die Kosten der Unternehmen betroffen, sondern auch die öffentlichen Finanzen (Sozialversicherung und Staat) werden durch sie unterschiedlich beeinflußt.

Graphik 4:

Änderung der Beitragssätze zur Budgetneutralität in der Sozialversicherung-Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich

Verkürzt ein einzelner Arbeitnehmer seine Arbeitszeit und verzichtet dafür auf einen Teil seines Einkommens, so sinken seine Beiträge zur Sozialversicherung — soweit sein Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenzen liegt bzw. fällt — und seine Steuerschuld. Für die öffentlichen Haushalte ist diese individuelle Arbeitszeitverkürzung unproblematisch, weil die Veränderung der Beiträge eines einzelnen Arbeitnehmers praktisch nicht zu Buche schlägt. Wird jedoch die Arbeitszeitverkürzung für alle Arbeitnehmer unter Einkommensverzicht (ohne Lohnausgleich) durchgeführt, werden die öffentlichen Haushalte empfindlich betroffen; es kommt aufgrund der gesunkenen Lohnsumme zu erheblichen Mindereinnahmen. Diesen Mindereinnahmen stehen jedoch Mehreinnahmen und Einsparungen in den öffentlichen Haushalten gegenüber, wenn aufgrund der Arbeitszeitverkürzung Neueinstellungen erfolgen und die Arbeitslosigkeit zu-1.Die Arbeitslosenversicherung Auf der Ausgabenseite der Arbeitslosenversi- sind im Falle eines positiven Be-

I. Problemaufriß

Staat an Übersicht 1 Die Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung auf die Budgets der öffentlichen Haushalte Arbeitslosenversicherung Krankenversicherung N Rentenversicherung /+ erhöhte Zahl von Beitragszahlern *) — vermindertes Einkommen **) — Bundeszuschuß*) + erhöhte Zahl von Beitragszahlern “)

— vermindertes Einkommen**)

— Überweisungen der Bundesanstalt für Arbeit*) — Überweisungen des Bundes *) 4-erhöhte Zahl von Beitragszahlern *)

— vermindertes Einkommen**)

— Überweisungen der Bundesa︪A

rückgeht. Die Wirkung der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich auf die öffentlichen Haushalte hängt also davon ab, inwieweit die Einsparungen und Mehreinnahmen aufgrund der erhöhten Beschäftigtenzahl die Mindereinnahmen kompensieren können. Wird die Arbeitszeitverkürzung dagegen mit Lohnausgleich durchgeführt, bleiben die Bruttoeinkommen konstant, weshalb auch hier keine Einnahmenminderungen in den öffentlichen Haushalten auftreten können, solange der Beschäftigteneffekt nicht negativ wird.

In den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung können sich unterschiedliche Budget-effekte ergeben, weil die einzelnen Haushalte miteinander verknüpft sind. So überweist z. B. die Arbeitslosenversicherung für die Arbeitslosengeldempfänger Beiträge an die Kranken-und Rentenversicherung und erhält selbst Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Eine Ausgabenminderung in einem Haushalt kann deshalb zugleich eine Einnahmenminderung in einem anderen Haushalt bedeuten.

Die Einführung der 35-Stunden-Woche hat in Abhängigkeit vom vereinbarten Lohnausgleich und den auftretenden Beschäftigungseffekten erhebliche Auswirkungen auf die Budgets der Sozialversicherungen und des Staates, die sowohl zu Defiziten als auch zu Überschüssen führen können. Diese Auswirkungen sind in der bisherigen Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung nahezu völlig vernachlässigt worden und sollen deshalb im folgenden analysiert werden. Die Budgetwirkungen werden mit Hilfe von Modellrechnungen quantifiziert und es werden die Veränderungen der Beitragssätze in Abhängigkeit von der Beschäftigungswirksamkeit aufgezeigt, die zur Budgetneutralität der Arbeitszeitverkürzung in den öffentlichen Haushalten führen.

II. Qualitative Analyse der Budgetwirkungen einer Arbeitszeitverkürzung in den Zweigen der Sozialversicherung

Die Budgetwirkungen der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich 4--14-ArbeitslosenVersicherung Graphik 1: Budgeteffekt in Mrd. DM 12 11 10-1 9 8 7 6 5-32- 0 -1--2--3 -4- 5-6--7--8--9 -10--11--12- 13--15-1617- -18- 19--20 -2122--23 -24--25 -26~ 0, 3 0, 4 0, 5 0, 6 • 0, 7’ Öffentliche Haushalte insgesamt Staat Sozialversicherung 1, 0 Beschäftwirksamkeit Krankenversicherung Rentenversicherung mit Berücksichtigung von § 187 AFG ohne Berücksichtigung von § 187 AFG

schäftigungseffektes Entlastungen zu erwarten, wenn die Zunahme der Beschäftigung die registrierte Arbeitslosigkeit (genauer die Archerung abbaut. Mit dem Rückgang der Zahl der Arbeitslosengeldempfänger vermindern sich gleichzeitig auch die Zahlungen der Arbeitslosenversicherung an die Kranken-und Rentenversicherung. Weitere Einsparungen würden sich bei einem Rückgang der Kurzarbeiterzahlen und bei den aufgrund der entspannteren Arbeitsmarktlage möglicherweise überflüssigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ergeben, die hier jedoch nicht weiter berücksichtigt werden sollen.

Zu Mehreinnahmen kommt es in der Arbeitslosenversicherung bei einem positiven Beschäftigungseffekt infolge der dann gestiegenen Zahl der Beitragsleistenden, soweit die Neubeschäftigten bei der Arbeislosenversicherung beitragspflichtig sind. Allerdings steht diesen, bei einem positiven Beschäftigungseffekt auftretenden, Mehreinnahmen im Falle der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ein Einnahmenrückgang aufgrund des gesunkenen Einkommens der bisherigen Beschäftigten gegenüber.

Zu einer weiteren Minderung der Einnahmen kommt es, wenn der Bund seinen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit (BA) wegen der verbesserten Arbeitsmarktlage zurücknimmt. Nach § 187 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gewährt der Bund der BA einen Zuschuß, wenn die Einnahmen der BA die Ausgaben nicht decken. 2. Die gesetzliche Krankenversicherung In der gesetzlichen Krankenversicherung vermindern sich die Einnahmen aus Überweisungen der Bundesanstalt für Arbeit und des Bundes in dem Maße, wie die Zahl der leistungsberechtigten Arbeitslosen (Arbeitslosengeld-und Arbeitslosenhilfeempfänger) zurückgeht, denn deren Beiträge werden von der BA bzw.dem Bund finanziert. Zu Mehreinnahmen aufgrund eines po Die gesetzliche Krankenversicherung In der gesetzlichen Krankenversicherung vermindern sich die Einnahmen aus Überweisungen der Bundesanstalt für Arbeit und des Bundes in dem Maße, wie die Zahl der leistungsberechtigten Arbeitslosen (Arbeitslosengeld-und Arbeitslosenhilfeempfänger) zurückgeht, denn deren Beiträge werden von der BA bzw.dem Bund finanziert. Zu Mehreinnahmen aufgrund eines positiven Beschäftigungseffektes kommt es deshalb überwiegend nur dann, wenn vorher nicht Versicherte bzw. Familienmitversicherte eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.

Mindereinnahmen bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich treten hier durch die gesunkenen Einkommen der Beschäftigten auf 1), soweit sie unterhalb der Beitragsbe-messungsgrenze liegen bzw. darunter sinken. Bei der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich verändert sich die Bemessungsgrundlage (das Einkommen der Arbeitnehmer) nicht, weshalb hier auch keine Beitragsmindereinnahmen auftreten können, solange der Beschäftigungseffekt nicht negativ wird. Entlastungen auf der Ausgabenseite könnten dann auftreten, wenn, bedingt durch die Arbeitszeitverkürzung, die Krankheitshäufigkeit und -schwere bei den Arbeitnehmern zurückgeht. Diesem möglichen Entlastungseffekt würde dann allerdings auch ein ausgabensteigender Effekt gegenüberstehen, wenn die Krankheitshäufigkeit und -schwere bei den Neubeschäftigten zunimmt. Beide Effekte sind aber ex ante kaum bestimmbar; hier soll deshalb von konstanten Ausgaben ausgegangen werden 2). Die gesetzliche Rentenversicherung Mit den Budgets der Arbeitslosenversicherung und des Bundes ist die Rentenversicherung gleichermaßen verknüpft wie die Krankenversicherung, wenngleich die Beiträge auf einem höheren Niveau liegen. Bei einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich gehen auch hier die Einnahmen proportional zur Einkommensminderung zurück, soweit die Einkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen bzw. sinken 3).

Bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich könnten sich in der Rentenversicherung Entlastungen ergeben, weil aufgrund der Einkommensreduzierung die allgemeine Bemessungsgrundlage und damit auch die Höhe der Rentenzahlungen vermindert wird Die Renten folgen jedoch der Bruttolohnentwicklung mit einem Time-Lag, wodurch zumindest kurzfristig Defizite auftreten würden. Ob allerdings eine Anpassung (Reduzierung) der Renten bei der jetzigen Rentenstruktur durchführbar ist, erscheint zweifelhaft. 1979 lagen rund 70% aller Versichertenrenten in der Arbeiter-und Angestelltenversicherung unter 1 000, — DM, und bei den Witwenrenten waren es sogar rund 90%. Selbst die Versichertenrenten der Männer in der Arbeiterrentenversicherung lagen 1979 zu rund 50% unter dieser Marke Es erscheint politisch kaum durchsetzbar und zumindest für die Be-zieher niedriger Renten unzumutbar, diese zu vermindern, zumal auch aufgrund der demographischen Entwicklung die Zahl der Rentner und damit auch ihr Wählerpotential zunehmen wird. Deshalb soll hier davon ausgegangen werden, daß die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich und die damit einhergehende Einkommensminderung der Beschäftigten zu keinen Veränderungen auf der Ausgabenseite der Rentenversicherung führt. Im Falle der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich ergeben sich auch bei der Rentenversicherung keine Einnahmeminderungen. Zu Einnahmeerhöhungen kommt es, sobald Neueinstellungen erfolgen und damit die Zahl der Beitragspflichtigen ansteigt. 4. Der Staatshaushalt Im Staatshaushalt würden sich bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich aufgrund des progressiven Steuertarifs in jedem Fall Mindereinnahmen ergeben, und zwar auch dann, wenn der volle rechnerische Beschäftigungseffekt eintritt. Entlastungen auf der Ausgabenseite würden sich hier ergeben, wenn infolge eines positiven Beschäftigungseffektes die Zahl der leistungsberechtigten Arbeitslosen und damit die Überweisungen an die Bundesanstalt für Arbeit und die Kranken-und Rentenversicherung zurückgehen würde Weiterhin würden bei Abbau der Arbeitslosigkeit auch die Zahlungen für die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialhilfegesetz zurückgehen Die Wirkungen der Arbeitszeitverkürzung auf den Staatshaushalt sollen hier jedoch nur als Hintergrundinformation dienen und die Auswirkungen in den Zweigen der Sozialversicherung in den Mittelpunkt gerückt werden.

Die Richtung und die Höhe der Budgeteffekte, die aufgrund einer Arbeitszeitverkürzung in den öffentlichen Haushalten auftreten, hängt also zum einen vom Lohnausgleich und zum anderen von der Höhe der Beschäftigungseffekte ab. Die Wirkungsrichtungen der einzelnen, oben analysierten Komponenten der Budgeteffekte sind für die Sozialversicherungszweige und den Staat in Übersicht 1 zusammenfassend dargestellt.

III. Quantifizierung der Budgeteffekte einer Arbeitszeitverkürzung in den Sozialversicherungshaushalten

Graphik 2:

Änderung der Beitragssätze zur Budgetneutralität in der Sozialversicherung -Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich

Die qualitativ analysierten Budgetwirkungen der Arbeiszeitverkürzung in den Sozialversicherungshaushalten und im Staatshaushalt sollen im folgenden mit Hilfe einer Modell-rechnung, die auf den Daten von 1982 basiert, in Abhängigkeit von Lohnausgleich und vom auftretenden Beschäftigungseffekt quantifiziert werden.

Hinsichtlich des Lohnausgleichs werden zwei Varianten unterschieden:

Variante A: Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, d. h. die Wochen-bzw. Monatslöhne und Gehälter vermindern sich proportional zur Arbeitszeit (— 12, 5%). Variante B: Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, d. h. die nominalen Wochen-bzw. Monatslöhne und Gehälter bleiben konstant

Für den mit der Arbeitszeitverkürzung verbundenen Beschäftigungseffekt wurde als unterer Extremwert ein Effekt von Null angesetzt, d. h. es kommt zu keinen Neueinstellungen aufgrund der Arbeitszeitverkürzung (Beschäftigungswirksamkeit gleich Null). Als oberer Extremwert wurde der rechnerische Beschäftigungseffekt angesetzt, der sich aus der Division des ausgefallenen Arbeitsvolumens durch die neue Arbeitszeit ergibt (Beschäftigungswirksamkeit gleich 1). Zwischen diesen Extremwerten liegt eine kontinuierliche Skala der Beschäftigungswirksamkeit. Kommt es zu Neueinstellungen, so ist nicht zu erwarten, daß die registrierte Arbeitslosigkeit in gleicher Höhe reduziert wird. Ein Teil der neuen Beschäftigten wird aus der Stillen Reserve kommen, deren Anteil an den Arbeitslosen insgesamt rund 40% beträgt. Es wurde deshalb in den Rechnungen angenommen, daß die Neueingestellten zu 60% aus der registrierten Arbeitslosigkeit und zu 40% aus der Stillen Reserve kommen. Das heißt, eine Beschäftigungszunahme um 1 000 führt zu einem Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit um 600. Nicht alle registrierten Arbeitslosen erhalten Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe; geht man jedoch davon aus, daß der Abbau der registrierten Arbeitslosigkeit Leistungsbeziehern und Nichtleistungsbeziehern gleichermaßen zugute kommt, so kann für die entsprechenden Zahlungen an die Arbeitslosen und für deren Beiträge an die Kranken-und Rentenversicherung ein Durchschnittswert angesetzt werden 1. Die Budgetwirkungen der Arbeitszeit-verkürzung ohne Lohnausgleich Hier kommt es zunächst in allen analysierten Haushalten zu negativen Budgeteffekten, die um so größer ausfallen, je höher die jeweiligen Beitragssätze sind. Zeigt die Arbeitszeit-verkürzung keine Beschäftigungswirkung (w = O), so bleiben die Defizite in voller Höhe bestehen. Erst wenn es zu Neueinstellungen kommt, vermindern sich die Defizite, allerdings mit unterschiedlichen Raten, wie der Graphik 1 zu entnehmen ist.

Die unterschiedlichen Kurvenverläufe für die Budgetwirkungen bei der Arbeitslosenversicherung ergeben sich aus einer unterschiedlichen Implementation der Verflechtung zwischen Bundeshaushalt und Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Der gestrichelte Kurvenverlauf beschreibt die Budgetwirkungen bei strikter Anwendung des § 187 AFG, wonach Defizite in der Arbeitslosenversicherung durch den Bund zu tragen sind. Hier wurde allerdings angenommen, daß der Bund nicht bereit ist, seine Zuschüsse über das bisherige Niveau hinaus auszudehnen. Sobald aber die Budgetwirkung in der Arbeitslosenversicherung positiv wird, nimmt der Bund seine Zuschüsse solange zurück, bis diese bei Null angelangt sind (horizontaler Bereich der Budgeteffektkurve). Erst wenn dieser Punkt überschritten ist, kommt es zu Überschüssen im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Nach Grahpik 1 liegt dieser Punkt ungefähr bei einer Beschäftigungswirkung (w) von 46%.

Die zweite Budgetkurve für die Arbeitslosenversicherung (durchgezogene Kurve) vernachlässigt § 187 AFG und geht davon aus, daß der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit proportional mit der Arbeitslosenzahl variiert. Diese Kurve lokalisiert die Budgetwirkungen eher dort, wo sie direkt anfallen, setzt aber voraus, daß der Bund auch bereit ist, Zuschüsse an die BA zu zahlen, selbst wenn dort Überschüsse auftreten. Die unterschiedliche Implementation der Budgetverflechtungen schlägt sich auch entsprechend im Staatshaushalt und bei der Sozialversicherung insgesamt nieder (gestrichelte Kurven).

Der im Vergleich zur Kranken-und Rentenversicherung steile Verlauf der Budgetwirkungskurve in der Arbeitslosenversicherung ist auf die hohen Ausgabenminderungen zurückzuführen, die zum Teil Einnahmenminderungen in der Kranken-und Rentenversicherung bedeuten und hier die Steigerung der Budgetwirkungskurve vermindern. Deutlich wird dies insbesondere bei einer Beschäftigungswirksamkeit von mehr als 95%; hier wäre die registrierte Arbeitslosigkeit vollständig abgebaut. Die Budgetwirkungskurven haben an dieser Stelle einen Knick: Die Steigerungen hängen nunmehr nur noch von der Veränderung des Beitragsaufkommens ab.

In der Kranken-und Rentenversicherung würden sich bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich in jedem Falle Defizite ergeben, die auch bei einer Beschäftigungswirksamkeit von 100% noch rund 3, 8 bzw. 5, 6 Mrd. DM betragen. Dem steht allerdings ein Überschuß in der Arbeitslosenversicherung von rund 11 Mrd. DM gegenüber, so daß in der Sozialversicherung insgesamt ein Überschuß von rund 1, 6 Mrd. DM entsteht.

Bezieht man den Staatshaushalt in die Betrachtung mit ein, so zeigt sich, daß die analysierten öffentlichen Haushalte insgesamt erst bei einer Beschäftigungswirksamkeit von 87 % wieder ein ausgeglichenes Budget haben. Die bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich auftretenden Defizite in den öffentlichen Kassen erfordern, schließt man eine erhöhte Kreditaufnahme aus, Anhebungen der Beitragssätze. Je niedriger die Beschäftigungswirksamkeit, desto höher muß die Beitragssatzanhebung ausfallen, um eine Budgetneutralität in den öffentlichen Haushalten zu erreichen. Graphik 2 zeigt die notwendigen Änderungen der Beitragssätze zur Budgetneutralität in der Sozialversicherung. Variiert der Bund seinen'Zuschuß an die Arbeitslosenversicherung mit der Veränderung der Arbeitslosenzahl bzw. mit der Beschäftigungswirksamkeit, so liegen die notwendigen Beitragssatzanhebungen bei einer Beschäftigungswirksamkeit von 10 und 20% über denen, die bei Veränderung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit nach § 187 AFG auftreten. Bei einer Beschäftigungswirksamkeit von 30 % verkehrt sich das Verhältnis, was sich aus den unterschiedlichen Verläufen der Budgetwirkungskurve in Graphik 1 ergibt. Insgesamt zeigt sich jedoch, daß Beitragserhöhungen in der Sozialversicherung bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich nur dann zu vermeiden sind, wenn eine Beschäftigungswirksamkeit von mindestens 95 % eintritt. Bezieht man den Staatshaushalt mit in die Betrachtung ein, so sind Beitragserhöhungen ab einer Beschäftigungswirksamkeit von mindestens 87 % vermeidbar.

Rentenversicherung erhoben werden, ergibt sich hier doch der höchste Überschuß. Dies ist auf die hohen Einsparungen zurückzuführen, die mit einem Abbau der Arbeitslosigkeit verbunden sind. Deutlich wird dies, wie auch bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, an den unterschiedlichen Steigungen der Budgeteffektkurven oberhalb einer Beschäftigungswirksamkeit von 95 %.

Die Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich führt, sobald Beschäftigungseffekte auftreten, zu Überschüssen in den öffentlichen Kassen, die auf unterschiedliche Weise genutzt werden können. Werden diese Überschüsse durch Verminderungen der Beiträge weitergegeben, so ergeben sich in der Sozialversicherung die in Graphik 4 dargestellten Senkungen der Beitragssätze. 2. Die Budgetwirkungen der Arbeitszeit-verkürzung mit Lohnausgleich Wird die Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich eingeführt, bleiben die Wochen-bzw. Monatslöhne und Gehälter konstant und damit auch die Bemessungsgrundlage für die Einnahmen in den öffentlichen Haushalten. Sobald es zu einer Zunahme der Beschäftigung kommt, ergeben sich Überschüsse in den öffentlichen Haushalten.

Das Budget der Arbeitslosenversicherung bleibt bei Anwendung von § 187 AFG bis zu einer Beschäftigungswirksamkeit von rund 30 % (w = 0, 3) unberührt, weil bis zu diesem Punkt die Rücknahme des Bundeszuschusses die sonst aüftretenden Überschüsse kompensieren. Variiert der Bund dagegen seinen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit mit der Arbeitslosenzahl, so ergeben sich auch in der Arbeitslosenversicherung Überschüsse, sobald die Beschäftigtenzahl ansteigt, die Zunahme der Überschüsse im Staatshaushalt fällt entsprechend geringer aus.

Obwohl in der Arbeitslosenversicherung geringere Beitragssätze als in der Kranken-und Auch bei der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich ergeben sich in Abhängigkeit von der Beschäftigungswirksamkeit unterschiedlich hohe Beitragssatzänderungen, je nachdem, ob der Bund seinen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit mit der Arbeitslosenzahl, oder nach § 187 AFG verändert. Das Verhalten des Bundes beeinflußt aber nur die Verteilung zwischen Bundeshaushalt und Arbeitslosenversicherung. Der Überschuß im öffentlichen Gesamthaushalt wird davon nicht berührt (Vgl. Graphik 3).

IV. Zusammenfassende Schlußfolgerungen

3029- 19-Die Budgetwirkungen der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich I Renten-Kranken- ArbeitslosenVersicherung Budgeteffekt in Mrd. DM 3231- 28-2726- 2524- 2322- 2120- 1817- 1615- 14-1312- 11 10-98- 76- 5-43- 21- 0 Graphik 3: 0, 1 0, 2 0, 3 0, 4 > Öffentliche /Haushalte insgesamt 0, 5 0, 6 “ I 0, 7 I 0, 8 I 0, 9 I 1, 0 Sozialversicherung Staat Versicherung Versicherung Beschäftigungs-Wirksamkeit mit Berücksichtigung von § 187 AFG ohne Berücksichtigung von § 187 AFG

Die hier vorgestellten Modellrechnungsergebnisse haben gezeigt, daß von der Arbeitszeitverkürzung erhebliche Effekte auf die öffentlichen Haushalte ausgehen, die selbst wiederum die Beschäftigungswirkung der Arbeitszeitverkürzung beeinflussen.

Bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich kommt es nur dann nicht zu Defiziten in der Sozialversicherung und im Staatshaushalt, wenn durch die Arbeitszeitverkürzung Neueinstellungen in Höhe von mindestens 87 % des rechnerischen Beschäftigungseffektes induziert werden. Hier ist dennoch ein Finanzausgleich zwischen dem Staatshaushalt und der Sozialversicherung notwendig, denn im Sozialversicherungshaushalt alleine kommt es erst bei einer Beschäftigungswirksamkeit von 95 % nicht mehr zu Defiziten.

Beschäftigungseffekte in der erforderlichen Größenordnung erscheinen, abgesehen von auftretenden Produktivitäts-Steigerungen, bei der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich schon aufgrund der Nachfrageveränderung bei den abhängig Beschäftigten unwahrscheinlich. Die Bruttoeinkommen vermindern sich hier um 12, 5% während die Nettoeinkommen ungefähr um % zurückgehen werden 10). Verbunden sind diese Senkungen der Arbeitnehmereinkommen mit einer Rücknahme ihrer Konsumnachfrage, die gesamtwirtschaftlich nur bei einem Beschäftigungseffekt von 100% durch die zusätzliche Konsumnachfrage der Neubeschäftigten ungefähr kompensiert werden kann und sonst zu einem gesamtwirtschaftlichen Nachfragerückzug führt, der die Beschäftigung negativ beeinflußt Die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ist also gesamtwirtschaftlich eine riskante beschäftigungspolitische Strategie, die allenfalls dann aufgehen kann, wenn die Unternehmen trotz zu erwartender Nachfragerückgänge mit Neueinstellungen in voller rechnerischer Höhe reagieren. Realistischerweise werden die Unternehmen aber einen Nachfragerückgang erwarten, so daß der Beschäftigungseffekt einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich entsprechend gering ausfallen wird und so zu den oben beschriebenen Defiziten in den öffentlichen Haushalten führt. Diese führen in der nächsten Runde zu Beitragserhöhungen, die die gesamtwirtschaftliche private Nachfrage wei-ter vermindern, so daß die Beschäftigtenzahl zurückgenommen wird und sich möglicherweise auf einem niedrigerem als dem Ausgangsniveau einpendelt

Wird die Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich durchgeführt, so sind von der Nachfrageseite keine negativen Wirkungen zu erwarten; die Nachfrage wird zunächst konstant bleiben. Wollen die Unternehmen diese Nachfrage bedienen, so müssen sie Neueinstellungen vornehmen, und zwar in dem Umfang, der nicht durch Produktivitätssteigerungen oder Überstunden aufgefangen werden kann. Allerdings treten bei der Arbeitszeit-verkürzung mit Lohnausgleich auch Kosten-steigerungen in dem Maße auf, wie die Arbeitszeitverkürzung über die Produktivitätssteigerungen hinausgeht Diese Kostensteigerungen führen entweder zu Gewinneinbußen oder Preissteigerungen, wobei letztere wiederum negative Wirkungen auf die reale gesamtwirtschaftliche private Nachfrage haben. Sobald es aber zu Neueinstellungen kommt, treten Überschüsse in den öffentlichen Haushalten auf. Diese Überschüsse können, wie oben dargestellt, in Form von Beitragsminderungen weitergegeben werden. Aber sie könnten auch für öffentliche Investitionen oder zur Kompensation der mit der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich verbundenen Kostensteigerungen der Unternehmen verwendet werden.

Insgesamt erscheint es deshalb notwendig, die Arbeitszeitverkürzung so zu implementieren, daß einerseits die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die erhofften Beschäftigungseffekte nicht vereitelt und andererseits die Kostensteigerungen der Unternehmen nicht so hoch sind, daß hierüber die Zunahme der Beschäftigtenzahl gebremst wird. Nur die Einbeziehung beider Komponenten scheint ein erfolgversprechender Weg zu sein, wobei die zu erwartenden Effekte im Sozialversicherungs-und Staatshaushalt bei der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich die Möglichkeit eröffnen, sowohl die Nachfrage als auch die Kosten auf einem gesamtwirtschaftlich erträglichen Niveau zu halten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ausgabenminderungen könnten sich bei einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich auch bei den Kranköngeldzahlungen ergeben, da sie sich am Einkommen orientieren. Diese Zahlungen machen aber nur einen geringen Teil der Ausgaben der Krankenversicherung aus und bleiben hier unberücksichtigt.

  2. Vgl. zur Rentenversicherung auch: R. Kolb, Zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bei Rezession und Unterbeschäftigung, in: Deutsche Rentenversicherung, (1983) 2— 3, S. 81 ff. Die Beitragsbemessungsgrenzen wurden auch in den Berechnungen zur Rentenversicherung nicht berücksichtigt.

  3. Die Renten werden gemäß der Rentenformel bestimmt, in die individuelle Werte (persönliche Bemessungsgrundlage, Zahl der Versicherungsjahre, Steigerungssatz) und die allgemeine Bemessungsgrundlage (durchschnittlicher Bruttojahresverdienst aller Versicherten) eingehen. Vgl. dazu z. B.: G. W. Brück, Allgemeine Sozialpolitik, Köln 1981, S. 167.

  4. Vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Der Rentenzugang und der Rentenwegfall im Jahre 1979, Frankfurt/Main 1980.

  5. Vgl. zum Staatshaushalt ausführlicher: R. Schettkat, Auswirkungen einer generellen Arbeitszeit-verkürzung auf öffentliche Haushalte, Arbeitnehmereinkommen und gesamtwirtschaftliche Nachfrage, Discussion Paper IIM/LMP 83— 15, Wissenschaftszentrum Berlin 1983.

  6. Vgl. dazu: B. Reissert, Langfristarbeitslosigkeit und temporärer Arbeitsmarkt, Discussion Paper IIM/LMP 83— 4, Wissenschaftszentrum Berlin 1983.

  7. Preissteigerungen werden hier nicht berücksichtigt, da ihr Ausgleich durch Lohnerhöhungen ein permanentes Problem von Tarifverhandlungen ist und nicht ursächlich mit der Arbeitszeitverkürzung zusammenhängt.

  8. Zur Methode der Modellrechnungen vergleiche ausführlich: R. Schettkat, a. a. O. (Anm. 6).

  9. Vgl. ebd.

  10. Vgl. ebd.

  11. Vgl. F. Fotiades, Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen einer Verkürzung der Arbeitszeit. Aktuelle Probleme der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1981.

  12. Vgl. zu den Kosten-und Produktivitätseffekten der Arbeitszeitverkürzung: R. Schettkat, Generelle Arbeitszeitverkürzung — Gesamtwirtschaftliche Kosten-und Beschäftigungseffekte, IIM/LMP 84— 2, Wissenschaftszentrum Berlin 1984.

Weitere Inhalte

Ronald Schettkat, Dipl. -Volkswirt, Dipl. -Ingenieur, geb. 1954; Studium der Flugzeug-technik, Statistik und Wirtschaftswissenschaften in Hamburg und Berlin; anschließend Lehrtätigkeit an der Technischen Universität Berlin; seit 1981 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schwerpunkt Arbeitsmarktpolitik am Internationalen Institut für Management und Verwaltung des Wissenschaftszentrums Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Die Beschäftigungsentwicklung in der BRD im Zeitraum 1970 bis 1977 — ihre demographischen und ökonomischen Ursachen, in: Beiträge aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 76, Forschungspreis 1982 der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg 1983; Auswirkungen einer generellen Arbeitszeitverkürzung auf öffentliche Haushalte, Arbeitnehmereinkommen und gesamtwirtschaftliche Nachfrage, IIM/LMP 83-15, Wissenschaftszentrum Berlin 1983; Generelle Arbeitszeitverkürzung — Gesamtwirtschaftliche Kosten-und Beschäftigungseffekte, IIM/LMP 84-2, Wissenschaftszentrum Berlin 1984; Informelle Produktion in privaten Haushalten, in: K. Gretschmann, R. Heinze, B. Mettelsiefen (Hrsg.), Schattenwirtschaft, Göttingen 1984.