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Die internationale Umweltpolitik als Herausforderung für die N) * ationalstaatlichkeit | APuZ 20/1985 | bpb.de

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APuZ 20/1985 Artikel 1 Die internationale Umweltpolitik als Herausforderung für die N) * ationalstaatlichkeit Waldsterben im Schnittpunkt von Ökologie, Ökonomie und Politik Smogalarm Fünf Funktionen der unmittelbaren Gefahrenabwehr im Umweltschutz

Die internationale Umweltpolitik als Herausforderung für die N) * ationalstaatlichkeit

Peter Cornelius Mayer-Tasch

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Zusammenfassung

Die globale Verbreitung der Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung kann angesichts weltweit vergifteter Böden und sterbender Wälder nicht mehr geleugnet werden. Die Staatengemeinschaft hat hierauf bereits mit einer Vielzahl völkerrechtlicher Verträge, Abkommen und Deklarationen reagiert Gemeinsam ist all diesen umweltpolitischen und umweltrechtlichen Bemühungen ihre Unverbindlichkeit und mangelnde Akzeptanz. Ursache dieses Vollzugsdefizits ist die immer noch unzureichende Einsicht der Entscheidungseliten in die Ausweglosigkeit der ökologischen Situation der Industriegesellschaften und die gerade von hochindustrialisierten Nationalstaaten verfolgte ökonomisch begründete Obstruktionspolitik. Das Industriesystem setzt durch sein Wachstums-und Fortschrittsdogma grenzüberschreitende ökonomische Zwänge, die durch Globalisierung, funktionale Interdependenz und transnationale Verschmelzung wirtschaftlicher Macht das Souveränitätskonzept der Nationalstaaten untergraben. Diese haben nicht mehr die Kraft zur Verteidigung ihrer „ökologischen Landesgrenzen“ und begeben sich damit — jedenfalls tendentiell — des Kerns ihrer Souveränität, nämlich der territorialen Integrität Die sich abzeichnende globale ökologische Katastrophe führt deshalb auch zu einer Krise der Nationalstaatlichkeit Abhilfe kann nur geschaffen werden durch Abkehr von der bisher im Bereich des Umweltschutzes praktizierten „Politik des periphären Eingriffs“. Der Nationalstaat ist aufgefordert zu einer Selbstbefreiung aus der Eindimensionalität der aus dem aufklärerischen Fortschrittsdogma erwachsenden technisch-ökonomischen Rationalitätsvorstellungen. Den nationalen Bürgerinitiativ-, Ökologie-und Alternativbewegungen kommt dabei die Aufgabe zu, ihren Druck auf die Zentren der politischen Bewußtseins-und Willensbildung nachhaltig zu verstärken. Schon die Verbesserung innerstaatlicher Umweltstandards übt dabei einen internationalen Druck aus, insbesondere wenn sie von wirtschaftlich starken Nationalstaaten gesetzt werden. Unverzichtbar ist daher die Verfolgung ökologischer Ziele auch im Rahmen der Außenpolitik. Angesichts der Tatsache, daß die Menschheit nur noch eine gemeinsame Zukunft hat, ist eine internationale umweltpolitische Solidarität zu fordern, die im Rahmen der bereits bestehenden internationalen Organisationen verwirklicht werden könnte. Sollten diese Bemühungen kurzfristig keinen hinreichenden Erfolg zeitigen, so erscheint es nicht ausgeschlossen, daß mittelfristig die Utopie vom Weltstaat ihre historische Stunde erleben wird.

I.

Daß sich auf den Weltmeeren gigantische öllachen breiten und auf ihrem Grunde radioaktive Zeitbomben ticken, daß selbst noch das Fleisch antarktischer Pinguine von DDT strotzt und die Wälder der Industriestaaten und ihrer Nachbarn dahinsterben, ist längst zur Altagswirklichkeit geworden. Als apokalyptische Reittiere gesattelt, tragen Wasser und Luft ihre Seuchenlast von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent. Was schon der erste Bericht des Club of Rome zu Beginn der siebziger Jahre angekündigt hatte, wurde knapp zehn Jahre später von dem Bericht . Global 2000’ des amerikanischen Umweltrates detailliert und eindringlich bestätigt: Die weltweite ökologische Katastrophe ist keine düstere Zukunftsvision; sie hat längst begonnen. Die allen Landesgrenzen spottende, weltweite Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung wird heute zwar in wachsendem Maße zur Kenntnis genommen; sie wird jedoch keineswegs mit dem Ernst als Herausforderung angenommen, der ihr angemessen wäre. Zur Routine geworden ist die internationale Wahrnehmung der ökologischen Krise. Zur Routine geworden ist das öffentliche Lamento. Und zur Routine geworden ist die politi-sehe Abwehrpose. Bislang keineswegs zur Routine geworden ist jedoch eine auf diese Wahrnehmung entschlossen und nachhaltig reagierende internationale Umweltpolitik. Dabei fehlt es keineswegs an entsprechenden Ansätzen. Die — bereits 1975 erschienene — Sammlung von Verträgen, Abkommen und Deklarationen zur internationalen Umweltpolitik von Bruno Simma und Bernd Rüster zählt inzwischen mehr als 30 Bände. Die Zahl dieser Dokumente steht jedoch in einem Umkehrverhältnis zu ihrer Ziel-und Wirkkraft. Die überwiegende Mehrzahl der Vereinbarungen erweisen sich bei genauerem Zusehen als bloße Grundsatz-und Absichtserklärungen ohne rechtlich-politische Stringenz. Auch insoweit nämlich als es sich dabei um rechtlich verbindliche Verträge handelt, wird ihre juristische Bedeutung in aller Regel durch die gezielte Verwendung sogenannter unbestimmter Rechtsbegriffe relativiert Wo die nationale Verpflichtung zur Durchführung international wirksamer Umweltschutzmaßnahmen an den (von Staat zu Staat unterschiedlich interpretierten) „Stand der Technik" oder an die (ebenfalls in unterschiedliche Formen gefaßte) „wirtschaftliche Vertretbarkeit" gebunden ist, wird dies in besonderem Maße augenfällig. Auch die als „atmosphärischer Fortschritt" gepriesene ECE-Konvention wird durch Formulierungen wie „bestmöglich", „verfügbar" und „mit einer ausgewogenen Entwicklung vereinbar" völlig entschärft Fortschritte, die diesen Namen verdienen, konnten bislang allenfalls im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit bei der Erforschung und Messung ökologisch bedeutsamer Daten erzielt werden. Auch derartige Kooperationsabkommen sind jedoch bis zur Stunde erst auf wenige Länder beschränkt

Die Kraftlosigkeit der internationalen Umweltpolitik spiegelt sich mithin in der Kraftlosigkeit des internationalen Umweltrechtes. Und dies, obwohl der vom allgemeinen Völkerrecht gesetzte Rahmen eine ganz andere Entwicklung nahegelegt hätte bzw. nahelegen würde. Das völkerrechtliche Nachbarrecht geht nämlich davon aus, daß jeder Staat sein Territorium so zu nutzen hat, daß keine Verletzung der Rechte anderer Staaten von ihm ausgeht Dieser überkommene, auch in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen verankerte Grundsatz der „guten Nachbarschaft" bedarf der Konkretisierung in allen Wirkungsbereichen des Völkerrechtes. Für das Umweltrecht ist dies schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts durch wichtige Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte geschehen. Von wegweisender Bedeutung waren in diesem Zusammenhang der Oder-Fall (1929) der Trail-Smelter-Fall (1941) der Korfu-Kanal-Fall (1949) und der Lac-Lanoux-Fall (1957) in denen das Gebiet von Nachbarstaaten nachhaltig schädigende Schadstoff-Exporte als Verstöße gegen das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme erklärt wurden. Zuletzt wurde diese Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme in der Schlußresolution der Stockholmer Umwelt-konferenzvon 1972 und in der UN-Resolution Nr. 2996 XXVII vom 15. 12. 1972 bestätigt. Sie bereits als echtes Völkergewohnheitsrecht anzuerkennen (wie dies manche Autoren tun) erscheint allerdings verfrüht, da die Staatenpraxis den diversen Deklarationen und Resolutionen bislang kaum — und wenn überhaupt, nur sehr zögernd — folgt. Wenn auch das Völkerrecht mithin wenigstens Ansätze zu Lösungsmöglichkeiten bietet, so sind die Probleme in der Praxis Legion. Definitionsfragen herrschen vor. Was ist z. B. die „serious consequence", von der in der bereits erwähnten Trail-Smelter-Entscheidung die Rede ist? Wie lassen sich „erhebliche" von „gewöhnlichen“ Schäden unterscheiden Nicht zuletzt ergeben sich Schwierigkeiten bei der Feststellung der Kausalität und der Zuordnung der Beweislast. Da fast alle Staaten die Völkerrechtsgemeinschaft in mehr oder weniger großem Umfang mit ihren Giften belasten, ist es in Europa auch noch zu keinem einzigen gerichtlich ausgetragenen Streitfall wegen großräumiger Luftverschmutzung gekommen. Der Kläger könnte sich ja unversehens auf der Anklagebank wiederfinden!

Der Interessengegensatz zwischen solchen Staaten, die von der Verschmutzung ihrer Nachbarländer wirtschaftlichen Gewinn zu erwarten haben, und solchen, die in erster Linie die Nachteile derartiger ökologischer Grenzverletzungen zu tragen haben, war bislang stark genug, die völkerrechtlichen Höhlenmalereien immer wieder zu verwischen. Vor allem die Länder mit einer „aktiven" Emissionsbilanz (wie Großbritannien und die U. SA.) oder auch nur einer „ausgeglichenen“ Emissions-und Immissionsbilanz (wie die Bundesrepublik Deutschland) haben bislang dem Drängen der Länder mit „passiver" Emissionsbilanz (wie Kanada, Norwegen und Schweden) auf eine wirksame internationale Emissionskontrolle tapfer widerstanden Daß sie damit (zumindest langfristig) auch ihren eigenen Lebensinteressen zuwiderhandeln, ist unverkennbar. Ganz offenkundig ist es für Länder, die genausoviel Schadstoffe „importieren" wie sie „exportieren". Auch für Länder aber, die heute noch überwiegend exportieren und sich in einer sicheren Ecke wähnen, kann sich das Blatt unversehens wenden. Die weltweite Vernetzung ökologischer Probleme markiert das . Ende aller Sicherheit'. Dieselben Staaten, denen die — ihre übersäuerten Seen beklagenden — Skandinavier lange als mehr oder minder lästige Bittsteller erschienen, sehen heute ihr eigenes Haus in Brand. Hätten sie den Skandinaviern durch eine Abkehr von der Hans-guck-in-die-Luft-Politik der hohen Schornsteine unter gleichzeitiger Verschärfung der Emissionsgrenzwerte geholfen, so hätten sie auch sich selbst geholfen. So aber bleibt nurmehr der Ruf nach der Feuerwehr.

Viele Folgen der ökologischen Vernetzung werden aber erst zeitversetzt spürbar. So werden Generationen ihre Väter und Großväter . verfluchen, wenn sie etwa negative Klimaveränderungen zu erleiden haben, die durch die großflächigen Regenwaldabholzungen ihrer Vorfahren verursacht wurden. • Das Heulen und Zähneklappern wird dann nicht zuletzt in den Ländern zu hören sein, die z. B. heute schon mehr Sauerstoff konsumieren als produzieren — hinter ererbten Teakholztischen und dann noch immer nicht verfaulten Schränken aus Palisander.

Versucht man, die Hauptursachen dieser nicht gerade hoffnungsvoll stimmenden Bilanz aus einem ganzen Dickicht von Ursachen herauszulösen, so zeigen sich zwei Grundmotive — zum ersten die trotz mannigfacher Einsichten noch immer unzureichende Einsicht in die Ausweglosigkeit des von den Industriegesellschaften betriebenen Tanzes auf dem Vulkan, und zum zweiten die von einer Reihe von Nationalstaaten mit ökonomisch-politischer Leitfunktion verfolgte Obstruktionspolitik. Die zahlreichen Facetten des Bewußtseinsdefizits bedürfen hier keiner näheren Profilierung. Katastrophenphänomene wie der Anblick skelettierter Wälder werden wohl in Kürze allen Akteuren der umweltpolitischen Szenerie die -Informationen nahe-bringen, die ihnen bislang entweder vorenthalten wurden oder nicht von ihnen angenommen wurden. Und was die nationalstaatliche Obstruktionspolitik anbelangt, so trägt sie das bewährte Muster der Verfolgung nationaler Eigeninteressen. Daß diese nationalen Eigeninteressen nur vermeintliche Eigeninteressen sind und der Staat als Staat auch nur scheinbar Herr dieses Geschehens ist, gehört zur Tragik der internationalen Umweltpolitik. Um diese Tragik besser verstehen zu können, bedarf es eines Blickes auf die Entwicklung und auf den heutigen Gehalt des Konzeptes der souveränen Staatlichkeit.

II.

Der abendländische Nationalstaat neuzeitlicher Prägung ist das ordnungspolitische Ergebnis der konfessionalen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts. Zum zentralen Kriterium dieser neuzeitlichen Staatsidee wurde die innere und die äußere Unabhängigkeit oder Souveränität der Staatsgewalt. Pate stand dabei einerseits die Vorstellung eine und 17. Jahrhunderts. Zum zentralen Kriterium dieser neuzeitlichen Staatsidee wurde die innere und die äußere Unabhängigkeit oder Souveränität der Staatsgewalt. Pate stand dabei einerseits die Vorstellung einer strengen Trennung von Staat und Gesellschaft und andererseits die Vorstellung der Autarkie des Staates. Daß diese beiden Vorstellungen je konsequent verwirklicht wurden, läßt sich schwerlich behaupten. Daß sie heute im Zeichen der ökologischen Krise im Begriff stehen, gänzlich obsolet zu werden, ist jedoch ebenfalls unverkennbar.

Unübersehbar ist dies zunächst im Hinblick auf den Innenraum der Staatlichkeit. Die von der Naturrechtslehre des 16. und 17. Jahrhunderts begründete Gegenüberstellung von ungeordnetem Naturzustand und geordnetem Gesellschaftszustand bedeutete nicht nur eine klare Trennung von Staat und Gesellschaft, sondern auch eine ideelle Erhabenheit des Staates über die Gesellschaft. Bei den aus der Erfahrung des Bürgerkrieges heraus schreibenden Staatsphilosophen Jean Bodin (1530— 1576) 15) und Thomas Hobbes (1588— 1679) 16) stand diese ideelle Erhabenheit des Staates noch vornehmlich im Zeichen einer bloßen Ordnungslegitimität. In der späteren Naturrechtslehre von John Locke (1632—1704) bis Jean-Jacques Rousseau (1712— 1778) erhielt sie dann allmählich eine immer breitere, freiheitlich-demokratische Legitimationsbasis, die bis zum Begriff der Volks-souveränität führte. Mit der Hegelschen Gegenüberstellung von gesellschaftlichem „System der Bedürfnisse" und staatlicher „Wirklichkeit der sittlichen Idee" hatte die ideelle Begründung dieser Erhabenheit des Staates schließlich ihren Höhepunkt erreicht. Auch die Wirklichkeit der sittlichen Idee muß jedoch in irgendeiner Weise gesellschaftlich vermittelt werden. Die Konzepte der Vermittlung, die Vorstellungen davon also, wie die Organisation und Artikulation der gesellschaftlichen Interessen erfolgen und in welcher Weise sie von den Inhabern des staatlichen Entscheidungsmonopols zur Wirklichkeit der sittlichen Idee verwandelt werden sollen, haben sich immer wieder verändert. Im steten Wechsel dieser Vorstellungen blieb immerhin eine gemeinsame Über-zeugung erhalten — die Überzeugung nämlich, daß die Transformationsinstanz das Geschäft der Transformation ernst zu nehmen habe, daß ihr eine echte Überhöhungsfunktion zukomme, daß sie nicht zum bloßen Agenten der jeweils durchsetzungsfähigsten gesellschaftlichen Interessen werden dürfe, daß sie sonst aufhöre „Wirklichkeit der sittlichen Idee" und damit im eigentlichen Sinne Staat zu sein.

Daß dieser ideelle Maßstab in hohem Maße interpretationsbedürftig ist, ist unverkennbar.

Unverkennbar ist aber auch, daß sich der Staat der Industriegesellschaft westlicher Provenienz und Prägung zumeist weniger als ideell . erhabene'Transformationsinstanz denn als politischer Transmissionsriemen der in der Gesellschaft vorherrschenden Kräfte erweist. Vor allem ist es das Industriesystem, das den Aktionsrahmen des Staates eng umgrenzt. Seine Einflußchancen entspringen insbesondere aus der Parallelität von wirtschaftlichen Wachstums-, staatlichen Steuer-und gewerkschaftlichen Einkommensinteressen, aus der Organisationsmacht der einzelnen Industrie-komplexe, aus dem hohen Konflikt-und Verweigerungspotential industrieller Interessen, aus der Abwälzbarkeit industrieller Legitimationsbedürftigkeit auf den Staat, aus der industriellen Kontrolle über Technologie und Information und — last not least — aus dem starken Effektivitätsgefälle zwischen hochorganisierten industriellen Erwerbsinteressen und schwachorganisierten Nichterwerbsinteressen vom Typus des Interesses an einer lebens-und erlebenswerten Umwelt Letztendlich ist es die dem Industriesystem innewohnende Dynamik von Rationalisierung und Spezialisierung, Massenproduktion und -Konsum, Wachstumsorientiertheit und die aus dem hohen Kapitalbedarf entstehende Zentralisierungstendenz, die dem Staat immer engere Grenzen setzt und das Bild von technologischen und ökonomischen Sachzwängen entstehen läßt, dessen Magie unsere Menschheitsstunde völlig zu erliegen scheint. Dem Bündnis der auf wirtschaftliches Wachstum und technischen Fortschritt eingeschworenen gesellschaftlichen Kräfte hat der Nationalstaat als Staat heute ganz offensichtlich nichts oder doch herzlich wenig entgegenzusetzen. Und dies selbst dort nicht, wo die Folgen seiner (umwelt-) politischen Laszivität unübersehbar geworden sind. Eine politische Organisation, der es im Angesicht eines beispiellosen, unser aller Leben bedrohenden Waldsterbens nicht gelingt, vergleichsweise geringfügige umweltpolitische Maßnahmen wie den sofortigen Einbau von Katalysatoren, die sofortige Bereitstellung von bleifreiem Benzin und den sofortigen Einbau von Entschwefelungsanlagen in alle bestehenden Kohlekraftwerke zu erzwingen, läuft jedenfalls Gefahr, bei jedweder Interpretation dem genannten Kriterium der Staatlichkeit nicht mehr zu genügen.

Noch auffälliger als im Innenraum der Staatlichkeit ist die Auflösung der souveränen Eigenständigkeit im Außenraum der Staatlichkeit. Die Verdichtung der technischen Kommunikationsstrukturen und der Siegeszug der kapitalistischen Wirtschaftsweise hat längst so etwas wie eine transnationale Gesellschaft entstehen lassen, deren objektiver Ordnungsbedarf höchstens durch eine ebenfalls transnationale bzw. supranationale Politik befriedigt werden könnte. Heute jedoch überfluten die vorherrschenden Kräfte und Strömungen die Landesgrenzen, ohne wirksam eingedämmt zu werden.

Globalisierung, funktionale Interdependenz und transnationale Verschmelzung sind zu grundlegenden weltpolitischen Tendenzen geworden. Der Eigendynamik des Industrie-systems gesetzte ökonomische Zwänge haben diese Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges forciert. In diesen Zusammenhang gehört insbesondere die Technologie-und Know-how-Abhängigkeit vieler Entwicklungsländer, die Weltmarktbezogenheit des Handelns, die nicht mehr vorhandene Ernährungsautarkie vieler Staaten, die internationalen Kapitalverflechtungen und -Abhängigkeiten und nicht zuletzt der globale Charakter der Massenvernichtungswaffen. Die Fähigkeit der Nationalstaaten, ihre ideologischen, wirtschaftlichen und militärischen Grenzen zu schließen, ist daher auch zusehends geschwunden.

In besonders markanter Weise trifft dies auch für die — man gestatte mir die Neuprägung — ökologischen Landesgrenzen zu. Das Prinzip der territorialen Integrität ist unabdingbarer Bestandteil und darüber hinaus wohl auch das Kernstück des nationalstaatlichen Souveränitätskonzeptes. Gerade dieses Prinzip jedoch wird durch den internationalen Schadstoffverkehr unablässig verletzt. Was für den so viel zitierten Geist gilt, gilt für zivilisatorischen Ungeist und Umweltgifte allemal. Sie wehen, strömen und sickern wohin sie wollen. Auch vor Staatsgrenzen kennen sie keinen Respekt. Der Invasionsschaden, den sie dabei anrichten, ist so ungeheuerlich, daß er zu anderen Zeiten in blutigen Kriegen geahndet worden wäre. Wie anders wohl hätten zur Selbstverteidigung fähige Staaten auch reagiert, wenn hunderttausende von Hektar Wald von Nachbarstaaten niedergebrannt und eine Vielzahl von Brunnen, Flüssen und Seen von deren Territorium aus vergiftet worden wären?

Genau dies jedoch geschieht Tag um Tag und Jahr um Jahr. Die Giftschwaden der Industrie brechen in den Luftraum der Nachbarn ein und verrichten dort ihr Zerstörungswerk, die internationalen Ströme und Meere werden mit Abfällen jeglicher Art überschwemmt, die Böden weltweit mit chemischen Giften zersetzt. Die Produkte des sich unter derlei Bedingungen entfaltenden Gewerbefleißes galoppieren als Trojanische Pferde in alle Welt. Und soweit sie überhaupt verschlossene Tore finden, so zumeist aus Gründen, die herzlich wenig mit ihrer nur allzu häufig toxischen (Rückstands-) Fracht zu tun haben.

Wenn im kanadischen Süden oder im Schwarzwald die Tannen und Fichten abnadeln, wenn in den schwedischen Seen keine Fische mehr schwimmen und die Verbraucher importierter Lebensmittel weltweit Vergiftungen erleiden, so wird nicht nur die ökologische Durchlässigkeit der Staatsgrenzen, sondern zugleich auch die Brüchigkeit einer Souveränitätslogik deutlich, die sich (im Namen der Souveränität) die Produktion und den Export von Giften gestattet und dafür mit dem derselben Souveränität spottenden Reimport dieser Gifte in Nahrungsmitteln bezahlt. Die längst bekannte, jedoch erst jüngst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordene Belastung des Tees mit Pestiziden jeder Art ist nur eines von vielen Beispielen. Auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe unseres Industriezeitalters ist der Nationalstaat mithin offenkundig nicht mehr in der Lage, sein Territorium vor Invasionen der skizzierten Art wirksam zu bewahren oder auch nur entsprechende Übergriffe vom eigenen auf fremdes Territorium zu verhindern. Mit anderen Worten: Er ist nicht mehr Staats genug, sich gegenüber den technisch-ökonomischen

Rationalitätsvorstellungen der transnationalen Gesellschaft das Maß an souveräner Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zu bewahren, dessen er zur Erfüllung auch nur der elementarsten Staatsaufgaben bedarf. Und daß es sich bei der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen um die elementarste aller Staatsaufgaben handelt, bedarf wohl kaum einer besonderen Betonung.

III.

Die umweltpolitische Krise der Nationalstaatlichkeit zu erkennen, ist ein Ding — ein ganz ander Ding jedoch, sie zu überwinden.

Daß wir uns angesichts des skizzierten Phänomens auch akademisch garnierte Resignation nicht mehr leisten können, wird sich zumindest all jenen unauslöschlich einprägen, die etwa im grenznahen Umland des tschechischen Karlsbad vor lauter abgestorbenen und absterbenden Bäumen den Wald nicht mehr sahen. Und möglicherweise wird in Mitteleuropa bald überall Karlsbad sein. Schon mehren sich die Stimmen von Biologen, die die Umkehrbarkeit des Prozesses in Frage ziehen. Ohne ein umweltpolitisches Damaskus wird man diese Umkehrbarkeit wohl ausschließen können.

Wirksame internationale Schritte wider das große Sterben zu fordern ohne die Wege auszuleuchten, die beschritten werden könnten, ist allerdings wenig sinnvoll. Die Einsicht in das unsere Not Wendende ersetzt nicht die Suche nach den potentiellen soziopolitischen Zug-und Schubkräften einer solchen Wende.

Die an das Kasperle gerichtete Warnung vor dem Krokodil ist nur insoweit sinnvoll, als sie den oder die Puppenspieler erreicht. Das Marionettentheater und die politische Bühne gleichen sich insoweit aufs Haar.

Wenn die Hoffnung auf eine Abkehr von der seit Jahrzehnten praktizierten „Politik des peripheren Eingriffs" (wie ich sie schon Anfang der siebziger Jahre in einem Buchtitel genannt habe) mehr als bloße Selbsttäu-schung sein kann, so gilt das vor allem im Hinblick auf das immer weiter um sich greifende Entsetzen über den sterbenden Wald. Die aus diesem Entsetzen erwachsenden Spannungskräfte werden den ständig wachsenden Druck der nationalen Bürgerinitiativ-, Ökologie-und Alternativbewegungen auf die Zentren der politischen Bewußtseins-und Willensbildung nachhaltig verstärken. Nur von diesem Druck aber, der politischer Anstoß und politische Legitimationsbasis zugleich ist, läßt sich in unserer gegenwärtigen Situation die so viel beschworene und so wenig praktizierte Politik mit Augenmaß erwarten. Kurioserweise ist es ja gerade der lange Zeit nur außenparlamentarisch aktive und nun seit kurzem auch in die Parlamente getragene Protest, der für die innere Souveränität des in der babylonischen Gefangenschaft der Industriegesellschaft befindlichen Parteien-, Verbände-und Verwaltungsstaates eine Lanze bricht. Daß dies vielfach weder von denen erkannt wird, die der Protestbewegung angehören, noch von jenen, die nicht zuletzt im Blick auf diese Bewegung über die angebliche Unregierbarkeit unseres Gemeinwesens lamentieren, ändert an diesen Zusammenhängen herzlich wenig. Unerwartet und wohl auch ungewollt bestätigt wurde dieser Sachverhalt jüngst durch einen prominenten Vertreter der im Zeichen der ökologischen Krise um ihren beherrschenden Einfluß fürchtenden Wirtschaftslobby. „Der Staat als Widerpart", erklärte der BMW-Chef Eberhard v. Kuenheim in einem Vortrag, „das sind heute für uns Industrielle nicht nur die Beamten. Es ist die amorphe Masse der Zeitungsleser, Zeitungsschreiber, Vereinsgründer und Bürgerinitiativen."

Voil. Die Konkurrenten sind benannt. Und bekannt ist die Pfründe, um die es geht. Diejenigen aber, die diese Pfründe durch ihren Protest gegen die staatlich geduldete und zum Teil auch geförderte Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen gefährden, leisten einen mehr oder weniger direkten Beitrag zur Selbstbefreiung des Staates aus der Eindimensionalität der aus dem aufklärerischen Fortschrittsdogma erwachsenen technisch-ökonomischen Rationalitätsvorstellungen.

Da die nationalen Ökologiebewegungen heute in allen politischen Lagern mehr oder minder deutlich ausgeprägte Sympathien genießen, wird sich angesichts der unübersehbaren Zuspitzung der ökologischen Krise nicht nur ihre Pressions-, sondern auch ihre Legitimationsfunktion ständig verstärken. Ohne die Verstärkung dieser beiden Funktionen sind allerdings in absehbarer Zukunft auch weder nationale noch internationale Erfolge des umweltpolitischen „Krisen-Managements" zu erwarten. Und dies um so weniger, als die nationalen und die internationalen Erfolge in einem unaufhebbaren strukturellen und funktionellen Zusammenhang stehen. Unabhängig davon, ob es sich nun um Energieeinsparungen, um Verschärfungen der Emissionsstandards und der Emissionskontrolle oder um sonstige umweltfreundliche Veränderungen der Normsetzung, des Normvollzuges oder des sonstigen Sozialverhaltens handelt, haben umweltpolitische Errungenschaften innerhalb der nationalstaatlichen Grenzen stets auch Auswirkungen auf die internationale Situation.

Diese Auswirkungen sind sowohl faktischer als auch normativer Art. Zum ersten entlasten Verbesserungen der innerstaatlichen Umweltpolitik in aller Regel auch den zwischenstaatlichen Schadstoffverkehr. Zum zweiten wirken nationale Erfolge als Referenz und Vorbild in den internationalen Raum hinein. Und zum dritten schließlich sind Nationalstaaten, die umweltpolitische Fortschritte 25 erzielt haben, sowohl unter ökonomischen als auch unter ökologischen Aspekten daran interessiert, ihre Standards international durchzusetzen. Dem unter Hinweis auf sogenannte Wettbewerbsverzerrungen vorgetragenen Widerstand gegen umweltpolitische Fortschritte läßt sich gerade auch unter diesem Aspekt begegnen. Daß er ausgerechnet in Ländern mit stattlicher Wirtschaftsmacht (wie etwa der Bundesrepublik) so nachdrücklich gepflegt wird, erhöht nicht gerade die Glaubwürdigkeit einer auf ihr basierenden Position.

Sollen auf der internationalen Ebene umwelt-politische Fortschritte erzielt werden, so müssen die politischen Druck-und Legitimationswellen mithin aus dem Schoße der Nationalstaaten aufsteigen und auf die staatlichen Träger der politischen Willensbildung Einfluß nehmen. Sind sie gewonnen, so gibt es verschiedene Möglichkeiten, die anstehenden Aufgaben wenn nicht endgültig zu lösen, so doch entschieden in Angriff zu nehmen.

Daß das Vorbild allein nur ein Wegzeichen setzender Auftakt sein kann, versteht sich von selbst. Das bisher auf internationalen Konferenzen, bei Fachgesprächen und im Rahmen von Forschungsprojekten Erreichte ist äußerst dürftig. Die entsprechenden Aktivitäten fanden im Rahmen internationaler Organisationen statt, die keine Richtlinien-kompetenzen gegenüber den beteiligten Nationalstaaten besitzen. Sie betrafen größtenteils technische Aspekte des Umweltschutzes, wurden in der Regel im geschlossenen Expertenkreis unter Ausschuß der politischen Öffentlichkeit und überdies seitens der Nationalstaaten auch mit geringem politischem Engagement betrieben. Im Bereich der grenzüberschreitenden, weiträumigen Luftverunreinigung etwa enthält kein einziger verabschiedeter Text eine sanktionierte Verpflichtung zur Verminderung des Schadstoffausstoßes. Die von Norwegen, Schweden und Finnland angeregte und von Dänemark und der Bundesrepublik unterstützte ECE-Vereinbarung vom Frühjahr 1983 (der sich auf den Nachfolgekonferenzen von Ottawa und München vom Sommer und Herbst 1984 eine ganze Reihe von Staaten angeschlossen haben) enthält nun wenigstens die Selbstverpflichtung, den Export von Luftschadstoffen innerhalb der nächsten zehn Jahre um mindestens 30% zu drosseln.

Unumgänglich erscheint jedenfalls, die diplomatische Vorbereitung einschneidender internationaler Abkommen über eine drastische Verringerung der Luft-und Wasserverschmutzung mit dem politischen Ernst zu verfolgen, der ihm zukommt. Dies ist leider keine Selbstverständlichkeit. Daß vor allem diejenigen, die in stärkerem Maße Umweltgifte aussenden als sie selbst hinnehmen müssen, und daß selbst Länder mit einer sogenannten ausgeglichenen Schadstoffbilanz hierzu bislang wenig Neigung zeigten, ist inzwischen eindeutig belegt Dem Drängen der aufgrund ihrer geographischen Lage zu massivem Schmutz-Import verdammten Länder begegneten sie auf internationalen Kongressen und in entsprechenden Arbeitskreisen nicht selten mit einer (schon in der personellen Besetzung der betreffenden Delegationen mit vergleichsweise niederrangigen Chargen zum Ausdruck kommenden) Nachlässigkeit und Herablassung, die dem Ernst der Lage wenig angemessen war. Aber auch so klassische Schmutz-Importländer wie Kanada, Norwegen, Schweden, Österreich und die Schweiz haben ihre politischen Möglichkeiten durchaus nicht ausgeschöpft.

Ihre Hoffnungen haben diese Länder bislang vor allem auf vorbildliche Umweltschutzvorschriften, auf die Verbreitung von Schadens-mitteilungen und auf die Beschwörung der internationalen Solidarität gesetzt. In Norwegen und Schweden etwa werden den aus Großbritannien und dem Kontinent anreisenden Touristen Flugblätter u. ä. in die Hand gedrückt, die neben Informationen über den Versäuerungsgrad der skandinavischen Seen und Wälder die Aufforderung enthalten, in den jeweiligen Heimatländern auf entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu drängen.

Diese zweite Möglichkeit, durch Information, moralischen Appell und Überzeugung eine Verbesserung des Status quo zu erreichen, ist jedoch genauso wenig erfolgversprechend wie die auf internationalen Konferenzen und in internationalen Arbeitsgruppen versuchte moral suasion. Immerhin markieren solche Aktionen wichtige Stationen auf dem Weg zu einer wirklich erfolgversprechenden Strategie. Zu einer solchen Strategie gehört jedoch außer dem eigenen Vorbild, der gezielten Information und dem Solidaritätsappell nicht zuletzt auch die Anwendung handfesten politischen Druckes.

Auf diese potentielle Dimension der internationalen Umweltpolitik verweist etwa die Untersuchung von Volker Prittwitz vom Internationalen Institut für Umwelt und Gesellschaft in Berlin. Und eine aktive, weder Zuckerbrot noch Peitsche scheuende Umwelt-Außenpolitik könnte in der Tat zu einem bedeutsamen Katalysator für die Intensivierung der internationalen Umweltpolitik und damit auch für die Weiterentwicklung des internationalen Umweltrechtes werden. Man stelle sich etwa vor, daß einzelne Länder in ihrer Not nach auch ungewöhnlichen Instrumenten zur Verteidigung ihrer Interessen suchen würden; als solche würden sich sowohl Sanktionen als auch Subventionen anbieten. Politischer Druck mag u. a. in der bewußten Ausdehnung eigener grenzüberschreitender Aktivitäten (wie etwa der Errichtung umweltverschmutzender Anlagen in Grenznähe) bestehen. Er mag des weiteren wirtschaftspolitische Instrumente (wie Importsperren oder die Drosselung von Technologietransfer) einschließen und mag im Extremfall bis zur Herabstufung der diplomatischen Beziehungen reichen.

Auch Länder mit geringerem politischen Status hätten zumeist mehr oder minder wirksame Sanktionsmöglichkeiten. Die skandinavischen Länder könnten etwa daran denken, ihre militärische Kooperationsbereitschaft mit der westlichen Allianz, Norwegen und Kanada sogar ihre Nato-Mitgliedschaft in Frage stellen. Länder wie Österreich oder die Schweiz könnten Erschwerungen des Transitverkehrs oder dergleichen in die Waagschale werfen. Selbst wenn diese Karten nicht voll ausgespielt werden könnten, würden sie bedeutsame Signale setzen, die mit Sicherheit nicht ohne Einfluß auf die internationale Umweltpolitik bleiben würden. Auch mit dem Hinweis auf die politischen Sanktionsmöglichkeiten ist indes der Reigen potentieller diplomatischer Nothelfer noch nicht geschlossen. Es bedurfte nicht erst der Weisheit eines Niccolo Machiavelli, um das politische Zuckerbrot neben die Peitsche zu setzen. Mit dem Pochen auf das Verursacher-prinzip allein läßt sich schwerlich eine durchgängige und nachhaltige Intensivierung der internationalen Umweltpolitik betreiben. Angesichts der Tatsache, daß es sich bei dem Phänomen des internationalen Schadstoffverkehrs um eine Herausforderung handelt, die den Nationalstaaten des ausgehenden 20. Jahrhunderts durch ihre gemeinsame zivilisatorische Entwicklung auferlegt wurde, erscheint es auch angemessen, dieser Herausforderung im Zeichen internationaler Solidarität zu begegnen. Mit guten Gründen empfiehlt Prittwitz die bei der Sanierung einiger internationaler Ströme wie der Elbe und des Rheins verwirklichten Ansätze zu einer Gemeinschaftsfinanzierung für alle Formen des Schadstoffexports fortzuführen. Konkret würde dies die Mitfinanzierung von Sanierungsmaßnahmen durch all jene Länder bedeuten, die hiervon begünstigt würden. Deutsche Mithilfe bei britischen oder französischen Rauchgasentschwefelungsmaßnahmen wären mithin genauso angebracht wie skandinavische Beiträge zu britischen und kontinentalen Sanierungsmaßnahmen. Daß derartige Mithilfe nach dem sogenannten Solidarprinzip jedoch nach dem Kriterium der jeweiligen wirtschaftlichen Leistungskraft zu bemessen wäre und daher auch an der jeweiligen Leistungsfähigkeit der primär betroffenen Staaten ihre natürlichen Grenzen fände, liegt auf der Hand.

Die Forderung nach internationaler Solidarität ist heute jedenfalls wichtiger denn je.

Die Menschheit wird nämlich die harte Tatsache akzeptieren müssen, daß sie — um mit Jan Tinbergen zu sprechen — „im Gegensatz zu früheren Zeiten, nur eine (gemeinsame) Zukunft oder überhaupt keine Zukunft hat".

Von einer in diesem Sinne konsequent praktizierten Umwelt-Außenpolitik kann heute freilich noch nirgendwo die Rede sein. Das Gewicht, das umweltpolitischen Belangen im Rahmen der bundesrepublikanischen Außenpolitik zuerkannt wird, läßt sich schon am Ausmaß ihrer institutioneilen Berücksichtigung ablesen. Was die Legislative anbetrifft, so hat sich der Auswärtige Ausschuß des Bundestages bislang nicht mit Umweltfragen befaßt. Und was die Exekutive anbetrifft, so hatte das Auswärtige Amt bis zum Jahre 1983 nur einen Sachbearbeiter, der sich gezielt mit Umweltfragen befaßte. Inzwischen zählt das neubegründete Teilreferat stattliche zwei Sachbearbeiterstellen

Eine stärkere Einbeziehung umweltpolitischer Aspekte und Belange in den Aktionsradius der Außenpolitik zu fordern, heißt freilich noch lange nicht, die umweltpolitischen Chancen einer in nationalstaatlichem Geiste praktizierten Umwelt-Außenpolitik zu überschätzen und ihre Risiken zu unterschätzen. Bedeutung kann und darf ihr allenfalls im Zeichen und im Rahmen einer allgemeinen sozioökologischen Verdichtungsdialektik zuwachsen. In diesem Rahmen freilich könnte die konsequente Nutzung dieses Instruments die Staatengesellschaft der Lösung ihrer ökologischen Probleme zumindest ein gutes Stück näherbringen. Wenn die Nationalstaaten des ausgehenden 20. Jahrhunderts ihre Möglichkeiten bislang nicht in befriedigender Weise zu nutzen wußten, so deshalb, weil sie ständig über die Füße ihrer eigenen souveränen Staatlichkeit stolpern. Dasselbe Souveränitätsprinzip nämlich, in dessen Zeichen sie ihre mangelnde Bereitschaft zur umweltpolitischen Einkehr und Umkehr zu rechtfertigen versuchen, wird durch die Folgen dieses kollektiven Fehlverhaltens immer nachhaltiger untergraben. Der innen-und außenpolitische Souveränitätsverlust aller Staaten (einschließlich der Supermächte) ist jedenfalls nicht mehr zu übersehen. Insbesondere läßt sich die territoriale Unversehrtheit, eine der tragenden Säulen des Souveränitätskonzeptes unter den Vorzeichen der globalen Umwelt-krise (und dabei vorab des grenzüberschreitenden Schadstofftransportes) nicht mehr garantieren. Die euphemistische Bemäntelung dieser desolaten Situation im Zeichen des völkerrechtlichen Prinzips der „beschränkten Souveränität und Integrität" vermag die umweltpolitische Notdurft allenfalls sehr verkrusteten Juristenseelen zu verhüllen.

Die Devise „Flieg oder stirb" ist nun einmal janusköpfig: sie gilt nicht nur für den — dem sozioökologischen Notstand konfrontierten — Bürger des Nationalstaates, sondern auch für diesen selbst. Naturgesetze können nicht zum Gegenstand politischer Kompromisse gemacht werden. Wenn der Wald stirbt, stirbt er. Bekundungen eines angeblich guten Gewissens vermögen ihm nicht zu helfen. Und mit dem Anfang vom Ende des (hier als Chiffre zu verstehenden) Waldes könnte auch der Anfang vom Ende der Nationalstaatlichkeit gekommen sein. Sollten sich die Nationalstaaten auch in der Zukunft nicht in der Lage sehen, die globale ökologische Krise sozusagen . souverän zu meistern, so werden sie sich (wie zum Teil heute schon im Bereich der Sicherheits-und Wirtschaftspolitik) auch insoweit ihrer Souveränität entkleiden müssen. Eine solche Verlagerung des Schwergewichtes der Umweltpolitik von der nationalen auf die internationale Ebene wird freilich erst und höchstens dann zu erwarten sein, wenn den Nationalstaaten das Wasser wirklich bis zum Halse steht. Im Augenblick sind gerade sie es, die eine wirksame Umweltpolitik auf internationaler Ebene verhindern und auch die vereinzelten Ansätze zu einer grenzübergreifenden regionalen Umweltpolitik in enge Schranken weisen. Nur die von einer großen Ernsthaftigkeit und Intensität des Wollens getragene Dialektik von internationalen und grenzübergreifend-regionalen Bemühungen kann jedoch langfristig eine Wendung zum Besseren bringen. Dem Nationalstaat mag dabei die Rolle eines — sich in wohlbedachten Schritten vom pseudo-chauvinistischen Buhmann zum internationalistisch und regionalistisch gesinnten Pelikan entwickelnden — Katalysators zufallen.

Daß eine derartige Strategie eines Maßes an geistig-seelischer Konzentrationskraft bedarf, muß nicht besonders betont werden. Unter dem Druck der sich abzeichnenden ökologisehen Katastrophensituation werden jedoch vielleicht die Bewußtseinsakzelerationen und -mutationen stattfinden, ohne die eine derartige Entwicklung kaum vorstellbar ist. Weniger problematisch als die motivationalen sind die formalen Medien einer solchen Entwicklung. Das umweltpolitische Notstandsregime wird im Rahmen internationaler Organisationen zu errichten sein. Daß sich eine solche Internationalisierung der umwelt-politischen Entscheidungskompetenzen zunächst am einfachsten in organisatorischer Anlehnung an andere, großräumige, überstaatliche Regionalformationen wie die Europäische Gemeinschaft, den Warschauer Pakt, die Organisation der ölerzeugenden Länder, die Organisation der amerikanischen Staaten oder die Organisation der afrikanischen Staaten realisieren ließe, liegt auf der Hand. Die Vereinten Nationen könnten durch die Ausweitung ihrer in Nairobi ansässigen Umwelt-behörde all diesen Bemühungen einen adäquaten Rahmen setzen.

Vor gut 13 Jahren hat der Wiener Staats-und Völkerrechtler Felix Ermacora als potentielle Aufgaben einer Weltstaatsregierung die Friedensbewahrung, den Schutz der Menschenrechte, die Welternährung und die Atombewirtschaftung genannt. Erweitert man die von Ermacora zuletzt genannte Aufgabe der Atombewirtschaftung zur umfassenden internationalen Umweltpolitik, so steht man vor den internationalen Aufgaben globalen Zuschnitts, zu deren Lösung der Nationalstaat qua Nationalstaat allein heute weniger in der Lage zu sein scheint als je zuvor.

Die Weltstaatsutopie reicht weit in die Geschichte des abendländischen Denkens zurück. Unter den Vorzeichen der weltweiten Umweltkrise könnte sie ihre historische Stunde erleben. Wenn man bedenkt, daß die Weltstaatsidee schon nach dem ersten und dann wieder nach dem zweiten Weltkrieg auch unter sicherheitspolitischen Aspekten organisatorisch umgemünzt wurde, ohne daß dies zu einer wesentlichen Senkung des globalen Konfliktniveaus geführt hätte, so wird man sich zwar gegenüber solchen Visionen erhebliche Skepsis bewahren können. Wenn nicht alle Zeichen trügen, ist jedoch die ökologische Katastrophe, die uns ins Haus steht, tiefgreifender als alle bisherigen Kriegserfahrungen. Der Erfolgszwang, den uns die apokalyptische Dynamik dieser drohenden Katastrophe auferlegt, mag daher auch ungleich größere Kräfte freisetzen als alle bekannten kollektiven Überlebensbemühungen der Vergangenheit. Ob man unter diesem Aspekt das von Pest und Schwefel begleitete rasche Näherrücken ihrer Vorhut eher erhoffen oder fürchten soll, ist eine philosophische Frage, die ein jeder für sich selbst entscheiden muß.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Günter Hartkopf/Eberhard Bohne, Umweltpolitik, Grundlagen, Analysen und Perspektiven, Bd. 1, Opladen 1983, S. 265.

  2. Council on Environment Quality, Department of State (Ed.), Global 2000, Washington (D. C.) 1980.

  3. Bernd Rüster/Bruno Simma, International Protection of the Envircnment. Treaties and Related Documents, New York 1975 (mit laufenden Ergänzungen).

  4. Vgl. dazu Peter Cornelius Mayer-Tasch, Umwelt-recht im Wandel, Opladen 1978, S. 26 ff.

  5. Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Umweltverschmutzung der UN-Wirtschaftskommission für Europa vom 16. November 1979, UN/ECE/GE 79/42960. Besonders die Art. 2 und 6 verwenden diese unbestimmten Rechtsbegriffe. Vgl. hierzu auch Volker Prittwitz, Europäische Zusammenarbeit in der Luftreinhaltung, Papers aus dem Internationalen Institut für Umwelt und Gesellschaft des Wissenschaftszentrum Berlin, IIUGpre 11-83 und Armin Rosencranz, The ECE-Convention of 1979 on Long Range Transboundary Air Pollution, in: Zeitschrift für Umweltpolitik, (1981) 4, insbes. S. 517.

  6. Vgl. Volker Prittwitz, Umweltaußenpolitik. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung in Europa, Frankfurt — New York 1984, S. 177 ff.

  7. Vgl. die Präambel der UN-Charta; Prinzip 21 der Stockholmer Umweltdeklaration von 1972, sowie die UN-Resolution Nr. 2996; vgl. auch Jörg Manfred Mossner, Einführung in das Völkerrecht, München 1977 S 233

  8. PCI Report Series 1929 A No. 23, 17.

  9. RIAA III S. 190 ff.; vgl. auch Albrecht Randelzhofer/Bruno Simma, Das Kernkraftwerk an der Grenze. Eine „ultra-hazardous activity" im Schnittpunkt von internationalem Nachbarrecht und Umweltschutz, in: Festschrift für Friedrich Berber, München 1973, S. 404.

  10. ICJ Reports 1949, S. 22.

  11. RIAA XII, S. 281.

  12. Deutscher Text im Europa-Archiv (Dokumente), (1972) 18, S. 443 ff.

  13. Vgl. auch Dietrich Rauschning, Allgemeine Völkerrechtsregel zum Schutz gegen grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen, in: Festschrift für H. -J. Schlochauer, 1981, S. 563 f.

  14. Vgl. Volker Prittwitz (Anm. 6), S. 156 ff., S. 199 ff.

  15. Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, vor allem Kapitel XXIX (ed. Mayer-Tasch), Reinbek bei Hamburg 1969.

  16. Vgl. John Locke, Essays on the law of nature. The latin Text with a translation, introduced and notes, together with transcripts of Locke's shorthand in his journal for 1676, ec. by W. von Leyden, Oxford 1954. Vgl. auch John Locke, über die Regierung (The Second Treatise of Government) mit einem Nachwort von P. C. Mayer-Tasch, Stuttgart 19782, insbes. S. 192 ff.

  17. Vgl. Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag (Du contrat social ou principes du droit politique), übersetzt von H. Denhart mit einem Nachwort, hrsg. von Heinrich Weinstock, Stuttgart 1975.

  18. Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. von Johannes Hoffmeister, Hamburg 19554, §§ 188, 257 (S. 169 u. 207 ff.).

  19. Vgl. hierzu des näheren Martin Jänicke, Umweltpolitik im kapitalistischen Industriesystem, in: Martin Jänicke (Hrsg.), Umweltpolitik. Beiträge zur Politologie des Umweltschutzes, Opladen 1978, S. 15- 35. Vgl. auch Peter Cornelius Mayer-Tasch, Die Bürgerinitativbewegung, Reinbek bei Hamburg 19814, S. 52 ff.

  20. Vgl. hierzu Karl Kaiser, Transnationale Politik. Zu einer Theorie der multinationalen Politik, in: Politische Vierteljahresschrift, 10 (1969), Sonderheft 1 (Die anachronistische Souveränität), S. 80 ff.

  21. Vgl. Natur, (1984) 12, S. 81 (Vorsicht vor DDTee)

  22. Charles F. Doran/Manfred O. Hinz/Peter C. Mayer-Tasch, Umweltschutz — Politik des peripheren Eingriffs. Eine Einführung in die Politische Ökologie, Darmstadt — Neuwied 1974.

  23. Vgl. dazu des näheren Peter Cornelius Mayer-Tasch, Aus dem Wörterbuch der Politischen Ökologie, München 1985, Stichwort Regierbarkeit.

  24. Vgl.den Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 3. 7. 1981.

  25. Vgl. hierzu des näheren Volker Prittwitz (Anm. 6) S. 149f. sowie auch ders., Weiträumige Luftverschmutzung und internationale Umweltpolitik, in: Peter Cornelius Mayer-Tasch (Hrsg.), Die Luft hat keine Grenzen. Internationale Umweltpolitik: Fakten und Trends, Frankfurt 1985 (im Druck).

  26. Ebd. S. 139 ff.

  27. Jan Tinbergen, Reshaping. Der RIO-Bericht an den Club of Rome. Wir haben nur eine Zukunft, Opladen 1978, S. 34.

  28. Volker Prittwitz (Anm. 6), S. 120.

  29. Vgl. Ludwig Fröhler/Franz Zehetner, Rechtsschutzprobleme bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen, Bd. 1, 1979, S. 70.

  30. Allgemeine Staatslehre. Vom Nationalstaat zum Weltstaat, zweiter Teilband, Berlin 1970, S. 1200.

Weitere Inhalte

Peter Cornelius Mayer-Tasch, Dr. jur., geb. 1938; Professor für Politikwissenschaft und Rechtstheorie an der Universität München und an der Münchner Hochschule für Politik; Geschäftsführender Direktor des Geschwister-Scholl-Instituts, Mitglied des Senats der Hochschule für Politik und der Kuratorien mehrerer ökologischer Institute und Vereinigungen; Hauptarbeitsgebiete: Politische Theorie und Politische Ökologie. Veröffentlichungen u. a.: Korporativismus und Autoritarismus, 1971; Hobbes und Rousseau, 19762; Umweltrecht im Wandel, 1978; Ökologie und Grundgesetz, 1980; Die Bürgerinitiativbewegung, 19855 (im Druck); Die Welt als Baustelle, 1982; (Hrsg.) Im Gewitter der Geraden. Deutsche Ökolyrik 1950— 1980, 1981; Aus dem Wörterbuch der Politischen Ökologie, München 1985-, Die Luft hat keine Grenzen. Internationale Umweltpolitik: Fakten und Trends, 1985 (im Druck).