Frauenwahlrecht in Deutschland -Emanzipation mit dem Stimmzettel?
Joachim Hofmann-Göttig
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Zusammenfassung
Die Wahlen in der Weimarer Republik (die nach Geschlechtern getrennt ausgezählt wurden) und die Sonderauszählungen nach Alter und Geschlecht (sogenannte Repräsentative Wahlstatistik) für die Bundesrepublik Deutschland legen es an den Tag: Im Hinblick auf Wahlbeteiligung und Parteipräferenzen gibt es wesentliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Außer bei der ersten Wahl nach Einführung des Frauenwahlrechts, der Wahl zur Nationalversammlung 1919, haben sich die Frauen durchweg im Vergleich zu den Männern relativ zurückhaltender an Wahlen beteiligt. Erst nach 1969 hat sich die Wahlbeteiligung der Frauen der der Männer zunehmend angenähert, ohne sie schon ganz erreicht zu haben. Getragen wurde dieser verstärkte Beteiligungsprozeß vor allem durch die nachwachsenden Generationen, für die das Frauenwahlrecht zunehmend zur Selbstverständlichkeit wurde und für die Politik immer weniger Männersache ist. Die Parteipräferenzen der Frauen zeigten in der Weimarer Republik ein typisches Muster: Bevorzugung der Parteien der Rechten, Benachteiligung der Linken. Auch in der Bundesrepublik Deutschland hat sich dieses „Weimarer Muster“ zunächst wiederholt. Erst mit der Bundestagswahl 1969 und vor allem 1972 trat die Tendenzwende ein: Während die SPD ihre Frauendefizite abbauen konnte, verloren CDU/CSU ihre bislang erheblichen Frauenüberschüsse. Die GRÜNEN, programmatisch und personell besonders am Frauenthema interessiert, verbuchten gleichwohl bislang bei allen Bundestags-, Europa-und Landtagswahlen negative Frauenbilanzen. Wird nach Ursachen für den Wandel weiblicher Wahlbeteiligung und Parteipräferenzen geforscht, so scheinen Zusammenhänge zur sich verändernden gesellschaftlichen Rolle der Frau naheliegend. Offenbar haben der Generationenwechsel, die gestiegene Partizipation der Frau am Bildungssystem, die Tendenz zur Erwerbstätigkeit, die Relativierung der Rolle der Familie, die verstärkte Einbeziehung der Frau in das gesellschaftliche Kommunikationsfeld und die damit verbundene Minderung des Einflusses der Kirche diese politische Entwicklung mit gefördert. Sollten sich die beschriebenen Entwicklungen so fortsetzen, dann wäre allerdings nicht eine „Angleichung“ der Wahlbeteiligung und Parteipräferenzen zwischen den Geschlechtern bestimmend, sondern die wachsende Tendenz der Frauen, ihre Entscheidungen selbständig gemäß ihren politischen Interessen zu treffen.
CDU/CSU-FDP haben ein Erziehungsgeldgesetz im Deutschen Bundestag eingebracht und verabschiedet; Landauf, landab propagieren sie die neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau in Familie und Beruf. Die SPD kämpft für Gleichstellungsstellen, Frauenförderungspläne und diskutiert mit Nachdruck Wege zur Verbesserung des Frauenanteils an Ämtern und Mandaten. Die GRÜNEN schließlich stellen Frauen in politischen Führungspositionen wie keine andere Partei und hätten fast an ihrer Forderung nach einem hessischen Frauenministerium eine Regierungsbeteiligung scheitern lassen
Ohne Zweifel: Beim Thema „Frauen und Politik“ ist etwas in Bewegung gekommen. Die 23, 9 Millionen Frauen stellen in der Bundesrepublik mit 53, 8% nicht nur den Löwenanteil der Wahlberechtigten sondern dank wachsendem Wahlei-fer auch die Mehrheit der Wähler — mit 53, 1% bei der letzten Bundestagswahl zumindest
Frauen haben die Macht, mit ihrem Stimmzettel den Ausschlag zu geben. Leichte Abweichungen der durchschnittlichen Parteipräferenzen unter ihnen im Vergleich zu der Männerschaft können die Regierungscouleur bestimmen. Es ist nicht auszuschließen, daß die Frauen bei den ersten demokratischen Wahlen in Deutschland bei der Gründung der Republik den Gang der Geschichte wesentlich mitbestimmt haben. Sie haben damals im Schnitt anders gewählt als die Männer, und sie wählen heute anders als damals. Grund genug, wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl und knapp zweieinhalb Jahre vor dem 70. Geburtstag des Frauenwahlrechts in Deutschland am 12. November 1918 Rück-und Vorschau zu halten.
I. Wählen Frauen anders?
Abbildung 1
60-1919 I---------1---------1 1920 19241 19241 T I---------1----------r• I 21928 1930 —I----------i----------1---------1---------1---------1---------1---------1---------1---------1-------1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 Jahr Wahlbeteiligung der Männer und der Frauen bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1919, Reichstag 1920 bis 1930,
60-1919 I---------1---------1 1920 19241 19241 T I---------1----------r• I 21928 1930 —I----------i----------1---------1---------1---------1---------1---------1---------1---------1-------1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 Jahr Wahlbeteiligung der Männer und der Frauen bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1919, Reichstag 1920 bis 1930,
Die Wahlordnung für die Wahlen zur Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung 1919 und die Reichsstimmordnung sahen die Möglichkeit vor, für Männer und Frauen getrennte Wahllisten vorzulegen. Es war sogar möglich, die Abstimmung für Männer und Frauen in getrennten Räumen, mit getrennten Urnen vornehmen zu lassen. In einigen Städten (Berlin-Spandau, Köln und Hagen) wurden dann die Wahlen regelmäßig für Männer und Frauen getrennt durchgeführt; in anderen Bezirken begnügte man sich mit willkürlich ausgewählten — keinesfalls für das Deutsche Reich repräsentativen — Stichproben Diese Auszählungen nach Geschlecht, die bei einigen Wahlen bis zu 20 Prozent der Wahlberechtigten erfaßten sind heute von der Literatur recht vollständig erfaßt und dokumentiert
Daran anknüpfend haben einige Städte schon unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg Sonderauszählungen nach Alter und Geschlecht, nunmehr freilich für repräsentative Stichproben (deshalb fortan „Repräsentative Wahlstatistik“ genannt), durchgeführt, erstmals 1953 auch das Statistische Bundesamt für die Bundestagswahl, seither kontinuierlich und Schritt für Schritt auch die Statistischen Landesämter für die Landtagswahlen
Das Besondere dieses Instruments der Wahlforschung liegt darin, daß Daten nicht auf der Basis hypothetischer Umfragen, sondern tatsächlich abgegebener Stimmzettel erhoben werden, dazu mit einem seit jeher erheblichen Stichprobenumfang. Repräsentativ für die Gesamtheit sind allerdings nur die Sonderauszählungen für die Bundesrepublik Deutschland, während die der Weimarer Republik immerhin Trends signalisieren. 1. Wahlbeteiligung Als die 15 Millionen wahlberechtigten Männer und die 17, 7 Millionen Frauen am 19. Januar 1919 erstmals an die Urnen der Weimarer Republik gerufen wurden, geschah bei dieser Wahl zur Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung etwas überraschendes: Es wählten gut zwei Millionen mehr Frauen als Männer, und auch die relative Wahlbeteiligung der Frauen entsprach mit 82, 3 Prozent fast derjenigen der Männer mit 82, 4 Prozent Eine so hohe Wahlbeteiligung der Frauen auch im Vergleich zu den Männern wurde später in der Weimarer Republik nie wieder erreicht. Ein Vergleich zwischen der Frauen-Wahlbeteiligung in der Weimarer Republik und bei den Bundestagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland (Schaubild 1) zeigt, daß bei allen Wahlen zu Zentralparlamenten seit 1919 die Beteiligung der Frauen unterdurchschnittlich ausfällt. Allerdings wiederholt sich das aus der Weimarer Republik vertraute Phänomen in der Bundesrepublik in zunächst viel schwächerem Umfang. Seit 1972 kann auf der Ebene der Bundestagswahlen jedoch von einer schon fast identischen Wahlbeteiligung der Frauen gegenüber den Männern gesprochen werden
Die Wahlbeteiligung beiderlei Geschlechts ist grundsätzlich stark vom Lebensalter der Wahlberechtigten abhängig, wobei bei allen Wahlen die Beteiligung der Jungwähler unterdurchschnittlich bleibt. Seit Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre ist darüber hinaus eine noch das Niveau der Wahlbeteiligung der Erstwähler unterbietende Wahlbeteiligung der Zweitwähler zu beobachten, die vor allem mit der nunmehr im Schnitt gelösten „Familienbindung“ zu erklären ist 2. Parteipräferenzen Die getrennten Urnen einzelner Stimmbezirke sowie die Repräsentative Wahlstatistik vermitteln ein klares Bild über die Parteipräferenzen der Frauen im Vergleich zu den Männern. a) Weimarer Republik Schon bei der ersten republikanischen Wahl, der zur Nationalversammlung, zeigte sich eine Tendenz, die sich bei den reichsweiten Wahlen in den zwanziger Jahren behaupten sollte: Die Frauen wählten durchschnittlich anders als die Männer. Sie bevorzugten die „Rechte“, insbesondere die „klerikale Rechte“, und benachteiligten die „Linke“, insbesondere die Sozialdemokratie und mehr noch die USPD/KPD. SPD und USPD erhielten 1919 zusammen 45, 5 Prozent.
Die Datenlage ermöglicht keine exakte Hochrechnung, aber soviel erscheint sicher: Ohne das Frauenwahlrecht wären die sozialistischen Parteien zumindest in die Nähe der absoluten Mehrheit gekommen, wenn sie sie nicht gar erreicht hätten
Daß die Frauen mit Sozialismus wenig im Sinne hatten, zeigte sich denn auch am 20. Juni 1926 beim Fürstenenteignungsplebiszit. Mochten dieses immerhin 46, 5 Prozent der Männer unterstützen, so gaben ihm nur 32, 9 Prozent der weiblichen Stimmberechtigten ihre Zustimmung Im breiten Umfang liegen Daten der Stimmabgabe nach Geschlecht für die Reichstagswahlen 1924, 1928 und 1930 vor
Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) erscheint als krasse Männerpartei, die von Frauen um etwa 5 Prozentpunkte abgestuft wird. Auch die Sozialdemokratische Partei (SPD) erreicht unter den Frauen nur unterdurchschnittliche Stimmanteile, die allerdings nicht so extrem abweichen wie im Falle der KPD und sich bis 1930 sichtlich abschwächen, fast aufheben.
Die Demokraten (DDP) erreichen unter Männern und Frauen etwa ausgeglichene Wählerbilanzen. Muß die KPD als Männerpartei, so müßten Zentrum (Z) bzw. Bayerische Volkspartei (BVP) als Frauenpartei bezeichnet werden. Beide werden von Frauen im Durchschnitt weitaus häufiger gewählt als von Männern, wenngleich der Überschuß bis 1930 tendenziell abschmilzt.
Die konservative Deutsche Volkspartei (DVP) wird von den Frauen über die Zeit ausgeglichen leicht bevorzugt. Ebenfalls kontinuierlich von Frauen bevorzugt wird die äußerst konservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP), und zwar mit wachsender Tendenz.
Bei der faschistischen NSDAP bleibt der relative Zuspruch von Frauen hingegen bis 1930 kontinuierlich — wenngleich nur leicht — hinter dem der Männer. b) Nationalsozialismus Angesichts der Rechtsorientierung der Mehrheit der Frauen in der Weimarer Republik ist es interessant zu wissen, ob die Frauen zu Beginn der dreißiger Jahre ihre in den zwanziger Jahren noch sichtbare Skepsis gegenüber der extremen Rechten, dem Nationalsozialismus, aufgegeben haben. Die Prüfung dieser Frage wird allerdings durch eine für die beiden Reichstagswahlen 1932 und die Wahl vom 5. März 1933 lückenhafte Datenlage erschwertl
Die Daten signalisieren zunächst für Männer und für Frauen eine größere Zurückhaltung gegenüber der NSDAP in katholischen Gebieten. 1933 zog die NSDAP allerdings auch in katholischen Gebieten stark an Die NSDAP-Präferenzen beider Geschlechter unterscheiden sich indessen beträchtlich je nach Konfession.
In den überwiegend katholischen Gebieten waren die Frauen bis 1932 sehr deutlich zurückhaltender gegenüber der NSDAP als die Männer, und selbst 1933 verzeichnet die NSDAP in katho-lischen Gebieten weiterhin — wenngleich nunmehr kleinere — Frauendefizite. Ganz anders stellen sich die Wahlpräferenzen im evangelischen Raum dar. Zwar waren auch in diesen Gebieten in den zwanziger Jahren der Weimarer Republik die NSDAP-Frauenbilanzen negativ, doch bei den hier betrachteten Reichstagswahlen 1932 konnte die NSDAP bereits ausgeglichene, leicht positive Frauenbilanzen verzeichnen. 1933 schließlich war gar der Zuspruch der Frauen zur NSDAP in protestantischen Gebieten deutlich höher als der der Männer.
Ganz ähnlich war die geschlechtsspezifische Stimmverteilung je nach Konfession für die DNVP. Gewinnen konnten durch die stärkere Zurückhaltung der katholischen Frauen im Vergleich zu den evangelischen Frauen gegenüber der NSDAP nicht etwa die sozialistischen Kräfte, sondern nahezu ausschließlich das klerikal geprägte Zentrum.
Bei den zur Verfügung stehenden Einzelergebnissen geschlechtsspezifischer Parteipräferenzen handelt es sich jedoch um eine schmale Datenbasis. Als zusätzliche Datenquelle bekommt daher die Reichspräsidentenwahl von 1932 mit Sonderauszählungen von immerhin 5, 4 Prozent der Wahlberechtigten Bedeutung. Danach haben die Frauen zunächst erneut extrem gegen die KPD gestimmt. Erreichte Ernst Thälmann im 2. Wahlgang immerhin 15, 4 Prozent der Männer-stimmen, so wählten ihn nur 10, 4 Prozent der Frauen. Extrem überdurchschnittlich favorisierten die Frauen dagegen Paul von Hindenburg, der von den Männern 48, 7 Prozent, von den Frauen aber 56, 0 Prozent der Stimmen erhielt. Weiterhin leicht distanziert verhielten sich die Frauen gegenüber Adolf Hitler, der bei den Männern 35, 9 Prozent und bei den Frauen 33, 6 Prozent erzielte.
Als Fazit der Reichspräsidentenwahl 1932 und auch der Einzelergebnisse der Reichstagswahlen 1932/33 bleibt die Feststellung, daß die NSDAP bei Männern und Frauen einen rasanten Anstieg der Wählergunst verzeichnen konnte.
Bis 1932 blieb die NSDAP jedoch bei den Männern erfolgreicher als bei Frauen; sie hatte ihren Aufstieg stärker den Männern zu verdankenl Angesichts des Zwei-Drittel-Anteils der Protestanten in der Gesamtbevölkerung muß allerdings angenommen werden, daß 1933 der Anteil der Frauen unter den NSDAP-Wählern den der Männer übertraf. Die Mehrheit der nationalen Koalition (NSDAP/DNVP) 1933 wurde kräftig gefördert durch die Unterstützung der Frauen l
Bemerkenswert ist dies besonders deshalb, weil es sich bei der NSDAP doch um eine Partei handelte, deren ablehnende Haltung gegenüber „Frauen in der Politik“ nicht zuletzt im absoluten Verzicht auf weibliche Kandidaten weithin sichtbar war. Hitler erklärte dazu 1934 auf einem Parteifrauenkongreß kategorisch: „Das Wort von der Frauenemanzipation ist ein nur vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort ... Ihre (der Frau, d. Verf.) Welt ist ihr Mann, ihre Familie, ihre Kinder und ihr Haus ... dann enthält das Programm unserer nationalsozialistischen Frauenbewegung eigentlich nur einen Punkt, und dieser Punkt heißt , Das Kind’.“ c) Bundesrepublik. Deutschland Die amtlichen Sonderauszählungen nach Alter und Geschlecht, die Repräsentative Wahlstatistik, lassen Verknüpfungen zwischen dem Wahl-verhalten der Geschlechter und dem Alter zu
Bundestagswahlen (1953— 1983)
In Schaubild 2 werden die Ergebnisse der Repräsentativstatistiken (seitdem es Sonderauszählungen gibt) für Männer und Frauen jeweils für alle Bundestagswahlen zusammengestellt.
Die Bundestagswahl 1953 zeigt eine Wiederholung des aus der Weimarer Zeit bekannten Musters: ein deutlich unterdurchschnittliches Abschneiden der SPD bei den Frauen mit — 4, 9 Prozentpunkten und im Gegenzug einen sehr starken Frauenüberschuß bei der CDU/CSU mit + 8, 3 Prozentpunkten. Die CDU/CSU tritt offenbar in dieser Hinsicht in die Fußstapfen des Zentrums, übertrifft aber dessen Wählerreservoir bei weitem. Anders als die Demokraten der Weimarer Zeit hat die FDP ein Frauendefizit von — 1, 3 Prozentpunkten zu beklagen. Augenfällig ist im übrigen das Frauendefizit bei den „sonstigen Parteien“ mit — 2, 1 Prozentpunkten: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE), Deutsche Partei (DP), Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Bayernpartei (BP), Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP), Deutsche Reichs-Partei (DRP), Zentrum, Südschleswigscher Wählerverband (SSW).
Auch wenn die Bundestagswahlen nach 1949 vor allem vom stetigen Anstieg der SPD geprägt sind, setzen sich doch — was die Geschlechterverteilung anbelangt — die Weimarer Muster im Kern-bestand ungebrochen bis 1969 fort.
Erst 1972 ist ein Einschnitt erkennbar. Die SPD, weiterhin insgesamt im Aufschwung mit + 3, 5 Prozentpunkten, legt bei den Frauen Prozentpunkte zu und hat nunmehr mit — 1, 2 Prozentpunkten schon eine annähernd ausgeglichene Frauenbilanz. CDU/CSU verlieren insgesamt nur — 1, 4 Prozentpunkte, legen bei den Männern sogar + 2, 4 Prozentpunkte zu, geben aber bei den Frauen — 4, 6 Prozentpunkte ab und haben mit einem Saldo von + 3, 0 Prozentpunkten das bislang schwächste Resultat in ihrer bundesrepublikanischen Geschichte.
In dieser gegenläufigen Entwicklung der Partei-präferenzen von Männern und Frauen hinsichtlich der CDU/CSU liegt das Markante der Bundestagswahl 1972. Die CDU/CSU hätte bei dieser Wahl gegenüber 1969 zugelegt, wenn sich nicht die Frauen aller Altersgruppen in dramatischer Weise von der Union abgekehrt hätten. Erstaunlicherweise wird dies sogar bei den im allgemeinen kaum noch zu größeren Parteiwechseln neigenden Senioren sichtbar. Erreichte die CDU/CSU 1969 unter den über 60jährigen Frauen noch 55, 6 Prozent, so waren dies 1972 nur noch 51, 7 Prozent. Bei den Männern gleichen Alters aber verbesserte sich die Union von 44, 9 auf 49, 3 Prozent. Zugleich kehrten sich 1972 die — um die 18— 20jährigen verstärkten — Jungwähler massiv gegen die Union, die bei dieser Wählergruppe einen Anteil von 35, 3 Prozent erzielte. Bei der FDP hat sich hinsichtlich des Frauenwahlverhaltens nichts entscheidendes verändert, und die „sonstigen Parteien“ sind von 1972 an bis zum Aufkommen der GRÜNEN nicht mehr von Bedeutung.
Der erstmals 1972 bei Bundestagswahlen sichtbar gewordene Trend der Angleichung der Parteipräferenzen von Männern und Frauen, zumindest was die beiden großen Parteien anbelangt, setzt sich bei den folgenden Bundestagswahlen fort. Erstmals 1980 und dann bekräftigt 1983 schneidet die SPD bei den Frauenstimmen überdurchschnittlich ab. Die CDU/CSU verliert ihren traditionellen Frauenüberschuß und muß 1980 sogar ein leichtes Frauendefizit verbuchen, das 1983 allerdings wieder ausgeglichen werden kann.
Die GRÜNEN verbuchen sowohl bei der Bundestagswahl 1980 als auch bei der Bundestagswahl 1983 eine negative Frauenbilanz.
Europawahlen (1979/1984)
Auch wenn die Wahlbeteiligung — für beide Geschlechter recht ausgeglichen — ausgesprochen schwach war, mag doch ein Blick auf die Einordnung der Europawahlen 1979 (Wahlbeteiligung: 63, 6 Prozent) und 1984 (Wahlbeteiligung: 54, 2 Prozent) interessieren.
Die Daten für 1979 fügen sich in das für die Bundestagswahlen gewonnene Bild. Die SPD hat mit — 1, 1 Prozentpunkten ein leichtes Frauendefizit, die CDU/CSU mit + 2, 3 Prozentpunkten einen leichten Frauenüberschuß. Bei der FDP stellt sich mit — 0, 1 Prozentpunkten weniger an weiblichen als an männlichen Wählern das Verhältnis ausgeglichen dar. Die GRÜNEN — auch bei ihrem ersten bundesweiten Auftritt — kennzeichnet ein deutliches Frauendefizit mit — 0, 7 Prozentpunkten (Männer: 3, 5 Prozent; Frauen: 2, 7 Prozent). Auch das Ergebnis der Europawahlen von 1984 paßt in das Muster der Bundestagswahlen: Die SPD stabilisiert mit — 0, 1 Prozentpunkten ihren ausgeglichenen Frauensaldo, die CDU/CSU erreicht mit + 2, 5 Prozentpunkten wieder einen — für sie allerdings gegenüber früheren Bundestagswahlen bescheidenen — Frauenüberschuß, die FDP schneidet mit — 0, 7 Prozentpunkten leicht negativ ab, die GRÜNEN legen bei Männern (9, 0 Prozent) und bei Frauen (7, 2 Prozent) gegenüber 1979 zwar deutlich zu, es bleibt aber bei einem mit — 1, 8 Prozentpunkten für sie unübersehbaren Frauendefizit.
Landtagswahlen (1954-1985)
Interessant ist die Frage, ob sich auch bei den Landtagswahlen die gezeigte Ablösung der Weimarer Muster zu Beginn der siebziger Jahre mit der Tendenz der Angleichung der Parteipräferenzen von Männern und Frauen für die beiden großen Parteien wiederholt oder ob es hier zu bedeutsamen regionalen Besonderheiten kommt.
Zugleich interessiert, ob sich das für die vier bisher dargestellten bundesweiten Wahlen regelmäßig aufgetretene Frauendefizit der GRÜNEN auch bei Landtagswahlen wiederfindet.
1. Soweit mit den Bundestagswahlen vergleichbare Daten aus den fünfziger und sechziger Jahren zur Verfügung stehen ist nachweisbar, daß die SPD überall ihr Frauendefizit verringern, ausgleichen oder sogar ins Positive wenden konnte. In den Bundesländern mit überwiegend katholischer Bevölkerung (Saarland, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg) hat die SPD allerdings immer noch leicht negative, allenfalls ausgeglichene Frauenbilanzen, während sie bei den jüngsten Landtagswahlen in überwiegend evangelischen Ländern durchweg positive Frauenbilanzen erzielte. 2. Die CDU mußte überall eine deutliche Verringerung ihres Frauenüberschusses verzeichnen (mit Ausnahme in Berlin), wobei ein Extremwertevergleich für die CDU zeigt, daß die Entwicklung bei Landtagswahlen weit dramatischer verlaufen ist als bei den Durchschnittswerten der Bundestagswahlen. Baden-Württemberg: von + 13 (1968) auf 2, 7 (1984) Prozentpunkte;
Bayern: von + 10 (1966) auf 2, 6 (1982) Prozentpunkte; Bremen: von + 7, 2 (1967) auf -1, 0 (1983) Prozentpunkte; Hessen: von + 7, 2 (1966) auf 1, 9 (1982) Prozentpunkte; Niedersachsen: von + 9, 3 (1967) auf-0, 1 (1982) Prozentpunkte;
Nordrhein-Westfalen: von + 12 (1962) auf 2, 4 (1985) Prozentpunkte;
Rheinland-Pfalz: von + 13, 6 (1967) auf 2, 4 (1983) Prozentpunkte;
Schleswig-Holstein: von + 11, 4 (1967) auf -0, 9 (1983) Prozentpunkte.
Für die Frauenbilanzen der CDU/CSU spielt die konfessionelle Zusammensetzung des Bundeslandes eine erhebliche Rolle. In den überwiegend katholischen Bundesländern waren die Frauenüberschüsse der Union seit jeher ausgeprägter als in den Bundesländern mit überwiegend evangelischer Bevölkerung. Diese Unterschiede sind auch heute noch durchweg in einer Größenordnung von über + 2 Prozentpunkten erkennbar, während sich die Bilanzen in protestantischen Bundesländern (Ausnahme Berlin) ausgeglichen haben. 3. Auch wenn die SPD ihre schlechtesten Frauen-bilanzen in den fünfziger und sechziger Jahren und ihre besten in den siebziger und achtziger Jahren hatte (die CDU/CSU umgekehrt), so ist doch der „Break-Point“ für sie nicht schematisch das Jahr 1970 mit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters und dem damit verstärkten Generationswechsel der Wahlberechtigten.
Auch in dieser Hinsicht spielt die konfessionelle Gliederung der Länder eine entscheidende Rolle. Während sich in den protestantischen Ländern die Annäherung der Parteipräferenzen von Männer und Frauen Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre vollzog, zeigte sich diese Annäherung in den katholischen Bundesländern erst zehn Jahre später (nur im Saarland hat sich im Verhältnis der Geschlechter hinsichtlich der Parteipräferenzen in den letzten zehn Jahren nichts geändert). 4. Im Unterschied zu dem ziemlich radikalen Umbruch bei der Bundestagswahl 1972 verlief die Entwicklung sich angleichender Parteipräferenzen von Männern und Frauen bei den Landtagswahlen zumeist kontinuierlich. Nur bei zwei Landtagswahlen wiederholte sich das für die Bundestagswahl 1972 charakteristische Gegeneinander von Männern und Frauen. Bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen 1975 verlor die SPD bei den Männern und gewann bei den Frauen (CDU umgekehrt); bei der Wahl in Hessen 1982 desgleichen. 5. Abschließend bleibt festzustellen, daß die GRÜNEN — trotz hoher Frauenanteile bei den Mitgliedern und Funktionären und der programmatischen Betonung frauenpolitischer Probleme — nicht nur bei allen Bundestags-und Europa-20 wählen, sondern auch bei allen Landtagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland bei Frauen schlechter abschnitten als bei Männern. Wenngleich die Defizite zumeist nur zwischen — 1 und — 2 Prozentpunkten liegen, sind sie doch bei einer kleinen Partei von Gewicht und angesichts der Konstanz des Phänomens von struktureller Bedeutung.
II. Das Kommunikationsfeld der Frauen im Wandel -Erklärungshypothesen
Abbildung 2
KPD SPD DDP Z/BVP DVP DNVP NSDAP CSVD Anteil der gesondert Ausgezählten an der Wählerschaft (Stimmenanteile in Prozent für die einzelnen Parteien nach Geschlechtern) m 18, 9 22, 0 4, 3 11, 0 7, 7 8, 4 13, 5 — 6, 9 w 13, 1 20, 8 4, 1 17, 0 8, 6 9, 6 13, 0 — m 14, 1 29, 6 6, 4 10, 2 12, 0 9, 7 4, 4 — 6, 2 w 9, 6 26, 7 6, 2 15, 1 13, 8 11, 5 3, 8 — m 20, 3 32, 9 6, 7 6, 6 8, 9 10, 1 2, 6 — 20, 6 w 15, 5 31, 5 6, 7 10, 2 9, 8 13, 3 1, 8 — m 24, 0 28, 1 4, 7 5, 2 5, 2 6, 5 17, 4 0, 9 16, 8 w 18, 1 28, 0 4, 6 8, ࢠ
KPD SPD DDP Z/BVP DVP DNVP NSDAP CSVD Anteil der gesondert Ausgezählten an der Wählerschaft (Stimmenanteile in Prozent für die einzelnen Parteien nach Geschlechtern) m 18, 9 22, 0 4, 3 11, 0 7, 7 8, 4 13, 5 — 6, 9 w 13, 1 20, 8 4, 1 17, 0 8, 6 9, 6 13, 0 — m 14, 1 29, 6 6, 4 10, 2 12, 0 9, 7 4, 4 — 6, 2 w 9, 6 26, 7 6, 2 15, 1 13, 8 11, 5 3, 8 — m 20, 3 32, 9 6, 7 6, 6 8, 9 10, 1 2, 6 — 20, 6 w 15, 5 31, 5 6, 7 10, 2 9, 8 13, 3 1, 8 — m 24, 0 28, 1 4, 7 5, 2 5, 2 6, 5 17, 4 0, 9 16, 8 w 18, 1 28, 0 4, 6 8, ࢠ
Der Versuch, das „besondere Wahlverhalten der Frauen“ anthropologisch aus der Natur der Frau an sich zu erklären, ist so alt wie das Wahlrecht selbst wenn nicht noch älter, weil mitbestimmend für die der Einführung des Frauenwahlrechts vorausgehende Wahlrechtsdebatte Selbst wenn dieser Erklärungsansatz auch in heutiger Zeit unbewußt immer noch im Denken und Handeln verwurzelt ist so kann doch die individualistische, anthropologische Erklärung für geschlechtsspezifische Differenzen im Wahlverhalten heute als wissenschaftlich widerlegt und nicht mehr vertretbar gelten
In der Wahlforschung herrscht heute kein Dissenz in der Feststellung, daß der Geschlechtsfaktor keine Variable zur Begründung unterschiedlichen Wahlverhaltens von Männern und Frauen darstellt. Daß anthropologische Erklärungsmuster heute jegliche Faszinationskraft verloren haben, liegt nicht zuletzt an der Veränderung des Wahlverhaltens der Frauen über die Jahrzehnte. Wurden die Weimarer Muster, nämlich Bevorzugung der konservativen Parteien bei gleichzeitiger Zurückhaltung gegenüber den Extremen, noch gelegentlich der weiblichen Präferenz für Konservatismus und Emotionalität zugeschrieben, so hat sich diese Erklärung im Maße der Angleichung des Wahlverhaltens von Männern und Frauen offensichtlich überlebt und widerlegt.
So wie anthropologische Denkmuster also zur Erklärung gewandelter Parteipräferenzen von Frauen nicht greifen, so wenig hat die Sozialpsychologie heute allerdings zugegebenermaßen, plausible Modelle zur Erklärung sozialer Einstellungen und deren Wandel auf deren Basis die Wahlforschung quantifizierbare Variablen für Entstehung und Wandel von Parteipräferenzen entwickeln könnte.
Wahlverhalten ist Gruppenverhalten. Soziale Einstellungen und damit Parteipräferenzen entwickeln sich nicht in der Isolierzelle der Wahlkabine, sondern sind Momentaufnahmen eines lebenslangen Sozialisationsprozesses, den eine Fülle von miteinander verzahnten und daher kaum isolierbaren Kommunikationsfaktoren bestimmen. Von besonderer Bedeutung scheinen dabei:
— die geistig-bildungsmäßige Situation, — die soziale, ökonomische Situation, — die familiäre Situation und die Wohnverhältnisse, — das außerberufliche und -familiäre Kommunikationsfeld. Im folgenden sollen für diese Variablen des Wahlverhaltens einige Thesen und Hypothesen geschlechtsspezifischer Besonderheiten entwikkelt werden, deren Schlüssigkeit nachzugehen sein wird. 1. Alter, Bildung und Interesse „Interesse an Politik“ ist kein naturgesetzlicher Faktor, sondern Ausdruck des Sozialisationsprozesses. Zur Beurteilung der „Weimarer Muster“ ist die Feststellung wichtig, daß die Einführung des Frauenwahlrechts nicht etwa Ergebnis des Kampfes einer Frauen-Massenbewegung, sondern bewußter Minderheiten war Politisches Interesse unter Frauen war gering und stieg, so die These, im Maße wachsender Bildungsbeteiligung. Die Umfrageforschung belegt, daß Männer — nach ihrem „Interesse an Politik“ und ihrer „Bereitschaft, in eine Partei einzutreten“, befragt — seit jeher in der Bundesrepublik ein größeres Interesse an Politik zeigen als Frauen Zugleich zeigen diese Umfragen, daß mit wachsender Beteiligung an „höherer Bildung“ das Interesse an Politik steigt, wenngleich die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf jeder Stufe des Bildungssystems wieder auftreten.
Aus den Befunden ergeben sich zwei Feststellungen: Erstens zeigen auch diese Daten — entgegen anthropologischen Erklärungsmustern — den hohen Sozialisationsanteil (Faktor Schulbildung) an der Entstehung politischen Interesses. Im Zuge der wachsenden Bildungsbeteiligung der Frau verstärkt sich ihre politische Partizipation, ihr In -teresse an Politik, differenzieren sich stärker auch die Kriterien ihrer Parteipräferenzen. Zweitens ist offensichtlich die wachsende Bildungsbeteiligung der Frau nicht hinreichender Grund zur Erklärung der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der politischen Sozialisation, weil erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch bei denselben formalen Bildungsvoraussetzungen erhalten bleiben
Zugleich deuten Umfragen auf einen veränderten Zusammenhang zwischen Bildung und Parteipräferenzen hin. Während 1953 mit wachsender Formalbildung die Parteipräferenz zur CDU/CSU stieg, erreichte die CDU/CSU 1980 unter Abiturienten geringere Präferenzen als unter Volks-schülern. Die SPD hat zwar immer noch bei den Volksschülern größere Sympathiewerte als bei den Abiturienten, ist aber bei den Abiturienten stärker als die Union
Wenn sich dieser Befund erhärten ließe, dann könnte die gestärkte Bildungsbeteiligung der Frauen als ein Grund für den Abbau des CDU/CSU-Frauenüberschusses und für den Ausgleich des Frauendefizits bei der SPD angesehen werden. Das wäre zu prüfen.
Zusätzliche Stützung erhält diese These aus der Betrachtung altersspezifischer Frauendifferenzen für die SPD und für die CDU/CSU bei den Bundestagswahlen von 1953 bis 1983 Bei der SPD zeigte das Frauendefizit in den fünfziger und sechziger Jahren noch keine Besonderheiten in den Altersgruppen. Erstmals 1969 verringerte sich das Frauendefizit der SPD unter den Jungwählern sichtbar (2 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt). Seither hat die SPD ihr Frauendefizit bei den Jungwählern nicht nur abgebaut, sondern vielmehr in dieser Altersgruppe einen Überschuß zu vermelden.
Bei der CDU/CSU war von vornherein, schon 1953, eine deutliche altersmäßige Staffelung des Frauenüberschusses festzustellen. Je älter die Wähler, desto größer der Frauenüberschuß. Erstmals 1972 hatte die Union einen rasanten Abbau ihres Frauenüberschusses besonders durch Verluste älterer Wählerinnen bei gleichzeitigen Gewinnen unter den älteren männlichen Wählern zu verzeichnen. Seither sind die alters-spezifischen Besonderheiten der Unions-Frauenbilanz gering. Ihr Überschuß hat sich seither noch etwas verringert, vor allem basierend auf den Frauendefiziten im Jungwählerbereich.
Die verstärkte Annäherung der Parteipräferenzen jüngerer Wählerinnen, insbesondere seit 1969, läßt durchaus einen Zusammenhang mit der verstärkten weiblichen Bildungsbeteiligung vermuten. Wird die gewachsene Bildungsbeteiligung der Mädchen als ein Element ihres Emanzipationsprozesses verstanden, so scheinen auch die gewandelten Parteipräferenzen damit einherzugehen. 2. Erwerbstätigkeit Ein vordergründiger Blick auf die Erwerbsquoten von Frauen in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland könnte angesichts der relativen Konstanz des Frauenanteils unter den Erwerbstätigen bei etwa einem Drittel den Eindruck relativer Konstanz der Erwerbstätigkeit der Frauen erwecken. Abgesehen von den dramatischen Verschiebungen in den durch Frauen wahrgenommenen Tätigkeiten hat sich jedoch auch die Zusammensetzung der weiblichen Erwerbstätigen strukturell entscheidend verändert Einerseits verschiebt sich wegen der wachsenden Bildungsbeteiligung das Einstiegsalter der Frauen in das Erwerbsleben nach hinten, zugleich verschiebt sich das Alter des Ausstiegs aus dem Berufsleben infolge früheren Ruhestandsalters nach vorn. Schließlich erhöhen sich die Erwerbsquoten der Frauen im mittleren Alter und zwar deutlich sichtbar zunehmend seit 1970 auch verheirateter Mütter 1984 lag die Erwerbsquote bei Frauen mittleren Alters (40— 45 Jahre) bei immerhin über 55 Prozent
Der Wunsch von immer mehr Frauen nach Beteiligung am Erwerbsleben und dessen Vereinbarkeit mit Ehe und Familie ist seit dem Beginn der siebziger Jahre immer offensichtlicher geworden und wurde vielfach in der Öffentlichkeit als Ausdruck wachsenden Emanzipationsstrebens der Frauen gewertet. Es wäre zu vermuten, daß mit dieser Entwicklung — der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frauen, darunter auch der Mütter, im mittleren Alter — die Angleichung der Parteipräferenzen zwischen Männern und Frauen einhergeht. Dies wäre dann zu unterstellen, wenn berufstätige Frauen stärkere Parteipräferenzen zugunsten der SPD erkennen ließen als Hausfrauen.
Umfragen deuten daraufhin, daß dem so zu sein scheint
Die wachsende Erwerbstätigkeit der Frauen — so also die weiter zu verfolgende These — scheint die Tendenz zur Angleichung des Wahlverhaltens zwischen den Geschlechtern mit herbeizuführen. 3. Familie und Wohnumfeld Die veränderte Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft zeigt sich auch in der sinkenden Größe der Haushalte die im übrigen im städtischen Wohnumfeld spürbarer ist als im ländlichen Die Reduzierung der Familiengröße gibt den Frauen größere Entfaltungschancen. Der Stellenwert der Familie als Sozialisationsinstanz — so eine weitere These — relativiert sich 4. Vom Wandel des Kommunikationsfeldes der Frau Der Hinweis auf den gewandelten Stellenwert der Familie als des kommunikativen Bezugspunkts der Frau, vor allem im städtischen Wohnumfeld, führt zur Kernthese, wonach die gewandelten Parteipräferenzen der Frauen Ausdruck gewandelter Kommunikationsbedingungen sind.
Die Analysen der Weimarer Zeit sind sich in der Beurteilung einig, daß das die konservativen Parteien begünstigende Wahlverhalten der Frauen in erster Linie Ausdruck ihrer stärkeren kirchlichen Bindungen war Diese Verhältnisse haben sich auch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland bruchlos reproduziert wobei diese Entwicklung durch den gestiegenen Katholikenanteil in der Bundesrepublik im Vergleich zum Deutschen Reich und seiner traditionell größeren Bindekraft eher noch gestärkt wurde Bei der Beschreibung der Frauenbilanzen für die Landtagswahlen wurde gezeigt, daß die konfessionelle Gliederung der Bundesländer erheblich die Frauenbilanzen von SPD und CDU/CSU beeinflußt. Sind in Ländern mit überwiegend katholischer Bevölkerung heute immer noch leichte Frauenüberschüsse bei der Wählerschaft der Union erkennbar, so hat sich doch auch in diesen Ländern in den letzten Jahren die in überwiegend evangelisch zusammengesetzten Bundesländern vor über einem Jahrzehnt vollzogene Annäherung der Parteipräferenzen von Männern und Frauen angezeigt.
Auch wenn die Kirche ihr Sozialisationsmonopo! für Frauen verloren hat, heißt dies aber keineswegs, daß die Konfessionszugehörigkeit vor allem aktiver Kirchgänger heute für die Parteipräferenzen keine Rolle mehr spielte. Nach wie vor begünstigt katholische Konfession eine christdemokratische Parteipräferenz. Doch konkurriert das sozio-demographische Merkmal Konfession mit anderen Merkmalen, vor allem mit dem sozio-ökonomischen Status. Anders wäre der Aufschwung der SPD und der Abschwung der CDU in überwiegend katholischen Ländern (vor allem im Saarland, aber auch in Nordrhein-Westfalen) in den siebziger und achtziger Jahren kaum erklärbar.
Die These lautet also, daß im Zuge wachsender Integration der Frauen auf dem gesamten Feld der gesellschaftlichen Kommunikation die Kirche ihr früher nur mit der Familie zu teilendes Sozialisationsmonopol weitgehend verloren hat Auch wenn die Kirchen, die evangelische stärker als die katholische, an Prägekraft für die Parteipräferenzen verloren zu haben scheinen, so ist doch nach wie vor ihr Einfluß auf Frauen immer noch stärker als auf Männer, wächst ihr Einfluß mit dem Alter der Bevölkerung, schwindet hingegen mit steigender formaler Bildung, zunehmender Wohndichte (Verstädterung) und höherer Schichtenzugehörigkeit
An dieser Stelle führen die Entwicklungen zusammen. Die wachsende Bildungsbeteiligung der Frau, ihre zunehmende Erwerbstätigkeit (in überwiegend untergeordneten Tätigkeiten) sowie die Relativierung der Familie — also Elemente eines keineswegs abgeschlossenen Prozesses der Emanzipation der Frau — haben zu einer heute objektiv veränderten Rolle der Frau gegenüber der Zeit von Weimar und gegenüber den fünfziger und sechziger Jahren der Bundesrepublik geführt. Die wachsende, wenngleich auch heute keineswegs gleichberechtigte Beteiligung der Frauen am gesellschaftlichen Leben und die verstärkte Integration in den gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß haben offenbar zur Relativierung des Einflusses von Familie und Kirche bei der weiblichen Meinungsbildung beigetragen.
Das heute bekannte Datenmaterial läßt vermuten, daß hier der entscheidende Schlüssel zur Erklärung des gewandelten Wahlverhaltens der Frauen liegt.
III. Frauen vor der Entscheidung 1987 -Angleichung oder Emanzipation?
Die beschriebenen Daten geschlechtsspezifischer Wahlbeteiligung und Parteipräferenzen ergeben ein Bild der Angleichung des Wahlverhaltens von Männern und Frauen. Sind Frauen damit als „Zielgruppe“ für die Strategien der Parteien unwichtiger geworden? Das Gegenteil scheint richtig zu sein. Die Entwicklung weiblicher Partei-präferenzen ist mit dem Begriff „Angleichung“ nur unzulänglich beschrieben, weil er abhebt auf die Gesamtheit der Frauen im Vergleich zur Gesamtheit der Männer. Dahinter verbergen sich allerdings erheblich Unterschiede: wachsende Parteipräferenzen evangelischer Frauen zugunsten der SPD, in der Gesamtheit tendenziell kompensiert durch eine noch hinterherhinkende Entwicklung bei den katholischen Frauen; wachsende SPD-Präferenz junger Frauen, tendenziell kompensiert durch Frauendefizite älterer Frauen; zunehmende SPD-Bevorzugung durch städtische Frauen, tendenziell kompensiert durch ländliche Frauen (all dies für die Union umgekehrt). Sollte sich diese Entwicklung ohne grundlegende Veränderungen fortsetzen, dann bedeutet dies, daß die SPD, bedingt durch generativen Wechsel und allmähliche Erfolge auch im katholischen Bereich, mit zunehmend positiven Frauenbilanzen rechnen kann, während sich bei der Union Frauendefizite einstellen dürften. Das gilt um so mehr, wenn Frauen gleichberechtigt in das Erwerbs-und Gesellschaftsleben integriert werden. Schon heute, bei immer noch unabweisbarer Diskriminierung der Frau hinsichtlich ihrer Beteiligung am Erwerbs-und Gesellschaftsleben, zeigen sich Frauen zunehmend entschlossen, ihre Parteipräferenzen unabhängig vom Ehemann zu bilden Auch diese in der Umfrageforschung hinlänglich abgesicherte Feststellung relativiert die Angleichungsthese. Frauenwahlverhalten scheint heute zunehmend Ausdruck einer nicht nur im familiären, sondern im gesellschaftlichen Kommunikationsfeld getroffenen Entscheidung zu sein. Es geht somit einher mit dem Emanzipationsprozeß der Frau.
Joachim Hofmann-Göttig, Dr. phil., Dipl. Päd., geb. 1951; Stellvertretender Dienststellenleiter der saarländischen Landesvertretung in Bonn; Ministerialrat. Veröffentlichungen: Die Schülerarbeit der Jungsozialisten, Bonn 1976; Politik und Schülerpresse, München 1981; Die jungen Wähler, Frankfurt-New York 1984.
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