Die Finanzpolitik seit 1974 auf dem Prüfstand Argumente für ein umweltorientiertes Langzeit-Beschäftigungsprogramm
Rudolf Hickel/Jan Priewe
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Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird davon ausgegangen, daß die Strategie der Stärkung privatwirtschaftlicher Wachstumskräfte weder kurz-noch mittelfristig genügend vollwertige Arbeitsplätze zum nachhaltigen Abbau der Massenarbeitslosigkeit schaffen kann. Daraus leitet diese Untersuchung die Notwendigkeit ab, neben der Politik der Arbeitszeitverkürzung mit einem staatlichen Beschäftigungsprogramm Arbeitsplätze in Feldern qualitativen Wachstums zu erschließen. Weiterhin wird empirisch nachgewiesen, daß sich die Ablehnung von Beschäftigungsprogrammen nicht auf die Praxis der Finanzpolitik in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre berufen kann. Eine konsistente, verstetigend wirkende Finanzpolitik im Dienste von Beschäftigung und qualitativem Wachstum ist in diesem Zeitraum nicht realisiert worden. Bis auf das „Zukunftsinvestitionsprogramm“ von 1977 waren die „echten“ öffentlichen Investitionsprogramme zur direkten Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage von vergleichsweise geringem Umfang und darüber hinaus kurzfristig-konjunkturell ausgerichtet. Der überwiegende Teil der finanzpolitischen Aktivitäten konzentrierte sich auf Steuerentlastungs-und Gewinnförderungsmaßnahmen, die den Intentionen eines Beschäftigungsprogramms nicht entsprechen. Ausführlich werden die ökonomische Möglichkeit und Notwendigkeit eines langfristigen Beschäftigungsprogramms dargestellt. Gezeigt wird, daß sich — zum Teil auch als Folge der bisherigen ökonomischen Entwicklung — ein Programmvorrat, der nur über öffentliche Aktivitäten eingelöst werden kann, herausgebildet hat: Umweltsicherung, Verbesserung der Energieversorgung, Stadt-sanierung und die Entwicklung der Verkehrssysteme bilden die wichtigsten Aufgabenbereiche, die — bei Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Programmrahmens durch den Bund — vor allem durch die Kommunen angegangen werden müssen. Dieses Konzept eines Programm-Keynesianismus, das die historisch überholte Globalsteuerung ablöst, ist in den Präferenzen der Bürger abgesichert, weil sich das Interesse am ökologischen Umbau der Wirtschaft — auch über politische Wahlen — feststellen läßt.
I. Die Kritik an Beschäftigungsprogrammen
Unstrittig sollten die großen Herausforderungen an die aktuelle Wirtschafts-und Finanzpolitik sein: der Abbau der Massenarbeitslosigkeit und damit die Verhinderung des sozialen Abstiegs für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung sowie die Überwindung der Umweltkrise. Die Strategien zur Einlösung dieser Ziele weichen bei allem Einverständnis über die Ziele als solche fundamental voneinander ab. Während die Politik der „marktwirtschaftlichen Revitalisierung“ im Prinzip auf eine Ausweitung und Stärkung einzelwirtschaftlicher Gewinnrationalität setzt, konzentriert sich die „andere Wirtschaftspolitik“ — so die Etikettierung des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (SVR) in seinem Jahresgutachten 1985/86 1) — auf eine aktive Beschäftigungspolitik durch qualitative Wachstumsförderung ebenso wie durch nachhaltige Arbeitszeitverkürzung. Wichtiger Bestandteil dieser Strategie sind langfristige umwelt-orientierte Beschäftigungsprogramme.
Die Kritik an Beschäftigungsprogrammen aus der Sicht der neoklassischen Wirtschaftstheorie und der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik konzentriert sich auf die folgenden Einwände die hier diskutiert werden sollen:
— Die Finanzpolitik der siebziger Jahre mit einer Vielzahl von Einzelprogrammen sei ineffizient und letztlich k'ontraproduktiv gewesen. Dieses Pauschalurteil beruht auf zwei Unterstellungen: Zum einen wird behauptet, es sei eine aktive und konsistente beschäftigungsorientierte Finanzpolitik verwirklicht worden; zum anderen wird erklärt, diese Politik stimme mit der heutigen Forderung nach Beschäftigungsprogrammen überein. — Konkret wird seitens des Sachverständigenrates — ohne nähere empirische Überprüfung — das einzige mittelfristig ausgerichtete Programm der siebziger Jahre, das „Zukunftsinvestitionsprogramm“ (ZIP), kritisiert: „Es ist nicht vergessen, daß dieses Programm Element einer Finanzpolitik war, die mit ihren preis-und zinssteigernden Wirkungen und dem starken Anstieg der Staats-schuld eine Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bewirkte und zu Wachstumsschwäche sowie hoher Arbeitslosigkeit in der Folge beigetragen hat.“
— Aktive Finanzpolitik verdränge privatwirtschaftliche Aktivitäten, sei es infolge erhöhter Staatsverschuldung und vermeintlich dadurch bedingter Zinssteigerung, sei es durch Inflationswirkungen, welche letztlich zur Fehlallokation volkswirtschaftlicher Ressourcen führten.
— Beschäftigungsprogramme würden nur ein „konjunkturelles Strohfeuer“ entfachen, jedoch keinen nachhaltigen Beschäftigungszuwachs auslösen. — Erhöhte Staatsausgaben („mehr Staat“) würden zu einer ordnungspolitischen Fehlentwicklung führen, die die Triebkräfte privatwirtschaftlichen Wachstums lähme.
All diesen Einwänden ist gemeinsam, daß sie ein Phantombild von aktiver Finanzpolitik und staatlichen Beschäftigungsprogrammen zeichnen, das der Realität nicht entspricht, jedoch als Vorwand dient, sich einer gründlichen empirischen Analyse und Aufarbeitung der Erfahrungen mit verschiedenen beschäftigungspolitischen Instrumenten staatlicher Finanzpolitik zu entziehen. So wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und keynesianische Politikansätze werden vollends verworfen anstatt produktiv weiterentwickelt. Die Logik der Einwände ist letztlich die Rechtfertigung der seit 1982 betriebenen angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die mit der konjunkturellen Wende 1983 auf einen „langanhaltenden Aufschwung“ (Sachverständigenrat) setzt und Beschäftigungsprogramme entbehrlich erscheinen lassen soll. Dabei können die Erfahrungen nach vier Jahren Aufschwung einen gewinnwirtschaftlichen Wachstums-und Beschäftigungsoptimismus nicht begründen: Der 1983 einsetzende Aufschwung war bislang der schwächste in der Konjunkturgeschichte der Bundesrepublik (die jährlichen Wachstumsraten des realen Bruttosozialprodukts waren von 1983 bis 1986 mit 2, 5 v. H. niedriger als mit 4, 5 v. H. im Aufschwung von 1976 bis 1979); überdies war ein erheblicher Teil des Aufschwungs durch Leistungsbilanzüberschüsse und neuerdings auch durch die Ölpreisbaisse (seit Anfang 1986) bedingt, während die binnenwirtschaftlichen Antriebskräfte bis in dieses Jahr sehr schwach blieben. Bis 1985 ist das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen (Summe der geleisteten Arbeitsstunden) noch zurückgegangen. Erst 1986 steigt es voraussichtlich geringfügig Für den Aufschwung von 1983 bis in dieses Jahr wird mit einem Zuwachs von 500 000 Arbeitsplätzen gerechnet, womit erst die Hälfte der in der letzten Rezession verlorenen Arbeitsplätze zurückgewonnen wäre; ein erheblicher Teil des Zuwachses kann auf Arbeitszeitverkürzungen (ca. 200 000) zurückgeführt werden.
Alle langfristigen Arbeitsmarktprognosen weisen — selbst bei günstigen Annahmen — eine bis zum Jahr 2000 nicht nennenswert zurückgehende Zahl von registrierten Arbeitslosen aus Da es sich dabei um Durchschnittswerte handelt, ist darin bereits eine drastisch über den Sockel von rund zwei Millionen registrierten Arbeitslosen hinaus ansteigende Arbeitslosigkeit in kommenden Rezessionen impliziert. Es kann eigentlich kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß auch auf längere Sicht durch Mobilisierung der „marktwirtschaftlichen Selbstheilungskräfte“ ein Abbau der Arbeitslosigkeit nicht möglich sein wird. Wer daher die fatale Gewöhnung an die Unterbeschäftigung nicht hinnehmen will, muß über andere Strategien nachdenken.
II. Die Finanzpolitik von 1974 bis 1985: Vom Stop-and-Go zum endgültigen Verzicht auf aktive Beschäftigungspolitik
Abbildung 2
Tabelle 2: Staatsverschuldung und Zinsentwicklung 1974— 1985
Tabelle 2: Staatsverschuldung und Zinsentwicklung 1974— 1985
Die heute weitverbreitete Ablehnung langfristiger Beschäftigungsprogramme innerhalb der praktischen Finanzpolitik sowie durch die Mehrheit der beratenden Wissenschaft beruft sich, wie schon erwähnt, auf negative Erfahrungen mit finanzpolitischen Initiativen insbesondere in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Daher ist eine empirische Analyse der finanzpolitischen Praxis sowie ihrer gesamtwirtschaftlichen Wirkungen dringend erforderlich. Es zeigt sich, daß es eine einheitliche, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verstetigende und arbeitsplatzsichernde Finanzpolitik in diesem Zeitraum nicht gegeben hat. Nach einer Phase konjunktureller und struktureller Instrumentalisierung, die jedoch von Anfang an nicht in ein fiskalisches Gesamtkonzept eingebunden war und durch die restriktive Geldpolitik der Deutschen Bundesbank immer wieder gestört wurde, hat sich die angebotsorientierte Doktrin der Finanzpolitik durchgesetzt: Verzicht auf den Einsatz der öffentlichen Haushalte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einerseits und auf eine qualitative Wachstumspolitik andererseits. Insgesamt vollzog sich die Finanzpolitik global sowie mit den Einzelmaßnahmen eher in Form von „Wechselbädern“, die immer wieder auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung destabilisierend wirkten 1. Impulse der Finanzpolitik für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Eine Abschätzung der Wirkungen der Finanzpolitik der Gebietskörperschaften auf die konjunkturelle Entwicklung der Auslastung des Produktionspotentials nach dem „Impulskonzept“ wie es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) entwickelt hat, macht deutlich, ob das gesamte Haushaltsgebaren auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einschränkend (kontraktiv) oder ausweitend (expansiv) wirkte. Trotz methodischer Bedenken die mit diesem Konzept verbunden sind, lassen sich die folgenden Etappen der Finanzpolitik seit 1974 festhalten 1. 1974 und 1975 wurde in vergleichsweise beträchtlichem Ausmaß eine antizyklische, d. h.der konjunkturellen Krise entgegenwirkende Finanz-politik betrieben, die im wesentlichen auf Steuerentlastungen (Steuer-und Kindergeldreform), die nicht direkt konjunkturpolitisch begründet wurden, und auf der Erhöhung von staatlichen Transferzahlungen (z. B. Arbeitslosenunterstützung, Investitionszulagen) beruhte.
Von den staatlichen Investitionen gingen so gut wie keine expansiven Effekte aus. Immerhin stieg 1974 und 1975 das reale Bruttosozialprodukt (BSP) dank der expansiven Haushaltsimpulse um 1, 2 v. H. bzw. 3, 3 v. H. stärker als bei einer konjunkturneutralen Finanzpolitik (ohne Berücksichtigung von „Multiplikatoreffekten“, die sich aus den konsuminduzierten Folgewirkungen finanzpolitischer Impulse ergeben). Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wurden dadurch 60 000 (1974) bzw. 240 000 (1975) Arbeitsplätze gesichert. Bei einer nur konjunkturneutralen Haushaltspolitik, d. h. einem Verzicht auf die expansiven Impulse, wäre 1975 die Arbeitslosigkeit um rund ein Drittel höher gewesen. 2. In der zweiten Phase 1976 und 1977 schaltete die Finanzpolitik, beginnend mit dem „Haushaltsstrukturgesetz“ 1975, abrupt auf Sparkurs um. Das reale Bruttosozialprodukt fiel infolgedessen um ca. 1, 8 v. H. (1976) bzw. 1, 6 v. H. (1977) niedriger aus als bei einer konjunkturneutralen Finanzpolitik. Die Beschäftigungswirkung war entsprechend negativ und störte den überwiegenden Teil der Folgewirkungen der beschäftigungssichernden Finanzpolitik in der ersten Phase. 3. Ende 1977 wurde wieder umgeschaltet: 1978 bis 1980/81 setzte eine schwach expansive Phase ein, die vor allem von Steuermindereinnahmen (besonders 1981) und etwas verstärkten öffentlichen Bruttoinvestitionen (1978 bis 1980) getragen wurde. Letzteres war vorrangig auf das „Zu-kunftsinvestitionsprogramm“ (ZIP) zurückzuführen, das den starken Rückgang der Bruttoinvestitionen in den Jahren von 1975 bis 1977 annähernd wettmachte. Gleichwohl war die expansive Wirkung auf das reale Bruttosozialprodukt mit 0, 4 v. H. (1978), 0, 3 v. H. (1980) und 0, 6 v. H. (1981) sehr schwach. 1979 war sie sogar leicht restriktiv. Die Expansionsanstrengungen dieser Jahre, die in ihrer Summe durchaus ein nicht unbeträchtliches Mittelvolumen umfaßten, dienten überwiegend dazu, die Nachwirkungen der vorangegangenen Restriktionsphase zu kompensieren. 4. Ab 1982 setzte erneut eine bis 1985 anhaltende restriktive Phase ein, die überwiegend auf Ausgabenkürzungen in den Bereichen des Sozialsystems ausgerichtet war. Die Weichenstellung hierfür war bereits 1981 unter der sozialliberalen Bundesregierung erfolgt. Das reale Bruttosozialprodukt blieb von 1982 bis 1985 um insgesamt 3, 5 v. H. unter jenem Niveau, welches bei einer konjunkturneutralen Haushaltspolitik erreicht worden wäre. Auch die OECD schätzt den realen Wachstumsverlust durch die restriktive Haushaltspolitik in den Jahren von 1982 bis 1984 auf etwa 3 v. H. Berücksichtigt man die direkten und indirekten Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, dann entspricht dies einem Verlust von 400 000 bis 500 000 Arbeitsplätzen.
Insgesamt zeigt sich also ein gesamtwirtschaftlich bedenklicher Zick-Zack-Kurs der Gebiets-körperschaften seit 1974. Anfangs war die Finanz-politik noch — ob bewußt oder unbewußt sei dahingestellt — an der Konzeption antizyklischer Konjunkturpolitik orientiert: expansive Finanz-politik in der Krise, restriktive Budgetpolitik im Aufschwung, wenngleich von einer mittelfristig angelegten verstetigenden Wachstums-und beschäftigungsorientierten Finanzpolitik auch in den siebziger Jahren nicht die Rede sein konnte. Ab 1981/82 ging man dann offen zur „angebotsorientierten“ Politik über, die die effektive Nachfrage schwächte und gleichzeitig Wachstumspotentiale in Feldern öffentlichen Bedarfs nicht erschloß.
Angesichts der halbherzigen und unsystematischen Finanzpolitik der Vergangenheit ist es unzulässig, die damaligen beschäftigungs-und konjunkturpolitischen Erfahrungen pauschal als Argument gegen langfristige Beschäftigungsprogramme zu verwenden. 2. Konkunkturpolitische Programme 1974 bis 1985 im Überblick Im Rahmen einer Systematisierung der finanzpolitischen Instrumente seit 1974 lassen sich verschiedene Typen —mit differierenden Wirkungen auf Konjunktur, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung — unterscheiden, die nur zum geringsten Teil als beschäftigungspolitische Initiativen bezeichnet werden können: 1. Steuervergünstigungen für Unternehmen (z. B. Verbesserungen bei den Abschreibungsmöglichkeiten, Senkung der Vermögensteuer und der Gewerbesteuer): Sie zielen auf eine direkte und globale Verbesserung der Liquidität der Unternehmen. Ob sie investitionssteigernd wirken und ob die Investitionen mit einem Beschäftigungszuwachs verbunden sind, hängt einerseits von der gesamtwirtschaftlichen Situation ab, andererseits von den jeweiligen Finanzierungspotentialen der Unternehmen. Jedoch waren es — im Durchschnitt — in den vergangenen zwölf Jahren nicht Finanzierungsengpässe, sondern mangelnde Anlagefelder, die den Unternehmen das Investieren erschwerten. 2. Einkommensteuerentlastungen und Steigerung sozial-undfamilienpolitischer Transfers für private Haushalte: Je nachdem, ob es sich bei den Begünstigten um untere, mittlere oder höhere Einkommensschichten handelt und je nach Ausmaß der von der Einkommenshöhe abhängigen Sparquote wird der private Konsum angeregt und werden Multiplikatorprozesse in Gang gesetzt. Entlastungen im unteren Einkommensbereich lösen wegen der höheren Konsumquote stärkere Expansionseffekte als in hohen Einkommensbereichen aus. Ob die Investitionstätigkeit belebt wird, hängt zum einen vom Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten und zum anderen von der erwarteten Dauerhaftigkeit des induzierten Konsumimpulses ab. Die Beschäftigungseffekte sind ungewiß. 3. Zuschüsse, Zulagen und Subventionen an Unternehmen (z. B. Investitionszulagen, Lohnkostenzuschüsse, Zinsvergünstigungen): Sie sind bisher nicht mit Beschäftigungsauflagen verbunden worden und wirken ähnlich indirekt und unsicher wie Steuerentlastungen für Unternehmen. Die „Mitnahmeeffekte“ (die staatlichen Zuwendungen werden für ohnehin geplante Maßnahmen „mitgenommen“) sind im allgemeinen —wie etwa Untersuchungen zu den Investitionszulagen zeigen — sehr hoch. 4. Direkte investive und konsumtive (vor allem personelle)
Mehrausgaben der Gebietskörperschaften:
Sie wirken unmittelbar und direkt auf Produktion und Wachstum; sie sind sektoral und überregional gezielt und bedarfsorientiert in Engpaßbereiche lenkbar. Die Beschäftigungswirksamkeit hängt zum einen davon ab, ob zusätzliche investive oder konsumtive Nachfrageimpulse in der Privatwirtschaft initiiert werden. Zum anderen wird sie durch die jeweilige Verarbeitung der Nachfrageimpulse bei den auftragsempfangenden Unternehmen (sei es in Form von Überstunden, Arbeitsintensivierung, Rationalisierung, Leiharbeit, sei es in Form von Neueinstellungen) beeinflußt.
Schließlich kann der Staat zusätzliche Produktion in gewissem Umfang durch Auflagen, Gebote und Verbote administrieren, ohne daß bei den öffentlichen Haushalten selbst Ausgaben anfallen. Dies gilt vor allem für den Umweltschutz (z. B. über die durch Abgaben und Auflagen ausgelösten Investitionen zur Senkung von Schadstoffemissionen). Von den dargestellten Typen staatlicher Finanz-politik können nur die Maßnahmen im Rahmen des Typs 4 als Beschäftigungsprogramm bezeichnet werden, da sie direkt und kontrollierbar auf die Produktion wirken. Bei den anderen Maßnahmen stehen andere Ziele im Vordergrund. Zwar können auch Subventionen und Zuschüsse gezielt beschäftigungspolitisch eingesetzt werden, z. B. um Entlassungen zu verhindern, jedoch müssen sie dann an nachprüfbare Auflagen gebunden sein. Im allgemeinen sind die Mitnehmereffekte in diesem Bereich so hoch, daß es sich hier mehr um Instrumente der Gewinnsubventionierung als um aktive Beschäftigungspolitik handelt. Administrierte Produktion kann zwar durchaus sehr beschäftigungswirksam sein, sie sollte jedoch eine direkt wirkende Finanzpolitik ergänzen und nicht ersetzen. Sie bleibt im folgenden ausgeklammert (weil nicht zur Finanzpolitik gehörend), obwohl etwa die Beschäftigungswirkungen des Umweltschutzes inzwischen beträchtlich sind.
Tabelle I zeigt eine grobe Schätzung des finanziellen Volumens der dargestellten Typen finanzpolitischer Initiativen in den ersten drei Phasen der Finanzpolitik von 1974 bis 1981, wobei die Typen 1 und 2 zusammengefaßt sind. Das Gesamtvolumen von direkten Ausgabenprogrammen, Zulagen und Zuschüssen an Unternehmen sowie Steuerentlastungen und Sozialtransfers betrug rund 73 Mrd. DM. Davon flossen nur ca. 42 v. H. in direkte Ausgabenprogramme, nämlich 31 Mrd. DM. Mit rund 20 Mrd. DM wurden private Haushalte und Unternehmen entlastet bzw. begünstigt. Diesem Betrag sind bereits die restriktiven Wirkungen des Haushaltsstrukturgesetzes in den Jah-B ren 1976 und 1977 (— 28 Mrd. DM), nicht jedoch in den Jahren 1978 und 1979 (44, 9 Mrd. DM) gegengerechnet worden. Das Volumen der Ausgabenprogramme ist mit 31 Mrd. DM also nur geringfügig größer als das des Haushaltsstrukturgesetzes in den Jahren 1976 und 1977.
Die Zulagen und Zuschüsse an Unternehmen machen mit rd. 22, 5 Mrd. DM immerhin etwa 30 v. H.des gesamten Finanzvolumens aus. Faßt man die Ausgabenprogramme sowie die Zulagen/Zuschüsse an Unternehmen als expansive Maßnahmen (1974 bis 1981: 53, 4 Mrd. DM) auf, dann standen dieser Summe bei voller Berücksichtigung der Wirkungen des Haushaltsstrukturgesetzes in den Jahren von 1976 bis 1979 restriktive Impulse von 24, 8 Mrd. DM entgegen (vgl. Tabelle 1) und das trotz diverser Steuer-und Kindergeldreformen
Wie schwach dosiert die Ausgabenprogramme waren, geht schon daraus hervor, daß sie mit rund 31 Mrd. DM nur etwa 0, 9 v. H.der gesamten Ausgaben der Gebietskörperschaften (ohne Sozialversicherungen) im Zeitraum von 1974 bis 1981 ausmachten. Rechnet man die Zulagen/Zuschüsse an Unternehmen hinzu, dann waren es 1, 6 v. H. (53, 4 Mrd. DM) der Gesamtausgaben der Gebietskörperschaften in Höhe von 3 405 Mrd. DM. Es gab im Zeitraum von 1974 bis 1981 sechs direkt nachfragefördernde Ausgabenprogramme, die vom Volumen, der Struktur und der Befristung her allerdings sehr unterschiedlich ausgefallen sind:
1. 1974: „Einmaliges Programm für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen“ (0, 9 Mrd. DM).
2. 1974: „Sonderprogramm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung“ (0, 95 Mrd. DM).
3. 1974: „Programm zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum bei Stabilität“ (1, 13 Mrd. DM).
4. 1975 (wirksam 1976): „Programm zur Stärkung von Bau-und anderen Investitionen“ (5, 75 Mrd. DM).
5. 1978 bis 1981: Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) (16 Mrd. DM).
6. 1978 bis 1979: Mehrausgaben des Bundes (5, 2 Mrd. DM).
Mit Ausnahme des Zukunftsinvestitionsprogramms, das sich auf vier Jahre erstreckte, handelte es sich um kurzfristige konjunkturelle Impulsprogramme. Zudem verpuffte ein Teil der Konjunkturwirkung wegen einer teilweise gleichzeitig betriebenen globalen Restriktionspolitik des Staates und einer kontraktiven Geldpolitik, die die Geldversorgung wegen Inflationsängsten äußerst knapp hielt. Und schließlich schränkte auch der ständige Wechsel des Vorzeichens staatlicher Impulse die Expansionseffekte ein. Im Grunde dienten alle Programme der Kompensation gleichzeitiger oder — wie beim Zukunftsinvestitionsprogramm — vorangegangener Kürzungen in den investiven Kernhaushalten. Sie waren überdies nur von einer sehr zögerlichen komplementären Ausweitung der Beschäftigung im öffentlichen Dienst begleitet. Angesichts der zaghaften Dosierung, ihrer Kurzfristigkeit und der damit einhergehenden globalen Restriktionspolitik der Gebietskörperschaften konnten sie nur eine sehr geringe Wirkung entfalten. Schließlich wurden die Programme nicht mit beschäftigungspolitischen Auflagen verbunden. So wurde die Zusatz-produktion teilweise durch unternehmensinterne Maßnahmen (Überstunden, Arbeitsintensivierung und Leiharbeit) bewältigt, ohne daß die Beschäftigung entsprechend gestiegen ist.
Damit wird.deutlich, daß institutionell abgesicherte Beschäftigungsprogramme mit langer Laufdauer notwendig sind, die in eine insgesamt expansive Finanzpolitik und zielgleiche Geldpolitik eingebettet und mit Beschäftigungsauflagen versehen werden müssen.
Hierzu bietet die Finanzpolitik seit 1974 lediglich ein dessen Anhaltspunkte Programm, Bewertung für ein Langzeitbeschäftigungsprogramm abgeben kann. Das Zukunftsinvestitionsprogramm wurde im März 1977 beschlossen und mit einem Finanzvolumen von 16 Mrd. DM ausgestattet, welches in die Investitionsbereiche „Verbesserung des Verkehrssystems“, „rationelle und umweltfreundliche Energieversorgung“, „wasserwirtschaftliche Zukunftsvorsorge“, „Wohnumfeldverbesserung“ und „Berufsbildung“ gelenkt wurde Mrd. DM ausgestattet, welches in die Investitionsbereiche „Verbesserung des Verkehrssystems“, „rationelle und umweltfreundliche Energieversorgung“, „wasserwirtschaftliche Zukunftsvorsorge“, „Wohnumfeldverbesserung“ und „Berufsbildung“ gelenkt wurden 14). Der „Umweltanteil“ dieses qualitativen Wachstumsprogramms, das zugleich eine Nachfrage-wie auch eine Produktionsstrukturgestaltung anstrebte, wird auf 62 v. H. geschätzt 15). Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern sorgten u. a. für eine Konzentration auf zusätzliche Projekte (Minimierung von Mitnehmereffekten), für die Vermeidung hoher Folgekosten, für die Förderung privater Projekte nur beim Vorliegen öffentlichen Interesses und für die Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten 16).
Die Beschäftigungseffekte des Zukunftsinvestitionsprogramms wurden vom Bundesfinanzministerium bereits nach einem Jahr auf 70 000 bis 80000 und seitens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf 150 000 bis 180 000 Personen im Jahre 1978 geschätzt Die kon-junkturelle Aufwärtsbewegung von 1977 bis zum Höhepunkt 1979 mit einem realen Wirtschaftswachstum von 4 v. H. wurde durch das Programm gestärkt und damit der nachfragebedingten Wachstumsschwäche entgegengewirkt.
Die Finanzpolitik unter dem Regime der Angebotsdoktrin kann sich somit nicht auf schlüssige Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Kontroverse um die behauptete Verdrängung privatwirtschaftlicher Aktivitäten durch Staatstätigkeit („Crowding out“ -Thesen) stützen. Die am weitesten verbreitete Verdrängungsthese, derzufolge die Neuverschuldung des Staates die Kapital-marktzinsen erhöht und somit privatwirtschaftliche, fremdfinanzierte Investitionen verdrängt, läßt sich jedenfalls für diesen Zeitraum empirisch nicht belegen. Ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Staatsverschuldung und der (nominalen und realen) Bewegung der Kapitalmarkt-zinsen ist nicht beobachtbar (vgl. Tabelle 2). So lagen die Realzinsen 1975 trotz hoher Staatsverschuldung sehr niedrig, während sie seit 1982 in der Phase des Schuldenabbaus stiegen. Im Gegensatz zu dieser Verdrängungsversion ist das Zinsniveau vor allem durch die restriktive Geldpolitik bestimmt Dies läßt sich für die Geldpolitik seit 1981 besonders gut beobachten. Die Geldpolitik richtete sich auf die Hochzinsen in den USA aus, um einen Wechselkursverfall über dadurch ausgelöste Kapitalexporte aus der Bundesrepublik zu verhindern Der Anstieg des Kapitalmarktzinses hat sich deshalb unabhängig vom Staatsschuldenabbau Geltung verschafft.
III. Beschäftigungsprogramme und „zuviel Staat“ als Wachstumsbremse?
Wie bereits eingangs erwähnt, gehört es zu den gängigen Argumenten der Kritiker von staatlichen Beschäftigungsprogrammen, daß „zuviel Staat“ — meist gemessen mit dem Anteil der Staatsausgaben am Sozialprodukt (Staats-quote) — schädlich sei, weil die privatwirtschaftlichen Triebkräfte des Wirtschaftswachstums gehemmt würden. Entsprechend dieser Argumentation wurde in einer im Dezember 1985 durch das Bundesfinanzministerium vorgelegten Studie über die „Aufgaben und Ziele einer neuen Finanz-politik — Grenzen staatlicher Verschuldung“ der finanzpolitische Kurs der Bundesregierung bis zum Jahr 1995 festgeschrieben. In endgültiger Ab-kehrung von den „alten Rezepten der siebziger Jahre“ wird eine Modellrechnung mit folgenden Aussagen vorgelegt: Bei Annahme einer nominalen Rate des wirtschaftlichen Wachstums (Inflationsrate eingerechnet) von 5 v. H. im Jahres-durchschnitt bis 1995 sollen die Bundesausgaben nur mit jahresdurchschnittlich 3 v. H. unterproportional ausgeweitet werden. Dieser Rückzug des Staates aus dem volkswirtschaftlichen Kreislauf, so die Modellrechnung, führt zu einer geschätzten Absenkung der Staatsquote von jetzt ca. 48 v. H. auf 42, 3 v. H. im Jahre 1995. Wegen des parallel verlaufenden Rückgangs der Steuerquote (Anteil der Steuern am Volkseinkommen) von jetzt ca. 23, 7 v. H. auf dann 21, 7 v. H. bei gleichzeitiger Reduktion der Bundesneuverschuldung von momentan ca. 29 Mrd. DM auf 15 Mrd. 1995 wird erwartet, daß diese Strategie der Staatsquotensenkung bis 1995 ein steuerliches Entlastungsvolumen von über 60 Mrd. DM freisetzen kann. Die Modellannahmen jedoch sind heroisch. Daß Jahr für Jahr im Durchschnitt ein nominales Wirtschaftswachstum von 5 v. H. gesichert werden soll (in vier Jahren des jüngsten Aufschwungs wird jahresdurchschnittlich die Rate von etwas über 2 v. H. erreicht), ist unrealistisch. Das Schrumpfen der Staatsquote beeinträchtigt den volkswirtschaftlichen Kreislauf. Öffentliche Wachstums-und Beschäftigungsfelder werden nicht mobilisiert, während jedoch die Folgekosten dieser Politik der Erweiterung des „privatwirtschaftlichen Korridors“ etwa im Bereich der Umweltschäden wachsen. Aktive Beschäftigungspolitik wird für die nächsten zehn Jahre ausgeschlossen.
Die von der Senkung des staatlichen Anteils an der Produktion erhoffte Wachstumswirkung ist in hohem Maße spekulativ, die Aussagekraft der Staatsquote selbst methodisch zweifelhaft Internationale Vergleiche demonstrieren, daß es hochentwickelte Länder gibt, bei denen mit deutlich ansteigender Staatsquote — in Japan nahm sie von 1970 bis 1984 um 15 v. H. zu — überdurch-schnittliche Raten des Wirtschaftswachstums realisiert werden konnten Für die USA konnte nachgewiesen werden, daß die Kombination aus Steuersenkungen und Anstieg der Staatsverschuldung seit 1981 privatwirtschaftliche Aktivitäten nicht verdrängt, sondern mobilisiert („Crowding in“) hat Durch die Senkung der Staatsquote dagegen — hierfür ist die Bundesrepublik Deutschland ein Beispiel— wird nicht nur die gesamtwirtschaftliche Nachfrage geschwächt und von daher kein Raum für Privatinvestitionen geschaffen, sondern die Erschließung neuer qualitativer Wachstumsfelder im Bereich öffentlicher Zukunftsvorsorge — Umweltschutz, Energieeinsparung, Infrastruktur— ebenso wie die Ausweitung des privaten Konsums über multiplikative Folgewirkungen eines Beschäftigungsprogramms wird versäumt.
Insgesamt unterstellen alle Versionen des Verdrängungsmechanismus ein ausschließliches Konkurrenzverhältnis zwischen Staat und Privatwirtschaft und übersehen dabei, daß öffentliche Aktivitäten global sowie strukturell zugleich Folge und Voraussetzung ökonomischer Entwicklung sind.
In seinem Jahresgutachten 1985/86 begründet der Sachverständigenrat (SVR) noch einmal seine Auffassung von der wachstumssteigernden Wirkung einer gesenkten Steuerquote: „Der private Sektor kann sich also bei einem Rückzug des Staates mehr ausdehnen, als es den Steuerersparnissen und der so bewirkten Mehrnachfrage nach privaten Gütern entspricht. Deshalb wird die Zahl der im privaten Sektor neu geschaffenen Arbeitsplätze größer sein können als die Zahl der Arbeitsplätze, die im staatlichen Sektor aufgegeben werden“ (Ziffer 190). Längst ist der Test auf diese These gemacht worden — und negativ ausgefallen: Seit Jahren sinkt die Steuerlast der Unternehmen, deren liquide Mittel gleichzeitig steigen, während die Investitionen allenfalls wegen der Exportnachfrage zunehmen, binnenwirtschaftlich jedoch stagnieren. Auch für die USA läßt sich nachweisen, daß die Investitionszuwächse im vergangenen konjunkturellen Aufschwung vorwiegend nachfrageinduziert waren.
Das Dogma von der wachstumsstimulierenden Funktion einer niedrigen Staatsquote verschleiert die Tatsache, daß der (Sozial-) Staat eben andere, aber gesellschaftlich relevante Wachstumsfelder — hier werden sie summarisch als „qualitativ“ apostrophiert— erschließt als die Privatwirtschäft und privatwirtschaftliche Investitionen immer wieder zu Überkapazitäten führen, weil sich die Masseneinkommen wegen des Vorrangs für die Gewinne unzureichend entwickeln. Denn in der Kontroverse um Beschäftigungsprogramme geht es nicht nur um die Option Privatwirtschaft versus Staat als Akteure, sondern auch um die Erschließung anderer stofflicher Entwicklungsbereiche, kurzum: um unterschiedliche Wachstums-und Entwicklungskonzeptionen.
Die gewinnwirtschaftliche Angebotspolitik geht weiterhin von einer strengen Trennung zwischen der Konjunktur-und Wachstumspolitik aus. Nur für kurzfristige konjunkturelle Probleme wird neben angebotspolitischen Maßnahmen auch der begrenzte Einsatz von Instrumenten zur konjunkturellen Nachfragesteuerung zugestanden. Angesichts der konjunkturellen Besserung seit 1983 wird ein nachfrageorientierter Handlungsbedarf strikt abgelehnt. Zur Überwindung der wirtschaftlichen Wachstumsprobleme wird nur eine angebotsorientierte Politik der „Verbesserung der Rahmenbedingungen“ (Lohnkostendämpfung, Steuerentlastungen, Modernisierung, Staatsquotensenkung, Deregulierung) für geeignet gehalten und die aufgabengezielte Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage strikt abgelehnt. Indem aber der enge Zusammenhang von Konjunktur und Wachstum zerrissen wird, entgeht den Angebotstheoretikern der Tatbestand über-zyklisch anhaltender Überkapazitäten, die einen „strukturellen“ Nachfragemangel zum Ausdruck bringen. Die Angebotstheoretiker sehen ebenfalls nicht oder unzureichend, daß ein Langzeit-Beschäftigungsprogramm keineswegs nur auf die kurzfristige Auslastung der existierenden Produktionspotentiale abzielt, sondern zugleich der Ausbau und die strukturpolitische Umgestaltung des Produktionspotentials in das Zentrum rückt.
Auch in seinem Jahresgutachten 1985/86 hält der Sachverständigenrat kurzfristige „klassische“ Konjunkturprogramme für zulässig und sogar notwendig („ ... sollte der Einsatz der Nachfrage-politik auf den Ausnahmefall beschränkt bleiben, in dem eine Rezession mit kumulativem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage droht“ [Ziffer 215]), während er andererseits den Kritikern zustimmt: „Wirtschaftspolitik muß verstetigt werden und sich an mittel-oder langfristigen Zielen orientieren. Dazu passen keine kurzfristigen staatlichen Beschäftigungsprogramme“ (Ziffer 213). Zu diesem widersprüchlichen Ergebnis gelangt man, wenn man den Zusammenhang von kurz-und langfristiger Wirtschaftsentwicklung auseinanderreißt. Statt dessen ist zu betonen, daß die anhaltend unteroptimale Kapazitätsauslastung nicht nur ein konjunkturelles Phänomen ist, sondern zugleich die Wachstumsdynamik des Produktionspotentials schwächt. Ein längerfristiges Beschäftigungsprogramm zielt sowohl auf den kurzfristigen Konjunktur-als auch den längerfristigen Wachstumseffekt ab, und zugleich soll es eine aktive strukturpolitische Steuerung ermöglichen.
IV. Plädoyer für ein umweltorientiertes Beschäftigungsprogramm
1. Prinzipien eines längerfristigen Beschäftigungs-Programms Die seit Anfang der siebziger Jahre deutlich abgeschwächte Wachstumsdynamik der deutschen Volkswirtschaft resultiert — neben anderen Faktoren — aus einem fortwährenden Mißverhältnis zwischen produktivem Kapazitätsausbau gegenüber der kapazitätsauslastenden konsumtiven privaten und staatlichen Endnachfrage aus dem Inland. Auf Dauer kann und sollte dieses Mißverhältnis nicht durch Leistungsbilanzüberschüsse kompensiert werden, da sich dadurch die Binnennachfrage anderer Länder verschlechtert. Langfristig ist eine proportionale Entwicklung von Inlandsangebot und -nachfrage, Investitionen und Konsumtion erforderlich; werden indessen die Gewinne gesteigert, ohne daß sich die Endnachfrageverhältnisse bessern, so drohen entweder Überkapazitäten oder eine starke nicht-investive Gewinnverwendung, in der Regel in Form der Geldkapitalbildung. Tatsächlich ist der Anteil der Nettoanlageinvestitionen an der gesamten Vermögensbildung des Unternehmenssektors (ohne Wohnungswirtschaft) von 68 v. H. in den sechziger Jahren auf 46 v. H. in der Periode von 1977 bis 1984 gesunken Die Schere zwischen Geld-und Sachvermögensbildung hat sich weit geöffnet; die durchschnittliche Selbstfinanzierungsfähigkeit der Unternehmen mit Eigenmitteln hat sich im Trend deutlich verbessert. Nicht Kapitalmangel ist das Problem, sondern die überschüssigen Ersparnisse der Unternehmen und privaten Haushalte (das Sparen der privaten Haushalte ist in den letzten 20 Jahren beträchtlich gestiegen), die nur unzulänglich in inländische Nachfrage transformiert werden An diesem Problem müssen Beschäftigungsprogramme ansetzen.
Ein zweiter Ansatzpunkt ergibt sich daraus, daß große beschäftigungsschaffende Wachstumspotentiale existieren, die sich dem privatwirtschaftlichen Rentabilitätskalkül weitgehend entziehen:
Hierzu gehören zukunftsorientierte Vorsorgepolitik für die Umwelt ebenso wie die Reparatur ökologischer Altlasten, aber auch die Energieeinsparung und die erforderliche Umstrukturierung der Energiewirtschaft, der soziale Wohnungsbau, kommunale Infrastruktur etc. Hier hat sich ein großer, teils neuer, teils auf Nachholbedarf beruhender „Programmvorrat“ aufgestaut. Es ist ein qualitatives Wachstums-und Wohlfahrspotential, das nur durch systematische staatliche Initiative mobilisiert werden kann.
Hier soll kein Plädoyer für eine Wiederbelebung kurzfristig-keynesianischer Globalsteuerung entwickelt werden, die angesichts der tiefgreifenden Wachstumsschwäche in der Tat nur konjunkturelle Strohfeuer entfachen und angesichts des erforderlichen und erwünschten Strukturwandels die sektorale Wirtschaftsstruktur nur konservieren würde. Es geht weder um die Schaffung von Arbeitsplätzen „um jeden Preis“ noch um die Förderung von Wirtschaftswachstum als gewinnwirtschaftlichen Selbstzweck. Vielmehr ist eine fundamentale Weiterentwicklung der klassisch-keynesianischen Wirtschaftspolitik erforderlich, die Joan Robinson wie folgt begründete: „Als Keynes orthodox wurde, vergaß man die Frage ... zu diskutieren, wozu Beschäftigung dienen sollte.“ In der Verbindung von arbeits-und umweltorientierter Strukturpolitik mit Wachstumspolitik liegt die eigentliche Logik der Forderung nach qualitativem Wachstum. Diese Neuorientierung ließe sich auch als Übergang vom kurzfristigen Globalsteuerungs-zum längerfristigen Programm-Keynesianismus bezeichnen.
Unzutreffend wäre es, derartige Konzeptionen als nachfrageorientierte Strategien zu bezeichnen; zwar soll die private und staatliche Endnachfrage gestärkt und verstetigt werden, und dies nicht nur zwecks kurzfristiger Verbesserung des Auslastungsgrades der Produktionskapazitäten. Vielmehr geht es um eine langfristig angelegte Produktionsstrukturpolitik, die das vorhandene Produktionspotential sozial und ökologisch umstrukturiert und brachliegende Ressourcen mobilisiert. Soweit es sich um neue staatliche Aufgabenfelder handelt, ist naturgemäß eine dauerhafte Erhöhung der Staatsausgaben und — bei gleichbleibenden privatwirtschaftlichen Aktivitäten — eine gesteigerte Staatsquote erforderlich.
Ein „Programm-Keynesianismus“ durch längerfristige Beschäftigungsprogramme erfordert gegenüber dem traditionellen kurzfristigen „deficitspending“ in der Rezession einen anderen Finanzierungsmodus: Zusätzliche Staatsverschuldung hat jetzt lediglich die Funktion der kurzfristigen Anlauffinanzierung; danach muß eine Selbstfinanzierung durch Steuermehreinnahmen und/oder durch Abbau volkswirtschaftlicher Kosten der Arbeitslosigkeit und der Umweltzerstörung oder aber durch gezielte Besteuerung volkswirtschaftlich weitgehend funktionsloser Einkommen erfolgen (siehe Abschnitt IV. 3.).
Auch muß über flankierende Begleitmaßnahmen nachgedacht werden: Erstens über eine Geldpolitik der Notenbank, die die Finanzpolitik der Regierung nicht konterkariert, sondern zinspolitisch abstützt und fördert; zweitens durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die sich vorrangig an dem Qualifizierungs-und Umschulungsbedarf der schwer vermittelbaren Gruppen unter den Arbeitslosen orientiert. Hierauf wie auf mögliche andere komplementäre Politikbereiche kann in diesem Beitrag nicht näher eingegangen werden.
Beschäftigungsprogramme der hier anvisierten Art sind in den letzten Jahren immer wieder gefordert worden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat bereits 1978 und 1979 in einer verfeinerten und aktualisierten Fassung seine nachfrageorientierte Strategie zur „Wiederherstellung der Vollbeschäftigung“ über zusätzliche Ausgaben für die Jahre 1980 bis 1985 im Umfang von 130 Mrd. DM in Feldern qualitativen Wachstums begründet Der DGB fordert seit 1978 ein mittelfristiges Beschäftigungsprogramm mit mittlerweile 50 Mrd. DM für die nächsten Jahre. Die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ hat in ihrem jüngsten „Memorandum ’ 86“ ein 100 Mrd. DM-Programm für die nächsten beiden Jahre gefordert, um mit einem wirtschaftspolitischen „Kraftakt“ einen qualitativen Wachstums-pfad bei Sicherung und Schaffung von 800 000 Arbeitsplätzen zu erreichen Das Programm der GRÜNEN „Umbau der Industriegesellschaft“ (Entwurf) enthält faktisch ein staatliches Beschäftigungsprogramm für 200 000 bis 300 000 Arbeitsplätze, auch wenn Beschäftigungsprogramme ver-bal abgelehnt werden Auch die SPD fordert mit ihrem „Sondervermögen Arbeit und Umwelt“ eine Art Beschäftigungsprogramm, das unmittelbar aus den öffentlichen Haushalten herausgelöst werden soll, indem es mit einem differenzierten Zuschlag auf einzelne Energieverbrauchsarten („Umweltpfennig“) mit 4, 7 Mrd. DM ausgestattet werden und damit insgesamt 18 Mrd. DM Produktionsaktivitäten (1 v. H.des Bruttosozialproduktes 1984) auslösen soll; nach Ifo-Berechnungen könnte dieses Programm ca. 200 000 Arbeitsplätze schaffen 2. Programmvorrat für qualitative Wachstumsfelder An Programmvorrat für eine qualitative Wachstumspolitik mangelt es nicht. Daß großer Bedarf besteht, wird auch vom Sachverständigenrat konzediert Zum einen besteht als Folge der in den letzten Jahren rückläufigen Investitionspolitik der Gebietskörperschaften — insbesondere der Kommunen — ein großer Erhaltungs-und Erneuerungsbedarf in „klassischen“ Infrastruktur-bereichen (Straßen, Gebäudereparaturen etc.) Darüber hinaus gibt es neuen bzw. zusätzlichen Bedarf im Umweltschutz, bei der Energieeinsparung, der Verkehrspolitik, in der Berufsbildung und im sozialen Wohnungsbau. So hat das deutsche Institut für Urbanistik* (DIFU) in den Bereichen Ausbau traditioneller Infrastruktur, Maßnahmen im Sektor des Umweltschutzes sowie der Schadensbeseitigung an öffentlichen Bauwerken und Wohngebäuden allein für die Kommunen einen Investitionsbedarf von 1985 bis 1990 in Höhe von 358 Mrd. DM (in konstanten Preisen) und somit eine jahresdurchschnittliche Wachstumsrate von 15v. H. geschätzt (jährlich 58 Mrd. DM) Indessen waren die kommunalen Investitionen 1984 mit 30, 5 Mrd. DM auf einem historischen Tiefstand angelangt, der um 26 v. H. unter dem des Jahres 1980 (in jeweiligen Preisen) lag, obwohl die Gemeinden einen Haushaltsüberschuß von 1, 5 Mrd. DM erwirtschaftet hatten. Die öffentlichen Investitionen insgesamt waren 1984 — preisbereinigt— unter das Niveau von 1963 heruntergekürzt worden; erst in diesem Jahr ist die Talfahrt aufgehalten worden.
Im Zentrum eines Langzeit-Beschäftigungsprogramms könnte folgender Aufgabenvorrat, der aus vielen Untersuchungen destilliert worden ist, stehen a) Umweltschutz Das Hessische Umweltministerium errechnete in einem Programm „Arbeit und Umwelt“ einen langfristigen Investitionsbedarf (in konstanten Preisen) von 770 Mrd. DM (davon die Hälfte Mittel der Privatwirtschaft) mit einem Beschäftigungseffekt von 635 000 Mann-/Fraujahren. Darin sind Maßnahmen zur Energiepolitik, zum Wohnungsbau, zur Stadtsanierung und für verkehrspolitische Verbesserungen enthalten. Diese Bereiche werden weiter unten noch gesondert aufgeführt. Der umweltpolitische Investitionsbedarf im engeren Sinn umfaßt ein Volumen von 42, 3 bis 50, 8 Mrd. DM in den folgenden Bereichen: Gewässer (5 bis 6 Mrd. DM), Wasserschutz (0, 1 Mrd. DM), Luftreinhaltung (8, 5 bis 13 Mrd. DM), Lärmschutz (5 bis 8 Mrd. DM), Abfallbeseitigung (10 Mrd. DM), Naturschutz, Landschaftspflege (13, 7 Mrd. DM).
R. -D. Brunowsky und L. Wicke schlagen ein 10-Jahres-Öko-Programm vor, das ein öffentliches Investitionsvolumen von 66 Mrd. DM enthält, mit dem direkte und indirekte Beschäftigungswirkungen von 500 000 „ausgelasteten Arbeitsplätzen“ erzielt werden können. Folgende Aufgabenbereiche sind vorgesehen: Luftreinhaltung (11 Mrd. DM), Gewässerschutz (25 Mrd. DM), Bodenschutz (10 Mrd. DM), Lärmbekämpfung (10 Mrd. DM), Energieeinsparung (10 Mrd. DM). Eine detaillierte Bedarfsermittlung, die hier nicht wiedergegeben werden kann, steht hinter diesem Programm. Seitens des Deutschen Instituts für Urbanistik wird ein detaillierter kommunaler umweltpolitischer Aufgabenkatalog genannt Rauchgasentschwefelung bei Kraftwerken, Reinigung des Grundwassers von chemischen Stoffen bei der Wasserversorgung, Sanierung der Mischwasserkanalisation, Erweiterung der Kläranlagen um eine dritte Reinigungsstufe, Bau von Sondermülldeponien, Sanierung von Altdeponien (1 000 bis 2 000 Altdeponien werden als problematisch eingestuft), Beseitigung von „Altlasten“ (z. B. Reinigung kontaminierter Böden), Maßnahmen gegen das Waldsterben. b) Energiepolitik Für den Bereich einer ökologisch verträglichen Energieversorgung bzw. Energieeinsparung liegt eine Fülle von Studien zur Abschätzung des Investitionsbedarfs sowie der Beschäftigungseffekte vor. Das Programm des Hessischen Umweltministeriums nennt folgenden langfristigen Investitionsbedarf: Verbesserte Wärmedämmung (vor allem Gebäudeisolierung) 270 Mrd. DM, Ausbau der Fernwärmeversorgung 80 Mrd. DM. W. Ströbele schätzt den zusätzlichen privaten und öffentlichen Investitionsbedarf im Bereich der Energiepolitik von 1980 bis zum Jahr 2000 vorsichtig auf 480 bis 520 Mrd. DM. Hinter dieser Kalkulation steht die Realisierung des Konzeptes eines „sanften Energiepfads“. In seiner Studie „Energiesparen als Beschäftigungspolitik“ hat Spitzley ein „Raumwärmeszenario 2000“, das mit folgenden Wirkungen rechnet, vorgelegt Schaffung von (netto) mehr als 300 000 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2000; Einsparung von Heizöl in Höhe von 170 Mrd. Liter (360 Mrd. Liter bis zum Jahre 2010); Senkung der Umweltbelastung allein aus Gebäudeheizungen auf rund ein Viertel der Schadstoffemissionswerte von 1978; Erwirtschaftung eines monetären Nettonutzens (vor allem wegen wegfallender Energiekosten und Kosten für Umweltreparaturen) von 50 Mrd. DM bis zum Jahre 2000. Schließlich haben O. Hohmeyer und H. -J. Rahner das Marktpotential von sechs Einspar-und regenerativen Technologien im Energiebereich für 1985 auf 9 bis 16 Mrd. DM (in Preisen von 1972) veranschlagt. Der Beschäftigungseffekt dieser Maßnahmen hätte selbst bei Berücksichtigung des Produktivitätsanstiegs zwi-sehen 1972 und 1985 bei 230 000 bis 420 000 Mann-/Fraujahren liegen können 40). c) Verkehrspolitik Das Hessische Umweltministerium schätzt den Investitionsbedarf für Verkehrsberuhigung sowie den Fuß-und Radwegebau auf 110 Mrd. DM. Der Ausbau des Öffentlichen Personen-NahVerkehrs (ÖPNV) erfordert Investitionen in Höhe von mindestens 1 Mrd. DM. d) Wohnungsbau Das Hessische Umweltministerium veranschlagt den Investitionsbedarf für Stadtsanierung auf 10 Mrd. DM. Nimmt man die erforderliche Modernisierung von 3 Millionen Wohnungen und den Neubedarf von 800 000 Sozialwohnungen hinzu, dann ergibt sich ein Investitionsvolumen von 275 Mrd. DM. Hinzugerechnet werden müßte auch der Sanierungsbedarf im Rahmen der Energieeinsparung (vgl. Punkt b). e) Berufsbildung Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 41) fordert die Schaffung von mindestens 100 000 zusätzlichen Ausbildungsstellen, den Ausbau von außer-und überbetrieblichen Ausbildungsstätten sowie die Förderung betrieblicher Ausbildungsplätze für qualifizierende Ausbildung. f) Ausweitung der Beschäftigung im öffentlichen Dienst Das De fordert die Schaffung von mindestens 100 000 zusätzlichen Ausbildungsstellen, den Ausbau von außer-und überbetrieblichen Ausbildungsstätten sowie die Förderung betrieblicher Ausbildungsplätze für qualifizierende Ausbildung. f) Ausweitung der Beschäftigung im öffentlichen Dienst Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ermittelt einen erheblichen zusätzlichen Stellen-bedarf im öffentlichen Dienst. Dieser Bedarf besteht in erster Linie im Bereich des Gesundheitswesens (es fehlen in öffentlichen Krankenhäusern 60 000 Pfleger und Krankenschwestern und 10 000 Ärzte im Bildungssektor und in den Hochschulen sowie im Bereich der sozialen Dienste (Behinderte, Suchtkranke, Resozialisierung, Jugend-und Altershilfe etc.). Erheblicher Personalbedarf existiert auch in den Arbeits-und den Finanzverwaltungen. Nach verschiedenen Schätzungen sind insgesamt 150 000 bis 360 000 zusätzliche Arbeitsplätze erforderlich, von denen allerdings ein Teil bei Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und anderen Trägern angesiedelt sein könnte Das DIW schlug deshalb 1984 die Schaffung von jährlich 40 000 bis 50 000 zusätzlichen Stellen im öffentlichen Dienst (unter Beibehaltung der derzeitigen Struktur von Voll-und Teilzeitkräften) bei Bund, Ländern und Gemeinden vor (1985 bis 1990 200 000 bis 250 000). Dies entspräche einem jahresdurchschnittlichen Personalzuwachs von etwa 1 v. H. im staatlichen Sektor. Durch die hin-zuwachsenden Programmaufgaben im Rahmen qualitativer Wachstumspolitik entsteht mittelfristig zweifellos ein weiter Personalbedarf.
Die aus einer Fülle von Studien hier zusammengefaßten Ergebnisse belegen: Es gibt einen dringlichen öffentlichen Programmbedarf mit Schwerpunkt in den Regionen und Kommunen. Die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen läßt sich somit mit der ökonomisch sinnvollen Mobilisierung der Produktion in diesen öffentlichen Aufgabenfeldern verknüpfen. Der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit und gegen die schädlichen Folgen der bisherigen Wirtschaftsentwicklung vereinigt sich in der Forderung nach einem Langzeit-Beschäftigungsprogramm für die mittlere Frist. 3. Finanzierungspotentiale Zu Unrecht werden häufig vermeintliche Finanzierungsprobleme als Haupthindernis für längerfristig umweltorientierte Beschäftigungsprogramme angesehen. Dabei wird übersehen, daß es eine Vielzahl zum Teil sehr detaillierter Finanzierungsvorschläge gibt, die bei entsprechendem politischen Wollen durchaus umsetzbar sind Wer Beschäftigungsprogramme für nicht finanzierbar hält, verkennt das Grundproblem einer Volkswirtschaft mit geringer Wachstumsdynamik, unterausgelasteten Produktionskapazitäten, hoher Arbeitslosigkeit und starker Umweltschädigung: Erstens kann durch den hier geforderten „Programm-Keynesianismus“ ein zusätzliches Wohlfahrts-und Wachstumspotential erschlossen werden, so daß sich kein gesamtwirtschaftliches Nullsummenspiel ergibt (etwa in dem Sinne: weniger private, mehr staatliche Ausgaben). Es werden auch nicht mehr Einkommen verteilt als entstehen, sondern die Einkommensentstehung und da-mit auch der Verteilungsspielraum sollen ausgeweitet werden. Zweitens geht es darum, der überbordenden Geldkapitalbildung aus Gewinn-und anderen höheren Einkommen entgegenzuwirken, indem gesamtwirtschaftlich funktionslose, d. h. nicht oder nur mit starker Verzögerung sachinvestiv verwendete Gewinneinkommen steuerpolitisch möglichst rasch in den volkswirtschaftlichen Kreislauf zurückgeschleust werden. Drittens schließlich sollen die hohen Folgekosten aufgrund der Massenarbeitslosigkeit und der Umweltzerstörung vermindert werden, so daß entsprechende Ressourcen freigesetzt werden können.
Konkret sind damit folgende Finanzierungspotentiale angesprochen:
— Nach einer gewissen Anlaufzeit der Programme, d. h. bis sie realwirtschaftlich greifen, entstehen zusätzliche Einkommen und damit Steuermehreinnahmen, so daß sich über einen längeren Zeitraum erhebliche Selbstfinanzierungseffekte einstellen.
— Nach einer OECD-Berechnung betragen die jährlichen Umweltschäden ca. 3 bis 5 v. H.des Bruttosozialproduktes; geschätzten jährlichen Schäden von 45 bis 75 Mrd. DM stehen Umweltschutzausgaben von ca. 20 Mrd. DM gegenüber. Umweltschutzprogramme können mehr Schäden mindern als sie kosten. In ähnlicher Weise gilt dies für Maßnahmen der Energieeinsparung, für präventiven Arbeitsschutz und Gesundheitsvorsorge, wodurch hohe Energiekosten und Unfall-sowie Krankheitskosten eingespart werden können.
— Die direkten und indirekten Kosten der Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenunterstützung, Ausfall an direkten und indirekten Steuern und Sozialbeiträgen) belaufen sich auf über 50 Mrd. DM jährlich was ca. 3 v. H.des Bruttosozialproduktes entspricht; bei reduzierter Arbeitslosigkeit werden entsprechende finanzielle Ressourcen frei.
Schließlich eröffnen sich über eine Durchforstung der Ausgaben sowie der Einnahmen öffentlicher Haushalte weitere Finanzierungspotentiale für ein Beschäftigungsprogramm. Hier bieten sich die folgenden Maßnahmen an: — Striktere Handhabung des Steuerrechts, Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität, die Einführung eines sozial abgestuften Quellenabzugsverfahrens für die Vermögenseinkünfte bei den privaten Haushalten sowie die Verminderung und Zinsbelastung von Steuerrückständen;
— Schwerpunktsetzung bei den öffentlichen Ausgaben auf den Programmvorrat des Langzeit-Beschäftigungsprogramms ;
— Erschließung neuer Steuerquellen wie etwa die bereits erwähnte stärkere Besteuerung nicht sachinvestiv genutzter Gewinne, Einführung einer Ergänzungsabgabe für Besserverdienende (ab DM 60 000 bzw. 120 000 für Ledige/Verheiratete); — Einsatz der öffentlichen Kreditaufnahme zur kurzfristigen Vorfinanzierung des Programms; — Einführung eines Arbeitsmarktbeitrags für alle Erwerbstätigen einschließlich Selbständige und Beamte, um die Finanzierung arbeitsmarkt-politischer Maßnahmen zu erleichtern;
— Stärkere Besteuerung von knappen Naturressourcen, um deren Einsparung zu induzieren., Langzeit-Beschäftigungsprogramme sind durchaus finanzierbar. Ihre Verwirklichung hängt freilich von der Interessenlage und damit zwangsläufig verbundener Widerstände ab. Angesichts der trotz konjunkturellen Aufschwungs anhaltenden Massenarbeitslosigkeit sowie der voranschreitenden Umweltschädigungen spricht die politische Vernunft für eine schnelle und nachhaltige Über-windung dieser Situation. Der Blick zurück auf die wirtschaftlichen Wachstumsbedingungen in den fünfziger Jahren gibt keine Richtschnur für den heutigen Handlungsbedarfab. Die wirtschaftliche Nachkriegsentwicklung war historisch singulär; die anhaltenden ökonomischen Entwicklungsprobleme offenbaren den daran geknüpften „kurzen Traum immerwährender Prosperität“ (B. Lutz). Ein qualitatives Langzeit-Beschäftigungsprogramm mit ökologischer Ausrichtung bietet einen zentralen Anknüpfungspunkt, um aus den Erfahrungen der letzten Jahre neue Strukturen entstehen zu lassen.
An die Stelle von Vorurteilen gegenüber Beschäftigungsprogrammen und pauschalen ideologischen Ressentiments gegen „mehr Staat“ muß eine sachliche Diskussion treten.
Rudolf Hickel, Dr. rer. pol., geb. 1942; Studium der Wirtschaftswissenschaft; danach wissenschaftlicher Assistent zuerst an der Universität Tübingen, dann am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Konstanz; seit 1972 Professor für Politische Ökonomie mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Radikale Neoklassik — Ein neues Paradigma zur Erklärung der Massenarbeitslosigkeit?; (zusammen mit Heiner Heseler) Mit Wirtschaftsdemokratie gegen Wirtschaftskrise, Opladen 1986; (zusammen mit Manfred Gurgsdies) Pilotstudie: Umwelt und Beschäftigung — Nationale und internationale Studien im Überblick — Anhaltspunkte für ein Programm „Arbeit und Umwelt“ im Lande Bremen, Hamburg 1986; Mitherausgeber mehrerer Zeitschriften sowie Mitglied der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“, Bremen 1986. Jan Priewe, Dr. rer. oec., geb. 1949; Studium der Volkswirtschaft an den Universitäten Konstanz und Marburg; seit 1982 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Darmstadt. Arbeitsgebiete: Arbeitsmarktpolitik, Regionalpolitik, Krisentheorie. Veröffentlichtungen u. a.: Zur Kritik konkurrierender Arbeitsmarkt-und Beschäftigungstheorien, Frankfurt—Bern—New York 1984; Die drei großen Krisen des deutschen Kapitalismus: Ein wirtschaftsgeschichtlicher und -theoretischer Vergleich, in: J. Goldberg (Hrsg.), Große Krisen des Kapitalismus — lange Wellen der Konjunktur?, Frankfurt 1985; Regionalpolitik in der Krise — Entwicklungstendenzen und Alternativen, in: Jahrbuch für Sozialökonomie und Gesellschaftstheorie, Opladen 1986.
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