Gibt es einen verborgenen Konsens in der Politikdidaktik?
Tilman Grammes
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Zusammenfassung
Die sogenannte Krise der Politikdidaktik ist keine äußere, sondern eine innere Krise im Selbstverständnis der Disziplin. Entgegen der landläufigen Ansicht verfügt die Disziplin nämlich sehr wohl über eine gemeinsame und konsensfähige Fragestellung, einen Gegenstand sowie ein Set von Methoden, mit dem Antworten auf die an die Disziplin gerichteten Fragen gewonnen werden können. Dieses Paradigma der Disziplin als festumrissener Forschungskonsens erschließt sich aber erst, wenn man die an der vordergründigen Standpunktlogik einer politischen Geographie orientierte verzerrte Rezeptionsweise verläßt und in einer problemgeschichtlich akzentuierten Rückschau Konzepte von Kerschensteiner über Wilhelm, Giesecke, Sutor, Christian, Schmiederer, Behrmann, Gagel und anderen verstehend betrachtet und mit Praxisberichten konfrontiert. Die heterogenen, zwischen konservativen und marxistischen Positionen changierenden Ansätze bestehen im Kern aus einer Verknüpfung von Aussagen zur politischen Sozialisation mit der Analyse darin liegender didaktischer Möglichkeiten. Die damit angesprochenen Fragestellungen lassen sich im Modell des fachdidaktischen Kegels gegenstandsadäquat abbilden. Methodisch ist Unterricht immer schon bestimmt als „Verhandlung des Politischen im Sozialen“ (pragmatisches Paradigma) im Sinne einer politischen Propädeutik. Das damit der Disziplin gesetzte Forschungsprogramm kann zum produktiven Motor empirischer Unterrichtsforschung werden.
I. Die sogenannte „Krise“ der Politikdidaktik
Für viele Beobachter der politikdidaktischen Diskussion befindet sich diese Disziplin seit geraumer Zeit in einem desolaten Zustand. Mehr als einmal ist ihr gar der Charakter einer Wissenschaft abgesprochen worden — zuletzt von einem Politikdidaktiker, der in seiner Eigenschaft als praktizierender Studienrat zugleich als „Praktiker“ gelten kann: Er bezeichnete die Politikdidaktik als eine „Wissenschaft ohne Gegenstand“ Es mangele der Disziplin zudem an Klarheit über ihre Fragestellungen sowie die zur Lösung der ihr gestellten Aufgaben und Probleme heranzuziehenden Methoden. Zugleich handele es sich um eine Disziplin ohne Forschung. Welcher Politikdidaktiker von Rang wäre auch jemals in die Niederungen tatsächlichen Politikunterrichts hinabgestiegen und hätte die „pädagogische Praxis“ ernsthaft zum Gegenstand einer empirischen Untersuchung gemacht, um seine didaktische Konzeption dann entsprechend an den konstatierten Problemen der Praxis zu orientieren?
So erwartet denn auch der Praktiker vor Ort in der Regel wenig Hilfe von fachdidaktischen „An-
Dem Aufsatz zugrunde liegt meine Dissertation: Politikdidaktik und Sozialisationsforschung. Problemgeschichtliche Studien zu einer pragmatischen Denktradition in der Fachdidaktik, Frankfurt-Bern-New York 1986. Die in diesem Aufsatz gebotene Kürze macht eine holzschnittartige und oft ungeschützte Argumentation erforderlich; ferner muß aufEinzelbelege verzichtet werden. In der Hoffnung, tatsächlich einen verborgenen Konsens der Didaktik formuliert zu haben, bestätigen mich die ersten Reaktionen der von mir analysierten Fachdidaktiker: Sie haben sich überwiegend durch meine unterlegten Interpretationen „verstanden“ gefühlt. Mein Wunsch ist es — als Lehrer selbst aus der sogenannten „Praxis“ kommend —, bei den Kolleginnen und Kollegen für ein weniger verzerrtes Bild der viel geschmähten Disziplin Politikdidaktik zu werben, als dies noch immer oft der Fall zu sein scheint. sätzen“, wenn es um die Gestaltung (Planung, Durchführung und Auswertung) seines alltäglichen Unterrichts geht oder — bescheidener — zumindest um das Angebot von Interpretationshilfen und Orientierungsmarken hierzu. Statt zu „Feiertagsdidaktiken“ (Meyer) greift er bestenfalls zu sogenannten „Stundenblättern“ oder anderer unmittelbar verwertbarer Literatur, deren didaktischer Anspruch sich gegenüber vorfindlieher Praxis eher unkritisch verhält. So kommt es zu einer Situation, in der angesichts des „kläglichen Zustands“ (Grosser) des Politikunterrichts an unseren Schulen das Fach — sofern überhaupt eigenständig vertreten, und nicht durch Geschichte oder Wirtschaft und Recht mediatisiert — gegenwärtig in der „Gesamttendenz noch weiter an den Rand gedrängt“ wird (Geiger), so daß die politische Bildung in der Schule derart folgenlos bleibt, daß das Fach im Urteil mancher Wissenschaftler „eigentlich abgeschafft werden könnte“ (Noll) und die didaktische Diskussion als „Viel Lärm um nichts“ (Fischer) erscheint: als politische Auseinandersetzung zwischen Positionen rechter oder linker, systemkritischer oder systemaffirmativer, orthodox-marxistischer, antirevisionistischer, radikal-demokratisch-sozialistischer, linksliberal-fundamentaldemokratischer, pluralistisch-integrativer, altliberaler und schließlich noch national-konservativer Provenienz als politische Standpunktkontroverse, die mit den pädagogischen Problemen politischer Bildung nur wenig zu tun hat. Sutor hat dieses Muster der Auseinandersetzung, wie es die Disziplin über weite Strecken zu prägen scheint, mit dem Wort „politische Geographie“ zutreffend charakterisiert. Andere sprechen gar von einem „latenten Bürgerkrieg“ (Behrmann) um „Re-oder Entpolitisierung“ der Disziplin (Briese), wie er zwischen A-und B-Ländern ausgetragen wird. Politikdidaktische Kontroversen reduzieren sich auf Kontroversen im Politik-und Gesellschaftsverständnis. Fachdidaktik geht tatsächlich in der fachlichen Bezugswissenschaft auf und verliert ihre Eigenständigkeit. Der Streit der Pädagogen gerät unversehens zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Das Produktionsprinzip der von Jahr zu Jahr umfangreicheren Literatur innerhalb dieses Denkmusters hat Günter C. Behrmann als „einfach“ bezeichnet: „Man nehme eine in der politischen Bildung und deren Didaktik noch nicht berücksichtigte sozialwissenschaftliche Theorie..., referiere sie und zeige, was von vornherein klar ist: daß sie bislang noch nicht oder zu wenig gewürdigt wurde“. Die Stagnation politik-didaktischer Theoriebildung ließ sich auf dem Höhepunkt dieses Musters, als es im Motto einer solchen Arbeit hieß, man müsse lediglich „die Anzahl der Gedanken derart vervielfachen, daß die Anzahl der Wächter für sie nicht ausreicht“ (Wilbert) kaum mehr verbergen. Fortschritt in der wissenschaftlichen Theoriebildung konnte, nachdem die Möglichkeiten der Ansätze ausgereizt schienen, nur noch als quantitative Expansion gedacht werden, als vordergründiger Aktivismus. Dieser Aufsatz möchte nun versuchen, für eine in allen Punkten positivere Sichtweise der Disziplin Politikdidaktik zu werben. Nicht, und dies ist zentral, indem das x-te Programm oder eben der x-te „Ansatz“ politischer Bildungsarbeit postuliert wird, und sei es ein „integrativer“ — dieses Verfahren wäre additiv sowie beliebig und bliebe mithin folgenlos. Vielmehr soll in einer problem-geschichtlich orientierten Retrospektive gezeigt werden, was Politikdidaktiker eigentlich „immer schon“ tun, wenn sie fachdidaktisch denken, und inwiefern dies für den Praktiker vor Ort durchaus eine Orientierungshilfe darstellen kann.
Das für viele überraschende Ergebnis dieser problemgeschichtlichen Rückschau wird sein: Alle, auch die auf den ersten Blick unterschiedlichsten, zwischen konservativen und marxistischen Positionen changierenden „Ansätze“, tun im Prinzip ähnliches. Es existiert demnach „immer schon“ ein disziplinäres Paradigma im Sinne der strengen Begriffsverwendung des Wissenschaftshistorikers Kuhn als ein „festumrissener Forschungskonsens“ Es gibt ein „organisierendes Prinzip“ (Achtenhagen) der Disziplin, einen Kern (hard core), der gegenüber einem tagespolitischen Schutzgürtel (protective belt) getreu dem Muster politischer Geographie herausgeschält werden kann
Das Problem der Politikdidaktik besteht also nicht darin, daß sie nicht über einen vernünftigen Ansatz verfügte sowie über „einheimische Begriffe“, sondern daß den Mitgliedern der scientific community dieser gemeinsame Forschungskonsens nicht bewußt ist, so daß er nicht im Sinne einer positiven Heuristik zum Motor produktiver Forschung und zur Anleitung von Unterricht herangezogen werden kann.
Damit ist ein gegenüber dem einleitenden Lamento über eine vermeintliche Krise der Disziplin gegenteiliger Befund unterstellt: Die Krise der Didaktik ist heute keine äußere, organisatorische, materielle oder personelle. Probleme der Disziplin können auch nicht auf eine von außen aufgedrückte „Entpolitisierung“ im Zuge einer politischen „Wende“ gegenüber dem reformerischen Klima der siebziger Jahre zureichend zurückgeführt werden. Organisatorische Defizite sind vielmehr Symptom tiefreichender Krisen im Selbstverständnis der Disziplin und ihrer Fach-vertreter. Es handelt sich mithin um eine innere Krise.
II. Ein politikdidaktisches Paradigma
Um die These zu untermauern, daß für die Fach-didaktik die Chance einer „Reifephase“ (Grosser) und „Professionalisierung“ (Giesecke) be-steht, in der Extrempositionen nicht mehr interessieren, so daß sich für die ungeliebte politische Bildung vielleicht doch die Chance für einen Neubeginn abzeichnet, ist es erforderlich, sich in einer wissenschaftsgeschichtlich akzentuierten problemgeschichtlichen Perspektive der vorliegenden Theorieproduktion zuzuwenden. Vorzunehmen ist eine hermeneutisch-kritische „Rekonstruktion“ fachdidaktischer Konzeptionen repräsentativer Politikdidaktiker, wie sie die GeB schichte der Bundesrepublik Deutschland, die „Biographie des Gemeinwesens“ (Giesecke) im Spiegel des Bewußtseins und der Sozialisationslagen ihrer (jungen) Bürger reflexiv begleiten. Ziel muß es sein, diese Konzeptionen „besser“ zu verstehen, als dies bisher der Fall gewesen ist. Dabei geht es mir um die Herstellung „plausibler Lesarten“, die in der Lage sind, auch die Zustimmung der analysierten Didaktiker zu erhalten. Für eine erste eingehende Analyse wurden dabei die so unterschiedlichen Arbeiten von Wilhelm, Giesekke, Sutor, Christian, Schmiederer, Behimann und Gagel herangezogen sowie historische Bezüge hergestellt insbesondere zur fachdidaktischen Wende, wie sie im Denken Georg Kerschensteiners und einiger Didaktiker der Weimarer Republik sich ausprägt. Dies schließt die Behauptung ein, daß auch die Theorieproduktion anderer Didaktiker, die freilich oft disparater, weniger konsistent, gleichwohl anregend ist, anhand dieses Paradigmas dargestellt werden könnte. Zu denken wäre an Hilligen, Fischer, Roloff, Holtmann und insbesondere Bernhard Claußen, der immer wieder für eine Verbindung von Sozialisationsforschung und Didaktik eingetreten ist.
Die ausgewählten Konzeptionen wurden unter den Aspekten folgender drei Fragestellungen betrachtet: 1. Wie denken Jugendliche und ihre (Politik-) Lehrer „immer schon“ über soziale und politische Prozesse? Welche Handlungsdispositionen sind mit diesen Orientierungen gekoppelt? Wie entstehen diese in einem Prozeß politischer Sozialisation? (empirische politische Sozialisationsforschung)
2. Welche Defizite und Korrekturnotwendigkeiten liegen in diesen Denk-und Verhaltenstraditionen vor dem Hintergrund einer normativen Vorstellung eines politisch bewußten Bürgers innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft, die als parlamentarische Demokratie verfaßt ist? (Korrektur und Kritik) 3. Welche didaktischen Möglichkeiten einer verändernd eingreifenden politischen Bildung als Verhandlung des Politischen im Sozialen sind im Spielraum vom 1. und 2. enthalten? (praktisches Möglichkeitsdenken)
Es zeigt sich, daß alle analysierten Konzeptionen nicht nur Antworten auf diese Fragen geben, sondern daß diese Abfolge von Fragen in der Lage ist, Kern und organisierendes Prinzip dieser Konzeptionen zu erfassen, mithin diese sich umfassender verstehen lassen als anhand der Einteilungsschemata nach dem Muster einer politischen Geographie.
Dieser Dreischritt einer gemeinsamen Fragestellung politikdidaktischen Denkens zielt auf die Verknüpfung zweier bisher getrennt betriebener Disziplinen: von Politikdidaktik und Politischer Sozialisationsforschung. Diese Verknüpfung wird spätestens seit Mitte der sechziger Jahre und heute verstärkt gefordert Meine zentrale These lautet nun: Es handelt sich bei der propagierten Verknüpfung beider Disziplinen nicht um ein beliebiges neues Forschungsprogramm, sondern viel weitergehender um das organisierende Prinzip fachdidaktischer Forschung von Beginn an (Kerschensteiner). Pointiert formuliert: Politikdidaktische Aussagen verfügen immer schon über ein in breitem Umfang auch konsensfähiges Bild von der Befindlichkeit der Akteure (Lehrer) und Adressaten (Schüler) vor dem Hintergrund einer spezifisch wahrgenommenen gesellschaftlichen Problemlage, die es produktiv aufzugreifen gilt, soll das gesellschaftliche System als Ganzes handlungsfähig bleiben. Die Entwicklung einer didaktischen Konzeption ohne Vorstellungen zur Sozialisation erweist sich mithin als gar nicht möglich. Welche „Brücke“ zwischen Sozialisationsprozessen und didaktischen Möglichkeiten geschlagen wird, dies entscheidet über die Praxis-relevanz einer begründeten fachdidaktischen Konzeption und nicht die, wie sich zeigen wird, eher sekundäre Tatsache, ob die Konzeption sich als eine „linke“ oder „rechte“, als „affirmative“ oder „kritische“ versteht.
Bei dem neuerdings propagierten Forschungsprogramm „Sozialisation und Fachdidaktik“ handelt es sich nicht um eine erneute „Wende“, eine neueste „Mode“, die dann ebenso schnell durch die nächste abgelöst würde. Vielmehr handelt es sich um das intensivierte Aufgreifen einer die Geschichte der Disziplin prägenden Arbeitsund Denkweise, mithin um ein wirkliches Paradigma. Damit zeigt sich auch — so schwer das für manchen Praktiker und auch Didaktiker zu verdauen ist —, daß ohne eine Anbindung politikdidaktischer Reflexion an allgemeine Didaktik sowie an Theorien der Wissenschaftsgeschichte kein Weiterkommen möglich, keine Theoriendynamik herstellbar ist
III. Der fachdidaktische Kegel als Modell vom Gegenstand (Formalobjekt) der Disziplin
Mit dem paradigmatischen Dreischritt von Fragen läßt sich auch eine genauere Vorstellung vom Gegenstand der Disziplin gewinnen. Ausgangspunkt für eine Darstellung kann das aus der allgemeinen Didaktik übernommene Modell des didaktischen Dreiecks sein, wenn dieses manchem auch als altfränkisch und hausbacken erscheinen mag: „In jedem Unterricht gibt es zunächst ein Thema, was neu zu vermitteln ist. Dabei wird als Thema das verstanden, was im Anschluß an das Können des Schülers neu hinzugelernt wird ... Zweitens gehört zum Unterricht ein Lernender, dem ein Thema angeboten oder zugemutet wird, das im Unterricht zu bearbeiten ist. Und drittens gehört zum Unterricht ein Mittler, der zwischen Thema und Schüler die Brücke schlägt.“
Unter fachdidaktischer Perspektive ist dieses einfache Modell nun unter Hinzunahme historischer und gesellschaftlich-institutioneller Bezüge zum politikdidaktischen Kegel zu erweitern: Die Spitze des Kegels kennzeichnet das Formalobjekt von Fachunterricht, den „Aspekt“, unter dem alle didaktischen Fragen scheinwerferartig angegangen werden. Zwei Seiten des Kegels kennzeichnen die Fragen politischer Sozialisation: Wie vermittelt sich Politik in die Köpfe von Lehrern und Schülern und wirkt von dort auf politische Prozesse zurück? Die dritte Seite markiert den bildungs-und curriculumtheoretischen Aspekt der Fragestellung: Welche Themen (als Integration von Inhalten und Intentionen) sind auszuwählen, wenn vorfindliche Dispositionen einer kritischen Korrektur unterzogen werden sollen
Im fachdidaktischen Kegel wird Unterricht in seiner „trialektischen Struktur“ (Klafki) faßbar. Vermittlung kann als die eigentliche Aufgabe fachdidaktischer Reflexion gekennzeichnet werden (Hentig). Didaktik wäre dann prozeßorientierte Wissenschaft von den Veränderungsmöglichkeiten von und durch Unterricht im schulischen und außerschulischen Bereich
Das Modell des fachdidaktischen Kegels liefert der Politikdidaktik ein heuristisches Instrumentarium zur Fixierung ihrer Aufgabe und ihres Gegenstandes (der Möglichkeit politischer Lernprozesse als Vermittlung der in ihn eingehenden Momente), denen sich eine eigenständige Forschung mit bestimmten Methoden zuwenden kann. Der fachdidaktische Kegel bietet jenen „Ansatz, die chaotische Vielfalt fachdidaktischer Probleme zu systematisieren“ (Wolfgang Christian), den wir für die problemgeschichtliche Analyse eines fach-didaktischen Paradigmas suchen.
IV. Der verborgene Konsens politikdidaktischer Theoriebildung
Wie sieht nun dieses Paradigma inhaltlich aus, in dem die nach den Mustern politischer Geographie so unterschiedlichen Positionen konvergieren? Ich werde versuchen, entlang des markierten Dreischritts von Fragestellungen zentrale Elemente dieses Forschungskonsenses thesenförmig zusammengefaßt vorzustellen. Abschließend soll deutlich werden, warum ich vorschlage, von einem „pragmatischen Paradigma“ zu sprechen: 1. Politisches Bewußtsein und politische Sozialisation Wer weiß, wie wichtig es ist, wenn Ärzte auch nur zur gleichen Diagnose gelangen (die Therapie mag dann immer noch strittig bleiben), wird mit Beruhigung registrieren, daß die Ärzte am Krankenbett der krisengeschüttelten Didaktik einen gemeinsamen Befund vortragen: Gemeinsames Kennzeichen politischen Bewußtseins aus Sicht unserer Fachdidaktiker ist das Fehlen einer realistischen Orientierung auf das politische System. Diese Formulierung stammt von Sutor, gilt aber noch für einen Marxisten wie Christian. Was heißt „Fehlen einer realistischen Orientierung“?
Das politische Bewußtsein in der politischen Kultur der Bundesrepublik setzt in spezifischer Weise „über“ und „unter“ dem gesellschaftlich-politischen System und seinen Institutionen an: entweder bei abstrakten Staatsvorstellungen, die mit der Realität von policy-Prozessen innerhalb einer parlamentarischen Demokratie wenig zu tun haben, weil die Maßstäbe falsch gewählt sind, oder bei primärgruppenhaften Gemeinschaftsmodellen, die gegen „Gesellschaft“ ausgespielt werden. Dieses Bewußtsein vermag nicht, das Wirken des Politischen im Gesellschaftlich-Sozialen als notwendiges Erfordernis einer Regelung gemeinsamer Angelegenheiten als Abfolge von Konflikt/Konsens und verbindlicher Entscheidung durch legitimierte Handlungsträger zu sehen. Es fehlt eine Mittellage politischen Bewußtseins im Sinne einer realistischen Partizipationsorientierung, die die Handlungsspielräume des Systems voll ausschöpft (evtl, auch, um es grundlegend zu verändern — dies wäre die marxistische Position). Statt dessen gilt das Politische als „fern“, wird aber mit inadäquaten Kategorien sozialer Nahräume interpretiert und bewertet.
Mit dieser defizitären Bewußtseinshaltung verknüpft ist eine Neigung zu verkürzt normativen Denkfiguren: Normen und Werte (Soll-Forderungen) und Faktizitäten (Ist-Zustände) werden abstrakt gegeneinander ausgespielt. Daraus resultieren zwei Grundhaltungen: Entweder wendet sich das Bewußtsein — entspricht die Wirklichkeit nicht ihrem Begriff — aufgrund nur gering ausgeprägter Komplexitäts-, Frustrations-, Konflikt-und Unsicherheitstoleranzen schnell von intensiver Beschäftigung mit Politik ab; an politischen Verbesserungen zu arbeiten lohne nicht, man mache sich nur die Hände schmutzig; Resultat ist politische Apathie. Die andere Grundhaltung kann zumindest vom Denken her als sozialtechnologische Orientierung beschrieben werden: die Zuwendung zu einem vermeintlichen Weltverbesserungsmechanismus, mit dem man glaubt, den Schlüssel zur Wendung zum Besseren in Händen zu halten; eine Art Rezeptologie zur Gestaltung sozialer Realität.
Die damit angesprochenen Habitustypen in ihrer Verschränkung und wechselseitigen Bedingtheit spricht Theodor Wilhelm im Motto seiner Arbeit „Der Kompromiß“ (1973) an: Er widmet das Buch seinen Studenten, „den Kämpfern um die , Endlösung‘ und den Verächtern des Systems, aber auch den politisch Uninteressierten und den Humorlosen, bei denen der Unmut habituell geworden ist, und natürlich auch der schweigenden Mehrheit, den stillen Nutznießern der rechtsstaatlichen Ordnung, deren politische Einstellung nirgends sichtbar wird“.
Giesecke hat beide Denkhaltungen in der außerschulischen Jugendarbeit im Jugendhof Stein-kimmen Anfang der sechziger Jahre , beobachtet und diese Beobachtungen geradezu zum Ausgangspunkt seiner sogenannten „Konfliktdidaktik“ gemacht Beiden Bewußtseinshaltungen mangelt es an der Fähigkeit, mit Normen als „regulativen Ideen“ zu arbeiten, die kritisch an reale Prozesse angelegt und zu ihrer Bewertung herangezogen werden können, aber nicht vorschnell gegen diese ausgespielt werden dürfen, da sie im-mer ja nur näherungsweise erreicht werden können. Es fehlt eine „soziologische Denkweise“ (Mills, Schmiederer), die vor einem kritisch gestimmten normativen Hintergrund gerade zur Bestimmung von Handlungsspielräumen gelangen könnte, anstatt zwischen Allmachts-und Ohnmachtsphantasien pendelnd letztlich handlungsunfähig zu machen — die eigene Passivität dabei aber gut zu legitimieren.
Mit dem Fehlen einer „soziologischen Denkweise“ verknüpft ist ein mangelndes historisches Bewußtsein. Geschichte wird verdrängt oder teleologisch zu einer Heilslehre umgedeutet. In einer instrumentell ausgerichteten Gesellschaft dominiert ein Denken, das einen (im übrigen unreflektierten) Glauben an technische Steuerungskapazitäten auf soziale Prozesse überträgt. Alle untersuchten Politikdidaktiker diagnostizieren diesen Trend, ohne in Kulturpessimismus zu verfallen, denn der Trend korrespondiert realen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen. Alle Didaktiken enthalten deshalb zentral Überlegungen zur notwendigen Verknüpfung politischer Bildungsarbeit mit Geschichtsunterricht.
Damit ist gleichzeitig eine Radikalisierung der didaktischen Problemstellung verknüpft: Das sozialtechnische strategisch-zweckrationale Denken als Glaube an einen Weltverbesserungsmechanismus ist nämlich allgemein; es prägt die Denkhaltungen von Jugendlichen und ihren Lehrern gleichermaßen: der Glaube, Ziele unmittelbar realisieren zu können, ohne den Einsatz der Mittel zu reflektieren; der Wunsch, soziale Realität „machen“ zu können.
Dies bedeutet: Generationendifferenzierungen, wie sie noch bei Wilhelm zentral eine Rolle zur Begründung der didaktischen Konzeption spielten stehen in der Fachdidaktik seit Giesecke nicht mehr im Vordergrund. Wie ist dann aber ein fruchtbarer Lernprozeß möglich, wenn die Denkhaltungen von „Lehrern und Lernern“ gleich blind und defizitär beschrieben werden müssen, keine produktive Lerndifferenz zwischen beiden besteht, an der sich eine Auseinandersetzung entzünden könnte?
Als pädagogisch und politisch folgenreiches Deutungsmuster besitzt das technizistische Denken Konsequenzen für die Ausgestaltung von Interaktion und Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern im Unterricht. Eine Theorie des pädagogischen Bezugs kann geradezu als das Kernstück politikdidaktischer Reflexion unter dem Paradigma einer Verknüpfung von Sozialisation und
Fachdidaktik bezeichnet werden. Damit wird empirische Unterrichtsforschung methodisch zentral innerhalb dieses Paradigmas.
Vorliegende politikdidaktische Entwürfe enthalten bei genauer und an der vollständigen Veröffentlichungspalette orientierter Lesart gehaltvolle Hypothesen zu Formen des pädagogischen Bezugs im Politikunterricht. Dieser ist offensichtlich zentral durch ein Kommunikationsmuster-„Mißverständnis“ geprägt. So beklagt bereits 1968 Jacobsen in dieser Zeitschrift: „Da sowohl die Schüler als auch die Lehrer durch gewisse Gesinnungseinstellungen präformiert sind, ist gerade im politischen Unterricht ständig die Gefahr gegeben, daß man aneinander vorbeiredet bzw. sich in eine Verteidigungshaltung hineinsteigert und dabei gegenseitig frustriert.“ Das dahinterstehende Deutungsmuster hat Nonnenmacher mit Bezug auf Habermas als „erfolgsorientiertes“ gekennzeichnet. Natürlich ist zunächst alles Handeln teleologisch, also zielorientiert, aber: Anders als im verständigungsorientierten Handlungsmodell werden im strategisch orientierten Modell „Interaktionssituationen so interpretiert, daß die widerstreitenden Normvorstellungen einem Kompromiß gar nicht zugänglich sind. Im Konzept »strategischen Lernens* werden deshalb gerade solche Situationen zu Lernsituationen erklärt, in denen es nicht um den Diskurs zwecks Erzielens von Übereinkünften geht, sondern in denen , Strukturwidersprüche vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Bedingungen erfahrbar und durchschaubar*“ gemacht werden sollen.
Das impliziert eine Kritik eines zweckrationalstrategisch orientierten Lehrerbewußtseins, das an die Fachdidaktik die Erwartung heranträgt, das zu lehrende Bewußtsein bereits zu enthalten, statt die Bedingungen der Möglichkeit seiner Bearbeitung zu sondieren (Giesecke). Hier steht das politikdidaktische Paradigma in der Tradition bildungstheoretischer Didaktik und ihrer hermeneutisch-pragmatischen Methodik. Dort war das Entscheidungsverhalten der Lehrer im Hinblick auf Unterrichtsplanungsmodelle schon immer kritisiert worden: das grundsätzliche Mißverständnis der Theorie durch den Praktiker, wenn er glaubt, die Theorie könne und wolle ihm die Entscheidung in dem konkreten Fall vorschreiben oder abnehmen Solchem Lehrerbewußtsein sind die konkreten Schüler unkalkulierbare Randbedingungen 1 und schließlich nur noch als , Störfaktoren 4 wahrnehmbar. Drei Modelle des pädagogischen Bezugs können dabei unter Heranziehung sogenannter „Praxisberichte 44 unterschieden werden: Das Bewußtsein der Schüler erscheint dem Lehrer jedes-mal als tabula rasa, als politisch unbeschriebenes Blatt, das es — entweder strategisch handelnd mit dem , richtigen 4 Bewußtsein zu füllen gilt (Instruktionspädagogik) — oder dem nur Gelegenheit gegeben werden müsse, zu sich selbst zu finden. Dieses könne in einem quasi anamnetischen Lernprozeß möglichst ohne Dazwischentreten des Lehrers zu sich selbst finden und durch „reine Anschauung“ die Welt erkennen (Antipädagogik, Extremformen einer falsch verstandenen „Schülerzentrierung“).
Beide Male wirkt Politikunterricht objektiv entpolitisierend, da eine politisch propädeutische „Verhandlung“ und Verständigung nicht zustande kommt. In seiner „sozialwissenschaftlichaufklärenden“ Variante (Behrmann) gerät der Unterricht zum , Laberfach 4, in dem alles und jedes auch anders sein könnte. Konsequenz des dritten Lernmodells ist die Begründung der relativen Unmöglichkeit politischer Lernprozesse in der Institution Schule und ihre Verlagerung in außerschulische Zusammenhänge — was in der Regel aber ihre Delegation an partikulare gesellschaftliche Interessen bedeutet.
Die Ursachen dieser defizitären politisch sozialen Orientierung sind in der durch die pluralistische Gesellschaft gesetzten Identitäts-und Entfremdungsproblematik zu suchen und ihren spezifischen Verarbeitungsmustern innerhalb einer durch Traditionen geprägten (bundes) deutschen politischen Kultur. Dieses Erklärungskonzept ist am intensivsten bei Behrmann entfaltet; Bezüge finden sich aber auch bei Wilhelm und Giesecke. Politische Sozialisationsforschung und Konzepte Politischer Kultur werden damit zentral für politikdidaktische Reflexion.
Nur hingewiesen werden kann an dieser Steile darauf, daß damit verknüpft bei den Didaktikern eine Tendenz zur Mediatisierung der Jugendphase konstatiert wird; dem korrespondiert eine normative Schultheorie, die diese in einer Position „relativer Autonomie“ realistisch verortet und daran die bildungspolitische Leitvorstellung eines offenen „Spielraums für den Ernstfall“ (Hentig), einer „pluralistischen Dienstleistungsorganisation“ (Giesecke) knüpft. 2. Hintergrundtheorien und Methodologie Vorstehende Hinweise müßten verdeutlicht haben, daß das Verdikt, in fachdidaktischen Konzepten würden die Ergebnisse empirischer Jugend- und Sozialisationsforschung schlicht übersehen, so nicht aufrechterhalten werden kann. Es beruht selbst auf einer ungenauen und verkürzten Rezeption dieser Konzepte. Es besteht vielmehr formal Konsens, daß Überlegungen zu politischen Sozialisationsprozessen integraler Bestandteil didaktischer Reflexion zu sein haben, sowie gleichzeitig, daß hier erhebliche Forschungsdefizite bestehen. Der Konsens geht jedoch auch inhaltlich weiter; Die vorläufigen hypothetischen Antworten auf die Frage nach vorfindlichen Sozialisationslagen (und später dann auch die daraus gezogenen didaktischen Konsequenzen) fallen weit ähnlicher aus, als es der vordergründige Dissens auf der Ebene politischer Geographie vermuten ließ.
Gemeinsamkeiten zeigen sich in den zugrunde liegenden sozialisationstheoretischen Ansätzen: es dominiert das interpretative Paradigma gegenüber anpassungsmechanistischen Vorstellungen eines rollentheoretischen Paradigmas. Die rollen-theoretische Modellvorstellung vom passiv-reagierenden Organismus ist ersetzt durch die Konzeption eines Subjekts, das seine Umwelt kognitiv strukturiert: Das Individuum ist Handlungssituationen nicht hilflos ausgeliefert, sondern zur selbstbestimmten Interaktion und Kommunikation befähigt. Sozialisation wird verstanden als ein Prozeß, in dem sich die Persönlichkeit als gesellschaftlich handelndes Subjekt in Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt entwickelt. Dem korrespondiert eine Skepsis gegenüber quantitativen empirischen Umfragedaten der Meinungs-und Einstellungsforschung, wie sie etwa von Jaide immer wieder vorgelegt wurden. Vielmehr werden qualitative Verfahren favorisiert und auch im Rahmen der Lehrerausbildung empfohlen. Kausalschlüsse aus empirischen Daten der Sozialisationsforschung auf didaktische Erfordernisse werden abgewiesen (besonders bei Sutor, Behrmann).
Weist der sozialisationstheoretische Ansatz Bezüge zu Konzepten des Symbolischen Interaktionismus auf, so werden in der gesellschafts-und politiktheoretischen Hintergrundtheorie gemeinsame Bezüge zu — pluralismustheoretischen Ansätzen, wie sie in der Politikwissenschaft als „Demokratiewissenschaft“ der fünfziger und sechziger Jahre etwa bei Ernst Fraenkel begründet wurden, — zur Sozialphilosophie des Kritischen Rationalismus (Karl Popper und seine Schüler) sichtbar: Die in der pluralistischen Industriegesellschaft ermöglichte Entwicklungsdynamik und „Offenheit“, die Tendenz zur „beweglichen Regelung öffentlicher Angelegenheiten“ (Hentig) bedingt auf der einen Seite Orientierungsprobleme und Identitätskrisen der Subjekte, ermöglicht aber andererseits erst Individualität. Diese Ambivalenz der Freiheit (Sutor), die „Optionsproblematik“ (Giesecke) darf nicht reduziert werden durch Modelle geschlossener Vergesellschaftung in primärgruppenhaften Gemeinschaften (Behrmann) und den Glauben an Weltverbesserungsutopien, die eine Rückkehr zu solchen „ursprünglichen“ Formen, zu totaler Harmonie und Unmittelbarkeit versprechen
Gleichzeitig dürfte deutlich geworden sein, daß in der Fachdidaktik das, was in der allgemeinen Pädagogik als „Alltagswende“ propagiert wird, schon angelegt ist: die Zuwendung zu den Mikrostrukturen politischen Unterrichts und den in ihm wirksamen Deutungsmustern. Diese Neuakzentuierung des Gegenstandes fachdidaktischer Forschung ist mit dem Wissen verknüpft, daß „erziehungswissenschaftliche Forschung eine Problemlösungsstrategie, die mehr ist als geordnetes Allerweltswissen, solange nicht verantwortbar anbieten kann, als sie sich keine Klarheit darüber verschafft hat, welche Orientierungen das Handeln aufgrund welcher Mechanismen bei Eltern, Lehrern, Erziehern, Schülern, Kindern usw. überhaupt steuern. Ich halte deshalb eine Rekonstruktion der Orientierungen alltäglichen Handelns im pädagogischen Feld für die Aufgabe pädagogischer Grundlagenforschung in ihrer paradigmatischen Phase schlechthin.“ Dabei ist die Aufmerksamkeit auf die Rekonstruktion der Orientierungen von Lehrern und Schülern gleichermaßen zu legen. Ergebnis dieser Alltags-wende sind Erklärungsmuster dafür, inwiefern das Scheitern makropädagogischer Eingriffe (z. B. neuer Rahmenrichtlinien) auf die Unkenntnis der Handlungsstrukturen auf der Mikroebene zurückzuführen sind.
Alltagswende bedeutet dann auch Reflexion auf die IVirkungsbedingungen der eigenen theoretischen Konzeption. Es ist von oberflächlichen Lesern oft der Vorwurf erhoben worden, es handele sich bei den Politikdidaktiken um normative Didaktiken: Ein politisches Programm werde beliebig gesetzt (Standpunktlogik) und solle im Unterricht unmittelbar realisiert werden. Praktiker sind diesem Verdikt nur zu gern gefolgt und haben mit dem Hinweis, daß dieses ja sowieso nicht gehe und zudem Indoktrination sei, die Fachdidaktiken als nutzlos beiseite gelegt.
Nun zeigt unser Darstellungsversuch das genaue Gegenteil: Im Zentrum der politikdidaktischen Konzeption steht vielmehr die Kritik eines normativ verkürzt strategisch sozialtechnisch orientierten Alltagsbewußtseins. Entgegen der verbreiteten Unterstellung der Rezeptionstradition besitzen die Didaktiker also durchaus ein Bewußtsein davon, daß die Monopolisierung eines Politik- und gesellschaftstheoretischen Ansatzes als unmittelbar im Unterricht zu verfolgendes Ziel keinen Weg didaktischen Denkens darstellen kann. Dies würde eindimensionale alltägliche Deutungsmuster des Alltagsverstandes nur unkritisch verdoppeln. Mithin erweisen sich alle Didaktiken als kritische Didaktiken: In ihrem Zentrum steht die Kritik vorherrschenden Alltagsbewußtseins und seiner politisch pädagogischen fatalen Folgen.
Daraus folgt nun aber gerade nicht, Fachdidaktik habe auf die Profdierung eines theoretischen Bezugsrahmens zu verzichten. Im Gegenteil: Je profilierter der politik-und gesellschaftstheoretische Ansatz, desto griffiger die Aussagen über Bewußtseinshaltungen und sie bedingende Sozialisationsprozesse. Denn: die gewählte „Hintergrundtheorie“ dient nicht normativ der unmittelbaren Ableitung von Unterrichtszielen. Sie stellt aber forschungslogisch den ersten Schritt zur Entfaltung von Hypothesen über politische Sozialisationsprozesse dar. Die Forderung nach theoretischem Pluralismus auf der Ebene konkreten Unterrichts darf also nicht verwechselt werden mit der Notwendigkeit eines jeweils elaborierten theoretischen Monismus zur Begründung politikdidaktischer Forschung zu Sozialisationsprozessen. Nichts wäre für die Theoriendynamik in der Politikdidaktik gegenwärtig ungünstiger als die pluralistische Nivellierung von Theoriearbeit durch eine Tendenz zur „Einbürgerung“ anderer Ansätze.
Von einer Fachdidaktik, der solcherart sich selbst überfordernd zugemutet würde, die gesamten Sozialwissenschaften zu berücksichtigen, wäre wenig mehr zu erwarten als „Popularsynthesen“ (Habermas) sozialwissenschaftlicher Theoriefragmente und Forschungspartikel. Theorienpluralismus ist eine intratheoretische Forderung, nicht eine innertheoretische. Fachdidaktik muß sich vor dem dilettantischen Anspruch hüten, „Metawissenschaft“ sein zu wollen, die etwa den soge-nannten Fachwissenschaften vorschreibt, was denn nun ihre existentiellen Einsichten und grundlegenden Strukturen seien. Dies tun diese Wissenschaften immer schon selbst. Hier ist schon die Opposition von Fachdidaktik und Fachwissenschaft (als Bezugswissenschaft) eine eigentlich irreführende Begrifflichkeit: Denn natürlich handelt es sich bei der Fachdidaktik auch um eine Fachwissenschaft, freilich mit einem spezifischen Gegenstand: den Veränderungsmöglichkeiten von und durch Unterricht. 3. Didaktische Möglichkeiten Für die Fachdidaktik ist damit aber das Problem gestellt, wie der gesellschaftlich vorfindliche Pluralismus für den Heranwachsenden „aushaltbar“ gemacht werden kann, ohne daß in vorschnelle Tendenzen zur Abschottung durch Flucht in apolitische Denkvorstellungen ausgewichen wird. Welche Möglichkeiten liegen in den dargestellten Deutungs-und Verhaltensmustern, um diese auf eine realistischere Haltung gegenüber dem Politischen hin zu korrigieren? Welche Brücken kann Didaktik schlagen?
Auch im Bereich der Didaktik im engeren Sinn fallen die Antworten ähnlicher aus als bisher angenommen; es hat durchaus Plausibilität, wenn Giesecke vermutet, daß „der konkrete politische Unterricht, den Sutor machen würde, sich sehr viel weniger von dem meinen (Gieseckes, T. G.) unterscheiden würde, als dies nach der öffentlich aufgebauten Polarisierung erscheinen mag“ Dieser didaktische Konsens bestätigt die nun schon zehn Jahre alten Konsensformeln jener legendären Beutelsbacher Tagung von 1976 („Konsens ist, daß der gesellschaftliche Dissens im Unterricht nicht ausgeschlossen werden darf; es gilt ein Überwältigungsverbot“), geht aber gleichzeitig erheblich über diese hinaus.
Kern der didaktischen Konzeptionen bildet jeweils eine Vorstellung von politischem Unterricht als dialogischem Verhandlungsprozeß, der das Politische im Sozialen aufsucht und als Abfolge von — Problem/Konflikt, — Auseinandersetzung/Streit/Diskussion usw. und — verbindlicher Entscheidung sichtbar und verstehbar macht sowie darauf bezogene Handlungsorientierungen vermittelt. In diesem Sinne spreche ich von einem pragmatischen Paradigma, da es — vermittelt über seine Begründer Kerschensteiner und Wilhelm — verknüpft ist mit der amerikanischen pragmatischen Philosophie von John Dewey. Lißmann hat in diesem Sinne problembezogenes Handeln zu Recht als „Prinzip politischer Bildung“ gekennzeichnet; ein Konzept zur Gestaltung politischen Unterrichts, das „an jenen Spuren ansetzt, die alltägliche Erfahrungen Jugendlicher im Umgang mit Familie, Arbeitswelt, Schule, Massenmedien und Öffentlichkeit bei ihnen hinterlassen haben. Diese Spuren sind Ausgangspunkt eines Unterrichts, der sich im problembearbeitenden Handeln vollzieht... Dabei werden Konturen eines Unterrichts sichtbar, der Jugendlichen hilft, sich gesellschaftlich relevante Probleme ihrer Lebens-welt darstellbar zu machen, zu erklären und in gemeinsamem Handeln zu bearbeiten. Solcher Unterricht zeichnet sich dadurch aus, daß sozialwissenschaftliche Expertise ihn als Anleitung zum Handeln von Schülern und Lehrern in einem ganzheitlichen Erfahrungszusammenhang bestimmt.“
Dieser Unterricht beinhaltet also die Bearbeitung von Voreinstellungen. Es könnte nun so aussehen, als sei damit nichts weiter als eine Überpointierung der von der „Berliner Schule“ um Paul Heimann mit anthropogenen und soziokulturellen Bedingungen bezeichneten Faktoren gemeint. In der Tat ist es so, daß in einigen neueren Konzepten der Fachdidaktik (besonders bei Schmiederer) der Lehrer geradezu zum politischen Sozialisationsforscher gemacht wird: Durch häusliche Elternbesuche, Stadtteilerkundungen, Befragungsaktionen usw. soll er sich ein möglichst genaues Bild von den Voraussetzungen seines Unterrichts machen. Der Trick besteht sozusagen darin, daß die von der Didaktik konstatierte Forschungslücke im Bereich politischer Sozialisationsforschung vom Lehrer kompensiert werden soll. Daran ist sicher viel Richtiges, und es stellt eine der zentralen Aufgaben von Lehrer-bildung dar, für die Wahrnehmung sozialer Bewußtseins- und Verhaltensdispositionen zu sensibilisieren, Verstehen zu ermöglichen.
Wer jedoch einmal in schriftlichen Unterrichts-entwürfen verfolgt hat, wie lustlos und in der Regel wenig aussagekräftig die entsprechenden Pflichtkapitel zu den Voraussetzungen von Unterricht meist ausfallen, wird hier skeptisch sein: ein paar dürr klappernde „soziologische“ Informationen über Herkunftsmilieu und Schichtzugehörigkeit der Schüler, in den siebziger Jahren das obligatorische Soziogramm zwecks kommunikationstechnischer Steuerung des Unterrichts (die „Stillen“ beteiligen!), heute Bemerkungen zu den materiellen Bedingungen im Klassenraum; alles in allem wohlverpackte nachträgliche Begründungen dazu, was man in einer Stunde alles nicht machen kann.
Alles dies ist im pragmatischen Paradigma nicht gemeint, und dennoch fällt die Antwort der Didaktiker seit Wilhelm einfacher und radikaler zugleich aus: Die Thematisierung von Voreinstellungen findet im Unterricht als Verhandlungsprozeß statt. Der Lehrer soll also nicht zum „Gettospezialisten“ werden, der seine Schüler bereits vor Beginn des Lernprozesses in-und auswendig kennt und der dann als Kommunikationsstratege den Unterricht beherrscht und überlegen steuert. Wo alles bereits vorher gewußt wird, kann nichts Neues mehr dazugelernt werden. Vielmehr soll ihm das didaktische Arrangement von Unterricht Gelegenheit geben, die Denkweisen und Einstellungen seiner Schüler kennenzulernen, sie in ein Gespräch zu verwikkeln und einer kritischen „Korrektur“ (Giesecke) auszusetzen. Die Deutungsmuster der Jugendlichen müssen im Unterricht zum Sprechen gebracht werden; sie müssen in Auseinandersetzung mit Themen und Materialien „auf den Tisch“ kommen, wenn sie verändert werden sollen. „Verhandlung“ meint also Argumentation und nicht Beliebigkeit des im Unterricht Gesagten. Ebenso sorgen die Vorschläge zum methodischen Arrangement des Lernprozesses dafür, daß es nicht zu einer entwicklungspsychologischen Überforderung der Schüler beim Aushalten von Komplexität und Mehrdeutigkeit kommt. Das pragmatische Paradigma weist also Bezüge zur Methode des sokratischen Gesprächs auf und hat nur wenig mit dem den Unterricht leider noch immer beherrschenden sterilen Frage-Antwort-Muster zu tun.
Die durch Kerschensteiner/Wilhelm eingeleitete fachdidaktische Revolution besteht also darin, im Unterricht selbst als sozialer Handlungssituation die Möglichkeit einer politischen Propädeutik zu sehen, ohne Unterricht naiv mit Politik gleichzusetzen. Diese Vorstellung von einem Politikunterricht als verhandelndem Vermitteln sozialer und politischer Deutungsmuster ist die didaktische Essenz zentraler fachdidaktischer Formeln wie — Kooperation/„Partnerschaft“ (Wilhelm);
— Korrektur, Erweiterung und Differenzierung vorfindlicher Denkmuster (Giesecke);
— Aufgabenorientierung des Unterrichts, um Politik als Formalobjekt in den Horizont des Jugendlichen zu stellen (Sutor);
— politisches Lernen als Erkenntnisprozeß im Aufsteigen von der schlechten Abstraktheit des Alltagsbewußtseins hin zur Konkretion im Sinne einer soziologischen Denkweise (Christian);
— Gegenstand politischen Unterrichts in der Schule ist die Schule (Roloff/Schmiederer).
Wo die skeptischen Einwände gegen eine Verknüpfung von politisch propädeutischen Lernprozessen mit sozialem Handeln im Unterricht überwiegen, wie in Behrmanns Kritik des „sozialwissenschaftlich aufklärenden Politikunterrichts“, sind konstruktive Elemente einer Didaktik kaum noch plausibel zu entwickeln
Dies bedeutet nun aber nicht Auflösung von Politikunterricht in Soziologie. Die Möglichkeit politischer Bildung ist zunächst zwar im sozialen Handeln zu suchen, da sich Politik hier alltäglich darstellt. Das „gesellschaftliche Kräftespiel zum Gegenstand des Unterrichts zu machen“ (Adorno) ist der erste Schritt. Politische Bildung geht aber nicht in „Sozialkunde“ auf, sondern umgekehrt; Im Sozialen liegt für den Jugendlichen der Zugang zur auch strukturell „fernen“ Welt der Politik. Die soziale Handlungssituation, die thematisch Gegenstand des Unterrichts ist, ist also immer als politische zu akzentuieren. Politik ist das Formalobjekt des Unterrichts, und zwar in allen Dimensionen eines modernen Politikbegriffs, wie sie von Rohe in Übernahme angloamerikanischer Terminologie unterschieden wurden.
V. Konsequenzen
Existiert tatsächlich ein verborgener Konsens im politikdidaktischen Denken, wie hier skizziert — und die zustimmenden Äußerungen der Didaktiker geben einigen Anlaß zu Optimismus —, dann ist nach den Konsequenzen für die Weiterentwicklung der Disziplin zu fragen, die aus diesem pragmatischen Paradigma gezogen werden können. Denn natürlich ist es nicht so, daß „die Akten der Geschichte der politischen Didaktik in der Bundesrepublik bereits geschlossen sind“ sondern nach einer Phase der Theoriemüdigkeit zeigen sich derzeit in der Tat Perspektiven einer Neubesinnung. Ich stimme Gagel zu, wenn er nach einer Zeit der „politischen Glaubenskriege unter den Didaktikern“ nun die Notwendigkeit für einen „antizyklischen Anstoß“ im Sinne eines Nachdenkens über neue Forschungsaufgaben betont. Denn das Fehlen einer systematischen Forschung markierte ein zentrales Defizit der Disziplin. In unserem Paradigma sind damit zunächst Aufgaben der politischen Sozialisationsforschung angesprochen. 1. Politische Sozialisationsforschung Das Modell des fachdidaktischen Kegels markierte das Aufgabenspektrum von Unterricht und darauf bezogener Fachdidaktik. Bestimmte das pragmatische Paradigma innerhalb der Momente des Kegels das argumentierende Verhandeln von Deutungen sozialer und politischer Prozesse als zentrales Moment von Politikunterrricht, dann schlage ich für die nächsten Jahre die Erkundung vorherrschender alltäglicher politisch-sozialer Deutungsmuster als die zentrale Entwicklungsaufgabe thematisch orientierter fachdidaktischer Forschung vor.
Die gehaltvollen Hypothesen der Politikdidaktik zum politischen Bewußtsein und zu damit gekoppelten Handlungsdispositionen der Bürger in der Bundesrepublik können die Politikdidaktik durchaus zu einer Leitdisziplin für die noch unentwickelte politische Sozialisationsforschung werden lassen die zwar eine Menge empirischer Teilergebnisse vorweisen kann, der aber ein integrierender theoretischer Bezugsrahmen weitgehend fehlt, so daß die Ergebnisse oft disparat und wenig erklärungshaltig erscheinen. Dabei wird auch deutlich, daß diese Hypothesen systematischen empirischen Tests bisher nicht ausgesetzt worden sind. Die Politikdidaktiker bedienten sich eher intuitiver Verfahren. Vielleicht stimmt die Vorstellung vom Ansetzen des Bewußtseins „über“ und „unter“ den Institutionen so gar nicht; vielleicht ist das Alltagsbewußtsein im Gegenteil von einer sehr genauen Sichtweise von institutionellen Regelungsmechanismen geprägt, die wir in ihrer systematischen Struktur aber noch kaum kennen. Vielleicht lassen sich daraus Hinweise für die partielle Wirkungslosigkeit politischer Bildungsbemühungen gewinnen, etwa einer (heute wieder populär werdenden) Institutionenkunde. 2. Empirische Unterrichtsforschung Insbesondere ist durch empirische Unterrichts-forschung zu untersuchen, wie das Verhandeln von Deutungen im Unterricht immer schon abläuft. Die Politikdidaktik benötigt also nicht aktualisierte Untersuchungen über die „Wirksamkeit politischer Bildung“, denn über den Anteil von Unterricht an Meinungsbildungsprozessen läßt sich kaum Quantifizierbares aussagen. Solche am Endprodukt von Unterricht orientierten Studien kommen dann auch über die Ergebnisse allgemeiner Meinungsbefragungen kaum hinaus. Vielmehr benötigen wir qualitative Studien über Mikrostrukturen von Unterricht, über pädagogische Prozesse: Wie wird argumentiert?; wie gelingt es, Schüler in die Auseinandersetzung mit dem Thema zu „verwickeln“ (oder bleibt das Thema gleichgültig außen vor, egal, ob es sich um Wahlrechtsfragen oder um die Erörterung von Rüstungskontrollmechanismen handelt)? Es geht darum, dem Lehrer Möglichkeiten an die Hand zu geben, im Vollzug des Unterrichts Voreinstellungen zum Sprechen zu bringen, mithin Neues zu entdecken und die darin zum Vorschein kommenden Positionen in eine spannende Auseinandersetzung zu verwickeln, so daß produktiv etwas hinzugelernt werden kann und Unterricht nicht die Reproduktion von bereits zuvor Gewußtem bleibt. Zugespitzt formuliert: Gelingender Politikunterricht ist politische Sozialisations„forschung“ und damit zugleich politische Bildung. Methodisch bietet sich die Übertragung von Verfahren der Gesprächsanalyse in die Fachdidaktik an, wie sie in der Linguistik entwickelt worden sind und in der allgemeinen Pädagogik bereits mehrfach fruchtbar Anwendung gefunden haben. 3. Lehrerausbildung/Hochschuldidaktik Damit sind der Disziplin Forschungsaufgaben gesetzt, denen sie sich in einer Phase widmen kann, wo sich die Verpflichtungen der scientific community in der Lehre aufgrund des allenthalben zu beobachtenden Rückgangs der Studenten-zahlen etwas entspannt haben. Dennoch muß gerade diese Zeit auch für die Entwicklung von Reformkonzepten in der Lehrerbildung für die neunziger Jahre genutzt werden. Das pragmatische Paradigma legt es nahe, die Studenten viel stärker für die hermeneutische, an Verstehen und praktischer Politik orientierte Tradition der Politikwissenschaft und Pädagogik zu reorientieren, als dies gegenwärtig geschieht. Der werdende Lehrer muß dafür sensibilisiert werden, den Schüler in seiner immer schon vorhandenen natürlichen Weitsicht zu verstehen, ein Stück weit aus der Binnenperspektive heraus zu akzeptieren, um dann vorsichtig und kritisch korrigierend in solche natürlichen Bilder eingreifen zu können, sie von Verkrustungen, vorschnellen Urteilen (Vorurteilen) zu befreien mit dem Ziel, diese Weltsichten im Sinne der Hentigschen Politikdefinition „beweglicher“ zu machen; sie „wissenschaftlich“ zu bearbeiten, wenn man unter Wissenschaft die systematische Kritik von unreflektierten Vor-Urteilen versteht.
Dazu sind neue Inhalte und Methoden in der Lehrerausbildung nötig. Insbesondere muß die Lehr-/Lernsituation an der Hochschule selbst als Unterrichtssituation in den Blick kommen, so daß sich der naive Gegensatz: hier Theorie (Universität), dort Praxis (Schule) auflöst und die Universität zu einer praktischen Trainingssituation wird Damit sind hochschuldidaktische Entwicklungsaufgaben gesetzt. Die Politikdidaktik hat die Frage der politischen Bildung an den Hochschulen viel zu lange curricular formal ge-löst (jeder Lehrer absolviert ein sozialwissenschaftliches Begleitstudium), ohne inhaltlich darauf zu achten, was hier gelernt werden soll und kann. 4. Unterrichtsplanungsmodelle/Praxisberatung Dies darf Fortbildung der bereits tätigen Lehrer nicht ausschließen. Insofern kennzeichnet Gagel Praxisberatung in der Tat als entscheidende, zwischen Forschung und Lehre vermittelnde Aufgabe der Disziplin. Wer weiß, wie leicht der Alltagsstreß des Lehrerberufs auch bei engagierten Kollegen und Kolleginnen dazu führen kann, daß man sich völlig „ausgebrannt“ fühlt und damit Sensibilität verliert, kann nachvollziehen, wie wichtig ein regelmäßiges Atemholen und produktives „Auftanken“ in diesem Beruf ist. Dies kann aber kaum in den ermüdenden Vortragsveranstaltungen der konventionellen Weiterbildungskurse geschehen, in denen nichts „verhandelt“ wird und die oft von den Unterrichtsproblemen deutlich entfernt sind. Ich schlage daher nochmals vor, daß die Fachdidaktiker ihre didaktischen Modelle in exemplarischen Unterrichts-analysen und -entwürfen konkretisieren. Hierbei sollte neben dem Medium Buch in der Lehrerausbildung auch endlich auf das Medium Videodokumentation zurückgegriffen werden. Gezeigt werden muß, worin beispielsweise der Unterschied zwischen einem Politikunterricht nach dem klassischen Frage-Antwort-Spiel oder dem Arbeitsbogenmuster, der das Wesen des Politischen verfehlt, und einem Unterricht als wirklicher Verhandlung von Deutungsmustern besteht. Die Zuwendung zu diesen Aufgaben würde die Politikdidaktik dann auch explizit konstituieren als Wissenschaft vom politischen Bewußtsein und der politischen Sozialisation von Jugendlichen und ihren Lehrern sowie den darin liegenden Chancen und Grenzen politisch-propädeutischer Lernprozesse im Unterricht der Institution Schule sowie in der außerschulischen Jugend-und Erwachsenenbildung.
Tilman Grammes, Dr. phil., geb. 1957; zunächst Lehrer an Berliner Gymnasien und in der beruflichen Erwachsenenbildung, seit 1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin mit den Arbeitsschwerpunkten Politische Sozialisationsforschung, Fachdidaktik, Bildungspolitik, Curriculumprojekte in der Lehrerbildung. Veröffentlichungen u. a.: Politikdidaktik und Sozialisationsforschung. Problemgeschichtliche Studien zu einer pragmatischen Denktradition in der Fachdidaktik, Frankfurt -Bern -New York 1986; Aufsätze zu fachdidaktischen Fragestellungen und Unterrichtseinheiten.
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