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Die Bundestagswahl 1987 — eine Bestätigung des Wandels | APuZ 12/1987 | bpb.de

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APuZ 12/1987 Die Bundestagswahl 1987 — eine Bestätigung des Wandels Lebensstile und Wandel der Wählerschaft in der Bundesrepublik Deutschland Alte und neue Scheidelinien des politischen Verhaltens. Eine Analyse zur Bundestagswahl vom 25. Januar 1987

Die Bundestagswahl 1987 — eine Bestätigung des Wandels

Rainer-Olaf Schultze

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Ausgang der Bundestagswahl vom 25. Januar 1987 ist vielfach als Überraschung empfunden worden. Tatsächlich weist die Wahl — im Vergleich zu ihren Vorgängern — auch einige unerwartete Resultate auf: die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1949; einen Kanzler ohne den Bonus des Amtsinhabers; Verluste beider Volksparteien bei gleichzeitigen Zugewinnen von FDP und GRÜNEN wie auch der Splitterparteien; schließlich, gemessen an den Vorhersagen, hohe Verluste der Unionsparteien, denen mancher die absolute Mehrheit zugetraut, und relativ geringe Einbußen der Sozialdemokraten, denen man herbe Verluste prognostiziert hatte. Kennzeichen dieser Wahlentscheidung sind jedoch weder das Besondere noch der Wandel. Es war dies vielmehr eine Wahl der Bestätigung. Bestätigt wurde nicht nur (wie allseits angenommen) die Bonner Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP, sondern bestätigt wurden auch das seit Ende der siebziger Jahre entstandene bipolare Mehrparteiensystem mit seiner konservativ-liberalen Mehrheit jenseits der Sozialdemokratie sowie jene ihm zugrundeliegenden mittel-und langfristigen Strukturveränderungen im Wählerverhalten. Sie traten zunächst bei Kommunal-und Landtagswahlen auf. bestimmen seit der .. Wende“ vom Oktober 1982 und der Wahl vom März 1983 auch das Wählerverhalten auf Bundesebene und sind bei dieser Bundestagswahl besonders stark akzentuiert worden.

I. Das Wahlergebnis

Tabelle 1: Stimmenanteile der Parteien 1949 bis 1965 1949 1953 Anmerkung: ab 1953 in Prozent der Zweitstimmen. Quelle: Wahlstatistik des Statistischen Bundesamtes, jeweilige Wahl. 1957 1961 1965

Der Ausgang der Bundestagswahl vom 25. Januar 1987 ist in weiten Teilen der Öffentlichkeit als Überraschung empfunden worden. Zwar wurde die Regierungskoalition aus Konservativen und Liberalen erneut — und wie allseits angenommen — im Amt bestätigt. CDU/CSU und FDP erreichten bei 53, 4 Prozent der Zweitstimmen (1983: 55, 7 %) eine zahlenmäßig komfortable Mandatsmehrheit im Bundestag (s. Tab. 1— 3). Im Vergleich zu früheren Bundestagswahlen weist die Wahl jedoch auch einige unerwartete Resultate auf:

Tabelle 4: Rangfolge der als „sehr wichtig“ eingestuften Sachtiiemen der Politik durch Wähler, Januar 1987 Quelle: FGW 2/1983 (Anm. 4), S. 155; FGW 1/1987 (Anm. 4) S. 188.

— Mit 84, 3 Prozent die niedrigste Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen nach 1949;

Tabelle 5: Wahlbeteiligung und Parteianteile Quelle: FGW 45/1987 (Anm. 4). S. 30.

— eine sich beschleunigende Dekonzentration im Parteiensystem; die beiden großen Volksparteien erzielten zusammen nurmehr 81, 3 Prozent der Stimmen, während sie bei den Wahlen der siebziger Jahre mehr als 90 Prozent und 1983 immerhin noch 87, 0 Prozent der Zweitstimmen erhalten hatten; — starke Verluste von 4, 5 Prozentpunkten für die Unionsparteien, die mit 44, 3 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis seit 1949 verbuchten;

Tabelle 6: Kombination von Erst-und Zweitstimmen bei den Bundestagswahlen von 1980 und 1983 Quelle: Statistisches Bundesamt.

— ein Bundeskanzler ohne den Bonus des Amtsinhabers — und dies in einem politischen System, das seit Adenauers Kanzlerschaft gemeinhin als Kanzlerdemokratie charakterisiert wird.

Tabelle 7: Vergleich von Erst-und Zweitstimmen bei den Bundestagswahlen 1983 und 1987 nach Ländern, in Prozent Quelle: Wie Tabelle 2.

In Anbetracht dieser von der bisherigen bundesrepublikanischen Wahlgeschichte abweichenden Teil-ergebnisse verwundern die erstaunten Reaktionen mancher Politiker und Kommentatoren vom Wahl-abend nicht, zumal die Vorhersagen — auch die der Demoskopen — während des Wahlkampfes in eine andere Richtung gegangen waren. Mancher hatte die absolute Mehrheit der Unionsparteien für möglich gehalten und den Sozialdemokraten, die sich mit 37, 0 Prozent (-1, 2 Prozentpunkte) in etwa behaupteten, herbe Verluste prognostiziert Kennzeichen dieser Wahlentscheidung sind jedoch weder das Exzeptionelle, wie die vorstehend aufgeführten Teilergebnisse dies nahelegen könnten, noch der Wandel Wie nachfolgend im einzelnen gezeigt werden wird, war dies vielmehr eine Wahl der Bestätigung — und zwar in mindestens zweierlei Hinsicht: nämlich — parteiensystemisch: der Bestätigung des bipolaren, aus zwei Blöcken bestehenden Mehrparteien-Systems mit seiner konservativ-liberalen Mehrheit jenseits der SPD, und — politisch-soziologisch: der Bestätigung derjenigen mittel-und langfristigen Strukturveränderungen im Wählerverhalten, die bereits seit Ende der siebziger Jahre zu verzeichnen sind. Sie traten zunächst bei Kommunal-und Landtagswahlen auf, bestimmen seit der „Wende“ vom Oktober 1982 und der Wahl vom März 1983 auch das Wählerverhalten auf Bundesebene und sind bei dieser Bundestagswahl besonders stark akzentuiert worden durch die Kurzzeiteinflüsse des Wählerverhaltens, vor allem durch die Einflüsse auf die Wählerentscheidung, die aus den politisch-situativen Konstellationen des Parteienwettbewerbs resultieren.

II. Bestimmungsgründe der Wahlentscheidung

Tabelle 2: Stimmenanteile der Parteien bei den Bundes, Landtags-und Europawahlen ab 1969 (in Prozent) Quellen: Wahlstatistik des Statistischen Bundesamtes und der Statistischen Landesämter, jeweilige Wahl; für 1987: Statistisches Bundesamt, Fachserie 1: Wahl zum 11. Deutschen Bundestag am 25. Januar 1987, Heft 3: Endgültige Ergebnisse nach Wahlkreisen.

Wählerentscheidungen formieren sich im Spannungsverhältnis von strukturellen (politischen, sozialen, kulturellen) Determinanten einerseits und politischen Kurzzeiteinflüssen andererseits Sie sind eng miteinander verknüpft: So bedürfen die sozialstrukturellen Konfliktmuster (s. u.) der Aktualisierung durch die Politik Die Einstellung des Wählers zu kontroversen politischen Themen hängt ganz wesentlich davon ab, welchen sozialen und kulturellen Milieus der Wähler angehört; sie wird zudem gefiltert durch die jeweilige Parteipräferenz. Zu den Kurzzeiteffekten, deren Bedeutung für die Wahl vom Januar 1987 hier zunächst diskutiert werden soll, zählen dabei nicht allein die politisch-konjunkturellen Einflüsse wie die innen-und außenpolitische Großwetterlage, wirtschaftliche Erwartungen, Sachfragen (Issues). Mindestens genauso wichtig sind die politisch-situativen Konstellationen des Parteienwettbewerbs, also Zahl, Stärke und politisch-ideologische Konfiguration der Parteien, Kandidaten-Alternativen, das Meinungsklima sowie Prognosen über den oder die Wahlsieger. der beiden kleinen Parteien und deren Einzug in den Bundestag überzeugt, im Falle der FDP waren es 80, im Falle der GRÜNEN sogar 90 Prozent der Befragten Zudem hatte sich die Einstellung gegenüber beiden Parteien verändert. So befürworteten jetzt immerhin 70 Prozent den Einzug der FDP ins Parlament (1983: 54%) und noch 54 Prozent der Befragten den der GRÜNEN (1983:

Tabelle 8: Parteiidentifikation, 1980 bis 1987 in Prozent 1980 1983 1987 Quelle: FGW 11/1980; Politik in der Bundesrepublik, September 1980, Mannheim 1980, S. 11; FGW 2/1983; Politik in der Bundesrepublik, Februar 1983, Mannheim 1983, S. 48; FGW 2/1987; Politbarometer, Januar 1987, Mannheim 1987, S. 45.

28 %), wobei sogar 29 Prozent der CDU-Anhänger auf die Frage, ob sie es gut fänden, wenn die GRÜNEN im Bundestag vertreten wären, eine positive Antwort gaben

Tabelle 9: Parteiidentifikation und Wahlabsicht bei den Bundestagswahlen 1980 bis 1987 Quelle: Wie Tabelle 8.

Das Meinungsklima entsprach folglich voll und ganz den Wahlzielen von Kanzler Kohl und der CDU sowie selbstverständlich denen der FDP, die beide eindeutig auf die Fortsetzung der konservativ-liberalen Koalition setzten, weniger denen von Franz Josef Strauß und der CSU. Zumindest während der ersten Phase des Wahlkampfes und bis zur Bayern-Wahl vom 12. Oktober 1986 betonte die CSU ihre spezifische Doppelrolle im deutschen Parteiensystem, nämlich die einer „autonome(n)

Tabelle 10: Konfessionsstruktur und Parteistärken, 1987 Quelle: FGW 45/1987 (Anm. 4), S. 22.

Staats-und Ordnungspartei in Bayern“ bei gleichzeitig engem, aber auch konfliktivem „Aktionsbündnis mit der CDU in Bonn“ (Mintzel ging 1. Wahlkampf, Meinungsklima und Siegesaussichten Insbesondere das Meinungsklima hat den Wahlkampf und die Wählerentscheidung bei dieser Wahl nachhaltig beeinflußt. Wähler und Medien waren sich diesmal früh einig: Hielten die Wähler zu Beginn des Jahres 1986 noch einen Erfolg der Opposition für möglich, so änderte sich diese Einschätzung zwischen April und Juni grundlegend: Man war seither vom Wahlsieg der Koalition überzeugt. Die Erhebungen der verschiedenen demoskopischen Institute kommen dabei sämtlich zu ähnlichen Ergebnissen wie die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, deren Daten in Darstellung 1 wiedergegeben sind. Nach dem (trotz starker Verluste der CDU und deutlicher Gewinne, der SPD) knappen Wahlsieg von CDU und FDP bei der Niedersachsen-Wahl vom 15. Juni lag die Koalition im Meinungsklima klar vorn, und die Zahl derjenigen, die noch einen Sieg der Oppositionsparteien SPD und GRÜNE für möglich hielten, sank stark ab.

Zur Entwicklung der Berufsstruktur in der Bundesrepublik 1950 bis 1985 (in Prozent) Quelle: Rainer-Olaf Schultze. Wahlerverhalten und Parteiensystem (Anm. 1). S. 20 FGW 45/1987 (Anm. 4). A 8.

Anders als 1983, als fast die Hälfte der Befragten daran zweifelte, ob FDP und GRÜNE den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde würden schaffen können, waren die Wähler im Vorfeld dieser Bundestagswahl ganz überwiegend vom Erfolg sie auf Distanz auch zur CDU. Strauß und die CSU unterstrichen auf diese Weise ihre bundespolitische Eigenständigkeit wie ihre Korrektivfunktion in der Regierung Kohl/Genscher

Tabelle 11: Berufsstruktur und Parteistärken, 1987 Quelle: FGW 45/1987 (Anm. 4), S. 20.

Völlig konträr zu den Erwartungen in der veröffentlichten Meinung und der Wählerschaft war hingegen das vom sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Johannes Rau ausgegebene Wahlziel von der alleinigen (Stimmen-oder auch Mandats-) Mehrheit, mit der sich die SPD zugleich gegen eine rot-grüne Zusammenarbeit festlegte. Zu erreichen versuchten Rau und seine Wahlkampfmanager dies durch einen bewußt personalisierten, sachpolitisch wenig konkreten Wahlkampf, der zudem Polemik in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und Polarisierungen in der Wählerschaft vermied. Zum Ausdruck kam dies auch in den Wahlslogans: „Versöhnen statt spalten“ und „Deutschland braucht wieder einen Kanzler, dem man vertrauen kann“.

Quelle: Übernommen aus Rainer-Olaf Schultze, Wählerverhalten und Parteiensystem (Anm. 1), S. 41

War man sich in der Absage an eine Zusammenarbeit mit den GRÜNEN in der Parteiführung der SPD wohl einig, so war das Rau’sche Wahlziel parteiintern spätestens seit der Niedersachsen-Wahl umstritten. Willy Brandt sprach z. B. bereits im Sommer 1986 in dem deshalb seither viel zitierten „ZEIT“ -Interview davon, daß auch 43 Prozent schon ein schönes Ergebnis für die SPD sein würden Formuliert im Frühsommer 1985 unter dem Eindruck der absoluten SPD-Mehrheiten bei den Landtagswahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen (aufgrund der Industrie-und Sozialstruktur beider Länder hatte die SPD hier eine überdurchschnittliche große Wählerbasis), war das Rau’sche Wahlziel von der alleinigen Mehrheit der SPD auf Bundesebene in Anbetracht der strukturellen Bedingungen des Wählerverhaltens allerdings von Anfang an (und nicht erst seit der Niedersachsen-Wahl unrealistisch.

Auf die Frage nach den Gründen für die falsche Wahlziel-Definition durch die SPD sind eigentlich nur zwei Antworten möglich: Entweder man unterlag einer krassen Fehleinschätzung, die die strukturelle Determination des bundesrepublikanischen Wählerverhaltens unterschätzte, die die SPD-und Oppositions-freundliche Stimmung in der Wählerschaft aus der Mitte der Legislaturperiode unzulässigerweise extrapolierte und die den Einfluß der Kandidaten-Alternative auf die Wählerentscheidung überbewertete. Oder aber man entschied sich ganz bewußt für ein selber als irreal angesehenes Wahlziel, um mit der Aussicht auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen künstlich Spannung zu erzeugen. Man versprach sich offenbar davon Mobilisierungseffekte bei den eigenen Stammwählern, insbesondere aber bei solchen Wählern aus dem linken Lager des Parteienspektrums, die sich bei einer einigermaßen reellen Siegeschance der SPD taktisch verhalten und in einer solchen Situation nicht grün, sondern sozialdemokratisch wählen würden. Sollte dieses Kalkül der Wahlstrategie der SPD zugrunde gelegen haben, so hätte die Partei unausgesprochen nur auf Platz und nicht auf Sieg gesetzt. Sie hätte darauf gehofft, daß die GRÜNEN (knapp) an der Sperrklausel scheitern und die SPD damit im Bundestag der Regierung als alleinige Opposition hätte entgegentreten können. Denn zur absoluten Mandatsmehrheit hätte es auch unter sehr günstigen politisch-konjunkturellen Bedingungen nicht gereicht. Die Bundestagswahl von 1980, als die SPD unter Helmut Schmidt und aus der Position der Regierung heraus „nur“ 42, 9 Prozent der Stimmen erzielte, ist ein deutliches Indiz dafür. Spätestens nach den Niederlagen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hamburg war die sozialdemokratische Wahlstrategie dann endgültig desavouiert und wirkte sich nur noch lähmend auf das Engagement der Sozialdemokraten im Wahlkampf aus. 2. Themen und Kandidaten Die ungleiche Ausgangsposition zwischen Regierung und Opposition spiegelte sich dann auch in den Kontroversen des Wahlkampfes deutlich wider, dem die Wähler nur vergleichsweise geringes Interesse entgegenbrachten Insgesamt langweilig und „an den epochalen Themen vorbei“ — wie Robert Leicht in der Wochenzeitung DIE ZEIT zu Recht konstatierte — gewann der Wahlkampf ein gewisses Maß an Spannung allein durch die koalitionsinternen Auseinandersetzungen. Der Wahlkampf spielte sich nicht zwischen, sondern primär innerhalb der beiden Lager des bipolaren Mehrparteiensystems ab. Dies gilt insbesondere für die Gegensätze zwischen CSU und FDP auf den Feldern der Inneren Sicherheit, des Asylrechtes und der von Genscher und der FDP geführten Außen-und Entspannungspolitik. Die teilweise von scharfen Attacken begleiteten Forderungen von Franz Josef Strauß und der CSU, die auf diesen Feldern bislang ausgebliebene „Wende“ nachzuholen, boten der FDP einmal mehr die Chance, sich programmatisch und politisch zu profilieren; so fiel es den Freien Demokraten im Wahlkampf nicht schwer, ihre Eigenständigkeit, programmatische Korrektivfunktion und koalitionspolitische Notwendigkeit herauszustellen. Die erstmals von allen Parteien betriebene Zweitstimmenwerbung tat ein übriges.

An den thematischen Interessen der Wählerschaft ging der vornehmlich außenpolitisch geführte Binnenwahlkampf der Koalitionsparteien indessen weitgehend vorbei. Für die Wähler standen — wie Tabelle 4 zeigt — innenpolitische Probleme im Mittelpunkt, nämlich: wirtschafts-, umweit-und sozialpolitische Themen, zudem die Frage der Abrüstung. Dabei fallen zum einen Veränderungen im Vergleich zur Wahl von 1983 auf; zugleich werden aber auch Differenzen zwischen den Parteianhängern sichtbar, wobei sich die Anhänger der GRÜNEN bei einer Reihe von Themen deutlich von denen der anderen Parteien unterscheiden und u. a.der Frage der Bürger-Beteiligung, der Inneren Sicherheit und der Abrüstung einen erheblich anderen Stellenwert beimessen.

In der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation waren sich die Wähler im Vorfeld der Bundestagswahl weitgehend einig. So ermittelte Infas einerseits ein hohes Maß an Zufriedenheit mit der Wirtschaftsentwicklung; Die allgemeine wirtschaftliche Lage schätzten 81 Prozent der Befragten als gut und nur 18 Prozent als schlecht ein Die eigene wirtschaftliche Situation beurteilten 80 Prozent als gut und 19 Prozent als schlecht. Andererseits dauerte die Unzufriedenheit mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt an, die von immerhin 70 Prozent der Befragten als schlecht oder sehr schlecht eingeschätzt wurde

Ein ähnliches Resultat zeigt die Analyse der Problemlösungskompetenz; ihr kommt besondere Bedeutung zu, denn nicht das konkrete Programm, sondern retrospektive Erfahrungen und Kompetenzerwartungen sind es, die wichtig für das individuelle Wählerverhalten sind Das Urteil der Wähler fällt dabei uneinheitlich aus: So wiesen die Wähler den Koalitionsparteien einen eindeutigen Kompetenzvorsprung im Bereich der Wirtschaftsund Sozialpolitik zu. Selbst in der Frage der Arbeitslosigkeit schätzten sie die Leistungsfähigkeit der Regierung höher ein als die der Opposition Die Koalition besaß damit — wie im übrigen bereits 1983 — einen Kompetenzvorsprung auf an sich traditionell von den Sozialdemokraten besetzten Themengebieten. Demgegenüber traute man einer SPD-geführten Regierung die besseren Lösungen auf dem Felde der Abrüstung und des Umweltschutzes zu.

Dies gilt auch für die Energiepolitik und in der Frage der Nutzung der Kernenergie, in der sich nach Tschernobyl ein deutlicher Einstellungswandel in der westdeutschen Wählerschaft vollzogen hat. Seither votiert eine Mehrheit der Befragten für den Ausstieg aus der Kernenergie. Im Januar 1987 sprachen sich dabei — laut Infas — 11 Prozent der Befragten für den sofortigen und 52 Prozent für den mittelfristigen Ausstieg aus, während 35 Prozent der Meinung waren, daß es zur Kernenergie keine Alternative gäbe. Schlüsselt man nach Partei-anhängern auf, so ergibt sich, daß sich von den Wählern der Koalitionsparteien immerhin 38 Prozent der Unions-und 39 Prozent der FDP-Anhänger für den mittelfristigen Ausstieg aussprachen, 16 Prozent der SPD-Anhänger für den sofortigen Ausstieg votierten und 70 Prozent der Parteilinie folgten, während 96 Prozent der GRÜNEN-Anhänger für den Ausstieg, davon 52 Prozent für den sofortigen, eintraten. Eine Mehrheit der Wähler stand damit dem Energiekonzept der SPD nahe. In der Wahlentscheidung schlug sich dies aber nicht nieder

Aufs Ganze gesehen, war der Kompetenzvorsprung der Regierungskoalition indes längst nicht so ausgeprägt wie bei der vorangegangenen Bundestagswahl vom März 1983 — ein deutlicher Reflex des gerin-geren Vertrauens der Wähler in die Leistungsfähig keit der konservativ-liberalen Regierung und man eher ihrer Spitzenpolitiker Dies gilt insbeson dere für Bundeskanzler Kohl, der während der gan zen Legislaturperiode nicht nur negativer beurteil wurde als viele seiner Minister, sondern auch stet: in der Kandidaten-Alternative Kohl-Rau schlechte: abschnitt als sein sozialdemokratischer Herausfor derer. Selbst unmittelbar vor der Wahl entschiedet sich auf die Frage, wen sie am liebsten als Kanzle sähen, 46, 2 Prozent der Befragten für Rau unc 45, 7 Prozent für Kohl Von den CDU/CSU Anhängern warenjedoch 91 Prozent für Kohl, wäh rend sich von FDP-Anhängern 53 Prozent für Koh und immerhin 29 Prozent für Rau aussprachen Demgegenüber votierten 92 Prozent der SPD-unc 88 Prozent der GRÜNEN-Anhänger für den Sozialdemokraten Rau. In der Wählerschaft decktet sich folglich Kandidaten-und Partei-(bzw. Lager-'Präferenzen weitgehend

Resümiert man die Ergebnisse der Issue-und Kompetenzanalyse, wird dreierlei deutlich:

— Die Koalition nutzte ihren Kompetenzvorsprung auf wirtschaftspolitischem Gebiet; sie profitierte dabei von der Konjunkturentwicklung und der positiven Einschätzung der Wirtschaftslage durch die Wählerschaft. Der SPD hingegen fehlte es an zugkräftigen Themen; ihr Kompetenzvorsprung irr Umweltschutz wirkte sich nicht zu ihren Günster aus.

— Die Kandidatenpräferenz wie die Einstellung zu politischen Sachthemen sind stark beeinflußt durch die jeweilige Parteipräferenz des Wählers. Von dei Parteiposition abweichende Meinungen führen — wie der Einstellungswandel in der Frage der Kernenergie zeigt — keineswegs notwendig zum Parteiwechsel. Von den politisch-konjunkturellen Einflüssen gehen nur sehr mittelbare Wirkungen auf das individuelle Wählerverhalten aus.

— Eine Kanzler-und Themenwahl war diese Bundestagswahl nicht 3. Lagerwahl, Partizipation und Parteiwechsel Wichtiger für das Wahlergebnis als Themen und Kandidaten waren die politisch-situativen Konstellationen. Sie hatten Einfluß auf die Partizipation und auf die Parteiwechsel, die sich — ähnlich dem Wahlkampf — hauptsächlich innerhalb der beiden Blöcke des bipolaren Mehrparteiensystems abspielten, so daß man diese Bundestagswahl durchaus als „Lagerwahl" bezeichnen kann.

Der Rückgang in der Wahlbeteiligung um 4, 8 Prozentpunkte auf 84, 3 Prozent hat sicherlich verschiedene Ursachen. Daß Wahlkampf und Wahl im Winter stattfanden, dürfte noch die geringste Rolle gespielt haben. Die Mobilisierungsprobleme der beiden großen Parteien ergaben sich wohl eher aus der Situation eines insgesamt spannungslosen Wahlkampfes und wegen der ungleichen Ausgangsposition von Regierung und Opposition. Die Siegeszuversicht im Regierungslager (und zwar bei Politikern wie Wählern) und die Chancenlosigkeit der Sozialdemokraten werden sich gleichfalls negativ ausgewirkt haben.

Die sinkende Wahlbeteiligung muß man aber auch im Zusammenhang sehen mit den Dekonzentrationstendenzen im Parteiensystem. Sie geht zudem einher mit Veränderungen in der politischen Kultur und mit verändertem Partizipationsverhalten. Im Gegensatz zu früher messen große Teile der Bevölkerung seit den siebziger Jahren direkt-demokratischen Formen politischer Partizipation einen höheren Stellenwert zu und kombinieren konventionelle wie unkonventionelle Partizipationsformen Der Rückgang in der Wahlbeteiligung, nicht nur bei Landtags-und Europa-Wahlen, sondern jetzt auch bei Bundestagswahlen, signalisiert damit ganz sicher auch die wachsende Skepsis gegenüber der Wahl als dem wichtigsten Element repräsentativ-demokratischer und konventioneller Partizipation Über den Zusammenhang zwischen der Wahlbeteiligung und den Parteistärken informieren die in Tabelle 5 zusammengestellten Aggregatdaten Sie zeigen für die Unionsparteien überdurchschnittliche Verluste und unterdurchschnittliche Stimmen-anteile bei hoher Wahlbeteiligung. CDU und CSU sind also längst nicht so negativ von der sinkenden Wahlbeteiligung betroffen gewesen, wie zunächst allgemein angenommen worden ist. Eindeutige Beziehungen bestehen hingegen bei Sozialdemokraten einerseits und FDP wie GRÜNEN andererseits. Stimmenanteile und Zugewinne von FDP und GRÜNEN wachsen mit sinkender Wahlbeteiligung. Die beiden kleinen Parteien profitierten damit wegen der hohen Partizipationsbereitschaft ihrer Anhänger von der insgesamt niedrigeren Partizipation, während die SPD um so besser abschnitt, desto weniger die Wahlbeteiligung abgesunken war. Die Sozialdemokraten traf folglich der Rückgang in der Wahlbeteiligung am stärksten. 4. Lagerwahl und Stimmensplitting Die asymmetrische Ausgangsposition zwischen Regierung und Opposition, die Binnenwahlkämpfe zwischen CSU und FDP einerseits sowie SPD und GRÜNEN andererseits beeinflußten nicht zuletzt die Wahlentscheidung derjenigen Wähler, die zu taktischem Wahlverhalten und Koalitionswahlentscheidungen neigen. Erste Aufschlüsse über Ausmaß und Richtung vermittelt dabei das bei Bundestagswahlen aufgrund der Zweistimmen-Konstruktion mögliche Stimmensplitting, die unterschiedliche Abgabe von Erst-und Zweitstimme also. Vergleicht man die Ergebnisse der Repräsentativstatistik seit 1953, so zeigen sich drei generelle Trends im Splitting die seit der Einführung des Zweistimmensystems unverändert sind und u. a. auch in Tabelle 6 sichtbar werden, in der das Splitting bei den Bundestagswahlen von 1980 und 1983 gegenübergestellt ist: — Das Ausmaß des Splitting liegt (mit Ausnahme von 1961 und 1976) zwischen neun und 12 Prozent, während rund 90 Prozent der Wähler (1980: 89, 2%; 1983: 88, 6%) mit der Erststimme den Wahlkreisbewerber derjenigen Partei wählten, der sie auch ihre Zweitstimme gaben.

— Die Wähler der beiden großen Parteien haben die Möglichkeit des Splitting nur in geringem Maße genutzt. Weit über 90 Prozent von ihnen gaben Erst-und Zweitstimme gleich ab. Die Wähler der kleineren Parteien, deren Wahlkreiskandidaten keine Chancen auf den Mandatsgewinn haben, haben vom Splitting demgegenüber stets stark Gebrauch gemacht. Von den FDP-Wählern gaben z. B.seit der Wahl von 1969 zwischen 40 und 70 Prozent die Erststimme dem Kandidaten einer der beiden großen Parteien.

— Die Richtung des Splitting ist dabei — in Vergangenheit wie Gegenwart und zu Zeiten von Unions-wie von SPD-geführten Bundesregierungen — immer entscheidend vom Standort der Partei im Parteiensystem und von block-bzw. koalitionspolitischen Überlegungen der Wähler determiniert worden. Das unterschiedliche Verhalten der FDP-Wähler bei den Wahlen von 1980 und 1983 belegt dies.

Für die Bundestagswahl 1987 liegen die Daten der Repräsentativstatistik bislang noch nicht vor. Folgt man der Infas-Umfrage, so dürfte der Umfang des Splitting wieder bei ca. 11 Prozent gelegen haben und sich damit nicht wesentlich von dem früherer Wahlen unterscheiden Einen ähnlichen Eindruck vermitteln die Erst-und Zweitstimmenergebnisse der Parteien, die in Tabelle 7 nach Bund und Ländern und für die Wahlen von 1983 und 1987 zusammengestellt sind. Bei der FDP betrug die Differenz zwischen den 9, 1 Prozent der Zweit-und 4. 7 Prozent der Erststimmen 4, 4 Prozentpunkte (1983: 4, 1); die CDU/CSU wies demgegenüber wie 1983 3, 4 Prozentpunkte mehr Erst-als Zweitstimmen auf. Man geht sicherlich nicht fehl in der Annahme, daß es vornehmlich Wähler aus dem bürgerlichen Lager waren, die ihre beiden Stimmen zwischen CDU/CSU und FDP splitteten und die damit eine Koalitionswahlentscheidung trafen. In Anbetracht der geringen Stammwählerschaft der FDP, die bundesweit bei etwa drei bis vier Prozent liegen dürfte, wird es sich in beträchtlicher Zahl um Wähler handeln, die in ihrer Parteipräferenz eher der Union zuneigen. Ob man die Stimmen solcher Wähler als Leihstimmen ansieht, mag dahingestellt bleiben.

Daß die Differenzen zwischen Erst-und Zweitstimmen von Sozialdemokraten und GRÜNEN deutlich geringer ausfielen, lag sicherlich auch — aber nicht nur — an der Chancenlosigkeit der SPD bei dieser Wahl, wodurch wahltaktische Überlegungen im linken Lager diesmal keine wichtige Rolle spielten. Hierin spiegelt sich zugleich die größere ideologische Distanz zwischen den sozialdemokratischen und grünen Parteien wie Wählern wider, und es zeigt sich, daß die grüne Stammwählerschaft mittlerweile um einiges größer ist als die der FDP. Fragt man nach den Gründen des Splitting, so fällt auf, daß es den Wählern weniger darum ging, FDP oder GRÜNE zu stärken. In der Infas-Umfrage nannten als Motiv vielmehr 18 bzw. 21 Prozent der Befragten, sie wollten die Zusammenarbeit zwischen SPD und GRÜNEN bzw. die Fortsetzung der christlich-liberalen Koalition ermöglichen. 31 Prozent setzten das Splitting ein, um auf diese Weise eine absolute Mehrheit zu verhindern. Damit standen diesmal ganz eindeutig die Skepsis gegenüber Alleinregierungen sowie koalitions-oder blockpolitische Argu-mente im Mittelpunkt politisch-situativ bestimmter Wählerentscheidungen 5. Wählerwanderungen In eine ähnliche Richtung weisen auch die Ergebnisse der Wählerwanderungsbilanz von Infas Wie umstritten die Zahlen aus methodischen Gründen auch sein mögen sie dürften diesmal zumindest die Tendenz der Parteiwechsel zutreffend widerspiegeln und bestätigen zunächst die Bedeutung des lagerinternen Wechsels: So sollen im Saldo etwa 800 000 Wähler von den Unionsparteien zur FDP gewechselt sein, und die GRÜNEN sollen von der SPD ungefähr 600 000 Stimmen gewonnen haben. Die gesunkene Wahlbeteiligung hat sich auch nach der Infas-Wanderungsbilanz negativ auf das Ergebnis der Sozialdemokraten aus-gewirkt, die dadurch 740 000 Stimmen gegenüber 1983 eingebüßt haben sollen. Infas errechnet in seiner Wanderungsbilanz allerdings auch für die Unionsparteien Verluste aus der gesunkenen Wahlbeteiligung, die ungefähr 800 000 Stimmen ausmachen sollen, und unterscheidet sich folglich deutlich von der auf den Aggregatdaten beruhenden Interpretation der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. Die Infas-Daten indizieren zudem eine Rückwanderung zur SPD von solchen Wählern (rund 400 000), die 1983 unter dem Eindruck der „Wende“, dem Slogan der Union „Den Aufschwung wählen“ vertrauend, zur CDU/CSU gewechselt waren.

Mit Blick auf das Erst-und Jungwählerverhalten belegen die Infas-Zahlen. die im Saldo einen Zugewinn der GRÜNEN aus dem Generationenwechsel von rund 400 000 Stimmen ergeben, einmal mehr die besondere Attraktivität der GRÜNEN — ein Ergebnis, das durch die genauere Repräsentativstatistik, wenn sie vorliegt, sicherlich bestätigt, aber auch ergänzt werden wird, denn seit einiger Zeit erzielen die GRÜNEN — wie die Repräsentativauszählungen der letzten Landtagswahlen zeigen — überdurchschnittliche Stimmenanteile auch in den Altersgruppen der 25-bis 35jährigen und der 35-bis 44jährigen Dieses Ergebnis bedeutet zum einen, daß die grüne Wählerschaft „älter“ wird; es falsifiziert zum zweiten lebenszyklische Erklärungen der grünen Wahlerfolge und unterstreicht die Annahme generationenspezifischen Wählerverhaltens Das Hauptmerkmal der Wählerwanderungen dieser Bundestagswahl bleibt indes trotz aller ergänzenden Differenzierungen der „Wechsel im eigenen Lager“ 6. Parteiidentifikation Daß es sich bei den Wählerwanderungen um mehr als nur um Kurzzeiteffekte, sondern um strukturell angelegte Wandlungsprozesse im Wählerverhalten handelt, zeigen nicht zuletzt die in den Tabellen 8 und 9 zusammengestellten Daten der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen zur Parteiidentifikation. Wie kontrovers das Konzept der Parteiidentifikation auch sein mag die Daten machen dreierlei deutlich: Sie belegen erstens den doch starken Rückgang in der Parteiidentifikation. Der Anteil der Befragten, die sich mit keiner Partei identifizierten, stieg immerhin auf 25 Prozent an. Zudem sind, zweitens, die Bindungen lockerer geworden. Während früher ungefähr zwei Drittel der Parteian-hänger der beiden großen Parteien starke Bindungen zeigten, waren es 1983 und 1987 deutlich unter 50 Prozent der Anhänger beider Parteien, im Falle der SPD 1987 sogar weniger als 40 Prozent (s. Tabelle 9). Gleiches gilt für diejenigen, die 1987 eine liberale Wahlabsicht äußerten; von ihnen fühl-ten sich gerade ein Viertel an die FDP gebunden. Demgegenüber bilden sich, drittens, zusehends engere Bindungen der grünen Wähler an ihre Partei, entsteht bei mittlerweile der Hälfte von ihnen eine sicherlich mittelfristig stabile Parteiidentifikation.

III. Sozialstruktur und Wählerentscheidung

Tabelle 3: Sitzverteilung im Bundestag 1949 bis 1987 Quelle: Wahlstatistik des Statistischen Bundesamtes, jeweilige Wahl.

1. Konfession, Beruf und Wählerverhalten

Zu beobachten sind diese Prozesse der Abnahme der Parteiidentifikation und der Lockerung der traditionell festen Bindungen der Wähler an die etablierten Parteien bei gleichzeitigem Aufbau einer grünen Parteiidentifikation spätestens seit Anfang der achtziger Jahre. Dennoch wird selbstverständlich das Verhalten großer Teile der Wählerschaft unverändert von den traditionellen Strukturmustern bestimmt. Die Wählerentscheidung in der Bundesrepublik ist auch heute noch maßgeblich determiniert erstens durch Konfessionsstruktur und (katholischer) Kirchenbindung sowie zweitens durch die sozio-ökonomische Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit bzw. durch die Scheidelinie zwischen sozialstaatlicher Umverteilung und Egalisierung auf dem einen und marktwirtschaftlicher Orientierung auf dem anderen Pol Die wahlökologischen Daten in den Tabellen 10 und 11 bestätigen dies auch für diese Bundestagswahl. Sie machen zugleich die Unterschiede in Stadt und Land deutlich. So verfügt die CDU/CSU unverändert in den ländlichen Gemeinden über eindeutige Mehrheiten, die SPD ist hingegen in städtischen Gebieten stärker als die Union. Der Stimmenanteil der Union wird dabei um so größer, je höher der Katholikenanteil und desto geringer die Bevölkerungsdichte ist (s. Tabelle 10). Die Anteile der Sozialdemokraten verhalten sich dazu in etwa spiegelbildlich; sie sind um so höher, je niedriger der Katholikenanteil und desto stärker die Bevölkerungsdichte ist. Die sozial-und berufsstrukturelle Analyse des Wählerverhaltens führt zu ähnlichen Ergebnissen. Auch hier ist die fortdauernde Bedeutung struktureller Determinanten offenkundig: Die Sozialdemokraten haben ihre Hochburgen unverändert in städtischen Arbeitergegenden, die Unionsparteien in ländlichen Regionen mit einem hohen Anteil an selbständig Erwerbstätigen (s. Tabelle 11). In Rechnung stellen muß man allerdings zwei sich wechselseitig verstärkende Wandlungsprozesse: Erstens den Wandel von der Industrie-zur postindustriellen oder auch Dienstleistungsgesellschaft, wie er ansatzweise in der Darstellung unten sichtbar wird, die den starken Rückgang der Arbeiter und Selbständigen sowie den außerordentlich starken Zuwachs an Beamten und Angestellten dokumentiert. Die Reduktion der traditionellen sozial-moralischen Milieus — was indes keineswegs ihre Auflösung meint — geht zweitens einher mit einer gewissen Nivellierung der extremen Hochburgen der beiden großen Parteien.

Betrachtet man die Veränderungen gegenüber der Wahl von 1983, so zeigt sich zunächst, daß die Union in ländlichen Gebieten überdurchschnittlich verlor, während die Sozialdemokraten ihre allerdings stark unterdurchschnittlichen Stimmenanteile auf dem Lande in etwa halten konnten und in den Städten starke Einbußen hinnehmen mußten.

Dabei fällt auf, daß die SPD ihren Stimmenanteil in Arbeitergebieten behauptete und in ländlichen Arbeitergegenden sogar geringfügig hinzugewann.

Die Verluste der CDU/CSU liegen dort minimal über dem Durchschnitt (s. Tabelle 11).

Die entscheidenden Veränderungen fanden jedoch in den Wohngebieten mit überdurchschnittlicher Angestellten-und Beamten-Bevölkerung statt.

Hier verloren beide Volksparteien vornehmlich zugunsten der jeweils kleinen Partei in den beiden Lagern, die CDU/CSU stärker auf dem Lande als in den mittleren und in den großstädtischen Gebieten, die SPD vor allem im Dienstleistungsbereich der Mittel-und Großstädte. Parallel dazu fielen die Zugewinne von FDP und GRÜNEN aus. Die Liberalen gewannen am stärksten in ländlichen Regionen hinzu, die GRÜNEN insbesondere in städtischen Regionen, wobei ihre Zugewinne auf Kosten der SPD mit steigender Urbanisierung zunahmen — ein Trend, der bei dieser Wahl besonders nachdrücklich bestätigt wurde. 2. Wählerverhalten und Strukturwandel Strukturell bedeutsam für die Veränderungen im Wählerverhalten sind also nicht nur die Reduktion der traditionellen Milieus, der Hochburgenabbau einerseits, der starke Zuwachs an Wählern aus den lohnabhängigen Mittelschichten andererseits. Mit den quantitativen Veränderungen gehen zugleich die Lockerung bestehender Loyalitäten, die Fragmentierung existenter Strukturen sowie Wandlungen im Wertsystem einher; sie betreffen vor allem die Mittelschichten Die Stimmenzuwachse der Sozialdemokraten seit Anfang der sechziger Jahre, die sie im Gefolge des Godesberger Programms aus dem Getto der 30 Prozent heraus und bis zur Regierungsübernahme im Jahre 1969 führten, werden dabei in aller Regel ebenso mit Wandlungstendenzen im politischen Verhalten der Mittelschichten in Verbindung gebracht wie das Entstehen der Ökologie-und Alternativbewegung seit der Mitte der siebziger und die Wahlerfolge der GRÜNEN seit Anfang der achtziger Jahre. Während man sich über den Zusammenhang als solchen in der westdeutschen Politikwissenschaft weithin einig ist, werden zur Erklärung des Wertewandels und der grünen Wahlerfolge in den Mittelschichten gleichermaßen vielfältige wie gegensätzliche Interpretationen angeboten. Für Roland Inglehart u. a. bildet der Wandel im Wertsystem (insbesondere bei den vom Wohlstand geprägten Nachkriegsgenerationen) hin zu postmateriellen Werten und damit der Gegensatz zwischen materialistischen und postmaterialistischen Werten die Basis der neuen, die traditionellen Konfliktmuster überlagernden Scheidelinie

Mit Joachim Raschke u. a. sind es für den Autor hingegen die verschiedenen Defizite des Industrie-systems, die den Wandel in den politischen Einstellungen und Verhaltensweisen ausgelöst haben, wobei sich der Wertwandel in dieser Perspektive als Wertkrise darstellt, die aus der Sinn-wie der Strukturkrise in den westlichen Industriesystemen folgt Gemeinsam ist der vielfach diffusen Wachstums-, Industriesystem-und Technologiekritik dabei sowohl die Einsicht in die ökologischer Grenzen der menschlichen Existenz, an denen da: politische Handeln auszurichten sei, als auch eir erweiterter Partizipationsbegriff, der konventionelle wie unkonventionelle, repräsentativ-wie direktdemokratische Partizipationsformen miteinander kombiniert.

Diese beiden Elemente bilden die Grundlage füi eine neue, ökqlogische Sichtweise von Politik; sie bestimmt als linker Pol der neuen, ökologischer Konfliktdimension seit Anfang der achtziger Jahre zusehends das politische Verhalten in der Bundesrepublik. Wie an anderer Stelle argumentiert, vertreten eine „grüne Parteipräferenz“ dabei vor allem solche Wähler aus den Mittelschichten, die in der Arbeitsprozeß (noch) nicht integriert sind (Schüler Auszubildende, Studenten, arbeitslose Jungwähler, etc.) oder die (meist Angestellten-/Beamten-) Berufe im Reproduktionssektor ausüben, abei auch solche Wähler, deren selbständige Existenz und (Mittelklassen-) Status durch den technologischen Wandel bedroht sind. Die grüne Wählerschaft weist damit durchaus eine gemeinsame sozioökonomische Basis auf, die allerdings querliegt zum traditionellen Sozialkonflikt zwischen Kapital und Arbeit

IV. Fazit: Wählerverhalten und Wandel des Parteiensystems

Einschätzung der Siegesaussichten durch die Wählerschaft Quelle: FGW 45/1987 (Anm. 4 ). s. 10

Diese Wahl ist trotz aller Veränderungen im Detail — wie eingangs als Hypothese formuliert — eine Wahl der Bestätigung gewesen. Bestätigt wurde 1. die Regierungskoalition aus Christdemokraten und Liberalen;

2. das seit Ende der siebziger Jahre entstandene bipolare Mehrparteiensystem mit seiner konservativ-liberalen Mehrheit jenseits der Sozialdemokratie;

3. die Dekonzentration im Parteiensystem, verbunden mit dem Rückgang der Parteiidentifikation, insbesondere bei Sozialdemokraten und Unions-Parteien, die Zunahme der Wählermobilität innerhalb der beiden Lager, deren Stärkeverhältnis selbst sich nur geringfügig änderte; 4.der Wahlerfolg der GRÜNEN von 1983, die zum zweiten Mal bei Bundestagswahlen die Sperrklausel übersprangen und die sich damit auch auf Bundesebene zumindest mittelfristig als ernst zu nehmende politische Kraft etablierten;

5. die fortdauernde Existenz der traditionellen, u. a. durch Konfessionsbindung oder gewerkschaftliche Organisation konstituierten Milieus, deren quantitative Bedeutung als Folge des sozialen und berufsstrukturellen Wandels zwar sinkt, die aber dort, wo sie bestehen, das Wählerverhalten weiterhin determinieren;

6. die seit Ende der siebziger Jahre erfolgte Erweiterung der tradierten zwei Konfliktmuster um den Ökologie-Konflikt, der insbesondere für die Wählerentscheidung in den Mittelschichten strukturierende Bedeutung erlangt hat. Damit bestimmen drei Konfliktlinien — die konfessionelle, die wohlfahrtsstaatliche und die ökologische — die Struktur des bundesrepublikanischen Parteiensystems. Schematisch ergibt sich das nebenstehende Schaubild.

Zumindest indirekt wurden bei dieser Bundestagswahl auch einige Grundmuster in der politischen Kultur der Bundesrepublik und im Prozeß des politischen Wandels bestätigt:

7. Bei Bundestagswahlen findet ein politischer Wechsel nur höchst selten statt. Im Gegensatz zur Wahlpraxis in vielen anderen westlichen Demokra-B tien werden Regierungen in der Bundesrepublik nicht abgewählt, sondern durch Koalitionswechsel parlamentarisch abgelöst. Dies betrifft nicht nur den Prozeß der Elitenzirkulation und den Wechsel des politischen Personals; es gilt für den Prozeß des politischen Wandels ganz allgemein.

8. Durchgesetzt haben sich Veränderungen in der bundesrepublikanischen Politik weder allein im Rahmen der etablierten Wahlpolitik noch ausschließlich auf der Ebene der Bundespolitik. Die Veränderungen vollzogen sich vielmehr — wie der Wandel im Parteien-system seit der Zäsur der Jahre 1972 bis 1974 exemplarisch zeigt — in der Kombination von repräsentativ-demokratischer Wahl-politik und direkt-demokratischer politischer Aktion 9. Sie traten auch zunächst bei Kommunal-und Landtags-sowie bei der Europawahl von 1979 zutage, also bei Wahlen, denen üblicherweise nur nachrangige Bedeutung zugemessen wird; gerade bei solchen Wahlen aber scheint der Wähler in besonderem Maße zu kurzfristigen Experimenten und langfristigen Umorientierungen bereit zu sein. Diese Wahlen, die fälschlicherweise oft als „Nebenwahlen“ bezeichnet werden, gewinnen nicht zuletzt hieraus ihre bislang stets unterschätzte eminente politische Bedeutung. Langfristige Strukturveränderungen im Wählerverhalten kündigen sich — wie bereits aus Anlaß der Bundestagswahl 1987 formuliert — bei Landtagswahlen an und haben nur dann Bestand, sofern sie bei Bundestagswahlen ratifiziert werden, was für die Wahlen von 1983 wie 1987 gleichermaßen gilt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Einordnung dieser Bundestagswahl in den Kontext der bundesrepublikanischen Wahlentwicklung vgl. Rainer-Olaf Schultze, Wählerverhalten und Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: Westeuropas Parteiensysteme im Wandel, Stuttgart 1983, S. 9— 44; zur Bundestagswahl von 1983: ders., Regierungswechsel bestätigt, ebenda, S. 45-82.

  2. Auf die Rolle der Demoskopie kann hier nicht näher eingegangen werden. Siehe hierzu: Rainer-Olaf Schultze, Vom aktiven Wähler zum passiven Befragten. Zur problematischen Rolle der Demoskopie, in: Das Nr. 37— 38 v. 13. /20. 9. 1986, S. 15.

  3. Als Vorwahlanalyse sei genannt: Wolfgang G. Gibowski/Max Kaase, Die Ausgangslage für die Bundestagswahl am 25. Januar 1987, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48/86, S. 3 — 19. Die Anmerkungen zum Wahlkampf beruhen im übrigen auf der systematischen Auswertung von zwei Tageszeitungen (Frankfurter Allgemeine Zeitung; Süddeutsche Zeitung) und zwei Wochenzeitungen: DIE ZEIT und DER SPIEGEL. Auf sie kann aus Platzgründen nicht gesondert verwiesen werden.

  4. An wahlstatistischem und wahlsoziologischem Material liegen der Analyse zugrunde: die offizielle Wahlstatistik des Statistischen Bundesamtes der jeweiligen Wahl, für 1987: Statistisches Bundesamt, Fachserie 1: Wahl zum 11. Bundestag am 25. Januar 1987, Heft 1: Ergebnisse und Vergleichszahlen früherer Bundestags-, Europa-und Landtagswahlen sowie Strukturdaten für die Bundestagswahlkreise 1987, Stuttgart —Mainz August 1986, Heft 2: Vorläufige Ergebnisse nach Wahlkreisen, Stuttgart-Mainz 26. Januar 1987, Heft 3: Endgültige Ergebnisse nach Wahlkreisen, Stuttgart-Mainz Februar 1987; Forschungsgruppe Wahlen (FGW 45/1987), Bundestagswahl 1987. Eine Analyse der Wahl zum 11. Bundestag am 25. Januar 1987, Mannheim 1987; Forschungsgruppe Wahlen (FGW 1/87), Politik in der Bundesrepublik. Mannheimer Wahlstudie 1987, 2. Welle, Januar 1987; Forschungsgruppe Wahlen (FGW 2/1987), Politikbarometer Januar 1987, Mannheim 1987; Infas-Report Wahlen, Bundestagswahl 1987. Wahl zum 11. Deutschen Bundestag am 25. Januar 1987. Analysen und Dokumente, Bonn-Bad Godesberg, Januar 1987. Zu danken habe ich der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen für die freundliche Überlassung zahlreicher Materialien.

  5. Als Einstieg vgl. die Stichwörter „Wahlsoziologie“ und „Wählerverhalten“, in: Dieter Nohlen/Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.), Politikwissenschaft (Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 1), München-Zürich 1985.

  6. Vgl. Franz Urban Pappi, Das Wahlverhalten sozialer Gruppen bei Bundestagswahlen im Zeitvergleich, in: Hans-Dieter Klingemann/Max Kaase (Hrsg.), Wahlen und politischer Prozeß. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1983, Opladen 1986, S. 369-384.

  7. Vgl. FGW 45/1987 (Anm. 4), S. 52ff.

  8. Siehe ebenda, S. 57.

  9. Alf Mintzel, Geschichte der CSU. Ein Überblick, Opladen 1977, S. 413.

  10. Zur Bayern-Wahl vgl. in Kürze: Rainer-Olaf Schultze, Die bayerische Landtagswahl vom 12. Oktober 1986: Stabile Verhältnisse wie nachhaltige Veränderungen, in: ZParl., 18 (1987) 1.

  11. Siehe Gunter Hofmann, Mit fröhlicher Entschlossenheit, in: DIE ZEIT. Nr. 31 v. 25. 7. 1986, S. 4.

  12. Dies entgegen z. B. Rolf Zundel, in: DIE ZEIT, Nr. 4 v. 16. 1. 1987, S. 5, der formulierte: „die Bundestagswahl ist am 15. Juni 1986 entschieden worden . . .“. Wolfgang G. Gibowski/Max Kaase (Anm. 3), S. 18f., sahen die Ausgangslage nach der Niedersachsen-Wahl noch als weithin offen an, offener jedenfalls, „als man dies nach dem Ergebnis der letzten Bundestagswahl vom 6. März 1983 für möglich gehalten hätte“. Für Gibowski und Kaase waren es folglich erst die Wahlen in Bayern und Hamburg, die eine Vorentscheidung brachten. Beide Auffassungen unterschätzen jedoch die strukturellen Determinanten des Wählerverhaltens. Zu keiner Zeit seit 1983, selbst nicht nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen, bestand für die SPD Aussicht auf den Gewinn der Mehrheit.

  13. Nach Infas (Anm. 4), S. 194ff., waren nur 17% der , Befragten sehr, 53 % etwas und immerhin 26 % gar nicht am Wahlkampf interessiert. Das Interesse ist seit den Wahlen der siebziger Jahre rückläufig.

  14. Siehe: DIE ZEIT. Nr. 4 v. 16. 1. 1987. S. 1.

  15. Vgl. Infas (Anm. 4), S. 76ff.

  16. Vgl. ebenda.

  17. Als Einstieg siehe das Stichwort: „Issue-Forschung", in: Dieter Nohlen/Rainer-Olaf Schultze (Anm. 5), S. 410 ff., ferner: M. P. Fiorina, Retrospective Voting in American National Elections, New Haven-London 1981.

  18. Der Kompetenzvorsprung der CDU/CSU-FDP-Koalition bestand in der Frage der Arbeitslosigkeit, der Rentensicherung, der Preisstabilität, der Haushaltssanierung, der Inneren Sicherheit und der Beziehungen zu den USA. Die SPD-Opposition lag vorne auf den Feldern des Umweltschutzes, der Abrüstung, der Beziehungen zur DDR. Vgl. die Umfrageergebnisse in: FGW 1/87 (Anm. 4), S. 189ff. Zur Kompetenzeinschätzung vor der Wahl von 1983 vgl. meine Analyse der Bundestagswahl von 1983: Regierungswechsel bestätigt (Anm. 1), passim.

  19. Siehe Infas (Anm. 4), S. 94ff.

  20. Dies gilt im übrigen auch für die Landtagswahlen in Niedersachsen und Bayern; zur Bayern-Wahl vgl. meine Interpretation in der ZParl. (Anm. 10), passim.

  21. Vgl. u. a. die einmal im Monat während des Jahres 1986 im „Spiegel" veröffentlichten Umfrageergebnisse des Emnid Institutes.

  22. Nach FGW 45/1987 (Anm. 4), S. 33.

  23. Ganz anders war dies z. B. 1980, als es einen deutlichen Vorsprung des Amtsinhabers Helmut Schmidt gegenüber dem Herausforderer Franz Josef Strauß gegeben hatte; vgl. meine Analyse: Regierungswechsel bestätigt (Anm. 1). S. 57 f.

  24. Die Wahl von 1983 war eine Themen-und Kompetenz-Wahl und gleichfalls keine Kanzler-Wahl; siehe ebenda.

  25. Zu den unterschiedlichen Formen politischer Partizipation vgl. Max Kaase, Politische Beteiligung und politische Ungleichheit, in: L. Albertin/W. Link (Hrsg.), Politische Parteien auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland, Düsseldorf 1981, S. 363 — 377; Max Kaase/Samuel H. Barnes u. a., Political Action. Mass Participation in Five Western Democracies, Beverly Hills 1979.

  26. Zum Verhältnis zwischen repräsentativ-und direkt-demokratischen Formen politischer Partizipation wie zum Zusammenhang zwischen formaler und materieller Legitimation bei Wahlen siehe: Rainer-Olaf Schultze, Wahlen und politischer Wandel. Überlegungen zur historisch-politischen Kontextdetermination von Wahlfunktionen und Wählerverhalten, in: Politische Bildung, 19 (1986) 2, S. 18 — 32.

  27. Zwar liefert die wahlökologische Analyse keine direkten Informationen zum individuellen Wählerverhalten; Aggregatdaten-Analysen unterliegen jedoch der Gefahr des „ökologischen Fehlschusses“, wenn man z. B. von Ergebnissen aus bestimmten Gebieten Interpretationen auf das individuelle Verhalten der dort Lebenden ableitet. Aggregatdaten lassen jedoch mindestens Aussagen über Strukturmuster politischen Verhaltens zu.

  28. Zum Splitting siehe detaillierter meine Analyse: Regierungswechsel bestätigt (Anm. 1), S. 68 f.

  29. Zu den hier und nachfolgend zitierten Daten zum Splitting vgl. Infas (Anm. 4), S. 147 ff.

  30. Zu den Konsequenzen einer von Koalitionsparlamentairismus und Koalitionswahlentscheidungen geprägten politischen Kultur für Funktion und Bedeutung der Wahlen in der Bundesrepublik vgl. meinen Beitrag: Wahlen und politischer Wandel (Anm. 26), S. 28.

  31. Die Angaben zur Wählerwanderung entstammen der Infas-Wanderungsbilanz; vgl. Infas (Anm. 1), S. 35 ff. und Anhang B.

  32. Siehe hierzu meine Anmerkungen aus Anlaß der Wahl von 1983 in: Regierungswechsel bestätigt (Anm. 1), S. 72 ff., mit der relevanten methodenkritischen Literatur.

  33. Vgl. die Analysen der Landtagswahlen, in: ZParl. 18 (1987) 1, passim.

  34. Zum Konzept politischer Generationen vgl. Helmut Fogt, Politische Generationen. Empirische Bedeutung und theoretisches Modell, Opladen 1982.

  35. So der Tenor der Interpretation der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, siehe FGW 45/1987 (Anm. 4), passim.

  36. Siehe als Einstieg Peter Gluchowski, Parteiindentifikation, in: Dieter Nohlen/Rainer-Olaf Schultze (Anm. 5), S. 677 ff.

  37. Zu den sozio-politischen Konfliktlinien westdeutscher Politik vgl. meinen Beitrag: Wählerverhalten und Parteien-system (Anm. 1), passim.

  38. Siehe ebenda.

  39. Siehe Roland Inglehart. Wertewandel in den westlichen Gesellschaften. Politische Konsequenzen von materialistischen und postmaterialistischen Prioritäten, in: Helmut Klages/Peter Kmieciak (Hrsg.), Wertewandel und politischer Wandel, Frankfurt 1979, S. 279ff.; Kai Hildebrandt/Russel J. Dalton, Die neue Politik, in: Max Kaase (Hrsg.), Wahlsoziologie heute. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 230 18 PVS 1976, (1977), S. ff.

  40. Vgl. Joachim Raschke, Politik und Wertwandel in den westlichen Demokratien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/80, S. 23ff.; Rainer-Olaf Schultze, Wählerverhalten und Parteiensystem (Anm. 1), passim.

  41. Siehe meine Analyse der Bayern-Wahl: Stabile Verhältnisse wie nachhaltige Veränderungen (Anm. 10).

  42. Siehe hierzu im Detail: Wahlen und politischer Wandel (Anm. 26), passim.

  43. Vgl. Karl-Heinz Reif, Die „Nebenwahlen“. Einbußen der französischen Linken seit ihren Siegen von 198t, in: ZParl., 14 (1983), S. 195— 205. Dieses aus der US-amerikanischen Wahlforschung entwickelte Konzept, u. a. auch zur Interpretation der Europa-Wahlen, vermag ebenso wenig zu überzeugen wie die vielen anderen Hypothesen zum Verhältnis von Bundes-und Landtagswahlen. Systematische Untersuchungen fehlen bislang.

  44. Siehe: Wählerverhalten und Parteiensystem (Anm. 1), passim.

Weitere Inhalte

Rainer-Olaf Schultze, Dr. phil., geb. 1945; Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Instituts für Kanada-Studien der Universität Augsburg; Mitglied der Forschungsgruppe Wahlen und politischer Wandel des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit B. Vogel und D. Nohlen) Wahlen in Deutschland, 1971; Politik und Gesellschaft in Kanada, 1977; Wählerverhalten und Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland, 1983; Das politische System Kanadas im Strukturvergleich, 1985; (zus. mit D. Nohlen) Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 1: Politikwissenschaft, 1985.