Beschäftigung und Arbeitsmarktpolitik im internationalen Vergleich
Manfred Groser
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Zusammenfassung
Trotz des seit 1983 anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs ist die Arbeitsmarktlage in den meisten westlichen Industrieländern unbefriedigend. Beschäftigungsentwicklung, Arbeitslosenquoten und arbeitsmarktpolitische Strategien in den OECD-Staaten weisen erhebliche Unterschiede auf. Besonders stark war die Zunahme der Beschäftigung in den USA. In den meisten Ländern hat sich der Trend zur Expansion des Dienstleistungssektors, zur stärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen und zur Ausweitung von Teilzeitund befristeten Arbeitsverhältnissen fortgesetzt. Nur wenige Länder geben den aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik ein stärkeres Gewicht als den passiven Maßnahmen der Einkommenserhaltung. Die demographische Entwicklung wird eine Umorientierung der Arbeitsmarktpolitik bei den Zielgruppen und Maßnahmebündeln bewirken. Neben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und unterschiedlichen Problemlagen wirken politisch-institutionelle Faktoren auf die arbeitsmarktpolitischen Strategien ein. Der Einfluß ausländischer Erfahrungen auf die Bundesrepublik Deutschland liegt weniger auf der Ebene der Grundorientierungen, als auf der Vielfalt von Programmen, Modellen und Erfahrungen, die sich als arbeitsmarktpolitische Innovationen international ausbreiten und den nationalen Gegebenheiten angepaßt werden können.
I. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in den westlichen Industrieländern
Beschäftigungstrends Hohe Wachstumsraten, steigende Einkommen, Vollbeschäftigung und der Ausbau des Sozialstaates kennzeichneten die Volkswirtschaften der westlichen Industrieländer in den fünfziger und sechziger Jahren. Die Veränderungen der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in den siebziger Jahren (Strukturwandel, Ölkrise, Konkurrenz der Schwellenländer, Verschuldung der Entwicklungsländer, demographische Entwicklung etc.) führten zu erheblichen Anpassungsproblemen, die sich auf dem Arbeitsmarkt als ansteigende und anhaltende Massenarbeitslosigkeit niederschlugen. Die Folgen, verstärkt durch die Rezession Anfang der achtziger Jahre, sind noch heute spürbar. Zwar hat der nachhaltige Wirtschaftsaufschwung seit 1983 auch zur Verbesserung der Beschäftigungslage beigetragen. Dennoch sind gegenwärtig in den OECD-Staaten 1) 30 Millionen Menschen arbeitslos, der Anteil der Langzeitarbeitslosen steigt
Abbildung 4
Tabelle 3: Befristete Arbeitsverhältnisse in Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse 1985 Belgien Dänemark Frankreich Irland Italien. Quelle: OECD, Employment Outlook 1987 (Anm. 2), S. 36; Für die Bundesrepublik: C. F. Büchtemann/F. Burian. Befristete Arbeitsverhältnisse: ein internationaler Vergleich, in: P. Auer/G. Bruche/J. Kühl (Anm. 8), S. 346.
Tabelle 3: Befristete Arbeitsverhältnisse in Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse 1985 Belgien Dänemark Frankreich Irland Italien. Quelle: OECD, Employment Outlook 1987 (Anm. 2), S. 36; Für die Bundesrepublik: C. F. Büchtemann/F. Burian. Befristete Arbeitsverhältnisse: ein internationaler Vergleich, in: P. Auer/G. Bruche/J. Kühl (Anm. 8), S. 346.
Die Aufgabe, für die heute und in Zukunft Arbeitssuchenden qualitativ und quantitativ befriedigende Arbeitsplätze bereitzustellen, stellt sich aus drei Gründen mit besonderer Dringlichkeit: Erstens wird das Bestreben, Einkommen durch Teilnahme am Erwerbsleben zu sichern, in Zukunft noch zunehmen. Zweitens ist Erwerbsarbeit ein wesentlieher Faktor gesellschaftlicher Integration und persönlicher Identität, Drittens trägt eine hohe Beschäftigungsrate dazu bei, die steigenden Lasten, die durch eine wachsende Altenquote und einen hohen Qualifikationsbedarf der Jüngeren und Erwerbstätigen auf die Gesellschaften zukommen, leichter zu tragen und gerechter zu verteilen. a) Der Fall USA Welche Anhaltspunkte bieten die erkennbaren Trends in der Beschäftigungsentwicklung zur Bewältigung dieser Aufgabe? Einer der auffälligsten Tatbestände sind die großen Unterschiede im Beschäftigungswachstum der Industriestaaten. Sie waren bereits in den siebziger Jahren ausgeprägt und auch in der Phase einer allgemeinen Beschäftigungszunahme nach 1983 deutlich. Zwischen 1972 und 1987 sind in den USA 30 Mio. Arbeitsplätze entstanden. Auch nach 1983 ist die Beschäftigung in Kanada, den USA und Australien stärker gestiegen als in Europa. Mittelfristig (1979— 1987) war die Beschäftigungsentwicklung in Süd-und Nordeuropa günstiger als in Zentral-und Westeuropa, bedingt vor allem durch die starken Beschäftigungseinbrüche in Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik Anfang der achtziger Jahre. Die regionalen Unterschiede sind nicht durch entsprechende Abstände in den Wachstumsraten der Produktion erklärbar. Das Wachstum des Bruttosozialprodukts führte in den USA zu wesentlich stärkeren Beschäftigungsgewinnen als in Europa.
Abbildung 5
Tabelle 5: Öffentliche Maßnahmen für Arbeitsmarktprogramme 1987 in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Australien Österreich Belgien Kanada Dänemarkc). Quelle: OECD. Employment Outlook 1988 (Anm. 2). S. 86. Die Auswertungenthält Angaben zu den einzelnen Teilmaßnahmen, die hier nicht wiedergegeben werden.
Tabelle 5: Öffentliche Maßnahmen für Arbeitsmarktprogramme 1987 in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Australien Österreich Belgien Kanada Dänemarkc). Quelle: OECD. Employment Outlook 1988 (Anm. 2). S. 86. Die Auswertungenthält Angaben zu den einzelnen Teilmaßnahmen, die hier nicht wiedergegeben werden.
Das „Beschäftigungswunder“ in den USA ist diesseits und jenseits des Atlantik zum Gegenstand kontroverser Diskussionen geworden Unstreitig ist, daß der Beschäftigungsanstieg in den USA mit einem langsameren Produktivitätsanstieg und niedrigen Lohnzuwächsen einherging. „In der Tat sind die sehr eindrucksvollen Beschäftigungsgewinne in den USA mit einer Stagnation der Entwicklung der Produktivität und des durchschnittlichen Reallohnniveaus erkauft worden.“ Die größere Flexibilität der Reallöhne und der Lohnstruktur wird zusammen mit der höheren Mobilität und der geringeren Reglementierung des Arbeitsmarktes als Argument für die höhere Anpassungsfähigkeit des US-Beschäftigungssystems ins Feld geführt. Kritiker weisen darauf hin, daß der Trend zu Niedriglohnbeschäftigung und zu prekären Arbeitsverhältnissen zugenommen habe. Allerdings sind höchstens ein Drittel der zwischen 1979 und 1986 neu geschaffenen Vollzeitstellen der Gruppe der Niedriglohnarbeitsplätze zuzuordnen. Aus den empirischen Untersuchungen „läßt sich die These, daß das amerikanische Beschäftigungswachstum vor allem zur Schaffung geringqualifizierter und geringentlohnter Arbeitsplätze geführt hat, nicht belegen“ Die Zunahme der Einkommensunterschiede wird je nach Standort als Polarisierung der Gesellschaft oder als Ausdruck qualifikationsbezogener Entlohnung gewertet. Die meisten Arbeitsplätze mit unterdurchschnittlichen Verdiensten sind Teilzeitarbeitsplätze bzw. Arbeitsplätze mit einer Beschäftigungsdauervon unter einem Jahr. Die Zahl der unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten lag 1985 bei fünf Mio. und damit um zwei Mio. höher als 1979 b) Dienstleistungssektor Einige grundlegende Trends des neuen Beschäftigungsschubs lassen sich in allen hochentwickelten Industrieländern feststellen. Arbeitsplätze werden vor allem im Dienstleistungssektor geschaffen und vielfach mit Frauen besetzt. Der Anteil des Dienstleistungssektors an der Gesamtbeschäftigung zeigt eine erhebliche Bandbreite: 72 Prozent in den USA und 54 Prozent in der Bundesrepublik Abgesehen von Unterschieden in der Wirtschaftsstruktur und der internationalen Wettbewerbssituation sieht sich die Hoffnung auf eine Ausweitung des Dienstleistungssektors grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt Auf die privat nachgefragten Dienstleistungen wirken die Einkommensunterschiede und die Abgabenquote (Sozialleistungen) ein. „Die private Nachfrage ist größer, wenn relativ viele Leute mit hohen Einkommen sich in der Lage sehen, niedrig entlohnte Dienstleistende zu beschäftigen.“ Eine hohe Abgabenquote verteuert die Dienstleistungen und fördert das Do-it-Yourself und die Schatten-wirtschaft. Bei den staatlich finanzierten Dienstleistungen steht eine bereits hohe Steuer-und Abgabenbelastung ihrer weiteren Ausdehnung entgegen. c) Frauenbeschäftigung Mit Ausnahmen in Südeuropa hat sich die Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt überall verstärkt; die Prognosen gehen davon aus, daß sich dieser Trend fortsetzt. In den nordischen Ländern hat die Erwerbsquote von Frauen fast jene der Männer erreicht. Begünstigend wirken die Ausgestaltung des Steuersystems (Einzelbesteuerung statt Ehegattensplitting), eine hohe Quote von Teilzeitarbeitsplätzen und gezielte sozial-und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Familie und Beruf. Einen Überblick für ausgewählte Staaten gibt Tabelle 1.
Neuere Analysen zeigen eine erhebliche Verstetigung im Erwerbsverhalten von Frauen. Die Geburtenrate ist gesunken und die Phase der Kindererziehung im Lebenszyklus ist kürzer geworden. Für die jüngeren Alterskohorten von Frauen läßt sich zeigen, daß immer weniger Frauen sich in der Phase der Kindererziehung vom Arbeitsmarkt zurückziehen Hohe Erwerbsquoten von Frauen wirken über die verstärkte Nachfrage nach Dienstleistungen (Kindertagesstätten, Horte etc.), die überwiegend von Frauen erbracht werden, stabilisierend auf die Frauenbeschäftigung. Langfristig lassen sich drei Entwicklungsstadien erkennen: Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt mit der Heirat, Ausscheiden mit der Kindererziehung und späterer Wiedereintritt, Verbleiben im Arbeitsmarkt unabhängig vom Familienstatus. Als Konsequenz ist ein steigender Anteil von Frauen in der Lage, kontinuierliche Arbeitserfahrungen zu sammeln und ein erreichtes Qualifikationsniveau zu halten.
Obwohl die meisten Frauen Vollzeit arbeiten, ist ihr Anteil an der Teilzeitarbeit, auch in den nordischen Ländern, erheblich größer als bei den Männern. Zwar sind Frauen mittlerweile in fast allen Berufen zu finden, es besteht jedoch nach wie vor eine hohe Konzentration auf einige Berufe, und die Durchschnittsverdienste von Frauen sind geringer. d) Demographische Faktoren Wichtige Rahmenbedingungen für die Arbeitsmarktpolitik ergeben sich aus einer Veränderung der Alterszusammensetzung der Erwerbsbevölkerung. Die geburtenstarken Jahrgänge, die in der Vergangenheit in vielen Ländern nur mit Schwierigkeiten ins Beschäftigungssystem integriert werden konnten, kommen ins Haupterwerbsalter. In einigen Ländern, z. B. in der Bundesrepublik, können Ausbildungsplätze in einigen Berufen und Regionen nicht mehr besetzt werden. Es läßt sich absehen, daß Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik sich in Zukunft stärker als in der Vergangenheit auf die Gruppe im Haupterwerbsalter konzentrieren werden. Die Strategie, neue Qualifikationen primär durch Ausbildungsmaßnahmen für Jüngere ins Beschäftigungssystem einzubringen, bedarf einer Ergänzung durch verstärkte Fort-und Weiterbildungsmaßnahmen für die bereits im Erwerbsleben Stehenden. Am anderen Pol des Erwerbszyklus zeichnen sich ebenfalls Veränderungen ab. Das in der Vergangenheit mit sozial-und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten geförderte frühere Ausscheiden aus dem Erwerbsleben läßt sich in den zunehmend überalterten OECD-Staaten nicht fortsetzen. Die Alterssicherungssysteme werden zunehmend unter Druck geraten und die anvisierten politischen Maßnahmen weisen in die Richtung einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit -Damit steigen für die älteren Arbeitnehmer die Chancen, daß sich Qualifizierungsmaßnahmen auch in einer späten Erwerbsphase noch amortisieren. e) Teilzeitarbeit und befristete Beschäftigung Bislang dominiert das Vollzeitarbeitsverhältnis ohne zeitliche Befristung, aber Teilzeit-und befristete Arbeitsverhältnisse nehmen zu. Bei der Zunahme der Teilzeitarbeit bilden nur Dänemark, Schweden und Norwegen eine Ausnahme. In Schweden haben vermutlich unter den Bedingungen von Vollbeschäftigung und hohem Anteil der Teilzeitbeschäftigung weibliche Teilzeitbeschäftigte ihren Wunsch nach Vollzeitarbeit durchsetzen können. Das niedrige Niveau und die Stagnation der Teilzeitarbeit in Italien geben ohne Berücksichtigung der Schattenwirtschaft wohl ein falsches Bild vom Umfang der Teilzeitbeschäftigung in diesem Land. Einen Überblick über den Anteil der Teilzeitarbeit und die Geschlechterverteilung gibt Tabelle 2.
Angebots-und Nachfrageseite wirken auf die Ausdehnung der Teilzeitbeschäftigung ein. Auf der Angebotsseite ist es der Wunsch nach mehr Zeit für andere Aktivitäten, vor allem für die Familie. Für die Nachfrager ist Teilzeitarbeit zur flexibleren Anpassung von Kapazitäten und, in Abhängigkeit von gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen, bei niedrigeren Lohnnebenkosten attraktiv. Arbeitsund sozialrechtliche Regelungen können aber auch die Ausweitung von Teilzeitarbeit hemmen, wenn z. B. Mitbestimmungsregelungen von Beschäftigtenzahlen abhängen oder Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung zu höheren Sozialbeiträgen für Teilzeitbeschäftigte führen. Teilzeitbeschäftigte sind vielfach nur unzureichend in die Sozialversicherungssysteme und in die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen einbezogen Im Vergleich zu Vollzeitarbeitsplätzen besteht ein höherer Anteil der Teilzeitbeschäftigungen aus zeitlich befristeten Arbeitsverträgen.
Zum Bild zunehmend differenzierter Beschäftigungsverhältnisse gehören auch die befristeten Arbeitsverhältnisse. Die Datenlage ist hier noch sehr (Unvollständig, so daß Aussagen nur mit großen Vorbehalten möglich sind. Einen Überblick gibt Tabelle 3.
Zur Beurteilung der befristeten Arbeitsverhältnisse wäre es wichtig zu wissen, ob sie lediglich ein Durchgangsstadium zu Dauerarbeitsverhältnissen darstellen, oder ob eine Gruppe von Beschäftigten sich in einer Abfolge befristeter Beschäftigungsverhältnisse verfängt. Die Daten lassen keine eindeutigen Schlüsse zu. Möglicherweise schaffen Arbeitgeber, die der Dauerhaftigkeit des Aufschwungs nicht trauen, zunächst befristete Arbeitsverhältnisse. Der hohe Anteil vorher Arbeitsloser an befristeten Arbeitsverhältnissen deutet auch auf den Einfluß arbeitsmarktpolitischer Programme hin. 2. Arbeitslosigkeit Ein Blick auf die Arbeitslosenquoten 1988 zeigt, daß trotz des Beschäftigungsanstiegs die meisten Länder vom Ziel der Vollbeschäftigung weit entfernt sind (Tabelle 4).
Den stärksten Abbau der Arbeitslosigkeit in den letzten fünf Jahren verzeichneten Kanada, die USA, die Niederlande, Großbritannien (seit 1987), Finnland und Australien. Einigen Ländern wie Schweden, Japan und der Schweiz ist es gelungen, niedrige Arbeitslosenquoten zu halten bzw. (Schweden) noch zu senken. Gestiegen ist die Arbeitslosigkeit in Österreich, Italien, Frankreich, Irland und Griechenland
Zwei Gruppen beanspruchen besondere Aufmerksamkeit: arbeitslose Jugendliche (15— 24 Jahre) und Langzeitarbeitslose (über zwölf Monate arbeitslos). Mit Ausnahme der Bundesrepublik verzeichnen die meisten Staaten überdurchschnittlich hohe bis zum Quoten der Jugendarbeitslosigkeit, Doppelten und Dreifachen der allgemeinen Arbeitslosenquote. Besonders hoch war die Jugendarbeitslosigkeit 1988 in Italien (37 Prozent), Spanien (37 Prozent) und Frankreich (24 Prozent). Stark zurückgegangen ist die Jugendarbeitslosigkeit in den fetzten fünf Jahren in den USA. Kanada und den nordischen Staaten, in den letzten vier Jahren, von sehr hohem Niveau aus, auch in Spanien.
Die Situation der Langzeitarbeitslosen hat sich nur in wenigen Staaten verbessert (Kanada, Norwegen, Schweden und USA), einige Staaten (Österreich, Frankreich, Irland und Spanien) weisen steigende Quoten auf. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind erheblich. In der Bundesrepublik waren 1987 32 Prozent der Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Beschäftigung, in Belgien 68, 9 Prozent, in Großbritannien 42, 6 Prozent, in Schweden 8, 1 Prozent, in den USA 8, 1 Prozent und in Kanada 9, 2 Prozent Eine besondere Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit besteht darin, daß die Betroffenen zunehmend vom Arbeitsmarkt isoliert werden. Mit der Dauer der Arbeitslosigkeit sinken die Chancen, eine neue Beschäftigung zu finden, Qualifikationen werden entwertet. Ähnliche Marginalisierungsrisiken drohen den Mehrfach-arbeitslosen, bei denen die Arbeitslosigkeit durch kürzere Beschäftigungsperioden unterbrochen wird.
II. Strategien der Arbeitsmarktpolitik
Abbildung 2
Tabelle 2: Anteil der Teilzeitbeschäftigung in Prozent . Quelle: OECD, Employment Outlook 1987 (Anm. 2), S. 29. 1986 männliche Beschäftigte 1979 1986 weibliche Beschäftigte 1979 1986
Tabelle 2: Anteil der Teilzeitbeschäftigung in Prozent . Quelle: OECD, Employment Outlook 1987 (Anm. 2), S. 29. 1986 männliche Beschäftigte 1979 1986 weibliche Beschäftigte 1979 1986
1. Prioritäten und Policy-Mix Reagierten die Industrieländer auf den Beschäftigungseinbruch nach 1973 zunächst überwiegend mit beschäftigungserhaltenden Überbrückungsmaßnahmen, so machten sie in der Folge angesichts der Verfestigung und Verschärfung der Arbeitsmarkt-probleme von der breiten Palette arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen intensiven Gebrauch Zielgruppenorientierte Maßnahmen, vor allem für Jugendliche, gewannen an Gewicht. Parallel stieg das Interesse an der Arbeitsmarktpolitik der anderen Länder und verstärkte den internationalen Erfahrungsaustausch auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene. Mehr und bessere Informationen über das „Menü“ möglicher Maßnahmen stehen zur Verfügung, und die methodisch exakte Evaluierung arbeitsmarktpolitischer Programme hat auch in Europa, das hier lange Zeit einen Entwicklungsrückstand gegenüber den USA aufwies, entscheidende Fortschritte gemacht -Auf die Frage, welche Faktoren die Prioritäten in der Arbeitsmarktpolitik bestimmen, wird am Ende dieses Beitrags eingegangen. Daß die Prioritäten unterschiedlich gesetzt und die Optionen stark selektiv wahrgenommen werden, zeigt bereits eine vergleichende Übersicht über Ausgabenniveau und -Struktur der Arbeitsmarkt-politik, die die OECD vorgelegt hat Daten zur Ausgabenstruktur haben den Vorteil, daß sie jenseits der politischen Rhetorik Prioritäten erkennbar machen, z. B. hinsichtlich des Gewichts „passiver“ (einkommenserhaltender) Maßnahmen gegenüber Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Nur in Schweden, Norwegen, Griechenland und Portugal ist der Anteil der aktiven Maßnahmen größer als jener der passiven (Tabelle 5).
Zwischen der Höhe der Arbeitslosigkeit in einem Land und der Ausgabenhöhe bzw. -Struktur besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. Die relativen Aufwendungen sind in Schweden größer als in der Bundesrepublik mit einer viermal so hohen Arbeitslosenquote. Zum Teil ist dieser Effekt auch dadurch bedingt, daß die in aktiven Maßnahmen befindlichen Personen nicht als Arbeitslose gezählt werden und die schwedische Politik sich somit stärker auf die ausgewiesenen Arbeitslosenquoten auswirkt. Zwar weisen Länder mit hoher Arbeitslosenquote wie Irland, Frankreich und die Niederlande hohe Ausgaben auf; Italien jedoch verbindet hohe Arbeitslosigkeit mit niedrigen Ausgaben, da die aktive Arbeitsmarktpolitik kaum entwickelt ist und die Einkommensleistungen für Arbeitslose extrem niedrig liegen.
Während Schweden die Senkung der Arbeitslosenquote traditionell mit ausgabenintensiven Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik anstrebt, erfolgte sie in der Schweiz durch den Abbau der Ausländer-beschäftigung und damit durch eine nicht ausgaben-wirksame Maßnahme. Zur Bestimmung der beschäftigungspolitischen Strategie reicht der Blick auf die staatlichen Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik nicht aus. Österreich erreichte seine (noch) relativ günstige Situation nicht durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, sondern durch eine einkommenspolitisch flankierte expansive Finanz-und Geldpolitik, die inzwischen an ihre Grenzen stößt Allgemeine Subventionen zur Strukturerhaltung sind im Schema ebensowenig erfaßt wie Ausgabensteigerungen in Systemen sozialer Siche-rung, die für den Arbeitsmarkt instrumentalisiert werden. So spielt z. B. im italienischen Süden die Invaliditätsversicherung als Auffangbecken für Arbeitslose traditionell eine bedeutende Rolle. Die aus gesellschaftspolitischen Gründen forcierte Expansion des öffentlichen Sektors in Schweden hat zur niedrigen Arbeitslosigkeit beigetragen, war aber nicht explizit in arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen eingebunden.
Schließlich geben die Ausgaben auch keine Auskunft über die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen. Schlecht gezielte Maßnahmen, die mit hohen Mitnahmeeffekten verbunden sind oder die Arbeitslosigkeit nur zwischen verschiedenen Gruppen verschieben, tragen wenig zur Entlastung des Ar-B beitsmarktes bei, verursachen aber hohe Kosten. Hohe Einkommensleistungen vermindern nach Ansicht neoklassischer Ökonomen die Anpassungsbereitschaft und Mobilität der Arbeitssuchenden und verhindern damit einen Abbau der Arbeitslosigkeit.
Im „Mix“ der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind Qualifizierungsmaßnahmen für Erwachsene in Dänemark, Irland und Schweden von herausragender Bedeutung, mit Abstand folgen die Bundesrepublik, Frankreich, Neuseeland und Finnland. Dabei ist der Anteil der Beschäftigten in Qualifizierungsmaßnahmen in Dänemark besonders groß, während die meisten Länder diese auf Arbeitslose konzentrieren. Bei den Maßnahmen für Behinderte stehen Schweden und die Niederlande an der Spitze. Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sind in Dänemark, Irland, Großbritannien, Spanien und Frankreich ein wichtiges Element. In Italien sind sie beinahe identisch mit einer wenig intensiv betriebenen aktiven Arbeitsmarktpolitik. Belgien legt besonderes Gewicht auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die in anderen Ländern zugunsten von Qualifikationsprogrammen und Lohn-subventionen zurückgeschraubt wurden. Ein allgemeiner Trend zur Bevorzugung bestimmter Programme läßt sich nicht festhalten, mit Ausnahme der Qualifizierungsprogramme, die in den meisten Ländern ausgeweitet wurden. Im allgemeinen vollziehen sich Veränderungen graduell. Beim kurzfristigen Aus-und Abbau von Maßnahmen kommen neben Zweifeln an der Wirksamkeit und veränderten Problemlagen auch politische (Wahltermine, Ideologien) und fiskalische Faktoren ins Spiel. 2. Ausgewählte Maßnahmen Maßnahmen, die bei der Nachfrage nach Arbeit ansetzen, sind vor allem Eingliederungsbeihilfen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Angebotsorientierte Maßnahmen zielen entweder auf eine qualitative Verbesserung des Angebotes (Qualifizierung), eine verstärkte Mobilität oder auf eine Reduzierung bzw. Umverteilung des Arbeitsangebots. Die Funktionsweise von Arbeitsmärkten soll durch eine Verbesserung der Arbeitsvermittlung und durch Beseitigung beschäftigungshemmender Regelungen (Deregulierung, Flexibilisierung) erreicht werden. Die Maßnahmen beziehen sich auf Arbeitslose und/oder Beschäftigte oder auf spezielle Zielgruppen wie Jugendliche, Altere, Ausländer oder Langzeit-arbeitslose
Positionen, die das Haupthemmnis für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in der Überreglementierung des Arbeitsmarktes und in zu hohen Löhnen bzw. Lohnnebenkosten sehen, setzen auf eine Verstärkung des Marktmechanismus am Arbeitsmarkt. „Die Massenarbeitslosigkeit ist kein Grund, über staatliche Interventionen die Arbeitsnachfragekurve oder die Arbeitsangebotskurve verschieben zu wollen. Sie deutet vielmehr darauf hin, daß es den Marktkräften verwehrt wird, Angebot und Nachfrage untereinander in Einklang zu bringen.“
Tatsächlich haben einige europäische Staaten versucht — unter dem Eindruck des amerikanischen „Beschäftigungswunders“? — über Lockerungen des Kündigungsschutzes und Erleichterungen beim Abschluß von befristeten Arbeitsverträgen Beschäftigungsimpulse zu geben. Befristete Arbeitsverträge wurden durch Regelungen in der Bundes-’ republik (Beschäftigungsförderungsgesetz), Schweden, Spanien, Italien, Belgien und Frankreich erleichtert -Kritiker weisen darauf hin, daß diese Programme eher zu einer verstärkten Segmentierung von Arbeitsmärkten beitragen als zu einer Erhöhung der Beschäftigtenzahlen Der Dahrendorf-Report der OECD zeigt die Breite der Ansatzpunkte für eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte auf: Arbeitskosten, Arbeitsbedingungen, Arbeitsorganisation. Regulierung, Mobilität. Qua-lifizierung. In differenzierter Form weist er auf die Zielkonflikte zwischen legitimen Sicherheitsbedürfnissen der Arbeitnehmer und Flexibilitätserfordernissen hin und betont die Notwendigkeit, Zonen gemeinsamer Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu erschließen und Lösungen auf die spezifischen Gegebenheiten der Länder zuzuschneiden
Qualifizierungsmaßnahmen haben mehrere Funktionen: Sie sollen die Wachstumschancen der Volkswirtschaft durch Investitionen in Humankapital verbessern und qualitative Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt („mismatch") ausgleichen. Zugleich entlasten sie den Arbeitsmarkt Dabei ist in einigen Ländern eine Tendenz zur Straffung durch organisatorische Reformen und zu einem schärferen Kostenbewußtsein erkennbar. Schweden hat mit der Einrichtung betrieblicher Innovationsfonds einen neuen Weg beschritten. Unternehmen mit mehr als 150 000 DM Jahresgewinn wurden verpflichtet, zehn Prozent des Jahresgewinns von 1985 auf ein Innovationskonto abzuführen, das bei der Reichsbank geführt wird. Sie können das einbezahlte Geld für Ausbildungs-, Forschungs-und Entwicklungsaktivitäten abrufen. 41 Prozent der bisher abgerufenen Mittel wurden für Ausbildungszwecke eingesetzt
In zunehmendem Maße werden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit qualifikatorischen Elementen verbunden Beispiele sind das britische Youth Training Scheme und die kombinierten Ausbildungs-und Beschäftigungsverträge sowie die Qualifizierungspraktika in Frankreich, ansatzweise auch die Ausbildungsverträge sowie die kombinierten Ausbildungs-und Beschäftigungsverträge in Italien. Nicht zuletzt dienen diese Programme der Kompensation von Mängeln in Berufsbildungssystemen, in denen die Verbindung von Ausbildung und Arbeitserfahrung zu kurz kommt.
Eingliederungsbeihilfen, in Form von Lohnsubventionen. Steuer-und Abgabenerleichterungen für Unternehmen sind in Belgien, Dänemark, Grie-chenland, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien besonders verbreitet. In Belgien wird Arbeitgebern in bestimmten Branchen ein Teil der Sozialversicherungsbeiträge erlassen. Die Senkung der Lohnnebenkosten soll auch zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Durch besonders hohe Nachlässe für die Neueinstellung von Jugendlichen und schwer vermittelbaren Gruppen von Arbeitslosen ist die Maßnahme auch zielgruppenorientiert ausgestaltet Lohnkostensubventionen können auch mit Qualifizierungsauflagen für die Betriebe verbunden werden (Großbritannien). Generell sind Eingliederungsbeihilfen mit dem Risiko hoher Mitnahmeeffekte behaftet, d. h. ein Teil der Neueinstellungen wäre auch ohne die Subventionen erfolgt. Versuche, durch strenge Reglementierungen die Auswahl der Bewerber durch die Betriebe einzuschränken und auf besonders schwer vermittelbare Arbeitslose zu konzentrieren, machen die Maßnahmen für die Betriebe unattraktiv. Neoklassische Kritiker sehen in Lohnsubventionen das Eingeständnis, daß die Löhne für diese Gruppen nicht den Marktlöhnen entsprechen und würden eine stärkere Differenzierung der Lohnstruktur (z. B. durch niedrigere Eingangslöhne bei Neueinstellungen) vorziehen.
• Selektiv orientiert sind auch die meisten Arbeitsbeschaffungsprogramme indem die Auswahlkriterien sich an Zielgruppen (Jugendliche, Langzeitarbeitslose, Frauen) ausrichten. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gelten als besonders ausgabenintensiv, vor allem, wenn die Entgelte an die Tariflöhne gebunden sind. Die Bandbreite der angebotenen Tätigkeiten ist groß, jedoch dominieren weniger qualifizierte Beschäftigungen (Ausnahme Frankreich, z. T. Bundesrepublik), z. B. in der Land-und Forstwirtschaft, im Baugewerbe und im Dienstleistungsbereich. Zur Vermeidung von Substitutionseffekten durch Verdrängung regulärer Beschäftigungsverhältnisse sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen an das Kriterium gemeinnütziger und zusätzlicher Aufgaben geknüpft. In der Praxis läßt sich aber eine Substitution nicht ausschließen. Zweifel werden auch an der Wirksamkeit der Maßnahmen im Hinblick auf eine Verbesserung der Arbeitsmarktchancen geäußert. Evaluierungen in Großbritannien und den Niederlanden zeigten Eingliederungsquoten zwischen 18 und 35 Prozent. Die Gründe dafür liegen u. a. in der niedrigen Qualifikation der Teilnehmer und der fehlenden Qualifizierung während der Programme
Maßnahmen für Langzeitarbeitslose stellen in der Regel eine Kombination der genannten Programme dar, verstärkt durch intensive Beratungs-und Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung Trotz erheblicher Qualifikationsdefizite sind Langzeitarbeitslose in längerfristigen Qualifizierungsmaßnahmen häufig unterrepräsentiert. Stark vertreten sind kurzfristige Qualifizierungsmaßnahmen zur Einschätzung des Qualifikationsniveaus und zur Verbesserung der Motivation und des Bewerber-verhaltens bei der Stellensuche (Frankreich, Großbritannien, Bundesrepublik). Langzeitarbeitslose sind keine homogene Gruppe und stellen mit ihren vielfältigen Problemlagen die nicht ausreichend mit Personal besetzten Arbeitsverwaltungen vor eine besonders schwierige Aufgabe, zumal die Unternehmen erwarten, besonders leistungsfähige Ar-beitslose vermittelt zu bekommen. In Großbritannien zeichnet sich eine verstärkte Arbeitsteilung zwischen Qualifizierungsmaßnahmen für Jugendliche (Youth Training Scheme) und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose (Community-Program) ab. Dabei erhalten die Teilnehmer keinen regulären Lohn, sondern lediglich ihre Unterstützungsleistungen und einen Zuschlag Großbritannien fördert auch die Existenzgründung durch Arbeitslose — wobei Langzeitarbeitslose 25 Prozent der Teilnehmer am Enterprise Allowance Scheme stellen — und die ehrenamtliche Tätigkeit von Arbeitslosen Nicht der Integration in den Arbeitsmarkt, sondern der Ausgliederung aus dem Erwerbsleben dienen die Programme zur Frühverrentung von Arbeitslosen, die älteren und gesundheitlich beeinträchtigten Erwerbslosen eine Alternative zur Arbeitslosigkeit bieten, in Zukunft aus demographischen Gründen aber an Gewicht verlieren dürften.
III. Bestimmungsfaktoren arbeitsmarktpolitischer Strategien
Abbildung 3
Tabelle 4: Arbeitslosenquote 1988 in Prozent Belgien Bundesrepublik Deutschland Dänemark Frankreich Großbritannien Italien Japan . Quelle: Internationale Chronik zur (1989) 36, S. 2 (nicht standardisierte Quoten).
Tabelle 4: Arbeitslosenquote 1988 in Prozent Belgien Bundesrepublik Deutschland Dänemark Frankreich Großbritannien Italien Japan . Quelle: Internationale Chronik zur (1989) 36, S. 2 (nicht standardisierte Quoten).
Unterschiede in den arbeitsmarktpolitischen Strategien lassen sich nicht alleine mit unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen und Problemlagen erklären. In der politikwissenschaftlichen Diskussion zur Arbeitsmarktpolitik wird zunehmend auf den Einfluß politisch-institutioneller Faktoren verwiesen
Solche Faktoren sind u. a. die Stärke von Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien, die Zusammensetzung der Regierung, die Rolle der Zentralbank, der Korporatismus, die Finanzierungssysteme der Arbeitsmarktpolitik, der Symbolcharakter arbeitsmarktpolitischer Aktivitäten. Auch dort, wo sich die arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien weitgehend gleichen, wie in Schweden und der Bundesrepublik, bestehen doch erhebliche Differenzen in den Prioritäten, der Intensität des Einsatzes und in der Wirksamkeit. In Schweden gilt Vollbeschäftigung als oberstes gesellschaftspolitisches Ziel, dem sich andere Zielsetzungen unterzuordnen haben. Die zentrale Rolle der Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik als Teil des „Modells Schweden“ ist tief in der politischen Kultur verwurzelt und wird auch von bürgerlichen Regierungen respektiert Auf die Beschäftigungskrise reagierte Schweden mit einem noch intensiveren Einsatz eines schon hoch entwickelten arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums. Die Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik seit 1974 ist im Vergleich wesentlich sprunghafter, mit Entwicklungsschüben und fiskalisch motivierten Konsolidierungsmaßnahmen, die z. T. pro-zyklisch wirkten. Auch war die Rollenverteilung zwischen Geld-und Fiskalpolitik, Einkommenspolitik und Arbeitsmarktpolitik weniger klar als in Schweden oder Österreich
Politisch-institutionelle Faktoren machen es aber auch unwahrscheinlich, daß die Bundesrepublik eine entschiedene Politik des „Mehr Markt am Arbeitsmarkt“ nach dem Muster der USA und Großbritanniens betreibt. Der Einfluß ausländischer Erfahrungen auf die Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik liegt weniger auf der Ebene der Grundorientierungen, deren Übernahme sich die dominierenden inländischen Problemlösungsmuster erfolgreich widersetzen, sondern in der Vielfalt von Erfahrungen mit Einzelprogrammen, die sich als Innovationen international verbreiten und den nationalen Bedingungen angepaßt werden können.
Manfred Groser, Dr. rer. soc., geb. 1944; seit 1983 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bamberg. Veröffentlichungen u. a.: Grundlagen der Tauschtheorie des Verbandes, Berlin 1979; Stabilität und Wandel im System der Arbeitsbeziehungen, in: Politische Vierteljahresschrift, 20 (1979); (zus. mit B. Keller) „Industrial and Labor Relations" als interdisziplinärer Ansatz, in: Zeitschrift für Soziologie, 9 (1980); Wirtschaftliche und politische Faktoren, in: G. Endruweit u. a. (Hrsg.), Handbuch der Arbeitsbeziehungen, Berlin 1985; Ursachen und Entstehung der Arbeitslosigkeit, in: Sonde, 20 (1987); (Mithrsg.) Aktive Arbeitsmarktpolitik, Frankfurt-New York 1982.
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