Dispositionen politischen Verhaltens bei arbeitslosen Jugendlichen
Rainer A. Roth
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Zusammenfassung
Trotz des allmählichen Rückganges der Arbeitslosenquote und auch angesichts des mittlerweile unter den Gesamtdurchschnitt gedrückten Anteils jugendlicher Arbeitsloser bleibt das Faktum Arbeitslosigkeit nach wie vor ein gesamtgesellschaftliches und gesamtpolitisches Problem. Wenn man in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit insbesondere auf die heranwachsende Generation richtet, so u. a.deshalb, weil hier negative Belastungen für das politische Verhalten in einem Maße zu befürchten sind, die für die politische Kultur in Zukunft insgesamt relevant werden können. An Hand von Daten aus einer Regionalstudie — erhoben an ca. 2 000 Jugendlichen im Alter von 15 bis 21 Jahren — werden Befunde vorgelegt, die zum Nachdenken anregen. Im Vergleich zu ihren beschäftigten Altersgenossen erweisen sich arbeitslose Jugendliche in den meisten überprüften politischen Einstellungen defizitärer. Nun darf eine eruierte Einstellung nicht unmittelbar mit dem entsprechenden Verhalten gleichgesetzt werden; dennoch muß man davon ausgehen, daß damit durchaus gewichtige Dispositionen hierfür angezeigt werden. Des weiteren gilt es zu berücksichtigen, daß Arbeitslosigkeit an sich nicht als einzige Erklärungsursache für politische Verhaltensdispositionen herangezogen werden kann. Aus diesem Grunde wurde auch versucht, einige exemplarische Einstellungsprofile zu erstellen. Diese sollen ein Zweifaches verdeutlichen, indem sie zum einen auf eine Reihe von Faktoren hinweisen, die die Problematik verschärfen; zum anderen sollen sie Einstiegsmöglichkeiten aufzeigen, um durch gezielte Maßnahmen dem weiteren Abdriften in politische Apathie oder gar Radikalität gegensteuem zu können.
Jugendarbeitslosigkeit mit all ihren Belastungen Dies heißt jedoch nicht, daß es Jugendarbeitslosigkeit Gefahren ist in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum davor nicht auch schon in nennenswertem erst ab Mitte der siebziger Jahre zum Problem Ausmaße gegeben hätte; geradezu das geworden. Die prozentuale Erfassung arbeitsloser ist der Fall. Wenn wir die einschlägigen Jugendlicher wurde deshalb von der amtlichen Zahlen in der Tabelle betrachten, müssen wir feststellen: erstmals für das Jahr 1977 ausgewiesen.
I. Zur Problemlage
Selbst in den frühen siebziger Jahren, als wir noch Arbeitslosenquoten unter drei % hatten, lag der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen stets beträchtlich über dem Bundesdurchschnitt. Dies galt bis zum Jahre 1983; erst danach konnte jene Quote unter die Durchschnittsmarke gedrückt werden.
Dabei dürfen wir jedoch zwei Dinge nicht übersehen: Die Reduktion der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen unter 20 Jahren gelang offensichtlich weithin zu Lasten der nächstälteren Jahrgänge, nämlich jener junger Menschen zwischen 20 und 25 Jahren. Diese Altersgruppe bleibt nach wie vor am meisten gefährdet; sie ist es, die — über den beobachteten Zeitraum hinweg — konstant den höchsten Anteil bezüglich Arbeitslosigkeit überhaupt aufweist. In diesem Zusammenhang erscheint auch der Hinweis auf die relativ günstige Situation hinsichtlich der Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland als wenig hilf-25 reich; selbst dann nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß bei uns von 100jungen Menschen unter 25 Jahren gegenwärtig (1988) „nur“ sieben arbeitslos sind, dieser Anteil im Durchschnitt der westlichen Industrieländer aber bei über 15 Prozent liegt. Das bedeutet etwa für Frankreich 22%, Irland 26 %, Italien 33 %, für Spanien sogar 45 % Arbeitslose innerhalb der heranwachsenden Generation.
Dennoch hat man den Eindruck, daß diese Problematik in der Bundesrepublik mit besonderer Sorge beobachtet würde, weil man hier potentielle Gefahren für das politische Verhalten am ehesten und nachdrücklichsten befürchtet. Mangelt es uns am Vertrauen in die Stabilität unserer politischen Kultur oder haben wir zu Recht nur noch die Alternative zwischen „Radikalisierung oder Apathie“ zu befürchten?
Es kann in diesem begrenzten Rahmen nicht Aufgabe und Anliegen unserer Überlegungen sein, Ursachen und Dimensionen der Jugendarbeitslosigkeit aufzuzeigen Ebensowenig gilt unsere Aufmerksamkeit der psycho-sozialen Problematik von Arbeitslosigkeit im allgemeinen sondern'wir wollen bewußt mögliche Auswirkungen auf das po-litische Verhalten Jugendlicher, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, in den Blick nehmen. Damit sollen Bedeutung und Brisanz der anderen Problembereiche keineswegs gemindert werden. Unsere Sichtweise will sich aber vor allem deshalb der politischen Dimension der Arbeitslosigkeit bei Ju-gendlichen zuwenden, weil es sich hierbei um ein bislang zu wenig beachtetes Problem handelt dem gerade im Hinblick auf mögliche Konsequenzen für die politische Kultur unserer Gesellschaft eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen sollte bzw. müßte.
Gerade in Deutschland hat es nie an Befürwortern und Verfechtern der These gefehlt, daß die hohen Arbeitslosenquoten in den dreißiger Jahren entscheidend zum Zusammenbruch der Weimarer Republik und zum Anwachsen des Nationalsozialismus beigetragen hätten Wenngleich die Zahlen-relationen dies eindrucksvoll zu belegen scheinen, so muß man doch weitere Ursachen mit in Betracht ziehen. Ungeachtet dessen bedeutet Arbeitslosigkeit stets eine erhebliche Belastung für das politische System und die politische Kultur insgesamt.
In der Tat hat die Rezession 1966/67 in der Bundesrepublik mit einer Arbeitslosenquote, die damals auf 2, 1 % stieg, die Stimmen für die rechtsradikale NPD anwachsen lassen. Man muß jedoch feststellen, daß ein ähnlicher Effekt seit Mitte der siebziger Jahre — trotz stetigen und weitaus stärkeren Anwachsens der Arbeitslosigkeit — nicht zu beobachten war. Man könnte vermuten, daß die hohe Ar-beitslosigkeit in den achtziger Jahren sich zwar nicht in eine Schuldzuweisung an das politische System niederschlug, wohl aber zu einem politischen Rechtsruck in Form eines Regierungswechsels führte. Diese Argumentation behielte allerdings nur dann ihre Überzeugungskraft, hätten nicht die Bundestagswahl von 1987 sowie die Wahlen in Berlin und Hessen von 1989 gerade der konservativen Mitte deutliche Verluste zugefügt. In diesem Zusammenhang wird man jedoch die weitere Entwicklung der „Republikaner“ sorgfältig beobachten müssen.
So sprechen viele Anzeichen dafür, daß die Arbeitslosigkeit im allgemeinen und die Jugendarbeitslosigkeit im besonderen solange nicht in politischen Radikalismus umschlagen, als die „Kerngruppe des Arbeitsmarktes“ — d. h. die männlichen, gewerkschaftlich organisierten Facharbeiter — im wesentlichen davon unberührt bleiben. Damit werden als Kennzeichen der derzeit herrschenden Arbeitslosigkeit deutlich: Der größte Teil der Arbeitslosen ist von einer fluktuierenden bzw. vorübergehenden Nicht-Beschäftigung betroffen; für sie ist eine gezielte Interessenvertretung schwer organisierbar. Längerfristige Arbeitslose sind meist schon derart frustriert — z. T. waren sie nie sonderlich aktiv, sowohl allgemeinpolitisch wie hinsichtlich ihrer Interessenvertretung —, daß sie nunmehr zu Selbsthilfemaßnahmen kaum fähig sind. Schließlich verstärkten die mehr oder minder ausgeprägten Vorurteile gegenüber Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft bei vielen Betroffenen das Gefühl der Scham, Verdrängung und Ohnmacht, weshalb sie ihre Situation kaum adäquat zu artikulieren vermögen. Jugendliche Arbeitslose weisen hierbei noch weit stärkere Defizite auf.
Aus diesem Grunde muß man gegenwärtig eine politische Radikalisierung wohl weniger befürchten, als vielmehr ein Abdriften vieler arbeitsloser Jugendlicher in Resignation Falls es gelingt, hierbei Auffangstellungen zu errichten, dürfte jedoch eher Anpassung als überzeugte Selbstmotivation (was bedeuten würde: die Misere der Arbeitslosigkeit durch eigene Kraftanstrengungen über-winden zu können) die Folge sein Anpassung, Resignation, Radikalisierung oder zumindest kritische Konfliktbereitschaft erweisen sich als je eigene Bedingungsgefüge für die Ausbildung von Einstellungen, die durchaus für die Gesamtheit der politischen Kultur relevant werden können. Verdeutlichen wir uns hierzu zumindest in groben Strichen mögliche Folgen
Jugendliche, die sich anpassen, werden vor allem die herrschenden gesellschaftlichen Stereotype übernehmen, deren weithin dominierender Tenor die subjektive Verantwortung für die Arbeitslosigkeit ist. Damit verbindet sich zweifellos eine Leugnung bzw. Zurückdrängung gesellschaftlich-struktureller Verantwortlichkeiten. Mit dieser Grundentscheidung können Konformismus und Überanpassung einhergehen, die systemstabilisierende Tendenzen insofern begünstigen, als man sich eine Verbesserung des eigenen Status erwartet. Hierbei bildet sich ebenfalls eine starke individuelle Leistungsbereitschaft aus — aber nur insoweit als man persönliche Defizite auszugleichen sucht; vernachlässigt wird dabei die selbständige kognitive Verarbeitungskapazität, die diesen Anpassungsprozeß stören würde. Man sollte dieses Problem indes nicht in dem Sinne diskutieren, daß man in naiver Weise den arbeitslosen Jugendlichen zum rational denkenden und seine Probleme selbständig lösenden Menschen hochstilisieren möchte; man wird auch nicht die Konfliktsituation verkennen dürfen, in welcher sich der arbeitslose Jugendliche befindet, und ihn deshalb durchaus verstehen können, wenn er nach dem „Strohhalm“ greift, den ihm eine staatliche Förderung bietet, um seine mißliche Lage zu verbessern; dennoch muß man sich dessen bewußt sein, daß sozialstaatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auch derartige Effekte haben können.
Die gesellschaftspolitische Sorge, aus der Jugendarbeitslosigkeit kein unkontrollierbares Konfliktpotential erwachsen zu lassen, erscheint andererseits ebenfalls verständlich. Ein solches Konfliktpotential kann sich sowohl in einer kritisch-realistischen Aneignung der zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten niederschlagen, als auch in einer radikalen Verweigerung seinen Ausdruck finden. Die Ausformung einer kritischen Konfliktbereitschaft hätte allerdings zur Voraussetzung, daß die betroffenen arbeitslosen Jugendlichen ein hohes Maß von autonomer Entscheidungsfähigkeit besäßen, das ihnen eine kritische und distanzierte Be-trachtung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse ermöglichte, insbesondere aber ihre Situation als sozioökonomisches Problem erkennen und beurteilen ließe, und sie ferner in die Lage versetzte, kollektive Handlungsweisen zu entwickeln und zu praktizieren.
Wenngleich nicht geleugnet werden kann, daß Jugendliche zu derartigen Einstellungs-und Verhaltensweisen fähig sind, muß doch in Rechnung gestellt werden, daß die bestehende politische Kultur solche Ausprägungen nicht gerade begünstigt und deshalb der Anteil jener arbeitslosen Jugendlicher, die ihre Situation kritisch-rational bewältigen könnten, relativ gering sein dürfte. Dies hat zweifellos ein Umschlagen in unreflektiertere Formen von Konfliktbereitschaft zur Folge, aber auch das Bemühen um eigene alternative Handlungs-und Bewältigungsstrategien, die bis zu Extremformen — sich gleichsam in ein Getto zurückziehender Jugendkulturen — führen können. Es ist leicht einzusehen, daß solche Jugendliche dann ungleich schwerer wieder in die Gesellschaft zu integrieren wären.
Nun kann aber eine Reihe von Faktoren auch zur völligen Resignation bei arbeitslosen Jugendlichen führen, wenn sie aufgrund der frustrierenden Erfahrungen bei der Suche nach einer Lehr-oder Arbeitsstelle nicht nur dieses Bemühen, sondern letztlich sich selbst aufgeben. Mit der Reduktion des individuellen beruflichen Anspruchsniveaus schwindet neben dem Vertrauen zu sich selbst auch die Zuversicht, von Seiten der Gesellschaft Hilfe zu erfahren; eine Haltung völliger Passivität kann sich breit machen. Jugendliche, die sich nicht mehr auf-bäumen, die sich treiben lassen, vermögen eine derartige Lethargie kaum mehr abzuschütteln. Resignation führt zu Gleichgültigkeit, begünstigt eine defätistische Sozialhilfeempfänger-Mentalität — birgt aber auch die Gefahr eruptiver Manipulierbarkeit in sich, weil man ja ohnehin nichts mehr zu verlieren hat.
Eine demokratische Gesellschaft kann sich — aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer Verantwortung für den Bürger — auf Dauer und in größerem Umfange derartige randständige Existenzformen nicht leisten; denn all diesen Einstellungspotentialen bei Jugendlichen ist letztlich gemeinsam, daß sie ausschließlich an individuellen Interessen orientiert bleiben und für keinerlei gesamtgesellschaftliche Perspektiven mehr zugänglich sind. Menschliches Dasein tendiert bei ihnen zur individuellen Isolation, was im Extrem den Zerfall der Gesellschaft oder zumindest breiter Teile von ihr bedeuten bzw. herbeiführen würde.
Wenn wir in diesem Zusammenhang unser vorrangiges Interesse möglichen Tendenzen politischen Verhaltens bei arbeitslosen Jugendlichen zuwenden, so deshalb, weil wir davon auszugehen haben, daß viele politisch relevante Grundeinstellungen im Laufe des Sozialisationsprozesses etwa um das 15. Lebensjahr bereits zu einem relativ komplexen Muster ausgeprägt werden -Insofern kommt gerade jener Phase zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr eine erhöhte Bedeutung zu, wenn hier Jugendliche vom Schicksal der Arbeitslosigkeit betroffen werden.
Man könnte deshalb annehmen, daß der Tatbestand der Arbeitslosigkeit gerade in dieser entscheidenden Altersphase die Ausprägung politisch relevanter Einstellungen bzw. die Identifikation mit und die Integration in das bestehende wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische System erheblich (negativ) beeinflußt. Wenn wir von einer solchen Wirkung ausgehen, dann erscheint es angebracht, nach jenen Einstellungen bei arbeitslosen Jugendlichen zu fragen, die für mögliche politische Verhaltensweisen maßgeblich sein können. Dabei dürfen wir nicht dem Fehlschluß erliegen und gemessene Einstellungen mit zu erwartendem politischen Verhalten gleichsetzen. Mit H. Triandis sei daran erinnert, daß Einstellungen zunächst nur das beinhalten, was Personen denken, fühlen und wie sie sich ggf. gegenüber einem Einstellungsobjekt verhalten wollen. Das Verhalten hingegen „ist nicht nur durch das bestimmt, was die Leute gerne tun möchten, sondern auch durch . . . soziale Normen, . . . durch Gewohnheiten und durch die erwarteten Folgen dieses Verhaltens“. Einstellungen, die wir erfragen können, geben folglich nur bedingt Auskunft über potentielles Verhalten, sie sind indes gewichtige „entscheidungskanalisierende Gründe“ für entsprechende Verhaltensweisen. Dies sollte man bedenken, wenn wir im folgenden aufgrund festgestellter Einstellungsbefunde auf mögliche Verhaltensdispositionen aufmerksam machen.
II. Befunde — Feststellungen — Aussagen
In seiner Untersuchung aus dem Jahre 1978 zur Problematik der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen vertrat K. Heinemann u. a. die Ansicht, daß die Betroffenen weithin ihre Situation als individuelles Schicksal und Versagen erlebten und dafür weniger objektive Gründe oder Strukturen verantwortlich machten. Heinemann folgerte daraus, daß unter derartigen Grundbedingungen bei den arbeitslosen Jugendlichen bis dato kein Unruheherd oder politisch aktivierbares Potential entstanden sei. Weitaus differenzierter beurteilte R. Tippelt im Jahre 1979 die politischen Handlungsperspektiven arbeitsloser Jugendlicher. Er arbeitete acht Handlungstypen heraus, die er kurz charakterisierte, prozentual quantifizierte und als Muster auch für mögliches politisches Verhalten unter entsprechenden Einschränkungen anbot.
Nahezu die Hälfte (45 %) kennzeichnete R. Tippelt danach als „Ungebrochene, Zuversichtliche, Pragmatische“; diese sähen ihre Arbeitslosigkeit durch externe strukturelle Schwierigkeiten und nicht durch persönliche Unzulänglichkeiten bedingt an; sie wiesen folglich auch ein ungebrochenes Selbstvertrauen auf, stünden dem soziopolitischen System aber bereits kritisch gegenüber und ließen z. T.deutliche Loyalitätsverluste erkennen.
Eine zweite, ebenfalls noch relativ große Gruppe (20%) könnte als „Ungebrochene, Innovative, Pragmatische“ bezeichnet werden. Diese arbeitslosen Jugendlichen zeichneten sich ebenfalls durch ein hohes Selbstwertbewußtsein aus, hielten politische Verhältnisse aber für veränderbar und zeigten sich als sehr spontan-aktiv; dies führte dazu, herkömmlichen Institutionen und Strukturen in relativ hohem Maße Loyalität zu entziehen und mit unkonventionellen Initiativen ihre Interessen wahrzunehmen.
Des weiteren ließen sich etwa zehn % der arbeitslosen Jugendlichen als „Ungebrochene, Autoritäre“ typisieren. Sie sähen sich von einer verfehlten Politik in ihre Lage abgedrängt. Sowohl durch einen starken Mann, wie auch durch entsprechende Kurskorrekturen (Ausländerpolitik, Verdrängung von Minderheiten in Krisenzeiten vom Arbeitsmarkt) könnten ihrer Ansicht nach indes diese Probleme gelöst werden.
Die weiteren Haltungstypen quantifizierte R. Tippelt jeweils auf ca. fünf %. Dabei unterschied er noch zwei Gruppen von Ungebrochenen, nämlich „Ungebrochene, Schicksalsgläubige“, und „Ungebrochene, Fatalistische“. Wenn auch die Ursachen „anonyme Mächte“ bzw. „persönliches Schicksal“ als Erklärungsgründe voneinander abwichen, so zeigten sich beide Gruppen hinsichtlich der Folgewirkungen für ihr lethargisches, passives bis fatalistisches Handlungsgefüge doch sehr ähnlich. Ebenfalls zwei weitere Gruppen könnten zu den „Noch Ungebrochenen“ gezählt werden, und zwar die „Noch ungebrochenen Zynischen“ sowie die „Noch ungebrochenen Geschockten“. Beide Gruppen leiteten ihre Arbeitslosigkeit überwiegend von internen Faktoren her, sähen aber kaum noch Chancen, in den Arbeitsprozeß integriert werden zu können. Dies provozierte bei noch vorhandenem Selbstwertbewußtsein einen Zynismus gegenüber dem soziopolitischen System, bei reduzierter Selbstachtung führte dies in die Resignation. Als letzte Gruppe ließe sich schließlich jene der „Gebrochenen, Depressiven“ charakterisieren; diese arbeitslosen Jugendlichen hätten aufgrund ihrer Einschätzung, persönlich versagt zu haben, alle Anstrengungen aufgegeben und erscheinen depressiv und passiv. Diese Haltung gelte weithin für alle Lebensbereiche, so auch den politischen.
Mit Nachdruck wies indes R. Tippelt darauf hin, daß derartige Handlungstypen nur teilweise stabile Lebenseinstellungen darstellten, weil zu vermuten wäre, „daß (sowohl) mit der Dauer der Arbeitslosigkeit veränderte Handlungsphasen beobachtbar (würden, als auch) . . . von einzelnen Tagesereignissen abhängige Stimmungslagen, die Einstellungen und das Verhalten der arbeitslosen Jugendlichen mitbestimmen" könnten. Diese Umstände lassen empirische Befunde in der Tat zunächst einmal als Momentaufnahmen erscheinen. Sie werden dadurch zweifellos nicht uninteressant oder gar wertlos; ihr Gewicht und ihre Bedeutung erhalten sie, wenn derartige oder ähnliche Beobachtungen auch in anderem Zusammenhang festgestellt werden bzw.der Tendenz nach aufzuspüren sind.
Unserer Untersuchung liegen Daten zugrunde, die mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens bei insgesamt 2 110 Jugendlichen im Alter von 15 bis 20 Jahren im Laufe des Winters 1985/86 aus Anlaß einer Regionalstudie erhoben wurden. Unter diesen Befragten befanden sich 719 arbeitslose Jugendliche, auf die wir unsere besondere Aufmerksamkeit lenken wollen; die übrigen Jugendlichen betrachten wir in diesem Zusammenhang vornehmlich als Kontrollgruppe.
Nach statistischen Merkmalen setzte sich unsere Teilpopulation „Arbeitslose“ wie folgt zusammen: elf % von ihnen waren 15 Jahre alt, 33, 9 % 16 Jahre, 25 % bereits Jahre; die 18jährigen waren mit 9, 3 % vertreten, die 19jährigen mit 6, 7 % und die Gruppe derer, die 20 Jahre und älter war, umfaßte 14, 1%. Hinsichtlich des Geschlechts hatten wir 30, 1 % männliche und 69, 9 % weibliche Jugendliche befragt. Bezüglich der Konfession überwogen — nicht unerwartet — mit 87, 6% die Katholiken; die Quote der regelmäßigen Kirchgänger lag bei 28, 7%. Aus dem ländlich-dörflichen Bereich stammten 55, 3 % unserer Arbeitslosen; kleinstädtischer Herkunft waren 22, 6 %, in mittelgroßen Städten wohnten 16, 8% und im großstädtischen Milieu waren 5, 3% beheimatet. Eine wichtige Variable war für uns das Bildungsniveau: Danach hatten 43% unserer arbeitslosen Jugendlichen die Hauptschule ohne qualifizierenden Abschluß beendet, 14, 5% besaßen hingegen dieses Zertifikat; 4, 3% hatten den Besuch einer weiterführenden Schule ohne Abschluß abgebrochen; 31, 8% konnten die mittlere Reife nachweisen und 6, 4% hatten sogar das Abitur erworben. Als letzte Variable suchten wir über den Beruf des Vaters die soziale Herkunft zu erfassen; die dafür angebotene Berufs-Vielfalt zogen wir später jedoch zu drei Schicht-Merkmalen zusammen: Danach entstammten 33, 9% unserer Befragten eher einem unteren Sozialmilieu, 59, 3 % waren einem mittleren und 6, 5 % einem höheren zuzuordnen.
Auch wenn unsere Stichprobe nicht repräsentativ im streng-wissenschaftlichen Sinne ist, so scheint sie uns doch nicht untypisch für die zu untersuchende Gesamtpopulation jugendlicher Arbeitsloser zu sein, insbesondere wenn man an die Merkmale Geschlecht, Bildungsniveau und soziale Herkunft erinnert. Angesichts der gegebenen Rahmenbedingungen kann man von ihr folglich durchaus expolorative Einsichten erwarten.
In einer ersten Annäherung an unsere Problematik wollen wir nun Einstellungen, die für das politische Verhalten relevant sind bzw. werden können, hinsichtlich ihrer Tendenzen bei beschäftigten und arbeitslosen Jugendlichen vergleichen. Aus naheliegenden Gründen gingen wir dabei von Fragen nach der Zufriedenheit mit den gesamtgesellschaftlichen und den persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen 17) aus. Jeweils etwa ein Viertel beurteilte diese als schlecht bis sehr schlecht. Dabei erwiesen sich die arbeitslosen Jugendlichen erwartungsgemäß als negativer eingestellt in ihrem Urteil
In bezug auf die gesamtwirtschaftlichen Zukunftsperspektiven zeigten sich keine signifikanten Unterschiede; wiederum ein Viertel (24, 5%) fürchtete, daß die Situation schlechter würde und nur 10, 9% glaubten an eine Besserung, die übrigen (64, 6%) erwarteten keine Veränderung. Etwas anders lagen die eigenen wirtschaftlichen Zukunftserwartungen. Ein gutes Viertel (27, 2%) hoffte auf eine Besserung, und nur 13, 8% schlossen ein weiteres Absinken nicht aus; 59, 0% hingegen glaubten, daß auch in einem Jahr für sie die Verhältnisse so wie bislang sein würden. Hierbei nun erwiesen sich die arbeitslosen Jugendlichen etwas hoffnungsvoller für sie konnte es ja nur, es mußte einfach besser werden! Wir werden später noch näher untersuchen, wie sich diese Einschätzungen auf andere für das politische Verhalten relevante Einstellungen niederschlagen.
Wie stand bzw. steht es nun um die Einstellung zur Arbeit und die Leistungsbereitschaft ganz allgemein bei unseren arbeitslosen Jugendlichen? Häufiger als ihre beschäftigten Altersgenossen sahen sie in der Arbeit ein notwendiges Übel oder eine bloße Möglichkeit zum Geldverdienen und weniger eine befriedigende Tätigkeit oder gar die Erfüllung einer Aufgabe Gleichzeitig meinten sie einerseits etwas stärker als die beschäftigten Jugendlichen weniger große Ansprüche an die Arbeit überhaupt zu stellen, andererseits waren sie sich durchaus bewußt, daß sie eigentlich mehr als andere leisten müßten um gegebenenfalls ihre Situation zu ändern. Aufgrund dieser Befunde überraschte es uns nicht, wenn arbeitslose Jugendliche in stärkerem Maße ihre Sympathien denen gegenüber bekundeten, die ein einfaches Leben führen wollten als jenen, die im Beruf vorankommen möchten
Betrachten wir im folgenden nun einige Persönlichkeitsvariablen. Hinsichtlich des zwischenmenschlichen Vertrauens erwiesen sich unsere arbeitslosen Jugendlichen als etwas skeptischer Auch bezüglich der Stärke ihres Selbstbewußtseins, das wir durch eine Reihe von Items prüften, zeigten die arbeitslosen Probanden zum Teil recht deutliche Defizite So meinten sie nachdrücklicher, daß es die Menschen früher leichter gehabt hätten, weil jeder wußte, was er zu tun hatte; zudem stimmten sie bereitwilliger der Ansicht zu, daß man heute kaum mehr durchschaue, was eigentlich passiere; auch wisse man angesichts der verbreiteten Unordnung nicht mehr, wo man eigentlich stehe; und schließlich fände man bei der Schnellebigkeit kaum noch einen Orientierungspunkt, an den man sich halten könne.
Auch dogmatisch/autoritäre Einstellungen fanden sich bei den arbeitslosen Jugendlichen der Tendenz nach stärker ausgeprägt als bei den beschäftigten. Folglich stimmten sie eher den Ansichten zu. man könnte wütend werden, wenn jemand sich hartnäkkig weigere, sein Unrecht einzusehen, bzw. die meisten Menschen begriffen überhaupt nicht, was für ____ ____ • sie gut sei Keine signifikanten Unterschiede konnten wir bei der Konfrontation mit dem Item entdecken, in jeder demokratischen Gesellschaft gäbe es Konflikte, die man mit Gewalt lösen müsse; allerdings war hierbei das Zustimmungspotential mit nahezu einem Drittel (31, 2%) insgesamt bedenklich hoch. Diese Variable sollte man folglich nicht aus dem Auge verlieren, wir werden sie deshalb auch später wieder aufgreifen.
Wenden wir uns nunmehr einigen spezifischen gesellschaftspolitischen Orientierungen zu. Zunächst konfrontierten wir unsere Jugendlichen mit der relativ ausgewogenen Ansicht: Unsere Gesellschaft sei im Prinzip gut, habe aber einige Fehler, die verbessert werden müßten. Hierbei zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen arbeitslosen und beschäftigten Jugendlichen; insgesamt stimmten sie zu 70, 0 % dieser Auffassung zu, 23, 9 % taten dies mit Vorbehalten und nur 6, 0% lehnten diese Ansicht ab. Ein anderes Bild erhielten wir auf das sehr viel provokativere Item: Unsere Gesellschaft ist von Grund auf verrottet und bedarf einer radikalen Erneuerung. Immerhin teilten 41, 1% unserer Befragten diese Meinung nicht, aber etwa der gleiche Anteil (41, 7 %) hielt diese Ansicht für zum Teil zutreffend und 17, 2% bekannten sich mehr oder minder nachdrücklich dazu. Bei dieser Variable erwiesen sich nun die arbeitslosen Jugendlichen als deutlich radikaler eingestellt Hier könnte ein mögliches Radikalismus-Potential vorliegen. Dieses Potential tendierte unseren weitergehenden Analysen zufolge etwas stärker nach links
Eine gegenläufige Tendenz entdeckten wir, als wir den „Nationalstolz“ überprüften. Ihren Stolz, ein Deutscher zu sein, bekundeten immerhin 79, 8%; 20, 2 % verneinten dies mit unterschiedlicher Stärke. In diesem Zusammenhang zeigten sich die beschäftigten Jugendlichen etwas „nationaler“ eingestellt Problematischer müssen wir indes die Befunde auf ein anderes Item bewerten, nämlich die Zustimmungspotentiale von 13, 3% (voll und ganz) bzw. 34, 5% (überwiegend) zu dem Statement: Als Deutscher halte ich zu meinem Land, selbst dann, wenn hier etwas geschieht, was gegen meine persönliche Überzeugung geht. Hierbei fanden wir nun, daß jener fatalen, unreflektierten Ein-Stellung unsere arbeitslosen Jugendlichen stärker zuneigten, und zudem dieses unkritische „nationale“ Potential offensichtlich deutlicher auf dem rechten politischen Spektrum angesiedelt ist Auch diese Fakten müssen wir im Auge behalten.
Sie gewinnen noch an Bedeutung, wenn wir uns Befunde vergegenwärtigen, die dezidierte Einstellungen einer demokratischen politischen Kultur berühren bzw. repräsentieren. So wurde einerseits die Ansicht von den arbeitslosen Jugendlichen eher unterstützt, daß die Auseinandersetzungen zwischen den Interessengruppen dem Gemeinwohl schadeten; andererseits teilten sie weitaus zurückhaltender die Auffassung, eine lebensfähige Demokratie sei ohne Opposition nicht denkbar. Ihrer Ansicht nach sollte folglich wohl die Opposition die Regierung weniger kritisieren als vielmehr bei ihrer Arbeit unterstützen
Wir erkennen hier bereits eine geringere demokratische Konfliktbereitschaft und andererseits eine gewisse Tendenz nach einem obrigkeitsstaatlichen Harmoniebedürfnis bei unseren arbeitslosen Jugendlichen. In einem solcherart angelegten Staats-verständnis dürfte für eine eigenständige Partizipationsbereitschaft kein günstiger Entfaltungsgrund bzw. -rahmen vorzufinden sein. Einige einschlägige Befunde hierzu legten dies nahe, wenn unsere arbeitslosen Jugendlichen stärker als ihre beschäftigten Altersgenossen die Ansicht zurückwiesen, in der Bundesrepublik seien zu wenige politisch aktiv oder wir müßten uns stärker für die politischen Dinge interessieren, wenn wir eine vernünftige Regierung haben möchten
Man konnte auf Seiten der arbeitslosen Jugendlichen aber offensichtlich recht plausible Entschuldigungen ins Feld führen, indem man sich stärker hinter der Kompliziertheit der Politik verschanzte oder sich mit dem „Argument“ rechtfertigte, man habe ohnehin keinen Einfluß darauf, was die Regierung tue Diese anomischen Einstellungen fanden sich wiederum etwas stärker im rechten politischen Spektrum angesiedelt Von hier bis zur Forderung nach einer einzigen starken Partei, die die Interessen aller vertrete, ist dann jedoch kein weiter Schritt mehr zurückzulegen. Immerhin zeigten 36, 9 % unserer Befragten durchaus Sympathien für diese Forderung; unsere arbeitslosen Jugendlichen taten dies sogar mit weitaus stärkerer Intensität Unsere Besorgnis in diesem Zusammenhang muß dabei die Tatsache erre 9 % unserer Befragten durchaus Sympathien für diese Forderung; unsere arbeitslosen Jugendlichen taten dies sogar mit weitaus stärkerer Intensität 34). Unsere Besorgnis in diesem Zusammenhang muß dabei die Tatsache erregen, daß die Forderung nach einer einzigen starken Partei bei steigendem Anomie-Potential in zunehmendem Maße von unseren arbeitslosen Jugendlichen unterstützt wurde 35).
Nach alledem überrascht es nicht, wenn wir feststellen mußten, daß unsere arbeitslosen Jugendlichen sowohl hinsichtlich des Grades anpolitischem Interesse als auch bezüglich des Informationsniveaus über politische Dinge deutlich hinter ihren beschäftigten Altersgenossen zurückblieben 36). Darüber hinaus erbrachte unsere Studie äußerst bedenkliche Werte für diese beiden doch recht bedeutsamen Variablen bei unseren Befragten insgesamt: Danach interessierten sich nur 11, 4% stark bzw.sehr stark für Politik, 32, 9% bekundeten ein mittleres Interesse, 33, 4% gaben zu, sich wenig zu interessieren und 22, 3 % signalisierten überhaupt kein politisches Interesse. Entsprechend dürftig fielen folglich die Informationsniveaus aus: Nur 1, 9% meinten, über politische Dinge genau Bescheid zu wissen, 27, 8% glaubten, sich einigermaßen auszukennen, 23, 2% gaben an, sie wüßten „nur so eben Bescheid“, 31, 9% räumten ein, daß sie wenig und 15, 2% sogar, daß sie in politischen Dingen überhaupt nicht Bescheid wüßten.
Beide Variablen, politisches Interesse wie politisches Informationsniveau, zeigten bei unseren arbeitslosen Jugendlichen jeweils bei abnehmender Tendenz negative Zusammenhänge mit jener oben bereits diskutierten gesellschaftskritischen Einstellung bzw. mit dem „Nationalstolz“, und zwar in dem Sinne, daß sowohl das gesellschaftskritische Potential wie auch jener (chauvinistische) Nationalstolz bei abnehmendem politischen Interesse und bei sinkender politischer Informiertheit wuchsen Als wir diese Defizite an politischem Interesse und Informiertheit aufdem Links-Rechts-Kontinuum überprüften, stellten wir fest, daß auch sie eher zum rechten Spektrum hin tendierten In diesem Kontext bedeutet der Hinweis wohl nur einen schwachen Trost, daßjene Interesse-und Informationsdefizite bei steigendem Bildungsniveau offensichtlich zurückgedrängt bzw. abgebaut werden Dennoch kann man in diesem Befund einen gewissen Ansatzpunkt für positive Gegensteuerungsmaßnahmen erblicken; vor einer Überschätzung der Bildungsmaßnahmen muß jedoch gewarnt werden, solange sie nicht in eine entsprechende politische Kultur eingebettet werden.
Wir wollen diese Befunde, die letztlich nur einen mosaikhaften Eindruck vermitteln können, mit einem Blick auf Variablen der Systemzufriedenheit abschließen. So stimmten immerhin 81, 7 % unserer Befragten der Ansicht zu, unsere Demokratie sei für uns heute die beste Staatsform. Indes nur knapp die Hälfte (53, 0%) gab an, sich zusammen mit ihren Freunden hierin auch recht gut vertreten zu fühlen. 68, 9 % meinten, man könne mit dem Funktionieren unseres politischen Systems insgesamt recht zufrieden sein. Bei allen drei Einstellungen jedoch sprachen sich die arbeitslosen Jugendlichen zum Teil deutlich kritischer aus Bedenken wir in diesem Zusammenhang noch folgende zwei Befunde: Unsere arbeitslosen Jugendlichen zeigten sich dann mit dem Funktionieren unseres politischen Systems zufriedener, wenn sie sich politisch nach rechts orientierten, aber auch — und dies erscheint doch recht problematisch —, wenn sie ein niedrigeres Bildungsniveau aufwiesen
Man muß folglich wohl in diesem Zusammenhang mit Nachdruck vor der kurzschlüssigen Ansicht warnen, wenn unsere Jugendlichen mit dem politischen System zufrieden seien, dann wäre alles in guter oder gar bester Ordnung. Diese Warnung erscheint auch deshalb angebracht, weil durchaus in unseren Befunden jene kritischen Aspekte deutlich geworden sein dürften, die sich in jenem zum Teil doch sehr unreflektierten, inaktiven und desinteressierten Zufriedenheitspotential ausfindig machen ließen.
III. Problemprofile arbeitsloser Jugendlicher
Bei unseren Untersuchungen haben wir in aller Regel durchweg problematischere Potentiale entdeckt, wenn das Kriterium der Arbeitslosigkeit ins Spiel gebracht wurde bzw. verschärfend ins Gewicht fiel. Es geht im folgenden nun keineswegs darum, Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern sehr viel nachdrücklicher auf Gefährdungsmomente für das potentielle politische Verhalten dieser Problemgruppe „arbeitslose Jugendliche“ hinzuweisen.
Beginnen wir mit einer an sich harmlos erscheinenden Einstellung. 78, 5 % unserer befragten arbeitslosen Jugendlichen bekundeten, stolz darauf zu sein, daß sie Deutsche seien. Nicht überraschend fanden wir dabei, daß ein ausgeprägterer „Natio-nalstolz“ auf dem politischen Links-Rechts-Kontinuum stärker nach rechts tendierte und nachdrücklicher auch männliche Jugendliche erfaßte. Kritischer zu bewerten ist zweifellos der Zusammenhang zwischen zunehmendem Nationalstolz und sinkendem Bildungsniveau; ein Faktum, das sich ferner deutlich im abnehmenden Interesse für Politik und im Absinken des politischen Informationsniveaus niederschlug
Auch aus diesem Grunde beurteilen wir folglich den positiven Zusammenhang zwischen Nationalstolz und Systemzufriedenheit durchaus skeptisch. Unsere diesbezügliche Skepsis wird gesteigert, wenn wir feststellen müssen, daß mit ausgeprägterem Nationalstolz die Tendenzen zu dogmatischer Intoleranz, die Scheu vor Konflikten und die Bereitschaft zur Lösung politischer Probleme mit Gewalt zunahmen.
Jene stärker national gesonnenen Jugendlichen gestanden sowohl ihre drückender empfundene persönliche Orientierungslosigkeit, wie auch ihre politische Anomie ein; gleichzeitig erwiesen sie sich gegenüber einer wünschenswerten Partizipationsbereitschaft abhold. Man geht deshalb wohl nicht fehl in der Annahme, daß aus derart gebündelten Potentialen auch die naive Sehnsucht nach einer einzigen starken Partei gespeist wird, die die Interessen aller vertreten sollte
Hierbei fand sich jedoch auch ein spezieller Zusammenhang, der wohl zu größter Sorge Anlaß gibt, nämlich das Faktum, je stärker unsere arbeitslosen Jugendlichen auf ihren Nationalstolz pochten, desto rückhaltloser stimmten sie dem Item zu: „Als Deutscher halte ich zu meinem Land, selbst dann, wenn hier etwas geschieht, das gegen meine persönliche Überzeugung geht.“ Nicht nur, daß dieses Item überhaupt eine positive Korrelation aufdeckt, sondern darüber hinaus die enorme Stärke mit der uns dieser Konnex entgegentritt, ruft höchste Betroffenheit hervor. Einen marginalen Hoffnungsfunken erblicken wir darin, eventuell durch intensive Bemühungen um einen Abbau jener aufgeführten Gravamina, diese fatalen Tendenzen aufhalten bzw. umkehren zu können. Ansätze, daß dieses Bemühen nicht aussichtslos erscheint, finden sich, wenn wir die Kehrseiten jener Zusammenhänge betrachten. Aber beispielsweise nur in Anbetracht der Bedeutung des Bildungsniveaus, auf vermehrte Informationen bauen zu wollen, erscheint zweifellos als nicht hinreichend.
Ein weiteres Problem-Profil erblicken wir dort, wo unsere Jugendlichen in der Konfrontation mit dem entsprechenden Item eine überaus „gesellschaftskritische Einstellung“ signalisierten. Wenngleich sich hierzu „nur“ ein Viertel (25, 1%) mehr oder minder dezidiert und überzeugt bekannten, so darf uns dieses Potential durchaus nicht gleichgültig lassen; und zwar schon allein deshalb nicht, weil jene gesellschaftskritischen Tendenzen sich sogleich ausweiteten, wenn unsere arbeitslosen Jugendlichen ihre persönliche wirtschaftliche Zukunft pessimistischer einschätzten
Wir wollen diese wirtschaftliche Perspektive hier nicht weiter verfolgen, sondern nach problematischen Dispositionen für das politische Verhalten fragen. Daß dieses Problempotential sich negativ auf die Systemzufriedenheit niederschlug, überraschte nicht; ebensowenig, daß es sich stärker auf der linken Achse des Links-Rechts-Kontinuums konzentrierte. Besorgniserregender ist zweifellos die Tatsache, daß auch jene Jugendlichen mit sich verschärfenden gesellschaftskritischen Einstellungen die Forderung nach einer einzigen starken Partei unterstützten Hier trafen sie sich offensichtlich — wenn auch unter anderem politischen Vorzeichen — mit jenem rechtsradikalen Potential.
Nicht so stark — aber der Tendenz nach ähnlich -gingen mit jener gesellschaftskritischen Einstellung ein wachsendes politisches Desinteresse und ein brüchigeres politisches Informationsniveau einher. Hierbei zeigte sich auch ein deutlicher Zusammenhang zwischen zunehmender Gesellschaftskritik und sinkendem Bildungsniveau. Einen gewissen Riegel gegenüber diesen kritischen Tendenzen schien eine stärker ausgeprägte religiöse Bindung vorzuschieben Angesichts des Rückgangs der regelmäßigen Kirchenbesucher auf ein gutes Viertel (28, 7 %) bei unseren arbeitslosen Jugendlichen, sollte man dieses Faktum indes nicht zu stark bewerten.
Auch dieses eher linksgerichtete gesellschaftskritische Potential beklagte intensiver sowohl den mangelnden „persönlichen Durchblick“, wie auch die zunehmende politische Anomie; gleichzeitig aber befürwortete man nachdrücklicher eine insgesamt kritischere Lebenseinstellung. Diese förderte damit offensichtlich eine deutlicher bekundete Partizipationsbereitschaft, die man jedoch wohl eher als grundsätzliche Aktionsbereitschaft außerhalb des politisch-parlamentarischen Rahmens interpretieren muß. Zu dieser Ansicht gelangt man, wenn man sich vergegenwärtigt, daß jene stärker gesellschaftskritisch orientierten Jugendlichen einerseits die legitime Interessenvertretung eher ablehnten, andererseits die Lösung von Konflikten in der Demokratie mit Mitteln der Gewalt nachdrücklicher befür-worteten, und zudem die Legitimation der parlamentarischen Opposition entschiedener in Abrede stellten
Damit findet sich offenkundig auch am Rand des linken politischen Spektrums ein Potential, das in vielen Ausprägungen jenem der äußersten politischen Rechten ähnelt — abgesehen davon, daß es offensichtlich nicht ganz so dumpf, sondern etwas kritischer orientiert ist, was indes dazu führen mag, hinsichtlich der Systemzufriedenheit die politische Ordnung radikaler in Zweifel zu ziehen oder gar abzulehnen.
Betrachten wir nunmehr jenes Potential, das für sich als Lebensmaxime in Anspruch nimmt, man müsse heute besonders kritisch sein und dürfe nichts gedankenlos übernehmen; diese „Eigenständigkeit“ des Denkens erscheint durchaus als eine akzeptable und begrüßenswerte Haltung. Sie fand bei steigendem Bildungsniveau sogar noch eine gewisse Verstärkung und wurde von männlichen und weiblichen Jugendlichen gleichermaßen geteilt. Wie schlägt sich nun diese Einstellung in für die politische Kultur relevanten Problemzusammenhängen nieder? Wir sind geneigt, diese „kritische“ Haltung zunächst einmal als privatistisches Lippenbekenntnis ohne allzu tiefe soziopolitische Reflexion und Verpflichtung anzusehen; in unserer Untersuchung mußten wirjedoch erkennen, daß weder die linksorientierte Gesellschaftskritik, noch der nach rechts tendierende Nationalstolz in Frage gestellt und ebensowenig das Ansinnen entschieden zurückgewiesen wurde, in der Demokratie gäbe es gelegentlich Konflikte, die man mit Gewalt lösen müßte. Dieses bekundete kritische Bewußtsein vermochte auch nicht, die offensichtliche, überproportional stark verwurzelte, persönliche Orientierungslosigkeit und das Gefühl der politischen Anomie in wünschenswertem Maße abzubauen
Andererseits ließen unsere Jugendlichen bei intensiverem Pochen auf ihr „Kritisch-sein-Wollen“ aber bezüglich anderer politisch relevanter Haltungen durchaus auch positive Ansätze erkennen. So wiesen sie — wenn auch nicht gerade eindrucksvoll — die offensichtlich unausrottbare Denkungsart, (legitime) Interessenwahrnehmung schade dem Gemeinwohl, eher zurück; sie sprachen sich mithin überzeugend für eine angemessene politische Partizipation aus und unterstützten nachdrücklicher die Auffassung, eine lebensfähige Demokratie sei ohne wirkungsvolle Opposition nicht denkbar. Erfreulich in diesem Zusammenhang war zweifellos auch die Tatsache, daß jene kritischere Einstellung mit einem stärkeren politischen Interesse einherging. Mit Befriedigung konnten wir ferner zur Kenntnis nehmen, daß sich dieses kritische Bewußtsein ohne signifikante Unterschiede über das gesamte politische Spektrum verteilte. Und schließlich erwies sich jene Haltung in bezug auf die Systemzufriedenheit nicht abträglich, sondern ließ sogar einen gewissen positiven Einfluß erkennen
Trotz dieses Silberstreifens besteht unserer Ansicht nach kein Anlaß zur Euphorie. Angesichts der aufgewiesenen Defizite dürfte diese Probandengruppe indes nach wie vor noch weit von einer wünschenswerten „kritikfähigen Identifikation“ mit unserer demokratischen Ordnung entfernt sein. Jene kritische Haltung scheint uns (wie oben bemerkt) überwiegend auf personale Autonomie — die noch dazu über weite Strecken nur reklamiert, aber nicht so sehr reflektiert anmutet — ausgerichtet zu sein; eine bewußte Orientierung än übergeordneten Werten wird eher abgelehnt als gesucht. Dies mögen zwei Befunde untermauern: Jenes kritische Bewußtsein stieg mit der Lockerung religiöser Bindungen; ebenso ging es offensichtlich auch mit einem starken Selbstbestimmungsstreben einher Beide Tendenzen müßten dann nicht zur Besorgnis Anlaß geben, wenn sie auf einem verantwortungsbewußten und durchreflektierten Fundament auf-ruhten; hierin hegen wir jedoch angesichts der immer wieder aufgedeckten Defizite bezüglich politischer Verhaltenskomponenten große Zweifel.
Müssen wir ähnliche Bedenken anmelden, wenn wir die von unseren arbeitslosen Jugendlichen bekundete Partizipationsbereitschaft untersuchen? Vergegenwärtigen wir uns vorab: Über zwei Drittel (69, 3%) unserer Probanden stimmten der Ansicht zu. man müsse sich stärker politisch betätigen, um politische Entscheidungen entsprechend beeinflussen zu können. Diese eher partizipationsbereiten Jugendlichen erwiesen sich als stärker politisch interessiert und schätzten sich auch als besser politisch informiert ein; zudem besaßen sie offensichtlich ein ungestörteres Verständnis gegenüber der politischen Opposition, indem sie deren Notwendigkeit für die Demokratie entschiedener betonten. Daß diese Jugendlichen sich etwas unzufriedener mit dem Funktionieren unseres politischen Systems zeigten, ließe sich eventuell dadurch erklären, daß sie in ihrem Partizipationselan zu sehr an Grenzen stießen Wir würden diese Interpretation durchaus akzeptabel finden, wenn dem nicht eine Reihe von Beobachtungen entgegenstünde.
So wiesen jene Jugendlichen nicht sehr überzeugend die Ansicht zurück, daß man eigentlich keinen rechten Einfluß darauf hätte, was die Regierung tue; trotz ihrer Partizipationsbereitschaft zeigten sie zudem Ansätze von politischer Anomie, schworen der Gewalt in der Demokratie nicht gänzlich ab und setzten sich gegenüber dem Ansinnen, man sollte eine einzige starke Partei haben, die die Interessen aller verträte, nicht in wünschenswertem Maße zur Wehr. Wenngleich die Korrelationsmaße hierzu zum Teil nur minimale Werte aufzeigten, so hätte man in diesem Zusammenhang doch wohl entschiedenere und für das politische Verhalten positivere Einstellungsmuster erwartet. Dieser Umstand läßt uns die eingangs angedeutete Befürchtung wiederholen — und zwar in dem Sinne, daß die von unseren arbeitslosen Jugendlichen geäußerte Partizipationsoption eher als demokratisches Anpassungs-Vokabular zu werten ist und noch keineswegs als theoretisch und praktisch fundierte Partizipationsbereitschaft angesehen, oder besser/schlechter (!), mißverstanden werden darf. Nur wenig Ermutigung vermögen wir deshalb aus der Tatsache zu ziehen, daß jene Partizipationsbereitschaft mit steigendem Bildungsniveau leicht an Stärke zunimmt. Bliebe nur noch hinzuzufügen: Diese Partizipationsoption wird von politisch linksorientierten Jugendlichen etwas deutlicher bekundet
Wir hatten oben gesehen, daß unsere arbeitslosen Jugendlichen trotz ihrer bekundeten Partizipationsoption beträchtliche Ansätze von politischer Anomie zeigten. Immerhin äußerten sich Dreiviertel (77, 2%) von ihnen dahin gehend, keinen Einfluß darauf zu haben, was die Regierung tue. Gerade von diesem hohen Anomiepotential befürchten wir beträchtliche negative Auswirkungen auf bedeutsame politische Einstellungen. Wir wollen dies im folgenden etwas genauer herausarbeiten.
Betrachten wir zunächst einige Auswirkungen im eher subjektiv-persönlichen Bereich: Mit zunehmender Anomie beurteilten unsere Probanden ihre wirtschaftliche Zukunft ebenfalls pessimistischer; sie hatten es offensichtlich darüber hinaus aufgegeben. ihre Situation durch eigene Leistung verbessern zu können, jedenfalls lehnten sie diese Perspektive etwas deutlicher ab als jene, die sich nicht für so einflußlos hielten. Daß mit jener politischen Anomie auch eine ausgeprägtere persönliche Orientierungslosigkeit einherging, konnte folglich nicht überraschen Bezüglich des Geschlechts und des Bildungsniveaus fanden sich keine signifikanten Unterschiede, was darauf hindeuten würde, daß sich das Anomiepotential in dieser Hinsicht ziemlich gleichmäßig über unsere Befragtenpopulation verteilt.
Nach unseren weiteren Analysen zeigten sich nun jene anomischen Tendenzen stärker auf der rechten Seite des politischen Links-Rechts-Kontinuums; dies verstärkt die Befürchtung, daß der Ruf nach einer einzigen starken Partei ebenfalls eher einer rechten Partei gilt. In diesem Zusammenhang bedeutete es keinen Trost, wenn sich jene Jugendlichen tendenziell sogar etwas zufriedener mit dem Funktionieren unseres politischen Systems zeigten
Insofern unsere arbeitslosen Jugendlichen stärkere Anomiepotentiale bekundeten, setzten sie offensichtlich kaum mehr Hoffnungen darauf, selbst durch eine intensivere politische Beteiligung politische Entscheidungen beeinflussen zu können; ähnlich defätistisch stellten sie dann auch die Notwendigkeit der politischen Opposition in Abrede. Ihnen schien offenkundig das gesamte politische Geschehen so kompliziert und undurchschaubar zu sein, daß sie jedwede Anstrengung als nutzlos erachteten. Diese politische Lethargie und Hoffnungslosigkeit spiegelte sich folglich gleichermaßen auch im zunehmenden Desinteresse und im unaufhaltsam absinkenden Informationsniveau in bezug auf Politik überhaupt wider
Gerade diese eben aufgezeigten und geschilderten Tendenzen wiesen auf einen fatalen circulus vitiosus hin, der unsere arbeitslosen Jugendlichen schier unweigerlich immer tiefer in einen persönlichen und politischen Defätismus absinken läßt. Es dürfte ungeheuer schwer sein, diese Spirale zum Anhalten zu bringen oder sie gar durch systematische Auf-fang-und ermutigende Aufbaumaßnahmen in eine positive Entwicklung zu überführen. Daß dies ohne eigene Anstrengungen auf Seiten der Betroffenen nicht gelingen kann, erscheint außer Zweifel. Wie steht es nun um diesbezügliche Voraussetzungen bei unseren arbeitslosen Jugendlichen?
Wir wollen abschließend hierzu zwei Profile verfolgen: Einmal wäre es denkbar, daß sich unsere Problemgruppe durchaus mit einem einfacheren Lebenskomfort zufrieden gäbe; zum anderen sollte man eine gewisse Leistungsbereitschaft annehmen, die angesichts der prekären persönlichen Lage, in der man sich befindet, die Dinge bewußt verändern und das Steuer herumreißen möchte. Nach dem bislang Dargelegten — wir verhehlen es nicht — gehen wir mit Skepsis an diese Untersuchung heran. Dennoch schiene uns eine koordinierte Gegenstrategie nicht aussichtslos und vor allem nahezu der einzig gangbare Weg, der aus diesem Dilemma herausführen könnte.
Immerhin bekundete nahezu die Hälfte (44, 6%) unserer Befragtengruppe ihre Sympathie für jene, die ein „einfaches Leben“ führen wollten; sie vertraten diese Einstellung sogar etwas entschiedener als die beschäftigten Jugendlichen. Diese Bevorzugung einer einfacheren Lebensweise ließen unsere Jugendlichen indes dann eher erkennen, wenn sie die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik negativer beurteilten bzw. das Ansinnen stärker zurückwiesen, sie müßten angesichts ihrer Situation unbedingt mehr leisten als andere Beide Befunde legen die Interpretation nahe, daß man auf Seiten unserer arbeitslosen Jugendlichen die einfachere Lebensweise nicht so sehr als einen Wert an sich betrachtete, sondern vielmehr angesichts der objektiven Umstände und der subjektiv empfundenen Unzumutbarkeit, sie müßten zur Verbesserung ihrer Lage selbst größere Anstrengungen unternehmen, diese Situation notgedrungen hinnahm. Dieses passive Element kam zweifellos auch darin zum Tragen, daß jene Option für das einfachere Leben bei nahezu allen bislang diskutierten Variablen keine signifikanten Befunde zutage förderte. Als weiteres Indiz in diesem Sinne können wir wohl auch die Tatsache bewerten, daß jene Jugendlichen, die für ein einfacheres Leben votierten, sich mit dem Funktionieren unseres politischen Systems deutlich unzufriedener zeigten
Indem viele unserer arbeitslosen Jugendlichen sich offensichtlich zu einer einfacheren Lebensführung gedrängt fühlen, zeigten sie eher Symptome der Unzufriedenheit insgesamt, als daß sie — sei es aus mangelnder Einsicht, weil man keine Chancen sah, die Schwierigkeiten eben für unüberwindlich hielt oder auch die erforderlichen Anstrengungen als zu hoch erachtete — nach einer entsprechenden Abhilfe trachteten. Mit dem subjektiven Gefühl, vom allgemeinen Lebensstandard abgedrängt bzw. abgekoppelt zu sein oder zu werden, geht somit eine Gleichgültigkeit gegenüber Gesellschaft und Politik einher, die Gefahr läuft, in eine zunehmende Unzufriedenheit mit dem gesamten politischen System zu eskalieren. 5
IV. Ausblick
Dies ist nun in der Tat keine beruhigende Perspektive; denn mittlerweile zeigen sich politische Konsequenzen. Dabei stellen die jüngsten Wahlergebnisse in Berlin und Hessen nur die Spitzen von Eisbergen dar — und es wäre fatal, wollte man politi-sches Verhalten auf bloßes Wahlverhalten verengen. Unsere arbeitslosen Jugendlichen von heute laufen Gefahr, die arbeitslosen Erwachsenen von morgen zu sein. Ihr politisches Verhalten ist inzwischen weithin vorgeprägt; dabei steht wohl eher Apathie als Radikalisierung zu befürchten (um jene plakative Vision bewußt umzukehren) — eine politische Apathie jedoch, die der Manipulation von außen anheimfallen kann und von daher auch gezielt angegangen wird. Gerade weil wir im Potential des politischen Verhaltens unserer arbeitslosen Jugendlichen so wenig eigenständige Substanz zu erkennen vermögen, halten wir diese Problem-gruppe für so gefährdet. Dabei bedroht jene Gefahr sowohl diese gesellschaftliche Gruppe wie auch langfristig unsere gesamte politische Kultur.
Insofern kann man R. Leicht zustimmen, wenn er feststellt, daß es sich bei den jüngsten Wahlergebnissen nicht so sehr um ein Problem von links und rechts handle, sondern primär um ein sozialpolitisches Dilemma unserer „Zweidrittelgesellschaft“, die im Laufe der letzten Jahre durch den Modernisierungsruck und den Wettbewerbsdruck der Wirtschaft der Mehrheit durchaus Vorteile ge-bracht habe, sie zumindest politisch nicht entscheidend beunruhigen konnte, eine Minderheit aber deklassierte; diese begehre nun auf. Nachdem sie mehr und mehr aus dem sozialen Netz gerutscht wäre, drohe sie nunmehr auch den Integrationsnetzen der etablierten politischen Parteien zu entgleiten. Aber einem solchen Vorgang, in dessen Sog zweifellos die heutigen arbeitslosen Jugendlichen zu geraten drohen, darf man nicht tatenlos zusehen. Eine Wohlstandsgesellschaft wie die Bundesrepublik muß — wenngleich hierfür ein einschneidender Bewußtseinswandel erforderlich sein mag — einem derartigen Abdriften beträchtlicher Bevölkerungsteile entgegenwirken können.
Rainer A. Roth, Dr. phil. habil., geb. 1942; Professor für Didaktik der Sozialkunde und politische Bildung an der Universität Passau; beide Staatsexamina für das Lehramt; Studium der Politikwissenschaft. Soziologie, Pädagogik und Bayerischen Geschichte an den Universitäten Erlangen und München; Promotion im Fach Politische Wissenschaft; Habilitation (Politikwissenschaft) an der Universität Augsburg. Veröffentlichungen u. a.: Politische Bildung in Bayern, 1974; „Staatsbürger der DDR“, in: Deutsche Ostkunde, (1975) 1; Jungwähler und Demokratie, in: Politische Studien, (1975) 219; Was ist typisch deutsch?, 1979; Grundwerte in pädagogischer Sicht, in: Pädagogische Welt, (1978) 12; Herausforderung Frieden, 19842; Zur Problematik der politischen Kultur der Jungwähler in der Bundesrepublik Deutschland, 1984; Zeitgeschichte, 1985; Freistaat Bayern, 19864; 40 Jahre nach dem Holocaust, in: Tribüne, (1986) 100; Frieden, 1987; Grundfragen der staatsbürgerlichen Bildung, 19892; Jugendarbeitslosigkeit und politische Kultur, 1989.
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