Kommunalpolitik im politischen System der Bundesrepublik. Aufbau, Aufgaben und Problemlagen
Everhard Holtmann
/ 23 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Grundlage von Kommunalpolitik in der Bundesrepublik sind die Einrichtungen kommunaler Selbstverwaltung. Ihr Bestand ist durch verfassungsrechtliche Institutsgarantie gewährleistet. Verfassungsleitender Grundgedanke ist. in der Kontinuität einer älteren deutschen Kommunaltradition, den Gemeindebewohnem — bzw.den durch sie legitimierten Organen — einen Raum zu eigenverantwortlicher Regelung ihrer örtlichen Angelegenheiten zu ermöglichen. Der darin zum Ausdruck kommende Autonomiegedanke kommunaler Selbstverwaltung unterliegt andererseits bestimmten verfassungsrechtlichen wie praktischen Einschränkungen. Solche Einschränkungen ergeben sich aus der Einordnung der kommunalen Ebene in das Gesamtgefüge des politisch-administrativen Systems der Bundesrepublik, welches den örtlichen Wirkungskreis der Gemeinden und Kreise nicht nur für echte Selbstverwaltungsaufgaben frei hält, sondern zugleich als einen Bereich staatlicher Verwaltung definiert, in dem kommunale Behörden im staatlichen Auftrag bzw. als Träger unterer allgemeiner Staatsverwaltung tätig sind. Dieses für Verfassungsstellung und Handlungsspielräume kommunaler Politik kennzeichnende Nebeneinander von Selbständigkeit und Staatsbindung kommt u. a. in der Anerkennung originär kommunaler Aufgaben und ergänzender staatlicher Kommunalaufsicht sowie in der Deckung des gemeindlichen Finanzbedarfs beispielhaft zum Ausdruck. Kommunales Wahlverhalten spiegelt einerseits diese Verschränkung zwischen örtlicher und staatlicher Ebene, andererseits aber auch die Besonderheiten lokaler Problemlagen und Problemwahmehmung wider.
I. Problemaufriß
Kommunalpolitik in der Bundesrepublik vollzieht sich innerhalb von Einrichtungen kommunaler Selbstverwaltung, wie sie, ältere deutsche Traditionen wiederaufnehmend, als Rechtsform 1949 in das Grundgesetz aufgenommen worden ist und seither als Handlungsrahmen lokaler Politikgestaltung ausgefüllt wird. Kennzeichnend für dieses Organisationsprinzip örtlicher Administration ist einmal das ihm anerkannt eigene Maß an Autonomie: Gemeindliche Selbstverwaltung soll möglichst frei bleiben von staatlicher Bevormundung und nicht zuletzt dadurch Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung an der Regelung ihrer örtlichen Angelegenheiten aktivieren.
Der Idee nach fungiert kommunale Selbstverwaltung, wenn sie eigene wie übertragene öffentliche Aufgaben wahrnimmt, zugleich als Elementarschule der Demokratie. Dies wiederum setzt voraus, daß Gemeindepolitik und Gemeindeverwaltung nicht einfach aus „höherer Gewalt“ des Staates abgeleitet werden können, sondern sich aus sich selbst begründen. Für diese demokratietheoretische Hervorhebung kommunaler Autonomie sprechen außerdem pragmatische Erwägungen: Örtliche Belange und Probleme sind den unmittelbar betroffenen Gemeindebürgern nahe und deshalb relativ vertraut. Solches Problembewußtsein und Betroffensein in Entscheidungen über Ortspolitik mit einzubeziehen, erscheint durchaus funktional, werden doch damit für die föderal und gewaltenteilig verfaßte gesamtstaatliche Ordnung vermehrt Ressourcen an „lokaler Kompetenz“ erschlossen. Zudem werden staatliche Politik und Verwaltung durch dezentrale und bürgemahe Erledigung öffentlicher Aufgaben zugleich entlastet und legitimiert.
Kennzeichnend für das Rechts-und Organisationsprinzip bundesdeutscher kommunaler Selbstverwaltung ist, andererseits, neben ihrer Autonomie die gesetzliche und faktische Einschränkung dieser Autonomie. Restriktionen sind in dreifacher Hinsicht wirksam:
Es existiert, wie das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich erneut bekräftigt hat, kein gegenständlich oder nach feststehenden Merkmalen eindeutig bestimmbarer Aufgabenkatalog gemeindlicher Selbstverwaltung. Und: Gemeinden — und Gemeindeverbände (Kreise) — sind für kommunale Angelegenheiten nur so weit und solange eigenverantwortlich zuständig (und in der Erledigung dieser Angelegenheiten selbständig), wie Bundes-und Landesgesetzgeber von ihrer Gesetzgebungsbefugnis nicht Gebrauch machen 1).
2. Mit dem Gesetzesvorbehalt verbunden ist ein System gestufter Staatsaufsicht, die übergeordnete staatliche Aufsichtsbehörden dazu befugt, Entscheidungen und Maßnahmen kommunaler Selbstverwaltung hinsichtlich ihrer Gesetzmäßigkeit — und partiell auch Zweckmäßigkeit — zu kontrollieren.
3. Die Kommunen verfügen nur über beschränkte Finanzhoheit. Zwar ist den Gemeinden mit den Realsteuern sowie den örtlichen Verbrauch-und Aufwandsteuern eine originäre Steuerquelle und auch ein eigenes Heberecht verfassungsrechtlich gewährleistet. Doch in der konkreten Ausschöpfung der Realsteuergarantie nach Artikel 106, Abs. 6 GG sind die kommunalen Gebietskörperschaften an staatlich fixierte Bemessungsgrundlagen (z. B. Einheitswerte bei der Festsetzung der Grundsteuer) gebunden. Zwar können die Gemeinden seit der Grundgesetzänderung von 1969 einen Anteil des Lohn-und Einkommensteueraufkommens beanspruchen (Artikel 106, Abs. 5GG), womit sie über eine Einnahmequelle verfügen, die unabhängig von örtlicher Wirtschaftsentwicklung ist. Aber die Höhe dieses Anteils wird zwischen Bund und Ländern ausgehandelt, ohne direkte Mitwirkung der kommunalen Ebene. Verstärkt wird die finanzielle Abhängigkeit außerdem dadurch; daß ein Großteil kommunaler Ausgaben durch Einnahmen aus Bundes-und Landesmitteln abgedeckt ist, die den Gemeinden über den kommunalen Finanzausgleich zufließen. Aufdem Weg über solche, z. T. zweckgebundene Finanzzuweisungen greifen Bundes-und Landesverwaltungen in die kommunale Programmplanung und Investitionstätigkeit indirekt steuernd ein.
II. Rechtsstellung der kommunalen Selbstverwaltung
Abbildung 2
Tabelle 1: Einnahmen der Gemeinden/Gemeindeverbände 1989 und 1990 1) 1) Schätzung der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände auf der Basis einer gemeinsamen Umfrage. Angaben nach: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, (1990) 3, S. 68.
Tabelle 1: Einnahmen der Gemeinden/Gemeindeverbände 1989 und 1990 1) 1) Schätzung der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände auf der Basis einer gemeinsamen Umfrage. Angaben nach: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, (1990) 3, S. 68.
1. Institutioneile Garantie
In Artikel 28 GG ist eine institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung normiert. Damit ist, erstens, ein grundsätzlicher Bestandsschutz für die kommunale Gebietskörperschaft als Einrichtung ausgesprochen, nicht aber eine Bestands-garantie gegen Auflösung oder Neugliederung einzelner Gemeinden und Kreise Zweitens bekräftigt das Grundgesetz in der verfassungsrechtlichen Absicherung kommunaler Selbstverwaltung deren nichtstaatliche Rechtsnatur: Kommunale Gebiets-körperschaften existieren und wirken ursprünglich aus eigener Legitimität, nicht kraft eines von Staats wegen verliehenen Mandats Drittens bestätigt Artikel 28 die Allzuständigkeit (Universalität) der Gemeinden für ihren eigenen Wirkungskreis, d. h. das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaften in eigener Verantwortung zu regeln. „Allzuständiges“ und „eigenverantwortliches“ Tätigwerden setzt jedoch voraus, daß ein Kembestand kommunaler Aufgaben vorhanden ist, der, trotz staatlichen Gesetzesvorbehalts, seitens des Zuständigkeiten verteilenden Gesetzgebers auch als eigene Angelegenheit der Gemeinden respektiert wird
2. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
Den Kembereich kommunaler Selbstverwaltung präzise festzulegen, ist rechtlich wie sachlich schwierig. Einesteils haben nahezu alle öffentlichen Angelegenheiten heutzutage örtlichen Bezug — selbst im Bereich der Außenpolitik, wie wiederholte Auseinandersetzungen zwischen Gemeinden und kommunaler Rechtsaufsicht um das von Gemeinderäten reklamierte Recht zur Behandlung verteidigungs-und friedenspolitischer Fragen, die gemeindliches Territorium berühren, andeuten. Andererseits tendiert kommunale Aufgabenerfüllung ihrerseits, infolge zunehmender regionaler Politikverflechtung, zu einer „Entörtlichung", wie sie in der Übertragung bestimmter gemeindlicher Planungs-und Vollzugsaufgaben auf überörtliche Zweckverbände deutlich wird
Folglich kann häufig nur an der konkreten Regelungsmaterie entschieden werden, ob sie Bedürfnisse und Interessen betrifft, „die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln“ bzw. auf die Lebensbedingungen der Kommune als Sozialgemeinde „einen spezifischen Bezug haben“, und somit als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft zu klassifizieren ist Unbeschadet bestehender Zuordnungsprobleme veranschaulicht die in der Bayerischen Landesverfassung und Gemeindeordnung enthaltene Aufzählung von Aufgaben einen allseits anerkannten Kernbestand örtlicher Angelegenheiten. In den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden fallen demnach insbesondere
— die Verwaltung des Gemeindevermögens und der Gemeindebetriebe;
— der örtliche Verkehr nebst Straßen-und Wegebau;
— die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Licht, Gas und Elektrizität;
— Einrichtungen zur Sicherung der Ernährung; — Ortsplanung, Wohnungsbau und Wohnungsaufsicht; — Feuerschutz;
Dieser enumerative Katalog darf, wie gesagt, nicht als abschließende Festlegung des Kernbereichs kommunaler Aufgaben fehlgedeutet werden. Den Gemeinden steht vielmehr darüber hinaus, auch außerhalb des Kernbereichs, ein „Aufgabenfindungsrecht“ zu, d. h. die Befugnis, „sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen“
3. Aufgabenarten
Ihrer Rechtsnatur nach werden die gemeindlichen Aufgaben unterschieden nach 1. im eigenen Wirkungskreis: a) freiwilligen Aufgaben (diese sind gesetzlich nicht normiert bzw. gesetzlich zulässig) und b) Pflichtaufgaben (gesetzlich zugewiesen) sowie 2. Auftragsangelegenheiten im übertragenen Wirkungskreis der Gemeinde. Während die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises echte Selbstverwaltungsaufgaben bezeichnen, umfassen die Auftrags-aufgaben im übertragenen Wirkungskreis alle Angelegenheiten, die den Gemeinden gemäß bundes-oder landesgesetzlicher Regelung „zur Besorgung namens des Staates“ zugewiesen sind.
Dem so unterschiedenen Rechtscharakter kommunaler Aufgaben entsprechen unterschiedliche Grade kommunalpolitischer Handlungsfreiheit. Während es einer Gemeinde z. B.frei steht, eine weiterführende Schule zu bauen (freiwillige Angelegenheit im eigenen Wirkungskreis), ist sie etwa gesetzlich gehalten, bestimmte Aufgaben der Jugendhilfe zu übernehmen; hierbei liegt es allerdings in ihrem Ermessen, wie sie diese Pflichtaufgabe (im eigenen Wirkungskreis) ausführt. Nimmt die Gemeinde hingegen eine Auftragsangelegenheit wahr, unterliegt sie Weisungen der zuständigen Staatsbehörden, sofern diese von ihrem generellen Weisungsrecht (z. B. Gewerbeaufsicht) oder einem (gesetzlich festgelegten) Vorbehalt der Einzelweisung (z. B. Zivilschutz) Gebrauch machen Im Grenzbereich zwischen reinen Selbstverwaltungsund eindeutigen Auftragsangelegenheiten werden die sog. „Pflichtaufgaben nach Weisung“ (z. B. Aufgabenerfüllung nach dem Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden) eingeordnet. Diese lassen staatliche Weisung zu, die jedoch hinsichtlich Art, Umfang und Ausgestaltung der Aufgabenwahrnehmung gesetzlich exakt bestimmt ist
4. Staatliche Kommunalaufsicht
Staatsaufsicht ist das die Einheitlichkeit örtlicher Verwaltung sichernde Gegengewicht zu kommunaler Autonomie. Entsprechend dem Rechtscharakter und Selbständigkeitsgrad kommunaler Aufgaben sind die staatlichen Eingriffsbefugnisse abgestuft (siehe Schema):
Die allgemeine Kommunalaufsicht ist Rechtsaufsicht: Sie beschränkt sich darauf sicherzustellen, daß die Gemeindeverwaltung bei der Erledigung von Aufgaben im eigenen Wirkungskreis im Einklang mit den Gesetzen handelt. Dort, wo Städte und Landkreise Auftragsaufgaben wahrnehmen, erstreckt sich die staatliche Kontrolle auch auf die Fachaufsicht, d. h. sie überwacht, ob die Selbstverwaltungskörperschaften die ihnen übertragenen Aufgaben „rechtmäßig und darüber hinaus auch zweckmäßig wahrnehmen“ Förmliche Mittel der Kommunalaufsicht sind u. a. die Beanstandung, das Aufhebungs-oder Änderungsverlangen, die Aufhebung einer gemeindlichen Maßnahme, die Vornahme einer Verfügung anstelle der Gemeinde (Ersatzvornahme) sowie, als äußerster Eingriff, die Auflösung eines dauerhaft handlungsunfähigen Kollegialorgans.
Inwieweit kommunale Handlungsspielräume durch das Instrument staatlicher Aufsicht tatsächlich eingeschränkt sind, wird in der Fachliteratur eher zurückhaltend eingeschätzt. Bund und Länder seien, so argumentiert etwa Heiko Faber, auf den „Vollzugskonsens“ der Kommunen, denen ja die Ausführung gesetzlicher Vorschriften überwiegend obliegt, angewiesen; deshalb — und auch wegen der beträchtlichen Kontrollspannen — müsse in Konfliktfällen ein bloßer Rückgriff auf aufsichtsamtliche Rechte ziemlich wirkungslos bleiben In der Tat ist im Behördenumgang zwischen Kommunal-und Staatsorganen das informelle Einvernehmen die Regel, die förmliche Beanstandung die Ausnahme. Indirekt wird dies dadurch bestätigt, daß über Anordnungen von Aufsichtsbehörden bisher vergleichsweise selten verwaltungsgerichtlich entschieden werden mußte
5. Grundtypen der Gemeindeordnung
Die in den bundesdeutschen Flächenstaaten geltenden Gemeindeordnungen werden üblicherweise nach vier Grundtypen unterschieden. In der Typen-vielfalt kommt die — durch Strukturvorgaben der Besatzungsmächte nach 1945 teilweise modifizierte — föderalistische Tradition kommunaler Selbstverwaltung zum Ausdruck (für Fragen der Gemeindeordnung sind laut Grundgesetz die Länder zuständig).
Demokratisches Kernstück aller Gemeindeverfassungstypen ist der Gemeinderat als frei und direkt gewählte örtliche Volksvertretung. Ihm kommt im Rahmen der Selbstverwaltung die oberste Beschluß-und Kontrollkompetenz zu. Von „Kommunalparlamenten“ zu sprechen, ist daher plausibel. Im strengen Sinne läßt sich das klassische Modell politischer Gewaltenteilung aber nicht auf die kommunale Ebene übertragen, da rechtsetzende und ausführende Kommunalorgane Teil der einen Selbstverwaltungsind. Das Recht zur kommunalen Selbstverwaltung ist, so Georg Chr. von Unruh, „eine administrative Befugnis“, welche die Einrichtung als solche dem Sektor der Administration zu-ordnet Zum anderen ist ein Gemeinderat keine „Legislative“, denn er besitzt nicht Gesetzgebungs-, sondern Satzungsrecht. In Form von Satzungen wird Ortsrecht, d. h. auf Gemeindegebiet beschränktes Recht gesetzt, beispielsweise bei der jährlichen Verabschiedung des Gemeindehaushalts oder der Festsetzung von örtlichen Steuern und Gebühren
Unterschiedlich geregelt sind in den Kommunal-ordnungen vor allem 1. die Interorgan-Zuständigkeiten zwischen Ratsvertretung und (hauptamtlicher) Verwaltungsspitze, 2.der Wahlmodus des Verwaltungsleiters, 3.der Ratsvorsitz sowie 4. die „monokratische“ oder „kollegiale“ Form der Verwaltungsleitung
Bei der Norddeutschen Ratsverfassung (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen) steht der gewählten Gemeindevertretung der von dieser berufene Gemeindedirektor (in Städten: Stadtdirektor, in kreis-freien Städten: Oberstadtdirektor) als hauptamtlicher Leiter der Gemeindeverwaltung gegenüber. Er bereitet die Beschlüsse des Rates vor, achtet auf deren Rechtmäßigkeit und sorgt für die Ausführung. Vorsitzender des Gemeinderats, und damit oberster politischer Repräsentant der Gemeinde, ist jedoch der aus der Mitte der ehrenamtlichen Ratsmitglieder gewählte (Ober-) Bürgermeister. Im Geltungsbereich der Süddeutschen Ratsverfassung (Baden-Württemberg, Bayern) sind die Kompetenzen zwischen der Ratsversammlung und dem (ebenfalls direkt gewählten) Bürgermeister dualistisch aufgeteilt. Die Gemeindevertretung hat Beschluß-und Kontrollrecht in allen Selbstverwaltungsangelegenheiten. Der Bürgermeister leitet die Verwaltung, kümmert sich um deren laufende Geschäfte und ist zugleich, als stimmberechtigter Rats-vorsitzender, die politische Spitze der Gemeinde. Diese Doppelfunktion wie auch seine Legitimation durch direkte Volkswahl verleihen Gemeindeoberhäuptern in Süddeutschland eine traditionell starke Amtsstellung und auch Unabhängigkeit gegenüber der eigenen Partei bzw. Ratsfraktion.
Für die („unechte“) Magistratsverfassung (Hessen, Bremerhaven, größere Städte in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein) ist das kollegiale Leitungsprinzip typisch: Die Gemeindevertretung wählt den hauptamtlichen (Ober-) Bürgermeister als obersten Gemeindebeamten sowie den Magistrat als eine Art kollektiven Gemeindevorstand. Dieses Kollegialorgan setzt sich aus (entsprechend dem Stärkeverhältnis im Rat gewählten) ehrenamtlichen Ratsmitgliedern, beamteten Beigeordneten (Dezematsleitern der Verwaltung) und dem Bürgermeister als Vorsitzendem zusammen. Der Magistrat leitet die Verwaltung und besorgt deren laufende Geschäfte.
Bei der Bürgermeisterverfassung (Rheinland-Pfalz, Saarland, kleinere Gemeinden Schleswig-Hol-steins) wird der Bürgermeister als Gemeindevorsteher (Verwaltungschef und politische Spitze) ebenfalls vom Rat gewählt. Je nachdem, ob Selbstverwaltungskompetenzen dem (hauptamtlichen) Bürgermeister kraft Gesetz förmlich übertragen oder durch Beschluß der Gemeindevertretung (und damit von dieser rückrufbar) abgetreten werden, handelt es sich um eine monistische oder dualistische Variante der Bürgermeisterverfassung
6. Die Kreise als zweite kommunale Ebene
Die kommunale Selbstverwaltung ist institutionell ihrerseits in zwei Ebenen gegliedert, in die lokale Gemeindeebene und eine überörtliche Kreisstufe (Landkreis). In kreisfreien Städten (Stadtkreisen) sind Gemeinde-und Kreisstufe zusammengefaßt. Die Institutsgarantie von Artikel 28 GG schließt als Gemeindeverbände die Kreise mit ein. Allerdings ist der Verfassungsstatus der Kreise nach überwiegender Rechtslehre dem der Gemeinden nicht gleichrangig. Denn während Gemeinden „allzuständig“ sind und ihnen ein Aufgabenfindungsrecht für sämtliche örtlichen Angelegenheiten zugebilligt wird, verbleibt den Kreisen lediglich ein grundsätzlicher „kommunaler Aufgabenanspruch“, den der Gesetzgeber laut Verfassungsgebot auszufüllen hat
In Arbeitsteilung mit den kreisangehörigen Gemeinden nehmen die Kreise überörtliche Selbstverwaltungsfunktionen wahr. Dabei wird nach Gesamtaufgaben, ergänzenden und ausgleichenden Aufgaben unterschieden. Zu den Gesamtaufgaben, die „nach ihrem sachlichen Zuschnitt, ihrer Natur nach, über das einzelne Gemeindegebiet hinausreichen“ bzw. auf die gemeinsamen Bedürfnisse der Einwohnerschaft des Kreises insgesamt bezogen sind zählen u. a.der Bau und Unterhalt von Kreisstraßen, regionale Wirtschaftsförderung oder der öffentliche Personennahverkehr. Ergänzend werden Kreise dort tätig, wo einzelne Gemeinden bestimmte Aufgaben aufgrund fehlender Finanz-bzw. Verwaltungskraft nicht oder nur unzureichend wahrnehmen können; z. B. bei der Trägerschaft weiterführender Schulen und Krankenhäuser sowie bei der Abfallentsorgung. Ausgleichende Funktionen übernimmt der Kreis, um Unterschiede im örtlichen Leistungsangebot auszugleichen, beispielsweise durch Förderung von Vereinen und Freizeit-stätten oder technische Verwaltungsassistenz
Der Finanzbedarf der Kreise wird, neben einem sehr geringen eigenen Steueraufkommen und sonstigen Einnahmen, vor allem durch Zuweisungen von Bund und Land sowie durch die sogenannte Kreisumlage zu jeweils etwa einem Drittel gedeckt. Die Kreisumlage wird durch Beschluß des direkt gewählten Kreistags — ohne förmliche Mitwirkung, aber bemessen nach der jeweiligen Finanzkraft der einzelnen kreisangehörigen Gemeinden — von diesen erhoben (1980 betrug die Kreis-umlage im Landesdurchschnitt von NRW annähernd 35 Prozent)
7. Sonstige Gemeindeverbände
Neben den Kreisen erfüllen höhere Kommunalverbände und Umlandverbände Funktionen als Gemeindeverbände. Erstere sind besondere kommunale Gebietskörperschaften mit eigenen Selbstverwaltungsbefugnissen. Zu ihnen gehören etwa die sieben bayerischen Bezirke, die spezielle Aufgaben der regionalen Gesundheits-und Kulturpflege wahrnehmen, sowie, mit ähnlichen Funktionen, die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen (in Nordrhein-Westfalen) Umlandverbände sind ein jüngeres Instrument interkommunaler Zusammenarbeit. Vor allem in urbanen Verdichtungszonen des Bundesgebiets haben sich Städte und Landkreise zu Planungs-und Zweckverbänden zusammengeschlossen. Diesen sind, um den wachsenden kommunalen Planungs-und Koordinationsbedarf „in der Fläche“, der aus dichter werdenden Stadt-Umland-Verflechtungen resultiert, erfüllen zu können, in Bereichen wie Raumplanung, Freizeit, Verkehr, sowohl Planungs-als auch z. T. Vollzugsaufgaben überantwortet. Zu nennen sind hier etwa der Kommunalverband Ruhrgebiet oder der Umland-verband Frankfurt. Letzterer ist eine Gemeinschaftseinrichtung der Großstädte Frankfurt a. M. und Offenbach mit weiteren 41 Städten und sechs Landkreisen, welcher für Planungs-, Ver-und Entsorgungsfragen der Mainregion zuständig ist.
III. Gemeinden und Kreise als Träger staatlicher Verwaltung
Abbildung 3
Tabelle 2: Verteilung der Steuerverbundmasse Quelle: Friedhelm Stork, Kommunaler Finanzausgleich 1990. in: Städte-und Gemeinderat. (1990) 4. S. 110.
Tabelle 2: Verteilung der Steuerverbundmasse Quelle: Friedhelm Stork, Kommunaler Finanzausgleich 1990. in: Städte-und Gemeinderat. (1990) 4. S. 110.
Kommunale Politik und Verwaltung ist nicht ausschließlich originäre Selbstverwaltung. Stadt-und Landkreise fungieren, neben der Erfüllung echter Selbstverwaltungsaufgaben, als untere staatliche Verwaltungsbehörden. Im übertragenen Wirkungskreis nehmen das Rathaus und das Landratsamt, ohne gesonderte gesetzliche Zuweisung und für die Bürger äußerlich nicht unterscheidbar, Aufgaben der allgemeinen inneren Staatsverwaltung wahr. Diese Verschränkung von Selbstverwaltung und Staatsverwaltung innerhalb kommunaler Behördenorganisation kommt in der „Doppelnatur“ des obersten Verwaltungsbeamten des Kreises anschaulich zum Ausdruck: Der Landrat bzw. Oberkreisdirektor steht der Kreisverwaltung vor und ist in gleicher Person Leiter der staatlichen Verwaltung im Kreis In letzterer Funktion amtiert er als „entliehenes Staatsorgan“ und zwar einmal als Inhaber staatlicher Rechtsaufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden, und zum anderen vollzugszuständig dort, wo z. B. staatliche Gesundheits-, Vermessungs-, Kataster-und Poli-zeibehörden den Landratsämtern eingegliedert sind.
„Organleihe“ und staatliche Auftragsverwaltung werden praktiziert, weil Bund und Länder, von einzelnen Sonder-und Fachverwaltungen abgesehen, in der Regel über keinen eigenen lokalen Verwaltungsunterbau verfügen. In der vertikal-funktionellen Arbeitsteilung zwischen Staat und kommunalen Gebietskörperschaften lebt eine ältere deutsche Organisationstradition fort Die Fortschreibung der herkömmlichen Praxis, den örtlichen Vollzug von Bundes-und Landesgesetzen weitgehend den Städten und Landkreisen zu überlassen, läßt sich jedoch auch funktional begründen: Wenn öffentliche Verwaltung dem Grundsatz folgt, sich nach „optimalen Einzugsbereichen“ (Renate Mayntz) zu organisieren, dann sprechen für die bestehende Praxis kommunal dezentralisierter Staatsadministration ihre größere Wirtschaftlichkeit und Bürger-nähe. Andererseits bleiben aufgrund der gegebenen Kommunalaufsicht die Maßstäbe einheitlicher Verwaltung gewahrt.
IV. Die Finanzausstattung der Gemeinden
In welchem Umfang Städte, Kreise und Gemeinden im eigenen Wirkungskreis gestaltend tätig werden können, hängt wesentlich ab von ihrer Finanzlage. Laut Grundgesetz (Art. 106 und 107) ist die Verteilung des Steueraufkommens seit dem Finanzausgleich von 1969 so geregelt, daß den Gemeinden 1. das Aufkommen der Realsteuern (Grund-und Gewerbesteuern), abzüglich eines Bund-/Länder-Anteils, zusteht; 2. das Aufkommen an örtlichen Verbrauch-und Aufwandsteuern (u. a. Vergnügungs-, Hunde-und Getränkesteuer) zufließt; 3. ein Anteil an der Einkommensteuer (derzeit 15 Prozent) überwiesen wird, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Basis der Einkommensteuerleistungen der örtlichen Einwohner weiterzuleiten ist; 4.der sogenannte „kleine Länderanteil“ zukommt (ebenso den Kreisen), d. h. ein landesgesetzlich festgelegter Hundertsatz vom Länderanteil der Gemeinschaftssteuern (Körperschafts-und Umsatzsteuer). Im übrigen werden die Gemeinden am Aufkommen der Landessteuern nach Maßgabe landesgesetzlicher Regelung beteiligt.
Dieser landesgesetzliche Finanzvorbehalt wie auch die tatsächliche Einnahmenstruktur der Kommunen weisen darauf hin. daß die Hauptverantwortung für eine angemessene Finanzausstattung der Gemeinden und Kreise bei den Bundesländern liegt Für das Jahr 1985 beispielsweise setzten sich die kommunalen Einnahmen im Bundesdurchschnitt wie folgt zusammen: Gewerbesteuer 14, 7 Prozent, sonstige Steuern 5, 0 Prozent, Einkommensteueranteil 14, 9 Prozent, Gebühren und Beiträge (Wasser, Müll, Bäder. Straßenreinigung, Erschließungskosten etc.) 22, 8 Prozent; staatliche Finanzzuweisungen, die von den Ländern im Rahmen der kommunalen Finanzausgleichsgesetze gewährt werden, machten mit insgesamt 26, 7 Prozent den zweitgrößten Posten kommunaler Einkünfte aus Ersichtlich wird, daß die Gemeinden von staatlichen Zuweisungen in hohem Maße finanziell abhängig sind. Der Ausgleich der Ausgabenbedarfe und des zwischen den Gemeinden deutlichen Steuerkraftgefälles muß über den kommunalen Finanz-ausgleich der Länder erfolgen. Nach Art und Zweckbindung wird bei den staatlichen Finanzzuweisungen zwischen allgemeinen Zuweisungen und Zweckzuweisungen unterschieden. Erstere werden ohne Zweckbindung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs der Gemeinden und Kreise überwiesen. Allgemeine Zuweisungen lassen sich weiter differenzieren nach 1. Schlüsselzuweisungen (der Verteilungsschlüssel berücksichtigt die Einwohnerzahl, Steuerkraft und besondere infrastruktureile Belastungen), ferner 2. Bedarfszuweisungen aus einem sogenannten Ausgleichsstock, aus dem einmalige Mittel zur Bewältigung außergewöhnlicher Belastungen bewilligt werden können, und schließlich 3. Sonder(schlüssel) zuweisungen für laufende Zwecke, wodurch steuerschwachen Gemeinden ermöglicht werden soll, eine Mindestausstattung an öffentlicher Leistung bereitzuhalten.
Zweckgebundene Zuweisungen dienen der (Mit-) Finanzierung kommunaler Aufgaben außerhalb des Selbstverwaltungsbereichs sowie für bestimmte kommunale Investitionen. Sie können u. a. gewährt werden, um den Gemeinden die Kosten für die Wahrnehmung einzelner Aufgaben im Auftrag von Bund und Ländern (z. B. Schülerbeförderung, Verteidigungslasten) zu erstatten, des weiteren für laufende staatliche Zwecke sowie Schuldendiensthilfen (vgl. Tabelle 2).
Obwohl zweckgebundene Zuschüsse deutlich unter dem Volumen der allgemeinen Zuweisungen liegen (siehe Tabelle 2) und nur zwischen 10 und 15 Prozent auf der kommunalen Einnahmeseite ausmachen werden sie von entschiedenen Verfechtern der kommunalen Selbstverwaltung bevorzugt kritisiert. Denn erstens eröffneten sie der staatlichen Behörde, die über Investitionshilfeanträge befinde, Möglichkeiten, kommunale Projektplanung mittelbar zu steuern, u. a. über detaillierte Verwendungsauflagen. Zum anderen behindere das System staatlicher Zweckzuweisungen die Konsolidierung der kommunalen Haushalte, u. a.deshalb, weil seitens der Nehmergemeinden bei Abrufung zweckgebundener Bundes-und Landesmittel die — nicht mitfinanzierten — Folgekosten häufig nicht hinreichend berücksichtigt würden -Von anderer Seite wird die These einer Aushöhlung kommunaler Autonomie von Gemeinden, die am „goldenen Zügel“ zweckgebundener Dotationen geführt werden, allerdings bestritten: Einmal stellten Zweckzuweisungen keineswegs Ursachen kommunaler Macht-einbußen, sondern umgekehrt Folgen staatlichen Steuerungsversagens dar; der Staat kompensiere gewissermaßen geldlich sein eigenes Nichthandeln. Zudem lasse sich empirisch nachweisen, daß das Angebot staatlicher Subvention die Präferenzen kommunaler Investitionstätigkeit nicht wirklich verändere
Ob die geltenden rechtlichen Regelungen des kommunalen Finanzausgleichs den Finanzbedarf der Gemeinden angemessen erfüllen, ist zwischen „gebenden“ Landes-und „nehmenden“ Kommunalpolitikern naturgemäß umstritten. Eine Schwierigkeit liegt darin, daß Korrekturen von Systemfehlern, wie sie zuletzt die Finanzreform von 1969 vornahm, unter Umständen weitere Systemfehler erzeugen. So hat die Beteiligung der Kommunen am Einkommensteueraufkommen ihre traditionelle Abhängig-keit von der stärker konjunkturempfindlichen Gewerbesteuer gewiß gemildert. Andererseits haben (laut Gemeindefinanzbericht 1988) gerade die Umverteilungswirkungen, die mit dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer einhergehen, zur Folge, daß die Gewerbesteuer-Hebesätze in struktur-schwachen Kernstädten diejenigen ihrer Umland-gemeinden inzwischen um mehr als das Doppelte übersteigen Umlandgemeinden, die vom Einkommensteuerzufluß reichlich profitieren, können sich vergleichsweise niedrige Hebesätze leisten. Die nachteiligen Auswirkungen auf die Attraktivität der Kernstädte als Wirtschaftsstandorte liegen auf der Hand.
V. Sachpolitik statt Parteipolitik?
Die Auffassung, Kommunalpolitik sei ihrer Natur nach unpolitische Sachpolitik, hat in Deutschland lange Tradition. Soweit sich damit der naive Glaube verbindet, „Parteienstreit“ sei der Erledigung örtlicher Angelegenheiten wesensfremd, gute kommunale Selbstverwaltung erweise sich vielmehr in nichtpolitisierbaren Sachentscheidungen, äußert sich darin ein vordemokratisches Denken. Denn aus solcher Perspektive werden politische Einflußinteressen ausgeblendet, die auch auf kommunaler Ebene handfest vorhanden und allgegenwärtig sind.
Andererseits kann das populäre Trugbild einer unpolitischen Gemeindepolitik nicht zuletzt deshalb so ausdauernd überleben, weil sich in ihm — neben einem untergründigen Antiparteienaffekt und dem subjektiven Bedürfnis nach sozialer Harmonie im engeren örtlichen Lebensumfeld — auch ein Stück der besonderen Qualität kommunaler Politik widerspiegelt. Im Unterschied zu Landes-und Bundespolitik erlaubt Gemeindepolitik, ihren Themen und Inhalten nach, nur relativ selten richtungspolitische Programmentscheidungen; typisch ist vielmehr die sachbezogene Einzelfallentscheidung. Wobei einschränkend hinzugefügt werden muß, daß die Bedingungen für eine programmpolitische Aufbereitung kommunaler Fragen mit steigender Ortsgrößenklasse zwingender hervortreten
Lokale Politik ist folglich der Sache und dem Verfahren nach nicht bloßes Abbild „großer Politik“. Auch die Stadtbürger selbst nehmen, Erhebungen zufolge, die Kommune wahr als eine „völlig eigenständige Ebene“ der Politik, an die sich spezifische infrastrukturelle Leistungserwartungen richten Solche Nachfrage nach — und Benotung von — kommunalen Leistungen ist offenbar ganz unabhängig von parteipolitischen Sympathien. Nach Meinung von Manfred Güllner bestätigt dies, „wie wenig ideologische Komponenten die Urteile der Bürger prägen und wie stark objektive Faktoren — tatsächliche Versorgung, Leistungsfähigkeit der Verwaltungsinstanzen, konkrete Bedürfnisse — die Meinungsbildung der Bürger auf kommunaler Ebene beeinflussen“ Aus solcher bedürfnisbezogener Politikerwartung speist sich offenbar die gleichfalls gemessene Präferenz der Bürger, auch in Großstädten, für ein „eher harmonieorientiertes Modell der Kommunalpolitik“
Mit solchen Einstellungsprofilen sind politische Parteien nicht gleich zu kommunalen Fremdkörpern erklärt, wohl aber bestimmte Hemmschwellen für rigide kommunale Parteipolitik angedeutet. Kommunalpolitik ohne Parteien ist realistisch allenfalls in kleinen Landgemeinden vorstellbar. Die Arbeit in den Gemeindeparlamenten wird heute, das stellte das Bundesverfassungsgericht bereits in den fünfziger Jahren fest, „im allgemeinen Bewußtsein als echte politische Tätigkeit gewertet“ Die kommunalen Gebietsreformen der siebziger Jahre haben die Position der Parteien in den Selbstverwaltungskörpern auch der kleinen Gemeinden gestärkt, wenngleich im ländlichen Raum von einer flächendeckenden Dominanz des kommunalen Parteielements nicht gesprochen werden kann. So selbstverständlich die Rathauspräsenz von Parteien geworden ist, so unwillig reagieren auch Großstadt-bürger auf Versuche von Ortsparteien, sachpolitisches Stadtregiment parteitaktischem Machtkalkül unterzuordnen. Die großstädtische Wählerbewegung bei den bayerischen Kommunalwahlen vom 18. März 1990 machte dies vor allem in zwei Großstädten deutlich: In der Landeshauptstadt München, wo sich durch Austritt zweier SPD-Mandats-träger während der vorangegangenen Wahlperiode die Mehrheitsverhältnisse im Rathaus verändert hatten, wurde die dadurch verschärfte Polarisierung der Gemeinderatsarbeit vom Wähler mit der Abwahl der sogenannten „Gestaltungsmehrheit“ quittiert. In Augsburg hingegen, wo die CSU nach dem Wiederanschluß eines vor Jahren abgespaltenen gemäßigten Rathausflügels (Christlichsoziale Mitte) die Rückkehr zur konsensorientierten Gemeindepolitik öffentlich überzeugend vorführte, ging die Partei als klare Siegerin aus den Wahlen hervor. Der Sachbezug kommunaler Politik ist nicht allein ein unter Gemeindebürgem weitverbreitetes Wunschbild. Daß die konkrete Problemverarbeitung im kommunalen Entscheidungsprozeß sich eher an externen Vorgaben (Verschuldungsgrenze, Finanzzuweisungen) als an parteipolitischen Optionen ausrichtet, ist inzwischen empirisch belegt. Gabriel u. a. haben das Investitionsverhalten der 49 verbandsfreien Städte und Gemeinden in Rheinland-Pfalz für die Haushaltsjahre 1978— 1985 untersucht. Es ergab sich, daß die Investitionstätigkeit „eher politikfeld-als parteispezifische Besonderheiten“ erkennen ließ Gemessen am wichtigsten Bestimmungsfaktor, den staatlichen Zweckzuweisungen. beeinflußte die parteipolitische Konstellation im Gemeinderat Ausmaß und Richtung der kommunalen Eigeninvestitionen „allenfalls graduell“. am ehesten noch bei Verkehrsbaumaßnahmen
In einer Studie über die Bestimmungsgrößen wohnungspolitischer Ausgaben in 54 bundesdeutschen Großstädten kommen Grüner u. a. für den Untersuchungszeitraum 1975— 1982 zu ähnlichen Ergebnissen. Ausgangspunkt war hier die Annahme, daß sich Kommunalpolitik als parteigeleitete Richtungspolitik vor allem auf dem Feld der Wohnungspolitik bemerkbar machen müsse, da auf diesem Sektor 1. die Parteienkonzepte deutlich differieren und 2. die Kommunen über einen vergleichsweise weiten eigenen politischen Gestaltungsraum verfügen
Im Ergebnis der vergleichenden Analyse fiel etwa die Beziehung zwischen sozialdemokratischer Stadtregierung und verstärkter Förderung von sozialem Mietwohnungsbau wesentlich schwächer aus als erwartet. Stärker abhängig war die kommunale Ausgabengestaltung im Feld der Wohnungspolitik von der städtischen Wirtschafts-und Finanzkraft, in Verbindung mit einer vorhandenen Tradition lokaler Wohnungsbautätigkeit. Der Zusammenhang zwischen Kommunalpolitik und Parteieneinfluß ist damit nach Meinung der Autoren nicht generell widerlegt, erfährt aber, insbesondere durch den lokal direkt spürbaren Problemdruck, eine spezielle Brechung, die möglicherweise ein typisches kommunales Handlungsmuster erkennen läßt: „Der direktere Kontakt mit dem Bürger und eine dadurch verursachte höhere Sensibilität für gesellschaftliche Problemlagen könnten als Besonderheiten auf der Gemeindeebene bewertet werden, die den Spielraum parteipolitischer Strategien in spezifischer Weise begrenzen.“
VI. Kommunales Wahlverhalten
Der in der wohnungspolitischen Studie angesprochene Zusammenhang zwischen lokalem Problem-druck und Parteieneinfluß äußert sich in kommunalem Wahlverhalten in gleichsam gebündelter und öffentlich zugespitzter Form. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen erstens strukturellen Bedingungsfaktoren. nämlich u. a. Größe und soziale Geschlossenheit der Gemeinde, Gemeindeordnung. Wahlsystem, lokale Parteiorganisation, zweitens langfristigen lokalkulturellen Prägungen wie sachpolitische Erwartungshaltungen, Persönlichkeitswahl und „lokale Kompetenz“ der Bürger, und schließlich drittens situativen Einflüssen bei der Wahl (beispielsweise aktuelle Problemverschärfung. Polarisierung im Gemeinderat). Der Faktor Parteipolitik ist in diesem Spektrum von Einflußgrößen in Gestalt lokaler Parteiensysteme, die von hergebrachten Parteibindungen immer noch erkennbar geprägt sind, selbst eine unabhängige, d. h. die Wahlentscheidung beeinflussende Variable. Andererseits werden bei Kommunalwahlen nicht nur die interne Kräfteverteilung im lokalen Parteienfeld, sondern auch der Grad der Repräsentativität des Parteienelements als Träger der Kommunalpolitik im Zusammenwirken aller genannten Bedingungsfaktoren neu justiert.
Die Bestimmungsgrößen für kommunales Wahlverhalten lassen sich nun aber nicht ausschließlich auf lokaler Ebene verorten. Allgemeine Parteiidentifikation. politische „Großwetterlagen“ und Zufriedenheit mit Bundes-und Landesregierungen üben gleichfalls Einfluß aus. Inwieweit kommunale Wahlentscheidungen autonom gefällt werden oder nur überörtliche Politikorientierungen abbilden, ist in der empirischen Wahlforschung allerdings umstritten. Mitte der siebziger Jahre formulierte Paul Kevenhörster die These, daß das kommunale politische System im Bewußtsein der Wähler nur ge ringe Konturen besitze; mithin stelle die kommu nale Stimmabgabe überwiegend einen „Reflex ge samtsystemaren Wahlverhaltens“ dar. Zum kleinen Teil, so räumte Kevenhörster ein.seien auch lokal spezifische Beweggründe wirksam, so etwa die Aufmerksamkeit für örtliche Probleme und die den Wahlbewerbern zugeschriebene Problemlösungskompetenz.
In seiner Fallstudie über das Dienstleistungszentrum Frankfurt hat Konrad Schacht die Ergebnisse der Kommunalwählen von 1981 ausgewertet. Kevenhörsters These vom „fremdbestimmten“ kommunalen Wahlverhalten in der Grundtendenz stützend. kommt Schacht zu dem Befund, daß ein spezifischer Bonn-Effekt bei Kommunalwahlen durchschlage: Vorausgesetzt, der allgemeine Stimmungstrend verläuft für die Kanzlerpartei negativ, reagierten deren Anhänger mit einer als Protest gemeinten Stimmenthaltung, während der örtliche Urnengang die Anhänger der Bonner Oppositionspartei(en) zusätzlich mobilisiere Demnach wären die Leistungen (oder Fehlleistungen) der kommunalen politischen Akteure zumindest in urbanen Ballungszentren für den Wahlausgang nur bedingt ausschlaggebend. In einer Nachbetrachtung, welche die Ergebnisse der Kommunalwahl von 1985 mit einbezieht, hat Schacht seine die Eigenständigkeit lokalen Wahlverhaltens in Zweifel ziehende Interpretation allerdings abgeschwächt. Der soziale Wandel der Frankfurter Wählerschaft sowie die lokal besondere Partei-und Personalsituation hatten den Mechanismus der „Dialektik der Machtebenen“ in dem Kommunalwahlen den Part eines Denkzettel-Votums haben, augenscheinlich blokkiert. Offenbar fließen in kommunale Wahlentscheidungen eben doch „geborene“ lokale Erfahrungswerte wesentlich mit ein. Zwar ist eine örtliche Gemeinschaft in ihrer komplexen sozialräumlichen Zusammensetzung auch in kleinen Gemeinden heute kaum mehr überschaubar. Aber auch unter großstädtischen Lebensbedingungen besteht die Chance zur — ausschnitthaften — „Begehbarkeit“ (Helmut Klages) des näheren Lebensumfelds, sind die politischen Akteure dem Bürger vergleichsweise näher, wirken sich Leistungsdefizite und Politikversagen persönlich fühlbarer aus. Deshalb sind kommunale Wahlen immer auch eine Abstimmung über lokale Fragen und die lokal definierte politische Verantwortung bzw. Fähigkeit von Parteien wie Personen.
Für diese Annahme spricht, daß beispielsweise bei Kommunalwahlen in Bayern und Baden-Württemberg, wo das Kumulieren und Panaschieren — also Häufeln und über mehrere Listen streuendes Verteilen von Teilstimmen — möglich ist, die Zahl der „umverteilenden“ Stimmzettel die der unverändert abgegebenen um ein Mehrfaches übertrifft. Von diesem Stimmensplitting, das einer lokalen Persönlichkeitswahl gleichkommt, profitieren nicht zufällig vornehmlich Freie Wählergemeinschaften. Entgegen wahlsoziologischen Aussagen der siebziger Jahre, die ein kontinuierlich weiter abnehmendes Gewicht von „Rathausparteien“ unterstellten und darin eine fortschreitende Angleichung des lokalen an das nationale Parteiensystem bestätigt sahen haben sich parteifreie Gruppierungen bei den Kommunalwahlen von 1989/90 in Süddeutschland gut behauptet Der mögliche Einwand, der Streueffekt sei lediglich eine Folge des besonderen Wahl-verfahrens, geht fehl. Eher darf vermutet werden, daß in anderen Bundesländern, wo das kommunale Vertretungsmonopol der Parteien durch Sperrklauseln und starre Listen bislang ungebrochen ist, aufgrund der dort geltenden Wahlrechtsbestimmungen ein vergleichbar vorhandenes Artikulationsbedürfnis „stimmlos“ bleiben muß.
Gerade die neuerliche Stabilisierung kommunaler Wählergemeinschaften bei Gemeinde-und Kreistagswahlen deutet aber auch darauf hin, daß sich bei kommunalen Wahlgängen lokale und überlokale Sichtweisen zunehmend überlagern. Bei den Kommunalwahlen des Jahres 1989 in Hessen nutzten nach einer Wahlanalyse von Infas „Wählergemeinschaften die Chance, mit bodenständigen Themen wie Fragen von Müllbeseitigung, Verkehrsplanung oder Standortentscheidungen irritierte CDU-Wähler zu sich herüberzuziehen“
In regionalen Erfolgen parteifreier Bewerber reproduziert sich, so läßt sich zusammenfassend sagen. nicht lediglich das unausrottbar populäre Vorurteil gegenüber Parteien. Wählergemeinschaften besetzen offenbar dort, wo sie neuerlich Zulauf bekommen, lokale Kompetenzlücken der Parteien. Der Wandlungsprozeß von alten, altmittelständisch-konservativen zu neuen, ökologisch ausgerichteten parteifreien Bürgerlisten ist vielerorts folgerichtig eingeleitet. Neben dem kommunalen Stehvermögen von Wählergemeinschaften spiegeln auch die bei den jüngsten Kommunalwahlen beobachtbaren Tendenzen zu Wahlenthaltung und Auf-fächerung des örtlichen Parteienspektrums mit der „Krise der lokalen Parteipolitik“ (Schacht) auch lokale Reflexe der Krise der Parteipolitik insgesamt wider. Aktuelle Defizite der Kommunalpolitik, wie zum Beispiel in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Umweltschutz, sind zunehmend als Probleme der Gesamtgesellschaft definiert und werden von den vor Ort davon Betroffenen auch so wahrgenommen. Die Folge ist, daß Kompetenzen, die den Parteien jeweils generell in solchen Problemfeldern zugeschrieben oder abgesprochen werden, bei kommunalen Wahlentscheidungen im Hintergrund stehen. Für das örtliche Wählervotum ist aber ebenso die lokal jeweils gegebene Spürbarkeit (Inzidenz) des Problemdrucks sowie das lokale politische Ideen-und Personenangebot von Wichtigkeit. In der Bundesrepublik sind Kommunalwahlen heute offensichtlich stets beides: Entscheidung über lokale Interessen und Abstimmung über große Politik.
Everhard Holtmann, Dr. phil. habil., geb. 1946; Privatdozent am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg, z. Zt. Universität Konstanz. Veröffentlichungen u. a.: Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Autoritäres Regime und sozialistische Arbeiterbewegung in Österreich 1933— 1938, München-Wien 1978; Politik und Nichtpolitik. Lokale Erscheinungsformen Politischer Kultur im frühen Nachkriegsdeutschland, Opladen 1989.