Neue Formen der Konfliktregelung in der Umweltpolitik
Horst Zilleßen/Thomas Barbian
/ 23 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Die umweltpolitischen Entscheidungsprobleme in hochentwickelten Industriestaaten nehmen an Komplexität zu, die Akzeptanz von parlamentarisch oder administrativ getroffenen Entscheidungen nimmt hingegen ab. Angesichts der Tatsache, daß nach dem gegenwärtigen Stand der politischen Erkenntnisse keine Alternative zur repräsentativen Demokratie in Sicht ist, stellt sich die Frage, ob und wie die bisherigen traditionellen Entscheidungsverfahren zu verbessern sind, damit die repräsentative Demokratie auch in Zukunft ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden vermag. Zu diesem Problem existiert eine Vielzahl internationaler Antworten und Ansätze. Insbesondere die verschiedenen Arten der in den USA entwickelten sogenannten Altemative-Dispute-Resolution-Verfahren versprechen ein hohes Problemlösungspotential auch für die europäischen Länder. Durch einen kalkulierten Verfahrensablauf kann eine zu treffende Entscheidung umfassend und unter Einschluß aller betroffenen Gruppen vorbereitet werden. Die Qualität einer derart getroffenen Entscheidung erhöht die Wahrscheinlichkeit eines zügigen und unbehelligt von Gerichtsverfahren verlaufenden Vollzugs. Die Grundidee dieser im Text beschriebenen Verfahren besteht darin, eine gemeinsame Problemlösung zu suchen und dabei (auch) mit Hilfe von Dritten möglichst Vorteile für alle Beteiligten zu realisieren. Dies ist, gemessen an den traditionellen Entscheidungsabläufen, ungewohnt, vor dem Hintergrund der umweltpolitischen Krise aber eine Chance, die auch in der Bundesrepublik Deutschland unbedingt ergriffen werden sollte.
I. Gründe und Ansatzpunkte für Verfahrensänderungen
Das „entscheidende“ Problem der heutigen Demokratie ist das Entscheidungsproblem: Quantität und Qualität politischer Entscheidungen haben unter den Bedingungen der modernen Zivilisation eine neue Dimension erreicht. Schon der amerikanische Autor Alvin Toffler beschrieb diese Entwicklung die in den hochentwickelten Industrie-gesellschaften dazu führt, daß die bisherigen „Techniker der Macht“ durch gesellschaftliche Notwendigkeiten letztlich gezwungen werden, die Last der Entscheidungen immer weiter aufzuteilen, um sie überhaupt noch bewältigen zu können. Toffler stellte freilich auch fest, daß die Politik weitgehend in einem strukturellen Status quo verharrt: „... in no Geld today we find less Imagination, less experiment, less willingness to contemplate fundamental change“ Inzwischen beginnt jedoch die Einsicht sich durchzusetzen, daß sowohl die Auswirkungen aktueller Umweltprobleme und Knappheiten als auch die Folgen von Wissenschaft und Technologie für die Gestaltung und die Entwicklung der Gesellschaft die demokratischen Ordnungsprinzipien und Entscheidungsstrukturen auf eine ernste Probe stellen.
Die Frage, wie in einer repräsentativen Demokratie als notwendig erkannte Entscheidungen vollzogen werden können, wenn sie auf nachhaltigen Widerstand von Teilen der Bevölkerung stoßen, ist sicher nicht nur technologie-und umweltpolitisch aktuell. Ellwein und Hesse konstatieren seit Ende der siebziger Jahre generell einen Autoritätsverlust des politischen Systems und seiner Institutionen
Aber spätestens seit ein Ministerpräsident öffentlich einräumte, daß die Entscheidung, eine Anlage zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus Kernkraftwerken zu errichten, „politisch nicht durchsetzbar“ sei, ist eine Art umwelt-politischer Entscheidungsnotstand sichtbar geworden. Er reicht weit über den aus mancherlei Gründen besonders sensiblen Bereich der Kernenergie hinaus. Gegenwärtig trifft dieser Notstand nahezu jede Entscheidung z. B. über einen Standort für eine abfallwirtschaftliche Entsorgungsanlage in der Bundesrepublik Deutschland.
Angesichts der Tatsache, daß nach dem Stand der politischen Erkenntnisse eine Alternative zur repräsentativen Demokratie nicht in Sicht ist, stellt sich die Frage, ob und wie die bisherigen traditionellen Entscheidungsverfahren zu verbessern sind, damit die repräsentative Demokratie auch in Zukunft ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden vermag.
Seit geraumer Zeit schon wird die Frage diskutiert, ob über ein höheres Maß an Partizipation eine Verbesserung der Entscheidungsverfahren und eine Lösung des Akzeptanzproblems erreicht werden können. Auch gegenwärtig spielt diese Frage eine große Rolle, wenn etwa Bohret eine Kombination aus „aktiver Politik“, worunter er intelligente politisch-administrative Steuerung versteht, mit partizipativer Aufklärung zur Verbesserung von Entscheidungsverfahren vorschlägt, oder Scharpf von einer „Enthierarchisierung der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft“ spricht die ein neues Staats-und Verwaltungsverständnis herbeizuführen beginnt. Die bisherigen Erfahrungen mit vorwiegend ungeordneten und spontanen Formen von Bürgerbeteiligung, insbesondere in Gestalt von Bürgerinitiativen, sind ambivalent. Einerseits haben sie die Reaktions-und zugleich auch die Problemlösungsfähigkeit des politischen Systems erhöht, andererseits konzentrieren sie die Beteiligung auf die Abwehr nicht gewollter Entscheidungen und tragen oft wenig zu konkreter Problemlösung bei. Manche Behinderung und Verzögerung einer Entscheidung mögen zwar insofern politisch durchaus sinnvoll sein, als sie die Entscheidungsträger zu größerer Sorgfalt bei der Entscheidungsvorbereitung zwingen, was vielleicht erst die spätere Entscheidung gerichtsfest macht; aber durch bloße politische Abwehr und juristische Gegenwehr wird letztlich der Sinn der Beteiligung verkehrt. Es bleibt also zu fragen, ob Entscheidungsverfahren entwickelt werden können, die unter Beteiligung von Betroffenen und der Öffentlichkeit eine Problem-oder Konfliktlösung erreichbar machen, die weder auf Kosten der Effizienz noch zu Lasten von Akzeptanz geht.
Zur Bewältigung umweltpolitischer Konflikte existiert in hochentwickelten westlichen Industriestaaten ein erhebliches kreatives Potential, wie insbesondere die Ergebnisse eines vom Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderten Forschungsprojektes zeigen Insbesondere die in den USA praktizierten und im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes analysierten Verhandlungs-Negotiation) und Vermittlungsverfahren (Mediation) bieten einen Ansatz, der im Hinblick auf seine Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse zu überprüfen ist Dies gilt vor allem deshalb, weil dieser Ansatz Einseitigkeiten bei der Interessenberücksichtigung vermeidet, die die vergleichbaren und in den letzten Jahren verstärkt diskutierten Verfahren des informalen oder des kooperativen Verwaltungshandelns nicht immer ausschließen können
Es sind aber auch beispielsweise in den Niederlanden mit dem dort praktizierten bereichsspezifischen Sanierungsansatz belasteter Regionen, in Großbritannien mit der innovativen Erstellung des Umweltprogramms der Stadt Cardiff oder der kanadischen Einrichtung einer Task Force zur Standortfindung einer Deponie für schwachradioaktive Abfälle bemerkenswerte Formen umweltpolitischer Konfliktlösung praktiziert worden, die vor-bildhaft auch für bundesdeutsche Problemkonstellationen sein könnten Beachtung verdient auch die Institution des österreichischen Umweltanwaltes weil auch durch sie eine aktive Konfliktmittlung in der Umweltpolitik möglich ist.
II. Alternative-Dispute-Resolution-Verfahren in den USA
Abbildung 2
Abbildung 2: Der Konsensbildungs-Prozeß
Abbildung 2: Der Konsensbildungs-Prozeß
1. Allgemeine Kennzeichnung Seit Mitte der siebziger Jahre sind in den USA als Ergänzung zu den traditionellen Entscheidungsabläufen neue Formen von Entscheidungsverfahren entwickelt und praktiziert worden, die unter der Bezeichnung „Alternative Dispute Resolution“ (mit der inzwischen allgemein verwendeten Abkürzung ADR) vor allem zur Lösung umweltpolitischer und sozialer Konflikte angewandt werden. Bingham berichtet von beachtlichen Erfolgen, die mit Hilfe dieser Verfahren selbst bei schwierigen Standortkonflikten erzielt werden konnten. Die Administrative Conference of the US, die die Bundesbehörden bei der Entwicklung moderner und effizienter Verwaltungsformen und -verfahren unterstützt, versucht seit kurzem mit Hilfe umfangreicher Handbücher, die Anwendung dieser Verfahren zu fördern
Das allgemeine Ziel der verschiedenen Verfahren alternativer Konfliktlösung besteht darin, die an einem Konflikt Beteiligten und durch seinen Ausgang Betroffenen zu einer gemeinsamen Problemlösung zusammenzubringen: Sie sollen eine Lö-sung ausarbeiten bzw. aushandeln, die für alle Beteiligten akzeptabel ist und ohne zeitliche Verzögerung, z. B. durch Gerichtsverfahren, durch eine entsprechende Entscheidung (meist der zuständigen Behörde) umgesetzt werden kann. Die neuen Verfahren sollen nicht (können wohl auch nicht) die traditionellen Verfahren völlig ersetzen; aber in vielen, insbesondere in sozialen und umweltpolitischen Konflikten erlauben die verschiedenen ADR-Verfahren eine bessere Problemlösung. Wie es der Vorsitzende der Administrative Conference of the US formulierte: „ADR is an umbrella term encompassing a variety of procedures that often will produce fairer, faster, and better results than traditional adversary procedures.“ Was in den USA als Alternative Dispute Resolution entwikkelt wurde, kann wie folgt charakterisiert werden: 1. Alle von einer Entscheidung Betroffenen oder am Ergebnis Interessierten suchen gemeinsam nach einer Problemlösung. Hinter diesem Grundsatz, der nur über das Repräsentationsprinzip (d. h. über geordnete Verfahren der Beteiligung) wirksam werden kann, steht die Vorstellung einer umfassenden demokratischen Kompetenz des Bürgers. 2. Die Verhandlungspartner suchen gemeinsam nach einer Lösung in einem durchdachten und gegliederten Verhandlungsprozeß, der sorgfältig vorbereitet, gegebenenfalls durch einen neutralen Vermittler (Mediator) geleitet wird und auf eine Übereinkunft abzielt, die im Konsens beschlossen und deren Umsetzung (Implementation) von allen Beteiligten mit beraten wird. 3. Das Verfahren der Problem-und Konfliktlösung findet demnach ebenso viel Beachtung wie der Konfliktinhalt. D. h. im Hinblick auf Ablauf und Beteiligte soll die Rationalität des Verfahrens für eine effiziente Problemlösung sorgen und zugleich eine Atmosphäre der Kooperation schaffen, die über den konkreten Fall hinaus aufrechterhalten werden kann.
Diese allgemeine Kennzeichnung trifft auf verschiedene Formen von Alternative Dispute Resolution zu und gilt ungeachtet der terminologischen Unterschiede, die (noch) die Untersuchung erschweren. Ob Fischer und Ury (1981) von „Negotiating Agreement“, Susskind und Cruikshank (1987) von „Consensual Approaches“, Dunning (1986) von „Collaborative“ oder „Joint Problem Solving“, Moore und Adams (1986) von „Conflictmanagement“ oder Burton (1988) von „Conflict Resolution“ sprechen so verstehen sie -mit allenfalls unterschiedlicher Akzentsetzung -darunter die Vorgehensweise eines vorbereiteten und durchdachten Verhandelns (Negotiation) mit der ausdrücklichen Absicht, im Verhandlungsergebnis die Interessen aller Betroffenen zu berücksichtigen. Im wesentlichen werden vier verschiedene Formen von Alternative Dispute Resolution diskutiert und praktiziert: Verhandlungen ohne Unterstützung durch einen unparteiischen Dritten (Negotiation); Verhandlungen mit Unterstützung durch einen neutralen Moderator, der nur verfahrensorientiert eingreift (Facilitation); Verhandlungen mit Unterstützung durch einen neutralen Vermittler, der sowohl Verfahrens-als auch ergebnisorientiert eingreift und sich für das Ergebnis der Verhandlungen (mitverantwortlich fühlt (Mediation); Verhandlungen mit Unterstützung durch einen neutralen Schiedsrichter, dessen Urteil die beteiligten Konfliktparteien akzeptieren können, aber nicht müssen (Nonbinding Arbitration).
2. Überblick über die wesentlichen Verfahrensmerkmale
Die Fülle der in den USA (aber auch in Großbritannien, Kanada und Australien) erschienenen Literatur über ADR-Verfahren ist kaum noch zu überschauen. Die nachfolgende Darstellung stützt sich vor allem auf die Veröffentlichung von Susskind und Cruikshank die die wesentlichen Ergebnisse des mehrjährigen „Program on Negotiation at the Harvard Law School“ zusammenfassen und selbst umfangreiche praktische Erfahrungen mit ADR-Verfahren gesammelt haben, sowie auf die Veröffentlichungen des Institute for Water Resources des US Army Corps of Engineers
Die Entwicklung dieser Verfahren erfolgte mit der ausdrücklichen Zielsetzung, erkennbare Mängel der repräsentativen Demokratie zu überwinden. Die Vorgehensweise sollte daher folgende Ansprüche erfüllen: -Für jeden Konfliktfall sollen die Teilnehmer an den Verhandlungen ad hoc darüber entscheiden, nach welchem Verfahren vorgegangen werden und wie der Prozeß der Konfliktregelung ablaufen soll. -Die Verhandlungsparteien sollen nicht über von ihnen bestellte Anwälte, sondern auf eine informelle und unbürokratische Art und Weise miteinander reden und verhandeln. -Es soll eine Übereinstimmung, ein Konsens in der Form gesucht werden, daß jede Partei zumindest einem Teil der Problembeschreibung und der Problemlösung zustimmen kann -in der Überzeugung, daß die getroffene Regelung unter den gegebenen Umständen die bestmögliche ist und die jeweils wichtigsten Interessen berücksichtigt. -Die Parteien sollen direkt (face to face) miteinander verhandeln. Das bedeutet einerseits, daß sie an einem Tisch sitzen und solange gemeinsam arbeiten, bis sie eine Übereinkunft erzielen oder die Verhandlungen aufgeben; es kann aber andererseits auch heißen, daß die Parteien durch zu diesem Zweck besonders gewählte Vertreter miteinander verhandeln. -Die Verhandlungsverfahren sollen die bestehenden Entscheidungsstrukturen ergänzen, nicht an deren Stelle treten. Das schließt die Möglichkeit ein, daß die Parteien den konventionellen Entscheidungsverfahren unterworfen sind, sofern sie nicht zu einer Übereinkunft gelangen.
Eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Anwendung der ADR-Verfahren wird von allen Autoren in der Beschränkung auf real verhandelbare Konfliktinhalte gesehen. Wo es um grundsätzliche Wertorientierungen, um bloße Ja/Nein-Entscheidungen (z. B. Kernkraft) oder grundlegende Rechte geht, erweisen sich alle Vermittlungsverfahren als ungeeignet. Im politischen Alltag stehen solche Entscheidungen freilich relativ selten an, so daß die ADR-Verfahren auf eine große Zahl politischer Konflikte anwendbar erscheinen.
Ausgangspunkt der Verfahren, seien sie nun durch einen neutralen Vermittler unterstützt oder nicht, ist das ernsthafte Bemühen um eine gemeinsame Problemlösung. Die verhandelnden Parteien entscheiden sich also für die von Interessen ausgehende Strategie der kooperativen Problemlösung (vgl. Abbildung 1, die der Einfachheit halber von zwei Konfliktparteien ausgeht). Grundsätzlich verfügt eine Partei über fünf Handlungs-oder Strategieoptionen: 1. Die Konkurrenzstrategie wird dann gewählt, wenn die Interessen einer Partei so eng definiert sind, daß sie praktisch nur durch eine Lösung befriedigt werden können, die für die andere Partei inakzeptabel ist. Daher wird die Partei bereit sein, um das Ergebnis mit der anderen zu streiten, und eine Gewinner/Verlierer-Lösung anstreben -besonders dann, wenn sie über mehr Macht verfügt als ihre Gegnerin.
Diese Strategie schließt Gerichts-und Schiedsgerichtsverfahren ebenso ein wie die Zuweisung der Entscheidung an übergeordnete Stellen. 2. Auf die Anpassungsstrategie fällt die „Wahl“
des Verlierers, der keine Chancen sieht, bei der Gewinner/Verlierer-Lösung überhaupt etwas zu gewinnen („the winner takes it all“). Sie schließt die Bereitschaft ein, gegenüber der anderen Seite notfalls auf Kosten der eigenen Interessen und Bedürfnisse völlig nachzugeben.
Eine solche Strategie wird u. a. verfolgt, wenn die Möglichkeit (Macht) fehlt, eine andere Strategie zu wählen, oder weil Motivation und Interesse fehlen, um eine bessere Lösung zu ringen. 3. Die unproduktivste Vorgehensweise ist die der Konfliktvermeidung, die weder die Interessen von Partei A noch die von Partei B befriedigt.
Es ist die Strategie der Nicht-Entscheidung, die häufig gewählt wird aus Unsicherheit über den Ausgang des Konflikts, aus Furcht vor (weiteren) Niederlagen in allfälligen Auseinandersetzungen, aus mangelndem Interesse oder aus Gleichgültigkeit gegenüber dem zu entscheidenden Problem, aus fehlendem Wissen über Verfahren der Konfliktregelung oder aufgrund der Annahme, daß eine Übereinkunft ohnehin nicht möglich sei. 4. Die traditionellen Verfahren der Konfliktregelung setzen in der Regel auf die Kompromißstrategie, wenn eine andere Lösung entweder nicht erzwungen werden kann oder nicht hingenommen wird. Dabei wird von Positionen aus verhandelt, womit allenfalls in zweiter Linie Machtpositionen gemeint sind. Diese spielen zwar bei der Aushandlung eines Kompromißergebnisses verfahrensmäßig eine Rolle, aber für die Wahl dieser Strategie sind zunächst die inhaltlichen Positionen entscheidend; dies sind Positionen, die die Parteien z. B. in der öffentli-dien Diskussion eingenommen haben und nicht ohne Gesichtsverlust glauben aufgeben zu können. In einer solchen Situation wird die Kompromißstrategie gewählt, weil die Parteien einander nicht genug vertrauen, um eine gemeinsame Problemlösung zu erreichen, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, als die verfügbaren Ressourcen zu teilen und/oder weil sie über gleiche Machtpositionen verfügen, so daß niemand eine Lösung erzwingen kann. 5. Die Strategie der kooperativen Problemlösung geht demgegenüber davon aus, daß die vorgetragenen Positionen der Konfliktparteien nicht identisch sind mit den Interessen und Bedürfnissen, auf die der Konflikt letztlich zurückzuführen ist. Die Position beschreibt das Ziel, zu dem man sich entschieden hat; diese Entscheidung aber wird durch das Interesse bestimmt. Das Problem, das in einem Konflikt zur Lösung ansteht, wird also durch die Interessen definiert, und diese müssen nicht unbedingt so entgegengesetzt sein, wie die Positionen der Parteien es auf den ersten Blick nahelegen. „Behind opposed positions lie shared and compatible Interests, as well as conflicting ones.“ Die Strategie der kooperativen Problemlösung versucht also, die grundlegenden Bedürfnisse und Interessen der Konfliktparteien herauszuarbeiten, um den Spielraum für Alternativen erkennen und Handlungsoptionen entwickeln zu können. Auf diese Weise soll eine Lösung gefunden werden, die die Belange aller Parteien möglichst weitgehend berücksichtigt (Gewinner/Gewinner-Lösung) und daher von allen akzeptiert werden kann.
Die ADR-Verfahren orientieren sich an dieser Strategie der kooperativen Problemlösung und beinhalten daher ein ausgefeiltes Konfliktmanagement. Die entsprechenden Prinzipien und Techniken können von allen Beteiligten und von unparteiischen Dritten als Vermittler benutzt werden. Mit Konfliktmanagement ist die Anwendung von Theorien, Verfahren und Fertigkeiten gemeint, die dazu dienen, Konfliktprozesse zu strukturieren, Verschärfungen eines Konflikts unter Kontrolle zu halten, destruktive Entwicklungen zu vermeiden und einen produktiven Verlauf des Konflikts zu fördern. Es geht dabei um Problemlösungen sowohl in bezug auf die beteiligten Personen als auch auf die inhaltlichen Interessen. Konfliktmanagement soll dabei helfen, Parteien trotz substantieller Unterschiede zu einer produktiven Lösung des Konflikts zu befähigen. Was dies im einzelnen bedeutet, kann an dieser Stelle nicht im Detail dargestellt werden. Ebenso wenig ist hier die Frage aufzugreifen, wann bei einer Konfliktlösung durch Verhandlungen ein Vermittler (Mediator) einzuschalten ist. Vielmehr soll ein kurzer Blick auf den Verfahrensablauf bei Alternative Dispute Resulution geworfen werden. Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, ist der Prozeß der kooperativen Problemlösung in drei Phasen aufgegliedert. Die erste, hier als Vorverhandlungsphase bezeichnet, dient der intensiven und sorgfältigen Vorbereitung der eigentlichen Verhandlungen und soll auf der inhaltlichen wie auf der emotionalen oder psychologischen Ebene die Voraussetzungen für einen späteren Verhandlungserfolg schaffen.
Daran schließt sich die zweite, die eigentliche Verhandlungsphase an. Sie besteht im wesentlichen darin, daß alle Teilnehmer gemeinsam, einzeln oder in Untergruppen aufgeteilt, Vorschläge für eine Problemlösung erarbeiten, die sie insgesamt oder wenigstens teilweise als zufriedenstellend ansehen und also zum mindesten noch akzeptieren können. Diese Suche nach Optionen beginnt häufig mit Maximalforderungen, aber je länger die Parteien an dem Verhandlungsprozeß beteiligt sind, um so mehr verändert sich in der Regel das Arbeitsergebnis in Richtung auf Vorschläge, die auch die Interessen der jeweils anderen Parteien berücksichtigen. Dieser für das gesamte Verfahren sehr entscheidende Verhandlungsabschnitt ist meist sehr komplex und kann Perioden des Brainstorming und der Ideensammlung ebenso umfassen wie das Spiel mit verteilten Rollen, in welchem eine Partei Vorschläge entwickeln muß, die den Interessen der/einer anderen Partei entsprechen.
Eine wichtige Bedingung für die konkreten Erfolge, die mit den ADR-Verfahren in schwierigen Entscheidungssituationen erzielt werden können, ist darin zu sehen, daß sie nicht mit dem Verhandlungsergebnis enden, sondern eine Vollzugs-oder Nachverhandlungsphase sich anschließt. Hier müssen insbesondere formale Umsetzungsschritte der erzielten Ergebnisse beschlossen und entsprechende Kontrollmechanismen für die Überwachung des Vollzugs festgelegt werden.
3. Anmerkungen zum Entwicklungsstand und zu den Erfolgsbedingungen der ADR-Verfahren
Die als grobe Übersicht zu verstehende Darstellung der ADR-Verfahren kann nur andeutungsweise den durchdachten und von Anfang bis Ende kalkulierten Ablauf der Verfahren wiedergeben. Es dürfte aber deutlich geworden sein, daß sie als Ergänzung zu den traditonellen Entscheidungsverfahren insbesondere auf der Ebene der Entscheidungsvorbereitung erhebliche Vorteile besitzen. Sie bieten zudem gerade in den Fällen eines mehr politischen, gestaltenden Verwaltungshandelns einen Ansatz, verwaltungsmäßige Effizienz mit demokratischer Offenheit zu verbinden und damit auch den raschen Vollzug der Entscheidungen zu ermöglichen. Denn durch Art und Umfang der Interessenberücksichtigung können sie zu sachgemäßen und zugleich als legitim anzuerkennenden Entscheidungen führen und im Zweifelsfall auch den Gerichten nahelegen, die Sachgerechtigkeit der Interessenabwägung anzunehmen, was die Erfolgsaussichten einer Klage vermindern wird.
Gegenwärtig ist sicher nur schwer abschätzbar, welche Bedeutung diese Verfahren auf Dauer haben werden. Zur Zeit wird in den USA nur ein kleiner Teil der umweltpolitischen Konflikte auf diese Weise geregelt, aber ihre Zahl wird aufgrund der jüngsten Gesetzgebung deutlich zunehmen. Im Dezember 1990 hat der Präsident den „Administrative Dispute Resolution Act“ sowie den „Negotiated Rulemaking Act“ unterzeichnet. Das erste Gesetz bestimmt, daß jede der mehr als 80 Bundesbehörden einen ADR-Spezialisten einstellen und so oft wie möglich ADR-Verfahren zur Konfliktregelung einsetzen muß. Das zweite Gesetz erlaubt und hilft den Behörden, Mediation bei der Normsetzung auf Bundesebene anzuwenden, was in den vergangenen Jahren auch häufig praktiziert worden ist
Für die Vermutung, daß die Bedeutung zunehmen wird, sprechen aber nicht nur die oben genannten Gründe für die Einführung dieser Verfahren, sondern auch der Grad ihrer rechtlichen, institutioneilen und organisatorischen Unterstützung und Absicherung in den Bundesstaaten. Damit ist erstens auf die Tatsache verwiesen, daß etwa seit Mitte der siebziger Jahre im amerikanischen Umweltrecht Verhandlungsverfahren zunehmend vorgeschrieben werden allein im Jahr 1991 sind in den verschiedenen Staaten der USA 128 ADR-Gesetzesvorlagen eingebracht worden, von denen bis August 1991 44 verabschiedet und 39 zur Entscheidung anhängig waren. Zum zweiten haben inzwischen mehrere Staaten (u. a. Florida, Hawaii, Massachusetts, Minnesota, New Hampshire, New Jersey, Ohio, Oregon) öffentliche Zentren für Dienstleistungen in Mediation eingerichtet. Sie werden von den genannten Staaten sowie vom National Institute for Dispute Resolution finanziert und sollen jeweils landesweit Vermittlerdienste bei politischen Konflikten anbieten. Im Staat Virginia existiert ein „State Office of Dispute Resulutions Services“. Auch mehrere Bundesbehörden wie die Environmental Protection Agency, die Federal Highway Agency oder das US Army Corps of Engineers bieten solche Dienste sowie auch Schulung in Konfliktmanagement an. Zum dritten ist -teilweise auf wissenschaftlicher, teilweise auf privatwirtschaftlicher Ebene -eine Art Infrastruktur für Konfliktregelung oder -management entstanden: In vielen Staaten bieten Universitätsinstitute, Stiftungen, private Vereinigungen und Einzelpersonen entsprechende Dienstleistungen an; eine Reihe von Universitäten hat (Environmental) Conflictmanagement in das Lehr-und Studienangebot aufgenommen, mehrere Zeitschriften und Informationsdienste befassen sich ausschließlich mit Mediation oder Dispute Resolution und verschiedene Professional Dispute Resolution Associations bemühen sich um die weitere Durchsetzung dieser Verfahren.
Hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erfolg der alternativen Verfahren ist zunächst die Bereitschaft der Beteiligten zu erwähnen, das Problem lösen zu wollen durch ein gerechtes und faires Ergebnis, m. a. W. durch eine Bereitschaft zum Konsens. Die Grundannahme lautet, daß die konkreten Konflikte auf Probleme zurückgehen, die die Betroffenen lösen könnten, wenn sie tatsächlich wollten. Ohne diese Bereitschaft müssen die alternativen Verfahren versagen. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist eine Art Machtgleichgewicht zwischen den Beteiligten. Normalerweise verfügen die Vertreter traditioneller ökonomischer Interessen über mehr Macht, das Ergebnis zu beeinflussen, als z. B. die Vertreter von sozialen oder Umweltschutzinteressen. Diese Machtunterschiede können aber verringert bzw. in ihren Auswirkungen relativiert werden, wenn -Verhandlungen unvermeidlich sind, -alle Beteiligten an dem Ergebnis interessiert sind, -das Problem genau definierbar ist, -eine Frist zur Entscheidung gesetzt ist, -der Gegenstand verhandelbar ist sowie -die verfügbaren Informationen von allen geteilt werden.
Die Funktionsfähigkeit der ADR-Verfahren hängt schließlich auch davon ab, daß die Parteien sich gegenseitig vertrauen. Oft herrscht zwischen den Konfliktparteien aufgrund vorhergehender Erfahrungen ein wechselseitiges Mißtrauen vor. Um dieses abzubauen, müssen Vorbreitung und Verlauf des Verfahrens entsprechend gestaltet sein -am besten durch einen Mediator. Es ist ersichtlich, daß das vorangehende Verhalten von Konfliktbeteiligten eine wichtige Rolle spielt. Wenn z. B. Umweltgruppen kein Vertrauen darin haben, daß die andere Seite (Staat, Wirtschaft) tatsächlich eine gemeinsame Lösung will, ist die Tätigkeit eines Vermittlers von Beginn an unerläßlich.
Der kritische Punkt bei diesen Verfahren wird stets sein, ob die Vertreter von Gruppen in der Lage sind, ihre Organisationen oder diejenigen, die sie vertreten, auf das Ergebnis der Verhandlungen festzulegen. Das mag etwa bei Umweltschutzorganisationen schwierig und bei der Vertretung nichtorganisierter Bürger nahezu unmöglich sein. Gleichwohl spricht einiges dafür, daß das Verfahren die Glaubwürdigkeit objektiver Interessenabwägung und damit die Akzeptanz der Entscheidung erhöht, so daß derjenige, der das Ergebnis nicht akzeptiert, keine oder nur noch geringe öffentliche Unterstützung finden wird.
Die Kosten der ADR-Verfahren sind nicht unbeträchtlich. Sie werden in den USA vor allem von Stiftungen getragen, soweit keine staatliche Finanzierung erreicht werden kann. Susskind und Cruikshank kommen aber zu dem Schluß, daß die Kosten vergleichsweise niedrig sind, wenn sie mit denjenigen der traditionellen Verfahren verglichen werden und die Dauer der Entscheidungsprozesse bis zum endgültigen Vollzug in Rechnung gestellt wird
III. Das politische, rechtliche und soziale Umfeld für ADR
1. Das Umfeld in den USA Um die naheliegende Frage beantworten zu können, ob die Verfahren alternativer Konfliktregelung auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen werden können, ist ein Blick auf die Entstehungsbedingungen in den USA erforderlich
Der Hauptgrund wird in der neuen Konfliktsituation gesehen, die durch die erhöhte Regelungsdichte im politisch-administrativen System entstanden ist. Dies gilt insbesondere für den Umweltbereich, in dem nicht nur völlig neue Anforderungen an die Komplexitätsbewältigung und den Ausgleich divergierender Interessen gestellt worden, sondern für die Behörden zugleich die Aufgaben-definition verändert und der Entscheidungsdruck erhöht worden sind. Diese Entwicklung hat die Zahl, die Art und die Intensität der Konflikte wesentlich erhöht. Der traditionelle Weg der Konfliktlösung oder -regelung über die Gerichte erwies sich hier sehr rasch als Sackgasse; er konnte weder der Komplexität der Sachfragen, noch dem politischen Charakter der Konflikte gerecht werden und führte zudem zu einer hoffnungsvollen Überlastung der Gerichte mit jahrelangen Verzögerungen von Entscheidungen.
Zeitgleich mit dieser Entwicklung und entsprechend der Tiefe ihrer Eingriffe in private Lebensvollzüge entstanden neue Anforderungen im Blick auf Beteiligung der Bürger („public involvement“). Die Konfliktlage wurde dadurch weiter verschärft, und dementsprechend wuchs die Bereitschaft bei allen Beteiligten, neue Formen der Konfliktregelung zu akzeptieren.
Hinzu kamen Besonderheiten der amerikansichen „Rechtskultur“, die von ihren objektiven Voraussetzungen und den subjektiven Einstellungen her ohnehin zu einer Überbeanspruchung der Gerichte tendiert. Die amerikanische Gesetzgebung macht es den Bürgern und den Bürgerorganisationen relativ leicht, vor Gericht zu gehen. Damit ist einerseits eine großzügige Regelung des Klagerechts für einzelne wie für Verbände angesprochen und andererseits der vergleichsweise leichte Zugang zu gerichtsrelevanten Informationen z. B. durch den „Freedom of Information Act“.
Damit korrespondiert eine hochentwickelte subjektive Bereitschaft, individuelle Rechte (insbesondere Eigentumsrechte) als unantastbar anzusehen und gegen staatliche oder behördliche Entscheidungen gerichtlich vorzugehen. Diese Art der „litigious society“ verlangte aus zwei Gründen nach neuen Formen der Konfliktregelung. Zum einen führte sie zu einer vielfältig beklagten Über-belastung der Gerichte und zum anderen blokkierte die Überbetonung individueller Rechte allzuoft sozial verantwortliche Problemlösungen. Eine nur rechtliche Konfliktregelung führte daher häufig zu sehr verzögerten oder zu sozial unerwünschten Ergebnissen.
Daß ADR sich auf der politisch-administrativen Ebene durchsetzen konnte, kann sicher auch auf einige Besonderheiten in Politik und Verwaltung der USA zurückgeführt werden. -Die relative Unabhängigkeit der Verwaltungseinheiten (Districts, Cities, Counties, States) führt zu einer Vielzahl inner-und zwischenbehördlicher Konflikte und Blockierungen, die Verhandlungslösungen auch zwischen Behörden nahelegen -oft sogar unter Hinzuziehung eines neutralen außerbehördlichen Mediators. -Die rechtliche Regelungsdichte ist in den USA in manchen Bereichen (z. B. Wasser-recht) immer noch vergleichsweise gering. Für bestimmte Konflikte gibt es dann keine rechtlich vorgeschriebenen Regelungen. Das zwingt zur außergerichtlichen Einigung, wenn gegenseitige Blockierungen vermieden werden sollen. -Die Ausbildung der Mitarbeiter in der Verwaltung wird von amerikanischen Beobachtern in vielen Bereichen nicht als so gut angesehen, daß sie immer überschauen könnten, welche Schwierigkeiten im Einzelfall zu überwinden, welche Gutachten herbeizuziehen und welche Gutachter dafür einzuwerben sind. Hinzu kommt, daß in manchen Behörden wenig Juristen tätig sind -die Spitzen der Behörden sind selten juristisch ausgebildet -, so daß für diese die Gefahr besteht, z. B. bei umweltrelevanten Maßnahmen mit Klagen überzogen zu werden, die auf formalen Fehlem gründen. Das Verfahren des Aushandelns mit Hilfe eines erfahrenen und kundigen Mediators kann daher als eine sinnvolle Alternative erscheinen. -Die parteipolitische Orientierung der Verwaltungsmitarbeiter ist sehr gering. Damit fehlt eine parteipolitische Absicherung bei öffentlichen Konflikten, die Verwaltung kann von Senatoren und Abgeordneten politisch unter Druck gesetzt werden und ist daher in vielen Situationen selbst an „objektiven“ Verfahren und neutralen Vermittlern interessiert.
2. Das Umfeld in der Bundesrepublik Deutschland
Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß die durch eine erhöhte Problemdichte bedingte Konfliktsituation der Bundesrepublik sich von der in den USA nicht wesentlich unterscheidet. Diese Situation ist ein allgemeines Kennzeichen demokratischer Industriegesellschaften, die alle mit den Komplexitäts-und Akzeptanzproblemen der wissenschaftlich-technischen Zivilisation konfrontiert sind.
Für die Bundesrepublik stellen sich diese Probleme vielleicht noch schärfer, da sie erstens bei sehr dichter Besiedelung einen besonders hohen Industrialisierungsgrad aufweist, zweitens in der Umweltgesetzgebung einen vergleichsweise hohen Standard erreicht hat, drittens deutscher Gründlichkeit entsprechend von einer besonders feinmaschigen Regelungsdichte gekennzeichnet ist, viertens nach europäischen Maßstäben über ein weit verbreitetes Umweltbewußtsein verfügt und fünftes im politisch-administrativen System jahrhundertealte obrigkeitsstaatliche Traditionen vielleicht noch nicht völlig überwunden hat. Alles in allem sind dies außerordentlich günstige Voraussetzungen für das Entstehen einer vielgestaltigen Konfliktlandschaft!
Wie in den USA so entstanden auch in der Bundesrepublik parallel zu und mit den Umweltgesetzen neue Anforderungen und Regelungen von Bürger-oder Öffentlichkeitsbeteiligung. Wenn sie als Mittel zur Bewältigung des Komplexitäts-und Akzeptanzproblems gedacht gewesen sein sollten, so haben sie, zumindest was die Konfliktregelung angeht, eher kontraproduktiv gewirkt. Sie weckten Beteiligungserwartungen, die sie aufgrund einer obrigkeitsstaatlichen Ausgestaltung (z. B. bei öffentlichen Anhörungen) niemals einlösen konnten. Was z. B. in Genehmigungsverfahren, angefangen mit den Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes über das Bundesimmissionsschutzgesetz bis zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, den Anspruch auf „Öffentlichkeitsbeteiligung“ erhebt, erweist sich in der Praxis zumeist als eine partizipatorische Verzierung bürokratischer Entscheidungen. Zu einer vernünftigen Konfliktaustragung haben alle diese Regelungen und Verfahren jedenfalls nicht geführt, was wohl auch nicht zu erwarten war, denn die „öffentliche Anhörung“ ist dafür wirklich das am wenigsten geeignete Instrument.
Beim politischen Umfeld besteht also durchaus eine weitgehende Vergleichbarkeit zwischen den USA und der Bundesrepublik. Für den administrativen Bereich trifft dies -zumindest beim ersten Blick auf die oben erwähnten Besonderheiten -nicht zu. Die hohe Qualität der Ausbildung, insbesondere die dominante juristische Vorbildung der Verwaltungsmitarbeiter und nicht zuletzt der Spitzen der Verwaltung, sowie auch das Prinzip der Einheitsverwaltung lassen einige der in den USA beobachteten Probleme nicht entstehen. Es gibt freilich hinreichende Belege und Erfahrungen, die an der generellen Geltung von Neutralität und „hoheitliche Distanz“ der Verwaltung zweifeln lassen und den Schluß nahelegen, daß alternative Verfahren der Konfliktregelung auch im politisch-administrativen System der Bundesrepublik manche Probleme besser lösen lassen.
Was das rechtliche Umfeld für ADR angeht, so wird auch für die Bundesrepublik die Gefahr gesehen, daß sie sich auf dem Weg vom Rechtsstaat zum Gerichtsstaat befindet. Wesentlicher scheint aber an dieser Stelle die neue Verwaltungspraxis des kooperativen Verwaltungshandelns
Diese Praxis, bei welcher eine sachgerechte Entscheidung in engem Kontakt mit den Betroffenen erarbeitet wird, hat sich insbesondere bei komplizierten Genehmigungsverfahren durchgesetzt -sozusagen als der Runde Tisch in der Umweltpolitik. Freilich sitzen an dem Tisch nur die direkt an der Entscheidung Interessierten, die betroffenen Bürger bleiben meist außen vor. Vom Ansatz her zieht das kooperative Verwaltungshandeln die Konsequenz daraus, daß die gegenwärtigen Entscheidungsvoraussetzungen und -bedingungen neue Verfahren erfordern. Die aktuelle Praxis leidet noch daran, daß sie Beteiligung an der Entscheidungsvorbereitung zu stark selektiert und damit der Gefahr ausgesetzt ist, den Umfang der entscheidungsrelevanten Informationen, Wertungen und Interessen unnötig zu beschränken. Aber ein Anfang mit ADR ist hier -in gewissem Sinne -gemacht.
Auch im Hinblick auf die sozialen Voraussetzungen zeigen sich in der Bundesrepublik Tendenzen, die den Entwicklungen in den USA entsprechen.
Es entsteht ein wachsendes politisches Selbstbewußtsein der Bürger und parallel dazu ein neues Staatsverständnis, das den Staat von seinen Funktionen und Leistungen her definiert und nicht mehr als „Vater Staat“ personifiziert und glorifiziert. Die Folge ist, daß viele Bürger nicht mehr einfach hinzunehmen bereit sind, was „von oben“ kommt, sondern eine aktive Rolle in den Entscheidungsprozessen spielen wollen, die ihre Interessen betreffen Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Entscheidungen bestehende Gesundheitsund Umweltgefahren zu erhöhen drohen. Das gewachsene Risiko-und Umweltbewußtsein reagiert dann mit Mißtrauen und Widerstand -verständlicherweise um so heftiger, je weniger die Bürger über den Hintergrund der Entscheidung informiert oder an ihrer Vorbereitung beteiligt waren.
Bis die Frage beantwortet werden kann, unter welchen Bedingungen die ADR-Verfahren in der Bundesrepublik verstärkt angewendet werden können, sind noch weitere Untersuchungen erforderlich, die ihre Funktionsbedingungen, ihr Partizipationspotential sowie ihre sozialen, politischen und rechtlichen Voraussetzungen betreffen müssen Einer ihrer wesentlichen Grundgedanken, die Konsensorientierung, ist der deutschen politischen Tradition ja keineswegs fremd, und auch einer ihrer entscheidenden Verfahrensvorschläge, der Einsatz von Vermittlern -Hoffmann-Riem spricht von Verfahrens-und Konfliktmittlem -entspricht deutscher Rechtstradition ebenso wie politischer Praxis z. B. bei Tarifkonflikten. Daher besteht Grund zu der Annahme, daß die Anwendung dieser Verfahren in der Bundesrepublik, deren Anfänge z. B. von Striegnitz und auch in diesem Heft dokumentiert worden sind, zu weiteren positiven Antworten führen wird.
Horst Zilleßen, Dr. rer. pol., geb. 1938; Professor für Umweltpolitik und Umweltplanung und wiss. Leiter des „Mediator-Zentrums für Umweltkonfliktforschung und -management“ an der Universität Oldenburg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen der politischen Ethik, der Partizipation (insbesondere von Bürgerinitiativen) sowie der Umwelt-und Energiepolitik. Thomas W. J. Barbian, Dr. phil., geb. 1961; Geschäftsführer und wissenschaftlicher Koordinator des „Mediator-Zentrums für Umweltkonfliktforschung und -management“ an der Universität Oldenburg Veröffentlichungen u. a.: Umweltpolitik in Hessen, London-Worms 1990; Der Fall Hessen -Umwelt-politische Innovationsbarrieren trotz Rot-Grüner Koalition, in: Politische Bildung, 24 (1991) 2; Innovative Umweltpolitik qua Verfahren: Die Institution des Österreichischen Umweltanwaltes, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 15. (1992) 2.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).