Mediationsverfahren in der Umweltpolitik. Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland
Hans-Joachim Fietkau/Helmut Weidner
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Zusammenfassung
Die traditionellen Instrumente der Umweltpolitik und die Verfahrensweisen bei umweltrelevanten Planungen folgen in ihren Grundstrukturen und in praktischen Durchführungsformen einem staatszentrierten Weltbild. Es basiert auf vordergründigen Vorstellungen fachlicher Rationalität und hoheitlicher Neutralität. Dieses Verständnis ist jedoch brüchig geworden. Allgemeine politikwissenschaftliche Überlegungen, praktische Erfahrungen mit Umweltpolitik und Umweltplanung sowie die zunehmend erkennbaren Grenzen der Steuerbarkeit drängender Problemfelder (z. B. die Abfallproblematik in der Bundesrepublik Deutschland) auf der Grundlage naturwissenschaftlich-technischer Expertisen haben neue, konsensorientierte Politikprozesse mit Verhandlungscharakter in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Mit verhandlungsorientierten Problemlösungsprozessen, insbesondere mit Mediationsverfahren, liegen ermutigende Erfahrungen aus dem Ausland vor. In Mediationsverfahren wird unter Einschaltung eines neutralen Vermittlers und unter Beteiligung möglichst aller relevanten Akteure in einem Problemfeld versucht, außerhalb der üblichen, hoch verrechtlichten und öffentlich wenig akzeptierten Entscheidungsprozesse konsensuale Problemlösungen zu entwickeln. In der Bundesrepublik Deutschland liegen bislang nur wenig Erfahrungen mit Mediationsverfahren vor. Entsprechend ist die Diskussion über sie im wissenschaftlichen Raum wesentlich durch spekulative und normative Argumentationen gekennzeichnet. Durch die wissenschaftliche Begleitung eines laufenden Mediationsverfahrens zum Abfallwirtschaftskonzept des Kreises Neuss durch eine interdisziplinäre Forschergruppe des Wissenschaftszentrums Berlin wird erstmals in der Bundesrepublik ein Mediationsverfahren im Bereich der Umweltpolitik hinreichend systematisch beschreibbar. Obgleich sich dieses Verfahren erst in seiner Anfangsphase befindet, kann es bereits jetzt als eine sozialwissenschaftlich und politisch interessante Innovation gelten.
I. Zunahme an Umweltproblemen und Umweltregelungen
Der systematische Raubbau an begrenzten natürlichen Ressourcen, ein spürbarer Anstieg von Umweltbelastungen, Anzeichen für eine globale Umweltgefährdung, militante Entwicklungen in der Umweltbewegung, ein wachsendes ökologisches Protestpotential und erfolgreiche Blockaden öffentlicher und privater Vorhaben haben besonders in der Bundesrepublik Deutschland die Diskussion der Frage neu belebt, ob der Staat in fortgeschrittenen Industriegesellschaften überhaupt fähig ist, umweltzerstörerischen Trends in angemessener Weise gegenzusteuern. Die Plenumsvorträge des 18. Politologenkongresses im Jahr 1991 etwa thematisierten „Die Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des 20. Jahrhunderts“; in ihnen nahm das Umweltthema einen prominenten Platz ein Die zentralen Ergebnisse bestanden, kurzgefaßt, in der Diagnose eines weitgehenden Staatsversagens aufgrund einer realitätsfemen Allzuständigkeitsillusion und veralteter Steuerungsformen sowie in dem TherapieVorschlag, die für die Problemlösung inadäquaten hierarchischen, „imperativen“ Steuerungsmittel durch Verhandlungs-und Vermittlungsverfahren zu ergänzen. „Neue (flexible, kooperations-und konsensfördemde) Instrumente braucht der Staat“, so könnte man den Tenor der allgemeinen politiktheoretischen Debatte beschreiben, die der Umweltpolitikfeldforschung viele Anregungen verdankt. Eine Antwort der staatlichen Umweltpolitik hierauf blieb bislang aus; an ihrem etablierten „Dogmen-gerüst“ hält sie zumindest offiziell fest. Die Zunahme unproduktiver Konflikte läßt jedoch seit einiger Zeit die Bereitschaft wachsen, mit neuen Verfahren zu experimentieren, in denen partnerschaftlich verhandelt wird. Mediationsverfahren, in denen Streitparteien mit der Hilfe eines Vermittlers (Mediators) nach Kompromissen suchen, gehören zu diesem Typus.
Die umweltpolitische Programmatik der Bundesrepublik Deutschland steht der Anwendung kooperativer Konfliktregelungsformen nicht entgegen. Sie nennt neben dem Vorsorge-und Verursacherprinzip ausdrücklich das Kooperationsprinzip als Leitziel staatlichen Handelns. Durch die gebetsmühlenartige Wiederholung dieses Prinzips in offiziellen Reden zur Umweltpolitik wird sein progressiver Kern kaum noch bemerkt. Die Formulierung der Prinzipientrias in ihrem Gegensinn hilft, den hohen Anspruch in Erinnerung zu rufen: Vermieden werden sollen Nachsorge, die Belastung Unbeteiligter oder gar Betroffener und ein Gegeneinander der verschiedenen Akteure. Die umwelt-politische Realität liegt wohl näher am programmatisch Unerwünschten
Die breitere Anwendung von Verhandlungslösungen steht unter anderem vor dem Problem, daß in der deutschen Tradition der Staatstheorie die Vorstellung von einet'hierarchischen Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft dominant ist, aus der eine Allzuständigkeit des Staates für nahezu alle Gesellschaftsbereiche und seine Rolle als hierarchische Spitze abgeleitet wird. Die amtliche Umweltpolitik ist diesem staatszentrierten Weltbild prinzipiell gefolgt. In allen wesentlichen (und vielen nebensächlichen) Aufgabenbereichen des Umweltschutzes haben Staatsorgane weitreichende Gestaltungs-und Steuerungskompetenzen (und damit Regelungspflichten) an sich gezogen. In den besonders konfliktträchtigen Abfallfragen hat sich der Gesetzgeber gar -und ohne Not -zugunsten eines staatlichen Entsorgungsmonopols (und damit quasi für ein Selbstentsorgungsverbot!) entschieden, womit der öffentlichen Hand zugleich die Verantwortung für eine gesicherte Entsorgungsstruktur übertragen wurde.
Die seit einigen Jahren sehr lebhafte und pluralistische politik-und staatstheoretische Debatte, in der partizipative, nicht-hierarchische Willensbildungsund Entscheidungsverfahren stark befürwortet werden hat keinen spürbaren Einfluß gehabt; nach wie vor atmen umweltpolitische Regelungen den Geist eines hierarchischen Staatsverständnisses, der kritische Beobachter an „Allmachtsphantasien“ erinnert. Dem entspricht, daß konventionelle Umweltregelungen weiterhin den Hauptanteil an der staatlichen Normproduktion ausmachen -ein Trend, der nahezu unberührt von Regierungswechseln und entgegenstehenden politisch-programmatischen Äußerungen geblieben ist
Das wird nicht nur von Politikwissenschaftlern, sondern auch von Experten der Umweltökonomie in aller Deutlichkeit kritisiert. Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Horst Sichert, vermißt den „Mut, konsequent marktwirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik auch einzusetzen“ In einem Gutachten für das Umweltministerium monieren die Wirtschaftswissenschaftler Hansmeyer (langjähriger Vorsitzender des Sachverständigenrats für Umweltfragen) und Schneider den schrumpfenden Spielraum für flexible Instrumente der Umweltpolitik, was sie darauf zurückführen, daß Politik und Verwaltung ihr umwelt-politisches Heil überwiegend in einer Perfektionierung ordnungsrechtlicher Eingriffe sehen Der Jurist E. -H. Ritter formuliert denselben Sachverhalt noch drastischer, indem er die ordnungsrechtlich orientierte Umweltpolitik „mit der Pickel-haube“ an ihren Grenzen angelangt sieht. Die Entwicklung der Umweltsituation rechtfertigt wohl solche harschen Beurteilungen, denn nach einer in der Bundesrepublik Deutschland nunmehr zwei Jahrzehnte währenden systematischen (rechtlich-institutionell ausdifferenzierten) Umweltpolitik fallen die Ergebnisse insgesamt, trotz unbestrit-teuer Erfolge in Einzelbereichen, eher bescheiden aus
Das Krisenbewußtsein wird allgemein durch die Einsicht geschärft, daß von der Gesellschaft irreversible Zerstörungsprozesse in der Natur ausgelöst werden, die in ruinöser Weise auf die Gesellschaft zurückwirken. Die mögliche ökologische Selbstgefährdung der Menschheit, und nicht bloß Schäden und risikohafte Entwicklungen in Umweltteilbereichen, macht die Besorgnis aus, die auf strukturell angelegte Gegenmaßnahmen und eine größere Innovationsbereitschaft im politisch-administrativen System drängen läßt. Große Aufgaben erfordern und rechtfertigen üblicherweise die Änderung von „Weltbildern“ und politischen Mut zum Experiment mit Neuem. Die Einführung von kooperativen Verhandlungslösungen verlangt diese Qualitäten; sie geht über routinemäßige Politikänderungen weit hinaus, da sie, systematisch betrieben, den Firnis des Bildes von einem omnipotenten Staat(sapparat) angreift. Nach Ellwein besteht die Hauptaufgabe des Staates im ausgehenden 20. Jahrhundert darin, „neue Formen der Zusammenarbeit von Bürger und öffentlicher Hand zu legitimieren, wo es sie schon gibt oder zu entwickeln, wo sie noch fehlen. Damit wird die grundlegende Abkehr vom Staatsmodell des 19. Jahrhunderts erfolgen.“
II. Hierarchisches Staatsverständnis behindert umweltpolitische Verfahrensinnovationen
Abbildung 4
Tabelle 2: Rechtsförmige Problemlösungen versus Mediation
Tabelle 2: Rechtsförmige Problemlösungen versus Mediation
In allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Umweltproblemen befassen, ist inzwischen eine generelle Präferenz feststellbar für eine grundlegende Neugestaltung der umweltpolitischen Rahmenbedingungen und des Steuerungsinstrumentariums mit dem Ziel größerer Flexibilität, Partizipation und Dezentralisierung. Im politisch-administrativen System bewegt sich im Vergleich hierzu relativ wenig. Die Gesetzes-und Verordnungsmaschinerie läuft auf Hochtouren, um Alt-und sich bereits abzeichnende „Neulasten“ rechtlich in den Griff zu bekommen, doch findet das überwiegend in den alten Bahnen statt Zur „Entzauberung“ (H. Willke) der Allzuständigkeitsideologie des Staates haben empirische Politikfeldanalysen kräftig beigetragen, die zeigen konnten, daß die staatliche Steuerungskapazität und -fähigkeit zur Lösung der Umweltproblematik in modernen pluralistischen Industriegesellschaften überfordert ist. Angesichts dessen konstatierte Jänicke ein strukturelles „Staatsversagen“ im Umweltschutz
Obwohl Verhandlungslösungen als solche bei der Realisierung von Staatsaufgaben, also auch für den Bereich der Umweltpolitik, kaum noch strittig sind, stehen sie (besonders) in der Bundesrepublik Deutschland in einem schlechten Ruf. Der Pluralismus-und Neokorporatismustheorie gelten sie zwar als geeignete Mittel, um sozialverträgliche Problemlösungen in modernen komplexen Demokratien herbeizuführen, doch wird von „Umweltkritikem“ auf eine ökologische Blindstelle des Pluralismusmodells verwiesen: Interessen, die von einer Vielzahl von Menschen geteilt werden (sogenannte diffuse Interessen), sind schwer organisierbar und haben deshalb geringe Durchsetzungschancen in einem verbände-pluralistisch organisierten System
Daneben wird speziell an bisherigen Verhandlungslösungen kritisiert, daß sie oftmals unter dem falschen Schein einer autoritativen staatlichen Steuerung stattfinden. Dadurch werde das große Potential von Verhandlungslösungen, zu flexiblen, sachgerechten und konfliktmindernden Problemlösungen beizutragen, nicht ausgeschöpft, ja geradezu negativ gepolt, womit diese erfolgversprechende Methode unnötig diskriminiert werde. Umweltaktivisten und -Organisationen perzipieren oft Verhandlungsprozesse als Kungeleien, als eine „heimliche Allianz“ von Akteuren, denen wirtschaftliche Gesichtspunkte näher liegen als das ökologisch Gebotene und Mögliche
Auf der zentralen Ebene, auf der Gesetze, Verordnungen und die wichtigen Umweltstandards entschieden wurden, waren es primär Umweltorganisationen, die schlechte Erfahrungen mit Beteiligungsverfahren machten; sie erkannten zudem, daß staatliche Vertreter in den vielen Norm-und sonstigen Ausschüssen dem geballten Sachverstand der regelungsbetroffenen Unternehmen oftmals unterlegen waren *
Es sind mithin alle staatlichen Hierarchieebenen und förmliche sowie nichtförmliche Verfahren betreffende Erfahrungen, die ein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber der Gemeinwohlorientierung von Umweltpolitikern und -administratoren geschaffen haben; ein Mißtrauen, das mittlerweile -durch Entwicklungen in anderen Politikfeldern genährt -zu einem allgemeinen Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Parteien und staatlichen Organe geführt hat. Es verdient in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden, daß die unseres Erachtens zu Recht kritisierte Rolle von Staatsvertretern in umweltbezogenen Verhandlungslösungen nicht Resultat eines berufstypischen Manipulationswillens zu Lasten von Umweltinteressen ist; sie ist vielmehr in starkem Maße Ergebnis des strukturvermittelten Zwanges, an sich vernünftige (und vermutlich unumgängliche) Handlungsformen in ein Gewand zu kleiden, das vor den konventionell-normativen Staats-und Rechtsauffassungen Bestand hat. Sie setzen damit nicht nur sich selbst, sondern auch die Verfahren als solche ins Zwielicht.
Diese institutionell-normativen Ausgangsbedingungen sowie den konflikt-und erfahrungsgeschichtlichen Hintergrund muß man im Auge haben, wenn über die Erfolgschancen eines neuen, verhandlungsorientierten umweltpolitischen Weges in der Bundesrepublik nachgedacht wird, der nach dem Stand der politiktheoretischen Diskussion und, wie noch gezeigt wird, aufgrund ausländischer Erfahrungen große Meriten haben soll.
III. Moderne Steuerungsinstrumente des Staates
Quer durch die unterschiedlichen politiktheoretischen Grundpositionen ist unter ihren maßgeblichen Repräsentanten Übereinstimmung dahingehend festzustellen, daß der gesellschaftliche Steuerungsbedarf dramatisch gestiegen sei, die bisher vorherrschenden Steuerungsformen sich immer mehr als unzulänglich erwiesen, nicht-hierarchische, rahmengestaltende Steuerungsmittel verstärkt angewendet werden sollten und, schließlich, daß der Staat in seinem Steuerungsanspruch zwar bescheidener sein, jedoch nicht seine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe abgeben sollte. Vorgeschlagen wird, die Steuerungsformen „von gestern“ durch moderne zu ersetzen. Als modern gelten vor allem „weiche“ Steuerungsformen (Kontext-, informationelle und prozedurale Steuerung, konsens-und diskursförmige Arrangements). Sie sind in der umweltpolitologischen Diskussion seit längerem präferierte Steuerungsmittel zur ökologischen Modernisierung von Industriegesellschaften
Von den genannten Steuerungsformen erleben angesichts steigender Umweltkonflikte insbesondere konsens-und diskursförmige Willensbildungs-und Entscheidungsverfahren eine Renaissance. Es handelt sich hierbei um die Substitution oder Abschwächung autoritativ-hierarchischer Entscheidungen durch (vor allem Minderheiten oder formal-rechtlich schwach gestellte Gruppen berücksichtigende) Konfliktmanagement-Techniken, die in starkem Maße auf diskursive Verfahren und Verhandlungslösungen abstellen und zumeist über Vereinbarungen oder Satzungen abgesichert werden. Sie sind Ausdruck eines modifizierten Staats-verständnisses, gemäß dem die staatliche Steuerungsinstanz im Verhältnis zu den anderen gesellschaftlichen Systemen nur noch die Rolle eines „primus inter pares“ einnimmt und den betroffenen Akteuren die Möglichkeit gemeinsamer Ziel-findung systematisch einräumt.
IV. Mediationsverfahren
1. Alternative Konfliktregelungsverfahren
Im Arsenal angewendeter Umweltpolitikinstrumente moderner Prägung weist eines besonders große Schnittmengen mit den Anforderungen moderner Steuerungsformen auf: Es handelt sich um -in Anlehnung an den amerikanischen Terminus „alternative dispute resolution“ -soge-nannte alternative Konfliktregelungsverfahren, von denen das Mediationsverfahren in der Umweltpolitik nach ausländischen Erfahrungen als besonders erfolgreich gilt. Zu den (im Hinblick auf förmlich geregelte Verfahren) alternativen Konfliktregelungsverfahren gehören unter anderem normprogrammierende „Politikdialoge“, allgemeine Konventionen anstrebende „Branchen-dialoge“, die Institutionalisierung von Schlichtungs-, Moderations-und schiedsrichterlichen Verfahren sowie die partizipatorische Rechtsnormenentwicklung
Sie folgen dem Grundmuster „Konfliktbewältigung durch Verhandlungen“ Das gilt ebenfalls für Mediationsverfahren, worunter Verhandlungsprozesse verstanden werden, mit deren Hilfe Interessenkonflikte zwischen zwei oder mehr Parteien unter Hinzuziehung einer neutralen, vermittelnden Person (Mediator) beigelegt werden sollen. Der Mediator verfolgt hierbei keine eigenen Interessen und ist offen gegenüber allen Lösungen, die gemeinsam von den Beteiligten entwickelt werden. Seine Verantwortung bezieht sich primär auf die Verfahrensgestaltung, nicht auf die Problemlösung in der Sache. Das Ziel des Mediationsverfahrens besteht in der Suche nach Problemlösungen, die möglichst für alle am Konflikt beteiligten akzeptabel sind.
Das wechselseitige Ausloten von Handlungsspielräumen und die Suche nach neuen Lösungen in einem fairen Dialog sowie der Einbezug von Personen oder Gruppen, die in förmlichen Verfahren keine oder nur schwache Beteiligungsrechte hätten, ist für das Mediationsverfahren konstitutiv. Es basiert auf der Annahme, daß Konsense möglich sind und allen Beteiligten dienlicher sein können als Dauerstreit ohne echten Dialog, der zu einem unnötigen Verschleiß von vorhandenen Gemeinsamkeiten führt. Es baut auf den freien Gebrauch der Vernunft in der Hoffnung auf sachlich vernünftige, zumindest kompromißfähige Ergebnisse. Es läßt Konflikte zu, allerdings nur in einer Form, die nicht dialogzerstörend wirkt. Im Grunde ist es ein Verfahren, in dem unter den Beteiligten Konsens über den Umgang mit Konflikten und eine Hoffnung auf Kompromisse in der Sache besteht. Der Mediator fungiert als Hüter dieser Idee und gibt ihr Verfahrensregeln, deren Wächter er ist
Das Mediationsverfahren ist im weiten Sinne ein politisches Instrument. Instrumente haben Dienstfunktion. Sie müssen Probleme lösen, die ohne sie nicht oder schlechter lösbar wären, ohne daß immer von vornherein völlig klar wäre, welche Probleme damit gelöst werden können. Ähnlich verhält es sich mit Mediation. Viele finden sie nützlich, richtig und geboten, ohne daß ihnen im konkreten Fall deutlich wäre, wozu. Im politischen und wissenschaftlichen Raum erschien die Idee, Mediationsverfahren zu erproben und wissenschaftlich zu analysieren, wesentlich unter folgenden Hoffnungen akzeptabel: -Mediationsverfahren könnten helfen, teure und langwierige Planungsprozesse bei umwelt-relevanten großtechnischen Vorhaben zu vermeiden. -Mediationsverfahren könnten helfen, Akzeptanz für das Vernünftige -und das ist im Zweifel immer die eigene Ansicht (Position) -herzustellen. 2. Konfliktbezogene und konsensorientierte Problemlösungen Die steigende Notwendigkeit, umweltrelevante großtechnische Entscheidungen einem öffentlichen Diskurs auszusetzen und der Pluralität von Ansichten, Interessen und Emotionen Rechnung zu tragen, erfordert geeignete Entscheidungsverfahren Diese können in ihrer Grundstruktur eher auf Konflikt oder eher auf Konsens angelegt sein. Zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte haben sich eine Reihe von Lösungsinstrumenten herausgebildet. Sie werden von unterschiedlichen Akteuren gestaltet, sie gehorchen unterschiedlichen Maßstäben und bedienen sich unterschiedlicher Durchsetzungsinstrumente (vgl. Tabelle 1).
Die unterschiedlichen Konfliktinstrumente sind in realen Planungsverfahren vielfältig miteinander verwoben. So sind Mediationsverfahren nur im Rahmen der rechtlich vorgegebenen Entscheidungswege möglich. Zu diesen können sie aber eine sinnvolle Ergänzung deshalb darstellen, weil die Prinzipien, denen Mediation folgt, andere sind als die rechtsförmiger Verfahren (vgl. Tabelle 2). 3. Perspektivisches Denken Mediationsverfahren erfordern die Anerkennung der Positionen anderer Konfliktbeteiligter als gleichermaßen berechtigt. Die eigene Position darf nicht als die einzig richtige oder moralisch vertretbare aufgefaßt werden. Die eigenen Urteile, wie die von anderen, müssen in Mediationsverfahren eher als unterschiedliche Betrachtungsweisen (Perspektiven) und weniger als sich wechselseitig ausschließende Urteile verstanden werden
Entscheidend hierbei scheint die Auffassung zu sein, die jemand gegenüber den Möglichkeiten hat, das Wahre und Richtige zu erkennen. Eine Grundhaltung (1), die davon ausgeht, daß bei entsprechend gründlicher und sachgerechter Analyse ein Problem richtig erfaßt und daß auf dieser Basis eine richtige Problemlösungsstrategie entwickelt werden kann, steht im Widerspruch zu den Grundgedanken, die zu einem Mediationsverfahren füh(ren. Ausgangspunkt von Mediationsverfahren ist die Annahme (2), daß es zumindest einige mögliche und im Prinzip gleichwertige, wenn auch im Ergebnis verschiedene, Problemanalysen und Problemlösungswege geben kann.
Bei einer Entscheidungsfindung, die unter dem erstgenannten Annahmekomplex erfolgt, geht es darum, die Problemanalyse richtig zu vollziehen und daraus die richtigen Schlußfolgerungen zu treffen. Im zweiten Fall -bei Mediationsverfahren -geht es darum, angesichts einer möglichen Vielfalt gleichberechtigter Problemanalysen und Problemlösungsstrategien einen gangbaren Weg zu finden, der allen Sichtweisen möglichst gerecht wird
V. Mediation in der Praxis 1. USA, Japan und Europa Mehr noch als in Japan, das eine lange Tradition der „versöhnlichen Streitbeilegung“ mit Hilfe von Vermittlern hat, werden Mediationsverfahren zur Regelung von größeren Umweltkonflikten in den USA angewendet. Dort wird sogar von einem „Mediation-Boom“ gesprochen; nahezu alle etablierten unabhängigen Umweltorganisationen sind an solchen Verfahren beteiligt oder fördern sie aktiv. Die steile Karriere von Mediationsverfahren in den USA wird primär darauf zurückgeführt, daß sie Partizipations-und Einflußmöglichkeiten von Umweltbetroffenen erweitern und damit -im Vergleich zu konventionellen Verfahren -umwelt-adäquatere und sozialverträglichere Ergebnisse ermöglichen; in kritischer Perspektive wird aber auch auf die mit den Professionalisierungstendenzen verbundenen Eigeninteressen von Mediatoren und Mediationsinstitutionen verwiesen, die durch einseitig-positive Berichterstattung die Nachfrage stimulierten Da über den Stand der Mediationspraxis in den USA inzwischen zahlreiche gut zugängliche Publikationen vorliegen wird hierauf im folgenden nicht eingegangen.
Im Vergleich zu den USA, Japan, aber auch Kanada sind in europäischen Ländern Mediationsverfahren im Bereich der Umweltpolitik theoretisches und praktisches Neuland. Mediationsverfahren im „klassischen“ Sinne, das heißt den in den USA entwickelten Grundprinzipien folgend, finden sich allenfalls in Österreich, der Schweiz und in den Niederlanden, aber auch hier ist die Phase der Implementation einer aus dem Mediationsprozeß resultierenden Vereinbarung unseres Wissens noch nicht erreicht worden. Demgegenüber sind in den genannten und etlichen weiteren europäischen Ländern andere Formen alternativer Konfliktregelungsverfahren, in denen verhandelt und ausgehandelt wird, gang und gäbe. Das gilt für zentralistisch aufgebaute Länder ebenso wie für dezentral organisierte, insbesondere dann, wenn die Vollzugsebene betrachtet wird (beispielsweise Großbritannien, Schweden, Frankreich und Italien).
In der jahrhundertelang von ausländischen Einflüssen isolierten japanischen Gruppengesellschaft bildeten sich eigenständige homogene Verhaltensweisen, soziale Rollen und eine spezifische Rechts-mentalität heraus, die auch heute noch von Einfluß sind. Konflikte wurden traditionell nicht auf der Basis individueller Rechte, sondern primär unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen für die Gemeinschaft gelöst. Die Konfliktlösung wiederum erfolgte nicht auf der Basis einer förmlich geregelten Austragung von Streitigkeiten, sondern entsprechend dem japanischen Harmoniebedürfnis wurde versucht, Streitigkeiten zu vermeiden und eine Lösung durch gegenseitiges Nachgeben zu erzielen, wobei in aller Regel Konflikte durch Vermittlung anderer Personen oder Instanzen innerhalb der Gruppen beigelegt wurden. Zwar hat Japan seit der Meiji-Reform im Jahre 1868 seine Rechtsordnung in Anlehnung an westliche Vorbilder grundlegend modernisiert, doch die gegenwärtige japanische Rechtspraxis und Rechtsmentalität ist immer noch stark von der Tradition geprägt: „So gibt es in Japan eine Vielfalt gesetzlicher und außergesetzlicher Verfahren, Streitigkeiten ohne Prozeß beizulegen.“
Aufgrund der außerordentlich heftigen Umwelt-konflikte in den sechziger Jahren wurde im Umweltbasisgesetz von 1967 die Grundlage zur spezialgesetzlichen Regelung von außergerichtlichen Verfahren gelegt. Darin wird die Regierung beauftragt, Verfahren zur Beilegung von Umweltstreitigkeiteri in Form der Vermittlung, der Schlichtung und des Schiedsverfahrens, einschließlich der Berücksichtigung von monetärem Schadensausgleich, zu schaffen. Dies erfolgte 1970 durch das „Gesetz zur Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Umweltschäden“ und 1972 durch das „Gesetz über die Errichtung eines Ausschusses zur Regelung von Umweltschäden“
Insgesamt werden die Verfahren zur Streitbelegung (auch das Beschwerdesystem) hinsichtlich ihrer Effekte positiv bewertet. Sie gelten als relativ flexibel und bürgemah
2. Bundesrepublik Deutschland
Mediationsverfahren sind in der Umweltpolitik der Bundesrepublik Deutschland sehr rar, andere Typen sind häufiger vorzufinden. In nahezu allen Umweltbereichen finden sich gegenwärtig vor oder parallel zu den formalen Verfahren laufende Konfliktregelungsverfahren, die nach einem erweiterten Kooperationsbegriff Umweltschutz-und Nachbarschaftsinteressen einbeziehen; Abfall(entsorgungs) probleme machen die Mehrzahl der Fälle aus. Um nur einige Beispiele zu nennen, bei denen neue Formen der Konfliktregelung versucht werden: Standortsuche für eine Siedlungsabfalldeponie im Raum Hildesheim und für eine Sondermülldeponie im Regierungsbezirk Arnsberg; Gefährdungsabschätzung, Sicherung und Sanierung eines bewohnten Altlastgebietes in Wuppertal, Essen und Hamburg; Absicherung und Sanierung der Mülldeponie Vorketzin (Brandenburg); Sanierung einer Schlammdeponie in Bielefeld; Änderung einer Müllverbrennungsanlage in Bielefeld-Her-ford; Einrichtung eines Verkehrsforums zur Erarbeitung eines langfristigen Verkehrsleitbildes für Heidelberg; Entwicklung eines Sonderabfallkonzeptes für Niedersachsen; Einrichtung eines Arbeitskreises Abfallwirtschaft im Landkreis Osnabrück; Planung einer Hafenschlickdeponie in Hamburg; Sanierung von umweltbelastenden Quellen und Einrichtung von Umweltschutzanlagen in Unternehmen (Hamburg, Seelze); Prüfung der Umweltverträglichkeit der Produktion eines Pestizides in Hoechst und ein (vom Wissenschaftszentrum Berlin koordinierter) Diskurs zur Technikfolgenabschätzung des Anbaus von Kultur-pflanzen mit gentechnisch erzeugter Herbizidresistenz
In den genannten Fällen, die im Zusammenhang mit Raumordnungs-, Umweltverträglichkeitsprüfungs-, Planfeststellungs-, Genehmigungs-und sonstigen förmlichen Verfahren stehen, finden Gespräche in Arbeitsgruppen statt, werden Moderatoren, besondere Beauftragte oder Beratungsbüros mit der Aufgabe der Information und Kompromißfindung betraut. Eigentliche Mediationsverfahren, die auch vor den in den USA entwickelten Standards Bestand haben, sachlich und politisch-gesellschaftlich großdimensionierte Konfliktfälle behandeln und sich bereits in der Realisierungsphase befinden, gibt es in der Bundesrepublik nur zwei: die Mediationsverfahren in Münchehagen (Niedersachsen) und im Kreis Neuss (Nordrhein-Westfalen). Beide haben mit Abfallproblemen zu tun.
3. Mediationsverfahren in Münchehagen
Anlaß für die Einrichtung des Mediationsverfahrens waren jahrelange Kontroversen um die Deponie Münchehagen wegen des Verdachts illegaler Abfallablagerungen, Boden-und Wasserkontaminationen sowie Gesundheitsbelastungen. Im Verlauf der skandalreichen Geschichte erklärte ein Gericht die Deponie für rechtswidrig, es wurde eine Sonderkommission der Kriminalpolizei eingerichtet, und das niedersächsische Landesparlament setzte einen Untersuchungsausschuß ein. Die Kontrahenten -Vertreter des Landes, verschiedener Städte, Kommunen und Landkreise sowie mehrere Bürgerinitiativen -hatten sich zutiefst zerstritten. In dieser Situation wurde Meinfried Striegnitz, ein Mitarbeiter der in der Nähe der Deponie gelegenen Evangelischen Akademie Loccum, aktiv. Er organisierte und moderierte mehrere Fachgespräche, an denen sich nahezu alle relevanten Streit-Parteien beteiligten. Die grundsätzlich positiven Erfahrungen hierbei führten zur Idee, ein größer angelegtes Mediationsverfahren einzurichten. Das Vorhaben wurde mit Gründung des sogenannten Münchehagen-Ausschusses Ende 1990 realisiert, Meinfried Striegnitz wurde von der niedersächsischen Umweltministerin zum offiziellen Mediator bestellt. Die Finanzierung des Verfahrens trägt das Land Niedersachsen.
Das Mediationsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, die bisherigen Erfahrungen sind jedoch -ganz besonders angesichts seiner Pionierfunktion -sehr vielversprechend. Für einige hochkontrovers diskutierte Probleme konnten einvemehmliche Lösungen gefunden werden. Erste Ergebnisse einer Untersuchung des Mediationsverfahrens zeigen eine überwiegend positive Beurteilung des Verfahrens durch nahezu alle Beteiligten Besonders hervorgehoben wurde von den Befragten die positive Funktion des Mediators bei der Verbesserung der allgemeinen und sachbezogenen Kommunikation zwischen den Konfliktbeteiligten und zur Förderung des Problemlösungsprozesses.
Das zweite große Mediationsverfahren findet im Kreis Neuss zum Abfallwirtschaftskonzept des Kreises statt.
4. Das Mediationsverfahren im Kreis Neuss
Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) führt seit 1990 ein groß angelegtes, durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie gefördertes, sozialwissenschaftliches Forschungsprojekt zu Mediationsverfahren im Umweltschutz am Beispiel der Abfallproblematik durch. Als zentrales Untersuchungsobjekt wurde in Kooperation mit dem Kreis Neuss ein Mediationsverfahren zum Abfallwirtschaftskonzept des Kreises vorbereitet. Über dieses im Zentrum der Forschung am WZB stehende Neusser Mediationsverfahren hinaus werden Erfahrungen aus anderen in-und ausländischen Mediationsverfahren ausgewertet.
Mit diesem Forschungsvorhaben wird wissenschaftliches Neuland betreten. Ergebnisse sozialwissenschaftlicher (Evaluations-) Forschung zu Mediationsverfahren liegen für die Bundesrepublik bislang nicht vor. Die am weitesten fortgeschrittene angloamerikanische Forschung ist wegen anderer rechtlicher Rahmenbedingungen und einer anderen politischen Kultur in ihren Ergebnis-sen nur bedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbar. Sie ist aber auch methodisch insofern noch defizitär, als sie überwiegend Mediationsverfahren retrospektiv analysiert. Nur eine prozeßbegleitende Forschung, wie sie exemplarisch derzeit durch das Forschungsteam des WZB in Neuss erfolgt, ermöglicht es zu Ergebnissen zu kommen, die nicht durch die Erinnerungen der Beteiligten getrübt sind und die aufgrund der Unmittelbarkeit der Beobachtungen keine Verkürzungen hinnehmen müssen, die sich bei einer Analyse von Dokumenten (Protokollen) zwangsläufig ergeben. Diese forschungspraktisch sehr aufwendigen prozeßbegleitenden Analysen laufen zur Zeit; über sie kann erst zu einem späteren Zeitpunkt berichtet werden.
Im September 1991 hat der Kreistag Neuss ein Abfallwirtschaftskonzept beschlossen. Es soll sowohl die vom Gesetz geforderte „Entsorgungssicherheit“ langfristig gewährleisten, als auch den Vorrang von Vermeiden und Verwerten vor dem „Beseitigen“ des Abfalls in die Praxis umsetzen. Der verbleibende Müll soll verbrannt, die Verbrennungsrückstände sollen deponiert werden. Verschiedene Aspekte dieses Konzepts werden in der Bevölkerung zum Teil kontrovers diskutiert, vor allem die Notwendigkeit und Kapazität einer Müllverbrennungsanlage und die Standorte für neue Anlagen zur Sortierung, Verwertung (Kompostierung, Behandlung, Verbrennung) und Deponierung. Zu diesem Abfallwirtschaftskonzept initiierte das Wissenschaftszentrum Berlin in Kooperation mit der Kreisverwaltung ein Mediationsverfahren. Als Mediator konnte Professor Dr. Georges Fülgraff (ehemals Präsident des Bundesgesundheitsamtes, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium und Mitglied im Sachverständigenrat für Umwelt-fragen) gewonnen werden. Bei der Suche und Auswahl des Mediators orientierten wir uns an folgenden Kriterien, die von einem Mediator erfüllt werden sollten: Neutralität, fachliche und soziale Kompetenz, politische Erfahrung und allgemeine Reputation. Sowohl für die Durchführung «des Verfahrens als auch für die Person des Mediators fand sich weitestgehende Zustimmung im Kreis. Zur organisatorischen Betreuung des Verfahrens vor Ort wurde vom WZB eine Mediationsgeschäftsstelle im Kreis (Technologiezentrum Glehn) eingerichtet.
Nach längeren Vorverhandlungen und zahlreichen bi-und multilateralen Vorgesprächen des Media-tors mit den möglichen Verfahrensteilnehmern fand im März 1992 in Grevenbroich (Kreis Neuss) die erste gemeinsame Mediationssitzung statt. An ihr nahmen über 60 Personen teil, die rund 30 Organisationen und Institutionen aus Politik, Verwaltung, Naturschutzorganisationen, Bürgerinitiativen und Wirtschaft repräsentierten. Mit dieser Sitzung wurde das Mediationsverfahren eingeleitet. In einer zweiten Sitzung im Mai 1992 konnte ein erstes Ergebnis in der Sache erreicht werden: Es wurde quasi ein Moratorium beschlossen. Danach sollen keine Festlegungen, insbesondere durch das Handeln der Verwaltung, erfolgen, bis nach dem Vorliegen einer Reihe von Gutachten (deren Bearbeiter das Vertrauen der Bürgerinitiativen genießen) die Diskussion auf eine sachlichere Basis gestellt werden kann.
Im folgenden wird über die Erfahrungen berichtet, die wir im Prozeß der Vorbereitung des Verfahrens in Neuss sammeln konnten
Bestimmung des Teilnehmerkreises: Am Anfang des Mediationsverfahrens stellt sich die Frage, wer an dem Verfahren teilnehmen soll und wer darüber befindet. Sollen es alle Betroffenen sein, alle Interessierten oder alle diejenigen, die rechtlich oder politisch in den Planungsprozeß eingreifen können? In Vorbereitung des Neusser Mediationsverfahrens haben wir mit Verwaltungen auf unterschiedlichen Ebenen, Parteien, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, Industrieverbänden, Firmen und Kirchen gesprochen. Zu einem ersten Treffen wurden alle uns bekannten Interessenten eingeladen. Es kamen rund 60 Personen aus rund 30 Organisationen. In einem so großen Kreis ist ein unmittelbar persönlicher Meinungsaustausch schwer möglich. Wenn zu einem Problempunkt jeder etwas sagt, führt das schnell zu Zeitproblemen. Spontaneität muß deshalb zwangsläufig durch eine gestraffte und zentralisierte Organisation des Sitzungsverlaufs zurückgedrängt werden. Wir vermuten deshalb für den weiteren Verlauf des Mediationsverfahrens eine Verringerung der Teilnehmerzahl. Die Gesprächsfähigkeit konnte durch die Durchführung von Kleingruppentreffen neben den großen Mediationssitzungen gewährleistet werden, in denen sachliche Einzelfragen für die große Mediationsrunde behandelt werden.
Gleichbehandlung: Die Gleichbehandlung aller am Mediationsverfahren Beteiligten ist Teil derGrundvoraussetzungen für Mediation. Dieser Ansatz kollidiert jedoch mit der politischen und rechtlichen Realität. Die Kreisverwaltung als Planungsbehörde für das Abfallwirtschaftskonzept und der Regierungspräsident als Genehmigungsbehörde haben aus diesen Funktionen heraus Sonderrollen (primus inter pares). Hieraus ergeben sich Konsequenzen für die rechtliche Konstruktion eines Mediationsverfahrens aber auch Schwierigkeiten für die soziale und politische Vorbereitung und Durchführung der Mediation. Diese Schwierigkeiten liegen sowohl im Selbstverständnis der Verwaltung als auch in ihrem Fremdbild.
Da die Kreisverwaltung das Abfallwirtschaftskonzept in der Sache konzipiert und den damit zusammenhängenden politischen Entscheidungsprozeß organisiert, kommt sie zwangsläufig in eine zwiespältige Haltung gegenüber dem Mediationsverfahren. Einerseits könnte das Mediationsverfahren einen Störfaktor im Gesamtablauf darstellen, andererseits wird aber auch die Chance gesehen, durch Mediation Konflikte geordnet und effizient auszutragen. Die Verwaltung hat natürlich ein Interesse daran, ihre Vorstellungen auch im Mediationsverfahren durchzusetzen. Sie ist insofern gleichzeitig Interessenvertreter und Sachverwalter des politischen Verfahrens. Als Hauptakteur wird sie damit aber auch zu einem hervorgehobenen Gesprächspartner bei der Vorbereitung des Mediationsverfahrens. Die sich daraus ergebende Nähe des Mediationsverfahrens zur Verwaltung weckt bei anderen Akteuren die Befürchtung, Mediation könnte lediglich ein Instrument für die Verwaltung sein, ihre Interessen besser durchzusetzen. Dies ist sicherlich auch richtig, jedoch unterscheidet sich die Verwaltung darin nicht von anderen Akteuren. Gleichwohl ergibt sich aus dieser Konstellation für den Mediator die Schwierigkeit, mit der Verwaltung eng zusammenzuarbeiten, weil sonst ein Mediationsverfahren kaum möglich wäre, sich andererseits aber nicht in die Verwaltungsinteressen einbinden zu lassen und dies auch nach außen deutlich zu machen.
Die glaubhafte Darstellung der Neutralität des Mediators wurde erheblich dadurch erleichtert, daß die Finanzierung seiner Aufgaben und die Finanzierung seines Büros in Neuss durch das WZB erfolgt, das hierbei auf Drittmittel zurückgreift Dennoch blieb bei Bürgerinitiativen und bei Vertretern der GRÜNEN zunächst die Skep sis, ob es hinter der nach außen proklamierten Neutralität nicht doch unausgesprochene Interessen beim Mediator und beim WZB gibt. Diese Befürchtung machte sie sensibel gegenüber einzelnen Verhaltensweisen des Mediators und des WZB. Das latente Mißtrauen ließ sich jedoch nach unserem Eindruck im weiteren Verfahrensverlauf abbauen.
Begleitforschung: Eine Besonderheit des Neusser Verfahrens liegt in seiner wissenschaftlichen Begleitung und damit verbunden darin, daß es durch eine Forschungseinrichtung initiiert wurde und finanziert wird. Dadurch kommt kein „normales“ Auftragnehmer-Auftraggeberverhältnis zwischen dem Mediator und dem Kreis zustande. Dies hat den Vorteil, daß sich die Neutralität des Mediators besser realisieren und darstellen läßt. Das hat aber den Nachteil, daß der Eindruck entstehen kann, der Mediator sei nicht gerufen worden, sondern habe sich selbst in das Verfahren gedrängt. Das „normale“ Ziel eines Media-tors, durch seine Arbeit Geld zu verdienen, wird durch ein nach außen diffus erscheinendes Forschungsinteresse überlagert. Diese Eigeninteressen des Mediators und des WZB lassen beide schwer kontrollierbar erscheinen -bis hin zu der Unsicherheit, was wohl in der wissenschaftlichen Dokumentation über die Beteiligten stehen wird und ob dies ihnen nicht vielleicht zum Nachteil gereichen könne.
5. Bedingungen für die Einleitung eines Mediationsverfahrens
Die Erfahrungen mit der Initiierung des Mediationsverfahrens im Kreis Neuss sowie die Erfahrungen anderer, die in diesem Bereich tätig sind lassen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Systematik) eine Reihe von Vorbedingungen benennen, die für die Einleitung von Mediationsverfahren wichtig sind: -Es muß eine (politische) Planungs-bzw. Entscheidungsaufgabe von mittlerer Komplexität bestehen, die keine eindeutig „richtige“ oder zumindest gesellschaftlich konsensuale Problemlösung erwarten läßt. -Alle Beteiligten, auf jeden Fall aber die zentralen Akteure, sollten die Erwartung haben, daß durch Verhandlungen das Ergebnis der Problemlösung und/oder der Problemlösungspro-zeß selbst für sie vorteilhafter ausfällt, als sie es von konventionellen (rechtsförmigen) Verfahren erwarten können. -Alle potentiellen Verfahrensbeteiligten sind auf das Verfahren vorzubereiten. Es ist ein Minimalkonsens zu erzielen, in dem die Formen des wechselseitigen Umgangs geregelt werden. -Für die Vorbereitung des Verfahrens ist ein Verantwortlicher notwendig, der für alle Beteiligten ansprechbar ist und ihr Vertrauen genießt. Zur Gewährleistung der Kommunikation unter den Beteiligten sowie zur Erledigung von organisatorischen und inhaltlichen Aufgaben wird eine Geschäftsstelle des Media-tors „vor Ort“ benötigt. -Das Problemfeld muß in groben Umrissen dargelegt werden, wobei sicherzustellen ist, daß seitens aller Beteiligter Beweglichkeit bezüglich ihrer Positionen gegeben ist. -Die beteiligten Gruppen und Institutionen müssen Personen benennen, die sie (möglichst kontinuierlich) im Verfahren vertreten. -Durch die Art der Finanzierung des Verfahrens darf keine inhaltliche Präjudizierung möglicher Lösungen erfolgen, auch aufkommender Verdacht in diese Richtung ist auszuräumen. -Das Verhältnis zwischen dem Mediationsverfahren und den für die Sache vorgeschriebenen förmlichen Verfahren ist weitgehend zu klären. -Der Umgang mit Presse und Öffentlichkeit für die Zeit des laufenden Verfahrens muß geklärt werden. -Die potentiell am Verfahren Beteiligten haben sich vorab auf einen Mediator, der das eigentliche Verfahren durchführen soll, zu einigen.
VI. Fazit
In der Bundesrepublik Deutschland liegen bislang nur in geringem Umfang Erfahrungen mit Mediationsverfahren im Umweltschutz vor. Allerdings ist es möglich, an ausländische Konzepte, die insbesondere in den USA, Japan und Kanada entwickelt wurden, anzuknüpfen.
Mediationsverfahren finden zunehmend Aufmerksamkeit in der Wissenschaft. Vor allem Juristen haben sich dieser Verfahrensmöglichkeit analytisch und normativ angenommen. Inzwischen blicken auch die Sozialwissenschaften verstärkt auf Mediationsverfahren. Die wissenschaftlichen Betrachtungen, die in der Bundesrepublik vorliegen, sind jedoch oft rein spekulativer Natur; sie entbehren notgedrungen der konkreten Erfahrung. Ob und wie Mediationsverfahren unter den rechtlichen Rahmenbedingungen und in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland erfolgreich durchgeführt werden können, ist derzeit noch offen. Dazu ist empirische Kärrnerarbeit angesagt; dem mag dann der institutioneile und theoretische „Überbau“ folgen.
Hans-Joachim Fietkau, Dr. phil., geb. 1946; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Abteilung Normbildung und Umwelt), Leiter des Mediationsprojektes. Veröffentlichungen u. a.: Bedingungen ökologischen Handelns, Weinheim 1984; (zus. mit M. Dierkes) Umweltbewußtsein -Umweltverfahren, Stuttgart 1988; Accident Prevention and Risk Communication in Environmental Protection: A Sociopsychological Perspective, in: Industrial Crisis Quarterly, (1990) 4. Helmut Weidner, Diplom-Politologe, geb. 1948; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Abteilung Normbildung und Umwelt), Leiter des Mediationsprojektes. Veröffentlichungen u. a.: Von der Schadstoffbeseitigung zur Risikoverhinderung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/77; (zus. mit P. Knoepfel) Luftreinhaltepolitik im internationalen Vergleich, 6 Bde., Berlin 1985; (zus. mit S. Tsuru) Environmental Policy in Japan, Berlin 1989.
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