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Ist Entwicklungshilfe noch zeitgemäß? | APuZ 9/1997 | bpb.de

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APuZ 9/1997 Ist Entwicklungshilfe noch zeitgemäß? Politisierung von Ethnizität in Afrika Ein Volk bricht nicht auf -Entwicklungspolitische Überlegungen zur Zivilgesellschaft in Tanzania Armut und Armutsbekämpfung in der Republik Südafrika

Ist Entwicklungshilfe noch zeitgemäß?

Hartmut Sangmeister

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit mit der „Dritten Welt“ ist seit ihren bescheidenen Anfängen in den fünfziger Jahren zu einem dauerhaften Engagement geworden. In letzter Zeit ist die staatliche Entwicklungspolitik allerdings zunehmend in die Kritik geraten. Ein grundsätzlicher Einwand gegen staatliche Entwicklungshilfe lautet, daß sie nicht mehr sei als ein Reparaturbetrieb für die negativen Auswirkungen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung. Weiterhin wird eingewendet, daß viele Empfängerländer von Entwicklungshilfe inzwischen ein Pro-Kopf-Einkommen erreicht hätten, das ihnen Entwicklung aus eigener Kraft gestatten müßte. In Ländern, die schon seit längerem über das ökonomische Potential verfügen, um die absolute Armut zu überwinden, seien ernsthafte Eigenanstrengungen zur Beseitigung der strukturellen und institutionellen Verursachungsfaktoren von Armut wichtiger als Zuschüsse, Kredite und technische Beratung von außen. Soll Entwicklungshilfe dazu beitragen, durch die Bereitstellung sachlicher, finanzieller und personeller Mittel Change-Prozesse selbsttragend zu machen, dann ist eine Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit auch mit den Ländern, die bereits höhere Pro-Kopf-Einkommen erreicht haben, in denjenigen Bereichen sinnvoll, in denen besondere Engpässe bestehen. Dies sind vor allem die Bereiche Bildung, Umwelt-und Ressourcenschutz sowie Armutsbekämpfung. In jedem dieser drei Aufgabenbereiche können durch Entwicklungszusammenarbeit zusätzliche Ressourcen, Erfahrungen und Know-how zur Verfügung gestellt werden. Dies setzt allerdings voraus, daß die Entwicklungszusammenarbeit ihren herkömmlichen Projektansatz weitgehend aufgibt; statt punktueller, unvernetzter Eingriffe auf der Mikroebene ist die Systemwirkung der Entwicklungszusammenarbeit auf der Meso-und Makroebene zu stärken, d. h., die Aktivitäten müssen sich zu einer zusammenhängenden Kette summieren oder zumindest komplementär zu sonstigen entwicklungsrelevanten Aktivitäten in dem Empfängerland sein. (Mit-) Entscheidend für die zukünftige Akzeptanz der Entwicklungspolitik dürfte letztlich sein, daß ihre Kooperationsangebote nicht nur als Instrumente (miß-) verstanden werden, der deutschen Wirtschaft den Weg in die Märkte der „Dritten Welt“ zu ebnen. Zukünftige Entwicklungspolitik wird sich daran messen lassen müssen, ob sie dazu beiträgt, Menschen zu entwickeln und nicht nur Dinge.

I. Das Milliarden-Geschäft Entwicklungshilfe

In dem Milliarden-Geschäft namens Entwicklungshilfe werden von bi-und multilateralen öffentlichen Institutionen weltweit jährlich mehr als 60 Mrd. US-Dollar umgesetzt Schätzungsweise 300 000 bis 500 000 Frauen und Männer sind rund um den Globus in der Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt 21; allein in den fünf großen internationalen Entwicklungsbanken sind rund 12 000 Mitarbeiter tätig, für die sich die Personal-und Verwaltungskosten pro Jahr auf etwa Milliarden US-Dollar summieren Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) seit ihren bescheidenen Anfängen in den fünfziger Jahren zu einem dauerhaften Engagement geworden. Insgesamt sind hierfür bislang mehr als 200 Mrd. DM aufgewendet worden. Derzeit betragen die öffentlichen Leistungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit jährlich rund 10 Mrd. DM -Ten-denz allerdings sinkend Mit knapp 0, 4 Prozent seines Bruttosozialprodukts wendet Deutschland für Entwicklungshilfe deutlich weniger als jene 0, 7 Prozent auf, die vor Jahren gegenüber den Vereinten Nationen als Ziel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit angekündigt worden waren.

Das „Millliarden-Geschäft“ der Entwicklungshilfe ist schon seit langem nicht mehr nur ein mehr oder minder exotisches Aktionsfeld für unverbesserliche Idealisten. Die Zeiten sind längst vorbei, in denen ahnungslose Beamte die sogenannte „Hilfe“ bürokratisch verwalteten, weit weg vom Bestimmungsort der Milliarden aus dem Budget des Entwicklungshilfe-Ministeriums; und längst vorbei sind auch die Zeiten, in denen gutwillige, aber unerfahrene do-gooders (Weltverbesserer) „vor Ort“ agierten, ohne recht zu wissen, was im Kampf gegen Hunger und Elend derjenigen zu tun sei, die aus hiesiger Perspektive als die „Unterentwickelten“ betrachtet und an der zumeist sehr kurzen Elle unserer eigenen Kultur gemessen wurden. Entwicklungszusammenarbeit wird heute -wie jedes andere Milliarden-Geschäft -professionell betrieben. Die sogenannten „Entwicklungsexperten“ können sich dabei eines durchaus positiven Berufsprofils erfreuen: Ein gewisses Charisma, Kreativität und Improvisationstalent hält ihnen die öffentliche Meinung zugute, auch Weltläufigkeit sowie die Bereitschaft, sich auf immer neue Fragestellungen einzulassen.

In letzter Zeit ist die Entwicklungshilfe allerdings zunehmend in die Kritik geraten. Die deutsche Öffentlichkeit sieht sich mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgekosten der Wiedervereinigung konfrontiert und ihr drohen substantielle Einschränkungen der eigenen sozialstaat-liehen Absicherung. In dieser Situation ist das Interesse an den Problemen „der Fremden“, „der Anderen“ tendenziell eher sinkend -und damit auch die Akzeptanz der Entwicklungspolitik. Zwar ist die Bereitschaft zur „Hilfe für die Armen“ in Lateinamerika, Afrika und Asien, wie sie sich beispielsweise im Spendenaufkommen kirchlicher Hilfswerke niederschlägt, nach wie vor beachtlich; und Meinungsumfragen zufolge haben etwa drei Viertel der deutschen Bevölkerung -auch in den neuen Bundesländern -im allgemeinen eine positive Einstellung zur Entwicklungshilfe Aber die staatliche Entwicklungshilfe droht zunehmend in Legitimierungsnöte zu geraten: Sie muß politische und wirtschaftliche Rechtfertigungen für den Ressourcentransfer in die Entwicklungsländer liefern, die von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Dies gilt vor allem für die EZ mit denjenigen Entwicklungsländern, deren Gesellschaften durch einen scharfen Kontrast zwischen Reich und Arm sowie durch erhebliche Glaubwürdigkeitsdefizite ihrer staatlichen Institutionen gekennzeichnet sind.

Nach mehreren Dekaden der Entwicklungszusammenarbeit ist ein Mythos an der Realität zerbrochen: der von entwicklungsökonomischen Theorien propagierte Mythos, den armen Ländern den „Königsweg“ weisen zu können, dem sie nur folgen müßten, um reich zu werden. Die Gleichung „Wirtschaftswachstum = Entwicklung“ ist in der „Dritten Welt“ in dieser trivialen Form nicht aufgegangen (und auch anderswo nicht), weder in der modernisierungstheoretischen Version, noch in den strukturalistischen Varianten. 1992 hat Ulrich Menzel einen entwicklungstheoretischen Nekrolog veröffentlicht Und in der Tat: Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des sozialistischen Blocks ist ja nicht nur rein numerisch die Unterscheidung zwischen erster, zweiter und dritter Welt obsolet geworden. Auch die strategischen Optionen für unterschiedliche Entwicklungswege haben sich seitdem deutlich reduziert. Die deutsche Entwicklungspolitik ist von diesen dramatischen Veränderungen nicht unberührt geblieben. Sie ist realistischer in der Einschätzung der Grenzen ihrer Möglichkeiten und Wirkungen geworden, die bislang zwischen den machtvollen Interessen der Wirtschafts-, Sicherheits-, Außen-und Innenpolitik insgesamt eher gering geblieben sind. Zudem hat die staatliche EZ begonnen, auf die Ausdifferenzierung der politischen, ökonomischen und sozialen Situation in den Entwicklungsländern mit einer regionen-spezifischenAkzentuierung ihrer Strategiekonzepte zu reagieren

Hinzu kommt, daß seit Anfang der neunziger Jahre mit den sogenannten „Spranger-Kriterien“ Rahmenbedingungen für die deutsche Entwicklungspolitik formuliert wurden, durch die bilaterale Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit konditioniert werden sollen: Die Mittelvergabe soll abhängig gemacht werden von der Wahrung der Menschenrechte und dem Vorhandensein rechtsstaatlicher Strukturen im Empfängerland, von einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen sowie von der Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns in den Empfängerländern, von einer Liberalisierung der Wirtschaftspolitik und der Förderung privatwirtschaftlicher Unternehmen Zumindest dem Anspruch nach will die deutsche Entwicklungspolitik insbesondere diejenigen Länder unterstützen, die sich um demokratische Verhältnisse sowie um eine wirtschaftlich leistungsfähige und sozial ausgeglichene Gesellschaftsordnung bemühen. Die „Spranger-Kriterien“ sollen vorrangig dem Politik-dialog mit den Partnerregierungen dienen und Entscheidungshilfen bei der Auswahl der Instrumente, Träger und Schwerpunkte der EZ bieten. Für die EZ bedeutet dies u. a. eine vermehrte Förderung von Maßnahmen zur Stärkung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen sowie die Unterstützung von Reformen zur Verbesserung der Partizipation aller Bevölkerungsschichten am Entwicklungsprozeß

In der entwicklungspolitischen Vergabepraxis sind die „Spranger-Kriterien“ bislang allerdings mit großer pragmatischer Flexibilität gehandhabt worden. Oder mit anderen Worten: Nicht immer kommen die „Spranger-Kriterien“ mit derselben Rigidität zur Anwendung. Zwar gelten der deutschen Entwicklungspolitik die Menschenrechte als universell gültig und schützenswert; aber bei der Ein-forderung ihrer Einhaltung wird gelegentlich durchaus auf andersartige kulturelle Traditionen und politische Verhaltensweisen der „Partner“ Rücksicht genommen (wofür nicht nur die Zusammenarbeit mit der VR China ein Beispiel ist). Dabei gerät jedoch bisweilen in Vergessenheit, daß Menschenrechte keine Handelsware mit Tauschwert sind.

II. Erfolge und Mißerfolge der Entwicklungszusammenarbeit

Fragt man nach Erfolgen und Mißerfolgen der bisherigen (bundes-) deutschen EZ, dann hängt die Antwort entscheidend von dem Bewertungsmaßstab ab, den man der Wirkungsprüfung zugrunde legt. Das Development Assistance Committee (DAC) der OECD-Geberländer hat in seinen 1992 verabschiedeten „Principles for Effective Aid“ Empfehlungen für das laufende (projektimmanente) Monitoring, die Projektfortschritts-und Abschlußkontrollen sowie für die Ex-post-Evaluierung der öffentlichen EZ-Maßnahmen formuliert Diese Empfehlungen werden zumindest teilweise bereits seit längerem in den Erfolgskontrollen berücksichtigt, denen Maßnahmen der deutschen bilateralen Technischen Zusammenarbeit (TZ) und Finanziellen Zusammenarbeit (FZ) seit 1970 kontinuierlich unterworfen sind. Wesentliche Kriterien der Evaluierungen, durch die für eine begrenzte Anzahl laufender oder bereits abgeschlossener EZ-Projekte und -Programme Gründe für den Erfolg oder Mißerfolg festgestellt werden sollen, sind Effektivität (Zielerreichungsgrad), Effizienz (Kosten-Nutzen-Relation) und entwicklungspolitische Nachhaltigkeit Als besonders schwierig hat sich bislang die Beurteilung der Nachhaltigkeit von EZ-Maßnahmen erwiesen, d. h., inwieweit positive Ergebnisse der EZ auch nach Beendigung der Fördermaßnahmen über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand haben

Gründe für Mißerfolge in der Entwicklungskooperation waren Fehleinschätzungen der ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen seitens der Projektplaner, unangepaßte Übertragung deutscher Planungstechniken oder Produktionsverfahren, Vernachlässigung des soziokulturellen Umfeldes oder mangelnde Berücksichtigung der ökologischen Konsequenzen der durchgeführten Maßnahmen. Kommt es zu einer Häufung weniger erfolgreicher EZ-Projekte in einem Land, dann kann dies u. a. ein Indiz dafür sein, daß die administrative Absorptionskapazität des Empfängerlandes überschritten wurde, mithin also eine „Überforderung“ stattgefunden hat. Entwicklungszusammenarbeit hat offensichtlich bei Gebern und Empfängern durchaus Grenzen.

Die Protagonisten von Entwicklungszusammenarbeit sind in der Regel von außen kommende Akteure (die „Geber“), die bereit sein müssen, sich zusammen mit internen Akteuren (den „Empfängern“) auf komplexe Regeln der Schaffung einer neuen Realität einzulassen; dies setzt die Beherrschung geeigneter Kommunikationsformen voraus, damit auf beiden Seiten keine blokkierenden Defensivhaltungen entstehen, die in der Vergangenheit so manches EZ-Projekt und -Programm haben scheitern lassen Nur wenn die (nationalen/regionalen/lokalen) gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hinreichend Berücksichtigung finden, unter denen durch Intervention von außen interne Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt werden sollen, nur dann läßt sich die latente Gefahr verringern, daß Projekte und Programme der EZ von der Zielgruppe abgelehnt werden oder diese sich gegen „Entwicklungsangebote“ als immun erweist. Im Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ sollte EZ dazu beitragen, die Steuerungs-und Problemlösungskompetenz der Zielgruppen so zu vergrößern, daß innovative Verhaltensänderungen möglich werden, die diese Gruppen in die Lage versetzen, ihre Lebensbedingungen selbständig und dauerhaft zu verbessern. Externe Innovationsangebote durch EZ werden von der Zielgruppe aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückgewiesen, wenn sie gegen bestehende Handlungsrechte verstoßen oder einen technisch-organisatorischen Komplexitätsgrad aufweisen, der die Zielgruppe mental, technisch-organisatorisch oder finanziell überfordert Neben dem Wissen um ökonomische und politische (Miß-) Erfolgsbedingungen der EZ müssen die Durchführungsorganisationen also auch hinreichende soziokulturelle Kompetenz erwerben, um die Effizienz und Nachhaltigkeit der von ihnen gesteuerten Maßnahmen zu erhöhen.

Trotz einzelner Mißerfolge genießt die deutsche Entwicklungspolitik vielen in Empfängerländern insgesamt ein recht hohes Ansehen. Neben Profes-sionalität und interkultureller Lernfähigkeit wird ihr zugute gehalten, daß sie ihre Kooperationsangebote in der Vergangenheit mit weniger sachfremden Konditionen verknüpft hat, als dies bei anderen Gebern häufig der Fall war. So wurde beispielsweise die Bindung von EZ-Leistungen an Lieferaufträge für Waren und Dienstleistungen aus dem Geberland in der (bundes-) deutschen EZ bis in die siebziger Jahre nur vereinzelt praktiziert. Seit den achtziger Jahren hat sich jedoch der Druck auf die Entscheidungsträger der Entwicklungspolitik spürbar erhöht, durch geeignete Maßnahmen unmittelbare Vorteile für die deutsche Wirtschaft sicherzustellen. Allerdings ist der bis Anfang der neunziger Jahre merklich gestiegene Anteil der Lieferbindung deutscher bilateraler ODA-Leistungen -der in verschiedenen Empfängerländern für deutliche Irritationen sorgte -wieder rückläufig, seitdem die OECD-Länder 1992 die Einhaltung einer strengeren Disziplin bei liefergebundener Entwicklungshilfe und bei Mischfinanzierungen (d. h. bei einer Verknüpfung von Mitteln aus dem Entwicklungshilfeetat und auf dem Kapitalmarkt aufgenommenen Finanzierungsmitteln) vereinbart haben

Zwischen den staatlichen deutschen Durchführungsinstitutionen der EZ hat sich folgende Aufgabenteilung herausgebildet: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) übernimmt im Auftrag des Bundesministeriumsfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die FZ, deren Zielsetzung es ist, durch Bereitstellung von Kapital das Produktionspotential einschließlich der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur in Entwicklungsländern besser nutzbar zu machen; die TZ wird im Auftrag des BMZ von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) durchgeführt. mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit von Menschen und Institutionen in Entwicklungsländern zu erhöhen, indem ihnen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, mobilisiert oder die Voraussetzungen für deren Anwendung verbessert werden. Im Laufe der Zeit haben sich die Durchführungsinstitutionen der deutschen EZ zunehmend professionalisiert, und das bedeutet auch: Sie haben steigende soziokulturelle Kompetenz und ein beachtliches Wissen über die spezifischen Entwicklungsbedingungen in den Empfängerländern und ihren Regionen erworben Durch verstärkte Kooperation zwischen den EZ-Akteuren konnten Komplementaritäts-und Synergieeffekte nutzbar gemacht werden. Denn Wissen aus dem entwicklungspolitischen Alltag und konzeptionelles Know-how bilden eine fruchtbare Synthese. Ein vielfältigeres und flexibleres Beziehungsmuster der EZ-Akteure ermöglicht Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch zwischen staatlichen Instanzen, relevanten Wissenschaftseinrichtungen der Entwicklungsländerforschung sowie Nichtregierungsorganisationen (NROs).

Bestehende Ansätze eines Dialogs zwischen staatlicher Entwicklungspolitik, Wissenschaft und NROs, die in den letzten Jahren entstanden sind, sollten daher deutlich intensiviert werden.

Die staatlichen Institutionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit haben sich bislang durchaus als lernfähig erwiesen; sie halten sich zugute, daß sie früher als andere Institutionen die Mängel und Fehler der EZ erkannt und daher auch früher als andere ihre Konzepte verbessert hätten. So hat beispielsweise die GTZ schon wesentlich früher als die Weltbank ein Monitoring-und Evaluierungssystem für ihre Projekte vorgelegt sowie flexibel einsetzbare Management-instrumente entwickelt Aber gerade diejenigen, die früher etwas besser machen als andere, werden zur Selbstgerechtigkeit verleitet und sind nur zögerlich bereit, eine Kultur der (Selbst-) Kritik zu akzeptieren. Die großen deutschen EZ-Institutionen haben lange Zeit auf Kritik von außen immer heftig reagiert, aber inzwischen verschweigen sie selbst nicht mehr, daß sie Fehleinschätzungen unterlagen, daß Fehlinvestitionen getätigt wurden und daß es gescheiterte Projekte gibt

Trotz vieler interner Verbesserungen sind die Planung und Durchführung von EZ-Projekten und -Programmen aber nach wie vor mit vermeidbar hohen Transaktionskosten und erheblichen Zeit-verzögerungen unnötig belastet, da die Durchführungsinstitutionen auf ungünstige Rahmenbedingungen in den Empfängerländern -bürokratische Genehmigungsverfahren, unvollkommene Rechtssicherheit, fehlende berufliche Grundkenntnisse, unzureichende Kommunikations-und Transport-wege etc. -nur sehr begrenzt einwirken können. Das „Geschäft Entwicklungshilfe“ muß unter ungleich schwierigeren Bedingungen abgewickelt werden als vergleichbare Planungs-und Implementierungsleistungen in Industrieländern.

III. Benötigt die „Dritte Welt“ noch Entwicklungszusammenarbeit?

Entsprechend der mittelfristigen Finanz-und Haushaltsplanung wird das deutsche Entwicklungshilfe-Budget in den kommenden Jahren stagnieren. Das ist nun freilich kein deutscher Sonderweg. Fast alle Industriestaaten sind inzwischen so mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigt, daß nur noch wenig Neigung besteht, sich mit dem Thema Entwicklungshilfe auseinanderzusetzen. Selbst traditionelle Freunde der „Dritten Welt“ wie die skandinavischen Staaten oder die Niederlande haben in den letzten Jahren ihre Entwicklungshilfe-Budgets deutlich gekürzt Gemessen an dem Bruttosozialprodukt ist die öffentliche Entwicklungshilfe der Hauptgeberstaaten inzwischen auf die niedrigste Quote gesunken, seit die Vereinten Nationen vor mehr als zwei Jahrzehnten 0, 7 Prozent als Zielgröße für den Ressourcentransfer im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit gesetzt haben. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika überhaupt noch Entwicklungshilfe der Industrieländer benötigen.

Ein grundsätzlicher Einwand gegen staatliche Entwicklungshilfe lautet, daß sie nicht mehr sei als ein Reparaturbetrieb für die negativen Auswirkungen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung; im günstigsten Falle könne Entwicklungshilfe lediglich wie Akupunktur bei einer chronischen Krankheit wirken. Würden die Industrieländer für die Produkte aus den Entwicklungsländern „faire“ oder „gerechte“ Preise zahlen (was immer das sein mag), dann seien Entwicklungshilfe-Almosen überflüssig. Zur Illustrierung dieses Einwandes ließe sich folgendes Rechenexempel vorführen: Die Zusage von 156, 44 Mio. DM für FZ und TZ, die beispielsweise Brasilien 1992 von Deutschland erhielt, bedeutete zirka eine DM pro Kopf der brasilianischen Bevölkerung; der gleiche Betrag wäre dem Lande zugeflossen, hätte es für die 1992 nach Deutschland exportierten 18 Mio. Tonnen Eisenerz 8, 69 DM je Tonne mehr erzielt 21. Bei einer solchen Argumentation bleibt allerdings unberücksichtigt, daß sich die unterstellten Preiserhöhungen am Markt eben nicht durchsetzen lassen und mithin der Zufluß von Entwicklungshilfe-Mitteln für die Empfängerländer zusätzliche Ressourcen bedeutet, die ihnen mit normalen kommerziellen Transaktionen nicht zur Verfügung stehen.

Ein zweiter grundsätzlicher Einwand gegen staatliche Entwicklungshilfe lautet, daß viele Empfängerländer inzwischen ein Pro-Kopf-Einkommen erreicht hätten, das ihnen Entwicklung aus eigener Kraft gestatten müßte. In Landern, die schon seit längerem über das ökonomische Potential verfügen, um die absolute Armut zu überwinden, seien ernsthafte Eigenanstrengungen zur Beseitigung der strukturellen und institutioneilen Verursachungsfaktoren von Armut wichtiger als Zuschüsse, Kredite und technische Beratung von außen. Nach Berechnungen der Weltbank wären beispielsweise im Falle Brasiliens Anfang der neunziger Jahre interne Transferzahlungen (ohne Verwaltungskosten und „Sickerverluste“) in Höhe von lediglich 1, 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausreichend gewesen, um die Armut zu eliminieren Der „Preis“ von rund, fünf Mrd. US-Dollar zur Beseitigung der Armut erscheint nicht unbezahlbar angesichts des brasilianischen BIP von über 460 Mrd. US-Dollar und auch nicht unerreichbar hoch angesichts der Fähigkeit des Landes, für den Import von Nukleartechnologie jährlich rund drei Mrd. US-Dollar aufzuwenden.

Bei einer ausschließlich am statistischen Durchschnittseinkommen der Entwicklungsländer orientierten Betrachtung werden Ökonomen kaum Schwierigkeiten haben vorzurechnen, daß eine Fortführung der Entwicklungskooperation mit vielen Staaten der „Dritten Welt“ nicht mehr notwendig sei. In der Tat sind derzeit von den rund 170 Entwicklungsländern in Afrika, Asien und Lateinamerika lediglich 48 als Least Developed Countries (LLDCs) eingestuft und insgesamt 64 als Low Income Countries (LICs); über 100 Entwicklungsländer gelten inzwischen als Middle Income Countries 23.Die Vergabe der Entwicklungshilfe-Mittel lediglich an die Länder mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen ließe freilich außer acht, daß auch in der Mehrzahl der Entwicklungsländer mit höherem Pro-Kopf-Einkommen nach wie vor gravierende Entwicklungsdefizite bestehen; auch ihnen fehlen sachliche, finanzielle und personelle Ressourcen, um Change-Prozesse selbsttragend zu machen. Wesentliche Faktoren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sind nur begrenzt verfügbar -wie z. B. hinreichend qualifiziertes Humankapital und materielle Infrastruktur. Eine Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit auch mit den Ländern, die bereits höhere Pro-Kopf-Einkommen erreicht haben, ist in den Bereichen sinnvoll, in denen besondere Engpässe bestehen: Dies sind vor allem die Bereiche Bildung, Umwelt-und Ressourcenschutz sowie Armutsbekämpfung.

Externe „Hilfe“ bei der Armutsbekämpfung in der „Dritten Welt“ mag als ethischer Imperativ verstanden werden, aber sie hat auch einen funktional-instrumentellen Charakter. Denn Entwicklungshilfe kann dazu beitragen, für bislang in Armut lebende Menschen wirtschaftliche und soziale Sicherheit zu schaffen und damit wesentliche Voraussetzungen einer dynamischen Wettbewerbsgesellschaft herzustellen, die auf der Kreativität und Motivation ihrer Mitglieder beruht. Durch Maßnahmen in den Bereichen Ressourcen-und Umweltschutz kann Entwicklungszusammenarbeit auch einen Beitrag zur ökologischen Sicherheit leisten, die in den „ökologischen Risikogesellschaften“ des Nordens und des Südens zunehmend gefährdet erscheint.

Zudem ist Entwicklungszusammenarbeit für viele Empfängerländer auch weiterhin dann nützlich, wenn sie durch Unterstützung von (Aus-) Bildungsmaßnahmen zur Stärkung technologischer Kompetenz beiträgt. Denn hinreichende technologische Kompetenz (d. h. die Fähigkeit, Technologieangebote zu kennen, zu bewerten, anzupassen und weiterzuentwickeln) ist Voraussetzung für die Nutzung eines relativ breiten Spektrums von Einfach-bis Hochtechnologien; eine solche technologische Kompetenz ist sowohl für die Bekämpfung der Armut erforderlich wie auch für die Durchsetzung umweltverträglicher Produktionsprozesse und die Erreichung systemischer Wettbewerbsfähigkeit Die Volkswirtschaften der Entwicklungs-länder sind gezwungen, ihre Standortbedingungen zu verbessern, da sie im internationalen Wettbewerb um Investitionen, um Kapital sowie um Exportchancen stehen. Ihnen stellt sich daher die Aufgabe, nach Dekaden der Binnenmarktorientierung die Weltmarktorientierung zu unterstützen, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöhen, sowie die Voraussetzung für eine intensivere Einbindung in die Weltwirtschaft zu verbessern

In jedem der drei Aufgabenbereiche -Bildung, Umwelt-und Ressourcenschutz sowie Armutsbekämpfung -können durch Entwicklungszusammenarbeit zusätzliche Ressourcen, Erfahrungen und Know-how zur Verfügung gestellt werden. Dies setzt allerdings voraus, daß die Entwicklungszusammenarbeit ihren herkömmlichen Projektansatz weitgehend aufgibt; statt punktueller, unvernetzter Eingriffe auf der Mikroebene -ein Brunnen hier, ein Zementwerk dort -ist die Systemwirkung der Entwicklungszusammenarbeit auf der Meso-und Makroebene zu stärken, d. h., die Aktivitäten müssen sich zu einer zusammenhängenden Kette summieren oder zumindest komplementär zu sonstigen entwicklungsrelevanten Aktivitäten in dem Empfängerland sein.

Wenn die deutsche Entwicklungspolitik die „Spranger-Kriterien“ bei der Vergabe staatlicher Leistungen ernst nimmt, dann wird sie nicht umhinkommen, zunehmend auch außerhalb der etablierten Formen der EZ zu agieren. Wenn eine „Partnerregierung“ Menschenrechte mißachtet oder kulturelle, soziale und wirtschaftliche Partizipationsrechte bestimmter Bevölkerungsgruppen (z. B. ethnischer Minderheiten) beeinträchtigt, dann ist auf der zwischenstaatlichen Ebene die Zusammenarbeit in Frage zu stellen, und es müssen alternative Kooperationsformen entwickelt werden. Eine stärkere Einbeziehung von NROs und privaten Akteuren wird inzwischen auch von der staatlichen EZ als Chance für die Mobilisierung der Entwicklungspotentiale in der „Dritten Welt“ gesehen; nichtstaatliche Akteure haben häufig einen besseren Zugang zu intermediären Organisationen (lokale Selbsthilfegruppen. Genossenschaften, Gewerkschaften etc.) und können dadurch einen wichtigen eigenständigen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaften in den Ent-wicklungsländern leisten Allerdings laufen auch NROs, die sich in der EZ mit Ländern der „Dritten Welt“ engagieren, Gefahr, in ihren gewohnten Geschäften und unter der Bürde ihrer vielfältigen Aufgaben in Routine zu erstarren Angesichts der „NRO-Proliferation“ muß durchaus kritisch geprüft werden, ob jedes „Hilfsangebot“ zweckmäßig ist. Die bisher zur Verfügung stehenden Evaluierungsergebnisse der EZ-Aktivitäten von NROs lassen bei einer Reihe von Projekten einen Mangel an Effektivität und Nachhaltigkeit erkennen in verschiedenen Entwicklungsländern (z. B. Ruanda, Somalia, Mosambik) sind Programme und Projekte der zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen weitgehend unkoordiniert in Gang gesetzt und nicht hinreichend systematisch auf ihre Wirksamkeit überprüft worden.

IV. Perspektiven der künftigen Entwicklungszusammenarbeit

Die Entwicklungszusammenarbeit wird in Zukunft differenzierter und stärker der Situation der Empfängerländer und ihrer Regionen angepaßt sein müssen. Neben einer inhaltlichen Konzentration auf Bereiche, in denen in den Empfängerländern erkennbare Defizite bestehen, werden die verfügbaren finanziellen Mittel in Zukunft auch auf eine geringere Anzahl von Empfängerländern verteilt werden müssen. Die sogenannten „Schwellenländer“, deren wirtschaftliche Situation es erlaubt, auf das interne und externe kommerzielle Finanzierungspotential zurückzugreifen, sollen bei der FZ nicht mehr berücksichtigt werden. Für eine Einschränkung der FZ spricht auch die Überlegung, daß gegebenenfalls die Gewährung langfristiger Kapitalhilfe zu Vorzugskonditionen eine Fehlallokation knapper Mittel begünstigen kann und notwendige Reformprozesse im Empfängerland (z. B. zur Förderung der internen Kapitalbildung) verzögert. Sofern in den wirtschaftlich fortgeschritteneren Ländern der „Dritten Welt“ entwicklungshemmende Know-how-Defizite bestehen, sollten sie aber auch weiterhin durch TZ unterstützt werden, um die großen Entwicklungsreserven in Schlüsselbereichen zu mobilisieren.

Die Entwicklungszusammenarbeit muß in einem sich rasch verändernden Entwicklungsländerumfeld operieren, für das sie in den fünfziger und sechziger Jahren weder in instrumenteller noch in institutioneller Hinsicht konstruiert wurde. Eingefahrene Denkstile und bürokratische Abwicklungsroutinen, haushaltsrechtliche Auflagen, Besitzstandsdenken und Eigeninteressen der development setters haben zumindest teilweise die erforderliche Anpassung der Entwicklungshilfe-Institutionen an Veränderungen in den Entwicklungsländern verzögert Unzureichende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der EZ an veränderte Rahmenbedingungen waren aber auch bedingt durch die Unterordnung entwicklungspolitischer Ziele unter andere Politikziele wie die der Agrar-, Außen-und Wirtschaftspolitik.

Andererseits ist die Legitimierung von Entwicklungshilfe-Routinen in der Öffentlichkeit zunehmend schwieriger geworden. Denn es herrscht die Auffassung vor, daß dort, wo die Rahmenbedingungen für Entwicklung gegeben sind, diese auch stattfindet und Entwicklungshilfe sich nach angemessener Zeit selbst überflüssig macht. Wo diese Rahmenbedingungen jedoch fehlen und Entwicklungszusammenarbeit auch nicht in der Lage ist, sie zu ersetzen, bewirkt sie wenig und erscheint insofern überflüssig. Diese Diagnose eines „Vergeblichkeitssyndroms“ von Entwicklungshilfe wird durch die vordergründige Berichterstattung vieler Medien verstärkt, die von den eklatanten Mißerfolgen und Ruinen der Entwicklungshilfe berichten, aber nur selten von den vielen kleinen Erfolgen und Verbesserungen

Von der oberflächlichen Diagnose der Vergeblichkeit von Entwicklungszusammenarbeit ist es nur ein kleiner Schritt hin zu der plakativen Forderung nach ausschließlicher Armutsorientierung der Entwicklungshilfe, d. h. zu der Forderung, der humanitäre Gesichtspunkt unmittelbarer Hilfebedürftigkeit solle Vorrang vor der Frage haben, inwieweit überhaupt Entwicklungspotentiale existieren, die mit Aussicht auf Erfolg gefördert werden können.

Eine solche ausschließliche Armutsorientierung der Entwicklungszusammenarbeit könnte allerdings überzogene Erwartungen wecken -die Erwartungen nämlich, durch Entwicklungshilfe sei Armutsbekämpfung wirksam für Millionen von Menschen zu leisten. Diese Erwartungen kann Entwicklungszusammenarbeit mit ihren begrenzten Mitteln niemals erfüllen. Die Entwicklungszusammenarbeit könnte daher bei einer ausschließlichen Armutsorientierung in eine „Legitimitätsfalle“ gegenüber der Öffentlichkeit geraten

Gerade die Entwicklungszusammenarbeit mit den besonders armen Ländern läuft zudem Gefahr, in eine weitere Falle zu geraten: in eine „Irrelevanzfalle“ Viele Entwicklungsländer haben für die westlichen Geberländer geostrategisch, politisch und wirtschaftlich erheblich an Bedeutung verloren. Ihre Exportangebote -einige Rohstoffe und unverarbeitete Agrarprodukte -werden auf dem Weltmarkt immer weniger nachgefragt. Sie können nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auch nicht mehr mit der Drohung, Partei für die Gegenseite zu ergreifen, Geld erhalten, das dann gegebenenfalls als Entwicklungshilfe deklariert wird. Vor allem Entwicklungsländer, die de facto für die Geber politisch und ökonomisch weitgehend irrelevant geworden sind, können sich auch nicht mehr des früher für lange Zeit sehr populären Arguments bedienen, daß die Industrieländer auf Kosten der „Dritten Welt“ lebten und sie daher in Form von Entwicklungshilfe gleichsam „Wiedergutmachung“ zu leisten hätten.

Wenn politische und ökonomische Motive für die Entwicklungszusammenarbeit mit zumindest einem Teil der Entwicklungsländer erheblich an Bedeutung verloren haben, dann gewinnen möglicherweise ethische Motive an Gewicht Humanitäre Solidarität könnte (wieder) ein Hauptargument für die Entwicklungszusammenarbeit werden, für den intergesellschaftlichen Ressourcentransfer zwischen den wohlhabenden Gesellschaften und den ärmeren Menschen dieser Erde genauso wie für die intragesellschaftlichen Transferzahlungen, die im Falle der Bundesrepublik

Deutschland inzwischen mehr als ein Drittel des Bruttosozialprodukts ausmachen. In einer rüder und an Humanität ärmer gewordenen Gesellschaft mag es tunlich sein, die Wohlhabenderen darauf zu verweisen, daß Reichtum in vielen Zeiten zu Dankbarkeit und Freigebigkeit verpflichtete; und wo Humanität nicht mehr als wünschenswerte Tugend gilt, dort mag Solidarität aus zum eigenen Vorteil eingesetzten Egoismus eingefordert werden oder aus berechnender Großherzigkeit.

Die zunehmende Globalisierung vieler Lebensbereiche, die das ökonomische, politische, soziale, kulturelle und ökologische Geschehen prägt, bedarf auch dessen, was der Philosoph Hans Jonas als „planetarische Verantwortungsethik“ bezeichnet hat. Denn ohne internationales Regelwerk im Sinne einer globalen Verantwortungsethik wird die Weltgesellschaft weiter so funktionieren wie bisher: als eine Art Dreiparteiensystem, in dem zwei Parteien um Gewinn und Verlust spielen, während die dritte Partei von dem Spiel gänzlich ausgeschlossen bleibt. Es ist jener Teil der Menschen (derzeit immerhin mehr als eine Milliarde der aus eigener Kraft seine wirtschaftliche und soziale Situation nicht mehr verändern kann. Von dem Armutsproblem bleiben auch die Gesellschaften der Geberländer nicht verschont, deren soziale Peripherien sich zunehmend vergrößern. Globalisierung ohne globale Verantwortungsethik bedeutet im Süden wie im Norden die Verbreiterung und Verschärfung sozialer Ungleichheit. Folglich muß die Globalisierung der Märkte durch die Politik „nachgestaltet“ werden, wenn es gelingen soll, ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit für alle zu erreichen. Integrale Bestandteile eines globalen Leitbilds zukunftsfähiger Entwicklung sollten daher Effizienz, Suffizienz und sozialer Ausgleich sein

Der rasch fortschreitende Prozeß weltweiter Umweltzerstörungen, die Bilder von menschenverachtender Grausamkeit und Gewalt, die Angst vor Bevölkerungswachstum, Drogenhandel und Armutsflüchtlingen müssen allmählich zu der Erkenntnis führen, daß diese Probleme nicht isoliert gesehen werden können, nicht regional begrenzt oder begrenzbar, sondern daß sie von globaler Dimension sind. Eine solche Sichtweise ist Voraussetzung für die Aufwertung der Entwicklungspolitik zur Querschnittsaufgabe im Sinneeiner ressortübergreifenden Gesamtpolitik. So fordert der Vertrag von Maastricht in Artikel 130 v -neben Komplementarität und Koordinierung -die Kohärenz der europäischen Politik gegenüber der „Dritten Welt“: Entwicklungspolitische Ziele sollen auch bei der Außen-, Agrar-, Handels-und Umweltpolitik berücksichtigt werden. Entwicklungszusammenarbeit als Querschnittsaufgabe bedarf der aktiven Unterstützung und Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen. Entwicklungszusammenarbeit ist nicht nur eine staatliche Aufgabe, sondern auch eine genuine Aufgabe der Zivilgesellschaften in Geber-und Empfängerländern. Allein durch eine gelegentliche Zehn-DM-Spende an wohltätige Organisationen wie Brot für die Welt oder Misereor wird diese Aufgabe nicht erfüllt.

Es gibt (mindestens) drei Bereiche, in denen Solidarität und Eigeninteressen zusammenfallen können, in denen die Menschen in den Industrieländern mit den Menschen in anderen Teilen der Welt gemeinsame Interessen entdecken können. Dies ist der Fall in Problembereichen mit ökologischen, friedenspolitischen und langfristigen ökonomischen Aspekten. „Aufgeklärtes“ Eigeninteresse führt zumindest zu begrenzter Solidarität, nämlich in Bereichen, in denen unterlassene Solidärität auch für die „Geber“ selbst negative Konsequenzen haben kann. Eigeninteresse sollte aber auch zu einer Veränderung der Produktions-und Konsum-muster in den westlichen Geberländern selbst führen. Denn das „ökologische Destruktionspotential“ ist in den westlichen Industriegesellschaften derzeit (noch) um ein vielfaches höher als in den übrigen Teilen der Welt. Nur wenn die Geberländer selbst Lernbereitschaft demonstrieren, kann ihre Entwicklungszusammenarbeit glaubwürdig bleiben. Die Industriegesellschaften, die sich gegenüber den Entwicklungsländern bislang überwiegend als Belehrungsgesellschaften verstanden haben, müssen zu Lerngesellschaften werden und bereit sein, mit anderen Kulturen Lerngemeinschaften zu bilden. Dies bedeutet, daß Entwicklungshilfe zwar auch als „Risikoprämie“ für fortdauernd geduldete Armut angesehen werden kann aber keineswegs lediglich als „Schutzgeld-Zahlung“, mit der sich die wohlhabenden Gesellschaften die Armen fernhalten und von den Gefährdungen der aus der Armut erwachsenden Übel freizukaufen versuchen, die ihnen aus den Entwicklungsländern zu drohen scheinen. Als präventive Investition für das Sicherheitsbedürfnis der eigenen Gesellschaft verstanden, würde Entwicklungshilfe vermutlich ebenso rasch das „Vergeblichkeitssyndrom“ zeigen wie zuvor als Instrument zur Ausrottung der Armut -selbst wenn die Geberländer bereit wären, wieder erheblich mehr Mittel dafür einzusetzen.

Humanitäre, aber auch politische und wirtschaftliche Gründe sprechen dafür, Entwicklungshilfe nach wie vor als sinnvoll zu bewerten -sofern sich die Entwicklungspolitik dem wandelnden Bedarf in den Empfängerländern ständig neu anpaßt. Aber auch wenn das komplizierte Entwicklungshilfesystem sich anpassungs-und lernfähig zeigt, kann die Entwicklungszusammenarbeit stets nur subsidiär und komplementär zu den Eigenanstrengungen der Empfängerländer sein; sie kann lediglich Aktivitäten unterstützen, für die der Empfänger die endgültige Verantwortung trägt. Dabei müssen Geber und Empfänger ein Interesse an der besten Verwendung der knappen öffentlichen Mittel haben, und beide tragen hierfür Verantwortung. (Mit-) Entscheidend für die zukünftige Akzeptanz der Entwicklungspolitik dürfte sein, daß ihre Kooperationsangebote nicht nur als Instrumente (miß-) verstanden werden, der deutschen Wirtschaft den Weg in die Märkte der „Dritten Welt“ zu ebnen. Denn letztendlich wird sich die zukünftige Entwicklungspolitik daran messen lassen müssen, ob sie dazu beiträgt, Menschen zu entwickeln und nicht nur Dinge. Und das bedeutet: Ziel von Entwicklung muß das Vorhandensein körperlichen, sozialen und mentalen Wohlbefindens in einer lebenswerten Umwelt sein, als notwendige Voraussetzung für Selbstverantwortlichkeit und Partizipationsfähigkeit der Menschen. In diesem Sinne verstanden, ist das Recht auf Entwicklung ein universelles, unteilbares Menschenrecht. Und in diesem Sinne bleibt „Entwicklungshilfe“ auch weiterhin zeitgemäß!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Zehnter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Deutscher Bundestag, Drucksache 13/3342, Bonn 1995, S. 167.

  2. Vgl. Gabriele Köhler, Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftswissenschaftler in der Entwicklungspolitik, in: Thomas Schmidt-Schönbein u. a. (Hrsg.), Ökonomie und Gesellschaft. Jahrbuch 10, Frankfurt am Main -New York 1993, S. 283.

  3. Vgl. International Bank for Reconstruction and Development/International Monetary Fund (Hrsg.), Serving a Changing World. Report of the Task (Force on Multilateral Development Banks, Washington, D. C. 1996, S. 20. Von den fünf größten multilateralen Entwicklungsbanken ist lediglich die Weltbank global tätig; Inter-American Development Bank (IDB), African Development Bank (AfDB), Asian Development Bank (AsDB) sowie European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) haben ein regional begrenztes Aktionsfeld.

  4. Entsprechend den Kriterien des Development Assistance Committee (DAC) der OECD werden Leistungen als öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance -ODA) gewertet, wenn sie a) von öffentlichen Trägern erbracht sind, b) die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und die Hebung des Lebensstandards im Empfängerland als Hauptziel haben und c) ein „Zuschußelement“ (d. h. die Differenz zwischen Schenkungen und Leistungen zu Markt-bedingungen) von mindestens 25 Prozent enthalten.

  5. Vgl. BMZ (Anm. 1), S. 160.

  6. Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), Politik und Leistungen der Mitglieder des Ausschusses für Entwicklungshilfe: Deutschland, Schriftenreihe Prüfberichte über die Entwicklungszusammenarbeit 9, Paris 1995, S. 15.

  7. Vgl. Ulrich Menzel, Das Ende der „Dritten Welt“ und das Scheitern der großen Theorie, Frankfurt am Main 1992.

  8. Vgl. beispielsweise BMZ, Konzept für die Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika, Bonn 1992.

  9. Vgl. Thomas Wissing, Die gegenwärtige Diskussion über Kriterien bei der Vergabe staatlicher Entwicklungshilfe, Frankfurt am Main u, a. 1994.

  10. Vgl. BMZ(Anm. 1), S. 50.

  11. Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development, DAC Principles for Effective Aid, Paris 1992.

  12. Vgl. BMZ, Erfahrungen aus der Vergangenheit für Erfolg in der Zukunft. Auswertungen der in den Jahren 1990 und 1991 durchgeführten Evaluierungen, Bonn 1993, S. 15.

  13. Vgl. Reinhard Stockmann/Wolf Gaebe (Hrsg.), die Hilft Entwicklungshilfe langfristig? Bestandsaufnahme zur Nachhaltigkeit von Entwicklungsprojekten, Opladen 1993; Reiner Manstetten, Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit. Philosophische Bemerkungen zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung, Diskussionsschriften Nr. 236, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Heidelberg, Heidelberg 1996.

  14. Vgl. Mark Hobart (Hrsg.), An Anthropological Critique of Development: the Growth öf Ignorance, London 1993.

  15. Vgl. Gerald Braun, Nachhaltigkeit, was ist das? Definitionen, Konzepte, Kritik, in: R. Stockmann/W. Gaebe (Anm. 13), S. 35.

  16. Vgl. OECD (Anm. 6), S. 46.

  17. Vgl. BMZ, Sozio-kulturelle Fragen in der Entwicklungspolitik II, Bonn 1995.

  18. Vgl. E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit, 35 (1994), S. 123.

  19. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit/Kreditanstalt für Wiederaufbau (Hrsg.), 20 Fragen -20 Antworten. Zwei Institutionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit informieren, Eschborn -Frankfurt am Main 1995, S. 10 ff.

  20. Im Durchschnitt der Jahre 1990-1993 waren die skandinavischen Staaten aber immer noch die vergleichsweise großzügigsten Geberländer: Norwegen erbrachte ODA-Leistungen in Höhe von 1, 12 Prozent seines Bruttosozialprodukts, Dänemark in Höhe von 0, 99 Prozent und Schweden in Höhe von 0, 96 Prozent; vgl. International Bank for Reconstruction and Development, World Development Report 1995, New York -Oxford 1995, S. 196.

  21. Vgl. Hartmut Sangmeister, Die Entwicklungspolitik, in: Karl Kohut/Dietrich Briesemeister (Hrsg.), Deutsche in Lateinamerika -Lateinamerika in Deutschland, Frankfurt am Main 1996, S. 418.

  22. Vgl. International Bank for Reconstruction and Development, World Development Report 1990, New York -Oxford 1990, S. 51.

  23. Vgl. Wolfgang Hillebrand/Dirk Messner/Jörg Meyer-Stamer, Stärkung technologischer Kompetenz in Entwicklungsländern, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1993; Klaus Eßer u. a., Systemische Wettbewerbsfähigkeit. Internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Anforderungen an die Politik, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1994.

  24. Vgl. Klaus Eßer, Lateinamerika. Wettbewerbs-orientierung und Integrationsdynamik, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1994, S. 6.

  25. Vgl. BMZ (Anm. 8), S. 15.

  26. Vgl. Winfried Böll, Staat und Nicht-Regierungsorganisationen in der Entwicklungspolitik. Komplementarität oder Konkurrenz, in: Michael von Hauff/Werner Heinecke (Hrsg.), Komplementarität oder Konkurrenz? Zum Verhältnis von staatlichen und privaten Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit, Ludwigsburg -Berlin 1991, S. 32.

  27. Vgl. OECD (Anm. 6), S. 32.

  28. Vgl. G. Köhler (Anm. 2), S. 285.

  29. Einige mehr oder minder zufällig herausgegriffene Beispiele für diese Art von Berichterstattung: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. Dezember 1995 berichtete unter der Überschrift „Das Gift der guten Gaben“ von dem Schaden, den die internationale Hilfe in Afrika angerichtet habe; in derselben Zeitung vom 18. April 1996 wurde der Entwicklungspolitik gar bescheinigt, daß sie an ihrem ökonomischen Dilettantismus gescheitert sei. In der Wirtschaftswoche vom 24. April 1996 erfuhr der Leser, daß das Übermaß an westlicher Entwicklungshilfe den schwarzen Kontinent gelähmt habe.

  30. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMZ, Neue Akzente in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit während der nächsten Legislaturperiode, Bonn 1994, S. 9.

  31. Franz Nuscheler, Lern-und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, Bonn 19954, S. 33.

  32. Vgl. Manfred Kulessa, Die ethische Herausforderung des Nord-Süd-Konflikts, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 43 (1993) 1, S. 74-82.

  33. Vgl. International Bank for Reconstruction and Development/International Monetary Fund (Anm. 3), S. 1.

  34. Vgl. Eckhard Deutscher/Thomas Jahn/Bernhard Moltmann (Hrsg.), Entwicklungsmodelle und Weltbilder, Frankfurt am Main 1995.

  35. Vgl. Bernd Albrecht/Stephen Wehner, Modellansatz zur Bestimmung der Kosten von Entwicklungshilfe als Risikoprämie für fortdauernd geduldete Armut. Diskussionsschriften Nr. 52, Institut für international vergleichende Wirtschafts-und Sozialstatistik der Universität Heidelberg, Heidelberg 1996.

Weitere Inhalte

Hart mut Sangmeister, Dr. rer. pol. habil., geb. 1945; Professor für Entwicklungsökonomie und Wirtschaftsstatistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu entwicklungsökonomischen und wirtschaftsstatistischen Fragen; Mitherausgeber des Lateinamerika Jahrbuchs.