Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Armut und Armutsbekämpfung in der Republik Südafrika | APuZ 9/1997 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 9/1997 Ist Entwicklungshilfe noch zeitgemäß? Politisierung von Ethnizität in Afrika Ein Volk bricht nicht auf -Entwicklungspolitische Überlegungen zur Zivilgesellschaft in Tanzania Armut und Armutsbekämpfung in der Republik Südafrika

Armut und Armutsbekämpfung in der Republik Südafrika

Karl Wolfgang Menck

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Wenn heute von Armut und Armutsbekämpfung in Südafrika gesprochen wird, dann handelt es sich in erster Linie darum, die wirtschaftlichen Folgen eines Systems zu ändern, das dem größten Teil der Bevölkerung durch politische und wirtschaftliche Maßnahmen Chancengleichheit bei der Mitgestaltung des täglichen Lebens für eine lange Zeit versperrte. Die Aussichten, Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen durch wirtschaftliches Wachstum in kurzer Zeit zu schaffen und damit die Armut zu überwinden, werden insgesamt skeptisch beurteilt. Das Land befindet sich am Anfang eines tiefgreifenden wirtschaftlichen Strukturwandels. In dieser Zeit werden zunächst Arbeitsplätze aufgegeben, ohne daß zugleich neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen, und dies fördert die Armut. Die südafrikanische Regierung hat den Handlungsbedarf hinsichtlich der Armutsüberwindung sehr wohl erkannt und ihr einen herausragenden Stellenwert in dem Weißbuch über Umbau und Entwicklung zugewiesen. Der Begriff Entwicklung wird synonym mit Armutsüberwindung verwendet. Die in Aussicht gestellten Maßnahmen umfassen die bevorrechtigte Bereitstellung von Arbeitsplätzen für die schwarze Bevölkerung, Landreformen, Wohnungsbau, den Ausbau der Infrastruktur, die Ausbildung und die gesundheitliche Vor-und Fürsorge. Das zentrale Instrument zur Finanzierung von Maßnahmen, die die Armut überwinden sollen, ist der Fonds für Umbau und Entwicklung. Die Konzepte zur Armutsbekämpfung fanden ein geteiltes Echo. Positiv wurde vermerkt, daß es trotz zunächst tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten in der neu gewählten Regierung zu einem Kompromiß über die Armutsbekämpfung und die Wirtschaftspolitik gekommen war. Wenn auch nicht alle Vorstellungen, die sich mit der Armutsbekämpfung verbanden, erfüllt wurden, so gibt es doch einige Hinweise darauf, daß Fortschritte erzielt werden konnten. Ebenso wichtig war es, daß es mit Hilfe des Fonds gelungen ist, den Selbsthilfewillen der südafrikanischen Bevölkerung zu stärken.

Der Text knüpft an eine Untersuchung an, die der Verfasser im Auftrag des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Johannesburg durchführte. Die Studie ist unter dem Titel „ Growth and Eradication of Poverty in South Africa. The Contribution of the Reconstruction and Development Programme -An Analysis of Adjustment and Social Change with Special Reference to the Social Market Economy“ in Johannesburg 1996 erschienen.

Wenn heute von Armut und Armutsbekämpfung in Südafrika gesprochen wird, dann handelt es sich in erster Linie darum, die wirtschaftlichen Folgen eines politischen und wirtschaftlichen Systems zu ändern, das dem größten Teil der Bevölkerung durch politische und wirtschaftliche Maßnahmen Chancengleichheit bei der Mitgestaltung des politischen und des wirtschaftlichen Lebens für eine lange Zeit versperrte. Armut in Südafrika ist bis 1994 in erster Linie, anders als in den Entwicklungsländern in Afrika südlich der Sahara, nicht eine Folge geringen wirtschaftlichen Wachstums oder ungünstiger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Mit den allgemeinen ersten Wahlen in Südafrika im April 1994 ist die herkömmliche politische Ordnung überwunden. Gleichwohl zeigt sich, daß die Armut dadurch allein noch nicht beseitigt werden konnte. Vielmehr sind noch erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen vonnöten, um für den größeren Teil der Bevölkerung in Südafrika die wirtschaftlichen Bedingungen zu schaffen, unter denen der einzelne für sich und seine Familie dauerhaft sorgen kann und nicht mehr auf die Hilfe Dritter angewiesen ist.

I. Armut in Südafrika: Arbeitslosigkeit als Ausgangspunkt und Meßgröße

Die Angaben über die Armut der Schwarzen in Südafrika sind ungenau und unvollständig. Lange Zeit waren es vor allem nichtstaatliche Einrichtungen in Südafrika und außerhalb des Landes, die Daten anhand kleiner Stichproben über die Armut vorlegten. Diese Beobachtungen zeigten, daß in Südafrika vor allem unter den Schwarzen Armut herrschte, wenn auch die Lebensbedingungen -wie vielfach von der Regierung betont wurde -besser waren als in den schwarzafrikanischen Ländern. Um ein Bild von den Zuständen zu Beginn des Jahres 1994 und für die Zeit nach den Wahlen zu gewinnen, ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, daß nach Angaben des African National Congress (ANC) zu Beginn des Jahres 1994 rund 18 Millionen Menschen, etwa 45 Prozent der gesamten Bevölkerung Südafrikas, als arm eingestuft wurden. Dabei wurde Armut definiert als niedriges Einkommen, Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnungs-und Lebensverhältnisse, Analphabetismus sowie unzureichende gesundheitliche Für-und Vorsorge. Auch die Zahlen für die Einkommens-verteilung zeigen den deutlichen Unterschied zwischen Armen und Reichen sowie nach Bevölkerungsgruppen: 40 Prozent der ärmsten Haushalte -vorzugsweise Schwarze -erzielen weniger als sechs Prozent des Gesamteinkommens, zehn Prozent in der obersten Einkommensgruppe -in der überwältigenden Mehrheit Weiße -verfügen über 50 Prozent des gesamten Einkommens.

Die Arbeitslosigkeit der schwarzen Bevölkerung ist eine der wesentlichen Ursachen für ihre Verarmung. Die Gründe für die Arbeitslosigkeit waren bis 1994 eine Regulierung des Arbeitsmarktes zugunsten der Weißen durch -Zugangsbeschränkungen, unterschiedliche Lohn-strukturen, eingeschränkte Gewerkschaftsrechte und Ausbildungsmöglichkeiten für Schwarze, -Tätigkeitsbeschränkungen für Schwarze in den einzelnen Unternehmen, -Begrenzung der Niederlassungsrechte für Schwarze, -Verbot der Wohnungsnahme in für Weiße reservierten Regionen und -Festsetzung von Quoten für die Einstellung von Weißen und Schwarzen.

Die Daten zeigen für die Zeit bis zu den Wahlen 1994 deutlich eine ungleiche Verteilung der Chancen: Die weiße Bevölkerung hat die gehobenen Positionen inne, während die schwarze Bevölkerung in ihrer Mehrheit auf Tätigkeiten mit geringen Einkünften angewiesen ist. Wirtschaftliche Krisen in Südafrika haben bei den Schwarzen eher und nachhaltiger zu Einkommensverlusten als bei den Weißen geführt. Das reale Pro-Kopf-Einkommen der Schwarzen ist beispielsweise in dem Zeitraum von 1984 bis 1994 um zehn Prozent zurückgegangen, während der Vergleichswert für die weiße Bevölkerung 1,5 Prozent betrug. Dies hat sich auch nach den Wahlen noch nicht grundlegend geändert. Im Jahresdurchschnitt 1995 waren 4,1 Millionen Schwarze als arbeitslos registriert, und die Gründe für die Arbeitslosigkeit sind ähnlich denen in der Zeit vor den Wahlen, wie die Statistiken erkennen lassen. 89,1 Prozent dieser Arbeitslosen weisen keine abgeschlossene Grundschulausbildung auf; 97, 7 Prozent haben keine berufliche Ausbildung erhalten, 75, 6 Prozent haben keine berufliche Praxis und 67, 8 Prozent sind Langzeitarbeitslose Der Zusammenhang zwischen Beschäftigung einerseits und Ausbildung sowie anderen, die individuelle Arbeitsleistung beeinflussenden Faktoren andererseits wird auch durch weitere Beobachtungen unterstrichen: 53 Prozent der Weißen verfügen über eine abgeschlossene Hochschulausbildung, jedoch nur zwei Prozent der schwarzen Bevölkerung 53 Prozent der nichtweißen Bevölkerung in den Städten leben ständig in Wohnheimen oder Townships. 63 Prozent der schwarzen Bevölkerung teilen sich einen Wohn-, Schlafraum und Küche in einer Hütte. 50 Prozent der von Schwarzen bewohnten Gebäude haben keinen Stromanschluß und 25 Prozent keinen Wasseranschluß Extrem hoch ist der Anteil der schwarzen Jugendlichen ohne geregelte Arbeit. Fast jeder zweite Schwarze in dieser Altersgruppe sucht vergebens eine Anstellung. Die Arbeitslosigkeit ist gleichermaßen ein Problem in ländlichen wie in städtischen Gebieten.

Auch nach den Wahlen ist mit einer schnellen Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt und mit einem raschen Erfolg der Lebens-und Arbeitsbedingungen der Schwarzen nicht zu rechnen. In dem Zeitraum Juni 1994 bis Juni 1995 wurden zusätzlich 44 335 neue Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft eingerichtet, das sind weniger als ein Prozent der dort Beschäftigten Für 1996 wird der Zuwachs sogar nur auf insgesamt 0,6 Prozent aller Arbeitsplätze in der Industrie beziffert. Gleichzeitig drängen jährlich rund 770 000 Personen als Folge des Bevölkerungswachstums auf den ohnehin angespannten Arbeitsmarkt. Der Strukturwandel im Zuge der Stärkung der Marktkräfte und die ersten Schritte zur Öffnung des südafrikanischen Marktes für ausländische Lieferanten werden Arbeitskräfte, darunter auch Weiße, freisetzen und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Es ist damit zu rechnen, daß die jetzige Arbeitslosenquote von 33 Prozent keinesfalls als Obergrenze angesehen werden. kann.

Die Aussichten, Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen durch wirtschaftliches Wachstum in kurzer Zeit zu schaffen und damit die Armut zu überwinden, werden insgesamt skeptisch beurteilt. Für 1996 wird eine Rate von nur drei Prozent erwartet. Prognosen für die Jahre 1996 bis 2000 waren von 4, 2 ausgegangen und hatten für das Jahr 2000 sogar 6, 1 Prozent unterstellt. Im Sommer dieses Jahres vorgelegte Prognosen vermindern diese Zahlen, so daß für 1997 zwei, für 1998 2, 5, für 1999 2, 9 und für das Jahr 2000 3, 3 Prozent realistisch erscheinen Zu einer vorsichtigen Einschätzung der Wachstumsraten trägt insbesondere bei, daß für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wichtige Sektoren wie der Bergbau keine Zuwachsraten erzielen. Das Verarbeitende Gewerbe weist sogar einen Produktionsrückgang aus. Die dadurch ausgelösten Wachstumseinbußen konnten 1996 durch eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion -bedingt in erster Linie durch günstige Witterung -bei weitem nicht ausgeglichen werden

Der Fortbestand der Armut in Südafrika zeigt, daß der wirtschaftliche Wandel sich nicht in der Weise vollzieht, wie es die schwarze Bevölkerung erhofft hatte. Gleichzeitig verdichtet sich der Eindruck, daß die sozialen Spannungen zunehmen. Weit verbreitet sind Bettelei in den Großstädten und Straßenhandel mit gebrauchten Waren. Der informelle Sektor breitet sich aus und zeigt Erscheinungsbilder, wie sie auch in den Entwicklungsländern in Afrika südlich der Sahara anzutreffen sind. In den gleichen Zusammenhang gehört die zunehmende Rechtlosigkeit, die ihren Ausdruck in der wachsenden Zahl von Diebstählen und Körperverletzungen bis hin zu Morden findet. Illegale Landbesetzungen können von der Regierung oder den örtlichen Behörden nicht mehr in der Weise korrigiert werden, wie es die Gesetzeslage und die Interessen von Anwohnern verlangen

Die Gründe für die aus der Sicht der Schwarzen enttäuschenden Ergebnisse bei der Überwindung der Armut lassen sich leicht erklären. Das Land befindet sich am Anfang eines durchgreifenden wirtschaftlichen Strukturwandels, der durch die Aufhebung des Boykotts und durch die Integration in die Weltwirtschaft notwendig geworden ist. Die lange Zeit übliche Kontrolle der Märkte und Preise hatte Verwerfungen geschaffen, die zu korrigieren im Zuge der Öffnung des Landes unausweichlich geworden ist. Bislang durch Importbehinderungen geschützte Unternehmen müssen sich dem Wettbewerb stellen. Große öffentliche und private Betriebe sehen sich damit konfrontiert, ihre Konkurrenzfähigkeit durch eine Modernisierung der Produktionsabläufe und durch eine Verminderung der Beschäftigung herzustellen In dieser Phase wirtschaftlichen Wandels werden zunächst Arbeitsplätze aufgegeben, ohne daß zugleich neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen. Die neuen Anforderungen an Unternehmen und Arbeitskräfte verlangen Anpassungen der Qualifikationen und der Entgelte auf dem Arbeitsmarkt, auf dem die Löhne nicht die Arbeitsproduktivität in den Preisen für die Arbeit widerspiegeln. So schmerzhaft dieser Prozeß der Anpassung mit Massenentlassungen (auch für Weiße) und für die betroffenen Betriebe auch sein mag, so ist nicht zu verkennen, daß durch die jetzt anstehenden wirtschaftlichen Reformen Marktunvollkommenheiten beseitigt werden, die in der Vergangenheit mit Ursachen für die Armut der schwarzen Bevölkerung waren. Dieser Vorteil erscheint verständlicherweise den Menschen abstrakt und wenig überzeugend, die sich bisher schon mit niedrigen Einkommen zufriedengeben mußten und die auch bislang schon die Wechselfälle wirtschaftlicher Entwicklung als erste durch Arbeitslosigkeit mitvollziehen mußten. Gerade diese Bevölkerungsgruppen sehen sich betrogen, wenn ihnen zunächst die wenigen Annehmlichkeiten entzogen werden, die die alte Wirtschaftsordnung gewährte. Es entsteht der subjektive Eindruck, zwischen zwei Broten -dem, das nicht mehr gebacken wird, und dem, das erst noch gebacken werden muß -zu verhungern

Stellt man zudem in Rechnung, daß im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen auch die Lebenschancen und die Beschäftigungsmöglichkeiten der weißen Bevölkerung mit geringer Ausbildung und ohne Vermögen sich rasch verschlechtern, so erscheint die Armut für die Schwarzen doppelt unerträglich. Sie müssen nämlich befürchten, in Konkurrenz zu den „neuen Armen“, die sich in einer weitaus günstigeren Ausgangslage hinsichtlich Ausbildung und gesundheitlicher Vor-und Fürsorge befinden, auf den Arbeitsmarkt zu treten.

Diese Einschätzungen der Stimmungslage und daraus abgeleitete Überlegungen begründen die in Südafrika weit verbreitete Forderung, die Armutsbekämpfung nicht beliebig hinauszuschieben oder halbherzig zu verfolgen. Bei einem solchen Vorgehen werden nur schwer einzudämmende Konflikte entstehen. Der politische Konsens, der sich in dem Ablauf der Wahlen und bei der anschließenden Regierungsbildung dokumentierte, scheint gefährdet, wenn sich unter den Armen weiter Mißmut ausbreitet und unverändert einem kleinen, sehr wohlhabenden, gut ausgebildeten und an dem Wirtschaftsgeschehen maßgeblich beteiligten Sektor eine große Zahl schlecht ausgebildeter, armer Schwarzer gegenübersteht. Das Vertrauen in wirtschaftliche Stabilität schwindet, wenn bei sinkenden Wachstumsraten die Arbeitslosigkeit und die dadurch bedingte Armut verschärft werden. Diese Gefahren sind nicht geringzuachten, werden doch davon die Entscheidungen in-und ausländischer Investoren nachhaltig beeinflußt. Ihr Urteil ist wichtig nicht nur für die Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums Zusätzliche Investitionen sollen bei der Modernisierung und der Umstrukturierung des Landes im Zuge der Stärkungmarktwirtschaftlicher Kräfte und der Öffnung für den Außenhandel das notwendige Kapital bereitstellen und die dringend benötigten Arbeitsplätze schaffen. Mehr Investitionen sind auch deshalb unausweichlich, weil das Land sich selbst ein anspruchsvolles Ziel gesetzt hatte: mit dem Ende der Apartheid sollte ein Wachstumsprozeß beginnen, der dieses Land nahe an die südostasiatischen Schwellenländer heranbringen würde. Damit will das Land neue Reputation gewinnen und die wirtschaftlichen Ressourcen schaffen, die für die Überwindung von Armut benötigt werden.

II. Die Politik zur Überwindung von Armut

Die südafrikanische Regierung hat diesen Handlungsbedarf hinsichtlich der Armutsüberwindung sehr wohl erkannt und ihr einen herausragenden Stellenwert in dem Weißbuch über Umbau und Entwicklung zugewiesen Dies wird unter anderem daran deutlich, daß der Begriff Entwicklung synonym mit Armutsüberwindung verwendet wird, während der Begriff Umbau die Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums zum Ausdruck bringen soll.

Der Armutsbeseitigung wird in mehrfacher Weise in dem Weißbuch Rechnung getragen. Das Weißbuch formuliert als Ziel der Wirtschaftspolitik, Arbeit, Kapital und Rohstoffe in Südafrika in die beste Verwendung zu lenken, eine dauerhafte und umweltfreundliche Entwicklung zu gewährleisten und dadurch Freiheit, Wohlstand und soziale Stabilität zu schaffen. Das Konzept ist in dem Weißbuch auch im Sinne der Armutsbekämpfung dadurch gekennzeichnet, daß es die Mitwirkung der Menschen am wirtschaftlichen Wachstum anstrebt. Ausdrücklich wird gefordert, daß das Wachstum zu einer gerechten Verteilung der Einkommen führt.

Das Weißbuch setzt bei allen geplanten Maßnahmen deutliche Akzente bei der Armutsbekämpfung und der Verwirklichung der Grundbedürfnisse. Durch eine Umschichtung von öffentlichen Ausgaben müssen Mittel freigesetzt werden, die zur Finanzierung von Maßnahmen zur Überwindung von Armut verwendet werden sollen. Das Weißbuch erhebt den Anspruch, auf diese Weise die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen, definiert als „Schaffung von Arbeitsplätzen, Landreform, Wohnungsbau, Dienstleistungen, Wasser und Abwasser, Energie, Telekommunikation, Transport, Umwelt, Ernährung, Gesundheitswesen, soziale Sicherheit und Sozialfürsorge“. Vorgesehen ist ferner, das Bildungswesen auf allen Stufen zu reformieren und dadurch die Beschäftigungsmöglichkeiten für Schwarze auch auf gehobenen Stellen in der öffentlichen Verwaltung und in den Unternehmen zu verbessern.

Daß die Vorstellungen der Regierung zur Armutsbekämpfung vorrangig auf mehr Arbeitsplätze konzentriert sind, wenn es darum geht, die Armut zu überwinden, wird an verschiedenen Stellen deutlich. Zum einen wird die bevorzugte Beschäftigung von Schwarzen in öffentlichen und privaten Unternehmen und in allen Fällen nicht nur auf untergeordneten Positionen gefordert. Als Alternative zu der Ausgrenzung bis 1994 wird eine bewußte Begünstigung der Schwarzen gefordert, unter Umständen auch durch Entlassung oder vorzeitigen Ruhestand von weißen Mitarbeitern (Affirmative Actionf Zum anderen wird gefordert, durch eine staatliche Industriepolitik Impulse für die Beschäftigung zu vermitteln. Investitionen sollen -bei Bedarf mit öffentlicher Förderung erhöht werden, der Einsatz von Technologie muß angehoben, die Absatzpolitik der Unternehmen im In-und Ausland sollte verbessert werden. Als Ergebnis der staatlichen Industriepolitik müssen vorzugsweise durch die Verarbeitung der im Land verfügbaren Rohstoffe Unternehmen entstehen, die neue Beschäftigung vor allem für die Schwarzen bereitstellen. Eine Steigerung der inländischen Nachfrage -auch mit Hilfe weiterer Beschränkungen der Einfuhren -soll in der Startphase die Unternehmen zu Investitionen und zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen veranlassen. In einer zweiten Stufe ist vorgesehen, Wettbewerbsvorteile -die in der ersten Phase unter anderem mit staatlicher Unterstützung gewonnen werden sollen -gegenüber Anbietern aus anderen Ländern dazu zu nutzen, neue Märkte zu erschließen und weitere Beschäftigungsmöglichkeiten bereitzustellen. Vorgesehen ist die Förderung der Unternehmen mit Hilfe einer öffentlichen Unterstützung bei Innovationen durch die Ausbildung von Arbeitskräften, durch die Beseitigung von sozialen und politischen Konflikten in den Unternehmen, durch die Förderung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen sowie durch Gesetze zur Einschränkung von Marktmacht (Anti-Trust-Gesetze). Die Außenhandelspolitik wird aufgefordert, Branchen,die zahlreiche Arbeitsplätze im Land bieten, in der Übergangsphase zum Export zu unterstützen.

Zur Bereitstellung zusätzlicher Arbeitsplätze gehört es auch, neu zu gründende Unternehmen -wenn sie vorzugsweise von Schwarzen gegründet werden und wenn sie neue Arbeitsplätze über die Selbstbeschäftigung hinaus erwarten lassen -durch Beratungs-und Finanzierungsprogramme, Marketinghilfen, Ausbildung und die Einführung neuer Technologien, den Ausbau der Infrastruktur und die Unterstützung bei der Vergabe von Unter-aufträgen zu fördern

Mit Blick auf die Ausweitung der Beschäftigung werden auch die in Aussicht gestellte Verbesserung und Vertiefung der beruflichen Bildung gerechtfertigt. Dem gleichen Ziel soll es dienen, wenn Löhne, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen und Kündigungsschutz durch eine Lohnfindungskommission („wage board“) unter Beteiligung der Regierung, der Gewerkschaften und der Unternehmen festgesetzt werden. Vorgesehen ist darüber hinaus, Mindestlöhne neu zu bestimmen und eine Betriebsverfassung in Kraft zu setzen. Erwartet wird, daß die in Aussicht genommenen Maßnahmen zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums auch indirekt der Armutsbekämpfung dienen. Gelingt es -wie vorgesehen -die Inflationsrate niedrig zu halten, die öffentlichen Ausgaben für Investitionen zu verwenden und Steuern zu senken, so erscheinen diese Bedingungen für Investitionen günstig. Mit dem gleichen Ziel sollen Außenhandel und Kapitalverkehr stufenweise liberalisiert werden; Kontrollen von unternehmerischen Entscheidungen sollen in dem Umfang abgebaut werden, wie es die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Beseitigung der Ursachen von Armut erfordern. Die dann entstehenden Wachstumsgewinne sollen für Ausgaben verwendet werden, die die Ursachen der Armut beseitigen.

Das zentrale Instrument zur Finanzierung von Maßnahmen, die die Armut überwinden, ist der Fonds für Umbau und Entwicklung. Er wurde im Staatshaushalt für 1994/95 mit 2, 5 Milliarden Rand und im Haushalt 1995/96 mit fünf Milliarden Rand aus dem Budget der Zentralregierung ausgestattet. Weil in den darauf folgenden Jahren alle Ausgaben der Ministerien danach überprüft werden, ob sie mit den Zielen der Armutsüberwindung übereinstimmen, und weil die Ausgaben nur dann genehmigt werden können, wenn dies positiv festgestellt werden kann, gilt der Fonds als eine Maßnahme kurzfristiger Art mit dem Ziel, den Staatshaushalt schnell mit den Vorstellungen zur Überwindung der Armut in Einklang zu bringen.

Der Fonds wird Investitionen in den als vorrangig angesehenen Bereichen finanzieren („Presidential Lead Projects“). Dazu gehören Vorhaben, die die Armut in den besonders rückständigen Gebieten überwinden, wie Landreformen und -Umverteilung, Haushaltsanalysen bei der armen Bevölkerung, die Förderung von Kleinst-und Kleinbauern, die Ausgabe von Nahrungsmitteln in Schulen, die Stadtsanierung und die Verbesserung der Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten durch die Bereitstellung sauberen Wassers und von Gesundheitsdiensten, die Verbesserung des Schulwesens, freie gesundheitliche Versorgung, Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Gemeindeverwaltungen Arbeitsplätze sollen durch das Programm zum Bau von Häusern und durch die Anwendung arbeitsintensiverer Produktionsverfahren in der Industrie und im Gewerbe geschaffen werden, die Durchführung der einzelnen Projekte soll Gegenstand einer auf zehn Jahre ausgelegten, laufend aktualisierten Planung sein, an der die Regierung, die Gebietskörperschaften, Unternehmen und Gewerkschaften beteiligt werden. Damit die als dringend angesehenen Programme nicht durch lange Planungs-und Entscheidungsabläufe verzögert werden, sind für als vorrangig angesehene Vorhaben beschleunigte Planungs-und Durchführungsverfahren („fast track“) beschlossen worden.

Vorgesehen ist, daß der Fonds und die nachfolgenden öffentlichen Ausgaben nicht nur durch Steuern, sondern auch durch Zuweisungen von Industrieländern innerhalb der öffentlichen finanziellen und technischen Entwicklungszusammenarbeit, aus dem Erlös beim Verkauf öffentlicher Unternehmen und aus Abschöpfungen der Gewinne von Glücksspiel und Lotterien finanziert werden. Einnahmen aus dem Fonds fließen nicht in den öffentlichen Haushalt ein.

Als im September 1996 die Regierung ein weiteres Programm unter dem Titel „Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung -eine makroökonomische Strategie“ verabschiedete, war nicht zu erkennen, ob damit das Weißbuch als nicht mehr umsetzbar angesehen wurde oder ob die dort niedergelegten Vorstellungen noch gültig sind oder ergänzt werden sollen. Beide Deutungen sind gleichermaßen zulässig. Zum einen hatte das Weißbuch viel Kritikhervorgerufen, und nicht alle Vorstellungen konnten verwirklicht werden. Zum anderen ist das Programm des Jahres 1996 in zahlreichen Äußerungen ähnlich dem Weißbuch. Die im September 1996 verabschiedete Erklärung stellt erneut die Notwendigkeit von Maßnahmen heraus, die die Ursachen von Armut beseitigen, und gleichzeitig werden Hinweise auf die künftige Wachstumspolitik des Landes erkennbar. Zu der Armutsbekämpfung gehört es, -die Ausgaben im Staatshaushalt stärker auf die Armutsbekämpfung zu konzentrieren, -öffentliche Ausgaben für Personal, das zur Zeit im öffentlichen Dienst überwiegend noch Weiße umfaßt, zu vermindern und dadurch öffentliche Mittel freizusetzen für Investitionen zur Überwindung der Armut, -die Inflationsrate nicht über 8, 2 Prozent bis zum Jahr 2000 steigen zu lassen und damit die Kaufkraft vor allem der niedrigen Einkommen vor der Geldentwertung zu schützen, -die Infrastrukturprogramme auszuweiten und dadurch das Leistungsangebot zu verbessern, vor allem in städtischen Slums und in ländlichen Gebieten.

Das neue Programm hält an der Strukturanpassung und an der Integration der südafrikanischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft fest. Dies belegen Ankündigungen wie -die Haushaltsdefizite (derzeit 5, 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) bis zum Jahr 2000 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken, um das Budget von ausufernden Verpflichtungen für Zins-und Tilgungszahlungen freizuhalten und Mittel für öffentliche Investitionen zu mobilisieren;

-Zölle zu vermindern, auf diese Weise die Preise für Zulieferungen und Investitionsgüter aus dem Ausland zu senken und Wertverluste durch die Rand-Abwertungen auszugleichen;

-den grenzüberschreitenden Geld-und Kapitalverkehr wieder zu liberalisieren;

-öffentliche Unternehmen mit dem Ziel zu privatisieren, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die Kosten unter anderem durch Abbau von nicht benötigten Arbeitskräften zu vermindern;

-das Lohnverhandlungssystem so zu ändern, daß Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften aus gleichen Ausgangspositionen verhandeln, und die Tarifpolitik der Unternehmen und der Gewerkschaften zu flexibilisieren; -auf Mäßigung bei Lohnabschlüssen und in Tarifverhandlungen hinzuwirken;

-neue Arbeitsplätze in wettbewerbsfähigen und arbeitsintensiven Projekten zu schaffen, insbesondere in denjenigen Regionen, in denen nur wenige Menschen eine Beschäftigung finden und in denen bislang auch öffentliche und private Investitionen ausblieben

III. Der Beitrag der Wirtschafts-und Entwicklungspolitik zur Armutsbekämpfung in Südafrika: ein erfolgversprechender Ansatz?

Nach der weltweiten Aufmerksamkeit, die der politische Wandel in Südafrika fand, konnte es nicht ausbleiben, daß auch die Wirtschaftspolitik nach den Wahlen im April 1994 vielerorts mit besonderem Interesse verfolgt wurde. Dabei standen unterschiedliche Vorstellungen im Hintergrund. Diejenigen, die Zweifel an einem sanften Wechsel in Südafrika hegten, stellten in Frage, ob es gelingen könne, ähnlich wie bei dem insgesamt friedlichen Übergang auch die Anpassung der Wirtschaftspolitik ohne großen Streit zu vollziehen. Jene, die für eine durchgreifende Überwindung der Ursachen für die Armut eintraten, stellten die Frage, ob Südafrika sich tatsächlich einer Armutsbekämpfung verschreiben würde. Befürworter einer mehr marktwirtschaftlichen Politik, die gleichzeitig die Integration Südafrikas in die Weltwirtschaft erleichtern sollte, drängten darauf, daß der wirtschaftliche Wandel mit Marktöffnung und Außenhandelsliberalisierung als Ansatz für eine Armutsbekämpfung Zustimmung finden müsse.

Wenngleich es zu früh ist, ein abschließendes Urteil über die Armutsbekämpfung zu fällen, so kann doch schon festgestellt werden, daß weder die Pessimisten noch die Optimisten mit ihrer Einschätzung die Entwicklung richtig voraussagten. Tatsächlich ist es gelungen, bei der Verabschiedung der Maßnahmen für die Armutsbekämpfung einen Kompromiß zu finden, der sicherlich einige Fragen zuläßt. Im Vergleich mit den Fehlentwicklungen in Südafrika als Folge der Wirtschaftspoli-tik bis zu den Wahlen ist der Kompromiß aber annehmbar. Auffällig ist, daß einzelne Unternehmer ihre Zustimmung zu dem wirtschaftspolitischen Konzept in dem Weißbuch und in der 1996 verabschiedeten Strategie zu erkennen gaben. Wenn auch nicht alle Formulierungen Zustimmung fanden, so galt dieses Konzept doch als Ausdruck für Kompromißbereitschaft und Anpassungsfähigkeit. Positiv erschien insbesondere der Gleichklang von Liberalisierung, Öffnung und Armutsbekämpfung, auch wenn zugegeben werden muß, daß diese Vorhaben nicht immer leicht auf einen Nenner zu bringen sind. Vor dem Hintergrund der Erblast der Geschichte des Landes haben einzelne Unternehmer die Reformansätze vorteilhaft beurteilt, weil sie politisch durchgesetzt werden konnten. Schließlich enthält die positive Bewertung der Armutsbekämpfung und der Wirtschaftspolitik auch Erwartungen, dadurch die wirtschaftliche Entwicklung in der Weise zu beeinflussen, wie sie sich die Unternehmer vorstellen. Die -wenn auch verhaltene -Zustimmung soll Optimismus und Vertrauen in die Zukunft erzeugen und auf diese Weise die Erwartungen der Unternehmen stabilisieren, Investitionen anregen und die Reformbereitschaft der Regierung verstärken. Auch die Unternehmer, die dem Weißbuch und der 1996 vereinbarten wirtschaftspolitischen Strategie positiv gegenüberstanden, haben nicht verschwiegen, daß beide Programme noch einer Klärung bedürfen, ehe eine abschließende Beurteilung der Wirkungen bei der Überwindung von Armut endgültig möglich ist.

Der Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung und den anderen anstehenden wirtschaftspolitischen Änderungen ist nicht hinlänglich geklärt. Dieser Mangel kann deutlich gemacht werden am Beispiel der unausweichlichen Konflikte zwischen Armutsbekämpfung und Liberalisierung der Ein-fuhren. Das erstere verlangt unter anderem den Schutz der inländischen Unternehmen und bürdet die Kosten für die Nichtteilnahme an den Vorteilen internationaler Arbeitsteilung dem Verbraucher durch im internationalen Vergleich hohe Preise auf. Die zweite Strategie verlangt die Aufgabe nicht mehr wettbewerbsfähiger privater und öffentlicher Unternehmen und schließt Entlassungen ein.

An anderen Stellen dokumentiert das Weißbuch das Bestreben, die marktwirtschaftlichen Reformen in Südafrika eher zögerlich anzugehen, wenn damit nicht die Arbeitslosigkeit überwunden werden kann. Bei Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen soll die Verträglichkeit mit der Armutsbekämpfung ein wichtiges Kriterium sein. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß in Zweifelsfällen der Armutsbekämpfung Vorrang eingeräumt wird. Die vorgesehenen wirtschaftspolitischen Reformen sollen zurückgestellt werden, wenn befürchtet werden muß, daß dadurch die sozialen Spannungen verschärft werden. Es läßt sich leicht nachvollziehen, daß marktwirtschaftliche Reformen vor dem Hintergrund der äußerst schlechten Lebens-und Arbeitsbedingungen des überwiegenden Teils der Bevölkerung wenig populär sind, solange sie nicht unmittelbar zur Armutsbekämpfung beitragen. Nicht zu verkennen ist aber auch, daß staatliche Regelungen in der Vergangenheit einer stärkeren Beteiligung aller Schichten der Bevölkerung am Wirtschaftsleben im Wege standen. Monopole und damit verbundene Machtkonzentration -eine Ursache für die sozialen Spannungen -wurden dadurch begünstigt. Eingewendet werden kann zudem, daß das Konzept zur Armutsüberwindung sich an traditionellen Leitbildern ausrichtet, die diese Aufgabe als Gegenstand staatlichen Handelns verstehen. Von den Bürgern getragene nichtstaatliche Einrichtungen oder private Maßnahmen werden bei einer derartigen Politik zur Armutsbekämpfung im schlimmsten Fall zurückgedrängt oder können ihre Wirksamkeit nicht entfalten. Unterschätzt werden die Vorteile nichtstaatlicher Organisationen bei der Bekämpfung von Armut wie deren Nähe zu den Betroffenen. Nicht ausgeschöpft werden die Fähigkeiten nichtstaatlicher Organisationen, Menschen und Kapital im informellen Sektor zu mobilisieren. Allerdings ist es durchaus nachvollziehbar, wenn die Armutsbekämpfung in Südafrika nicht ausschließlich den nichtstaatlichen Einrichtungen übertragen wird. Die nach den ersten allgemeinen Wahlen anstehenden Probleme in Südafrika verlangten schnelles Handeln. Solange Gewerkschaften, Provinz-und lokale Verwaltungen noch nicht organisiert waren und deren Fähigkeit begrenzt war, Vorhaben zur Armutsüberwindung zu planen und durchzuführen, fühlte sich der Staat in die Pflicht genommen, die Maßnahmen zur Armutsüberwindung in Gang zu setzen.

IV. Armutsbekämpfung in Südafrika: Wegweisendes Modell?

Wenn auch nicht alle Vorstellungen, die sich mit der Armutsbekämpfung verbanden, erfüllt werden konnten, so gibt es doch einige Hinweise darauf,daß Fortschritte erzielt werden konnten. Rund fünf Milliarden Rand wurden im Rahmen des Fonds für Umbau und Entwicklung bis zum Sommer 1996 ausgegeben. Dadurch konnte für mehr als 5, 4 Millionen Kinder an 000 Schulen ein Schulspeisungsprogramm landesweit eingerichtet werden, das zusätzlich 8 000 Arbeitsplätze schuf. 120 Unternehmen haben Aufträge aus einem Programm zur Erweiterung und Verbesserung der kommunalen Infrastruktur erhalten. 152 neue Kliniken sind errichtet worden; 90 Millionen Rand wurden ausgegeben, um den Standard von Kliniken in Slums und ländlichen Gebieten zu verbessern. 48 000 Menschen in zwölf Kommunen mit einer Million Einwohnern wurde die Versorgung mit sauberem Trinkwasser gewährleistet. Mehr als 15 000 Häuser sind an die Versorgung mit elektrischem Strom angeschlossen worden. 1, 6 Milliarden Rand wurden für die bauliche Sanierung von Slums und in ländlichen Regionen bereitgestellt 15.

In der Bilanz hebt die Regierung hervor, daß weitaus mehr hätte getan werden können. Doch die seit den Wahlen neu zu schaffenden Provinz-und Kommunalverwaltungen benötigten Zeit, um die Kenntnisse für die Planung und Durchführung der aus dem Fonds vorgesehenen Projekte zu erwerben. Andere Beobachtungen lassen erkennen, daß die Verwaltung des Fonds und die Entscheidungsverfahren langsamer arbeiteten, als vorgesehen war. Um den Einfluß auf die Ausgaben des Fonds haben sich die die Regierung tragenden Parteien bereits nach dessen Gründung gestritten. Der für den Fonds zuständige Minister war nahe beim Ministerpräsidenten angesiedelt und hatte eine Machtfülle, die die Einwirkungsmöglichkeiten anderer Ressorts zu erdrücken drohte. Da für diesen Fall keine Regelungen vorgesehen waren, verstrich wertvolle Zeit, bis Maßnahmen verabschiedet wurden. Konflikte gibt es auch zwischen den Provinz-und den kommunalen Verwaltungen einerseits und der Regierung andererseits über die Rangordnung von Vorhaben, die der Fonds finanzieren sollte. Die Schlichtung verzögerte die Abwicklung ebenfalls.

Eine im Jahr 1996 veröffentlichte Auswertung der erfolgten Maßnahmen zögert nicht, diese Schwierigkeiten in der Anlaufphase zu benennen. Die Bilanz -so heißt es in dem Bericht weiter -dürfe sich aber nicht allein auf die Statistik der Ausgaben beschränken. Ebenso wichtig sei es auch, daß es mit Hilfe des Fonds gelungen sei, den Selbsthilfewillen der südafrikanischen Bevölkerung zu stärken: „Gemeinden, die seit Jahrhunderten in Armut lebten, stellen jetzt fest, daß sie seit den Wahlen im Jahre 1994 die Mittel haben, sich zu rehabilitieren. Während sie in der Vergangenheit erwarteten, daß die Regierung alles geben würde, was sie brauchten, erkennen sie nun, daß sie selbst an der Verbesserung ihrer Situation mitarbeiten müssen.“

Nicht außer acht gelassen werden darf bei einer Bewertung der Fortschritte bei der Armutsbekämpfung, daß der Republik Südafrika aus Anlaß der ersten allgemeinen Wahlen auch öffentliche Entwicklungshilfe zur Unterstützung bei der Armutsbekämpfung gewährt wurde. Im Oktober 1994 beliefen sich die Gesamtzusagen auf etwa fünf Milliarden US-Dollar. Diese Summe war dazu bestimmt, in erster Linie Maßnahmen zu fördern wie die Verbesserung der beruflichen Bildung und die Landverteilung, den Aufbau kommunaler und sozialer Selbsthilfeeinrichtungen, die Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen und die Durchführung von Infrastrukturinvestitionen. Ausländische Unternehmen haben ihre Bereitschaft in Aussicht gestellt, zusätzliche Investitionen durchzuführen und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Deutsche Unternehmen haben angekündigt, sich an der beruflichen Bildung in Südafrika zu beteiligen.

Vollends unbefriedigend ist jedoch der Beitrag der Industrieländer, Arbeitsplätze in Südafrika dadurch zu schaffen, daß den südafrikanischen Unternehmen durch die Beseitigung von Zöllen und anderen handelsbeschränkenden Maßnahmen der Zugang zu den Märkten in den Industrieländern geöffnet wird. Diesen Vorwurf muß sich auch die Europäische Union gefallen lassen, die trotz vielfältiger Ankündigungen zögert, die aus südafrikanischer Sicht gewünschte Freihandelszone mit der Europäischen Union zu vereinbaren

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karl Wohlmuth, Employment and Labour Policies in South Africa, Berichte aus dem weltwirtschaftlichen Colloquium der Universität Bremen, Nr. 40, Bremen 1996, S. 2.

  2. Vgl. Ruth Motau, Early Delivery, in: Forbes. A Special Report, South Africa’s Reconstruction and Development Programme, Pretoria 1995, S. 37.

  3. Vgl. Wessel Eberson, Tales of the Cities, in: Forbes, ebd., S. 67 ff.

  4. Vgl. Axel J. Halbach, Südafrika zwei Jahre nach der politischen Wende. Probleme und Ängste überschatten positive Beschleunigungen, in: ifo Schnelldienst, 49 (1996) 15, S. 23 f.

  5. Vgl. Growth and Distribution, AMacro-Economic Strategy, o. O. (1996), S. 4.

  6. Vgl. Chris L. Stals, Governor’s Address. Address by Dr. C. L. Strals, Governor of the South African Reserve Bank, at the Seventy-Sixth Ordinary General Meeting of Shareholders of the Bank on 27 August 1996, in: African Business, (1996) 14. S. 3. Beilage; South African Reserve Bank, Quärterly Bulletin. (1996) 201, S. 4; Industrial Development Co-operation of South Africa Limited, Manufacturing, Trading Conditions, (October 1996) 2, S. 13 ff.; Langsameres Wachstum in Südafrika, in: Neue Zürcher Zeitung vom 25. 8. 1996, S. 9; Fldchissement de la croissance economique, in: Marches Tropicaux et Mediteraneens vom 4. 10. 1996, S. 2127 f.

  7. Vgl. South Africa. How wrong is it going?, in: The Economist vom 12. 10. 1996, S. 21 f.; koger Matthews, Pains of Transition Begin to Show, in: Financial Times vom 3. 10. 1996, S. 1, Beilage.

  8. Vgl. Karl Wolfgang Menck/Bernd Schnatz, Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung Südafrikas. Chancen und Risiken für deutsche und europäische Unternehmen, Veröffentlichungen des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung-Hamburg, Band 9, Baden-Baden 1994, S. 77 ff.

  9. Vgl. Michael Dauderstädt, Ostmitteleuropas Demokratien im Spannungsfeld von Transformation und Integration, in: Integration, 19 (1996) 4, S. 208 ff.

  10. Vgl. Wighardt Härdtl, Politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südlichen Afrika, in: Internationales Afrikaforum, 31 (1995) 3, S. 287.

  11. Vgl. White Paper 1994, Ministry in the Office of the President, White Paper on Reconstruction and Development. Cape Town 1994 vom 15. November.

  12. Vgl. South Africa Yearbook 1995, Pretoria 1995, S. 12.

  13. Vgl. Chris Liebenberg, Cutting the Cloth, in: Forbes (Anm. 3), S. 23 ff.

  14. Vgl. Growth, Employment and Redistribution, A Macro Economic Strategy, o. O., o. J., S. 7 ff.

  15. Vgl. Das Umbau-und Entwicklungsprogramm (RDP), Fortschritt der Projekte, o. O., o. J., S. 2 ff.

  16. Ebd.

  17. Vgl. Hans-Dieter Kuschel, Die zukünftigen Handels-und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Südafrika, in: Internationales Afrikaforum, 32 (1996) 3, S. 269 ff.

Weitere Inhalte

Karl Wolfgang Menck, Dr. rer. pol., geb. 1942; Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg; Forschungsgruppenleiter im HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung, Hamburg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Entwicklungspolitik.