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Die deutsch-europäische Verhandlungsposition bei der WTO-Handelsrunde | APuZ 46-47/1999 | bpb.de

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APuZ 46-47/1999 Die neue WTO-Runde: Meilenstein auf dem Weg zu einer globalen Wirtschaftsordnung für das 21. Jahrhundert Umweltpolitik und Welthandelsordnung Konfliktfelder und Lösungsansätze Die USA vor der Millennium-Runde der WTO Die deutsch-europäische Verhandlungsposition bei der WTO-Handelsrunde Die Entwicklungsländer vor der neuen WTO-Runde

Die deutsch-europäische Verhandlungsposition bei der WTO-Handelsrunde

Bernhard May

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die politische Initiative für eine neue Handelsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) kam von der Europäischen Union. Sie hat für die Konferenz vier Ziele vorgegeben: Fortführung der Liberalisierung des Welthandels und insbesondere der Marktöffnung, Stärkung des multilateralen WTO-Systems, Ausbau der entwicklungspolitischen Kapazitäten der WTO, und schließlich soll die WTO bei ihrer Arbeit in größerem Umfange Themen aufgreifen, die von den Bevölkerungen als wichtig eingeschätzt werden. Bislang hat die Europäische Union jedoch keine konkreten Ziele formuliert. Dies gilt auch für die anderen wichtigen Verhandlungspartner in der neuen Handelsrunde: die USA, Japan, aber auch für die meisten Entwicklungsländer.

I. Einleitung

Ende November 1999 werden sich die mittlerweile 134 Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) in Seattle in den USA treffen, um eine neue Handelsrunde zu beschließen, die sogenannte Millennium-Runde. Die politische Initiative für eine neue Handelsrunde kam von der Europäischen Union. Die EU hat für die Verhandlungen vier Ziele vorgegeben: Fortführung der Liberalisierung des Welthandels und insbesondere der Marktöffnung, Stärkung des multilateralen WTO-Systems, Ausbau der entwicklungspolitischen Kapazitäten der WTO, und schließlich soll die WTO bei ihrer Arbeit in größerem Umfange Themen aufgreifen, die von der Bevölkerung als wichtig eingeschätzt werden.

Bislang hat die Europäische Union jedoch keine konkreten Ziele formuliert. Dies gilt auch für die anderen wichtigen Verhandlungspartner in der neuen Handelsrunde, also die USA, Japan, aber auch für die meisten Entwicklungsländer. Es gibt demnach noch keinen detaillierten Verhandlungsauftrag für die Handelsdiplomaten, die Vorstellungen von dem Wünsch-und Machbaren weichen zum Teil noch sehr stark voneinander ab, selbst der Name der neuen Runde und der Zeitplan sind noch nicht beschlossen.

Aber dies ist kein Problem, denn all diese Fragen können in den kommenden Wochen und Monaten geklärt werden. Wichtig ist, daß es eine politische Initiative für eine neue Welthandelsrunde gibt, daß die wichtigen Handelsnationen diese neue Runde unterstützen -und vor allem, daß die Politik der Handelsliberalisierung nunmehr eine breite Unterstützung erfährt, und zwar von den OECD-Staaten, aber auch von einer wachsenden Gruppe von Entwicklungsländern.

II. Die WTO als Ergebnis der Uruguay-Runde

Die achte GATT-Runde, die sogenannte Uruguay-Runde, war die längste, schwierigste, aber auch erfolgreichste Welthandelsrunde seit Gründung des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) im Jahre 1947. Die Uruguay-Runde wurde 1986 begonnen und 1994 erfolgreich abgeschlossen. Zu den Ergebnissen der Uruguay-Runde zählen vor allem: eine durchschnittliche Zollsenkung von 30 Prozent beim Marktzugang für Industriegüter, ein Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS -General Agreement on Trade in Services), ein Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums, die neuen Subvention-und Antidumping-Kodizes und schließlich die Vereinbarung über den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse sowie die Gründung der Welt-handelsorganisation.

Ausgestattet mit weit mehr Kompetenzen als das GATT, sollte die WTO neben Weltbank und Internationalem Währungsfonds in der internationalen Handels-und Wirtschaftspolitik zur dritten Säule werden. Die Hauptaufgaben der WTO bestehen darin, die Umsetzung der vereinbarten multilateralen Handelsabkommen zu beaufsichtigen, bei Handelsstreitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten als Schlichter einzuschreiten und drittens, sich mit den neuen Herausforderungen im Welthandel zu beschäftigen. Trotz eines erfolgreichen Abschlusses der Uruguay-Runde war bei Gründung der WTO schon klar, daß es in absehbarer Zeit eine neue WTO-Handelsrunde geben müßte

III. Verhandlungsposition der EU in der Millennium-Runde

In der Millennium-Runde wird der neue Außenhandelskommissar, Pascal Lamy, für die Europäische Union die Verhandlungen führen. Die Mitgliedstaaten können zwar auf die Kommission einwirken, aber die Kompetenzen für eine gemeinsame Außenhandelspolitik liegen seit 1970 bei der Kommission. Diese Kompetenzen umfaßten immer den Bereich des Warenhandels. Umstritten war jedoch, ob die Kommission auch für den Bereich der Dienstleistungen und für den Bereich des geistigen Eigentums alleine zuständig sei. Es wurde jetzt im Amsterdamer Vertrag, der am 1. Mai 1999 in Kraft trat, im neuen Artikel 133 (dem alten Artikel 113) ein diesbezüglicher Paragraph eingefügt, so daß die Kommission bei internationalen Verhandlungen nun für den gesamten Außenhandelsbereich zuständig ist.

Aus dieser Situation ergibt sich für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, daß sie über den Brüsseler Entscheidungsprozeß auf die Verhandlungspositionen der Kommission bei der Millennium-Runde Einfluß ausüben müssen, um ihre eigenen Interessen durchsetzen zu können. Es soll deshalb im folgenden die Liste der Bereiche erläutert werden, die in der Millennium-Runde zur Verhandlung anstehen. Dabei soll dann jeweils nach den speziellen Interessen Deutschlands gefragt werden.

Die Millennium-Runde hat schon jetzt einen umfangreichen Verhandlungskatalog. Zum einen werden vier neue Bereiche im Mittelpunkt des Interesses stehen, zum anderen wird sich die Runde ebenfalls mit den bekannten alten Themen der Handelsliberalisierung beschäftigen müssen. Bei den neuen Themenbereichen handelt es sich um: Dienstleistungen, Umwelt-und Sozialstandards, Wettbewerbsregeln und schließlich um die Frage eines Investitionsabkommens Das Hauptthema dieser neuen Runde wird nicht mehr Handelsliberalisierung sein -also der Abbau von Handelsbarrieren -, sondern der Schwerpunkt der Millennium-Runde wird auf der Frage des verbesserten Marktzugangs liegen. Und dieses Problem betrifft insbesondere den Dienstleistungsbereich.

In der Uruguay-Runde ist es zwar gelungen, im Bereich der Dienstleistungen Transparenz herzu­ stellen, doch dies war nur ein Anfang. In der WTO gibt es bereits das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS), doch hinkt das GATS den enormen Fortschritten in der Kommunikationstechnologie im allgemeinen und den Möglichkeiten des elektronischen Dienstleistungshandels im besonderen weit hinterher. Da der Dienstleistungshandel in den vergangenen Jahren rasant gewachsen ist, wird die Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs ein Schwerpunkt in der Millennium-Runde werden. Für Deutschland ist dieser Bereich bei den Verhandlungen noch nicht so wichtig, weil Deutschland immer noch ein klassisches Industriegüter-Exportland ist.

Beim zweiten Bereich, den Umwelt-und Sozialstandards, gibt es seit Jahren eine intensive Diskussion darüber, ob der WTO überhaupt eine verstärkte Verantwortung zur Umsetzung von Umwelt-und Sozial-standards zugewiesen werden sollte oder ob diese Aufgaben nicht besser von speziellen Organisationen zu erledigen seien, also weltweite Sozial-standards als Aufgabe der International Labour Organization (ILO), und für den Bereich der Umweltstandards solle eine neue internationale Organisation gegründet werden Die Diskussion über den richtigen Weg hält innerhalb Deutschlands, aber auch innerhalb Europas weiter an, so daß erst im Laufe der Verhandlungen sich zeigen muß, welche Gruppen sich durchsetzen werden. Es scheint jedoch festzustehen, daß zumindest bei schwerwiegenden Umweltproblemen sowie gravierenden Verstößen gegen Sozialstandards, wie zum Beispiel im Falle von Kinderarbeit und Zwangsarbeit, die WTO handelsrelevante Instrumente erhalten wird. Bei diesen Fragen geht es meistens nicht um Interessenunterschiede zwischen den beteiligten Ländern, sondern vielmehr um die Sonderinteressen von einzelnen Gruppen in verschiedenen Gesellschaften. Und dies gilt auch für Deutschland. Es wird deshalb interessant sein zu beobachten, welche Gruppen welche Aktivitäten unternehmen werden, um entweder globale Standards durchzusetzen oder die Übertragung der Verantwortung für solche Standards auf die WTO zu verhindern. Zu einem Testfall könnte sich der Textilbereich entwickeln, weil sich in diesem Bereich oftmals eine Kombination von gravierenden Umweltproblemen und fehlenden Arbeitsschutzregeln feststellen läßt wie beim Beispiel Kinderarbeit.

Beim dritten Bereich geht es um die Frage einer internationalen Wettbewerbsordnung. Bei fort-schreitender Globalisierung fehlen für den geschaffenen Weltmarkt die notwendigen Wettbewerbsregeln. Die Europäische Kommission hat sich dafür ausgesprochen, im Rahmen der Millennium-Runde auch die nationalen Wettbewerbspolitiken zu verhandeln. In diesem Bereich dürfte es keinen Unterschied zur deutschen Position geben.

Die Europäische Union will sich für eine anspruchsvolle und umfassende Millennium-Runde einsetzen. Hierzu zählt sie auch den Bereich der Investitionsabkommen. Zwar wurde im Rahmen der Uruguay-Runde das TRIMs-Abkommen (trade-related Investment measures) vereinbart, doch dies war nur ein Anfang. Die Bemühungen der OECD-Staaten, ein Multilateral Agreement on Investment (MAI) auszuhandeln, sind gescheitert. Dennoch wird sich die Kommission bei den anstehenden Verhandlungen für ein multilaterales Investitionsabkommen einsetzen. Die Kommission wird dabei von der Bundesregierung und den Wirtschaftsverbänden sicherlich aktiv unterstützt werden.

Bei der zweiten Gruppe von Themen, die im Rahmen der Millennium-Runde verhandelt werden, geht es um die altbekannten und ungelösten Handelsprobleme, also vor allem den Bereich der Landwirtschaft, den Textilbereich, Zollabbau, die Beseitigung von nicht-tarifären Handelshemmnissen sowie die Frage einer weltweiten Handelsliberalisierung, also konkret die Frage neuer WTO-Mitglieder. In all diesen Bereichen hat die Kommission noch keine detaillierten Vorschläge gemacht, sondern sich insgesamt für eine umfassende und anspruchsvolle Runde ausgesprochen. In den verschiedenen Fachbereichen laufen die Vorbereitungen auf nationaler und europäischer Ebene. Dies ist sicherlich der richtige Weg, denn schließlich wird auch im Rahmen der Millennium-Runde auf dem Verhandlungswege ein Kompromiß ausgearbeitet werden müssen. Die Verhandlungspartner sind deshalb gut beraten, den Weg vorzugeben und das Ziel zu definieren, ohne jede Tagesetappe im vorhinein festlegen zu wollen.

Natürlich hilft es der Kommission auch, mit solch einer breiten und dementsprechend vagen Verhandlungsposition für die Millennium-Runde die vorhandenen Interessenunterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten in eine gemeinsame Verhandlungsposition zu integrieren. Allerdings läßt sich feststellen, daß die Unterschiede innerhalb der EU nicht mehr so groß sind wie früher. Die sich stärker für eine Liberalisierung des Welthandels einsetzenden „nördlichen“ EU-Staaten haben Unterstützung erhalten, und dies ist sicherlich auch im Interesse Deutschlands. Allerdings wird sich bei den einzelnen Bereichen erst noch während der Verhandlungen zeigen müssen, ob tatsächlich diese zur Zeit vorhandene allgemeine Unterstützung der Verhandlungsposition der EU auch dann noch anhalten wird, wenn in den Verhandlungen konkrete Zugeständnisse in umstrittenen Bereichen gemacht werden müssen, um im Sinne einer umfassenden Verhandlungsrunde ein Gesamtpaket erfolgreich verabschieden zu können. Dies wird nicht nur von den konkreten Kompromissen und auch nicht von der jeweiligen Position einzelner Regierungen abhängen, sondern vor allem auch davon, wie sich die betroffenen Interessengruppen engagieren werden. Es geht deshalb bei der Millennium-Runde nicht nur um die Substanz einer weiteren Liberalisierung, sondern vor allem auch um den sehr komplexen und vielschichtigen Entscheidungsprozeß, der erst noch erfolgreich durchlaufen werden muß.

IV. Interessengruppen: die Lehren aus der Uruguay-Runde*

Jede Handelsrunde kennt die doppelte Problematik: Einerseits müssen substantielle Verbesserungen erreicht werden, und andererseits müssen sich die Handelsdiplomaten jedoch darum bemühen, für die Ergebnisse der Verhandlungen in den heimischen Parlamenten Mehrheiten zu bekommen. Die Bemühungen zur Liberalisierung des Welthandels beruhen auf der Theorie des wohlstands-fördernden Freihandels. Dies war von Anfang an die Handelsphilosophie des GATT, die von der Prämisse der wachstumspolitischen Überlegenheit eines liberalen Welthandels ausgeht. Welthandel ist jedoch weder ein „Nullsummenspiel“, noch kann es eine Ausweitung des Welthandels zum „Null-Tarif“ geben. Während einerseits die Vorteile aus einer Handelsausweitung für einige Staaten nicht zu Nachteilen für andere führen müssen, sondern vielmehr die Beteiligung am Welthandel für alle Staaten Vorteile bringt, kann andererseits der durch die Ausweitung des Welthandels verursachte strukturelle Anpassungsprozeß mit ökonomischen, sozialen und politischen Belastungen verbunden sein, die von den betroffenen Staaten nicht freiwillig akzeptiert werden. Bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Ausweitung des freien Welthandels werden Regierungen stets auf erhebliche politische Widerstände aufgrund der ökonomischen und sozialen Auswirkungen der notwendigen Strukturreformen stoßen. Angesichts geringer Wachstumsraten und hoher Arbeitslosigkeit in vielen Industrie-und Entwicklungsländern werden sich nicht nur die betroffenen Wirtschaftsbereiche gegen einen schnellen Abbau der bislang gewährten Schutzmaßnahmen wehren, sondern der politische Druck von seiten jener Interessengruppen wird anhalten, die aufgrund des Abbaus von Handelsbarrieren die bislang gewährten Vorteile verlieren werden.

In dieser Hinsicht werden die folgenden Bereiche auch in der Millennium-Runde die „hot issues“ bleiben: der Agrarbereich mit Sonderkonflikten wie Hormonfleisch, der Textilbereich, Umweltfragen mit dem Konflikt des „Ökodumping“, Sozial-standards mit dem schwierigen Konflikt des „Sozialdumping“ und den Sonderkonflikten zur Kinderarbeit und Zwangsarbeit, der Dienstleistungsbereich, aber auch Wettbewerbsregeln, Investitionen und das Problem der neuen Marktzugangsbeschränkungen.

Bei all diesen Fragen gibt es eine allgemeine Position der Europäischen Kommission und der Bundesregierung. Aber wie die Verhandlungen dann verlaufen werden und welches Ergebnis am Ende der Millennium-Runde möglich sein wird, dies läßt sich jetzt noch nicht absehen, denn dieses Ergebnis wird wesentlich von der Dynamik der Verhandlungen und den Aktivitäten der Interessengruppen beeinflußt. Hierfür ist der Agrarbereich in der Uruguay-Runde ein gutes Beispiel. Die Uruguay-Runde ist mehrmals am Agrarkonflikt fast gescheitert. Massiver politischer Druck von seiten der amerikanischen Regierung hat am Ende einen Kompromiß im Agrarkonflikt zwischen der EU und den USA erzwungen und damit einen erfolgreichen Abschluß der Handelsrunde ermöglicht.

Diese Situation könnte sich in der Millennium-Runde wiederholen. Bei der Liberalisierung des Agrarhandels ging es stets um drei Aspekte: Öffnung der Agrarmärkte, Abbau der heimischen Unterstützung für die Landwirtschaft und eine Reduzierung der Exportförderung im Agrarbereich. Im Unterschied zur Uruguay-Runde gibt es jetzt für die Europäische Union jedoch eine neue Situation, da ein Teil der Landwirtschaft der EU nun international wettbewerbsfähig ist. Von der Europäischen Union wird in der Millennium-Runde erwartet, daß sie in allen drei Bereichen konkrete Vorschläge macht, wie der bestehende Schutz für die Landwirtschaft weiter abgebaut werden soll -und es wird erwartet, daß sich der Handelskommissar aktiv darum bemüht, einen Kompromiß auszuarbeiten und nicht abzuwarten. bis wachsender politischer Druck von außen die Europäische Union zum Handeln zwingt. Das passive Festhalten an den bestehenden Beschränkungen im Agrarbereich hilft nur einer kleinen Gruppe von Landwirten, die allerdings in einigen Mitgliedstaaten ein beachtliches politisches Gewicht besitzt; gleichzeitig schaden die derzeitigen Regelungen jenen Landwirten, die mittlerweile international wettbewerbsfähig sind

Die Europäische Union scheint jedoch dem Modell der Uruguay-Runde folgen zu wollen. So haben die Agrarminister der EU bei einem Treffen Mitte September 1999 eine Positionsbestimmung für den Landwirtschaftsteil der Millennium-Runde verabschiedet, die festlegt, daß an den Grundzügen der EU-Landwirtschaftspolitik festgehalten werden soll, und es sollen insbesondere auch nicht-kommerzielle Aspekte bei den Verhandlungen mit einbezogen werden wie z. B. gesundheitliche Bedenken gegenüber manchen Agrarprodukten Hierbei geht es dann vor allem um den Konflikt mit den USA über die Öffnung des EU-Marktes für hormonbehandeltes Rindfleisch oder um gen-veränderte Organismen. Durch eine Änderung der WTO-Regeln möchten die EU-Agrarminister eine bessere Basis für einschlägige Genehmigungs-und Kennzeichnungsverfahren schaffen Wer wird diese Vorgabe der Agrarminister für die Verhandlungen unterstützen? Wer sollte darauf einwirken, daß diese Vorgaben geändert werden? Es ist immer wieder die alte Problematik: Diejenigen Gruppen, die mit Verlusten rechnen müssen, weil der Abbau von Handelsbarrieren ihre bisherigen Vorteile aufgrund dieser Beschränkungen verkleinert oder weg, werden sich naturgemäß aktiv dafür einsetzen, daß der bestehende Schutz beibehalten wird. Die Agrarlobby ist hierfür ein gutes Beispiel. Auf der anderen Seite verhalten sich diejenigen Gruppen in der Gesellschaft aus verschie-denen Gründen oftmals passiv, die die Vorteile einer Liberalisierung genießen werden. Und in vielen Bereichen hätte die Mehrheit der Bevölkerung als Konsumenten die Vorteile.

Bislang haben sich nur wenige Interessengruppen dezidiert zur Millennium-Runde geäußert und schon gar nicht medienwirksame Aktivitäten unternommen, um auf die Verhandlungspositionen der Regierungen einzuwirken. Die interessante Frage wird deshalb in den kommenden Jahren sein, welche Interessengruppen eine Fortsetzung der Liberalisierungsbemühungen effektiv verhindern oder aber kreativ und aktiv vorantreiben werden. Dies betrifft vor allem auch die wachsende Zahl von Nichtregierungsorganisationen, die zum Teil gut organisiert sind und eine konkrete Vorstellung davon haben, was sie erreichen möchten -und die ihre Mitglieder auch mobilisieren können, mit zum Teil medienwirksamen Aktionen die öffentliche Diskussion zu beeinflussen Und die Medien werden selber einen Konfliktbereich der neuen Handelsrunde darstellen. Die EU und die USA konnten sich schon in der Uruguay-Runde im audiovisuellen Bereich nicht einigen. Stellungnahmen der französischen Regierung sowie wichtiger deutscher Medienvertreter lassen erwarten, daß die Liberalisierung des Fernseh-und Film-bereichs auch in der neuen WTO-Runde einen grundlegenden Konflikt vor allem mit der amerikanischen Regierung darstellen wird

V. Ausblick: Ein Erfolg der Millennium-Runde muß erarbeitet werden

Die WTO-Mitglieder werden Ende November die Millennium-Runde beschließen. Dann werden auch erste Vereinbarungen getroffen im Hinblick auf Inhalt, Vorgehensweise und Zeitplan der Handelsrunde. Die Europäische Union hat sich für eine anspruchsvolle und umfassende WTO-Runde ausgesprochen. Die Verhandlungsposition der Europäischen Union wird wohl erst Ende Oktober vom Außenministerrat festgelegt werden Die Situation ist bei den anderen großen WTO-Mitgliedsländern ähnlich: Es gibt eine grundsätzlich positive Einstellung zur Millennium-Runde, aber die konkreten Verhandlungsa'ngebote fehlen noch.

Die zum Teil noch schwierigere Frage ist, ob die USA und die Europäische Union sich auf eine gemeinsame Führung in der Millennium-Runde verständigen können. Denn die Erfahrung aus früheren Handelsrunden zeigt, daß ein erfolgreicher Abschluß nur möglich war, wenn Brüssel und Washington zusammengearbeitet und eine Lösung vorbereitet haben. Beim Beginn der Millennium-Runde haben die EU und die USA jedoch unterschiedliche Vorstellungen über die Reichweite der Verhandlungen, über die Laufzeit sowie darüber, welches die wichtigen Bereiche der Verhandlungen sein sollen. Das Problem wird noch dadurch verschärft, daß es zunehmende Schwierigkeiten in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen gibt. Manche Beobachter meinen sogar, daß „die wirtschaftlichen Spannungen am Horizont dieser Beziehungen bedrohlicher denn je“ seien Die Millennium-Runde wird also mit großer Zustimmung durch die wichtigen WTO-Staaten beginnen, doch damit ist noch kein erfolgreicher Abschluß gesichert.

Es wird auch in der neuen WTO-Handelsrunde in den kommenden Jahren darauf ankommen, einen für die beteiligten Staaten akzeptablen Kompromiß zwischen dem ökonomisch Sinnvollen und dem politisch Machbaren auszuarbeiten. Diese doppelte Problematik hat die Uruguay-Runde mehrmals fast scheitern lassen. In einer dieser Krisenphasen der Uruguay-Runde hat Jagdish Bhagwati damals prägnant formuliert: „Ökonomen denken an die Vorteile für alle beteiligten Staaten aus verbesserten Handelsbeziehungen, während Handelsdiplomaten an die gemeinsamen Schwierigkeiten aller beteiligten Regierungen bei der Umsetzung von Handelszugeständnissen denken.“ Ein Erfolg der neuen WTO-Handelsrunde wird davon abhängen, wie die beteiligten Regierungen diese doppelte Problematik im Rahmen der Verhandlungen berücksichtigen werden, um konkrete und akzeptable Kompromisse auszuhandeln.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum Verlauf und den Ergebnissen der Uruguay-Runde siehe ausführlich: Bernhard May, Die Uruguay-Runde. Verhandlungsmarathon verhindert trilateralen Handelskrieg, Bonn 1994; ders., Die Errichtung der Welthandelsorganisation und das Aufbrechen neuer Streitfragen im Welthandel, in: Wolfgang Wagner u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Internationale Politik 1995/1996, München 1998, S. 57-67.

  2. Vgl. Rolf J. Langhammer, The WTO and the Millennium Round: Between Standstill and Leapfrog, Kieler Diskussionsbeiträge 352, Institut für Weltwirtschaft, Kiel. August 1999.

  3. Zu den neuen Herausforderungen vgl. Bernhard May, Die neuen Herausforderungen für den Freihandel, in: Karl Kaiser/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die neue Weltpolitik. Baden-Baden 1995, S. 236-246.

  4. Hierfür sind die neuerlichen Protestaktionen von französischen Landwirten Anfang September 1999 ein gutes Beispiel. Vgl. (Gy), Vom Einzelhandel zur Welthandelsrunde. Erhöhter Druck aus der französischen Landwirtschaft, in: Neue Zürcher Zeitung vom 7. September 1999.

  5. Zum Treffen der Agrarminister vgl. (Ht). Die EU schießt sich auf die WTO-Runde ein. Erster Positionsbezug der Agrarminister, in: Neue Zürcher Zeitung vom 15. September 1999.

  6. Auch in den USA formiert sich der Widerstand gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel. So hat der Biotechnologie-Aktivist Jeremy Rifkin zusammen mit einem Verband amerikanischer Kleinfarmer und Landwirten aus Lateinamerika, Asien, Europa und Nordamerika eine soge-nannte Anti-Gentech-Koalition gegründet, die gegen Gen-getreide-Konzerne aktiv vorgehen will. Vgl. Harald Schwarz, Klage gegen Gengetreide-Konzerne: Eine gefährliche Saat, in: Süddeutsche Zeitung vom 14. September 1999.

  7. Vgl. als Beispiel: (pfi), Für eine „nachhaltigere“ Handelspolitik. Schweizer NGO verlangen von der WTO eine Denkpause, in: Neue Zürcher Zeitung vom 13. August 1999.

  8. Vgl. hierzu den Beitrag des Intendanten des WDR: Fritz Pleitgen, Spurensicherung am Tatort Electronic Commerce. Die Idee der kulturellen Nachhaltigkeit ist kein Plädoyer für den Ausstieg aus dem Konkurrenzkampf. Zur Konferenz der Welthandelsorganisation WTO in Seattle, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. September 1999.

  9. Die vorläufige Fassung des Konzepts der EU für die WTO-Handelsrunde kann von der website der EU-Kommission heruntergeladen werden (http: //Externer Link: http://www.europa. eu. int/comm/dg 01/0807/nrde. pdf).

  10. Bruce Stokes, Transatlantischer Handel in Gefahr. Belastungen durch neue Technologien, in: Internationale Politik, 54 (1999) 9, S. 72.

  11. Jagdish Bhagwati, Jumpstarting GATT, in: Foreign Policy, Sommer 1991, S. 105-118, hier: S. 111.

Weitere Inhalte

Bernhard May, Dr. rer. pol., Dipl. -Volksw., geb. 1952; wiss. Mitarbeiter im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Die Uruguay-Runde, Bonn 1994; (zus. mit Helmut Hubel) Ein „normales“ Deutschland, Bonn 1995; Japan in der Krise?, Bonn 1996.