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Kleine (Unternehmens-)Geschichte der Eisenbahn in Deutschland | bpb.de

Kleine (Unternehmens-)Geschichte der Eisenbahn in Deutschland

Christopher Kopper

/ 15 Minuten zu lesen

Die erste deutsche Eisenbahn wurde 1835 zwischen Nürnberg und Fürth in Betrieb genommen. Die darauf folgende Entwicklung des hiesigen Schienenverkehrs und seiner institutionellen Verfasstheit war stets eng mit der deutschen Geschichte verbunden.

Die erste deutsche Eisenbahn, die 1835 zwischen Nürnberg und Fürth in Betrieb genommen wurde, war eine Gründung privater Investoren. Die deutschen Staaten stiegen erst in den 1840er Jahren in den Bau von Bahnlinien ein. Während einzelne Staaten wie Baden von Anbeginn auf ein reines Staatsbahnsystem setzten, entstand in Preußen ein Mischsystem aus Privatbahnen und Staatsbahn. Ab 1850 entwickelte sich der Eisenbahnbau zur Lokomotive der wirtschaftlichen Entwicklung.

Kaiserreich

Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 spielte die Eisenbahn erstmals eine strategisch wichtige Rolle für den Aufmarsch und den Nachschub von Truppen und Material. Zugleich wurde ein Teil der Kriegskosten durch den Verkauf von Eisenbahnaktien gedeckt. Nach dem Krieg erlaubten die hohen französischen Kriegskontributionen der preußischen Regierung, im großen Stil Aktien privater Bahngesellschaften zu kaufen und den Anteil der Staatsbahn am Streckennetz zu erhöhen. Die preußische Regierung strebte an, alle Hauptbahnen in den Besitz der staatlichen Eisenbahnverwaltung zu bringen. Als 1873 die Bahnen des als "Eisenbahnkönig" bekannten Unternehmers Bethel Strousberg Konkurs anmeldeten, bot sich die Gelegenheit zu einer großen Erweiterung des Staatsbahnnetzes, und bis 1880 waren fast alle Hauptbahnlinien in Preußen in staatlicher Hand.

Die Königlich Preußische Eisenbahnverwaltung (KPEV) entwickelte sich zur größten Eisenbahngesellschaft der Welt. Ihr Netz umfasste etwa zwei Drittel des Reichsgebiets. Neben Preußen gehörten die Territorien der thüringischen Kleinstaaten und das Herzogtum Braunschweig zum Betriebsgebiet, ab 1897 auch Hessen. Neben der KPEV gab es die deutlich kleineren Staatsbahnbetriebe von Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden und Oldenburg. Damit die Waggons der Staatsbahnverwaltungen und der privaten Eisenbahngesellschaften im gesamten Reich einsetzbar waren, legte der Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen Standardmaße für die Größe der Waggons und Normen für die Kupplungen fest.

Die preußische Staatsbahn trug nicht ohne Grund den Namen "Eisenbahnverwaltung". Die KPEV war ein unselbstständiger Regiebetrieb und Teil der preußischen Staatsverwaltung. An ihrer Spitze stand bis 1919 der preußische Minister für öffentliche Arbeiten. Wie in der öffentlichen Verwaltung war das Personal in vier Laufbahngruppen vom einfachen bis zum höheren Dienst aufgeteilt. Mit Ausnahme der Werkstatt- und Bahnunterhaltungsarbeiter besaßen die Bediensteten den Beamtenstatus und genossen das Privileg einer gesicherten Beschäftigung und einer auskömmlichen Pension. Als Gegenleistung waren sie ihrem obersten Dienstherrn, dem preußischen König und deutschen Kaiser, zu besonderer Treue verpflichtet. Das Recht auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft galt für sie nicht, und wer in die sozialdemokratische Eisenbahnergewerkschaft eintrat, musste mit der Entlassung rechnen. Den Bahnbeamten war lediglich die Mitgliedschaft in patriotischen und kaisertreuen Beamtenvereinen gestattet.

Innerhalb des preußischen Fiskus war die KPEV ein Nebenhaushalt von beträchtlicher Größe. Vor dem Ersten Weltkrieg erwirtschaftete sie jährliche Nettoüberschüsse von mehr als 200 Millionen Mark. So verfügte die preußische Regierung über eine sprudelnde Einnahmequelle, die der Kontrolle des Preußischen Landtags entzogen war. Bereits in den 1870er Jahren erweckten die hohen Überschüsse der Staatsbahnen die Begehrlichkeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck. Sein Versuch, sie in Reichseigentum zu überführen und dem Reich eine große neue Einnahmequelle zu sichern, scheiterte jedoch am Bundesrat, wo die übrigen deutschen Staaten die "Verreichlichung" der Staatsbahnen blockierten.

Die Friedensjahre des Kaiserreiches von 1871 bis 1914 waren das Zeitalter der Mobilitätsexplosion. Während das Hauptbahnnetz zum Zeitpunkt der Reichsgründung bereits recht weit entwickelt war, lag das Deutsche Reich in der Flächenerschließung noch deutlich hinter Großbritannien zurück. Das deutsche Eisenbahnnetz holte den Rückstand in den nächsten Jahrzehnten vollständig auf, als die Staatsbahnen den Ausbau des Neben- mit den hohen Überschüssen aus dem Hauptbahnnetz finanzieren konnten. Während das deutsche Eisenbahnnetz 1870 noch eine Streckenlänge von 18.300 Kilometern umfasste, waren es 1913 60.800 Kilometer. Das preußische Ministerium für öffentliche Arbeiten baute das Bahnnetz zur Förderung der regionalen Wirtschaft und zur Integration des Binnenmarkts planmäßig aus. Die Regierungen der preußischen Provinzen erhielten Zuschüsse aus dem preußischen Staatshaushalt, um den Bau von kreiseigenen Sekundär- und Kleinbahnen zu fördern. Neben den Nebenbahnlinien der KPEV entstanden Tausende Kilometer normal- und schmalspurige Kreisbahnen zur Erschließung ländlicher Räume.

Die Mobilität per Eisenbahn wurde im Kaiserreich zu einer Alltagserscheinung. Von 1870 bis 1913 stieg die Zahl der Passagierkilometer fast auf das Zehnfache, von 4,4 auf 41,2 Milliarden. Ab der Jahrhundertwende boten die Staatsbahnen stark vergünstigte Arbeiterwochenkarten an, die das Pendeln zum Arbeitsplatz für Arbeiter aus dem Umland der Städte erschwinglich machte. Dies ermöglichte die Durchsetzung neuer Lebensformen wie des Arbeiterbauern, der in seiner Heimatgemeinde ein Stück Land bearbeitete und seinen Lebensunterhalt in einem städtischen Industrie-, Handwerks- oder Baubetrieb verdiente. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes und die Beschleunigung und Verdichtung des Zugbetriebs führten auch zu einer kommunikativen Revolution: Der Posttransport per Bahn verkürzte die Laufzeit von Briefen erheblich. Die Berliner Morgenzeitungen, die am Abend des Vortags gedruckt wurden, erreichten am nächsten Tag die Zeitungskioske in den Städten des Reiches.

Diese Entwicklungen wurden mit Beginn des Ersten Weltkrieges unterbrochen. Die Staatsbahnen waren in die militärischen Aufmarschplanungen integriert und mussten auf Wunsch des Generalstabs strategisch wichtige "Kanonenbahnen" nach Westen bauen. Allein in den ersten beiden Wochen des August 1914 waren 32.000 Züge mit Truppentransporten und Nachschub an die West- und Ostfront unterwegs. Während die deutschen Bahnen ihre Transportaufgaben beim Aufmarsch gegen Belgien, Frankreich und Russland reibungslos erfüllten, waren sie dem vier Jahre dauernden Verschleißkrieg nicht gewachsen. Ab 1916 führte der Mangel an einsatzfähigen Loks und Waggons zu Versorgungsengpässen für die Zivilbevölkerung, die unter einem Mangel an Nahrung und an Kohlen litt. Zugleich unterschätzte die Oberste Heeresleitung die logistische Bedeutung der Eisenbahnen für die Aufrechterhaltung der Kriegsproduktion und versorgte die Staatsbahnen nur nachrangig mit Eisen, Stahl und Kupfer. Die Schienenfahrzeughersteller wie Krupp, Henschel und Krauss-Maffei stellten ihre Produktion wegen der hohen Gewinnspannen für Heereslieferungen teilweise auf Waffen um, wodurch sich der Fahrzeugmangel weiter verschärfte.

Weimarer Republik

Am Ende des Ersten Weltkrieges waren das Gleisnetz, die Lokomotiven und die Waggons wegen der Überlastung und infolge rückständiger Reparaturen stark verschlissen. Der Substanzverzehr wurde durch die Reparationsforderungen der alliierten Siegermächte zusätzlich verschärft, die zum Ausgleich für die Kriegszerstörungen in Belgien und Frankreich ultimativ die Übergabe von 5.000 Loks forderten.

Die Regierung der Weimarer Republik und die Nationalversammlung waren sich einig, die Länderbahnen in den Besitz des Reiches zu überführen und zur Reichsbahn zu fusionieren. Dieses Mal verzichteten die Länder auf ein Veto gegen das Ende des Eisenbahnföderalismus. Der Krieg, die Zwangsablieferungen und die steigende Inflation hatten die profitablen Länderbahnen in Verlustbringer verwandelt, sodass die Länder ihre Eisenbahnen 1920 sogar ein Jahr früher als geplant in Reichsbesitz übertrugen.

Die Reichsbahn unter der Führung des Reichsverkehrsministers besaß als unselbstständiger Regiebetrieb und Teil des Reichsfiskus den gleichen rechtlichen Status wie die KPEV. In ihren ersten Jahren holte sie den kriegsbedingten Instandhaltungsrückstand auf und startete ein großes Beschaffungsprogramm. Die verschlissenen oder als Reparationsgut abgegebenen Lokomotiven aus der Kaiserzeit wurden durch moderne Loks ersetzt. Der Übergang zu den Einheitsbaureihen der Reichsbahn reduzierte die große und unwirtschaftliche Typenvielfalt der Länderbahnen mit über 100 Lokomotivtypen. Allerdings musste der Reichshaushalt schon bald ein immer größeres Betriebsdefizit decken, da während der Inflation die Tarife hinter den Kostensteigerungen zurückblieben.

1924 erhielt die Reichsbahn die Rechtsform einer reichseigenen Aktiengesellschaft. Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) wurde von einem autonomen Vorstand mit voller unternehmerischer Verantwortung geführt und konnte über Beschaffungen, Netzausbau und Tarife eigenständig entscheiden. Zudem erhielt sie eine wichtige Funktion bei der Aufbringung der deutschen Kriegsreparationen. Nach dem internationalen Reparationsabkommen von 1924 (Dawes-Plan) brachte die DRG jährlich 660 Millionen Reichsmark Reparationen auf, wodurch sie den Reichshaushalt und die deutsche Wirtschaft erheblich entlastete. Für die alliierten Reparationsgläubiger war die DRG ein "produktives Pfand". Der Güterverkehr mit Kaufmannsgütern und der Personenfernverkehr erbrachten hohe Gewinne, sodass die Investitionsspielräume der DRG nicht beeinträchtigt waren.

Die DRG war nicht nur der größte, sondern auch der technisch modernste Bahnbetrieb Europas. Mit dem Bau elektrifizierter S-Bahn-Netze in Berlin und Hamburg und der Einführung von dieselgetriebenen Triebwagen ("Fliegender Hamburger") mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern setzte sie neue Maßstäbe. Das Verhältnis der DRG zu den alliierten Reparationsgläubigern war spannungsfrei, während sie mit der Reichsregierung wegen Tariferhöhungen regelmäßig in Konflikte geriet. Die DRG wurde als gewinnorientiertes, aber nicht wie ein gewinnmaximierendes Unternehmen geführt. Das Management bestand weiterhin aus höheren Eisenbahnbeamten, die kaufmännisch dachten, sich aber einer gemeinwohlorientierten Betriebsführung verpflichtet fühlten. So wurden etwa für die Tarife im Güterverkehr, der bis in die 1950er Jahre zwei Drittel aller Einnahmen einbrachte, auch regionalwirtschaftliche und strukturpolitische Interessen berücksichtigt.

Ab dem Ende der 1920er Jahre stellte der Lkw-Fernverkehr das bestehende Geschäftsmodell aus gewinnbringenden Gütertarifen für Kaufmannsgüter und gemeinwohlorientierten Tarifen für Rohstoffe infrage. Die Weltwirtschaftskrise verschärfte den Konkurrenzdruck durch die Lkw-Spediteure, die ihre Frachtraten bis auf die Grenzkosten drückten. 1931 intervenierte die Reichsregierung durch eine eingeschränkt wirksame Notverordnung gegen die Unterschreitung der Bahntarife. Von 1929 bis zum Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1932 ging der Güterverkehr auf der Schiene um 40 Prozent zurück. 1931 und 1932 schrieb die DRG zum ersten Mal rote Zahlen.

Nationalsozialismus

Als die Nationalsozialisten Anfang 1933 die Macht übernahmen, reagierte die Führungsspitze der DRG passiv und gehorsam. Im März 1933 ließ sie das Hissen der Hakenkreuzfahne an Bahngebäuden zu und erklärte im Juni den Hitlergruß zur Pflicht. Sie setzte die von der Reichsregierung geforderte Entlassung der jüdischen und sozialdemokratischen Bahnbeamten um, versuchte allerdings, an besonders qualifizierten jüdischen Mitarbeitern so lange wie möglich festzuhalten.

Die Reichsregierung verlangte von der DRG betrieblich nicht notwendige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, von denen vor allem arbeitslose SA-Männer profitierten. Obwohl die DRG bis 1936 ein selbstständiges Unternehmen blieb, passte sie sich den Wünschen der Regierung widerstandslos an. Da die Finanzierung der Aufrüstung und des Autobahnbaus durch Reichsanleihen Vorrang hatten, durfte die Reichsbahn keine eigenen Anleihen auf dem Kapitalmarkt platzieren. Als sie ab 1936 dank der rüstungsbedingten Hochkonjunktur wieder Investitionen aus eigener Kraft finanzieren konnte, wurde sie bei der Zuweisung von Eisen und Stahl benachteiligt. Die eingeschränkten Investitionsmöglichkeiten führten ab 1938 zu ersten Kapazitätsengpässen im Verkehr. 1937 beendete Hitler den Status der DRG als autonomes reichseigenes Unternehmen und ließ die Reichsbahn in das Reichsverkehrsministerium und in den Reichsfiskus eingliedern. Der seit 1926 amtierende DRG-Generaldirektor Julius Dorpmüller erhielt das Amt des Reichsverkehrsministers und blieb bis 1945 in Personalunion Chef der Reichsbahn.

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges, die damit verbundenen Verdunkelungsvorschriften und der sehr harte Winter 1939/40 verursachten erhebliche Verkehrsstörungen im Bahnverkehr. Bis zum Sommer 1944 funktionierte der Verkehr relativ zuverlässig, bevor alliierte Bomberverbände die Reichsbahn durch gezielte Angriffe auf Bahnanlagen zum Erliegen brachten. Im Winter 1941/42 kam es wegen des großen Lokomotivbedarfs für Transporte zur Ostfront zu Nachschubproblemen. Auf Drängen des Reichsrüstungsministers Albert Speer stellte die Reichsbahn die Lokbeschaffung auf eine besonders rationell gefertigte und technisch vereinfachte Kriegslok (Baureihe 52) um, von der in den letzten beiden Kriegsjahren 6.000 Stück gebaut wurden.

Von 1941 bis 1944 transportierte die Reichsbahn mehrere Millionen Juden in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager und damit in den Tod. Obwohl dabei häufig Viehwaggons zum Einsatz kamen, kassierte die Reichsbahn den regulären Tarif für Gruppenreisen. Die Deportationszüge wurden mit dem beschlagnahmten Vermögen der ermordeten Juden bezahlt. Obwohl Deportationstransporte keine Priorität besaßen, sorgte der stellvertretende Reichsbahn-Generaldirektor Albert Ganzenmüller für den Vorrang der SS bei der Gestellung von Deportationszügen. Nach dem Krieg schwiegen die Verantwortlichen der Reichsbahn über ihre Mitverantwortung für die Deportationen. Keiner von ihnen wurde je von einem deutschen Gericht verurteilt.

Bundesrepublik

Nach dem Krieg betraf die Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen auch die Reichsbahn. 1947 übernahm die Verwaltung für Verkehr in der amerikanischen und der britischen Besatzungszone (Bizone) die Leitung des Schienenverkehrs. Die Aufbauleistungen der Eisenbahn in den ersten Nachkriegsjahren reichten aus, um nach der Währungsreform im Juni 1948 alle wichtigen Verkehrsbedürfnisse der Wiederaufbaugesellschaft decken zu können. Nach Gründung der Bundesrepublik wurde die Reichsbahn in der Bizone im September 1949 in Deutsche Bundesbahn (DB) umbenannt. Die Eisenbahn in der französischen Besatzungszone wurde bis Anfang 1951 in die DB integriert. In der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR behielt die Bahn den alten Namen "Deutsche Reichsbahn". Damit konterkarierte die Regierung der DDR den Alleinvertretungsanspruch der Bundesbahn für die deutschen Eisenbahnen in den internationalen Eisenbahnorganisationen. Im geteilten Berlin übertrugen die Alliierten der Reichsbahn den Bahnverkehr einschließlich der S-Bahn. In der DDR blieb die Reichsbahn im Verkehrsministerium eingegliedert. Sie stand unter der Leitung des Verkehrsministers und unterlag der zentralen Wirtschaftsplanung.

Die DB wurde mit dem Bundesbahngesetz 1951 administrativ und finanziell von der Verwaltung des Bundes getrennt. Sie erhielt den Status eines rechtlich unselbstständigen Sondervermögens mit eigenem Vorstand. Das Bundesbahngesetz stellte der DB zwei Ziele, die sich schon 1951 nicht mehr vereinbaren ließen: Das Ziel einer gemeinwohlorientierten Verkehrsbedienung stand im Widerspruch zu dem Ziel, angemessene Gewinne zu erwirtschaften und an den Bund abzuführen. Die DB musste die Kosten des Wiederaufbaus in Höhe von zwei Milliarden D-Mark aus eigenen Mitteln tragen. Während die Bahn bis zur Währungsreform gleichzeitig Gewinne hatte erwirtschaften und ihren Wiederaufbau finanzieren können, brachen die Gewinne nun weg. Das Boomjahr 1951 war das einzige Jahr in ihrer Geschichte, in dem die DB einen kleinen Gewinn von 76 Millionen D-Mark erzielen konnte.

Das Geschäftsmodell der Vorkriegszeit, Defizite des Personennahverkehrs aus den Überschüssen des Güterverkehrs zu decken, funktionierte ab den 1950er Jahren nicht mehr. Hierfür war die zunehmende Konkurrenz des Lkw-Fernverkehrs verantwortlich, der der DB immer mehr lukrative Transporte von Kaufmannsgütern kostete. Während die Tarife des gewerblichen Lkw-Fernverkehrs weiterhin an die Bahntarife gebunden blieben, konnten werkseigene Lkw Transportleistungen zum Teil deutlich kostengünstiger anbieten als die Bahn. Die Steuerpolitik der Bundesregierung begünstigte diese Entwicklung: Zur Förderung des Wiederaufbaus erhielten Unternehmen Steuervorteile durch hohe Abschreibungssätze für Investitionsgüter. Da das Defizit der DB ab 1953 stetig wuchs, versuchten Bundesfinanz- und Bundesverkehrsministerium gegenzusteuern. Doch selbst die Einführung einer hohen, als prohibitiv angesehenen Sondersteuer für den werkseigenen Lkw-Fernverkehr konnte die Verschiebung der Verkehrsanteile von der Schiene zur Straße lediglich verlangsamen.

Zugleich lasteten Personalkosten zunehmend auf der DB: Nicht nur stiegen die Aufwendungen für Beamtenpensionen, bis Mitte der 1950er Jahre beschäftigte sie auch 50.000 Menschen mehr, als betrieblich notwendig war. Das 1950 verabschiedete Gesetz für die Wiedereingliederung von ehemaligen Beamten und Berufssoldaten in den öffentlichen Dienst (Artikel 131-Gesetz) verpflichtete die DB, über ihren Bedarf hinaus Beamte wiedereinzustellen. Hiervon profitierten nicht nur geflohene und vertriebene Reichsbahnbeamte, die ihre frühere Dienststelle auf dem Gebiet der deutschen Ostgebiete und der DDR verloren hatten. Auch ehemalige Nationalsozialisten, die im Zuge der Entnazifizierung entlassen worden waren, wurden wieder eingestellt.

Wegen ihrer negativen Ertragslage musste die DB schon in den 1950er Jahren einen zunehmenden Anteil ihrer Investitionen durch Kreditaufnahmen finanzieren. Obwohl der Bund ihr 1958 und 1961 einen Teil der hohen Pensionslasten und mehrere Milliarden D-Mark Schulden abnahm, litt die DB weiterhin unter einseitigen Wettbewerbsnachteilen: Die DB subventionierte den Pendlerverkehr durch besonders günstige Wochen- und Monatskarten und förderte die Mobilität von Menschen mit Behinderungen durch Tarifvergünstigungen, erhielt aber vom Bund, der die Sozialtarife veranlasst hatte, keinen angemessenen Ausgleich.

Das Bundesbahngesetz war zu einem Zeitpunkt verabschiedet worden, als die Bundesregierung und der Bundestag eine Rückkehr zur komfortablen Ertragslage der Vorkriegszeit erwarteten. Der Durchbruch des Lkw zum stärksten Konkurrenten der Bahn und das Vordringen des Autos als Massenprodukt zwangen die Verantwortlichen zum Umdenken. Trotz der erkennbaren Problemlage wurden die Ergebnisse zweier Expertenkommissionen zur Sanierung der DB in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren nur halbherzig umgesetzt. Bundesverkehrsminister Hans Christoph Seebohm (DP/CDU) setzte vergeblich auf Wettbewerbseinschränkungen im Güterfernverkehr auf der Straße und lehnte den Ausgleich der gemeinwirtschaftlichen Lasten der DB durch den Verkehrshaushalt ab.

In den 1960er Jahren erkannten Verkehrsexperten die zunehmende Bedeutung des schienengebundenen Nahverkehrs in Ballungsräumen. 1965 geschah ein erster Schritt in Richtung eines entsprechenden Ausbaus, als die Stadt München und das Land Bayern mit der DB einen Vertrag über den Bau eines S-Bahn-Netzes in der Region München unterzeichneten. 1967 schloss die Bundesregierung die Finanzierungslücke, die bislang die Modernisierung und den Ausbau von S-Bahn-Netzen verhindert hatte.

Mitte der 1960er Jahre lösten Elektro- und Diesellok die überkommene Dampflok als wichtigsten Zugantrieb ab. Die DB stellte 1965 den ersten Loktyp mit einer Höchstgeschwindigkeit von 200 Stundenkilometern vor, als nur ein einziger Streckenabschnitt in ihrem Netz für Tempo 200 ausgebaut war. Erst als Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD) 1968 den "Leber-Plan" zur Modernisierung der DB vorstellte, konnte die DB-Hauptverwaltung mit langfristigen Ausbauplanungen beginnen.

Die Bundesbahn geriet durch ihre steigenden Defizite und ihre wachsende Verschuldung in eine zunehmende finanzielle Abhängigkeit vom Bund. Größere Neuinvestitionen erforderten die Zustimmung des Bundesverkehrsministeriums. Der Bund stellte der DB ab Anfang der 1970er Jahre wachsende Mittel für den Ausbau des Kernnetzes und den Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken zur Verfügung, vernachlässigte aber die Modernisierung und Rationalisierung der Nebenstrecken im ländlichen Raum. Mangels einer staatlichen Beteiligung an den hohen Betriebskosten war die DB ab den späten 1960er Jahren zur Stilllegung des Personenverkehrs auf zahlreichen Nebenstrecken gezwungen. Im Güterverkehr führte der wirtschaftliche Strukturwandel zu einem Bedeutungsverlust der Bahn. Sie besaß in der schrumpfenden Grundstoffindustrie die höchsten Marktanteile, aber konnte beim Transport von Kaufmannsgütern und in modernen Logistikkonzepten immer weniger mit dem Lkw konkurrieren.

Mit ihrem Schuldenberg von 50 Milliarden D-Mark fehlten der DB nicht allein finanzielle Mittel, sondern auch unternehmerische Handlungsspielräume, um weitere Verluste ihrer Marktanteile im Verkehr zu verhindern. Trotz des unstrittigen Handlungsbedarfs wurde eine grundlegende Reform der DB und der Schienenverkehrspolitik bis zum Ende der 1980er Jahre hinausgezögert. Im Sommer 1989 beauftragte das Bundesverkehrsministerium eine Expertenkommission mit einem Konzept für eine wirtschaftlich eigenständige und zukunftsträchtige Bahn in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Durch die Wiedervereinigung und die Eingliederung der ostdeutschen Reichsbahn in die DB stieg der Handlungsdruck weiter. Da die Rechtsform der Bundesbahn in Artikel 87 des Grundgesetzes festgeschrieben war, benötigten Bundesregierung und Bundesbahn eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Bundesbahnchef Heinz Dürr und Verkehrsminister Günther Krause (CDU) gelang es, alle Landesregierungen, die oppositionelle SPD und die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (heute Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, EVG) für die Bahnreform zu gewinnen. Nur die Gewerkschaft der Bundesbahnbeamten und die Gewerkschaft der Lokomotivführer versagten der Umwandlung der Bundesbahn in eine zu 100 Prozent bundeseigene Aktiengesellschaft ihre Zustimmung.

Der Bund verschaffte der DB AG die notwendigen finanziellen Mittel für einen gelingenden Neustart. Er übernahm sämtliche Altschulden, die Mehrkosten für aktive Bahnbeamte und Pensionäre und leistete bis nach der Jahrtausendwende Milliardenzuschüsse zur Deckung der besonders hohen Betriebsdefizite in Ostdeutschland. Die DB profitierte in den 1990er und 2000er Jahren von deutlich höheren Investitionszuwendungen zur Sanierung und zum Ausbau des Netzes und zum Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken. Mit ihrer zurückgewonnenen wirtschaftlichen Selbstständigkeit konnte die DB deutlich flexibler auf die Anforderungen des intermodalen Wettbewerbs reagieren. Hohe Investitionen in neue Fahrzeugbaureihen und in die Rationalisierung des Zugbetriebs brachten in den ersten zehn Jahren jährliche Produktivitätssteigerungen von zehn Prozent. Die beschleunigte technische Innovation durch autonome und gestraffte Beschaffungsprozesse brachte mitunter Probleme. So erhielt die DB von der Fahrzeugindustrie gelegentlich Modellreihen, die technisch noch nicht ausgereift waren.

Die Organisation des bislang hochdefizitären Nahverkehrs wurde auf das Bestellprinzip umgestellt: Die Länder erhielten feste jährliche Zuweisungen des Bundes. Um eigene Mittel ergänzt, traten die Länder jetzt als Besteller von Zugleistungen auf. Die DB wurde zu einem Konzern mit selbstständigen Gesellschaften für Nah-, Fern- und Güterverkehr, für Stationen und für das Schienennetz umgebaut, die durch Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit der Konzernmutter verbunden wurden. Es gelang der DB AG und ihren Wettbewerbern auf der Schiene, den Anteil des Schienenverkehrs im Personenverkehr zu steigern und im Güterverkehr trotz des Strukturwandels zu halten. Die Bundesnetzagentur sorgte für diskriminierungsfreie Nutzungsentgelte für das Schienennetz, die gleichermaßen für die DB-Gesellschaften wie für ihre Konkurrenten galten.

Ab 2004 verfolgte der Konzernvorstand den Plan, einen Teil des DB-Kapitals an der Börse zu platzieren. Die verhältnismäßig günstige Ertragslage bestärkte den Vorstand in seiner Erwartung, dass eine Teilprivatisierung gelingen könnte. Der Börsengang wurde jedoch 2008 unter anderem wegen der Finanzkrise abgeblasen. Die positive Ertragslage der Jahre zuvor war durch die Vernachlässigung von Investitionen in das Gleisnetz und einen Personalabbau in den Werkstätten erkauft worden, der sich im Betriebsablauf negativ bemerkbar machte. Eine dauerhaft hohe Eigenkapitalrendite von acht Prozent als Voraussetzung eines erfolgreichen Börsengangs ließ sich in der kapitalintensiven DB AG nicht nachhaltig erwirtschaften. Die Bahnreform löste viele, aber nicht alle strukturellen Probleme der Bahn. Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarländern investiert der Bund noch immer zu wenig Geld in den Ausbau des Schienenverkehrs.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dieter Ziegler, Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung, Stuttgart 1996; Lothar Gall, Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, in: ders./Manfred Pohl (Hrsg.), Die Eisenbahn in Deutschland, München 1999, S. 13–70; Rainer Fremdling, Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840–1879, Dortmund 1975.

  2. Vgl. Ralf Roth, Das Jahrhundert der Eisenbahn, Ostfildern 2005.

  3. Zur Verkehrsstatistik seit 1850 siehe Christopher Kopper, Verkehr und Kommunikation, in: Thomas Rahlf (Hrsg.), Deutschland in Daten, Bonn 2015, S. 224–235.

  4. Vgl. Christopher Kopper, Transport und Verkehr, in: Marcel Boldorf (Hrsg.), Handbuch Deutsche Wirtschaft im Ersten Weltkrieg, Berlin 2020, S. 105–122. Siehe auch Christopher Kopper, Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert, München 2002.

  5. Vgl. ders., Ein Opfer der alliierten Reparationspolitik?, in: Jan-Otmar Hesse/Dieter Ziegler (Hrsg.), 1919 – Der Versailler Vertrag und die deutschen Unternehmen, Berlin 2022, S. 157–173.

  6. Vgl. Alfred C. Mierzejewski, The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway, Bd. 1 (1920–1932), Chapel Hill 1999; Eberhard Kolb, Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik, in: Gall/Pohl (Anm. 1), S. 109–163.

  7. Vgl. Alfred Gottwaldt, Die Reichsbahn und die Juden 1933–1939, Wiesbaden 2011. Zur Geschichte der Reichsbahn im Nationalsozialismus siehe Mierzejewski (Anm. 6), Bd. 2 (1933–1945), Chapel Hill 2000.

  8. Vgl. Raul Hilberg, Sonderzüge nach Auschwitz, Frankfurt/M. 1981; Alfred Gottwaldt/Diana Schulle, Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Wiesbaden 2005.

  9. Vgl. Christopher Kopper, Die Bahn im Wirtschaftswunder, Frankfurt/M. 2007.

  10. Vgl. Hans-Peter Schwarz, Wiedervereinigung und Bahnreform 1819–1994, in: Gall/Pohl (Anm. 1), S. 377–418.

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ist außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte der Universität Bielefeld.
E-Mail Link: christopher.kopper@uni-bielefeld.de