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Schutz der Menschenwürde | Grundrechte | bpb.de

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Schutz der Menschenwürde

Mathias Metzner

/ 4 Minuten zu lesen

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Der Schutz der Menschenwürde steht nicht nur im Text des Grundgesetzes an erster Stelle, er hat auch überragende Bedeutung als oberster Verfassungswert und tragendes Verfassungsprinzip.
Inhaltlich bedeutet der Schutz der Menschenwürde, dass der Mensch selbst immer Zweck an sich bleiben muss und dass er nicht zum Zweck für etwas Anderes gemacht werden darf. Damit vollzieht das Grundgesetz eine deutliche Abkehr von der in der Zeit des Nationalsozialismus vertretenen Maxime, dass der Einzelne nichts sei und der Staat alles.
Auf dem Boden des Grundgesetzes ist es umgekehrt: Der Staat ist für den Menschen da; zuerst kommt der Mensch, dann der Staat.

Wenn der Schutz der Menschenwürde dem Staat verbietet, Bürgerinnen und Bürger zu Objekten seines Handelns zu machen, ist damit vorrangig das Verbot menschenunwürdiger Behandlung gemeint. Der Staat darf Menschen nicht erniedrigend behandeln, brandmarken und ächten. Ebenso sind Folter und grausame Strafen verboten. Aus diesen Beispielen wird aber auch deutlich, dass wegen der fundamentalen Bedeutung der Menschenwürde diese nicht dazu herhalten kann, schon Beeinträchtigungen von geringer Intensität abzuwehren.

Der hohe Rang der Menschenwürde kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Menschenwürde vorbehaltlos garantiert ist. Dies lässt sich am Wortlaut der Vorschrift eindeutig erkennen:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Kein Gesetz darf also zu einem Eingriff in die Menschenwürde ermächtigen, und seien die dafür angeführten Gründe auch von noch so hohem Rang.
Beispiel: Die Strafprozessordnung enthält einen abschließenden Katalog von Befugnissen, die die Polizei zur Aufklärung von Straftaten einsetzen darf (zum Beispiel die Durchsuchung einer Wohnung, die Überwachung von Telefonanrufen, verschiedene körperliche Untersuchungen). Hat die Anwendung all dieser Mittel nicht dazu geführt, den der Tat Verdächtigten zu überführen, ist es der Polizei nicht erlaubt, zur Aufklärung der Straftat, mag sie auch noch so gravierend (etwa Mord, Totschlag) sein, zum Mittel der Folter zu greifen.
Gesetzliche Befugnisse dieser Art enthält die Strafprozessordnung daher nicht, im Gegenteil: § 136a StPO verbietet sogar ausdrücklich den Einsatz solcher Mittel und wiederholt damit eigentlich nur das, was unmittelbar aus der Gewährleistung der Menschenwürde folgt.

QuellentextSicherheitspolitik im Konflikt mit der Menschenwürde

[H]eftig flackert seit den neunziger Jahren der Streit um das, was man die "Rettungsfolter" nennt.
Im Anfang war es ein Professor aus Heidelberg namens ­Winfried Brugger. Der forderte sie seit 1996. Wenn ein festgenommener Terrorist weiß, wo die Bombe tickt, die eine ganze Stadt bedroht, dann soll ein bisschen Folter möglich sein. Es kam der 11. September 2001 und im Jahr darauf die Folterandrohung des Frankfurter Polizeivizepräsidenten gegen den Entführer eines kleinen Jungen, um das Leben des Kindes zu retten. […]

2006 sprach das Bundesverfassungsgericht. Es ging um das vom Bundestag beschlossene neue Luftsicherheitsgesetz, nach dem es erlaubt sein sollte, ein von Terroristen entführtes Flugzeug mit vielen Passagieren an Bord abzuschießen. Dieses ­Gesetz wurde in Karlsruhe […] als verfassungswidrig kassiert, weil es Passagiere und Besatzung "als bloße Objekte (s)einer Rettungsaktion zum Schutze anderer" behandelt.

Damit hatte sich zugleich die "Rettungsfolter" erledigt. Denn auch ein von der Polizei gefolterter Terrorist wird körperlich und seelisch erniedrigt als Objekt einer Rettungsaktion zum Schutz anderer. Für das Flugsicherheitsgesetz hieß das:

Es gibt keinen gesetzlichen Freibrief für die Regierung in einem solchen Fall. Sie muss ohne Gesetz selbst entscheiden und notfalls die Folgen tragen. […]

Uwe Wesel: "Unantastbar", in: Die Zeit Nr. 49 vom 27. November 2008

Die Menschenwürde wird durch die nachfolgenden Grundrechte konkretisiert. Praktisch bedeutet dies, dass eine Verletzung der Menschenwürde immer auch eine Verletzung eines anderen Grundrechts beinhaltet.

Beispiele:

Die Anwendung von Folter verletzt die Garantie der Menschenwürde, zugleich aber auch das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne eine konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance, doch noch einmal die Freiheit wiedererlangen zu können, verletzt die Würde des Menschen, zugleich aber auch das Grundrecht auf Freiheit der Person.

Eine Überwachung von Wohnräumen verletzt die Menschenwürde, wenn dadurch Wahrnehmungen über den Kernbereich privater Lebensgestaltung wie etwa die Äußerung innerster Gefühle oder die sexuelle Sphäre erfolgen. Gleichzeitig wird auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt.

Der Schutz der Menschenwürde verbietet dem Staat aber nicht nur bestimmte Handlungen, sondern er gebietet ihm auch, aktiv tätig zu werden. Aus Art. 1 Abs. 1 GG folgt eine Schutzpflicht des Staates, seine Verpflichtung, Menschen vor Angriffen auf die Menschenwürde durch andere zu schützen.

Beispiel:

Im Jahre 1974 sollten rechtliche Voraussetzungen zum Schwangerschaftsabbruch neu geregelt werden.
Bis dahin war die "Abtötung der Leibesfrucht" einer Schwangeren generell eine strafbare Handlung. Die neu eingeführte Fristenregelung wollte demgegenüber den mit Einwilligung der Schwangeren erfolgten Schwangerschaftsabbruch dann unter Straffreiheit stellen, wenn seit der Empfängniszeit nicht mehr als zwölf Wochen verstrichen waren.

Doch das Bundesverfassungsgericht sah die neue Gesetzregelung als verfassungswidrig an, weil sie dem Schutz des ungeborenen Lebens, der auch aus dem Schutz der Menschenwürde hergeleitet wird, nicht im gebotenen Umfang gerecht wurde.
Aus dieser objektiven Wertentscheidung leitete das Bundesverfassungsgericht letztlich eine Verpflichtung des Gesetzgebers zum Erlass von Strafnormen ab. Der Gesetzgeber kehrte daraufhin zu dem Regelungskonzept einer grundsätzlichen Strafbarkeit zurück, sah aber bestimmte Ausnahmen vor.

So ist der Tatbestand des § 218 StGB dann nicht verwirklicht, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt, sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle hat beraten lassen, der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wurde und seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind (§ 218a Abs. 1 StGB).
Auch ist ein Schwangerschaftsabbruch dann nicht rechtswidrig, wenn er erfolgt, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung abzuwehren (§ 218a Abs. 2 StGB) oder wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist (§ 218a Abs. 3 StGB).

Mathias Metzner war wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht und im Grundrechtsreferat des Bundesministers der Justiz tätig. Er ist Vizepräsident des Externer Link: Verwaltungsgerichts Kassel.