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Migrationspolitik im Fokus Archiv Monatsrückblick Migrationspolitik – Mai 2024 Juni 2024

Flucht und Migration im Kontext des Klimawandels Migrationspolitik im Fokus

Vera Hanewinkel Christina Mecke

/ 13 Minuten zu lesen

Ein Visa-Abkommen zwischen Australien und dem vom Meeresspiegelanstieg bedrohten Tuvalu hat viel Aufmerksamkeit erhalten – ein Anlass, den Klimawandel als Fluchtursache und Migrationstreiber zu beleuchten.

Funafuti, die Hauptinsel des Inselstaates Tuvalu im Südpazifik, fotografiert aus einem Flugzeug. (© picture-alliance/AP, Alastair Grant)

Der Inselstaat Interner Link: Tuvalu gilt als erstes Land, das durch den Klimawandel unbewohnbar werden könnte. Tuvalu, das am 1. Oktober 1978 seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich erlangte und heute Externer Link: rund 10.000 Einwohner:innen zählt, umfasst mehrere kleine Inseln und Atolle im südpazifischen Polynesien. Der höchste Punkt des Landes liegt nur etwa fünf Meter über dem Meeresspiegel. Der Inselstaat droht deshalb angesichts des klimawandelbedingten Anstiegs des Meeresspiegels im Pazifik zu versinken.

Die US-Raumfahrtbehörde Interner Link: NASA geht davon aus, dass Externer Link: bis 2050 weite Teile der niedriggelegenen Landflächen Tuvalus unterhalb des durchschnittlichen Hochwasserstands liegen werden. Das bedeutet: Große Teile des Landes werden in Zukunft regelmäßig überflutet, insbesondere durch die stärker werdenden saisonalen Springfluten („king tides“). Es drohen Küstenerosion, die Versalzung von Böden und Süßwasserquellen sowie Missernten. Die immer häufiger auftretenden Zyklone (tropische Wirbelstürme) zerstören zudem Infrastruktur und Vegetation. Kurzum: Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlage der Einwohner:innen Tuvalus und macht das kleine Land nach und nach unbewohnbar. Wohin sollen aber die Menschen gehen, die dann nicht mehr auf Tuvalu leben können?

Wohin, wenn Tuvalu untergeht?

Bereits 2001 hatte Tuvalu die Pazifikstaaten Australien und Neuseeland vergeblich um Asyl für seine Bewohner:innen gebeten. Mehr als 20 Jahre später erklärte sich Australien dann aber bereit, Tuvalu zu helfen. Im November 2023 unterzeichneten beide Staaten ein Externer Link: bilaterales Abkommen zur Gründung der sogenannten Falepili Union. Darin kündigte Australien an, ein spezielles Visaprogramm für die dauerhafte Aufnahme von Einwohner:innen aus Tuvalu zu schaffen. Darüber sollen vorerst jährlich 280 Menschen in das 4.000 Kilometer entfernte Australien einwandern dürfen. Dieses Visakontingent kann jedoch jederzeit angepasst werden. Nach jetzigem Stand würde der Umzug aller Einwohner:innen nach Australien 40 Jahre dauern.

Ab Juni 2025 konnten sich die volljährigen Bürger:innen Tuvalus erstmals für das Visaprogramm bewerben. Bis zum Bewerbungsschluss am 18. Juli ließen sich mehr als 80 Prozent der Bevölkerung Tuvalus für das Programm registrieren. In einem Externer Link: Lotterieverfahren wird nun entschieden, welche Personen ihre Visumanträge einreichen dürfen. Ob ihnen tatsächlich ein Visum erteilt wird, hängt davon ab, ob sie die dafür Externer Link: notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen etwa nachweisen, dass sie die Staatsangehörigkeit Tuvalus besitzen und entweder in Tuvalu geboren wurden oder ein Eltern- oder Großelternteil haben, auf das dies zutrifft. Außerdem müssen medizinische und „charakterliche“ Voraussetzungen erfüllt werden. So dürfen zum Beispiel tuberkulose- oder HIV-Erkrankte ebenso wenig einreisen wie Menschen, die strafrechtlich verfolgt werden oder bereits verurteilt sind. Die Antragsteller:innen müssen außerdem eine Erklärung unterschreiben, „australische Werte“ zu achten und sich an die Gesetze zu halten.

Neben der Aufnahme tuvaluischer Bürger:innen sichert Australien Tuvalu in dem gemeinsamen Abkommen auch Unterstützung bei Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, Naturkatastrophen, medizinischen Krisen von internationaler Bedeutung (z. B. Pandemien) oder bei militärischen Aggressionen zu. Beobachter vermuten in Australiens Unterstützung auch eigene Sicherheitsinteressen: Die australische Regierung wolle durch Bündnisse wie die Falepili Union Staaten in der Pazifik-Region an sich binden und so den zunehmenden Einfluss Chinas zurückdrängen.

Klimawandelbedingte Migration – komplexe Zusammenhänge

Der Klimawandel bedroht Menschen überall auf der Welt – nicht nur die von Inselstaaten wie Tuvalu, Kiribati oder den Malediven. 2024 war nach Angaben des EU-Erdbeobachtungssystems Copernicus das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Erderwärmung führt dazu, dass sich Wettermuster verändern. Umfangreiche Forschungsdaten zeigen, dass Extremwetterereignisse wie Hitzewellen oder Starkregen mit Überschwemmungen zunehmen. Gleichzeitig entziehen schleichende Umweltveränderungen wie Versalzung, Wüstenbildung und der Anstieg des Meeresspiegels Menschen ihre Lebensgrundlage und tragen dazu bei, dass weltweit ganze Landstriche unbewohnbar werden könnten.

In der Forschung herrscht Konsens, dass der Klimawandel bereits heute Interner Link: in Kombination mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren ein Treiber für Migration und Flucht ist und die klimabedingte (Zwangs-)Migration in Zukunft weiter steigen dürfte. Die Externer Link: Migrationsmuster sind dabei vielfältig: Bei plötzlich auftretenden Naturkatastrophen wie Überschwemmungen verlassen Menschen meistens nur kurzfristig ihre Wohnorte und kehren dorthin zurück, wenn sich die Situation verbessert hat. Für diese Bewegungen wird auch der Begriff der klimainduzierten Mobilität verwendet. Treten die Umweltveränderungen hingegen schleichend auf, führt dies tendenziell eher zum dauerhaften Verlassen der betroffenen Gebiete, da die Möglichkeiten, die eigene Existenz sichern zu können, dort nachhaltig beeinträchtigt sind. Der Aufbruch erfolgt zumeist nicht plötzlich, weil die Menschen Zeit haben, sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen oder auch die Abwanderung zu planen.

Die meisten betroffenen Menschen weichen innerhalb ihrer Herkunftsländer vor den Folgen des Klimawandels aus. Grenzüberschreitende Migration findet demgegenüber eher selten und über vergleichsweise kurze Distanzen statt: Die meisten internationalen Migrant:innen verbleiben innerhalb ihren Herkunftsregionen, beispielsweise in Nachbarländern. Zum Ausmaß klimawandelinduzierter Migration bei schleichenden Umweltveränderungen gibt es bislang Externer Link: kaum robuste Daten. Dies liegt auch daran, dass der Zusammenhang von ökologischem Wandel und Migration komplex ist und das Klima nur ein Faktor von vielen ist, welcher Menschen zur Migration bewegt. Bislang liegen zudem vor allem Einzelfallstudien vor und nur wenige große vergleichende Untersuchungen. Etwas besser ist die Datenlage im Kontext von plötzlich auftretenden Naturkatastrophen – vor allem, weil hier zumeist ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ereignis und Bewegungen von Menschen besteht.

Zum Begriff der (Klima-)Vertreibung

Wenn im Kontext der Debatte um „Klimamigration“ von (Klima-)Vertreibung gesprochen wird, handelt es sich um eine in diesem Zusammenhang gängige Übersetzung des englischen Begriffs (disaster) displacement. Gemeint sein können sowohl dauerhafte als auch kurzfristige räumliche Bewegungen, denen aber gemeinsam ist, dass das Verlassen der Wohnorte erzwungen ist und meist reaktiv erfolgt – durch schleichende oder plötzlich auftretende Klimaereignisse. Wollen Betroffene ihr Überleben sichern, haben sie in diesem Sinne keine Wahlfreiheit. Abzugrenzen davon sind kurzfristige Evakuierungen im Gefahrenfall und geplante, auf einen dauerhaften Fortzug zielende Umsiedlungen (im Englischen häufig als planned relocation bezeichnet). Letztere sind gezielte staatliche Maßnahmen der Klimaanpassung, die präventiv dem Schutz der Bevölkerung in Risikogebieten wie Küstenregionen oder Flussdeltas dienen sollen. Die Betroffenen können solche Umsiedlungen dennoch persönlich als Zwangsmaßnahmen erleben.

Klimawandelinduzierte Migration – schwierige Prognosen

Die Zahl dieser katastrophenbedingten Vertreibungen („disaster displacements“, siehe Infokasten) steigt seit Jahren an. 2024 registrierte die Beobachtungsstelle für Binnenvertreibung – das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) – weltweit 45,8 Millionen „disaster displacements“. Das war der höchste Wert seit Beginn der Erfassung im Jahr 2008. In diese Zahl sind Daten aus 163 Staaten und Gebieten eingeflossen. Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei den zugrundeliegenden Daten nicht um Zahlen aus amtlichen Statistiken handelt, da es solche nur in wenigen Staaten der Welt überhaupt gibt. Stattdessen wertet das IDMC auch andere Quellen aus, vor allem Medienberichte. Die Zahlen müssen daher eher als Schätzung verstanden werden. Zudem ist zu beachten, dass nicht Betroffene, sondern einzelne Fälle gezählt werden, d.h.: Musste eine Person im Laufe eines Jahres mehrfach wegen Naturkatastrophen ihren Wohnort verlassen, wurde sie auch mehrfach gezählt.

Die IDMC-Daten zeigen: Von Vertreibungen durch Naturkatastrophen sind nicht nur ärmere Länder der Welt betroffen, sondern auch die reicheren Industriestaaten und Schwellenländer. So waren die USA 2024 das Land, in dem weltweit in absoluten Zahlen die meistenExterner Link: katastrophenbedingten Vertreibungsfälle gezählt wurden – insgesamt rund elf Millionen Fälle, vor allem in Folge von Massenevakuierungen aufgrund von großen Hurrikan-Ereignissen und Waldbränden. Nach den USA folgen die Philippinen (rund 9 Mio. Fälle), Indien (5,4 Mio.) und China (3,9 Mio.).

In Deutschland ist vor allem die Interner Link: Flut im Ahrtal im Juli 2021 im Gedächtnis, bei der alleine in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 135 Menschen ihr Leben verloren und schätzungsweise Tausende (vorübergehend) aus ihren Häusern und Wohnorten vertrieben wurden. Amtliche Zahlen dazu gibt es nicht. Insgesamt waren ca. 65.000 Menschen von der Flut betroffen. Es wurden fast 9.000 Häuser, viele Straßen, Brücken, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen Externer Link: zerstört oder beschädigt. Auch in anderen EU-Ländern wurden zwischen 2008 und 2023 schätzungsweise 413.000 Menschen durch Waldbrände, 317.000 durch Überflutungen und 106.000 durch Stürme vertrieben. Besonders betroffen waren Griechenland, Frankreich und Externer Link: Spanien.

Für Schlagzeilen sorgen in regelmäßigen Abständen Prognosen, die einen dramatischen Anstieg der zukünftigen weltweiten Klimaflucht vorhersagen. So schätzte z. B. das Externer Link: Institute for Economics and Peace 2020 auf der Basis der IDMC-Zahlen, dass bis 2050 mehr als eine Milliarde Menschen weltweit durch Naturkatastrophen vertrieben werden könnten. Diese und ähnliche Prognosen werden von Forschenden, die sich intensiv mit den Zusammenhängen von Klimawandel und Migration befassen, aufgrund der bereits beschriebenen schwierigen Datenlage und einer häufig unsauberen Methodik scharf kritisiert. Auch verkennen sie die Vielschichtigkeit von Migrationsprozessen sowie die Möglichkeiten von Menschen, sich an veränderte Gegebenheiten vor Ort anpassen zu können. Gerade in ärmeren Ländern fehlen vielen stark vom Klimawandel betroffenen Menschen auch schlichtweg die Mittel, um migrieren zu können. Sie gelten in der Forschungsliteratur als „trapped populations“, also als gefangene Bevölkerungsgruppen. Kurzgefasst: Allein schon aufgrund der weltweit eher schlechten allgemeinen Datenlage zu Migration ist die Wissenschaft bislang nicht in der Lage, realistische Vorhersagen über die klimainduzierte Migration in zwanzig oder dreißig Jahren zu treffen.

Vom Ringen um Bezeichnungen…

Einen international anerkannten Begriff, der alle durch die Folgen des Klimawandels vertriebenen Menschen umfasst, eine juristische Definition darstellt und diesen Menschen somit Rechte garantieren könnte, gibt es bis heute nicht. Bereits 1985 wurde das Konzept des „Klimaflüchtlings“ bzw. „Umweltflüchtlings“ von Essam El-Hinnawi vorgestellt, der als Experte für das Umweltprogramm der Vereinten Nation (UNEP) arbeitete. Nach seiner Definition sind „Klimaflüchtlinge“ Menschen, die ihre angestammte Heimat wegen schwerer Umweltzerstörung vorübergehend oder dauerhaft verlassen mussten, weil ihr Leben oder ihre Lebensqualität dort gefährdet war. Doch bis heute hat sich die Weltgemeinschaft Externer Link: nicht auf eine einheitliche Definition des Begriffs „Klimaflüchtling“ einigen können.

Das liegt auch daran, dass die meisten Menschen, die vor den schleichend oder plötzlich auftretenden Folgen des Klimawandels fliehen, nicht als Flüchtlinge im Sinne der Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gelten. Darin sind Flüchtlinge definiert als Personen, die wegen der begründeten Angst vor Verfolgung wegen ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Meinung aus dem Land geflüchtet sind, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen bzw. in dem sie ihren gewöhnlichen Wohnsitz haben. Die Verfolgung muss dabei vom Staat oder von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Vertreibungen durch oder als Reaktion auf Klimaveränderungen sind von der GFK nicht als Fluchtgrund anerkannt.

Auch wenn „Klimaflüchtling“ kein Rechtsbegriff ist, wird er in der allgemeinen Debatte dennoch häufig verwendet. Alternativ findet sich auch der Begriff „Klimamigrant:in“. Kritiker:innen bemängeln hierbei, dass dieser Begriff vorgebe, die Menschen würden freiwillig migrieren. Daher hat sich auch der Begriff der „Klimavertriebenen“ etabliert, der den rechtlichen Begriff „Flüchtling“ umgeht, aber den Zwangscharakter klimabedingter Bewegungen betont. Doch auch dieser Begriff ist umstritten, da er die Handlungsspielräume der betroffenen Menschen unbeleuchtet lässt und ihnen Handlungsfähigkeit und Entscheidungsmacht (Agency) abspricht.

… und Schutzkonzepte

Verbindliche internationale Regelungen zum Umgang mit klimabedingter Migration gibt es bislang nicht, wohl aber zahlreiche Leitlinien und Handlungsempfehlungen, die diese Schutzlücke zumindest teilweise schließen sollen. Ein Beispiel ist die 2015 von der Externer Link: Nansen-Initiative vorgelegte Externer Link: Schutzagenda. Sie verfolgte das Ziel, die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von vom Klimawandel betroffenen Menschen zu stärken, Maßnahmen zum besseren Schutz der Betroffenen zu bestimmen und ihre Rechte bei Anpassungsmaßnahmen wie präventiven Umsiedlungen zu wahren. Aus der Nansen-Initiative entwickelte sich die Platform on Disaster Displacement, die die internationale Zusammenarbeit im Bereich der klimabedingten Vertreibung verbessern will und dafür unter anderem Handlungsempfehlungen zusammenstellt, um den Schutz von Klimavertriebenen zu stärken und Risiken für klimabedingte Vertreibungen zu verringern. Auch der Interner Link: Globale Migrationspakt und der Globale Flüchtlingspakt – beide 2018 verabschiedet – nehmen Bezug auf Migration und Flucht infolge des Klimawandels. Ersterer fordert zum Beispiel, umweltbedingte Vertreibungen in Strategien zum Katastrophenschutz mitzudenken und den Zugang zu humanitärer Unterstützung sicherzustellen.

Daneben gibt es auch Initiativen auf regionaler Ebene. Beispielsweise beinhaltet das Regionalabkommen der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) in Interner Link: Ostafrika Regelungen zur Einreise von Menschen aus Mitgliedstaaten, die durch klimabedingte Überschwemmungen oder Dürre vertrieben werden. 2022 verabschiedeten verschiedene Minister:innen aus elf ostafrikanischen Staaten zudem die Externer Link: Ministererklärung von Kampala zu Migration, Umwelt und Klimawandel und versprachen koordinierte Maßnahmen für Menschen, die aufgrund des Klimawandels umziehen wollen oder müssen. Seitdem gibt es Bestrebungen, die Erklärung auf den gesamten afrikanischen Kontinent auszuweiten. Die IGAD und auch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Interner Link: ECOWAS) wollen zudem ihre regionale Freizügigkeit ausbauen – auch um die Resilienz gegenüber den Herausforderungen des Klimawandels zu stärken. Migration wird in dieser Logik als Anpassungsmechanismus verstanden, in dem die Menschen bei saisonalen und klimawandelbedingten (Extrem-)Wetterlagen in gemäßigtere Gebiete wandern können. Der Abbau von Migrationshindernissen dient somit der Existenzsicherung. Auch das Abkommen zwischen Australien und Tuvalu reiht sich in die regionalen Ansätze zum Umgang mit klimawandelbedingter Migration ein.

Auf nationalstaatlicher Ebene gibt es Instrumente, die auf Einzelfallbasis von Naturkatastrophen betroffenen Menschen befristete Einreise- und Aufenthaltserlaubnisse gewähren. In den USA können Menschen, die von Naturkatastrophen betroffen sind, einen temporären Schutzstatus (Externer Link: Temporary Protected Status) erhalten, der sie vor einer Abschiebung schützt und es ihnen ermöglicht, in den USA zu arbeiten. Argentinien hat ein humanitäres Visum eingeführt, welches es durch Umweltkatastrophen vertriebenen Süd- und Mittelamerikaner:innen ermöglicht, drei Jahre lang in Argentinien zu bleiben. Mit Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen erhalten sie im ersten Jahr staatliche Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhalts, bei der Integration und der Unterbringung. Nach Ablauf der drei Jahre ist eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis möglich.

Neuseeland hatte bereits 2017/2018 ein Pilotprogramm zur Einführung eines „Klimavisums“ zur Aufnahme von Menschen aus Inselstaaten aufgelegt, dieses aber nach nur sechs Monaten wieder eingestellt, weil es von den Bewohner:innen pazifischer Inseln, denen es zugutekommen sollte, abgelehnt wurde. Sie forderten stattdessen von Neuseeland mehr Anstrengungen beim Klimaschutz, Unterstützung ihrer Herkunftsländer bei Anpassungsmaßnahmen und Möglichkeiten „in Würde“ zu migrieren, nicht mit dem Stigma des „Flüchtlings“.

Da von klimawandelbedingten (Extrem-)Wetterlagen betroffene Menschen meist innerhalb ihrer Herkunftsländer bleiben, sind neben Regelungen für die internationale Migration auch Überlegungen zum Schutz von Binnenvertriebenen relevant. Für den Schutz dieser Gruppe sind primär die einzelnen Staaten verantwortlich. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat zwar Externer Link: Leitlinien zum Schutz von Binnenvertriebenen vorgelegt. Diese sind aber nicht verbindlich und es obliegt den Staatsregierungen, sie umzusetzen bzw. in nationale Schutzstrategien zu integrieren. Insbesondere einige derzeit schon stark von den Folgen des Klimawandels betroffene Staaten wie Externer Link: Bangladesch oder das im Südpazifik gelegene Externer Link: Vanuatu haben bereits nationale Strategien zum Umgang mit Binnenvertreibung entwickelt, die explizit auch disaster displacements im Kontext des Klimawandels berücksichtigen. Einige Staaten wie Fidschi haben zudem damit begonnen, ganze Gemeinden präventiv an andere Orte umzusiedeln, um sie etwa vor Überschwemmungen zu schützen.

Was tun die EU und Deutschland?

Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament erkennen grundsätzlich an, dass der Klimawandel ein Migrationstreiber ist. Konkrete Maßnahmen zum Umgang mit klimabedingter Migration und Flucht gibt es bislang aber nicht. Der erhöhte Migrationsdruck, der durch den Klimawandel entstehen könnte, ist auf EU-Ebene bislang vor allem aus sicherheitspolitischer Sicht betrachtet worden. Gelder, die etwa im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit für vom Klimawandel stark betroffene Länder zur Verfügung gestellt werden, dienen Anpassungsmaßnahmen, die es Menschen ermöglichen sollen, in ihren Herkunftsländern zu bleiben und Klimawandelfolgen abzumildern – werden politisch aber auch als Maßnahmen eingeordnet, die Migration in die EU verringern sollen.

Auch in Deutschland gibt es noch keine expliziten Regelungen zum Umgang mit klimabedingter Zuwanderung, verschiedene Maßnahmen wurden aber bereits vorgeschlagen und diskutiert. So hat etwa der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2019 in einem Externer Link: Positionspapier den schon zuvor kursierenden Vorschlag eines „Klima-Passes“ aufgegriffen. Dieser würde zunächst Migrationsmöglichkeiten und Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten für Bewohner:innen besonders vom Klimawandel bedrohter Inselstaaten gewährleisten. In Zukunft hätten dann – dem Vorschlag des WBGU zufolge – auch Betroffene aus anderen Ländern einen solchen Klimapass erhalten können. Der Vorschlag wurde nicht umgesetzt.

In seinem Externer Link: Jahresgutachten 2023 hat der von der Bundesregierung eingerichtete Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) zudem die Einführung einer Klima-Card als humanitäres Aufnahmeprogramm vorgeschlagen, die Betroffenen einen zeitlich befristeten und unter bestimmten Bedingungen auch unbefristeten Aufenthalt in Deutschland ermöglichen würde. Darüber hinaus hat der SVR vorgeschlagen, ein Klima-Arbeitsvisum für Menschen zu schaffen, deren Existenz aufgrund von schleichenden Umweltveränderungen gefährdet ist. Vorbild ist hier eine Regelung, die es einer jährlich festgelegten Zahl an Menschen aus den Westbalkanstaaten ermöglicht, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen, sofern sie über einen Arbeitsvertrag verfügen und die Bundesagentur für Arbeit ihrer Beschäftigung zustimmt. Die Aufnahme von „Klimamigrant:innen“ würde durch diese Maßnahme eng an den deutschen Arbeitsmarkt und seine Bedarfe gekoppelt. Beide Vorschläge wurden bislang nicht umgesetzt.

Debatte um Gerechtigkeit

Stark von den Folgen des Klimawandels betroffene Länder wie Tuvalu haben häufig selbst keinen Einfluss darauf, wie sich das Weltklima entwickelt und ob die Erderwärmung und der daraus resultierende Anstieg der Meeresspiegel gestoppt werden kann. Dadurch stellen sich auch Fragen nach der Verantwortung für den Klimawandel und dafür, wie seine Folgen – zum Beispiel klimawandelinduzierte Migration – gerecht bewältigt werden können.

Die Debatte rund um die Verantwortung für den Klimawandel hat dabei verschiedene Dimensionen. Dabei lassen sich Treibhausgasemissionen weltweit zwischen Ländern vergleichen. Historisch gesehen haben die Industrienationen in Europa und Nordamerika einen Großteil der Treibhausgasemissionen seit dem 19. Jahrhundert verursacht. Gegenwärtig stoßen bevölkerungsreiche Länder wie China (mit rund 29 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen), die USA (11 Prozent) und Indien (8 Prozent) noch vor den 27 EU-Staaten (6 Prozent) absolut die meisten Treibhausgase aus. Pro Kopf verändert sich die Reihenfolge: Während sich die USA dort noch vor China und den EU27 im oberen Mittelfeld befindet, liegen die Emissionen pro Kopf in Indien deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt. Zur Spitzengruppe gehören hier Länder wie Katar, Kuwait und Bahrain Externer Link: (Emissionsdatenbank EDGAR 2024).

Die Hauptlast der Klimafolgen tragen vor allem Menschen in ärmeren Ländern insbesondere in Afrika, Zentral- und Südostasien und Mittel- und Südamerika, in denen häufig die finanziellen Möglichkeiten fehlen, aus eigener Kraft Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen, um die Bevölkerungen zu schützen. Vor diesem Hintergrund appellieren vor allem Inselstaaten wie Tuvalu, Kiribati, die Malediven oder die Marshallinseln – die in ihrem Fortbestehen als Ganzes bedroht sind – an die Klimaanstrengungen großer Treibhausgasemittenten und bitten um finanzielle Hilfen oder eben Aufnahme in diesen oder Nachbarländern.

Darüber hinaus verschärft die Klimakrise bestehende strukturelle Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten nicht nur zwischen Weltregionen, sondern auch innerhalb von Gesellschaften. So Externer Link: verursachen Menschen mit geringerem Einkommen im Schnitt weniger Treibhausgase als Menschen mit höherem Einkommen, und können sich gleichzeitig schlechter als diese vor den Folgen des Klimawandels schützen. Solche Ungleichheiten lassen sich häufig auch unmittelbar bei klimawandelbedingten Extremwetterereignissen feststellen: So gelten Angehörige sozial benachteiligter, marginalisierter und vulnerabler Gruppen wie Kinder, alte Menschen, Frauen, Menschen mit Behinderungen, Menschen, die in Armut leben, oder auch Geflüchtete als stärker gefährdet und belastet von den unmittelbaren Folgen von Naturkatastrophen bis hin zu Todesfällen als andere Gruppen.

Die Verantwortung für und die Belastung durch die Folgen des Klimawandels sowie die Ressourcen, diese zu bewältigen, sind weltweit ungleich verteilt. Klimawandelbedingte Migration wird absehbar zunehmen und ein zu lösendes politisches Problem bleiben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im Abkommen heißt es: „Der Begriff ‚Falepili‘ steht für die traditionellen Werte der guten Nachbarschaft, der Fürsorgepflicht und des gegenseitigen Respekts.“ (Englisches Original: „the concept of Falepili (…) connotes the traditional values of good neighbourliness, duty of care and mutual respect”)

  2. Die Nansen-Initiative war ein von der Schweiz und Norwegen ins Leben gerufener staatlicher Konsultationsprozess von 2012-2015. Hauptziel war die Entwicklung einer Agenda zum Schutz von Menschen, die aufgrund von Klimawandelfolgen (vorübergehend) vertrieben werden. Benannt wurde die Initiative nach dem ersten Flüchtlingskommissar des Völkerbundes, Fridtjof Nansen. Die Arbeit der Initiative wurde 2016 in die Plattform für Katastrophenvertreibung (Externer Link: Platform on Disaster Displacement) überführt, um die internationale Kooperation fortzusetzen.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autoren/-innen: Vera Hanewinkel, Christina Mecke für bpb.de

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Vera Hanewinkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.

ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.