Vom kleinen Barbershop bis zum international agierenden Pharma-Startup: Von Migrant:innen und Geflüchteten gegründete Unternehmen sind eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft. Dieser Beitrag bietet eine Übersicht über die Gründungsaktivitäten von Migrant:innen und Geflüchteten in Deutschland, über die Hürden sowie die Innovationskraft migrantischer Unternehmensgründungen.
Was sind Startups?
Für den Begriff „Startup“ (auch: Start-up) gibt es keine offizielle oder gesetzliche Definition. Einige Merkmale finden sich jedoch in allen Beschreibungen: Ein Startup ist ein junges Unternehmen, das noch nicht fest am Markt etabliert ist. Es wird meist gegründet, um eine neue, innovative Geschäftsidee umzusetzen. Da Startups in der Regel nur mit wenig Startkapital beginnen, benötigen sie schon früh zusätzliches Geld, um zu wachsen. Dieses Geld kommt häufig von privaten Investor:innen, aber auch aus staatlichen Förderprogrammen. Startups haben für gewöhnlich weniger feste Strukturen und Hierarchien und sind dynamischer als etablierte oder klassische Unternehmen. Startups gehen häufig höhere Risiken ein und haben gleichzeitig geringere finanzielle und personelle Ressourcen.
Migrantische Unternehmensgründungen in Deutschland
Es gibt verschiedene Datenquellen, um sich der Zahl der
Was bedeutet Selbstständigkeit?
Es gibt viele unterschiedliche Formen der
Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil sind in Deutschland lebende Menschen, die eine ausländische Staatsangehörigkeit haben oder die deutsche Staatsangehörigkeit nicht seit Geburt besitzen, Externer Link: nach Angaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) „überdurchschnittlich gründungsaktiv“. Zwischen 2011 und 2019 lag die Quote ihrer Gründungen durchgängig über der Gründungsquote innerhalb der Gesamtbevölkerung. Mit der Corona-Pandemie brach die Gründungsquote ein und lag bis 2022 unterhalb der Gesamtbevölkerung. Dennoch erfolgten 2022 laut KfW-Gründungsmonitor fast 22 Prozent aller Gründungen in Deutschland durch Ausländer:innen und Menschen, die nicht seit Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Externer Link: Ihr Anteil an allen Gründungen ist bis 2024 auf fast 28 Prozent gestiegen.
Mit Blick auf die Startup-Szene liefert der Externer Link: „Migrant Founders Monitor“ 2025 weitere Daten. Es handelt sich um eine Befragung des Startup-Verbands im Jahr 2024 unter 1.828 Gründer:innen. Davon waren 14 Prozent im Ausland geboren. Bei den „Einhörnern“ – Startups mit einem geschätzten Wert von mehr als einer Milliarde Dollar – gilt dies für 23 Prozent der Gründer:innen. 18 Prozent der Startup-Gründer:innen haben eine Einwanderungsgeschichte: Sie sind entweder selbst nach Deutschland zugewandert oder haben zwei Elternteile, auf die dies zutrifft.
Von den im Ausland geborenen Startup-Gründer:innen haben 91 Prozent einen Hochschulabschluss, mehr als die Hälfte (56 Prozent) in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). 87 Prozent der von Migrant:innen gegründeten Startups sind internationalisiert (haben also Geschäftsbeziehungen im Ausland, wie etwa eine Niederlassung oder enge Handelsverbindungen) oder planen es zu sein. Sie leisten damit auch einen Beitrag für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands.
Warum gründen Migrant:innen?
Bei der Frage, wie Zugewanderte (besser) in den Arbeitsmarkt integriert werden können, geht es in der öffentlichen Debatte häufig um Migrant:innen als Arbeitnehmer:innen. Am Beispiel der Gründer:innen zeigt sich jedoch, dass Migrant:innen auch als Arbeitgeber:innen wirtschaftliche Bedeutung zukommt: Die
Der Wunsch nach beruflicher Selbstständigkeit ist laut KfW-Gründungsmonitor unter Eingewanderten stärker ausgeprägt als unter Nicht-Migrant:innen. Zur Gruppe der Migrant:innen in Deutschland zählt die KfW sowohl ausländische Staatsangehörige als auch Menschen, die nicht seit Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Damit umfasst diese Gruppe auch Geflüchtete.
Für Menschen mit Fluchterfahrung, die während der Flucht und im Aufnahmeland teilweise lange von humanitären und staatlichen Leistungen abhängig sind, kann die Selbstständigkeit mit einem Gefühl der Unabhängigkeit und Selbstermächtigung (Empowerment) einhergehen.
Hürden bei der Suche nach einem Arbeitsplatz können niedrigere Bildungsqualifikationen und geringere Deutschkenntnisse, aber auch die mangelnde Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen oder strukturelle Diskriminierung sein. Bei Geflüchteten können zudem traumatische Erlebnisse die Arbeitsmarktintegration hemmen. Grundsätzlich gründen geflüchtete Menschen ähnlich häufig wie andere migrantische Gruppen. Die Neigung von (Flucht-)Migrant:innen, Unternehmen zu gründen, kann dabei auch von ihrem Herkunftsland abhängig sein, wenn in diesem etwa Kleinunternehmen oder Selbständigkeit weiter verbreitet sind als im Land der Zuwanderung. Ebenso spielt die Frage eine Rolle, ob die Menschen in ihrem Herkunftsland bereits selbstständig waren oder nicht.
Voraussetzungen für Gründungen
In Deutschland hängen die Voraussetzungen für die Unternehmensgründung von der gewählten Rechtsform ab (z. B.
All diese Regelungen stellen bereits für deutsche Unternehmensgründer:innen eine Herausforderung dar. Für Nicht-EU-Ausländer:innen, die in Deutschland gründen wollen, gibt es zudem Externer Link: aufenthaltsrechtliche Hürden. So benötigen sie einen Externer Link: Aufenthaltstitel zur selbstständigen Tätigkeit (§21 AufenthG). Dieser setzt voraus, dass die Geschäftsidee dem wirtschaftlichen Interesse Deutschlands oder einem regionalen Bedarf entspricht, eine positive Wirkung auf die Wirtschaft erwarten lässt und die Finanzierung gesichert ist. Diese Bedingungen werden von den Ausländerbehörden und den zuständigen Kammern, etwa den Industrie- oder Handelskammern, geprüft.
Gründungen nur mit dem richtigen Aufenthaltstitel
Etwas niedriger sind die Voraussetzungen für freiberufliche Tätigkeiten etwa im medizinischen oder künstlerischen Bereich, die auch in §21 AufenthG festgehalten sind. 2023 reisten 2.245 Personen über den Aufenthaltstitel zur selbstständigen Tätigkeit nach Deutschland ein, fast alle davon als Freiberufler:innen (2.008). Die meisten aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit Einreisenden kamen aus europäischen (Russland, Vereinigtes Königreich, Türkei) und nordamerikanischen Staaten (USA, Kanada).
Nach Externer Link: Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lebten Ende 2023 etwas mehr als 11.000 Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis zur selbstständigen Tätigkeit in Deutschland, rund 2.900 weitere Personen hatten aus dem gleichen Grund eine Niederlassungserlaubnis erhalten.
Etwas einfacher ist die Situation für ausländische Absolvent:innen einer deutschen Hochschule. Sie können leichter eine Aufenthaltserlaubnis für Selbstständige erhalten, sofern ihre Geschäftsidee zu ihrem Hochschulabschluss passt. Wer einen anderen Aufenthaltstitel hat, z. B. um in Deutschland zu studieren oder zu arbeiten, darf nicht automatisch auch gründen. Hierfür benötigt es einen Wechsel in die Aufenthaltserlaubnis für Selbstständige. Diese Statuswechsel beschränken sich jedoch auf eine mittlere dreistellige Zahl pro Jahr. Der Aufenthaltstitel zur selbstständigen Tätigkeit wird zunächst höchstens für drei Jahre ausgestellt. Eine Verlängerung wird nur erteilt, wenn das Unternehmen Erfolg und eine nachhaltige Entwicklung verspricht. Unter bestimmten Bedingungen, wie etwa der Sicherung des Lebensunterhalts, können Selbstständige aus Drittstaaten bereits nach drei statt der üblichen fünf Jahre eine
Hürden für migrantische Gründungen
Neben den genannten Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel müssen Ausländer:innen, die in Deutschland gründen wollen, auch mit weiteren Hürden rechnen, etwa langen Wartezeiten bei Visaanträgen in den deutschen Auslandsvertretungen oder bei Businessplanprüfungen der Kammern und Behörden. Auch ein Bankkonto in Deutschland zu eröffnen, kann für Gründungswillige aus Nicht-EU-Ländern herausfordernd sein, weil sie hierfür bereits eine Aufenthaltserlaubnis benötigen, für die sie aber wiederum zunächst ein Geschäftskonto eröffnen müssen. Zudem gibt es häufig sprachliche Hürden bei Beratungsstellen und Anträgen. Letztere werden häufig nur auf Deutsch angeboten. Hinzu kommt eine unübersichtliche deutsche Förderlandschaft für Unternehmensgründer:innen. Während Gründer:innen aus anderen EU-Staaten auch in die gesamte EU expandieren können, sind Gründer:innen aus Drittstaaten meist auf Deutschland beschränkt, wenn sie hier ihren Aufenthaltstitel haben. Das kann die Unternehmensentwicklung erschweren.
Dem Migrant Founders Monitor berichteten 42 Prozent der migrantischen Gründer:innen, dass das Überzeugen von Investor:innen für sie das größte Problem darstelle.
Eingeschränkte Möglichkeiten für Geflüchtete
Für geflüchtete Menschen ergibt sich wiederum eine gänzlich andere Situation: Je nach Aufenthaltsstatus ist es ihnen erlaubt, ein Unternehmen zu gründen oder nicht. Personen, denen im Asylverfahren ein Schutzstatus zuerkannt wird, haben uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang und dürfen auch gründen; das gilt auch für Ukrainer:innen, die einen temporären Schutzstatus haben. Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden, oder mit einer Duldung in Deutschland leben, dürfen hingegen kein Unternehmen gründen.
Da geflüchtete Menschen durchschnittlich über ein geringeres Bildungsniveau verfügen als Menschen, die zum Arbeiten nach Deutschland zugewandert sind, gründen sie seltener in wissensintensiven Branchen (z. B. Forschung und Entwicklung, Technologieunternehmen, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen). Häufig haben sie geringere finanzielle Ressourcen und Unterstützungsstrukturen. Allerdings kann eine Gründung für Geflüchtete eine Chance darstellen: Geflüchtete Gründer:innen haben durchschnittlich ein höheres Einkommen als abhängig beschäftigte Geflüchtete.
Fördermaßnahmen und Abbau von Hürden
Seit der Jahrtausendwende ist die Förderung und Erleichterung von Unternehmensgründungen Ziel jeder neuen Bundesregierung. Dazu kommen Programme in den Bundesländern sowie kommunale Förderinitiativen. Dabei rücken vermehrt auch bestimmt Gruppen in den Fokus, etwa generell Frauen oder eben auch Eingewanderte. Die meisten staatlichen Förderprogramme in Deutschland stehen dabei auch Menschen aus Drittstaaten offen, sofern sie die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für eine Unternehmensgründung erfüllen. Menschen mit Migrationsgeschichte nutzen öffentliche Fördermittel durchschnittlich jedoch seltener als Gründer:innen insgesamt. Sie stützen ihre Gründungsvorhaben häufiger auf eigene und familiäre finanzielle Rücklagen.
Innovationskraft migrantischer Unternehmensgründung
Die von der KfW beobachtete‚ überdurchschnittliche Gründungsaktivität‘ von Menschen mit Migrationserfahrung ergibt sich insbesondere aus einem Zusammenspiel von schlechteren Arbeitsmarktchancen und Verdienstmöglichkeiten, einem durchschnittlich höheren Wunsch nach Selbstständigkeit und einem größeren Streben nach Wachstum. Das zeigt sich sowohl in Deutschland als auch zum Beispiel für die Staaten der
Nach Externer Link: Angaben der OECD machten Migrant:innen 2022 rund 17 Prozent der Unternehmengründer:innen in den Mitgliedsländern der Organisation aus. Unter den Selbstständigen sind sie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in 25 von 36 OECD-Staaten überrepräsentiert. In der EU sowie den Staaten der Europäischen Freihandelszone EFTA (Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen) gaben 2021 34 Prozent der migrantischen Gründer:innen an, vorrangig zum Arbeiten eingewandert zu sein, 42 Prozent waren aus familiären Gründen in die EU eingereist, sieben Prozent für (Aus-)Bildungszwecke und sechs Prozent aus humanitären Gründen. Gründer:innen werden also nicht nur über die für sie vorgesehenen Aufenthaltstitel gewonnen.
Migrantische Unternehmen sind sehr vielfältig. Teilweise füllen sie Marktlücken oder führen regionale Marktneuheiten ein und erhalten oder schaffen so auch lokalräumlich wichtige Infrastrukturen. In Deutschland sind sie wichtig für die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs.
Eine Besonderheit bei migrantischen Unternehmensgründungen ist, dass diese häufiger transnational sind. Das heißt, dass sie gezielt ihre Netzwerke in verschiedenen Ländern nutzen und in die Unternehmensstruktur integrieren. Die Forschung zu transnationalem migrantischen Unternehmer:innentum (Transnational Migrant Entrepreneurship, TME) zeigt, dass die gleichzeitig in mehreren kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten verankerten unternehmerischen Aktivitäten ein wichtiger Vorteil sein können. Diese sogenannte Mehrfacheinbettung (Mixed Embeddedness) ermöglicht es, auf zusätzliche finanzielle, personelle und soziale Ressourcen zurückzugreifen. Dadurch können Unternehmer:innen etwa Nischenmärkte erschließen, in Krisenzeiten auf Unterstützung aus verschiedenen Netzwerken bauen oder vielfältige Geschäftsmodelle entwickeln. Migrantische Unternehmen leisten somit auch einen wichtigen Beitrag zur Innovationskraft und Resilienz des Exportlandes Deutschland.