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Grünes Wachstum ist möglich und nötig | Debatte: Das Problem Wachstum | bpb.de

Debatte Debatte: Das Problem Wachstum

Grünes Wachstum

Grünes Wachstum ist möglich und nötig

Clemens Fuest

/ 7 Minuten zu lesen

Um die Wirtschaft nachhaltig zu machen, muss man staatliche Regulierung mit Marktkräften verbinden. Der Emissionshandel ist gutes Beispiel dafür, wie man mit Bepreisung grüne Innovation anstoßen kann.

Windrad, Solarmodule und Stromleitungen. (© picture-alliance/dpa, imageBROKER | Sylvio Dittrich)

Die globale ökonomische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat Milliarden von Menschen Wohlstand gebracht und die weltweite Armut reduziert. Sie geht aber in vielen Ländern mit Naturzerstörung, Umweltverschmutzung und der Erschöpfung endlicher Ressourcen einher. Die Klimaerwärmung durch den Ausstoß von Treibhausgasen ist das meistdiskutierte Beispiel. Aber es gibt viele andere Entwicklungen, die teils mit dem Klimawandel verbunden sind. Dazu gehören das Artensterben, das Abholzen der Regenwälder oder die Verschmutzung und Überfischung der Weltmeere. Eine wichtige Ursache für diese Umweltzerstörung liegt darin, dass für die Belastung der Umwelt von den Verursachern häufig kein oder zumindest kein angemessen hoher Preis zu entrichten ist.

Auf Dauer ist diese Entwicklung weder ökologisch noch ökonomisch tragfähig. Die weltweite Klimaerwärmung erhöht das Risiko von Naturkatastrophen wie Wirbelstürme und Überschwemmungen. Sie beeinträchtigt die Nahrungsmittelproduktion und die Gesundheit. Der Verlust an Biodiversität erhöht die Anfälligkeit für Pandemien und Missernten. All dies führt zu gewaltigen ökonomischen Kosten. Umweltschutz, der Biodiversität erhält und die Klimaerwärmung eindämmt, hat auch Kosten, aber diese Kosten sind geringer als die Kosten, die drohen, wenn die Umweltzerstörung im bisherigen Tempo weitergeht. Diese Diagnose wirft die Frage auf, ob, und falls ja, wie es möglich ist, zu einer nachhaltigen Form des Wirtschaftens zu kommen.

Was bedeutet „nachhaltiges Wirtschaften“? Der Naturkapital-Ansatz

Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft. Dort bedeutet nachhaltiges Wirtschaften, dass man einem Wald nicht mehr Holz durch das Fällen von Bäumen entnimmt als nachwächst. Übertragen auf den Klimawandel führt das zu der Forderung nach Klimaneutralität – die Treibhausgasemissionen dürfen auf Dauer nicht höher sein als die Menge an Treibhausgasen, die aus der Atmosphäre entnommen werden – beispielsweise durch das Pflanzen von Bäumen, die Kohlendioxid binden, oder durch das Speichern von CO2 im tiefen geologischen Untergrund.

Wie kann man einen Zustand nachhaltigen Wirtschaftens allgemeiner beschreiben? Der britische Ökonom Partha Dasgupta argumentiert, dass eine intakte Umwelt als Kapital betrachtet werden kann, das wertvolle Leistungen erbringt, ähnlich wie menschlich geschaffenes Kapital. Beispiele hierfür sind die Nahrungsproduktion durch die landwirtschaftliche Bodennutzung, die CO2-Bindung durch Pflanzen und der Schutz vor Epidemien durch Biodiversität. Das Kapital, das intakte Böden, Wälder, Gewässer und saubere Luft darstellen, wird als Naturkapital bezeichnet. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet, dieses Naturkapital zu bewahren und für die Zukunft zu sichern. So lange Naturkapital nur so stark belastet wird, wie es seiner natürlichen Regenerationsfähigkeit entspricht, ist Nachhaltigkeit gewährleistet. Geht die Nutzung darüber hinaus, kommt es zu einer Erosion des Naturkapitals.

Die Analyse von wirtschaftlicher Entwicklung und Nachhaltigkeit mit dem Naturkapital-Ansatz ist aus zwei Gründen hilfreich: Erstens verdeutlicht sie, dass es triftige ökonomische Gründe gibt, Naturzerstörung aufzuhalten. Naturkapital hat einen hohen wirtschaftlichen Wert, und es kann nur sehr begrenzt durch menschlich geschaffenes Kapital ersetzt werden. Zweitens bietet sie eine klare Definition von nachhaltigem Wirtschaften: Nachhaltigkeit erfordert, dass der Bestand an Naturkapital stabilisiert wird, also im Zeitablauf zumindest konstant ist, und das auf einem hinreichend hohen Niveau.

Wirtschaftswachstum und Naturkapital

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Naturkapital und der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die bei der Messung des Wirtschaftswachstums erfasst wird? Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen beansprucht Leistungen des Naturkapitals. Das bezeichnet man als ökologischen Fußabdruck. Die Größe des ökologischen Fußabdrucks hängt von der verwendeten Produktionstechnologie ab. Umweltschonende Technologie reduziert den ökologischen Fußabdruck. Nachhaltigkeit erfordert, dass der ökologische Fußabdruck die natürliche Regenerationsfähigkeit des Naturkapitals nicht übersteigt.

Schätzungen des weltweiten ökologischen Fußabdrucks sind mit methodischen Problemen und hoher Unsicherheit behaftet. Es besteht aber weitreichender Konsens darüber, dass der ökologische Fußabdruck derzeit deutlich größer ist als das, was mit Nachhaltigkeit vereinbar wäre. Wie kann man Nachhaltigkeit erreichen?

“Degrowth“ als Lösung?

Ein Ansatz zur Senkung des ökologischen Fußabdrucks, der viel diskutiert wird, ist die Senkung der weltweiten Produktion oder zumindest ein Verzicht auf weiteres Wachstum. Dies ist der Ansatz der so genannten Degrowth-Bewegung. Er wirft jedoch erhebliche Probleme auf.

Ein wichtiges Argument der Degrowth-Bewegung behauptet, auf einem Planeten mit physischen Grenzen könne es kein unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum geben. Das ist ein Irrtum. Zum einen entsteht wirtschaftliches Wachstum nicht allein durch die Nutzung von immer mehr physischen Ressourcen, sondern durch Ideen und Innovationen, die nicht physisch begrenzt sind. Innovationen ermöglichen eine produktivere Verwendung einer gegebenen Menge an Ressourcen, beispielsweise höhere Energieeffizienz oder verringerter Rohstoffverbrauch durch Recycling. Zum anderen bedeutet Wirtschaftswachstum zunehmend immateriellen Konsum in Form von Kommunikation und Teilhabe an kulturellen und medizinischen Innovationen – große Teile der Digitalwirtschaft befassen sich mit der Produktion dieser Güter. Dabei geht es beispielsweise um Kommunikation über Soziale Medien oder den Einsatz von künstlicher Intelligenz für die Produktion von Texten und Filmen oder für medizinische Diagnosen. Wachstum bedeutet also nicht notwendigerweise mehr Umweltbelastung.

Darüber hinaus würde der Versuch, wirtschaftliche Schrumpfung zu verordnen, an mangelnder politischer Unterstützung scheitern. Wirtschaftswachstum ist keine von Regierungen direkt steuerbare Größe, sondern vor allem das Ergebnis der individuellen Entfaltung von Milliarden von Menschen. Eine staatlich verordnete Reduktion der Wirtschaftsleistung würde bei der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht akzeptiert. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern wäre es kaum möglich, die Menschen zu überzeugen, auf mehr Wohlstand zu verzichten.

Auch in Hocheinkommensländern wie Deutschland würde eine Politik der Schrumpfung kaum politische Unterstützung finden. Zudem sinkt die Bereitschaft, Ressourcen für den Umweltschutz einzusetzen tendenziell, wenn der materielle Wohlstand zurückgeht. Freiwilliger Konsumverzicht, der die Umwelt schont, ist bislang die Ausnahme. Daher scheint eine Kombination aus technischem und sozialem Fortschritt sowie Investitionen in die Erhaltung des Naturkapitals der vielversprechendere und letztlich der einzig realisierbare Weg zu mehr Nachhaltigkeit.

Wie ist eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung erreichbar?

Um zu einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung zu kommen, ist es erforderlich, staatliche Eingriffe und Regulierung auf intelligente Weise mit der Nutzung von Marktkräften zu verbinden. Umweltschutz wird umso eher politische Unterstützung finden, je geringer die Kosten sind, die mit der Erreichung gegebener Umweltziele verbunden sind.

Das bekannteste Beispiel für derartige Umweltpolitik ist das europäische System handelbarer CO2-Zertifikate (ETS). Es stellt insofern einen harten staatlichen Eingriff dar, als die Gesamtmenge an klimaschädlichen CO2-Emissionen in den erfassten Sektoren in Europa politisch festgelegt und gedeckelt wird. In den europäischen Emissionshandel sind derzeit die Energiewirtschaft, energieintensive Industrien sowie Luft- und Seefahrt einbezogen. Nur Unternehmen, die entsprechende Zertifikate erwerben oder besitzen, dürfen CO2 ausstoßen. Gleichzeitig nutzt das System Marktkräfte, denn die CO2-Zertifikate sind handelbar. Ob Unternehmen für ihre CO2-Emissionen Zertifikate kaufen, ob sie durch Innovationen wirtschaftliche Aktivität dekarbonisieren oder wirtschaftliche Aktivität, die mit CO2-Emissionen einhergeht, ganz einstellen, entscheiden sie selbst. Sie orientieren sich dabei am Marktpreis für die Zertifikate. Je höher der Preis, desto eher werden sie CO2-Emissionen unterlassen. Da alle Akteure sich dem gleichen Preis für Zertifikate gegenübersehen, werden CO2-Emissionen dort zuerst abgebaut, wo der Abbau die geringsten Kosten verursacht.

Damit soll nicht gesagt sein, dass staatliches Handeln sich im Klimaschutz auf die Rahmensetzung durch Zertifikatehandel beschränken sollte. Bei Forschung und Entwicklung für Dekarbonisierung kommt es beispielweise zu positiven Externalitäten, weil Forschungsaktivitäten einzelner Unternehmen dazu führen, dass andere Unternehmen von ihnen lernen. Das spricht dafür, derartige Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten staatlich zu unterstützen.

Glaubwürdigkeitsprobleme der Politik, was künftige CO2-Preise angeht, können dazu führen, dass private Investoren zu wenig in Dekarbonisierung investieren. Auch hier kann staatliche Unterstützung gefragt sein. All dies bedeutet aber nicht, dass staatlich vorgegeben werden muss, in welchem Umfang einerseits Innovationen und andererseits weniger Produktion zur Senkung der Emissionen beitragen sollte. Ähnliches gilt für Umweltschutz in anderen Bereichen. Entscheidend ist, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Ein Beispiel dafür wäre das Ziel für die Senkung von Treibhausgasemissionen in der EU bis 2050.

Scheitert nachhaltige Entwicklung an mangelnder Bereitschaft zu internationaler Zusammenarbeit?

Viele Umweltprobleme, insbesondere die Klimaerwärmung, sind globale Probleme, die nur durch weltweites Handeln gelöst werden können. Die Forderung nach einer nachhaltigeren Wirtschaftsentwicklung findet in vielen Ländern breite Unterstützung. Bei der Umsetzung gibt es jedoch große Hürden. Es gibt zwischen Ländern und ihren Regierungen sehr verschiedene Auffassungen über Geschwindigkeit und Instrumente der Nachhaltigkeit sowie über Prioritäten und die Lastenverteilung. Zudem sind politische Entscheidungsprozesse wegen kurzer Wahlperioden oft kurzfristig orientiert. Das kann auch für Entscheidungen von Unternehmen gelten, etwa wenn das Management nur bis zum Ende der eigenen Vertragslaufzeit denkt. Bei Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit liegen die Erträge oft weit in der Zukunft.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass Entscheidungen über Umweltschutz primär von nationalen Regierungen getroffen werden, die begrenzte Anreize haben, Kosten des Umweltschutzes zu tragen, wenn der Nutzen global verteilt ist. Hochentwickelte Länder wie Deutschland können durch internationale Abkommen und die Entwicklung umweltschonender Technologien einen Beitrag leisten. Fortschritte bei internationalen Umweltproblemen wie dem Klimaschutz erfordern jedoch globale Kooperation. Da sich diese Zusammenarbeit schwierig gestaltet, sollten Investitionen zur Anpassung an Umweltveränderungen wie die globale Klimaerwärmung nicht vernachlässigt werden.

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Clemens Fuest ist Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo in München und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist dort außerdem Direktor des Center for Economic Studies (CES).