Im Herbst 2024 berichteten verschiedene Tageszeitungen über ein internes Papier aus der europäischen Autobranche, das vor dem Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen warnte. Die Autoindustrie, so hieß es den Berichten zufolge in dem Papier, sei nicht in der Lage, die von der EU festgelegten „Flottengrenzwerte“ für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge einzuhalten.
Flottengrenzwerte sind ein klimapolitisches Instrument. Sie bestimmen, wieviel CO2 alle neu zugelassenen Fahrzeuge eines Herstellers durchschnittlich ausstoßen dürfen. Seit 2021 liegt der Grenzwert bei 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Von 2025 an sind es 15 Prozent und ab 2030 55 Prozent weniger. Ab 2035 sollen nur noch Fahrzeuge neu zugelassen werden, die überhaupt kein CO2 mehr emittieren. Der Straßenverkehr soll dadurch klimaneutral werden. Autobauern, die die Ziele verfehlen, drohen Geldstrafen.
Um die Grenzwerte einzuhalten, müssen die Hersteller den Anteil von E-Autos an ihren Fahrzeugflotten vergrößern. Das geschieht bisher nicht im erforderlichen Tempo. Die europäische Autoindustrie hat im Gegensatz zu ihren chinesischen Konkurrenten wie BYD und zu Unternehmen wie dem US-Autokonzern Tesla die Entwicklung von Batterietechnologien und E-Autos lange Zeit vernachlässigt.
In dem Papier aus der Autobranche wird nun angedeutet, dass Fabriken geschlossen werden könnten, um die Flottengrenzwerte einzuhalten und Strafzahlungen zu vermeiden. Damit aber stünden europaweit Millionen von Arbeitsplätzen auf dem Spiel.
Auf den ersten Blick zeigt sich hier ein grundsätzlicher Konflikt zwischen Arbeitsplätzen und Klimaschutz: Wird das eine mit Nachdruck verfolgt, geht das andere verloren. Auf den zweiten Blick stellen sich jedoch weitere Fragen: Ist das notwendigerweise so? Was genau liegt dem Konflikt zugrunde? Und wie könnte ein „gerechter Übergang“ aussehen, der den Gegensatz zwischen Arbeit und Ökologie überwindet?
Grenzen der ökologischen Modernisierung
Zunächst muss festgehalten werden, dass an einer Transformation des Verkehrssektors kein Weg vorbeiführt. Der klimapolitische Handlungsbedarf ist hier besonders groß: Während im Verarbeitenden Gewerbe und im Bausektor der EU die CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2022 um 46 Prozent, in der Energiewirtschaft um 40 Prozent und in den privaten Haushalten um 35 Prozent zurückgingen, stiegen sie im Verkehrssektor um 20 Prozent. Mehr als 70 Prozent der verkehrsbedingten CO2-Emissionen entfallen auf den Straßenverkehr.
Mit dem Übergang zur Elektroautomobilität ließen sich die CO2-Emissionen, die beim Fahren anfallen, in dem Maße reduzieren, wie die Fahrzeugbatterien mit Strom aus erneuerbaren Quellen geladen würden. Doch selbst, wenn das gelänge, würde sich der Konflikt zwischen Arbeitsplätzen und Umwelt verschärfen. Denn die Herstellung des elektrischen Antriebs erfordert weit weniger menschliche Arbeit als die des Verbrennungsmotors. Sie entwertet zudem solche Qualifikationen und Maschinen, die sich nur für die Herstellung von Komponenten für den Verbrennungsmotor eignen. Viele Menschen, die in der Autozulieferer-Industrie arbeiten, spüren das bereits heute.
Dazu kommen weitere Probleme. So ist die Herstellung von Elektroautos sehr rohstoffintensiv. In einer 400 Kilogramm schweren Batterie, die Volkswagen für einen Mittelklassewagen produziert, befinden sich unter anderem 126 Kilogramm Aluminium, 41 Kilogramm Nickel, 22 Kilogramm Kupfer, 9 Kilogramm Kobalt und 8 Kilogramm Lithium.
Auch dies sind soziale und beschäftigungspolitische Folgen einer Klimapolitik, die primär auf technologische Veränderungen – zum Beispiel E-Autos – setzt. Sie werden allerdings im globalen Norden selten bedacht. Dass sich im globalen Süden green sacrifice zones ausbreiten, also Landschaften, deren Natur und Menschen gewissermaßen der ökologischen Modernisierung des globalen Nordens geopfert werden, wird in den hiesigen Diskursen stillschweigend vorausgesetzt.
Sozial-ökologische Kosten fallen nicht nur bei der ökologischen Modernisierung der Automobilität an, sondern auch zum Beispiel in Branchen wie der chemischen und der Stahlindustrie, die mit grünem Wasserstoff klimaneutral gemacht werden sollen. Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen. Um die europäische Industrie zu dekarbonisieren, wird mehr von ihm benötigt, als in Europa selbst hergestellt werden kann. Europäische Politiker*innen bemühen sich deshalb intensiv um „Wasserstoff-Partnerschaften“ mit sonnenreichen Ländern des globalen Südens. Keineswegs gewährleistet ist dabei, dass auch die Interessen der Menschen dort, wo der grüne Wasserstoff erzeugt wird, berücksichtigt werden.
Deutlich wird also, dass eine primär als Modernisierung von Produkten und Produktionstechnologien gedachte Transformation sowohl in sozialer als auch in ökologischer Hinsicht zu kurz greift. Zwar können die CO2-neutralen Technologien für sich genommen durchaus einen Fortschritt darstellen. Jedoch gestaltet sich der Übergang zu ihnen schwierig. Und selbst wenn er gelingt, drohen Arbeitsplätze verloren zu gehen und Existenzen zerstört zu werden. Zudem verursacht die Rohstoffintensität auch der CO2-neutralen Produkte und Technologien hohe sozial-ökologische Kosten, die nicht selten auf den globalen Süden verlagert werden.
Potenziale der sozial-ökologischen Transformation
Das festzustellen, bedeutet nicht, die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation anzuzweifeln. Ein Weiter-So ist keine Alternative, würde es sich doch binnen kurzer Zeit katastrophal aufs Klimasystem auswirken und unendlich viel Leid und Zerstörung verursachen. Insofern geht es nicht um das Ob der Transformation, sondern um das Wie. Der bislang mehr oder weniger konsequent verfolgte Pfad einer Dekarbonisierung mit technologischen Mitteln führt wie gezeigt weder sozial noch ökologisch ans Ziel. Notwendig ist stattdessen eine Transformation, die ökologisch die nötige Eingriffstiefe aufweist und gleichzeitig allen Menschen heute und in der Zukunft ein gutes Leben ermöglicht.
Das klingt nach Quadratur des Kreises, ist aber durchaus eine machbare Option, für die Menschen vielerorts bereits kämpfen. Einer dieser Orte ist Campi Bisenzio nahe Florenz. Hier betrieb der Autozulieferer GKN bis zum Juli 2021 ein Werk, in dem Antriebswellen für Sportwagen hergestellt wurden. Dann wurde die Produktion eingestellt und der Belegschaft gekündigt. Statt dies zu akzeptieren, besetzten die Beschäftigten ihre Fabrik und entwickelten unter äußerst schwierigen Bedingungen einen Konversionsplan. Unterstützt wurden sie von der Klimagerechtigkeitsbewegung und Wissenschaftlern. Das Ziel ist die Gründung einer Genossenschaft und die Umstellung der Produktion von Autoteilen auf Lastenräder und Fotovoltaikanlagen.
Das Wegweisende an dem Konflikt ist, dass es in ihm gerade nicht um die Alternative „Arbeitsplätze oder Klimaschutz“ geht. Vielmehr wird der Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen mit der Transformation der Produktion zugunsten von sozial sinnvollen und ökologisch nachhaltigen Gütern verbunden. Arbeit und Soziales einerseits und Ökologie andererseits gehen also Hand in Hand. Voraussetzung dafür ist, dass die Produktion nicht länger allein unter der Maßgabe der Gewinnmaximierung gedacht wird, sondern ausgehend von gesellschaftlichen Bedürfnissen und unter Berücksichtigung von ökologischen Restriktionen, also vom Standpunkt einer gelingenden sozial-ökologischen Reproduktion.
Das ist ein radikaler Ansatz, den die Arbeiter des ehemaligen GKN-Werks in ein konkretes Projekt übersetzt haben. Die Beschäftigten in anderen Krisenbranchen sowie ihre betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungen können davon lernen – und sich dabei auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. So haben in jüngerer Zeit mehrere Studien
Konversion ist ein wichtiger Baustein einer grundlegenden, an der sozial-ökologischen Reproduktion orientierten Transformation. Allein reicht sie allerdings nicht aus. Denn um den Energie- und Rohstoffverbrauch zu senken und der ökologischen Krise zu begegnen, müssen große Teile der industriellen Produktion zurückgebaut werden. Dabei gehen notwendigerweise Arbeitsplätze verloren.
Als Kompensation bietet sich zum einen eine Arbeitszeitverkürzung an. Bei vollem Lohnausgleich (der insofern gerechtfertigt wäre, als mit ihm die Beschäftigten an den Zuwächsen der Arbeitsproduktivität beteiligt würden), ließen sich Einkommensverluste vermeiden. Zudem nähme der Zeitwohlstand zu, gesellschaftliches Engagement, Sorgearbeit und die eigene Weiterbildung würden aufgewertet gegenüber der Lohnarbeit, in deren Schatten sie bislang stehen.
Zum anderen könnten die ökologisch bedingten Arbeitsplatzverluste in der Industrie durch einen Ausbau des Dienstleistungssektors aufgefangen werden. In der Pflege, im Gesundheitssektor oder im Bildungsbereich besteht bereits heute ein großer Bedarf an Arbeitskräften. Er dürfte noch steigen, wenn die Qualität und Quantität der Dienstleistungen den gesellschaftlichen Bedarfen und den Ansprüchen eines guten Lebens für alle entsprechend gestaltet würden. Zu diesem Zweck wären auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten deutlich zu verbessern.
Beispielhaft in Deutschland standen dafür gemeinsame Kampagnen von Gewerkschaften und der Klimabewegung, die für bessere Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahnfahrer und für ein deutlich ausgebautes, sozialverträglich gestaltetes ÖPNV-Angebot streikten. Davon würden gerade auch diejenigen profitieren, die sich kein eigenes Auto leisten können.
Zusammen stehen neue Technologien, Konversion, Rückbau, Arbeitszeitverkürzung, der Ausbau sozialer und technischer Infrastrukturen und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für eine Transformation, die nicht nur der ökologischen Krise Rechnung trägt, sondern auch für mehr sozialen Ausgleich und gesellschaftlich sinnvolle Arbeit sorgt. Das Dilemma zwischen Jobs und Klima, Arbeit und Ökologie ist kein Naturzwang, sondern einer von Menschen gemachten Wirtschaftsordnung geschuldet und damit veränderbar. In Zeiten einer existenziellen sozial-ökologischen Krise wird die Veränderung zur Notwendigkeit.