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Debatte Debatte: Das Problem Wachstum

Wachstum fürs Klima

Wachstum und Klimaschutz vereinen in Zeiten geopolitischer Herausforderungen

Christian Sölch Johannes Wirth

/ 8 Minuten zu lesen

Nur wirtschaftliche Dynamik kann für Innovation sorgen, um den Klimawandel aufzuhalten. Wachstum, kombiniert mit klugen Marktregeln, ist also nicht die Ursache, sondern die Lösung des Problems.

Schlepper im Hafen von Oakland. (© picture-alliance, Bildagentur-online/Blend Images/Tom Paiva Photography)

Deutschlands und Europas Rolle im internationalen Klimaschutz

Der Klimawandel ist eine Herausforderung, die in Ausmaß und Komplexität alle bisherigen Formen internationaler Zusammenarbeit übersteigt. Kein Land allein kann die Erderwärmung aufhalten. Entscheidend wird sein, wie internationale Arbeitsteilung, technologischer Fortschritt und wirtschaftliche Dynamik zusammenspielen. Deutschland und die Europäische Union können dabei eine zentrale Rolle übernehmen, indem sie zeigen, dass sich Klimaschutz und wirtschaftliches Wachstum nicht ausschließen müssen. Gelingt es, beides zu vereinen, kann Europa nicht nur seine Klimaziele erreichen, sondern auch weltweit zum Vorreiter für eine klimaneutrale Wirtschaft werden.

Im Rahmen des Europäischen Green Deal hat sich die EU verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden, Deutschland strebt dieses Ziel bereits für 2045 an. Dieses Ziel ist ambitioniert – aber bringt dem Klima nur etwas, wenn es international eingebettet wird. Europa verursacht derzeit rund 8 Prozent der globalen energiebedingten Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) . Selbst eine vollständige Dekarbonisierung Europas hätte daher global nur begrenzte Wirkung, solange in anderen Weltregionen der Ausstoß weiter zunimmt. So Externer Link: entfielen im Jahr 2024 etwa 34 Prozent der globalen energiebedingten Emissionen auf China, 12 Prozent auf die USA und rund 8 Prozent auf Indien.

Die grundlegende Beziehung zwischen Wirtschaftswachstum, Energieverbrauch und Emissionen lässt sich mit der Kaya-Identität beschreiben. Sie zeigt, dass die Treibhausgasemissionen das Produkt aus vier Faktoren sind: Bevölkerungszahl, Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) pro Kopf, Energieverbrauch pro Einheit Wirtschaftsleistung und Emissionen pro Energieeinheit. Klimaschutz bedeutet daher nicht, dass Wachstum gestoppt werden muss. Im Gegenteil: Gelingt es, Energieeffizienz zu steigern und die Emissionsintensität zu senken, so ist Wachstum auch unter den Beschränkungen des Klimaschutzes möglich. Diese Erkenntnis macht deutlich: Technologischer Fortschritt und wirksame internationale Kooperation können den Pfad zur Klimaneutralität öffnen.

Abb. 1: Einflussfaktoren auf THG-Emissionen - die Kaya-Identität

Ein Blick auf die historische Entwicklung des BIP und der THG-Emissionen verschiedener Länder zeigt, dass eine Entkopplung von wirtschaftlichem Wachstum und dem Ausstoß von Emissionen grundsätzlich möglich ist. Hierbei lassen sich Staaten in drei Klassen aufteilen: (i) Staaten, in denen die Emissionen ähnlich wie das BIP ansteigen (rot in Abbildung 2), (ii) Staaten in denen Emissionen weniger stark als das BIP wachsen (gelb) und (iii) Staaten, in denen das BIP steigt, Emissionen aber gleichzeitig sinken (grün).

Europa kann hier als globaler Katalysator wirken. Es verfügt über Forschungskapazitäten, industrielle Erfahrung und Kapitalmärkte, um Technologien zu entwickeln, die weltweit eingesetzt werden können. Der Export von Technologien und die Schaffung gemeinsamer Standards wirken weit über Europas Grenzen hinaus.

Eine zentrale Aufgabe besteht darin, Entwicklungsländern den Zugang zu modernen Technologien zu ermöglichen. Viele Staaten, vor allem im globalen Süden, befinden sich noch im Prozess der Industrialisierung. Hier entscheidet sich, ob das künftige Wachstum mit einem hohen oder niedrigen Emissionspfad einhergeht. Wenn Europa technologische Kooperation, Finanzierung und Ausbildung stärker verknüpft, könnte es dafür sorgen, dass viele Entwicklungsländer emissionsintensive Entwicklungsphasen überspringen. So wird aus der untenstehenden Abbildung 2 b) deutlich, dass durch den Einsatz von heute bereits in Europa etablierten Technologien eine immense Reduktion der Emissionen erreicht werden kann. So könnte China seine THG-Intensität um 60 Prozent, Indien sogar um 70 Prozent reduzieren, wäre die CO2-Intensität der Produktion in den einzelnen Wirtschaftsbereichen auf demselben Niveau wie in Deutschland.

Europa und Deutschland können also nicht durch ihre eigenen Emissionsminderungen allein Vorbilder sein, sondern durch die Entwicklung und Weitergabe von emissionsarmen Technologien Klimaschutz global gestalten. Die entscheidende Botschaft lautet: Deutschlands und Europas Beitrag zum Klimaschutz liegt weniger in der schieren Emissionsreduktion als in der Fähigkeit, Technologien, Institutionen und Märkte so zu gestalten, dass andere ihnen folgen können.

Innovation, Preispolitik und Marktmechanismen

Technologischer Fortschritt ist der zentrale Hebel, um wirtschaftliches Wachstum und Klimaschutz miteinander zu vereinbaren. Historisch ist es kein Rückgang des Wachstums, sondern Innovation gewesen, die Effizienzsteigerungen, neue Energieträger und damit Emissionsminderungen ermöglicht hat. Der Schlüssel liegt in der richtigen Kombination aus marktwirtschaftlichen Anreizen und staatlicher Rahmensetzung: Märkte müssen die ökologischen Kosten widerspiegeln, während Politik für Verlässlichkeit, Infrastruktur und in eng abgesteckten Bereichen für Förderung sorgt.

Ein zentrales Element ist die CO₂-Bepreisung. Sie macht die Kosten von Emissionen sichtbar und schafft damit Anreize für Unternehmen und Haushalte, klimafreundliche Alternativen zu wählen. Der europäische Emissionshandel (EU ETS 1) ist hier das zentrale Instrument. Im europäischen Emissionshandelssystem (Externer Link: EU ETS) muss für jede ausgestoßene Tonne Treibhausgas in den Bereichen Stromerzeugung, Industrie und Luftfahrt ein Zertifikat eingelöst werden. Die Gesamtmenge der Emissionen wird von der EU festgelegt und jährlich reduziert, bis nach aktuellen Vorgaben Ende der 2030er-Jahre keine neuen Emissionsberechtigungen mehr ausgegeben werden. Die Zertifikate werden gehandelt, teils aber noch kostenlos an energieintensive Unternehmen vergeben. Für Verkehr und Wärme, die bisher nicht vom EU ETS erfasst sind, müssen die Mitgliedstaaten eigene Maßnahmen einführen. In Deutschland gibt es dafür seit Anfang der 2020er-Jahre einen nationalen Emissionshandel mit zunächst festen CO₂-Preisen. Ab 2026 soll dieser in ein marktbasiertes System übergehen. Ab 2027 wird auf europäischer Ebene mit dem EU ETS 2 ein neues Handelssystem für die Sektoren Verkehr und Gebäude eingeführt, in den das deutsche System übergehen soll.

Auch außerhalb der EU gibt es bereits eine Vielzahl von Ländern, in denen Emissionen erfasst und bepreist werden. Diese zunehmende Verbreitung von CO₂-Bepreisungssystemen ist eine zentrale Voraussetzung für den globalen Klimaschutz. Sie kann die Grundlage für eine wirksame internationale Zusammenarbeit bilden, etwa durch die Einführung eines globalen CO₂-Mindestpreises oder durch eine „Koalition der Willigen“, die sich auf gemeinsame Preisstandards einigt.

In einigen Bereichen – etwa in der Stahl- oder Zementindustrie – sind die derzeitigen CO₂-Preise noch zu niedrig, um fossile Technologien durch klimafreundliche Alternativen zu ersetzen. Ein Grund dafür ist, dass viele dieser Technologien noch nicht marktreif oder sehr teuer sind, das gilt insbesondere für die Nutzung von „grünem“ (also klimaneutral erzeugtem) Wasserstoff, etwa in der Stahlindustrie. Deshalb braucht wirksamer Klimaschutz eine doppelte Strategie: Preissignale, die Emissionen verteuern, und Innovationsförderung, die neue Technologien voranbringt. Öffentliche Investitionen in Forschung, Entwicklung und Infrastruktur schaffen die Voraussetzungen, damit anschließend auch private Investitionen folgen können. Doch Märkte funktionieren nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In Deutschland und Europa bremsen komplexe Genehmigungsverfahren und unsichere Regulierungen den Ausbau, gleichzeitig bestehen durch konkurrierende oder sich überlappende Förderinstrumente Ineffizienzen. Außerdem muss durch eine konsequente und berechenbare Klimapolitik gewährleistet werden, dass ausreichend zusätzliche Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Das gelingt aktuell in Asien in größerem Umfang als in Europa und den USA. Will Europa hier im Wettbewerb um die Weltmärkte mitspielen und zudem in strategisch wichtigen Bereichen Produktionskapazitäten für die eigene Transformation etablieren, so gilt es, durch eine Stärkung der entsprechenden Rahmenbedingungen den Hochlauf der Produktionskapazitäten dem eigenen Ambitionsniveau anzupassen.

Defizite der bisherigen deutschen und europäischen Klimapolitik

Unilaterale Klimaziele und nationale Klimaschutzbeiträge, die heute viele Staaten weltweit im Zuge der internationalen Klimaverhandlungen beschlossen haben, sind ein Fortschritt, aber nicht ausreichend, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Zum einen reichen diese Selbstverpflichtungen bisher nicht aus, um die in Paris vereinbarte Eindämmung der Erderwärmung zu erreichen. Zum anderen mangelt es an der Umsetzung dieser Ziele. Um effektive Klimakooperation im internationalen Kontext zu erreichen, sind Externer Link: auf Gegenseitigkeit beruhende (reziproke) gemeinsame Verpflichtungen notwendig . Dabei handelt es sich um eine Vereinbarung, sich an Regeln zu halten, vorausgesetzt, andere halten sich ebenfalls an die vereinbarten Regeln. Grundlage dieser Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit ist zum einen, dass Klimaschutz allen zugutekommt, unabhängig davon, wo Maßnahmen ergriffen werden. Dies führt dazu, dass viele Staaten zögern, eigene wirksame Maßnahmen zu ergreifen, solange unklar bleibt, ob andere mitziehen. Zum anderen sind die Beiträge einzelner Staaten allein kaum wirksam, sodass nur gemeinsames, global abgestimmtes Handeln zu einer spürbaren Begrenzung des Klimawandels führen kann.

Eine weitere Gefahr einseitiger europäischer oder nationaler Klimaschutzmaßnahmen (etwa CO2-Preise oder Minderungsquoten) besteht darin, dass heimische Unternehmen aufgrund höherer Kosten, verursacht durch diese Klimaschutzmaßnahmen, einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Weltregionen haben und sich dazu entscheiden könnten, in günstigere Regionen (mit geringeren Klimaschutzvorgaben) abzuwandern (Carbon-Leakage). Als Folge der Abwanderung der energieintensiven Produktion würde dann zwar der CO2-Fußabdruck der heimischen Produktion sinken, wodurch man den aktuell gesetzten Klimazielen scheinbar näherkäme. Auf der anderen Seite würde der CO2-Fußabdruck des Konsums steigen, der sich bisher in Deutschland weitgehend gleichlaufend mit dem CO2-Fußabdruck der Produktion entwickelt hat. Abbildung 4 stellt eine solche Entwicklung exemplarisch am Beispiel der Schweiz dar. Hier ist seit 1990 das BIP um 60 Prozent gestiegen und die Emissionen der Produktion um 20 Prozent gesunken, was zunächst eine Entkopplung der CO2-Emissionen vom Wachstum suggeriert. Allerdings sind im selben Zeitraum die CO2-Emissionen des Konsums um 40 Prozent gestiegen. Demnach hat die Schweiz die durch ihren Konsum verursachten Emissionen in andere Regionen der Welt verlagert.

Eine mögliche Lösung des Problems des Carbon Leakage durch Verlagerung oder Abwanderung emissionsintensiver Produktionsprozesse liegt in einer internationalen Kooperation im Rahmen eines sogenannten Klimaclubs, kombiniert mit einem CO₂-Grenzausgleichsmechanismus. Ein Klimaclub ist ein Zusammenschluss von Staaten, die sich auf gemeinsame und ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen verständigen. Mit einem CO₂-Grenzausgleichsmechanismus schützen sich die Mitglieder vor Wettbewerbsnachteilen gegenüber Ländern, die keine vergleichbaren Klimaschutzstandards einhalten. So sollen unfaire Kostenvorteile ausgeglichen, Carbon-Leakage-Effekte vermieden und die Wirksamkeit der innerhalb des Klimaclubs verfolgten Klimapolitik gesichert werden. Idealerweise sollte es gelingen, den CO₂-Fußabdruck von Gütern transparent auszuweisen, damit dieser im Grenzausgleichsmechanismus berücksichtigt werden kann. Produkte mit geringem CO₂-Fußabdruck würden dadurch kostengünstiger behandelt, wodurch ein Anreiz für klimafreundlichere Produktion auch außerhalb des Klimaclubs entsteht. Zwar existiert mit dem europäischen Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) bereits ein solches Instrument, doch erfüllt es diese Ziele bislang nur teilweise. Der Externer Link: CBAM umfasst derzeit lediglich Grundstoffe wie Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel, Strom und Wasserstoff und berücksichtigt Exporte dieser Güter aus der EU bislang nicht.

Ausbleibender Wasserstoffhochlauf gefährdet Wachstum und Klimaschutz

Eine zentrale Rolle für den Klimaschutz in Deutschland und Europa spielen Wasserstoff und seine Derivate, welche unter anderem zur Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie (z.B. Stahl- oder Chemieindustrie) benötigt werden. Europa wird als einziger großer Wirtschaftsraum sowohl während der Transformation seiner energieintensiven Industrie als auch langfristig in einer klimaneutralen Welt in erheblichem Umfang auf Importe von klimafreundlichem Wasserstoff und seinen Derivaten angewiesen sein. Gelingt es nicht, emissionsarme Wasserstoffderivate in ausreichender Menge als Ersatz für fossile Energieträger zu importieren, ist mit einer Verlagerung energieintensiver Produktionsstätten in Länder außerhalb der EU zu rechnen, da in allen Mitgliedsstaaten ähnliche Anforderungen an die Emissionsreduktion gelten. Kurz- bis mittelfristig ist an den neuen Standorten allerdings keine klimaneutrale Produktion zu erwarten. Die europäischen Klimaschutzmaßnahmen würden somit keine tatsächliche globale Emissionsminderung bewirken, da die Treibhausgase lediglich an einem anderen Ort entstehen würden. Um das zu verhindern, ist eine frühzeitige und möglichst auf EU-Ebene koordinierte, diversifizierte Beschaffung von klimafreundlichem Wasserstoff und seinen Derivaten von zentraler Bedeutung. Aktive Bemühungen zur Diversifizierung von Energieimporten sind wichtig, um Fehler aus der Vergangenheit, insbesondere bei der Abhängigkeit von russischem Erdgas, nicht zu wiederholen. Ist die Versorgung mit günstiger Energie durch einige wenige Anbieter erst einmal realisiert, so ist ein Mehr an Resilienz oft nicht durchsetzbar. Eine ähnliche Situation könnte sich bei Importen von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten ergeben, wenn die Diversifikation des Hochlaufs nicht proaktiv begleitet wird. Hierbei können marktliche Instrumente, wie z.B. Auktionen, sicherstellen, dass die Mehrkosten durch Diversifizierung möglichst gering sind und somit eine effiziente Versorgung (unter den vorgegebenen Diversifizierungsquoten) sichergestellt wird.

Wachstum und Klimaschutz vereinbaren

Langfristig wird Klimaschutz selbst zu einer Quelle von Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand. Er kann zum Wachstumsmotor einer neuen industriellen Epoche werden, wenn die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Kurzfristig benötigt es aber wirtschaftliches Wachstum, um Klimaschutz überhaupt ermöglichen zu können.

Wachstum schafft Spielräume für Investitionen

Ohne wirtschaftliche Dynamik fehlen die Ressourcen, um die tiefgreifende Transformation der Energie-, Industrie- und Verkehrssysteme zu finanzieren. Studien schätzen den jährlichen Investitionsbedarf für Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland im dreistelligen Milliardenbereich. Diese Summen lassen sich nur aufbringen, wenn die Volkswirtschaft wächst und Kapitalmärkte Vertrauen in stabile Rahmenbedingungen haben. Schrumpfungsstrategien, also Konzepte des sogenannten Degrowth, die auf eine bewusste Verringerung von Produktion und Konsum zielen, würden die finanziellen Grundlagen entziehen, auf denen sozialer Ausgleich, Forschung und Infrastrukturentwicklung beruhen. Schon heute zeigt sich, dass wirtschaftliche Stagnation den finanziellen Spielraum des Staates einschränkt und die gesellschaftliche Akzeptanz für Klimapolitik schwächt. Diese Entwicklung wird durch steigende Ausgaben für Soziales, Verteidigung und die Zinslast öffentlicher Schulden zusätzlich verschärft. Auch die Verteidigungs- und Innovationsfähigkeit Europas hängt von einer starken Wirtschaft ab. Nur eine wirtschaftlich leistungsfähige EU kann ihre strategische Souveränität wahren, technologische Standards setzen und internationale Klimakooperationen aktiv gestalten. Wachstum ist damit nicht das Gegenteil von Nachhaltigkeit, sondern deren Voraussetzung.

Nachhaltiges Wachstum braucht klare Regeln

Damit Klimaschutz als Wachstumsmotor wirkt, müssen Innovationen in marktfähige Strukturen eingebettet sein. Unternehmen investieren nur, wenn politische Stabilität, Planbarkeit und faire Wettbewerbsbedingungen gewährleistet sind. Ein verlässlicher CO₂-Preis, technologieoffene Förderung und eine innovationsfreundliche Finanzpolitik bilden den institutionellen Rahmen. Klimaschutz ist also kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in die Zukunftsfähigkeit moderner Volkswirtschaften.

Die Perspektive hat sich damit umgekehrt: Nicht Wachstum gefährdet Klimaschutz, sondern fehlendes Wachstum gefährdet dessen Erfolg. Eine starke Wirtschaft ist die Voraussetzung, um technologische Risiken zu tragen, gesellschaftliche Übergänge zu gestalten und eine wirksame globale Kooperation mitzugestalten, auf die es letztlich ankommt.

Degrowth-Ansätze verkennen diese Zusammenhänge

Befürworter von Wachstumsverzicht argumentieren, dass weniger Produktion und Konsum den ökologischen Druck reduzieren könnten. Kurzfristig stimmt das – doch es löst das Problem nicht nachhaltig. Der Rückgang industrieller Aktivität würde zu Arbeitsplatzverlusten, sinkender Steuerbasis und sozialen Spannungen führen, ohne die strukturellen Ursachen der Emissionen zu beseitigen. Zudem besteht die Gefahr des Carbon Leakage, wobei Emissionen lediglich in Regionen, welche diesen Ansatz nicht verfolgen, verlagert würden. Eine schrumpfende Wirtschaft entzieht Europa und insbesondere Deutschland außerdem die Verhandlungsstärke und Überzeugungskraft in internationalen Verhandlungen, auch und gerade in Fragen des globalen Klimaschutzes. Andere große Akteure werden einen solchen Weg nicht nachgehen, da dies gesellschaftlich und politisch kaum durchzuhalten ist. Im Gegenteil: Die USA, China und Russland setzen derzeit alles daran, ihre wirtschaftliche Stärke auszubauen und ihre Einflusssphären zu sichern, etwa durch Handelskonflikte, Zölle oder die strategische Kontrolle über Rohstoffe und Schlüsseltechnologien. Der Klimaschutz gerät dabei zunehmend in den Hintergrund. Zugleich zeigt sich eine wachsende Blockbildung internationaler Partnerschaften, etwa erkennbar an der Verflechtung über Waffenimporte oder der Beteiligung an der Neuen Seidenstraße. Viele Staaten, vor allem in Afrika, ließen sich bislang keiner Seite eindeutig zuordnen. Doch geopolitische Bündnisse und Machtverhältnisse verschieben sich kontinuierlich – sowohl über militärische Kooperationen als auch über strategische Handelsbeziehungen. Vor allem China hat hier in den vergangenen Jahren deutlich an Einfluss gewonnen. Diese Entwicklungen stellen insbesondere Deutschland als Exportnation vor erhebliche Herausforderungen.

Verlieren Deutschland und Europa ihre wirtschaftliche Stärke, so verliert deren Stimme in internationalen Verhandlungen weiter an Gewicht. Entscheidend ist daher, emissionsarme Technologien in Europa zu entwickeln, diese Technologien rasch zu skalieren und internationale Märkte für emissionsarmen Wasserstoff aufzubauen. Deutschland wird langfristig auf Energieimporte angewiesen bleiben, die Kooperation mit Ländern wie Kanada, Norwegen, Chile oder Namibia wird daher zu einem zentralen Bestandteil der Klimastrategie. Solche Partnerschaften schaffen zugleich neue Wachstumsimpulse für beide Seiten.

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Christian Sölch arbeitet seit Juli 2024 als Post-Doc im Energy Systems and Market Design Lab an der Technischen Universität Nürnberg (UTN), wo er in verschiedenen Projekten und Gremien, unter anderem als Mitarbeiter von Veronika Grimm in der Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring, tätig ist. Davor promovierte er am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und leitete seit 2019 als Post-Doc den Forschungsbereich „Energiemarktdesign und -politik“.

Johannes Wirth war von Mai 2023 bis Februar 2024 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie an der FAU Erlangen-Nürnberg im Forschungsbereich Energiemärkte und Sektorkopplung. Seit März 2024 ist er Teil des Energy Systems and Market Design Lab an der Technischen Hochschule Nürnberg. Zu seinen Forschungsinteressen gehören der Hochlauf von regionalen und globalen Wasserstoffmärkten sowie die Kopplung von Wasserstoff- und Strommärkten. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der FAU Erlangen-Nürnberg.